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Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 26 |
Frühjahr 2008 |
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Rezension einer Biografie von Bryan Palmer
James P. Cannon
ÜBERSETZT AUS SPARTACIST, ENGLISCHE AUSGABE NR. 60, HERBST 2007
Die Veröffentlichung einer bedeutenden Biografie von James P. Cannon — ein Mitbegründer des Kommunismus in Amerika und mehr als 40 Jahre lang der herausragende Führer des amerikanischen Trotzkismus — ist ein wichtiges Ereignis für marxistische Revolutionäre. Cannon war der größte kommunistische Führer, den die Vereinigten Staaten bisher hervorgebracht haben. Für die Internationale Kommunistische Liga (Vierte Internationalisten) — deren Ursprünge in der Revolutionary Tendency liegen, einer Fraktion, die 1963/64 aus Cannons Socialist Workers Party (SWP) ausgeschlossen wurde — ist Cannon einer unserer wichtigsten revolutionären Vorfahren. Bei seinem Tod 1974 war Cannon Nationaler Ehrenvorsitzender der SWP, die mehr als zehn Jahre zuvor faktisch das trotzkistische Programm aufgegeben hatte. Aber in seiner besten Zeit besaß Cannon ganz offensichtlich die Fähigkeiten, die proletarische Revolution in Amerika zum Sieg zu führen.
James P. Cannon and the Origins of the American Revolutionary Left, 18901928 [James P. Cannon und die Ursprünge der revolutionären Linken in Amerika, 18901928] von Bryan Palmer, einem bekannten Sozialhistoriker, der zur Zeit an der kanadischen Trent-Universität lehrt, ist überraschend gut — viel besser, als man von einem (wenn auch freundlich gesinnten) Akademiker erwarten würde. Die Prometheus Research Library, Bibliothek und Archiv des Zentralkomitees der Spartacist League/U.S., Sektion der IKL, gehörte zu den vielen Institutionen und Einzelpersonen, die Palmer bei der Ausarbeitung des Bandes Hilfestellung leisteten, wie er in den Danksagungen“ des Buches bemerkt.
Palmers 542-seitiger Band, der Cannons Anfänge bis zu seinem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei 1928 umfasst, stellt eine wesentliche Ergänzung des bisher veröffentlichten Materials über Cannons politische Entwicklung und seine Führungsrolle im ersten Jahrzehnt des amerikanischen Kommunismus dar, als dieser die besten proletarischen Kämpfer Amerikas anzog, bevor er in die Zwangsjacke eines rigiden, nichtrevolutionären stalinistischen Dogmatismus eingeschnürt wurde. Die Kommunistische Partei war gegründet worden, um damit dem Vorbild der russischen Bolschewiki zu folgen, die die erste siegreiche Arbeiterrevolution der Welt anführten: die Oktoberrevolution von 1917. Auch Cannon, der vorher Mitglied der Sozialistischen Partei (SP) und der syndikalistischen Industrial Workers of the World (IWW) gewesen war, gehörte zu den Vielen, die sich in den USA der Sache der Bolschewiki anschlossen.
Die eingehende Beschäftigung mit dieser Periode von Cannons Geschichte als Kommunist ist unerlässlich für Revolutionäre nicht nur in den USA, sondern auch international. Wie Cannon bemerkte:
Aus der Kommunistischen Partei in den Vereinigten Staaten stammte der Kern der Vierten Internationale in diesem Lande. Deshalb sagen wir, dass die frühe Periode der kommunistischen Bewegung in diesem Land uns gehört; dass wir unauflöslich damit verbunden sind; dass eine ununterbrochene Kontinuität existiert seit den Anfängen der kommunistischen Bewegung, ihren mutigen Kämpfen gegen Verfolgung, ihren Opfern, Fehlern, Fraktionskämpfen und ihrer Degeneration bis schließlich zum Neuaufstieg der Bewegung unter dem Banner des Trotzkismus.“
—Cannon, The History of American Trotskyism
[Die Geschichte des Trotzkismus in Amerika] (1944)
Cannon hielt Kurs und wurde bei Gründung der Vierten Internationale 1938 einer ihrer Führer. Aus verschiedenen historischen Gründen wurden die amerikanischen Trotzkisten eine Hauptstütze der Vierten Internationale. Sie hatten den Vorteil, unter relativ stabilen Bedingungen zu arbeiten, im Unterschied zu einer Reihe von anderen Gruppen der Opposition, die vor oder während des Zweiten Weltkriegs durch staatliche Repression zerschlagen wurden. Außerdem brachte Cannon, anders als andere bekannte Persönlichkeiten in Trotzkis Internationaler Linker Opposition (ILO), eine Anhängerschaft aus seiner Fraktion mit, die schon seit Jahren in der Kommunistischen Partei zusammengearbeitet hatte.
Palmers solide recherchierter Band erweitert das Bild, das der verstorbene Theodore Draper in seiner grundlegenden zweibändigen Geschichte der frühen kommunistischen Bewegung in Amerika, The Roots of American Communism [Die Wurzeln des Kommunismus in Amerika] (Viking Press, New York, 1957) und American Communism and Soviet Russia [Amerikanischer Kommunismus und Sowjetrussland] (Viking Press, New York, 1960), entwarf. Draper war einer der vielen Ex-Kommunisten, die zu Antikommunisten wurden, trotzdem erhielt er sich ein gewisses Verständnis von den Anliegen und Kämpfen kommunistischer Kader. Cannon half Draper bei seinen Recherchen mit ausführlichen Briefen, von denen später viele zur Veröffentlichung in The First Ten Years of American Communism [Die ersten zehn Jahre des Kommunismus in Amerika] (1962) ausgewählt wurden. Cannons frühere Erinnerungen an diese Periode in den ersten Kapiteln von The History of American Trotskyism werden durch diese Briefe mit mehr Leben erfüllt.
Palmer berichtet, dass Draper bewusst Cannons Beitrag zu seinem zweiten Band herunterspielte. Dennoch würdigte Draper Cannon im Vorwort zu First Ten Years. Als Erklärung, warum Cannon sich wesentlich besser als andere Zeitgenossen an Ereignisse in den 1920er-Jahren erinnerte, kam Draper zu dem Schluss: Im Unterschied zu anderen kommunistischen Führern seiner Generation wollte Jim Cannon sich erinnern. Dieser Teil seines Lebens ist für ihn immer noch lebendig, weil er ihn nicht in sich abgetötet hat.“
Palmers Biografie ergänzt Cannons Reden und Schriften aus dieser Periode, darunter diejenigen, die im Notebook of an Agitator [Notizbuch eines Agitators] (1958) zusammengestellt wurden, sowie das eher intern ausgerichtete Parteimaterial, das die Prometheus Research Library in James P. Cannon and the Early Years of American Communism, Selected Writings and Speeches, 19201928 [James P. Cannon und die frühen Jahre des Kommunismus in Amerika, Ausgewählte Schriften und Reden, 19201928] 1992 veröffentlichte; bei der Vorbereitung dieses Buches hatte die PRL bedeutende Cannon-Materialien aus den 1920er-Jahren zusammengetragen.
In ihrer Einleitung zu James P. Cannon and the Early Years of American Communism hatte die PRL darauf hingewiesen, dass zusätzliche Dokumente von Cannon aus den 1920er-Jahren wohl im Archiv der Kommunistischen Internationale (KI) in Moskau zu finden wären. Kurz nach der kapitalistischen Konterrevolution, die 1991/92 die Sowjetunion zerstörte, erhielten Forscher der PRL Zugang zu den Archiven und konnten bislang unzugängliche Papiere von und über Cannon aus den Archiven der Komintern, der amerikanischen Partei, der Roten Gewerkschaftsinternationale — auch bekannt als Profintern — und der Internationalen Roten Hilfe kopieren. Palmer erhielt vom Russischen Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte (RGASPI) die Genehmigung, diese von der PRL erstellten Kopien bei der Recherche zu seinem Buch zu benutzen. Palmers Praxis, häufig auf Protokolle des Politischen Komitees der Kommunistischen Partei zu verweisen, hebt sich positiv ab von den Biografien über [KPUSA-Führer] William Z. Foster, die von Edward P. Johanningsmeier (Forging American Communism, the Life of William Z. Foster [Princeton University Press, 1994]) und James R. Barrett (William Z. Foster and the Tragedy of American Radicalism [University of Illinois Press, Chicago, 1999]) verfasst wurden. Johanningsmeier und Barrett schreiben so, als ob die Fraktionskämpfe dieser Periode nebensächlich gewesen wären, verglichen mit der Gewerkschaftsarbeit der Partei, mit der sie sich fast ausschließlich befassen.
Palmer konnte auch die Papiere von James P. Cannon einsehen, die die SWP bei der Historischen Gesellschaft des Staates Wisconsin hinterlegt hat, sowie wichtiges dokumentarisches Material über den frühen amerikanischen Kommunismus aus anderen Bibliotheken. Palmer trug eine beeindruckende Materialsammlung zusammen, die die wenig bekannten frühen Jahre von Cannon und seine Aktivitäten in der IWW dokumentiert. Wie Cannon die International Labor Defense geführt hat, einschließlich der jahrelangen Kampagne zur Verteidigung der Anarchisten Sacco und Vanzetti, die 1927 hingerichtet wurden, hat niemand besser dargestellt als Palmer. Das Bild von James P. Cannon, das Palmer zeigt, ist nicht grundlegend neu, aber viel deutlicher.
Eine Zeit der Unschuld“?
Wir stimmen jedoch nicht Palmers Schlussfolgerung zu, Cannon repräsentiere die revolutionäre Linke in ihrer Zeit der Unschuld bis 1928“, noch frei von dem weltklugen Wissen, das die Politik unserer Zeit abstumpft und den Glauben an die Möglichkeit einer grundlegenden Umwälzung unterminiert, das die allgemeine Fähigkeit der Menschen aus der Arbeiterklasse leugnet, eine bedeutende Veränderung zu bewirken, und das weite Feld des Radikalismus auf verschiedene liberale Anpassungen an die ,Kunst des Möglichen‘ einengt“. Diesen angeblichen Verlust der Unschuld führt Palmer auf die korrumpierenden und zerstörerischen Auswirkungen des Stalinismus zurück.
Korruption und Ablehnung des revolutionären Ziels gab es in der amerikanischen Arbeiterbewegung schon vor der Russischen Revolution und ihrer stalinistischen Degeneration; gerade aus Rebellion gegen die reformistischen Sozialisten und Gewerkschaftsbürokraten, die auf der Politik des Möglichen“ bestanden, wurde die kommunistische Bewegung gegründet. Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus mit seinen riesigen Superprofiten hatte zum Entstehen einer Arbeiteraristokratie geführt, aus der eine besonders korrupte Gewerkschaftsbürokratie an der Spitze der American Federation of Labor (AFL — Gewerkschaftsdachverband) hervorging. Der amerikanische Marxist Daniel De Leon charakterisierte die AFL-Spitzen als Arbeiterleutnants der Kapitalistenklasse“ und schuf damit einen populären Begriff, den Lenin später aufgriff. Cannon ekelte sich vor dem offenen Rassismus und der reformistischen Kommunalpolitik (Sewer Socialism“ [Abwassersozialismus — in Anspielung auf die sozialistischen“ Kommunalpolitiker, die sich typischerweise um Dinge wie das Abwassersystem kümmerten]) von Victor Berger und seinesgleichen in der heterogenen Sozialistischen Partei, und das trieb ihn aus deren Reihen hinaus und 1911 in die Industrial Workers of the World, auf den Weg, der ihn schließlich zum Kommunismus führen sollte.
Der Vorstellung, Cannon sei die reine Unschuld gewesen, widerspricht die Schilderung des von den Westindischen Inseln stammenden Dichters Claude McKay, wie Cannon auf dem IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1922 aufgetreten ist, wo er für die Auflösung der im Untergrund arbeitenden Kommunistischen Partei zugunsten der legalen Workers Party kämpfte. Laut McKay besaß Cannon all die Anziehungskraft, die Gewitztheit, die Durchschlagskraft, die ganze Trickkiste des typischen amerikanischen Politikers, setzte sie aber hier für radikale Zwecke ein“ (A Long Way From Home [Arno Press and the New York Times, New York, 1969]).
Cannon war ein authentischer Führer des amerikanischen Kommunismus. In ihrer Einleitung zu Early Years of American Communism stellte die PRL fest: Dass Cannon, als er sich bei den internen Fraktionskämpfen in einer Sackgasse fühlte, 1928 den Sprung zu Trotzkis programmatischem und internationalem Verständnis des Stalinismus machen konnte, lag zum großen Teil daran, dass er in der vorangegangenen Periode versucht hatte, für die Partei einen Weg auszuarbeiten, der auf dem revolutionären Kommunismus basierte.“ Erst mit Hilfe von Trotzkis wegweisender Kritik des Programmentwurfs der Komintern 1928 (später als Die Dritte Internationale nach Lenin veröffentlicht) löste sich Cannon dann von der zunehmend stalinisierten Partei, um den Kampf fortzuführen, den er in seiner frühen Jugend begonnen hatte — den Kampf, die arbeitenden Menschen Amerikas zur sozialistischen Revolution zu führen. Die Dritte Internationale nach Lenin war de facto das Gründungsdokument der Internationalen Linken Opposition. Cannons Rekrutierung zur ILO — und mit ihm kam ein beträchtlicher Teil der Fraktion, die er geführt hatte — war eine enorme Bestätigung von Trotzkis Kampf gegen die Degeneration der Russischen Revolution.
Draper kontra Historiker der Neuen Linken
Palmer erkannte scharfsinnig die Möglichkeit, mit einer Biografie über Cannon, der von Historikern nach dem Erscheinen von Drapers zwei Bänden im Wesentlichen ignoriert worden war, das Schisma aufzubrechen, das die akademischen Untersuchungen über den amerikanischen Kommunismus dominiert hatte. In dieser Debatte kämpfen antikommunistische Historiker wie Draper und seine aktiveren Epigonen wie John Earl Haynes und Harvey Klehr gegen Historiker aus der Neuen Linken wie etwa Maurice Isserman. (Klehr ist Autor einer größeren Studie über die KP in den 1930er-Jahren, The Heyday of American Communism [Die Blütezeit des Kommunismus in Amerika], Basic Books, New York, 1984. Issermans wichtiges in neulinker Lesart verfasstes Werk ist Which Side Were You On? The American Communist Party During the Second World War [Auf welcher Seite warst du? Die amerikanische Kommunistische Partei während des Zweiten Weltkriegs], Wesleyan University Press, Middletown, Connecticut, 1982.) Klehr, Haynes und ihresgleichen, die Drapers solide Forschung auf seichten antikommunistischen Sensationsjournalismus herunterkochten, stellen den amerikanischen Kommunismus als etwas dar, das kaum mehr gewesen sei als ein sowjetisches Spionagenetzwerk, von der Wiege an sklavisch im Schlepptau des außenpolitischen Diktats des Kreml. Im Gegensatz dazu argumentieren die neulinken Historiker — viele von ihnen beeinflusst durch ihre Eltern oder andere, die nach 1928 in der stalinisierten KP aktiv waren —, dass die politische Linie aus Moskau höchstens eine zweitrangige Rolle in einer hauptsächlich einheimischen Bewegung der amerikanischen Linken gespielt habe.
In seiner auf einem früheren Artikel basierenden Einleitung (Rethinking the Historiography of United States Communism“ [Die Geschichtsschreibung über den Kommunismus in den Vereinigten Staaten überdenken], American Communist History, Bd. 2, Nr. 2, Dezember 2003) motiviert Palmer seine Cannon-Biografie als Mittel, die Sterilität dieser akademischen Debatte zu überwinden, indem man die Frage der Degeneration der Russischen Revolution einbringt, d. h. die Frage des Stalinismus. Ausmaß und Tiefe, mit denen Palmer die existierenden Werke über die Geschichte des Kommunismus in Amerika untersucht — sowohl Geschichte aus zweiter Hand als auch direkte Erinnerungen — sind ebenso beeindruckend wie die bloße Masse an Dokumenten, die er ins Feld führt. Gelegenheitslesern werden die 155 Seiten an Fußnoten wohl allzuviel sein, aber Palmers detaillierte Auflistung von Quellen samt dazu gehörenden Kommentaren wird noch auf absehbare Zeit eine wichtige Quelle für Historiker sein, die sich mit dem Kommunismus in Amerika befassen.
Palmer schreibt vom Standpunkt eines Menschen, dessen Sympathien nicht irgendeiner Art von akademischem Ersatz-Marxismus“ gelten, sondern der bolschewistischen Revolution von 1917 selbst. Eine solche Sympathie war bei akademischen Historikern des Kommunismus in Amerika bisher nicht zu finden, wie Palmer selbst in einer früheren Antwort auf seine Kritiker feststellte:
In akademischen Kreisen gibt es 2003 fast niemanden, der bereit wäre, die Stellung der ursprünglichen bolschewistischen Tradition zu behaupten. Die Forschung über den US-Kommunismus macht da keine Ausnahme. Man drückt sich davor, die ungeheuren und in überwältigendem Maße positiven Leistungen der Russischen Revolution von 1917 anzuerkennen... <K>über die gewaltigen Ressourcen und die programmatische Führung, die dieser Bolschewismus bereitwillig der einzigen Kraft zur Verfügung stellte, die die Errungenschaften des Oktober aufrechterhalten konnte — der Weltrevolution und ihren Armeen des proletarischen Internationalismus —, wird kleinliche Haarspalterei betrieben, als ob die Beweggründe der frühen Kommunistischen Internationale bloß ,Vorherrschaft‘ und ,ausländische Kontrolle‘ gewesen wären.“
—Palmer, Communist History: Seeing It Whole. A Reply to Critics“ [Kommunistische Geschichte: Das Ganze sehen. Eine Antwort auf Kritiker], American Communist History, Bd. 2, Nr. 2, Dezember 2003
Leider ist es aber so, dass Palmer Cannon einen Platz als Führer einer sogenannten revolutionären Linken“ zuweist und damit den Kommunismus als Teil eines kontinuierlichen Spektrums von linken“ Organisationen darstellt. Selbst wenn man das Wort revolutionär“ voranstellt, so hat doch links“ nur eine amorphe, relative politische Bedeutung (links gegen rechts) ohne Klasseninhalt. Gegenwärtig und auch historisch versteht man unter Linken“ nicht nur politische Formationen der Arbeiterklasse, sondern auch bürgerliche und kleinbürgerliche Parteien. Daher umfasst dieser Begriff auch reformistische Klassenkollaboration — die Arbeiterklasse gilt nur als ein Bestandteil aller fortschrittlichen“ Kräfte.
Die Gründung der Sozialistischen Partei 1901 war Ausdruck der inzwischen stärker verbreiteten Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse ihre eigene politische Partei braucht, getrennt von den bürgerlichen Parteien; die Partei wurde gegründet durch eine Fusion der Sozialdemokratischen Partei — zu der auch eine von Eugene Debs geführte Abspaltung von den bürgerlichen Populisten gehörte — mit Morris Hillquits Abspaltung von der Socialist Labor Party Daniel De Leons. Die Gründung der amerikanischen kommunistischen Bewegung war dann ein riesiger Schritt vorwärts gegenüber der SP, weil damit anerkannt wurde, dass es einen klaren politischen Bruch geben musste nicht nur mit den bürgerlichen Parteien, sondern auch mit reformistischen Strömungen innerhalb der Arbeiterklasse. Cannon schrieb:
Die Gründung der Kommunistischen Partei 1919 bedeutete nicht einfach nur einen Bruch mit der alten Sozialistischen Partei, sondern, was noch wichtiger war, einen Bruch mit dem gesamten Konzept einer gemeinsamen Partei von Revolutionären und Opportunisten. Das signalisierte einen Neubeginn für den amerikanischen Sozialismus, historisch von viel größerer Bedeutung als alles, was sich vorher ereignet hatte, einschließlich der Organisierung der Sozialistischen Partei 1901. Es kann keine Rückkehr zum überlebten und diskreditierten Experiment der Vergangenheit geben.“
—Cannon, Eugene V. Debs and the Socialist Movement of His Time“, abgedruckt in The First Ten Years of American Communism
Bei seiner Verwendung des Begriffs der revolutionären Linken“ macht Palmer also keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Kommunismus und den radikal-populistischen, sozialdemokratischen, anarchistischen und syndikalistischen Bewegungen, die sich vor der bolschewistischen Revolution international in der Linken oft vermengten. Palmers Auflösung des Kommunismus — des Programms der revolutionären internationalen Arbeiterklasse zum Sturz des Kapitalismus — in die amorphe Linke“ stellt einen Hofknicks vor dem um sich greifenden Rückschritt im politischen Bewusstsein dar, der auf die Zerstörung des ersten Arbeiterstaates der Welt 1991/92 folgte. Dieser Rückschritt ist nicht nur in akademischen Kreisen offensichtlich, sondern besonders auch in der vorgeblich marxistischen Bewegung selbst. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür liefert Alan Wald, der in seiner Besprechung von Palmers Buch (The Story of James P. Cannon, A Revolutionary Life“, Against the Current, Juli/ August 2007) die Brauchbarkeit des aus der Russischen Revolution stammenden Programms im 21. Jahrhundert anzweifelt.
Die Bedeutung der Russischen Revolution
Die bolschewistische Revolution, so Cannon in seiner Rede zur russischen Frage“ 1939, holte die Frage der Arbeiterrevolution ein für allemal aus dem Reich der Abstraktion und verwirklichte sie in Fleisch und Blut“ (Cannon, The Struggle for a Proletarian Party [Der Kampf für eine proletarische Partei], 1943). Sie lieferte den Beweis für das marxistische Verständnis, bekräftigt in Lenins Staat und Revolution (1917), dass der bürgerliche Staat nicht reformiert werden kann, auf dass er den Interessen der Arbeiter diene, sondern zerschlagen und durch einen Arbeiterstaat ersetzt werden muss, durch die Diktatur des Proletariats. Sie bewies, wie Cannon oben klarmacht, dass das Proletariat, um die Staatsmacht erobern zu können, eine disziplinierte Avantgardepartei braucht auf der Grundlage eines klaren revolutionären Programms. Cannon und die anderen Mitbegründer der kommunistischen Bewegung in Amerika, von denen viele eine lange Geschichte in der sozialistischen oder syndikalistischen Bewegung Amerikas hatten, vollzogen einen politischen Sprung — zumindest war das ihre Absicht —, als sie beschlossen, dass die Erfahrung der Oktoberrevolution entscheidend war. Das beinhaltete nicht nur die Erkenntnis, dass die Revolution in Russland gesiegt hatte, sondern auch das Verständnis, dass proletarische Revolutionäre die Lehren dieses Sieges auf amerikanischem Terrain anwenden mussten.
Das war leichter gesagt als getan, und die frühe kommunistische Bewegung Amerikas war von enormen Missverständnissen geprägt — dem Beharren auf einer Untergrund“partei, der Befürwortung von revolutionären“ Gewerkschaften, die den reformistisch geführten Gewerkschaften entgegengesetzt wurden, und der Weigerung, Kandidaten für Sitze im bürgerlichen Parlament aufzustellen. Diese falschen Konzeptionen gab es nicht nur in der amerikanischen Partei. Mit Blick auf ultralinke Tendenzen in Holland, Britannien, Deutschland und anderen Ländern unterstrich Lenin in seinem grundlegenden Werk, das er für den II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1920 schrieb, die einzigartigen Erfahrungen, die im zaristischen Russland zur Herauskristallisierung einer bolschewistischen Avantgardepartei geführt hatten:
Sollte man nicht lieber die der Sowjetmacht und den Bolschewiki gezollten Beifallskundgebungen häufiger mit einer sehr ernsten Analyse der Ursachen verknüpfen, die bewirkten, dass die Bolschewiki die für das revolutionäre Proletariat notwendige Disziplin schaffen konnten? ...
Im Laufe ungefähr eines halben Jahrhunderts, etwa von den vierziger und bis zu den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, suchte das fortschrittliche Denken in Russland, unter dem Joch des unerhört barbarischen und reaktionären Zarismus, begierig nach der richtigen revolutionären Theorie und verfolgte mit erstaunlichem Eifer und Bedacht jedes ,letzte Wort‘ Europas und Amerikas auf diesem Gebiet. Den Marxismus als die einzig richtige revolutionäre Theorie hat sich Russland wahrhaft in Leiden errungen, durch ein halbes Jahrhundert unerhörter Qualen und Opfer, beispiellosen revolutionären Heldentums, unglaublicher Energie und hingebungsvollen Suchens, Lernens, praktischen Erprobens, der Enttäuschungen, des Überprüfens, des Vergleichens mit den Erfahrungen Europas. Dank dem vom Zarismus aufgezwungenen Emigrantenleben verfügte das revolutionäre Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über eine solche Fülle von internationalen Verbindungen, über eine so vortreffliche Kenntnis aller Formen und Theorien der revolutionären Bewegung der Welt wie kein anderes Land auf dem Erdball.
Anderseits hatte der Bolschewismus, der auf dieser granitnen theoretischen Grundlage entstanden war, eine fünfzehnjährige (19031917) praktische Geschichte hinter sich, die an Reichtum der Erfahrung nicht ihresgleichen kennt. Denn kein anderes Land hatte in diesen 15 Jahren auch nur annähernd soviel durchgemacht an revolutionärer Erfahrung, an rapidem und mannigfaltigem Wechsel der verschiedenen Formen der Bewegung: der legalen und illegalen, der friedlichen und stürmischen, der unterirdischen und offenen, der Zirkelarbeit und der Massenarbeit, der parlamentarischen und der terroristischen Form der Bewegung. In keinem anderen Lande war in einem so kurzen Zeitraum ein solcher Reichtum an Formen, Schattierungen und Methoden des Kampfes aller Klassen der modernen Gesellschaft konzentriert gewesen, und zwar eines Kampfes, der infolge der Rückständigkeit des Landes und des schweren Jochs des Zarismus besonders schnell heranreifte und sich besonders begierig und erfolgreich das entsprechende ,letzte Wort‘ der amerikanischen und europäischen politischen Erfahrungen zu eigen machte.“
—W.I. Lenin, Der linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920)
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchliefen zwei Generationen von russischen Intellektuellen einen Prozess intensiver politischer Gärung auf der Suche nach Wegen, das lähmende zaristische Joch abzuwerfen. Die Fähigsten von ihnen wandten sich dem revolutionären Marxismus zu. Diese Intellektuellen wiederum führten das entstehende Proletariat des Zarenreichs in die gleiche Richtung. Die Spaltung in der russischen Sozialdemokratie 1903 zwischen Lenins harten“ Bolschewiki und den weichen“ Menschewiki, ursprünglich über die begrenzte Frage der Definierung der Parteimitgliedschaft, nahm die spätere endgültige Spaltung vorweg, die Lenin 1912 zwischen dem Bolschewismus und dem menschewistischen Arbeiterreformismus durchführte. Die entscheidende Bedeutung eines politischen und organisatorischen Bruchs vom Reformismus wurde von Lenin erst 1914 verallgemeinert, als er — nach dem schändlichen Zusammenbruch der II. Internationale, die angesichts des Ersten Weltkriegs zum Sozialchauvinismus überging — zu einer III. Internationale aufrief. Die neue Internationale wurde Anfang 1919 gegründet, 18 Monate nach dem Sieg der Bolschewiki in Russland.
Die Notwendigkeit eines Bruchs mit dem Reformismus war nicht die einzige Lehre, die die Bolschewiki vermitteln mussten. Die revolutionären russischen Sozialdemokraten (die Bolschewiki nannten sich erst 1918 Kommunisten“) mussten einen Weg finden, wie sie die Bauernschaft — die große Mehrheit des Zarenreichs — hinter dem Proletariat mobilisieren konnten. Das war der Schlüssel zum Sieg in Russland. Sie mussten auch an die nationale Frage auf proletarisch revolutionäre Weise herangehen — nur etwa 50 Prozent der Bevölkerung des Zarenreiches waren ethnisch Russen. Wenn sich die Bolschewiki nicht erfolgreich mit diesen Fragen auseinandergesetzt hätten, hätte die Russische Revolution Schiffbruch erlitten. Die Kommunistische Partei Polens zum Beispiel war in der Nachkriegszeit dadurch sterilisiert, dass sie keine revolutionäre Herangehensweise an die Bauernschaft entwickelt hatte, und sie bezahlte teuer für ihre frühere Unfähigkeit, mit Polens nationaler Frage umzugehen.
Lenin spricht vom schnellen Wechsel der politischen Umstände in Russland, der die Bolschewiki dazu zwang, eine ganze Reihe von Taktiken zu entwickeln. Materielle Rückständigkeit und scharfe Repression führten auch in anderen Ländern Osteuropas dazu, dass marxistisch orientierten Arbeitern der Luxus von parlamentarischem Reformismus nicht geboten wurde. Viele der sozialdemokratischen Parteien auf dem Balkan hatten ebenfalls Verdienste erworben (z.B. die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Bulgariens [Tesnjaki“ — Engherzige] von Dimitar Blagojeff und die serbischen Sozialdemokraten, neben den Bolschewiki die einzigen Parteien der kriegführenden Länder, die seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs gegen Kriegskredite stimmten). Anders war es in der englischsprachigen Welt, wo die relative bürgerlich-demokratische Vorkriegsstabilität es Revolutionären erheblich schwerer machte, über die Spaltungen zwischen radikalem Populismus, Anarcho-Syndikalismus und parlamentarischem Sozialismus hinauszugehen, wie es die Bolschewiki taten.
Palmer versteht durchaus, dass die Bolschewiki ihre überwältigende Autorität in der frühen Kommunistischen Internationale der Tatsache verdankten, dass man viel von ihnen lernen konnte, aber der Substanz dieser Lehren schenkt er wenig Beachtung. Er befasst sich zum Beispiel überhaupt nicht mit dem sozialchauvinistischen Zusammenbruch der II. Internationale bei Kriegsbeginn. Gerade hier trägt Palmers Auffassung von einer revolutionären Linken“ nicht so sehr dazu bei, die politische Entwicklung der späteren Begründer des Kommunismus in Amerika zu erhellen, sondern vernebelt sie eher; das dient ihm auch zur Verstärkung seiner Behauptung, die 1920er-Jahre seien eine Zeit der revolutionären Unschuld“ gewesen.
Die Korruption stammte nicht nur aus Moskau
Palmer sympathisiert nicht einfach nur mit der Oktoberrevolution, sondern auch mit Trotzkis Kampf gegen die stalinistische Degenerierung dieser Revolution. Diese Degeneration hatte ihre Ursache in der völligen Verwüstung des ohnehin schon ökonomisch rückständigen Russland durch den Ersten Weltkrieg und den blutigen Bürgerkrieg, der ein paar Monate nach der Machteroberung der Bolschewiki ausbrach. Das Proletariat, das die Revolution gemacht hatte, wurde dezimiert, und seine besten Kämpfer wurden in der Roten Armee und in der Partei- und Staatsverwaltung gebraucht. Der große materielle Mangel an allem Notwendigen erzeugte einen starken, objektiven Druck in Richtung Bürokratismus — sowohl bei der Partei als auch beim Staat. Die Isolation des jungen Arbeiterstaats verschlimmerte noch diesen Druck, der nach der Niederlage einer revolutionären Möglichkeit in Deutschland 1923 besonders spürbar wurde. Inmitten dieser tiefgehenden Demoralisierung, von der das sowjetische Proletariat erfasst wurde, entriss eine wachsende bürokratische Kaste der Arbeiterklasse die politische Macht. Demonstrativ manipulierte sie die Delegiertenwahlen zur XIII. Konferenz der sowjetischen Partei im Januar 1924 und erstickte so die Stimme der von Trotzki geführten bolschewistischen Opposition. Ein Bericht über den Verlauf dieses Prozesses hätte zwar den Rahmen seines Buches gesprengt, doch Palmer weist richtigerweise darauf hin, dass die Annahme des Dogmas vom Sozialismus in einem Land“, erstmals Ende 1924 von Stalin verkündet, entscheidend dafür war, dass die KI ihr revolutionäres Ziel aufgab.
Die Degeneration der Russischen Revolution war ein Prozess, der 1924 einsetzte, aber nicht damit endete. Palmer unterscheidet richtigerweise zwischen dem revolutionären Programm und den revolutionären Prinzipien, die charakteristisch waren für die Entscheidungen der Kommunistischen Internationale 191922, und den Zickzacks der degenerierenden KI 192428, erst unter Sinowjew und dann unter Bucharin. So schrieb Palmer in einem früheren Essay in American Communist History: Ihre hohe Autorität hatte sich die Komintern verdient, aber vor 1923 wurde sie nicht als ,unantastbare Gottheit‘ angesehen“ (Communist History: Seeing it Whole. A Reply to Critics“).
Palmer versteht auch, dass das sterile, sektiererische Abenteurertum der Dritten Periode“ der Komintern 192834 diktiert wurde durch den Rausschmiss Bucharins 1929 und Stalins einheimische Wende zur Zwangskollektivierung der Bauernschaft — angesichts einer unmittelbaren konterrevolutionären Bedrohung durch die Kulaken (die reicheren Bauern), die sich durch Stalins/Bucharins versöhnlerische Politik ermutigt fühlten. Während der Dritten Periode gaben alle Parteien (nicht nur die amerikanische) die reformistisch geführten Gewerkschaften auf, um revolutionäre“ Gewerkschaften aufzubauen. Nützliches dokumentarisches Material über die Degenerierung der KI kann man in zwei Bänden finden, die von Helmut Gruber, einem (inzwischen emeritierten) Geschichtsprofessor an der Polytechnischen Universität in Brooklyn, New York, herausgegeben wurden: International Communism in the Era of Lenin (Cornell University Press, Ithaca, New York, 1967) und Soviet Russia Masters the Comintern (Anchor Books, Garden City, New York, 1974).
Auf dem VII. Weltkongress der KI wurde 1935 die Volksfrontpolitik angenommen und damit den Kommunistischen Parteien der Auftrag erteilt, sich auf die Suche nach klassenkollaborationistischen Bündnissen mit angeblich demokratischen“ und antifaschistischen“ Flügeln der Bourgeoisie zu begeben. Das signalisierte den endgültigen Abstieg der Kommunistischen Internationale in den Reformismus, auch wenn es während des Hitler-Stalin-Pakts 193941 noch eine kurze Periode linker Phrasendrescherei gab. Schändlicherweise und ganz formal begrub Stalin 1943 die KI, weil sie ein Hindernis dafür war, sein Bündnis mit den demokratischen“ Imperialisten während des Zweiten Weltkriegs fortzusetzen. Die meisten Kommunistischen Parteien blieben bis in die 70er-Jahre Moskau treu ergeben, was sie in den Augen der imperialistischen Bourgeoisien nicht gerade zu beliebten Regierungspartnern machte. Gleichwohl spielte die Beteiligung der Kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens an Volksfrontregierungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung proletarischer Revolutionen in diesen Ländern.
Diesen Prozess der programmatischen Degeneration und seine Verknüpfung mit den Kämpfen innerhalb der russischen Partei zu verstehen, ist der Anfang aller Weisheit bei jeder ernsthaften Untersuchung der Geschichte des Kommunismus. Wenn Palmers Bericht über diesen Prozess in den 20er-Jahren einen Mangel hat, dann seine Überbetonung des Prozesses der Bolschewisierung und, wie er das nennt, der Gelüste Sinowjews nach bürokratischem Zentralismus“, anstatt das politische Wegdriften von einem revolutionären Programm hervorzuheben.
Palmer beharrt darauf, es seien die Bürokratisierung und siegreiche Stalinisierung der Komintern“ gewesen, die 1928 endgültig Schluss machten mit der Unschuld der revolutionären Linken“. Er ignoriert den sehr realen objektiven Druck in den Vereinigten Staaten, der ebenfalls die Partei von einem revolutionären Ziel abdrängte. Tatsächlich ist keine Komintern-Partei einfach und allein unter dem Einfluss von Moskau degeneriert. Es gab eine gemeinsame Degeneration im weiteren Verlauf der 20er-Jahre. Auch wenn die Umstände in der Sowjetunion ganz anders waren, wirkte doch der gleiche objektive Druck auf die Kader der westlichen KPen ein: das Zurückfluten der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg und die Stabilisierung der kapitalistischen Welt nach der Niederlage der Deutschen Revolution 1923. Was der Degeneration sowohl der Russischen Revolution als auch der nationalen Komintern-Parteien zugrunde lag, war der relative Mangel an revolutionären Möglichkeiten, und Cannon sah das:
Die Partei wurde von zwei Seiten her beeinflusst — national und international — und dieses Mal in beiden Fällen negativ. Ihren Niedergang und ihre Degeneration in dieser Periode kann man, ebenso wie ihren früheren Aufstieg, nicht in erster Linie durch nationale oder internationale Faktoren allein erklären, sondern nur durch beide zusammen. Dieser kombinierte Einfluss, der zu dieser Zeit in Richtung Konservatismus wirkte, lastete fürchterlich auf der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten, die immer noch in den Kinderschuhen steckte.
Es war schwierig, in jenen Tagen in Amerika als Revolutionär zu arbeiten, Agitation zu betreiben, die keine Reaktion hervorrief, und Losungen zu wiederholen, die kein Echo fanden. Die Parteiführer wurden nicht ordinär korrumpiert durch persönliche Vorteile aus allgemeinem Wohlstand; aber sie wurden indirekt beeinflusst durch das Meer von Gleichgültigkeit um sie herum...
Die Partei wurde empfänglich für die Vorstellungen des Stalinismus, die vor Konservatismus nur so trieften, weil die Parteikader selber gegenüber ihrer eigenen konservativen Umgebung unbewusst nachgaben.“
—Cannon, The First Ten Years of American Communism
Cannons prägende Jahre
Cannon schrieb wenig über seine Jugend und sein Heranwachsen in Rosedale, Kansas (heute Teil von Kansas City), aber Palmer grub alles aus, was er über Cannons Eltern und seine Familie, irische Immigranten aus der Arbeiterklasse, auffinden konnte. Seine Mutter Ann, die starb, als Cannon 14 Jahre alt war, war die zweite Frau seines Vaters. Es gelang Palmer, Jim Cannons Beziehungen zu seinen fünf Geschwistern und Halbgeschwistern zu entwirren, die zuvor ziemlich im Dunkeln lagen. Cannons Vater John hatte nur ab und zu einen Job, aber Jim begleitete ihn als Junge manchmal zur Arbeit im Baugewerbe. Cannons rechter Daumen wurde bei einem Unfall auf einer Arbeitsstelle seines Vaters zerquetscht, der oberste Teil musste amputiert werden. Cannon erwähnte diese kleine Verunstaltung nur selten.
Cannons Vater verließ dann die Arbeiterklasse und eröffnete ein Versicherungsbüro und ein Immobiliengeschäft. Palmer besteht darauf, dass Cannon später die proletarische Laufbahn seines Vaters ausgeschmückt habe. Wie dem auch sei, Cannon wurde durch seinen Vater zur sozialistischen Politik gewonnen, und er wuchs heran, wie es typisch war für das irische immigrierte Proletariat — Jim verließ die Schule mit 13 Jahren, arbeitete zunächst in der Fleischverarbeitungsindustrie, dann bei der Eisenbahn und später in Druckereien. Seine Freizeit verbrachte er mit Billardspiel und in Bars zusammen mit anderen jungen irischen Arbeitern. Um Cannons frühe Jugend und soziale Verhaltensweisen zu beleuchten, benutzt Palmer unveröffentlichte halb-autobiografische Erzählungen, die Cannon in den 50er-Jahren geschrieben hat. Da es so gut wie keine anderen Quellen gibt, hat das wohl etwas für sich. Aber man kann sich auch vorstellen, dass es Cannon, der ein äußerst privater Mensch war, bei einigen von Palmers Mutmaßungen schaudern würde.
Ungewöhnlich an Cannons Jugend war die Tatsache, dass er sich mit 17 Jahren, als er bereits selbst seinen Lebensunterhalt bestritt und allein lebte, entschied, wieder die High School zu besuchen. Cannon sympathisierte schon seit 1906/07 mit dem Sozialismus, als er sich an der Verteidigungskampagne für William Big Bill“ Haywood und Charles Moyer, Führer der Bergarbeitergewerkschaft Western Federation of Miners, beteiligt hatte, die zu Unrecht wegen Mordes angeklagt waren. Doch erst 1908 wurde Cannon Mitglied der Sozialistischen Partei, kurz nachdem er sich an der High School eingeschrieben hatte. Für Cannon war es schwierig, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und gleichzeitig die Schule zu besuchen; er blieb nur drei Jahre und machte keinen Abschluss. Palmer verschaffte sich die Jahrbücher der Rosedale High School aus den entsprechenden Jahren, erkundete Details über Cannons Werdegang und verschaffte sich ein Foto von 1910, auf dem der junge Mann als Mitglied des Debattierclubs der Rosedale High School zu sehen ist.
An der High School studierte Cannon gründlich die Redekunst und entwickelte sich zu einem machtvollen öffentlichen Redner. Nachdem er die Schule verlassen hatte, wurde er 1911 Mitglied der Industrial Workers of the World; sein Rednertalent entwickelte er weiter als Straßenagitator in Kansas City und danach als umherziehender Wobbly (unter diesem Namen waren IWW-Mitglieder bekannt). In der Kommunistischen Partei war Cannon später als Redner sehr gefragt. Er konnte komplizierte politische Konzepte in leicht verständlicher Sprache erklären, wie das Material in Notebook of an Agitator ausführlich zeigt. Als kommunistischer Propagandist war er herausragend.
Die Mentorin des Debattierclubs war eine junge Lehrerin, Lista Makimson. Zwischen ihr und Cannon entwickelte sich noch während seiner Schuljahre eine Liebesbeziehung; sie heirateten 1913. Palmer macht kurzen Prozess mit dem Mythos, Lista sei sehr viel älter gewesen als Cannon — nur sieben Jahre trennten sie. Cannons Beziehung zu einer Frau, die älter war als er selbst, und ebenso seine Mitgliedschaft bei der IWW, wo Agitation für nonkonformistische Vorstellungen oft einherging mit Arbeiterradikalismus, steht im Widerspruch zu Palmers Behauptung, dass Cannon eine seltsame Fusion von traditionalistischen, viktorianischen Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen und Sexualität mit bohemehafter, avantgardistischer Abneigung gegen materielle Anschaffungen und die Verlockungen des Geldes zu verkörpern schien“.
Gewiss verschmähte Cannon materielle Anschaffungen. Er achtete auch sehr auf seine Privatsphäre, besonders in sexuellen Fragen, wie damals viele in seinem Alter. Aber er verkehrte in Boheme-Kreisen, und Palmer selbst berichtet darüber, wie begeistert sich Cannon an eine Rede der Anarchistin Emma Goldman über freie Liebe“ erinnerte. Jim und Lista heirateten nur, weil es so aussah, als ob er wegen seiner Gewerkschaftsaktivitäten für sechs Monate ins Gefängnis käme; später hatten sie zwei Kinder. Cannon verließ Lista 1923 wegen Rose Karsner, ebenfalls Kommunistin, die seine lebenslange Gefährtin wurde. Er und Rose heirateten erst gegen Ende ihres Lebens, als sie dies für notwendig hielten, damit sie die vollen Sozialleistungen bekamen. Das sind wohl kaum Beweise für viktorianische Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen“.
Palmers Klage, Cannon habe konventionelle Monogamie“ praktiziert und sich nie wirklich für die potenziell umwälzende geschlechtsorientierte Politik eines militant feministischen Herangehens an den persönlichen Bereich engagiert“, sagt mehr über den Dünkel des postmodernen akademischen Milieus aus als über Cannon. Ted Morgans A Covert Life: Jay Lovestone, Communist, Anti-Communist, and Spymaster [Ein verstecktes Leben: Jay Lovestone, Kommunist, Antikommunist und Agentenführer] (Random House, New York, 1999) ist eher eine ausgedehnte Klatschkolumne als ein ernsthafter Versuch, das Leben dieses prinzipienlosen Abenteurers zu untersuchen, der sich in seiner Jugend der kommunistischen Bewegung anschloss, in seinem späteren Leben aber bei der CIA anheuerte. Die von Morgan ausgegrabenen privaten Affären Lovestones zeigen aber, dass die Ablehnung konventioneller Monogamie“ wohl kaum eine Eintrittskarte zur umwälzenden geschlechtsorientierten Politik“ ist, was auch immer das sein mag.
Für den Siebten Nationalen Kongress der IWW 1912 wurde Cannon zum Delegierten von Kansas City gewählt. Auf diesem Kongress wurde der legendäre Wobbly-Führer Vincent St. John auf ihn aufmerksam, der ihn später als fahrenden Organisator auf die Reise schickte. Palmer schreibt: Mehr als jede andere Einzelperson war St. John dafür verantwortlich, dass Cannon den Weg eines Berufsrevolutionärs einschlug.“ Palmer hat hier viel Neues entdeckt, und seine Darstellung von Cannons Leben als Wobbly zeichnet sich besonders aus. Cannon ging nach Newcastle, Pennsylvania, wo er Mitarbeiter an der IWW-Zeitung Solidarity wurde. Von dort aus schickte St. John Anfang 1913 Cannon nach Akron, wo bei den Arbeitern der Gummiindustrie, Einheimischen und Immigranten, ein Streik für gewerkschaftliche Organisierung ausgebrochen war. Laut Palmer wurde Cannon zu einem der zentralen IWW-Leute, die für die Presse der Rebellen schrieben; er forderte zu Spenden auf und trug den Kampf der Arbeiter von Akron über die Grenzen von Ohio hinaus“. Nach der Niederlage des Streiks in Akron war Cannon aktiv bei einem Streik in der verarbeitenden Industrie in Peoria (wo er und Lista heirateten). Palmer berichtet, dass Ende des Sommers 1913 Cannon einer von nur 16 Wobbly-Agitatoren war, die der Hauptvorstand der IWW als ,freiwillige‘ herumreisende Organisatoren bevollmächtigt hatte“. Nach Peoria organisierte Cannon einen Streik von immigrierten Eisenerz-Hafenarbeitern in Duluth. Hier hatte Cannon so ziemlich die Hauptverantwortung für die Aktivitäten der IWW, in Zusammenarbeit mit dem berühmten Frank Little.
Palmer schreibt, dass die Heirat mit Cannon es Lista unmöglich machte, weiter an der Rosedale High School zu arbeiten. Cannon war daher im Herbst 1913 gezwungen, nach Kansas City zurückzukehren. Er arbeitete bei einer örtlichen syndikalistischen Zeitung, The Toiler, und half dabei, einen wichtigen Kampf für Redefreiheit zu führen, auch wenn er sich wegen seiner häuslichen Verantwortung von den vordersten Linien fernhielt, um eine Verhaftung zu vermeiden. Er wurde, wie Palmer es ausdrückt, ein Teil ,der Heimatgarde‘, wie es einige Wobblies recht herablassend nannten“. Palmer sagt, dass Cannon zunehmend enttäuscht war, als sich die Wobblies stärker darauf konzentrierten, Landarbeiter zu organisieren statt das Industrieproletariat; noch mehr enttäuscht war er darüber, dass die IWW keine koordinierte Verteidigungskampagne führte, um gegen die staatlichen Überfälle und Verhaftungen vorzugehen, die über die Wobblies hereinbrachen, nachdem die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren. Palmers Fazit: Diese Jahre als enttäuschter Wobbly in der IWW-Heimatgarde zählten zu den schlimmsten in Cannons Leben, wohingegen sein Jahr als Rebell auf der Straße, mitten im harten und rauhen Klassenkampf seiner Zeit, eine Periode war, an die er sich liebend gern erinnerte und auf deren Errungenschaften er äußerst stolz war“.
Die Anfänge des Kommunismus in Amerika
Es war die Oktoberrevolution, die Cannon zurück auf den Weg des Berufsrevolutionärs brachte. Nachdem er gesehen hatte, wie die antipolitische“ IWW durch die Aktionen des bürgerlichen Staates zerschmettert wurde, während eine der politischen Aktivität verpflichtete, disziplinierte marxistische Partei in Russland eine proletarische Revolution zum Erfolg führte, schloss er sich erneut der Sozialistischen Partei an, um sich mit dem probolschewistischen linken Flügel zusammenzutun, der sich gerade entwickelte. Zu Cannons Rolle bei der Gründung der kommunistischen Bewegung in Amerika, die sich zunächst in zwei Parteien teilte — die Communist Party of America und die Communist Labor Party, beide von ultralinker Politik dominiert —, steuert Palmer nur wenige neue Details bei.
Als einer der wenigen einheimischen amerikanischen Radikalen, die sich der größtenteils aus Immigranten bestehenden kommunistischen Bewegung anschlossen, und als einer der ganz wenigen mit wirklicher Erfahrung in Arbeiterkämpfen gehörte Cannon zu den ersten, die sich die Lehren von Lenins Der linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus zu eigen machten. Von Anfang an war Cannon gegen das Beharren der amerikanischen Kommunisten auf dual unionism“, d. h. die separate Gründung von revolutionären Gewerkschaften. Er wurde ebenfalls schnell bekannt im Kampf gegen diejenigen, die dachten, die Partei solle prinzipiell nur im Untergrund arbeiten. Er wurde als leitender Redakteur des Toiler in Cleveland eingesetzt, der später zum Daily Worker wurde. Bei der Gründung der öffentlich arbeitenden Workers Party im Dezember 1921 wurde Cannon ihr Vorsitzender. (1925 änderte die Partei ihren Namen in Workers [Communist] Party und 1929 in Communist Party.)
Ironischerweise führte die Kampagne der Komintern gegen das Ultralinkstum, das die jungen Kommunistischen Parteien angesteckt hatte, zu der Rücknahme einer richtigen Position, die Teile der amerikanischen kommunistischen Bewegung angenommen hatten: keine Kandidaten für Exekutiv-ämter aufzustellen. Das Programm, das von der United Communist Party (UCP) bei ihrer Gründung im Mai 1920 angenommen worden war, bekräftigte eine Position, die im Manifest der Communist Party of America vom September 1919 stand:
Die United Communist Party beteiligt sich an Wahlkämpfen und parlamentarischen Aktionen nur zum Zweck revolutionärer Propaganda. Nominierungen für öffentliche Ämter und die Teilnahme an Wahlen beschränken sich auf legislative Körperschaften wie den nationalen Kongress, Legislativen der Bundesstaaten und Stadtparlamente.“
—UCP-Programm, Neuabdruck in Revolutionary Radicalism, Bericht der Lusk-Kommission an den Senat des Staates New York, vorgelegt am 24. April 1920
Diese Position zeigte eine gesunde und korrekte Abscheu vor der erzreformistischen Praxis der Sozialistischen Partei, in deren Reihen im Jahr 1912 56 Bürgermeister und 22 höhere Polizeibeamte zu finden waren. Das UCP-Programm erklärte jedoch fälschlicherweise, kommunistische Vertreter in legislativen Gremien werden keine Reformmaßnahmen vorschlagen oder unterstützen“.
Wie wir an anderer Stelle in dieser Ausgabe ausführen (siehe Nieder mit Exekutivämtern!“, Seite 22), ging beim Kampf gegen die Ultralinken auf dem II. Weltkongress der Komintern die Unterscheidung zwischen exekutiven und legislativen Ämtern verloren. Nach den widersprüchlichen Leitsätzen über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus“ vom II. Weltkongress wurde die grundsätzliche Ablehnung einer Kandidatur für Exekutivämter — einer offenbar besonders von C.E. Ruthenberg vorgebrachten Position — in der amerikanischen Partei diskutiert. Im folgenden Jahr, im Vorfeld der Gründung der Workers Party im Dezember 1921, stellten die Kommunisten in New York City Ben Gitlow als Bürgermeisterkandidaten auf. Cannon spielte eine große Rolle bei der Befürwortung und Organisierung dieser Kampagne. Ein Dokument der Komintern, das für den Kongress der Untergrundpartei im August 1922 geschrieben wurde, erklärt: Die Kommunisten müssen als Revolutionäre an allen allgemeinen Wahlen teilnehmen, an städtischen, bundesstaatlichen und Kongresswahlen wie auch an Präsidentschaftswahlen“ (Next Tasks of the Communist Party in America“ [Die nächsten Aufgaben der Kommunistischen Partei in Amerika], abgedruckt in Reds in America [Beckwith Press, New York City, 1924]).
Fünf Monate nach Gründung der Workers Party ging Cannon nach Moskau als amerikanischer Vertreter beim Exekutivkomitee der Komintern (EKKI). Für Cannon war sein siebenmonatiger Aufenthalt in Sowjetrussland eine entscheidende Erfahrung, um sein Verständnis vom Bolschewismus und von der Bedeutung der Kommunistischen Internationale zu vertiefen. Dadurch besaß er auch eine Messlatte, an der er später die Degeneration der Komintern ablesen konnte. 1955 erinnerte sich Cannon in einem Brief an Draper, den Palmer zitiert:
Nach meiner ersten Reise 1922 war ich nie wieder zu irgendwas nutze bei einer Mission nach Moskau. Damals lag alles offen und klar auf dem Tisch. Eine klare politische Frage wurde in offener Debatte von beiden Seiten dargelegt und dann ganz einfach entschieden, auf einer politischen Basis, ohne Diskriminierung oder Bevorzugung einer der beteiligten Fraktionen und ohne versteckte Gründe, d. h. ohne dass man von internen russischen Fragen ausgehend die Entscheidung motiviert und die Haltung gegenüber den Führern der sich befehdenden Fraktionen festgelegt hätte. Das war die Komintern von Lenin-Trotzki, und dort kam ich gut zurecht. Aber nach 1924 war alles anders.“
—Cannon, The First Ten Years of American Communism
Palmers Bericht über Cannons Aktivitäten in Moskau enthält neue und manchmal faszinierende Einzelheiten. Cannons Rede vom November 1922 an die Amerikanische Kommission (siehe: Wir wollen, dass die Komintern uns hilft“, Seite 51) war nur der Höhepunkt eines langen und aufreibenden Kampfes gegen diejenigen, die darauf bestanden, parallel zur legalen Workers Party eine illegale Kommunistische Partei aufrechtzuerhalten. Der Sieg der sogenannten Liquidatoren“ in Moskau legte die Basis dafür, dass die amerikanischen Kommunisten endlich in den amerikanischen Klassenkampf wirklich eingreifen konnten.
Die Komintern und die Schwarzenfrage
Die amerikanische kommunistische Bewegung war — wie in den meisten anderen Industrieländern — auf dem Höhepunkt der Welle des Radikalismus in der Arbeiterklasse entstanden, die am Ende des Ersten Weltkriegs einen Großteil des Erdballs überrollte. Zwischen 1916 und 1920 verdoppelte sich die Mitgliederzahl der Gewerkschaften in den USA, und nach dem Ende des Kriegs gab es eine massive Streikwelle, an der sich zum ersten Mal auch eine große Anzahl ungelernter immigrierter Arbeiter beteiligte. Während der Kriegsjahre war die Immigration um 80 Prozent gesunken und es hatte eine Massenzuwanderung von Schwarzen aus dem amerikanischen Süden in den Norden gegeben, womit der Übergang der schwarzen Bevölkerung von ländlichen Sharecroppers [Kleinpächter, die als Pacht einen Teil der Ernte abliefern müssen] zu einem integralen Bestandteil der Industriearbeiterklasse begann. Die massenhafte Migration der schwarzen Bevölkerung hatte Auswirkungen auf die zuvor existierende Spaltung zwischen den großteils protestantischen, im Land geborenen weißen Arbeitern und den überwiegend katholischen Arbeitern aus Irland und Süd- und Osteuropa. Als Folge davon wurde in den nächsten zwei Jahrzehnten ein gegen die Schwarzen gerichteter Rassismus zur zentralen Spaltungsfrage im Proletariat anstelle von religiösen und ethnischen Feindschaften.
Die Bedeutung der Schwarzenfrage wurde von Revolutionären in den USA kaum verstanden. Erst die Kommunistische Internationale von Lenin und Trotzki brachte der amerikanischen Arbeiterbewegung das entscheidende Verständnis, dass der Kampf für die Befreiung der Schwarzen eine zentrale, strategische Frage für die amerikanische Arbeiterrevolution darstellt. In seinem Artikel Die Russische Revolution und die amerikanische Bewegung der Schwarzen“ schreibt Cannon:
Die frühere sozialistische Bewegung, aus der die Kommunistische Partei hervorging, hielt ein besonderes Programm für die Schwarzenfrage nie für notwendig. Sie wurde ganz einfach als wirtschaftliches Problem angesehen, als Teil des Kampfes zwischen den Arbeitern und den Kapitalisten; bis zum Sozialismus könnte zum besonderen Problem der Diskriminierung und der Ungleichheit nichts unternommen werden...
In den ersten Tagen begannen die amerikanischen Kommunisten unter dem Einfluss und dem Druck der Russen in der Komintern langsam und schmerzvoll zu lernen, ihre Einstellung zu verändern; die neue Theorie zur Frage der Schwarzen als einer besonderen Frage von doppelt ausgebeuteten Bürgern zweiter Klasse zu begreifen, was ein Programm mit besonderen Forderungen als Teil des Gesamtprogramms erfordert — und anzufangen, in dieser Frage etwas zu unternehmen...
Alles Neue und jeder Fortschritt zur Schwarzenfrage kam aus Moskau, nach der Revolution von 1917 und als Ergebnis der Revolution — nicht nur für die amerikanischen Kommunisten, die direkt darauf reagierten, sondern auch für alle anderen, die sich mit der Frage befassten.“
—Übersetzt in Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 18, Frühjahr 1997
Fast ein Viertel der 45 000 Arbeiter, die 1917 in den Schlachthöfen von Chicago schufteten, waren Schwarze. Schwarze Arbeiter stellten auch einen bedeutenden Teil der Belegschaft in Stahlbetrieben, zum Beispiel etwa 1214 Prozent der Arbeiter in dem bedeutenden Homestead-Stahlwerk. Aber die meisten Gewerkschaften der AFL weigerten sich, schwarze Arbeiter aufzunehmen, bzw. organisierten sie in rassisch segregierten Jim-Crow“-Ortsgruppen. Die ersten größeren Vorstöße, ungelernte Arbeiter in die AFL aufzunehmen — in den Schlachthöfen Chicagos und in der Stahlindustrie des ganzen Landes — gab es Ende der Kriegsjahre unter Führung von William Z. Foster, einem langjährigen syndikalistischen Aktivisten. Foster hatte 1911 mit der IWW gebrochen, er war gegen ihre Strategie, revolutionäre Gewerkschaften aufzubauen, und wollte stattdessen von innen bohren“ (d. h. dafür arbeiten, die AFL-Bürokratie von den Zunftgewerkschaften ausgehend von innen zu unterminieren). Doch Foster ging auch vor der reaktionären Bürokratie unter Gompers in die Knie: Er unterstützte den imperialistischen Weltkrieg und verkaufte sogar Kriegsanleihen.
Die Organisierungskampagne in den Schlachthöfen, zunächst konzentriert auf die slawischen immigrierten Arbeiter, machte erste Fortschritte bei der Organisierung schwarzer Arbeiter — etwa 40005000 waren 1919 Gewerkschaftsmitglieder. Eine integrierte Gewerkschaftsdemonstration durch Chicagos South Side im Juli 1919 versprach weiteren Erfolg; aber die brutalen Rassenunruhen, die drei Wochen später über die Stadt hereinbrachen, machten die gemeinsame Organisierung von Arbeitern aller Rassen unmöglich. 1921 machte ein katastrophal verlaufender Streik gegen Lohnkürzungen, bei dem schwarze Arbeiter größtenteils als Streikbrecher agierten, die Errungenschaften der früheren Kämpfe zunichte. Die Organisierungskampagne unter den Stahlarbeitern führte dazu, dass 250 000 Arbeiter, fast die Hälfte der Belegschaft aller Stahlbetriebe, im September 1919 streikten. Innerhalb von zehn Tagen wurden 14 Arbeiter ermordet. Die Armee wurde geschickt, um die Stadt Gary in Indiana zu besetzen. Der Streik wurde ursprünglich von den ungelernten immigrierten Arbeitern kräftig unterstützt, aber nur wenige schwarze Arbeiter machten mit und viele einheimische Facharbeiter begingen Streikbruch. Im November war der Streik im Mittleren Westen zusammengebrochen und wurde national bis Mitte Dezember gebrochen, auch wenn er erst im folgenden Monat offiziell für beendet erklärt wurde.
Die Niederlagen von 1919, Ergebnis staatlicher Unterdrückung und rassistischer Reaktion, fanden statt, als die amerikanischen Kommunisten gerade von der Sozialistischen Partei brachen. Kurz danach startete die US-Regierung eine Repressionswelle, die auf die Kommunisten zielte. Die Palmer Raids“ (Palmer-Razzien“, benannt nach dem damaligen Generalstaatsanwalt A. Mitchell Palmer) begannen im November 1919 und dauerten über vier Monate. Es gab Überfälle auf Büros der Kommunisten, die Schließung von Zeitungen und Massenverhaftungen von Kommunisten, Anarchisten und anderen linken Arbeitern (mehr als 6000 allein in der ersten Januarwoche 1920). Im Ausland geborene Kommunisten und andere Radikale wurden massenweise deportiert. Viele führende Kommunisten wurden auf Grund von Anklagen wegen kriminellen Syndikalismus“ zu Gefängnis verurteilt. Die Repression flaute rasch ab, aber viele führende Kommunisten standen noch bis Ende der 1920er-Jahre unter Anklage. Die Palmer Raids verliehen jedoch der Untergrundpolitik der Ultralinken Glaubwürdigkeit und verlängerten dadurch die Debatte, ob die noch junge kommunistische Bewegung öffentlich arbeiten könne oder nicht.
Die frühe TUEL
Als im Dezember 1921 die Workers Party gegründet wurde, war es schon klar, dass die amerikanischen Kommunisten ihre Ansichten öffentlich propagieren konnten. Die amerikanische Bourgeoisie war zum großen Teil damit zufriedengestellt, dass die Zerschlagung der Organisierungskampagnen und die Repression 1919/20 die erwünschte Wirkung gehabt hatten. Im November 1920 wurde der Republikaner Warren G. Harding mit einem Programm, das Land zur Normalität“ zurückzuführen, zum Präsidenten gewählt. Ein nationaler Streik von Arbeitern in Reparaturwerkstätten der Bahn stellte 1922 ein letztes Aufbäumen proletarischer Nachkriegsmilitanz dar. Am Streik beteiligten sich hauptsächlich 256 000 Maschinisten (Mitglieder der International Association of Machinists [IAM] und Arbeiter im Reparaturwesen); Unterstützer der Workers Party spielten eine Rolle bei der Führung des Streiks. Durch den Streikbruch einiger AFL-Zunftgewerkschaften sowie durch eine pauschale gerichtliche Verfügung der Regierung endete der Streik mit einer Niederlage. Diese sogenannte Daugherty-Verfügung“, erwirkt vom US-Generalstaatsanwalt Harry Daugherty, verbot den streikenden Gewerkschaften so gut wie jede Aktion, die den Streik vorantreiben konnte. Das schuf ein Klima für die wiederholte Anwendung des Sherman Anti-Trust Acts [Anti-Kartell-Gesetz] gegen die Gewerkschaften in den 20er-Jahren. Diese Offensive zur Zerschlagung der Gewerkschaften, zusammen mit dem Wiederanstieg des rassistischen Terrors — in den 20er-Jahren hatte der Ku Klux Klan mehrere Millionen Mitglieder — und einer gegen Immigranten gerichteten Gesetzgebung, machte die 20er-Jahre zu einem reaktionären Jahrzehnt von Rassismus, Klassenjustiz und arbeiterfeindlichen Angriffen.
Die amerikanischen Kommunisten zahlten einen hohen Preis für diese reaktionäre Periode — höher noch als für die intensive Reaktion 1919/20 —, was einen starken Druck hervorrief, das revolutionäre Ziel aufzugeben, für das die kommunistische Bewegung gegründet worden war. Objektive Bedingungen in den 20er-Jahren führten dazu, dass sich nur eine kleine Minderheit der Arbeiterklasse der Kommunistischen Partei anschloss. Die amerikanischen Kommunisten selbst, auch Cannon, erkannten das nur langsam, und die jeweiligen Windungen und Wendungen in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre, diktiert von der stalinisierten Komintern, waren wirklich nicht hilfreich.
Zunächst sah es allerdings so aus, als ob die Workers Party großen Erfolg in der Arbeiterbewegung haben sollte. William Z. Foster, der von seinem früheren Mit-Syndikalisten Earl Browder dazu gebracht wurde, sich 1921 einer Arbeiterdelegation in die Sowjetunion anzuschließen, wurde durch alles, was er während seines dreieinhalbmonatigen Aufenthalts dort sah und erlebte, zum Bolschewismus gewonnen. Nachdem Foster in Moskau die Gründungskonferenz der Profintern besucht hatte, kehrte er im Spätsommer nach Chicago zurück und trat der Kommunistischen Partei bei, damals immer noch eine Untergrundorganisation.
Unter dem Einfluss von Lenins Der linke Radikalismus“ hatten die amerikanischen Kommunisten ihre Perspektive der separaten Gründung von roten Gewerkschaften“ aufgegeben; ihre Politik stimmte nun mit Fosters langjähriger Strategie überein, aber es gab einige Differenzen über seine starrsinnige Opposition gegen jegliche gewerkschaftliche Organisierung außerhalb des Rahmens der AFL. Die Trade Union Educational League (TUEL) [Gewerkschaftliche Schulungsliga], die Foster Ende 1920 gegründet hatte, wurde in den Dienst der Workers Party gestellt und arbeitete seit Anfang 1922 als deren Arm in den Gewerkschaften. Fosters eigene Parteimitgliedschaft blieb bis 1923 ein Geheimnis, und die TUEL hatte ihre Zelte in Chicago aufgeschlagen, fernab von der Parteizentrale in New York. Foster kultivierte weiterhin seine engen Verbindungen zu John Fitzpatricks Chicago Federation of Labor (CFL), unter deren Ägide er seine Organisierungskampagnen begonnen hatte. Fitzpatrick, ein glühender irischer Nationalist und progressiver“ Gewerkschafter, befürwortete schon eine ganze Weile die Gründung einer Arbeiterpartei. Der AFL-Bürokratie unter Samuel Gompers war er ein Dorn im Auge. Fosters Arbeit für die CFL bedeutete für die TUEL beträchtlichen Schutz vor Gompers’ bösartigem Antikommunismus.
Die TUEL war um die Zeitschrift Labor Herald herum organisiert, es gab keine Beiträge oder Mitgliederstruktur, damit jeder Anschein einer Parallelgewerkschaft vermieden wurde (ihr offizielles Einkommen stammte aus Zeitungsverkäufen und Spenden, und sie bekam auch Unterstützung von der Komintern). Sie kämpfte dafür, Gewerkschaften aus ihrem gegenwärtigen antiquierten und stagnierenden Zustand in moderne, machtvolle Arbeiterorganisationen zu entwickeln, die fähig sind, gegen das Kapital erfolgreich Krieg zu führen“ (William Z. Foster, The Principles and Program of the Trade Union Educational League“ [Prinzipien und Programm der Gewerkschaftlichen Schulungsliga], Labor Herald, März 1922). Die TUEL befürwortete die Abschaffung des Kapitalismus und die Errichtung einer Arbeiterrepublik und wollte, dass sich amerikanische Gewerkschaften der Roten Gewerkschaftsinternationale anschlossen. In ihrem Programm erwähnte die TUEL nicht die Jim-Crow-Beschränkungen, die es Schwarzen unmöglich machten, Mitglieder der AFL-Zunftgewerkschaften zu werden; und sie äußerte sich darin auch nicht gegen die gerade von der Regierung verordneten drakonischen Einwanderungsbeschränkungen. Dass die TUEL die weitverbreiteten Vorurteile amerikanischer Arbeiter gegen Schwarze und Immigranten nicht bekämpfte, war eine wirkliche Schwäche. Den Kampf gegen den weißen Rassismus nahmen die amerikanischen Kommunisten damals gerade erst auf, und das auch nur, weil die Komintern sie wiederholt dazu anspornte.
Als ihre unmittelbare Aufgabe sah die TUEL eine aggressive Kampagne für die Verschmelzung der AFL-Zunftgewerkschaften zu Industriegewerkschaften an, ihre Losung lautete: Verschmelzung oder Vernichtung“. Angefangen mit einem Antrag auf Verschmelzung, der im März 1922 in der CFL eingebracht wurde, erreichte es die TUEL in den folgenden 18 Monaten, dass in 16 internationalen Gewerkschaften, 17 bundesstaatlichen Gewerkschaftsverbänden, vielen kommunalen Gewerkschaftsgremien und Tausenden von Gewerkschaftsortsgruppen Anträge auf Verschmelzung angenommen wurden.
Das Ringen um die Frage der Arbeiterpartei
Als die amerikanischen Kommunisten aus dem Untergrund auftauchten, begannen sie sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sie zu einer Arbeiterpartei aufrufen sollten oder nicht. In einem Kapitel mit der zutreffenden Überschrift Pepper Spray“ [Pfefferspray] führt Palmer detailliert aus, wie die Workers Party unter Anleitung eines in Ungarn geborenen Kommunisten namens Jószef Pogány (in den USA bekannt als John Pepper) daraus einen Schlamassel machte.
In Der linke Radikalismus“ trat Lenin dafür ein, dass die britischen Kommunisten sich der British Labour Party (BLP) anschließen und ihr bei den anstehenden Wahlen kritische Unterstützung geben. Obwohl Programm und Führung der BLP reformistisch waren, basierte die BLP auf den ihr angeschlossenen Gewerkschaften; sie war ausdrücklich als eine Partei der Arbeiterklasse gegründet worden. Lenin nannte sie eine bürgerliche Arbeiterpartei“. Um angesichts der Wirkung der bolschewistischen Revolution und der Nachkriegsradikalisierung die Arbeiterklasse im Griff zu behalten, redeten die BLP-Spitzen mit linker Zunge und hatten 1918 eine Bestimmung in die Parteisatzung aufgenommen, die zur vollständigen Verstaatlichung der Industrie aufrief (Klausel Vier). Lenin war dafür, dass die Kommunisten die BLP wählten — und gleichzeitig ihre eigene vollständige Freiheit der Agitation, Propaganda und politischer Aktivitäten beibehielten —, um den Massen bei der Erkenntnis zu helfen, dass die BLP-Spitzen, sobald sie an der Regierung sind, tatsächlich die Interessen der Arbeiterklasse verraten würden. Diese Entlarvung würde es den Kommunisten erleichtern, die proletarische Basis der Labour Party zu gewinnen.
Lenin hatte bei seinen Diskussionen mit amerikanischen Delegierten sowohl auf dem II. als auch auf dem III. Weltkongress der KI die Frage aufgeworfen, ob in den Vereinigten Staaten eine der BLP entsprechende Partei gegründet werden könnte oder nicht. Die Workers Party beschloss schließlich im Mai 1922, zu einer Arbeiterpartei aufzurufen. In seiner Rede vom November 1922 unterstützt Cannon die Vorstellung von einer Arbeiterpartei, etwas in der Art wie die englische Labour Party“.
Die Gründung einer Arbeiterpartei kann ein großer Schritt vorwärts sein auf dem Weg zu einer kommunistischen Massenpartei, sie kann aber ebenso leicht zu einem riesigen Hindernis werden. Das Problem mit der Losung ist objektiv; wie Trotzki später erklärte, hängt alles von dem Zusammenhang ab, in dem sie aufgestellt wird:
Man kann sagen, dass unter amerikanischen Verhältnissen eine Arbeiterpartei im britischen Sinne ein ,progressiver Schritt‘ sei, und indem wir das anerkennen und feststellen, helfen wir selbst, wenn auch indirekt, eine solche Partei zu gründen. Aber genau das ist der Grund, warum ich sogar in Bezug auf die Vereinigten Staaten nie die Verantwortung dafür übernehmen werde, abstrakt und dogmatisch zu behaupten, dass die Schaffung einer Arbeiterpartei ein ,progressiver Schritt‘ sei, denn ich weiß nicht, unter welchen Umständen, unter welcher Anleitung und zu welchem Zweck diese Partei geschaffen würde. Es scheint mir wahrscheinlicher, dass besonders in Amerika, wo es keinerlei bedeutende Tradition von unabhängigen politischen Aktionen der Arbeiterklasse gibt (wie zum Beispiel den Chartismus in England) und wo die Gewerkschaftsbürokratie reaktionärer und korrupter ist als auf dem Höhepunkt des britischen Empire, die Schaffung einer Arbeiterpartei nur durch mächtigen revolutionären Druck der arbeitenden Massen und durch eine wachsende Drohung des Kommunismus bewirkt werden könnte. Es ist absolut klar, dass unter solchen Bedingungen die Arbeiterpartei nicht einen progressiven Schritt vorwärts darstellen würde, sondern ein Hindernis für die progressive Entwicklung der Arbeiterklasse.“
—Trotzki, The Labor Party Question in the United States“ [Die Frage einer Arbeiterpartei in den Vereinigten Staaten], 19. Mai 1932
Gewisse Teile der Gewerkschaftsbürokratie in den Vereinigten Staaten hatten während der Streikwelle nach dem Ersten Weltkrieg begonnen, die Idee einer Arbeiterpartei aufzuwerfen. Auf dem Programm für eine Arbeiterpartei hatte John Fitzpatrick 1919 für den Posten des Bürgermeisters von Chicago kandidiert und 56 000 Stimmen bekommen. Fitzpatricks Ziel war es, die örtlichen Arbeiterparteien, die in mehreren Städten aus dem Boden geschossen waren, darunter in Seattle und Minneapolis, zu einer nationalen Partei zu vereinen. Aber zu dem Zeitpunkt, als die amerikanischen Kommunisten nach ihrem Auftauchen aus dem Untergrund anfingen, sich mit diesen Bemühungen zu befassen, war Fitzpatricks Partei schon nicht mehr klar und eindeutig darauf aus, eine von der Bourgeoisie organisatorisch unabhängige Arbeiterpartei zu schaffen. Bei einem Kongress 1920 hatte sich die Arbeiterpartei mit dem bürgerlichen Committee of 48“ zusammengetan, den Überresten der Bewegung der Progressiven“, die Anfang des Jahrhunderts beide bürgerliche Parteien dominiert hatte, die aber in Präsident Hardings Amerika definitiv passé war.
Die Progressiven wollten das alte Schlachtross der Republikaner, Robert La Follette, als Präsidentschaftskandidaten. Fitzpatrick wollte einen solchen offen bürgerlichen Kandidaten nicht unterstützen. Aber seine Abkehr von einer proletarischen Orientierung zeigte sich darin, dass seine Partei ihren Namen in Farmer-Labor Party (FLP) [Bauern-Arbeiter-Partei] änderte. Die FLP stellte ihren eigenen Präsidentschaftskandidaten auf, Parley Parker Christensen, der eine Viertelmillion Stimmen erhielt. Die Stimmen für ihn konzentrierten sich nicht auf proletarische Ballungsgebiete: Er bekam sie fast ausschließlich aus den ländlichen Bundesstaaten im Westen, wo amerikanische Familien-Farmen vor dem Ruin standen und wo die bürgerliche populistische Tradition immer noch stark war.
Zuerst konnten sich die amerikanischen Kommunisten nicht darauf einigen, welche Haltung sie zu Fitzpatricks FLP einnehmen sollten. Bis zum IV. Weltkongress der Komintern wurde darüber gestritten. Das EKKI riet den amerikanischen Kommunisten, sich der Bewegung für eine Arbeiterpartei anzuschließen:
Die jetzt vorherrschende Vorstellung über die Gründung einer Arbeiterpartei in Amerika hat eine enorme politische Bedeutung. Grundlage unserer Aktivitäten muss der linke Flügel der Gewerkschaftsbewegung sein. Alle Aufmerksamkeit und Energie müssen wir unseren Aktivitäten unter den Massen des linken Flügels in der Gewerkschaftsbewegung widmen. Wenn es uns gelingt, eine große Arbeiterpartei aufzubauen — zunächst nur mit einem bescheidenen politischen Programm —, wird das ein Ereignis von historischer Bedeutung sein, nicht nur für die amerikanische Arbeiterbewegung, sondern für die Arbeiterbewegung der ganzen Welt.“
—To the Communist Party of America from the Executive Committee of the Communist International“, undatiert, verfasst kurz nach dem IV. Weltkongress der KI, nachgedruckt in Spartacist, englische Ausgabe Nr. 40, Sommer 1987
Diese Entscheidung der KI basierte auf Berichten beim IV. Weltkongress, dass es im linken Flügel der Gewerkschaftsbewegung in den Vereinigten Staaten eine wachsende Bewegung für eine unabhängige Arbeiterpartei“ gäbe (siehe: Wir wollen, dass die Komintern uns hilft“, Seite 51). Die FLP selbst wurde in der KI-Entscheidung nicht erwähnt.
Noch bevor die Tinte auf dem EKKI-Brief trocken war, begannen die amerikanischen Kommunisten eine Kampagne für eine Arbeiterpartei. Dabei befanden sie sich in einem impliziten Block mit Fitzpatricks CFL, ohne Fitzpatricks Bauern-Arbeiter-Orientierung explizit zu kritisieren. Der Labor Herald erklärte:
Die Pionierarbeit in dieser Bewegung kam, wie bei vielen anderen Dingen auch, aus der Chicago Federation of Labor. Von dieser Organisation kam die Initiative zur Farmer-Labor Party, dem ersten Versuch, den Gewerkschaften auf dem Feld der Politik Ausdruck zu verleihen.“
—Nationalkomitee der Trade Union Educational League, A Political Party for Labor“ [Eine politische Partei für die Arbeiter], Labor Herald, Dezember 1922
Der Artikel erwähnte weder Fitzpatricks Fusion mit dem bürgerlichen Committee of 48 noch die Tatsache, dass die FLP hauptsächlich von kapitalistischen Kleinbauern Unterstützung bekam. Er betonte: Um die gesamte potenzielle Stärke der Arbeiterpartei zu mobilisieren, ist es notwendig, Vorkehrungen zu treffen, damit auch die ausgebeutete Klasse der Kleinbauern zusammen mit den Industriearbeitern einbezogen wird. Aber die eigentlichen Arbeiter, die einzige Klasse, deren Interessen ihnen jederzeit eine klare Aktionslinie vorgeben, müssen die Partei dominieren... Sie muss sowohl den Tatsachen als auch dem Namen nach eine Arbeiterpartei sein.“ Da aber jegliche konkrete Kritik an Fitzpatricks FLP fehlte, blieb dieses Beharren auf einer Arbeiter“partei ohne jede Bedeutung.
Die einzige prinzipienfeste Basis für die Teilnahme an einer Bewegung für eine Arbeiterpartei wäre damals der Versuch gewesen, die FLP zu polarisieren und zu spalten, indem man auf einem Bruch mit den bürgerlichen Progressiven und auf einer eindeutigen Orientierung auf die Arbeiterklasse bestand. Die Workers Party hatte einen Kurs von Opportunismus und Klassenzusammenarbeit eingeschlagen.
Die Partei willigte dann ein, sich an einer nationalen Konferenz zu beteiligen, zu der Fitzpatricks FLP für den 3. Juli aufgerufen hatte, um eine Partei von Arbeitern und Bauern zu gründen. Hier traf der opportunistische Impuls der Workers Party, die selber etwas von Fitzpatricks Popularität abbekommen wollte, mit der nachdrücklichen Befürwortung einer Einheitsfront der Arbeiter und Bauern“ durch Sinowjews Komintern zusammen. Im Herbst 1923 wurde eine Bauerninternationale gegründet; kurz danach begann die KI auf die Errichtung von Zwei-Klassen-Parteien von Arbeitern und Bauern zu drängen. John Pepper war 1922 mit einer Delegation des EKKI in den USA angekommen und ernannte sich selbst zum permanenten KI-Vertreter. Pepper war tunlichst bemüht, bei den politischen Wendungen, die mit der allmählichen Degenerierung der KI einhergingen, auf dem Laufenden zu bleiben, und machte sich bald der WP-Führung um C. E. Ruthenberg in New York unentbehrlich. Pepper, den Palmer zutreffend die lebende Verkörperung der beginnenden Degeneration der Russischen Revolution“ nennt, stand an vorderster Front, als die Partei in den USA sich ganz und gar einer Bauern-Arbeiter-Politik verschrieb.
Indem die amerikanischen Kommunisten sich Fitzpatricks Aufruf zu einer Bauern-Arbeiter-Partei anschlossen, ließen sie die entscheidende Forderung nach politischer Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie fallen, sie versenkten sie im progressiven“ kleinbürgerlich-radikalen Sumpf, den zu bekämpfen sie einst angetreten waren. Zwei-Klassen-Parteien, die angeblich die Arbeiterklasse mit der Bauernschaft oder mit Kleinbauern vereinen, sind unweigerlich und unvermeidlich bürgerliche Parteien, wie Trotzki ausführlich in Die Dritte Internationale nach Lenin beweist. Über die amerikanische Variante schrieb Trotzki verächtlich:
Nach dem Gedankengang Peppers sollte sich die aus einigen tausend Mitgliedern — hauptsächlich Immigranten — bestehende Partei vermittels einer bürgerlichen Partei mit dem Farmertum zusammenschließen, eine ,kombinierte‘ Partei bilden und so ungeachtet der Passivität oder Neutralität des durch Surplusprofite korrumpierten Proletariats die sozialistische Revolution sicherstellen.“
—Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin
Pepper, ein opportunistischer Manövrierer par excellence, zeigte keinerlei Kenntnisse hinsichtlich der Geschichte des bürgerlichen Agrar-Populismus in den Vereinigten Staaten. Er hatte grandiose Illusionen und meinte, die Workers Party würde sich zu nationalem Einfluss hochkatapultieren, wenn sie sich die Bauern-Arbeiter-Bewegung schnappen könnte. Unter seiner Anleitung trampelten die Kommunisten über Fitzpatricks Bedenken hinweg, stopften den Bauern-Arbeiter-Kongress am 3. Juli mit kommunistischen Delegierten voll und provozierten den demonstrativen Abzug des nun nach Rache dürstenden CFL-Führers. Die Federated Farmer-Labor Party [Föderierte Partei der Farmer und Arbeiter] (FFLP), die am 3. Juli gegründet wurde, bestand hauptsächlich aus den Kommunisten und sonst niemandem.
Die Spaltung von Fitzpatrick bewirkte genau das Gegenteil von dem, was Pepper beabsichtigt hatte. Die Workers Party verlor den Schutz ihrer Blockpartner in der AFL. Mit voller Rückendeckung von Fitzpatrick startete Gompers eine Hexenjagd, durch die im ganzen Land Unterstützer der TUEL aus betrieblichen Gewerkschaftsvertretungen und den Gewerkschaften vertrieben wurden. Schon 1925 war die TUEL in den schrumpfenden Zunftgewerkschaften der AFL praktisch in den Untergrund getrieben worden. Auch wenn der Bruch mit Fitzpatrick durch Peppers Idiotien beschleunigt wurde, war ein Bruch äußerst wahrscheinlich angesichts der Reihe von Niederlagen der Arbeiterklasse und bei dem damaligen politischen Klima in den USA. Gompers hatte die finanzielle Unterstützung für die Chicago Federation of Labor gestrichen, um sie dazu zu zwingen, ihre Verbindungen zur Workers Party zu kappen. Aber ein Auseinandergehen wegen klarer politischer Differenzen hätte viel weniger Schaden angerichtet als so eine erbittert geführte Spaltung über organisatorische Fragen.
Nach dem Debakel des Kongresses vom 3. Juli schlossen Foster und Cannon einen Pakt, um gegen Pepper und dessen amerikanische Anhänger um die Führung der Partei zu kämpfen. Foster und Cannon waren zwar über die zunehmende Isolierung der TUEL in der AFL entsetzt, befürworteten aber beide aus Überzeugung die opportunistische Anpassung an die Bauern-Arbeiter-Politik und den prinzipienlosen Aufruf zu einer Zwei-Klassen-Partei“, was das Debakel ja erst verursacht hatte. So trugen sie dazu bei, dass die Workers Party immer tiefer auf ihrem prinzipienlosen Kurs abrutschte, so dass die FFLP schließlich nur um Haaresbreite davon entfernt war, bei den Präsidentschaftswahlen 1924 den republikanischen Senator La Follette zu unterstützen.
Palmers Schilderung dieser Ereignisse spielt die politischen Probleme dieser kritiklosen Übernahme der Bauern-Arbeiter-Politik seitens der Workers Party herunter, indem Pepper und Moskau für schuldig erklärt werden und nicht die opportunistischen Impulse in der amerikanischen Partei selbst. Weit entfernt davon, die einzige Quelle des Opportunismus zu sein, war es gerade die Komintern, die schließlich die amerikanische Partei von einer Unterstützung für La Follette zurückzerrte. Trotzki war vehement gegen die Unterstützung für La Follette:
Wenn eine junge und schwache Kommunistische Partei, der es an revolutionärer Leidenschaft mangelt, die Rolle eines Anwalts und Sammlers ,progressiver Wähler‘ für den republikanischen Senator La Follette spielt, bedeutet das, dass sie schon auf dem Weg zur politischen Auflösung der Partei in das Kleinbürgertum ist.“
—Trotzki, Einleitung von 1924 zu The First Five Years of the Communist International [Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale]
Palmer behauptet fälschlicherweise, dass dieser plötzliche Rückzieher von der Unterstützung für La Follette einfach eine Neuausgabe“ der Spaltung mit Fitzpatrick gewesen sei. Er beharrt darauf, dass die mechanische Umkehrung der kommunistischen Politik ein Anzeichen dafür ist, wie sehr die WP inzwischen dem Bürokratismus der Kommunistischen Internationale unterworfen war, dem jedes Gespür für internationale Realitäten fehlte und dem es an Flexibilität mangelte, auf örtlichem Niveau programmatische Fehler neu auszudiskutieren“. Für Flexibilität“ gibt es keinen Platz, wenn es um die elementare Frage geht, bei Wahlkämpfen die Klassenlinie zu ziehen. Hätte die Workers Party weiterhin darauf bestanden, einen bürgerlichen Kandidaten zu unterstützen, wären ihre Kader als revolutionäre Kraft erledigt gewesen.
Diese Gleichsetzung von zweit- und drittrangigen bürgerlichen Parteien mit echten Arbeiterparteien ist schon immer eine Quelle des Opportunismus gewesen. Cannon versuchte ernsthaft, sich die Lehren anzueignen und die Partei herumzureißen, wie von Palmer dargelegt. Doch die Komintern unter Sinowjew stürzte die Partei nur noch mehr in Verwirrung, indem sie darauf bestand, dass diese die fiktive Frontgruppe einer Federated Farmer-Labor Party weiter aufrechterhalten solle. Cannon und die amerikanischen Trotzkisten zogen ursprünglich die falschen Lehren aus der Erfahrung des amerikanischen Kommunismus in den 20er-Jahren; sie ließen die Losung einer Arbeiterpartei vollständig fallen, bis Trotzki darauf bestand, dass sie die Losung wieder aufgreifen müssten inmitten des Aufschwungs der Arbeiterbewegung, durch den 1938 die Industrie-Massengewerkschaften aufgebaut wurden. Das wird hoffentlich ein Punkt in Palmers zweitem Band sein.
Streitfragen der Fraktionskriege
Cannons und Fosters erfolgreicher Kampf, eine Mehrheit der Delegierten zum Dritten Kongress der Workers Party im Dezember 1923 zu gewinnen und demzufolge auch eine Mehrheit im neuen Zentralen Exekutivkomitee (CEC, das Führungsgremium zwischen den Parteikongressen), wird von Palmer gut dargestellt. Für ihre Fraktion gewannen sie die Unterstützer von Ludwig Lore in der deutschen Föderation und der Kleidungsmanufaktur, und, besonders wichtig, die finnischsprachige Föderation, die den größten einzelnen Stimmblock stellte. Cannon spielte die Schlüsselrolle dabei, dieses Bündnis herzustellen und zu festigen.
Dass der Fraktionskampf so hitzig wurde, lag zum Teil an Jay Lovestone, der in der Schule Peppers schnell gelernt hatte und sich unermüdlich in den Dienst der Ruthenberg-Fraktion stellte. Die Spaltung zwischen Foster-Cannon und Ruthenberg-Lovestone widerspiegelte teilweise eine landesweite Gabelung zwischen der TUEL, mit ihrer Basis im industriellen Chicago, und der zentralen Parteiführung, die in New York saß. In seinem Buch It Had to Be Revolution: Memoirs of an American Radical [Nichts weniger als die Revolution: Memoiren eines amerikanischen Radikalen] (Cornell University Press, Ithaca, 1993), vermittelt Charles Shipman eine Vorstellung der damaligen sozialen und politischen Spannungen in der Partei. Shipman (damals bekannt als Manuel Gomez) war 1923/24 ein Mitglied der Workers Party in Chicago, später schloss er sich der Cannon-Fraktion an und kam an die Spitze der All-American Anti-Imperialist League der Partei.
Ruthenberg hielt den Foster-Cannon-Block für einen Haufen von Gewerkschafts-Opportunisten. Darin steckt ein Körnchen Wahrheit. Cannon selbst schrieb später, er habe damals nicht besonders darauf geachtet“, mögliche opportunistische Fehler zu vermeiden. Sicherlich gab es zwischen den Gruppen Differenzen hinsichtlich der Herangehensweise und Nuancen, aber keine grundlegenden programmatischen Meinungsverschiedenheiten. Nach ihrem Sieg im Dezember 1923 schafften es Cannon und Foster, die Parteizentrale nach Chicago zu verlegen. Aber sie bestanden darauf, dass Ruthenberg Parteisekretär blieb. Cannon war zweiter Sekretär und Foster Parteivorsitzender. Es gelang ihnen, Pepper zurück nach Moskau abberufen zu lassen. Aber die Linien verhärteten sich, was zu den Fraktionskriegen führte, von denen die Partei bis zum Ausschluss von Lovestone 1929 beherrscht wurde.
Pepper spielte in Moskau weiterhin die Rolle eines Agenten für Ruthenberg. Die Mehrheit der Cannon-Foster-Fraktion in der Parteiführung wurde beim Vierten Kongress der Partei 1925 auf Geheiß der Komintern über den Haufen geworfen. Als Reaktion auf das Edikt der Komintern gingen Cannon und Foster getrennte Wege, wobei Cannon die Fraktionsmitglieder anführte, die sich weigerten, eine Revolte gegen die Entscheidung der Komintern zu organisieren. Nach 1925 hatte Cannon seine eigene getrennte Fraktion. Über die Spaltung zwischen Foster und Cannon und die Zeit danach ist Palmers Buch besonders aufschlussreich.
Palmer benutzt Material aus den Komintern-Archiven, um Fragen, die in der Workers Party umstritten waren, in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. So berichtet er, dass 1924 die Gründung des United Council of Working Class Women/Wives [Vereinter Rat von Frauen/Ehefrauen aus der Arbeiterklasse] und ähnlicher von Parteiaktivisten geführter lokaler Frauenorganisationen kontrovers war. Palmer behauptet, dass die Ruthenberg-Lovestone-Fraktion dazu tendierte, diese zusätzlichen Frauenorganisationen der Partei zu unterstützen, Cannon aber nicht. Cannon drückte seine Besorgnis aus, dass die Theorie, unter einem anderen Namen zu operieren, so was wie ein Überbleibsel aus der Zeit ist, als unsere Partei gezwungen war, illegal zu arbeiten“ (Brief von Cannon an Jeanette Pearl, 22. September 1924). Cannon schrieb: Politische Arbeit unter den Frauen muss direkt durch die Partei erfolgen, im Namen der Partei ... und nicht unter irgendeiner anderen Organisation — sei sie nun real oder Tarnung.“ Er schrieb jedoch auch, er habe lange über diese Frage gezögert“, und fügte hinzu: Frauenarbeit ist sehr kompliziert, und ich bin alles andere als ein ,Experte‘ in dieser Frage. Ihre Bedeutung jedoch ist ganz offensichtlich.“
Palmer kritisiert Cannon zu Unrecht für seine Auffassung, die Arbeit unter Frauen müsse unter der unmittelbaren politischen Kontrolle der Parteiführung stattfinden; er sieht dies als Beweis für einen blinden Fleck“ hinsichtlich der Notwendigkeit besonderer Arbeit unter Frauen. Die Workers Party hatte bereits 1922 eine interne Frauenkommission/ein Frauenbüro geschaffen, entsprechend dem Auftrag der Resolution des III. KI-Kongresses über die Formen und Methoden der Kommunistischen Arbeit unter den Frauen. Die Aufgabe war, daraus eine wirkliche Körperschaft zu machen, die reale Parteiarbeit anleitete. Aber wie Palmer bemerkt, war dieses Gremium zum großen Teil eine Galionsfigur“. Tatsächlich scheint die Workers Party äußerst wenig Propaganda über Frauenunterdrückung herausgegeben und der Frauenfrage an sich kaum Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, was eine Tendenz widerspiegelt, rückständigen Vorstellungen in der Arbeiterklasse nachzugeben. Das traf immer zu, egal welche Fraktion die Macht hatte. Keine der beiden Seiten drängte darauf, dass Frauen eine Führungsrolle übernehmen. Nur wenige Frauen — hauptsächlich Intellektuelle wie Juliet Stuart Poyntz und Rose Pastor Stokes — gehörten dem Zentralen Exekutivkomitee an. Frauen stellten jedoch einen großen Teil der Parteibasis im vornehmlich jüdischen Nähergewerbe, wo Rose Wortis die Arbeit mit anführte. Die Führer der Textilarbeiter gehörten ursprünglich zur Foster-Cannon-Gruppe, wechselten aber nach 1925 zu Ruthenberg-Lovestone.
Die Gewerkschaftsarbeit, und insbesondere die TUEL, war immer wieder Quell von Kontroversen in den Fraktionskriegen der Partei. Die einzigen AFL-Gewerkschaften, in denen die Partei nach den frühen 20er-Jahren noch eine Basis behielt, waren die der Näher und der Kohlenbergarbeiter. Beide Industrien waren im Niedergang begriffen, und die Arbeiter dort mussten das ganze Jahrzehnt hindurch Entlassungen und Lohnkürzungen hinnehmen, was sie besonders unstet machte. Wie Ian Angus in seinem hervorragenden Buch Canadian Bolsheviks (Vanguard Publications, Montreal, 1981) über die Geschichte der frühen Kommunistischen Partei Kanadas ausführlich darlegt, errangen die kanadischen Kommunisten die Führung der Bergleute von Cape Breton, die im Distrikt 26 der United Mine Workers (UMW) gut organisiert waren. Im August 1922 führte die Partei einen Streik gegen Lohnkürzungen zu einem Teilsieg und machte danach eine exemplarisch gute Arbeit dabei, den Gewerkschaftsdistrikt intakt zu halten gegen die Angriffe der Bosse und die Versuche des UMW-Chefs John L. Lewis, die Kontrolle wieder an sich zu reißen. Im übrigen Kanada brach die UMW weitgehend zusammen. Die amerikanische Partei dagegen hatte noch nicht einmal in einer einzigen bedeutenden Region die Führung einer AFL-Gewerkschaft, bis sie 1925 über einige Ortsgruppen im Nähergewerbe in New York die Kontrolle errang. Die Partei führte 1926 einen erfolgreichen Streik der Kürschner, aber ein langer und militanter Streik der Näher im gleichen Jahr konnte seine Hauptforderung nicht durchsetzen. Danach verfolgten die reformistischen Spitzen der Gewerkschaft der Näher die TUEL-Unterstützer, und es gelang ihnen, viele aus Führungspositionen hinauszusäubern. Die heroische Arbeit der Kommunisten in der Bewegung Rettet die Gewerkschaft“ 192628, die zur Lewis-Bürokratie in der UMW in Opposition stand und beträchtliche Unterstützung von schwarzen Bergleuten bekam, erlitt ebenfalls eine Niederlage.
Die Arbeit der Partei, sowohl in den Gewerkschaften als auch besonders in Bezug auf die schwarze Bevölkerung, wurde dadurch beeinträchtigt, dass Foster darauf bestand, der einzig mögliche Kurs sei es, von innerhalb der AFL den Weg zu bohren“ (diese langjährige Vorstellung musste er allerdings aufgeben, damit er während der Dritten Periode Parteiführer bleiben konnte). Die AFL-Gewerkschaften behielten ihre rassistischen Schranken gegen Schwarze während der 20er-Jahre größtenteils bei. Cannon war zu Recht dagegen, sich allein auf die AFL zu konzentrieren, obwohl der Mitführer seiner Fraktion, William F. Dunne, eher Fosters Position zuneigte.
Während Foster und Cannon 1926 beide beim Sechsten Plenum des EKKI in der UdSSR waren, schafften es Albert Weisbord und andere Parteianhänger, in die Führung eines Streiks zur Organisierung von Textilarbeitern in Passaic, New Jersey, zu gelangen, der außerhalb des Rahmens der AFL stattfand. Palmer widmet dem Passaic-Streik die Aufmerksamkeit, die ihm zukommt. Nachdem der Streik sich länger hingezogen hatte, händigte die Partei der AFL die Kontrolle aus und stimmte der Forderung der Gompers-Bürokratie zu, Weisbord aus der Streikführung zu entfernen. Cannon schrieb in späteren Jahren, dass dies ein Fehler war (siehe The First Ten Years of American Communism). Es ist viel besser, wenn die Partei den Ruf erlangt, ihre Verpflichtungen zur Führung der Arbeiterklasse bis zu Ende zu erfüllen. Auch Streiks, die eine Niederlage erleiden, können, wenn sie gut durchgekämpft wurden, einer Partei den Weg bereiten, in den folgenden Klassenkämpfen Masseneinfluss zu erlangen.
In dieser Periode der Reaktion hätte die TUEL eine hauptsächlich schulende Rolle spielen können und sollen, um kommunistische Propaganda in der AFL zu betreiben und gelegentlich Solidaritätsaktionen zur Unterstützung von Streiks und anderen Arbeiteraktionen zu organisieren. Die TUEL einfach als Kampfkraft für militanten Klassenkampf aufrechtzuerhalten hätte die kommunistischen Gewerkschafter in eine gute Position für die Zukunft versetzt. Aber Ende 1925/26 wurde die TUEL zu einem Spielball zwischen den Fraktionen; hier ist Palmers genaue Darlegung der Auseinandersetzung, die auf Dokumenten aus den Moskauer Archiven basiert, recht nützlich. Cannon und Ruthenberg wollten die TUEL auflösen zugunsten breiterer“ Gewerkschaftsoppositionen. Foster war vehement dagegen. Als die Komintern darauf bestand, die TUEL beizubehalten, bestand Cannon dennoch darauf, dass diese versuchen sollte, auf einer breiteren Basis als bisher zu organisieren. Aber die Unterstützung, die die TUEL durch ihre Kampagnen 1922/23 für Verschmelzung und für eine Arbeiterpartei gewonnen hatte, basierte auf dem Block mit den Kräften um Fitzpatrick in der CFL. Wenn Kommunisten darauf aus sind, breite“ Gewerkschaftsoppositionen ohne eine klare und prinzipienfeste programmatische Grundlage zu organisieren, dann öffnet dies einer opportunistischen Anpassung Tür und Tor.
Die ILD ... und Lovestone
Ungeachtet der Normalität“ unter US-Präsident Harding war staatliche Repression gegen Radikale und Arbeiteraktivisten etwas Alltägliches. Diejenigen zu verteidigen, die der Staat bedrohte, war eine dringende Notwendigkeit; Verteidigungsarbeit war das Arbeitsfeld, wo die Partei annähernd so etwas wie Massenunterstützung erreichen konnte. Cannon war immer stolz darauf, was er zur Gründung und Führung der International Labor Defense (ILD) beigetragen hat. Deren Arbeit ist das Vorbild für das Partisan Defense Committee in den USA und für die anderen brüderlichen nichtsektiererischen Verteidigungsorganisationen, die von IKL-Sektionen weltweit gegründet wurden [in Deutschland das Komitee für soziale Verteidigung, KfsV]. Die ILD stützte sich zum großen Teil auf die Verbindungen, die Cannon noch aus seiner Zeit als IWW-Agitator hatte, sowie auf seinen Ruf in der breiteren Arbeiter- und sozialistischen Bewegung; so blieb sie ständig eine echte Einheitsfront-Organisation (was in der gegenwärtigen Periode unmöglich ist für die winzigen und exemplarischen Verteidigungsorganisationen, die mit den nationalen Sektionen der IKL verbunden sind).
An der Gründungskonferenz der ILD 1925 nahmen über 100 Delegierte teil. Ende 1926 hatte die ILD 20 000 Einzelmitglieder (der Monatsbeitrag betrug 10 Cent und wurde 1927 auf 15 Cent erhöht) und 156 Ortsgruppen. Die gewerkschaftlichen und anderen Arbeiterorganisationen, die sich der ILD als Gruppen anschlossen, zählten etwa 75 000 Mitglieder. Palmers Abschnitt über die ILD besticht durch die Ausführlichkeit und Sorgfalt, mit der er die Aktivitäten der Organisation beschreibt sowie die peinlich genauen Methoden, über ihre Finanzen Rechenschaft abzulegen. Er betont sorgfältig Rose Karsners bedeutende Rolle in der Organisation, die mit der Internationalen Roten Hilfe der KI verbunden war. Palmer berichtet, dass Martin Abern, Cannons rechte Hand in seiner Fraktion, schließlich einige von Karsners Verantwortlichkeiten übernahm und seine Fähigkeiten als erstrangiger Administrator unter Beweis stellte; der junge Max Shachtman gewann in der Redaktion des Labor Defender der ILD weitere Erfahrung als kommunistischer Journalist.
Die berühmteste Kampagne der ILD in dieser Periode war die Verteidigung der aus Italien immigrierten Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti. Sie wurden im Anschluss an die Palmer-Raids 1920 verhaftet und zu Unrecht angeklagt, eine Schuhfabrik in Braintree, Massachusetts, ausgeraubt und den Zahlmeister getötet zu haben. Sacco und Vanzetti wurden 1921 in einem Prozess verurteilt, der vor antiitalienischem Chauvinismus und antianarchistischer Hysterie nur so triefte. Im April 1927 wurde das Todesurteil verkündet. Cannons Schriften zu Sacco und Vanzetti, erhältlich in Notebook of an Agitator, liefern außergewöhnliche Beispiele kommunistischer Agitation, pädagogisch und gleichzeitig polemisch. Cannon bekämpfte Illusionen in die kapitalistischen Gerichte, er bestand darauf, dass der Fall eine Frage des Klassenkampfes [ist] und nicht bloß ein außergewöhnlicher Justizirrtum des sogenannten Rechtssystems“.
Wenn man James P. Cannon and the Revolutionary Left liest, ist es unmöglich, nicht die Parallelen zu sehen zwischen der Vendetta des amerikanischen kapitalistischen Staates gegen die beiden immigrierten Anarchisten und seiner gegenwärtigen Entschlossenheit, Mumia Abu-Jamal hinzurichten, MOVE-Unterstützer und früheres Mitglied der Black Panther Party. Der Staat sah in Sacco und Vanzetti ein Symbol für alle, die sich gegen die kapitalistische Herrschaft stellen. Mumia, ein Journalist aus Philadelphia, bekannt als die Stimme der Entrechteten“, wurde zu Unrecht angeklagt, einen Polizisten getötet zu haben, und 1982 in einem Prozess zum Tode verurteilt, der durchtränkt war von Rassismus und Hass auf seine Vergangenheit als Aktivist in der Black Panther Party. Er gilt als Symbol für all diejenigen, die das kapitalistische System von Ausbeutung und Rassenunterdrückung herausfordern wollen.
Und genau wie die ILD die Versuche verschiedener bürgerlicher Liberaler und Gewerkschaftsreformisten, eine klassenkämpferische Politik zur Verteidigung Saccos und Vanzettis zu sabotieren, bekämpfen musste, so musste das PDC diejenigen entlarven, die danach trachten, den Kampf für Mumias Freiheit in die Sackgasse des Vertrauens auf die kapitalistischen Gerichte und Politiker zu lenken und damit zum Scheitern zu bringen. Leider befasst sich Palmer nicht viel damit, wie und wodurch Cannon den Verrat verschiedener Sozialisten, Anarchisten und Liberalen im Fall von Sacco und Vanzetti bloßstellte. Doch er zeigt ausführlich, dass die ILD für die breitest möglichen Einheitsfrontaktionen gegen die drohende Hinrichtung mobilmachte.
Palmer beschreibt, wie der Fall von Sacco und Vanzetti in den 1920er-Jahren Amerikas Seele aufwühlte“. Nicht nur Amerikas Seele, sondern die der ganzen Welt. Zehntausende beteiligten sich im Frühjahr und Sommer 1927 an Protesten in Städten der USA; von Moskau bis Paris gingen Millionen auf die Straße. Als der Tag der Hinrichtung näherrückte, gab es einige sporadische Streiks und andere Arbeiteraktionen. Der bürgerliche Staat war entschlossen, Sacco und Vanzetti wegen ihrer politischen Ansichten hinzurichten. Cannon wusste aus seiner Erfahrung mit der Kampagne für die Freiheit von Big Bill Haywood und Charles Moyer, die 1907 freigesprochen worden waren, dass Massenproteste manchmal die Kräfte der bürgerlichen Reaktion zum Nachgeben zwingen können. Aber trotz einer massiven Protestbewegung richtete der Staat im August 1927 Sacco und Vanzetti hin. Am Trauermarsch in Boston beteiligten sich 100 000 Menschen.
Mit seinem Urteil, Cannon habe mit seiner ILD-Arbeit seinen organisatorischen und journalistischen Höhepunkt“ erreicht, hat Palmer zwar Recht, aber gleichzeitig sieht er Cannons Teilnahme an dieser Massenagitation so, als wäre sie völlig getrennt von seiner Rolle als ein Führer der Workers Party: Die ILD war so etwas wie ein Zwischenspiel von friedlicher Koexistenz in den fraktionellen Bandenkriegen des internen Kampfes in der Workers (Communist) Party Mitte bis Ende der 1920er-Jahre.“ Dieser Behauptung widersprechen die vielen von Palmer selbst erzählten Beispiele dafür, wie die Unterstützer von Ruthenberg-Lovestone versucht haben, die Arbeit der ILD zu unterminieren. Konzipiert und gegründet wurde die ILD in der Zeit eines der intensivsten Fraktionskämpfe, der vom V. EKKI-Plenum im Frühjahr 1925 bis zum Vierten Parteikongress im August desselben Jahres andauerte. Wie die PRL-Einleitung zu James P. Cannon and the Early Years of American Communism feststellt, versuchte Ruthenberg die ILD bereits abzuservieren, bevor sie überhaupt gegründet wurde.
Die Sacco-Vanzetti-Kampagne war im Frühjahr und Sommer 1927 gerade auf ihrem Höhepunkt, als nach Ruthenbergs plötzlichem Tod im März der Fraktionskampf erneut explodierte. Lovestone zog alle Register, um zum Nachfolger Ruthenbergs als Parteisekretär ausgerufen zu werden, und eilte im Mai nach Moskau, um am VIII. Plenum des EKKI teilzunehmen. Da Cannon, Foster und andere Parteiführer gezwungen waren, Lovestone nach Moskau zu folgen, musste die Arbeit der ILD an der Sacco-Vanzetti-Kampagne für eine Weile ohne Cannon weitergehen. Ein wiederbelebter Block von Cannon und Foster bemühte sich, letzten Endes ohne Erfolg, in diesem ganzen Sommer darum, zu verhindern, dass Lovestone beim Fünften Parteikongress im August eine Mehrheit gewann. Trotz Cannons Versuch, den Kongress zu verschieben, fand dieser genau während der letzten großen agitatorischen Anstrengung der ILD gegen die Hinrichtung statt.
Was die ILD erreicht hat, ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass sich Cannon gleichzeitig auf den internen Fraktionskampf konzentrierte. Aber die ILD wurde nur deshalb gegründet und tat ihre Arbeit, weil Cannon einer der wichtigen Führer der Workers Party war, mit seiner eigenen fraktionellen Basis, die in der Lage war, die Verteidigungsarbeit vor fraktionellen Intrigen zu schützen.
Kollektive Führung ist kein Allheilmittel
Gelegentliche Fraktionskämpfe sind zwar äußerst wichtig, um die programmatische Integrität einer leninistischen Partei angesichts des unaufhörlichen Drucks der bürgerlichen Gesellschaft aufrechtzuerhalten, aber der permanente Fraktionskrieg in der amerikanischen Partei war ein Zeichen dafür, dass hier etwas völlig falsch lief. Die Unterschiede in der Herangehensweise zwischen der zum großen Teil gewerkschaftlichen Basis von Foster und den eher aus der Immigration stammenden, ehemaligen Ultralinken der Ruthenberg-Lovestone-Kräfte hätten in einer wirklich leninistischen Partei für gesunde politische Auseinandersetzungen gesorgt. Grundsätzlich waren es weder Differenzen über die reale Parteiarbeit noch Lovestones überhebliche persönliche Ambitionen, die die fraktionellen Spaltungen anheizten, auch wenn beides sicher eine Rolle spielte. Der Kampf in der amerikanischen Partei wurde teilweise durch den Kampf in der russischen Partei und der Komintern angefacht, den Kampf zwischen Trotzkis Linker Opposition (die 1926/27 einen Block mit Kamenjew und Sinowjew einging und die Vereinigte Opposition bildete) und der von Stalin geführten aufstrebenden Bürokratie, die im Eiltempo daran ging, die Sache der proletarischen Weltrevolution aufzugeben.
Palmer charakterisiert die Situation scharfsinnig als die Balkanisierung der amerikanischen Führung“:
Eine geschwächte Mehrheit im Zentralen Exekutivkomitee, wo Ruthenbergs politische Autorität der Hegemonie Fosters in der Gewerkschaftsarbeit entgegengestellt war, wobei Cannon beiseitegeschoben wurde als eine Art Anhängsel beider Seiten (sein Arbeitsfeld der Arbeiterverteidigung hatte notwendigerweise zu diesen auseinanderstrebenden Flügeln Verbindungen, war aber beiden gewissermaßen untergeordnet), befriedigte ohne Zweifel konkurrierende Sektoren der Komintern und passte Stalin sehr gut in sein Programm.“
Stalins Kampf gegen Trotzki hatte große Auswirkungen auf die Situation in der amerikanischen Partei: Einer der Hauptgründe, warum die Komintern 1925 die Foster-Cannon-Mehrheit absetzte, war sicherlich deren Verbindung mit Ludwig Lore, der öffentlich Trotzki verteidigt hatte. Lore, eher ein linker Sozialdemokrat als ein Bolschewik, wurde dann mit Schimpf und Schande aus der Partei ausgestoßen. Die im Allgemeinen rechte politische Stoßrichtung dieses angeblichen Trotzkisten hat möglicherweise unter den Kadern der Workers Party Verwirrung gesät über den wahren Charakter von Trotzkis Kampf in der russischen Partei. Rituelle Denunziationen von Trotzki waren nach 1925 unerlässlich, um Parteiführer in der Komintern zu bleiben. So schreibt Palmer: Alle Fraktionen im Zentralen Exekutivkomitee beeilten sich, Trotzki zu verurteilen; Cannon unterschied sich davon durch seine Weigerung, bei den allgemein üblichen politischen Schmähungen mitzumachen, aber er war doch ein Teil davon.“
Es gibt sicher Anzeichen, dass Cannon einige Zweifel hegte über den Kampf in der russischen Partei. Aber wie er später sagte:
Ich hatte damals Zweifel und war unzufrieden. Natürlich, wenn man keine Verantwortung gegenüber der Partei hat, wenn man einfach nur kommentiert oder beobachtet, dann könnte man einfach seine Zweifel aussprechen und es dabei bewenden lassen. Aber in einer ernsthaften politischen Partei darf man das nicht tun. Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, dann sagst du eben nichts. Das Beste ist dann, zu schweigen.“
—Cannon, History of American Trotskyism
Cannon war zutiefst unglücklich über den permanenten Fraktionskrieg in der Workers Party. Palmer weist darauf hin, dass Cannon, nachdem er 1925 mit Foster gebrochen hatte, für das Primat des Programms über die Fraktion argumentierte und darauf bestand, dass Abstimmungen stattfinden sollten über die politische Hauptlinie, egal wer dafür und wer dagegen ist“. Ende 1926 gelang es Cannon, zwei zentrale Unterstützer von Ruthenberg-Lovestone in New York — Jack Stachel und William Weinstone — für ein Programm zu gewinnen, den Fraktionalismus in der Partei zu beenden. Das war eine vielversprechende Entwicklung. Leider diskutiert Palmer nicht die Anzeichen dafür, dass Cannons Kampagne auf ein Echo bei Ruthenberg stieß, bevor der 1927 verfrüht starb.
Da der Kampf der Parteifraktionen durch die von der Komintern geschürte Hitze weiter am Kochen gehalten wurde, war Cannons Fraktion für das Ende von Fraktionen“ zum Scheitern verurteilt. Palmer beschreibt, wie die Führung der KI die Cannon-Gruppe einfach als lästig zur Seite schob. Nach Ruthenbergs Tod schloss sich Foster der Kampagne von Cannon und Weinstone an, Weinstone zum Generalsekretär der Partei zu machen. Aber die Zustimmung der Komintern erhielt Lovestone, und Weinstone schlüpfte später wieder unter Lovestones Fittiche.
Cannons energische Bemühungen, den Fraktionalismus zu beenden, waren einzigartig in der Parteiführung. Aber kollektive Führung an sich ist kein Allheilmittel. Die Erfahrung der Kommunistischen Partei Kanadas zeigt, dass weder eine kollektive Führung noch die Weigerung, sich dem Anti-Trotzki-Chor der Komintern anzuschließen, eine Garantie für Widerstand gegen die stalinistische Degeneration war. Ian Angus legt in Canadian Bolsheviks ausführlich dar, dass es an der Spitze der Kommunistischen Partei Kanadas (CPC) durchgehend bis 1928 bewundernswerterweise keinerlei permanente Fraktionen gab — tatsächlich gab es überhaupt keinen Fraktionskampf. Seit der Gründung der Partei 1921 arbeitete die kanadische Führung kollektiv, es gab eine Achse um Maurice Spector, Herausgeber des Worker und 192328 nationaler Vorsitzender, und Jack MacDonald, der zuerst nationaler Vorsitzender und dann Parteisekretär war.
Spector ging nach Deutschland, um über die sich entwickelnde Revolution 1923 zu berichten, wo die Kommunistische Partei angesichts der Opposition der linken Sozialdemokraten versagte und sich weigerte, zu versuchen einen Aufstand zu führen, in einer Situation, als sie die Masse der Arbeiterklasse hinter sich hatte. Danach nahm Spector im Januar 1924 an der XIII. Parteikonferenz in Moskau teil, wo die stalinistische Bürokratie ihren entscheidenden Sieg errang. Aufgrund dieser Erfahrungen hegte er wirkliche Zweifel an der Kampagne gegen Trotzki und stimmte später, als er Die Lehren des Oktober las, mit Trotzkis Analyse der deutschen Niederlage überein. Mit Spector als leitendem Redakteur blieb der Worker auffällig schweigsam über die Kampagne gegen Trotzki, die sich das ganze Jahr 1924 hindurch entwickelte. Die übrigen Mitglieder der kanadischen Führung stimmten Spectors Politik zu. Die Partei hielt bis Anfang 1927 eine bemühte Neutralität gegenüber dem Trotzkismus aufrecht, mit der einzigen Ausnahme eines Artikels im Worker vom November 1926, der von dem einzigen aufstrebenden Stalinisten in der kanadischen Führung stammte, von Tim Buck.
Niemand in der kanadischen Führung hatte mit Spector ein fraktionelles Hühnchen zu rupfen; die Partei war klein und folgte in anderen Fragen zuverlässig der Linie der degenerierenden Komintern. Zunächst konnte die kanadische Führung Forderungen nach einer Erklärung gegen die russische Opposition einfach abblitzen lassen. Das änderte sich, nachdem Tim Buck im Herbst 1926 als Delegierter zum VII. EKKI-Plenum nach Moskau gefahren war. Er stimmte nicht nur für die Anträge gegen die Vereinigte Opposition von Trotzki-Sinowjew-Kamenjew, sondern kehrte auch mit dem festen Entschluss zurück, die Frage in Kanada voranzutreiben. Bei einer ZEK-Sitzung im April 1927 stellte Buck einen Antrag, der die russische Opposition verurteilte und das Programm vom Sozialismus in einem Land unterstützte. Der kanadischen Führung war zu diesem Zeitpunkt klar, dass es eine große Konfrontation mit der Komintern bedeuten würde, Bucks Antrag nicht zu unterstützen. Alle stimmten mit Buck, außer Spector. Aber das ZEK lehnte Spectors Angebot, seine Posten aufzugeben, ab und bestand darauf, ihn zu decken (solange er Stillschweigen bewahrte), indem man den Anti-Trotzki-Antrag als einstimmig angenommen darstellte. Diese Farce wurde über ein Jahr lang aufrechterhalten.
Zu diesem Zeitpunkt verstand Spector weit besser als Cannon, wofür die Linke Opposition eintrat, aber er war keineswegs ein Trotzkist. Unter Spector unterstützte die kanadische Zeitung völlig die katastrophale Liquidierung der Kommunistischen Partei Chinas in die Guomindang, was zur Niederlage der Zweiten Chinesischen Revolution 192527 führte. Spector wandte sich dann bei einem amerikanischen ZEK-Plenum im Februar 1928 an Cannon, um gemeinsam ihre Zweifel und Unzufriedenheit zu diskutieren. Danach nahmen beide am VI. Weltkongress der Komintern teil. Beide waren Mitglieder der Programmkommission und erhielten Kopien von zwei Teilen der dreiteiligen schneidenden Kritik am Programmentwurf der Komintern von Trotzki. Aus irgendeinem Grund wurden Übersetzungen dieses richtungweisenden Dokuments Trotzkis an die Kommissionsmitglieder verteilt, allerdings in durchnummerierten Abschriften, die zurückgegeben werden mussten. Spector und Cannon lasen und studierten das Dokument und wurden dadurch völlig überzeugt, besonders durch Trotzkis eingehende Analyse der Niederlage in China. Sie schlossen in Moskau einen Pakt, Trotzkis Kritik hinauszuschmuggeln und zu ihrer jeweiligen Partei zurückzukehren, um dort für das Programm der Linken Opposition zu kämpfen. Beiden gelang es, das Dokument hinauszuschmuggeln. Cannon gewann schließlich etwa 100 Unterstützer, Spector nur eine Handvoll.
Spector hatte vom Kampf der Linken Opposition gegen die Degeneration der Russischen Revolution genug verstanden, um im April 1927 im kanadischen ZEK gegen Sozilismus in einem Land“ zu stimmen. In der kanadischen Partei war es wohlbekannt, dass er an der Kampagne gegen Trotzki Zweifel hatte. Aber er zögerte, schon früher in der KP Kanadas für seine Ansichten zu kämpfen, und das beeinträchtigte wahrscheinlich die Aussichten, eine breitere Schicht von Kadern für den Trotzkismus zu gewinnen. Viele derjenigen, die möglicherweise das Gleiche dachten wie er, waren der Meinung, dass Spectors Sympathien für den Trotzkismus sehr wenig mit der wirklichen Arbeit der kanadischen Partei zu tun hatten. Cannon dagegen wurde recht plötzlich von Trotzkis Ansichten überzeugt, und das stellte die Mitglieder seiner Fraktion vor die Situation, diese Ansichten ernsthaft zu bedenken.
Wichtiger noch, wenn es auch paradox klingt: Die harten Fraktionslinien in der amerikanischen Partei waren zu Cannons Vorteil, die kollektive Führung zu Spectors Nachteil. Fraktionsloyalitäten machten es Cannon möglich, rasch Karsner, Shachtman und Abern zu gewinnen, und bewirkten auch, dass Cannon Zeit hatte, mit anderen, die vielleicht Sympathien hatten, zu reden, bevor er ausgeschlossen wurde. Selbst diejenigen, die die eingeschmuggelte Abschrift der Kritik nicht lesen konnten, neigten dazu, Cannons, Shachtmans und Aberns Ausschluss in Frage zu stellen. Spector hatte in der kanadischen Partei wenig Raum für Manöver, und die kleine Gruppe von Jugendkadern, die er um sich geschart hatte (Angus zufolge hauptsächlich auf Basis persönlicher Beschwerden gegen MacDonald), zeigte nicht nur keinerlei Interesse an der Linken Opposition, sondern wurde zu Gefolgsleuten von Buck. Die Beziehungen zu MacDonald, mit dem Spector sieben Jahre lang am engsten zusammengearbeitet hatte, waren zu diesem Zeitpunkt offensichtlich sehr angespannt. MacDonald schloss sich erst 1932 den Trotzkisten an; erst nachdem er mehr als zwei Jahre lang in der CPC durch die Hölle gegangen war, während die Partei in die Dritte Periode hineinschlitterte und Buck seine Kontrolle festigte, entschied er schließlich, dass er die Nase voll hatte.
Die Trotzkisten in Toronto bildeten ursprünglich eine Ortsgruppe der Organisation, die von Cannon und seinen Unterstützern gegründet wurde, der Communist League of America (CLA). Erst 1934 gründeten die Kanadier ihre eigene nationale Organisation. Spectors Rolle in der CLA, wo er ein Mitglied der gegen Cannon gerichteten Abern-Clique war, wird ausführlich dargestellt im Buch der PRL Dog Days: James P. Cannon vs. Max Shachtman in the Communist League of America, 19311933 [Hundstage: James P. Cannon vs. Max Shachtman in der Communist League of America, 19311933] (Prometheus Research Library, New York, 2002) sowie in Palmers Artikel Maurice Spector, James P. Cannon, and the Origins of Canadian Trotskyism“ [Maurice Spector, James P. Cannon und die Ursprünge des Trotzkismus in Kanada] (Labour/Le Travail Nr. 56, Herbst 2005). Diese Texte liefern Anhaltspunkte für die wahrscheinlichen Schwächen von Spectors Arbeit für die Linke Opposition 1928. Cannons Entwicklung zu einem leninistischen Parteiführer spricht für seine Stärken:
Die CLA entstand aus einer innerhalb der Kommunistischen Partei etablierten Gruppierung, die jahrelange politische Zusammenarbeit und Übereinstimmung hinter sich hatte. Das verlieh ihr eine organisatorische Stabilität und einen politischen Zusammenhalt, die anderen Sektionen der Internationalen Linken Opposition außerhalb der Sowjetunion fehlten. Die meisten anderen Führer aus Parteien der Kommunistischen Internationale kamen zur Linken Opposition erst, nachdem man sie diskreditiert hatte und sie alle ihre Unterstützer verloren hatten. Cannon sticht hervor als einziger, der ausgeschlossen wurde, als er noch Glaubwürdigkeit als Parteiführer hatte und so in der Lage war, andere zu seinem politischen Kurs zu gewinnen.“
—PRL-Einleitung zu James P. Cannon and the Early Years of American Communism
In der Einleitung der PRL wird auch die Frage behandelt, warum Cannon als einziger aus der oberen Führung der amerikanischen Partei zum Trotzkismus gewonnen wurde. Im politischen Profil von Cannons Fraktion gab es Faktoren, die gegen seinen Sprung zur Linken Opposition sprachen: sein enger Gesichtskreis, vornehmlich beschränkt auf amerikanische Fragen; sein Beharren auf der Strategie der Blockbildung mit den Progressiven“ in den Gewerkschaften; seine geringe Aufmerksamkeit gegenüber dem Kampf gegen die besondere Unterdrückung von Schwarzen und Frauen. Gleichzeitig galt aber, so die Einleitung der PRL:
Der Kampf der Cannon-Foster-Fraktion gegen eine Orientierung auf La Follettes Bewegung für eine dritte bürgerliche Partei nach den Wahlen 1924; Cannons Beharren auf der führenden Rolle der Arbeiterklasse in jeglicher Bauern-Arbeiter-Partei; der starke, wenn auch verzerrte, Internationalismus, der Cannons Bruch mit Foster und seine Weigerung, 1925 eine rechte Revolte gegen die Kommunistische Internationale zu führen, motivierte; Cannons Versuch, die aussichtslosen Fraktionskriege zu beenden, die nach 1925 die Partei lähmten und deformierten; seine Bereitschaft, 1928 mit der Anpassung der Partei an die AFL-Gewerkschaften zu brechen: All das versetzte Cannon in die Lage, den Sprung zur Linken Opposition zu machen, als sich diese Möglichkeit bot. Im Unterschied zu den anderen Führern der Workers Party war Cannon durch die korrupte Manöverpolitik innerhalb der degenerierenden Komintern nicht zynisch geworden.“
Die revolutionäre Komintern: der Höhepunkt
Der Aufschwung revolutionärer proletarischer Kämpfe, der gegen Ende des Ersten Weltkriegs nahe dran war, einen Großteil der kapitalistischen Welt zu besiegen, und der seine Zuspitzung fand in der großen Russischen Revolution und der Gründung der Kommunistischen Internationale, stellt den Höhepunkt revolutionären proletarischen Kampfes dar. Das Studium dieser einzigartigen Periode sowie des Programms und der Prinzipien, die durch die ersten vier Weltkongresse der Kommunistischen Internationale etabliert wurden, ist für marxistische Revolutionäre unentbehrlich — und das erst recht heutzutage, inmitten des durchdringenden, unaufhörlichen Propagandageschreis vom Tod des Kommunismus“. Wichtig ist auch das Studium des Prozesses, durch den die Sektionen der Komintern als revolutionäre Organisationen zerstört wurden, obwohl diese Erfahrung nicht einzigartig ist. (Auch die I. und die II. Internationale machten, unter anderen Umständen, einen Prozess der Degeneration durch.) Palmers Biografie des Mannes, der bei dem Kampf, auf amerikanischem Boden eine bolschewistische Partei der Russischen Revolution“ aufzubauen, Pionierarbeit leistete, verdient die Aufmerksamkeit jedes Jugendlichen, der ein schlüssiges Programm, eine Theorie und Organisation sucht, um die Welt zu verändern.
Man kann einige Parallelen ziehen zwischen den 1920er-Jahren und der gegenwärtigen Periode der Reaktion, aber es gibt einen zentralen Unterschied: In den 20ern gab es die Sowjetunion als Vorbild für das Weltproletariat. In jener Periode galten die Sympathien der europäischen Arbeiterklasse überwiegend dem Sozialismus und dem Kommunismus. Die amerikanische Arbeiterklasse war die politisch bei weitem rückständigste in der gesamten industriellen Welt; ihr politisches Bewusstsein stand in keinerlei Verhältnis zu ihrem sozialen Gewicht und ihrer sozialen Macht. Obwohl diesem riesigen Proletariat eine von den bürgerlichen Parteien unabhängige politische Massenpartei fehlte, war es dennoch der Schlüssel zur Zukunft der Menschheit, denn der amerikanische Imperialismus befand sich im Aufstieg zur dominierenden Weltmacht. Die Kommunistische Partei Amerikas hatte in der Komintern eine Bedeutung, die weit über ihre zahlenmäßige Größe hinausging.
Das Missverhältnis zwischen der sozialen Macht und dem politischen Bewusstsein der amerikanischen Arbeiterklasse macht amerikanischen Revolutionären weiterhin Schwierigkeiten. Das Proletariat in den Vereinigten Staaten ist immer noch im Bann der kapitalistischen Demokraten und Republikaner. Aber der amerikanische Imperialismus ist im Niedergang begriffen. Durch die Konterrevolution in der Sowjetunion wurden die Vereinigten Staaten zur gegenwärtig einzigen Supermacht; aber ihre militärische Stärke steht in keinerlei Verhältnis zu ihrem gegenwärtigen ökonomischen Gewicht. Diese Situation kann historisch gesehen nicht einmal mittelfristig von Dauer sein, aber da inzwischen eine derart große Produktionskapazität nach China verlagert worden ist, einem äußerst instabilen deformierten Arbeiterstaat, sind Zukunftsprognosen schwierig. Das im Weltmaßstab verringerte ökonomische Gewicht des US-Proletariats bestimmt nicht automatisch die Rolle, die es in der sozialistischen Weltrevolution spielen wird, die von historischen Entwicklungen abhängt. Die atomar bewaffnete amerikanische Bourgeoisie ist weiterhin der gefährlichste und mächtigste Bulle des imperialistischen Weltsystems.
In jedem Fall ist das Erbe von James P. Cannon heute für Revolutionäre in den USA und auf der ganzen Welt so wichtig wie eh und je. James P. Cannon and the Origins of the American Revolutionary Left, 18901928 ist ein bedeutender Beitrag zur kommunistischen Geschichtsforschung. Das Buch widerlegt all jene, die die eigennützige, gegen Cannon gerichtete Linie geschluckt haben, die Max Shachtman nach seinem Bruch mit Trotzkis Vierter Internationale 1940 auf seinem abschüssigen Weg vom Revisionismus zum Renegatentum propagierte. Shachtman behauptete, Cannon sei nie mehr als ein eingefleischter Jünger von Sinowjew gewesen und seine Erfahrungen in der degenerierenden Kommunistischen Internationale hätten ihn unwiderruflich als Bürokraten geprägt. Diese Cannon-Deutung ist von vorgeblichen Trotzkisten in Britannien, besonders dem verstorbenen Al Richardson und seinen Gesinnungsgenossen bei der Zeitschrift Revolutionary History (RH), mit besonderer Hartnäckigkeit und Vehemenz weitergetragen worden.
Die Leute um RH können eine der Hauptstärken der Cannon-Fraktion überhaupt nicht würdigen: die Abneigung gegen den aufblühenden Opportunismus von Lovestone nach dessen Übernahme der Führung der Workers Party 1925. Nach seinem Ausschluss wurde Lovestone der Führer von Bucharins Rechter Opposition in den USA. Aufgrund dieser Erfahrung war die CLA gegen jeden Versuch gefeit, einen Block der Linken und Rechten“ zu bilden — ein prinzipienloses Manöver, dem auf den Seiten von RH ein hohes Loblied gesungen wird. Der Block der Linken und Rechten“ führte beispielsweise zum Schiffbruch der spanischen Sektion der Linken Opposition unter Andrés Nin (was der Niederlage der Spanischen Revolution 193638 den Weg bahnte), brachte auch den Trotzkismus in Polen zum Scheitern und ruinierte den Aufbau einer trotzkistischen Organisation in Dänemark.
Wir hoffen, dass Palmer für seinen angekündigten zweiten Band der Biografie, der Cannons Zeit als Trotzkist, seine Entwicklung zum erstklassigen leninistischen Parteiführer, behandeln soll, ebenfalls einen Verleger findet.
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