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Spartakist Nummer 177

Mai 2009

1989/90: Eine politische Revolution entwickelt sich in der DDR

Der Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands

Nachfolgend drucken wir in redigierter Form eine Präsentation unseres Genossen Kurt Weiss ab, die sich auf seine Erfahrungen als Kader in der politischen Revolution in der DDR 1989/90 stützt. Sie wurde am 21. Mai 2005 in London auf dem Schulungstag der Spartacist League/Britain, britische Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga, gegeben und wurde im Workers Hammer (Nr. 192, Herbst 2005) veröffentlicht. Der Schulungstag erinnerte an den Kampf der IKL gegen die kapitalistische Konterrevolution in Ostdeutschland und der früheren Sowjetunion in der Periode 1989 bis 1992.

Ich weiß nicht, ob jemand Gelegenheit hatte, die Fernsehberichte aus Moskau über die diesjährigen Feiern am 9. Mai zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu verfolgen, aber ich fand sie obszön. Soldaten der russischen Armee marschierten mit dem Original der Sowjetfahne, die 1945 von einer heroischen Abteilung der Roten Armee auf dem Reichstag gehisst wurde. Die heutige russische Armee ist eine kapitalistische Armee, die nichts gemein hat mit der Roten Armee – der Armee des sowjetischen Arbeiterstaates. Trotzdem wurde diese Sowjetfahne in Moskau vor einer Reihe von imperialistischen Führern zur Schau gestellt, die der Hauptursprung von Massakern, Kriegen und Unterdrückung auf diesem Planeten sind. Dies war das allererste Mal, dass einem deutschen Kanzler die Teilnahme an dieser Feier gestattet wurde; Gerhard Schröder saß mit den Präsidenten Wladimir Putin, George Bush und Jacques Chirac zusammen.

Der 8. Mai sollte ein Feiertag für die Arbeiterklasse und die Unterdrückten sein. Aber die Imperialisten haben ihn heuchlerisch in Beschlag genommen, in Deutschland wird er jetzt „Tag der Demokratie“ genannt. Auf dem Berliner Alexanderplatz, früher das Zentrum von Ostberlin, demonstrierten dieses Jahr deutsche Nazis unter Polizeischutz. Wir nahmen an einer linken Demonstration in Berlin teil mit Plakaten, die darauf hinwiesen, dass Putin in Tschetschenien einen dreckigen Krieg führt, Bush die brutale Besetzung des Irak anführt, Schröder Militär auf dem Balkan und in Afghanistan hat und dass alle sich damit beschäftigen, ihre eigene Arbeiterklasse anzugreifen. Der deutsche Staat versucht gerade, 50 000 Roma zurück in den Kosovo abzuschieben, wo ihnen in der Auseinandersetzung zwischen Serben und Albanern ein sehr gefährliches Schicksal bevorsteht. Als die deutsche SPD/Grünen-Regierung die ersten Truppen zum Einsatz auf dem Balkan mobilisierte, führten Außenminister Joschka Fischer und der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping eine Kampagne zur Rechtfertigung und sagten, der Zweck wäre, ein weiteres Auschwitz zu verhindern. Dieser Vorstoß der deutschen Imperialisten, bei der Neuaufteilung der Welt ganz vorne mitzumischen, ist eine Bedrohung für alle Unterdrückten auf diesem Planeten. Und der Grund, dass dies passiert, ist der Sieg der Konterrevolution vor 15 Jahren.

Die DDR wurde durch die Zerschlagung des Naziregimes gegründet

Unsere damalige Intervention in die DDR und die Sowjetunion war ein entscheidender Test für die Internationale Kommunistische Liga als revolutionäre Organisation und warf ein Licht darauf, wie schändlich all diese pseudotrotzkistischen Organisationen die Konterrevolution und die Zerstörung der Sowjetunion und der deformierten Arbeiterstaaten in Osteuropa unterstützten. Die russische Frage ist wirklich die Frage der Revolution, und wir müssen daraus die Lehren ziehen, um voranzukommen im Kampf für die revolutionäre Befreiung der Arbeiterklasse. Die Schaffung der DDR stand in direkter Verbindung zu gewaltigen Opfern der sowjetischen Bevölkerung. Der Sturz des barbarischen Naziregimes, das verantwortlich war für den Holocaust – in dem sechs Millionen Juden ermordet wurden und auch viele Sinti und Roma, Homosexuelle und andere Menschen – kostete die Sowjetunion etwa 28 Millionen ihrer Bürger. Die imperialistischen Alliierten griffen an der Westfront erst ein, als es galt, schnell nach Berlin vorzustoßen und zu verhindern, dass die Rote Armee ganz Europa übernimmt. Dieser Sieg der Roten Armee erfolgte trotz Stalin, und als die Kreml-Stalinisten mit dem Kalten Krieg konfrontiert wurden, schafften sie in Ostdeutschland das Privateigentum ab und errichteten einen deformierten Arbeiterstaat – die DDR – auf die ihnen eigene bürokratische Art.

Aber es war eine wirkliche soziale Revolution, die eine Ausweitung der vergesellschafteten Eigentumsformen der Sowjetunion nach Ostdeutschland mit sich brachte und die daher sehr polarisierend war. Im Wesentlichen flohen 1945 alle Nazis in den Westen, darunter nicht nur die Industriebosse, sondern auch die reaktionäre Klasse der Junker, die die Basis der Freikorps gestellt hatte (faschistoide paramilitärische Einheiten, die 1919 als brutale konterrevolutionäre Stoßtruppen eingesetzt und später in die reguläre Armee eingegliedert wurden). Unterdessen kamen Auswanderer, Juden und Kommunisten zurück in den befreiten Teil des Landes, darunter Persönlichkeiten wie Markus Wolf, späterer Chef des ostdeutschen Auslandsgeheimdienstes; der Dramaturg Bertolt Brecht; der Schriftsteller Stefan Heym; Ruth Werner, die ein Mitglied der Roten Kapelle (sowjetisches Spionagenetzwerk) gewesen war, und weitere. Erich Honecker, der später Staatschef wurde, war bei Kriegsende in Gestapo-Haft. Mit anderen Worten, Teile der Bürokratie und auch ein großer Teil der Bevölkerung traf eine bewusste politische Entscheidung, dort zu leben, wenn sie es sich aussuchen konnten.

Die Landwirtschaft wurde praktisch sofort kollektiviert. Große Kollektivbetriebe wurden mit Traktoren und anderem Gerät zur gemeinschaftlichen Nutzung ausgestattet. Im Gegensatz dazu flossen in das kapitalistische Westdeutschland erhebliche Gelder der amerikanischen Bourgeoisie. Die CIA baute die deutsche Sozialdemokratie wieder auf, um die Kampfbereitschaft und die sozialistischen Bestrebungen der westdeutschen Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten. Andere Organisationen waren von den alliierten Kräften verboten worden; Gewerkschaften wurden erst später erlaubt und nur unter der Kontrolle der CIA. Bis Anfang der 50er-Jahre waren dann viele Nazis – die Leute, die Hitler finanziert und an die Macht gebracht hatten – wieder im Amt, so die Stahlbarone Krupp und Thyssen oder der frühere SS-Offizier Hanns-Martin Schleyer (der 1977 von Guerillas der Roten Armee Fraktion hingerichtet wurde). Zu der Zeit war er Vorsitzender des Bundes der Deutschen Industrie und Chef von Daimler-Benz. Der Nazi-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann, der unmittelbar für die Organisierung des Massenmordes an Juden verantwortlich war, arbeitete als Elektriker in der argentinischen Niederlassung der Firma.

Der Geheimdienst der Nazis wurde komplett übernommen, und frühere Armeegeneräle wurden eingesetzt, um die westdeutsche Armee für den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion wieder aufzubauen – sie hatten ja offensichtlich einige Erfahrung auf diesem Gebiet. Das meinen wir, wenn wir von der Kontinuität der heutigen herrschenden Klasse Deutschlands mit der Bourgeoisie von Auschwitz reden – das ist konkret, es existiert in Form von Kapital und Privateigentum –, es ist real. Um euch ein anderes kleines Beispiel zu geben: Nach der Konterrevolution in der DDR wurde der äußerst unbeliebte Chef des DDR-Geheimdienstes, Erich Mielke, vom siegreichen deutschen Staat vor Gericht gestellt, weil er 1931 in der Weimarer Republik zwei Bullen getötet habe. Der Hintergrund dazu ist der 1. Mai 1929 in Berlin, bekannt als Blutmai, als Bullen im Arbeiterviertel Wedding über 30 Arbeiter ermordeten. Es wurde behauptet, dass Mielke an der Vergeltung gegen diese Bullen beteiligt war. Indem sie Mielke nach der Konterrevolution den Prozess machte, wollte die deutsche Bourgeoisie wirklich den Punkt machen: Wir haben hier Kontinuität und wir werden dich drankriegen, wenn du unsere Ordnung herausforderst. Wir verteidigten Mielke und sagten, dass er von der falschen Klasse für die falschen Verbrechen angeklagt wurde.

Wir verteidigten die DDR als einen Arbeiterstaat, ohne jegliche Bedingungen, gegen Imperialismus und innere Konterrevolution. Während die DDR existierte, war die deutsche Nation in zwei Staaten geteilt, die sich im Klassencharakter unterschieden. Die geplante Wirtschaft diente nicht Profiten, sondern diente der Produktion von mehr Gütern für die Gesellschaft. Ein sehr einfacher Fakt zum Beispiel ist, dass die DDR eine sehr große Fischereiflotte an der Ostseeküste hatte, die die ganze Bevölkerung mit Fisch versorgte, aber keinen Profit machte. Nach der Konterrevolution brach die Fischereiindustrie über Nacht zusammen und die gesamte Flotte wurde verkauft.

Die Frage der Verteidigung der DDR war extrem kontrovers und wir waren sehr bekannt dafür. Das war eine sehr wichtige Vorbedingung für unsere spätere Intervention in die politische Revolution in der DDR. Berlin war eine Grenze im Kalten Krieg. Die Maoisten riefen dort einerseits „Ho, Ho, Ho Chi Minh!“ und andererseits „Nieder mit der Mauer!“ Wir verteidigten die Mauer als eine defensive Maßnahme der DDR gegen den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft, die verhindern sollte, dass Fachkräfte das Land verlassen. Die Cliff-Unterstützer sagten „weder Washington noch Moskau“; in Berlin hieß das, dass sie versuchten auf der Mauer zu tanzen. Also ist es nicht überraschend, dass ihre Gruppe in Berlin nicht gerade besonders groß war!

Die DDR hatte wohl das fortschrittlichste soziale System auf der Welt: 90 Prozent der Frauen hatten Jobs; es gab ein breites Netz von Kindergärten, das sogenannte „Babyjahr“, in dem man zu Hause bleiben, das Baby aufziehen konnte und trotzdem Lohn erhielt. Es gab Essen in den Schulen und Kindergärten und ein System von Kantinen und Wäschereien zu niedrigen Preisen. Zur gleichen Zeit – und das war ein typischer Widerspruch – bestand die stalinistische Bürokratie darauf, dass die Familie die „Keimzelle des Sozialismus“ sei, was für Frauen bedeutete, dass sie nach ihrer Schicht auf Arbeit noch eine Schicht zu Hause zu leisten hatten. Die Bevölkerung der DDR war zu 95 Prozent atheistisch, weil die materielle Grundlage für Religion unterminiert war. Selbst heute noch beschweren sich führende bürgerliche Zeitungen in Deutschland, dass die Kirche in der ehemaligen DDR keinen großen Fortschritt macht. Studenten an den Universitäten bekamen ihre Kosten vom Staat bezahlt; wenn man schwanger wurde, während man an der Universität war, gab es Kinderbetreuung und man konnte weiter studieren. Die Frage, ob man Kinder haben wollte oder nicht, ob man eins oder zwei haben wollte, war nicht in erster Linie eine Frage der ökonomischen Mittel.

Ein unabhängiges Einkommen, ein sicherer Job und staatlich organisierte Kinderbetreuung erwiesen sich als machtvoller Motor für die Emanzipation der Frau: Ingenieurinnen, Chemiearbeiterinnen oder Kranführerinnen in Stahlwerken waren ganz alltäglich. Das traf auf Jobs allgemein zu – es gab keine Arbeitslosigkeit. Ich erinnere mich daran, als ich einmal in einer Bar in Halle war. Man konnte sich nicht frei aussuchen, zu wem man sich setzt, und wir wurden neben eine Gruppe von Leuten gesetzt, die die ganze Zeit diskutierten, ob sie oder ob sie nicht diesen oder jenen Job nehmen sollen. Ich dachte, mein Gott, sie haben wirklich ganz andere Probleme als wir! Das war ein Vorgeschmack des Potenzials, das existieren würde, wenn es Planwirtschaft auf der ganzen Welt gibt. Von der anderen Seite der Mauer betrachtet, vom Westen aus, gab es ein Sprichwort unter Westgewerkschaftern: Immer wenn es Verhandlungen im Westen zwischen Gewerkschaften und dem Management gab, saß eine „unsichtbare Person“ mit am Verhandlungstisch, gemeint war die DDR. Die westdeutsche Bourgeoisie musste bestimmte Zugeständnisse machen, weil Leute sahen, welche Vorteile im Osten existierten.

Widersprüche eines deformierten Arbeiterstaates

Aber der Staat wurde von einer stalinistischen Bürokratie geführt und es existierten auch reale Widersprüche. Es gab da einen Witz, der euch zeigt, wie die verschiedenen Generationen von Führern gesehen wurden. Die Transsibirische Eisenbahn muss anhalten, weil plötzlich die Gleise zu Ende sind. Was würden die großen sozialistischen Führer tun? Stalin würde den Lokführer erschießen lassen. Breschnjew würde die Gleise hinter dem Zug herausreißen und sie vor dem Zug neu verlegen lassen. So würde der Zug langsam, aber sicher sein Ziel erreichen. Honecker würde alle Genossen aufrufen, auszusteigen und am Zug zu rütteln, so dass die Passagiere den Eindruck hätten, es ginge voran! Der DDR mangelte es an natürlichen Ressourcen. Aber sie entwickelte massiv den Maschinenbau und baute ihre eigene Computerindustrie auf. 1988 überreichte Honecker stolz Gorbatschow den ersten Mikrochip, der in der DDR hergestellt worden war. Aber der Produktionsausstoß der Fließbänder war immer klein und die Produktivität war gering. DDR-Wissenschaftler und -Ingenieure waren gezwungen, alles selbst zu entwickeln und jedes Teil selbst zu produzieren – eine „sozialistische Wirtschaft in einem Land“, die die Ressourcen erschöpfte. Die politische Isolation der DDR vom Hightech-Weltmarkt und der Mangel an realer Arbeitsteilung im bürokratischen RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) machten es noch schlimmer.

Unter diesen Umständen hatten Gorbatschows Perestroika-Reformen gewaltige Auswirkungen. Erdöl, das zu einem sehr geringen Preis in die DDR geliefert worden war – durch die sogenannte „Erdölleitung Freundschaft“ aus der Sowjetunion –, musste plötzlich zu Weltmarktpreisen gekauft werden. Um das zu bezahlen, musste die DDR mehr in den Westen exportieren, was bedeutete, dass weniger Waren in der DDR erhältlich waren. Dies führte zu mehr Unzufriedenheit und die Regierung musste sich mehr von den westdeutschen Bankiers leihen. Im Herbst 89 beliefen sich die Schulden auf 26,5 Milliarden Dollar. Bei einem RGW-Treffen in Sofia im November 1986 machte Gorbatschow klar, dass die Sowjetunion Länder wie Ungarn, Polen, DDR nicht länger subventionieren würde und dass alle ihre Waren zu Weltmarktpreisen verkaufen müssten. 1989 bezeichnete Gennadi Gerasimow, Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, dies als Wechsel von der „Breschnjew-Doktrin“ (dass die „sozialistischen“ Länder sich gegen jegliche kapitalistische Bedrohung vereinen müssten) hin zur „Sinatra-Doktrin“, benannt nach dem Song „I did it my way“ (Ich hab’s auf meine Weise getan). Jeder musste es auf „seine Weise“ tun, was bedeutete, dass die verschiedenen nationalen Bürokratien darum kämpften, „ihre“ jeweilige nationale Wirtschaft am Laufen zu halten, wobei sie mehr und mehr in Abhängigkeit von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und den westlichen Banken gerieten.

Auch in der politischen Arena führte Gorbatschow bedeutende politische Änderungen herbei. 1989 zog er die sowjetischen Truppen aus Afghanistan ab, ein Verrat, der besondere Auswirkungen auf die DDR hatte. Im Sommer 1989 hatte sich Gorbatschow mit dem damaligen westdeutschen Kanzler Helmut Kohl in Bonn getroffen. Zur gleichen Zeit, im Juni 1989, hielt einer von Gorbatschows Beratern für die Deutschland-Politik, W. I. Daschitschew, eine Rede in Köln, in der er erklärte, dass jegliche Verbesserungen in den Beziehungen zwischen Sowjetunion und NATO gravierende Konsequenzen für die „Souveränität“ der DDR haben würden. Als also Honecker später im Sommer Gorbatschow bei einer Tagung des Warschauer Vertrages traf, fragte er ihn: „Wann feuerst du Daschitschew?“ Gorbatschow behauptete, er wisse nicht, wer Daschitschew sei, und sagte, er würde sich an die Verpflichtungen des Warschauer Vertrages halten. Trotzdem gab es zunehmend Befürchtungen von Teilen der Bürokratie in der DDR – und in der Sowjetunion –, dass die DDR als Verhandlungsmasse benutzt werden solle. Viele Leute erinnerten sich, dass Stalin 1952 dem damaligen westdeutschen Kanzler Konrad Adenauer in einem Brief die deutsche Vereinigung angeboten hatte im Austausch dafür, dass Westdeutschland nicht der NATO beiträte.

Das Jahr 1989 war entscheidend für den Warschauer Vertrag. Auch die internationale Planung brach vollständig zusammen, was zu Störungen der Produktion in der DDR und anderen Arbeiterstaaten führte. Die nationalen Rivalitäten zwischen den verschiedenen stalinistischen Bürokratien nahmen zu, und es gab nationalistische Unruhen innerhalb der Sowjetunion. Bürgerkriegsähnliche Situationen existierten im Baltikum und auch in Armenien über die Frage von Nagorny Karabach. In China gab es eine beginnende politische Revolution, die von der chinesischen Armee niedergeschlagen wurde. Und in der DDR herrschte ein allgemeines Gefühl unter Arbeitern und Studenten vor, dass es für „Sozialismus“ in einem halben Land keinen Weg vorwärts gab. Honecker hatte erklärt, dass bis 1990 die Wohnungsfrage in der DDR gelöst sein werde. Geplant war, Millionen neuer Wohnungen zu bauen, und es wurden Hochhäuser aus vorgefertigten Betonplatten errichtet, und sie schafften es tatsächlich. Allerdings wurde dafür die Instandhaltung der bestehenden Gebäude schrecklich vernachlässigt. Es gibt einen Witz darüber, wie Honecker 1988 die dreimillionste Wohnung in Berlin einweiht. Die Funktionäre kommen, man öffnet eine Sektflasche. Doch als der Korken „Plopp“ macht, bringt das im Hintergrund einen Altbau zum Einsturz!

Die sich entwickelnde politische Revolution führte zur Öffnung der Berliner Mauer. Wir intervenierten sofort und brachten unsere tägliche Zeitung Arbeiterpressekorrespondenz (Arprekorr) heraus. Wir konnten nun in den Osten und dort unsere Propaganda verbreiten – aber vorher gab es mit den Grenztruppen Diskussionen über diese Propaganda! Eine unserer Hauptüberschriften war: „Kein Ausverkauf der DDR! Arbeiter- und Soldatenräte, jetzt!“ Wir sahen unsere Zeitung als kollektiven Organisator und als das Hauptwerkzeug, Spartakist-Gruppen aufzubauen. Unser Programm drückte die historischen Bedürfnisse der Arbeiter aus und hatte enorme Auswirkungen. Ein Beispiel: In Rostock gab es eine Demo gegen jeglichen Ausverkauf der DDR. Viele Leute dort waren Mitglieder der SED, aber sie hatten absolut keine Propaganda in den Händen, die ihre Opposition gegen den Ausverkauf zum Ausdruck brachte. Die SED-Zeitung Neues Deutschland war voll mit Nachrichten über Verhandlungen mit dem westdeutschen Kanzler und Versprechungen von Geld, Bankkrediten usw. Als also westliche Kamerateams auftauchten, hielten alle unser Flugblatt hoch, weil es einen Weg aufzeigte, wie man gegen den Ausverkauf kämpfen konnte. Wir riefen zu Arbeiterräten auf und erklärten, dass die Leute, die in den Fabriken arbeiteten, mit entscheiden sollten, was sie produzieren. Wir versuchten, Lehren der Revolution von 1905 in Russland anzuwenden, als Lenin die bolschewistische Partei nach außen wendete, um den politischen Einfluss des Programms in einer revolutionären Situation auszuweiten.

Wir benutzten unsere Presse als kollektiven Organisator und Kristallisationspunkt für die Avantgardepartei; wir gaben Bündel davon jedem Arbeiter oder Studenten, der mit der politischen Linie übereinstimmte und bereit war, sie zu verbreiten. Unsere zweite Erklärung hatte die Überschrift „Was wollen die Spartakisten“. Leute, die damit übereinstimmten, konnten in unsere Gruppen eintreten. Dort stand:

„Verteidigt die historischen Errungenschaften der Arbeiterklasse, die durch den Sturz des Kapitalismus erreicht wurden – verteidigt die Sowjetunion gegen Imperialismus und innere Konterrevolution!

Der enorme wirtschaftliche und politische Druck des westlichen Kapitalismus, mit Hilfe der Sozialdemokraten – Erben der Mörder von Luxemburg und Liebknecht –, hat eine blutige Konterrevolution in Osteuropa zum Ziel. Wir Trotzkisten sind gegen eine kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands. Nein zu einer Republik der Deutschen Bank! Rätemacht in der DDR würde die Arbeiter in Westdeutschland anfeuern – für ein rotes Rätedeutschland im Rahmen der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!“ (Arprekorr Nr. 1, 7. Dezember 1989)

Unsere Arbeit bestand darin, herumzureisen, Gruppen zu treffen, unsere Presse bündelweise zu verbreiten und politische Anleitung zu geben. Diskussionen drehten sich um das, was aktuell passierte: Warum werden Betriebe verkauft, warum tauchen Kapitalisten in den Betrieben auf; wie sollen sich die Arbeiter organisieren? Wir waren nicht bereit, mit irgendwelchen bürokratischen Kräften innerhalb der SED einen Block einzugehen, aber jeder, der bereit war, unsere Literatur zu verbreiten, konnte das tun, auch wenn derjenige Mitglied der SED blieb – im Grunde genommen erlaubten wir eine Art „doppelter Mitgliedschaft“. Wir erklärten Leuten die Traditionen der Linken Opposition, um ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wer wir sind und woher wir kommen. Unser Spartacist (deutsche Ausgabe Nr. 14, Winter 1989/90) „Trotzkismus: Was er nicht ist – und was er ist“ war extrem hilfreich. Manchmal standen Leute Schlange, um ein Exemplar zu bekommen, und man brauchte einen Genossen, der sie verteilte, und einen anderen, um das Geld einzusammeln. Es war wirklich unglaublich – und ein klassisches Beispiel für eine revolutionäre Situation. Kürzlich kam in Magdeburg jemand auf mich zu und sagte, dass er früher unsere Literatur verkauft und an unseren Veranstaltungen teilgenommen hat. Selbst wenn die revolutionäre Welle vorbei ist, bleibt doch die Erinnerung daran.

Leninistischer Volkstribun

Im März 1990 stellten wir Kandidaten für die Volkskammerwahlen in der DDR auf. Da gab es eine kleine neu gegründete Organisation, die sich Kommunistische Partei Deutschlands nannte und behauptete, gegen die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands einzutreten. Aber auf ihrer Konferenz in Frankfurt/Oder stimmte sie für ein Programm, das den Vorschlag des SED-Führers Hans Modrow für eine Konföderation mit Westdeutschland begrüßte und für die Einführung von Marktreformen à la Perestroika argumentierte. Wir hatten eine hitzige Auseinandersetzung mit ihnen und es gab eine Gruppe von Leuten, die zuhörten, dabei war ein älterer Mann, der die Zeitung kaufte. Er war der Kommandeur einer Betriebskampfgruppe bei den großen Leuna-Chemiewerken zwischen Leipzig und Halle, wo etwa 25 000 Arbeiter beschäftigt waren.

Wir gingen mit ihm dorthin und hatten eine wirkliche Diskussion mit ihm und seinen Kollegen im Werk. Bei dieser Versammlung erklärten wir, was eine Übernahme durch westdeutsche Chemiegiganten wie Bayer und Höchst für die Arbeiter dieses Werks bedeuten würde. Wir diskutierten die Tatsache, dass genau dieses Werk (Leuna) der IG Farben gehörte, dem Konzern, der Zyklon B produzierte, das die Nazis für den Massenmord in den Konzentrationslagern einsetzten. Der Konzern wurde 1945 enteignet, aber bei einer Wiedervereinigung würde er seinen ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben werden. Der Betriebskampfgruppen-Kommandeur brach mit der KPD und unterstützte unsere Wahlkampagne für die Volkskammerwahlen und verbreitete unser Material, auch im Leunawerk selbst. Die KPD in der Hallenser Gegend unterstützte uns ebenfalls auf Grund unserer ausdrücklichen Opposition gegen eine kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands.

Um bei diesen Wahlen anzutreten, brauchte man drei Leute, die einen Kandidaten unterstützten. In Halle hatten wir einen Arbeiter aus Leuna, der ein Führer der SED und ein Führer einer Betriebskampfgruppe war; eine Frau, die am Fließband in einer Chemiefabrik arbeitete, der aber die SED-Mitgliedschaft verweigert worden war, weil sie die Bürokraten kritisiert hatte; und wir hatten einen Maschinisten einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Unser Kandidat in der Region war ein Schwarzer mit Rastalocken, ein früherer Führer der örtlichen SED-Jugendorganisation. Dieser Teil Sachsens war für kurze Zeit von US-Truppen besetzt gewesen und er war der Enkel eines schwarzen Soldaten. Als die lokale Presse die verschiedenen Kandidaten aller Parteien vorstellte und wofür sie eintraten, konnte man wirklich den Unterschied zwischen uns und allen anderen sehen. Wir zogen andere Leute an als die anderen Parteien, wir hatten ein anderes Programm und es war klar, dass wir ein „Volkstribun“ waren.

Im Juni 1990 nach der Wahlkampagne hatten wir eine Veranstaltung, bei der ein schwarzer Genosse der Spartacist League/U.S. sprach; mosambikanische Arbeiter nahmen teil und wir diskutierten über Malcolm X und die Bürgerrechtskämpfe in Amerika. Es gab viele ausländische Vertragsarbeiter in der DDR; neben den Mosambikanern stellten Vietnamesen die größte Gruppe. Es gab eine Gruppe Kubaner und natürlich die rund 400 000 Soldaten der Roten Armee. Daher war es extrem wichtig, dass wir von Anfang an Material in ihren Sprachen verteilten. Wir führten eine Kampagne gegen einen Versuch der Modrow-Regierung, ein rassistisches Verbot einzuführen, das sich gegen polnische Kunden in Ostberliner Kaufhallen richtete. Wir verteidigten Immigranten und traten für volle Staatsbürgerrechte für alle ein, die es hierher geschafft hatten und hier bleiben wollten, dies war Teil unseres Verständnisses, dass es für die deutschen Arbeiter lebensnotwendig ist, sich gegen deutschen Nationalismus zu stellen.

Am 1. Januar 1990 führte die Ostberliner Regierung eine Reihe von Änderungen ein, die eine wirkliche Auswirkung auf die Wirtschaft hatten. Die Deutsche Mark wurde nun innerhalb der DDR als Währung akzeptiert, was bedeutete, dass Land, Eigentum und Waren mit westdeutscher Währung gekauft werden konnten. Diese Maßnahme zerstörte, was vom staatlichen Außenhandelsmonopol noch übriggeblieben war. Außerdem erhielten Westdeutsche das Recht, in der DDR zu leben. Etwa zur gleichen Zeit schändeten Faschisten das Ehrenmal für die Soldaten der Roten Armee im Treptower Park in Berlin. Die Nachricht, dass Faschisten das Ehrenmal mit einem Hakenkreuz und der Losung „Russen raus“ beschmiert hatten, elektrisierte die Gesellschaft, denn die DDR war durch die Zerstörung des Nazi-Regimes gegründet worden und es gab Befürchtungen, dass ein Abzug der Roten Armee wieder zu Krieg und einem Aufstieg des Faschismus führen könnte.

Mobilisierung für Treptow

Wir begannen unverzüglich zu mobilisieren, teilten die Stadt in Gebiete auf, deckten die Narva-Leuchtmittel-Fabrik und alle großen Berliner Werke ab. Wir wollten eine Arbeiterbasis für diese Kundgebung mobilisieren, die prosowjetisch und gegen die deutsche Bourgeoisie gerichtet war. Als wir durch die Werke gingen, versuchten die SED-Bürokraten uns im Allgemeinen daran zu hindern und warfen uns vor, wir würden die Produktion unterbrechen und Ähnliches mehr in der Art. Und wir sagten: „Aber wenn wir nicht jetzt die Produktion unterbrechen, dann wird es sehr bald keinen Betrieb mehr geben, also was willst du eigentlich?“ Oft manövrierten wir um sie herum, klopften an die Fabrikfenster, um die Flugblätter rein zu kriegen, und in einem Fall kamen wir durch den Wareneingang rein und sprachen mit den Arbeitern an den Fließbändern, die natürlich ziemlich froh waren, uns zu sehen. Im Großen und Ganzen arbeiteten sie weiter, aber ein Arbeiter nahm das Bündel Flugblätter, packte es auf das Fließband, und so kutschierte es durch den ganzen Betrieb und jeder konnte sich eins nehmen. Arbeiter verstanden, was auf dem Spiel stand, und sie kamen in Massen zu der Demonstration.

Auf der Kundgebung hatten wir zwei Sprecher, die einer Viertelmillion Menschen in einem Arbeiterstaat unsere trotzkistische Perspektive erklärten – das erste Mal, dass Trotzkisten dies taten, seit Trotzkis Linke Opposition aus der Sowjetunion verbannt wurde. Das Treptower Ehrenmal liegt mitten in einem riesigen Park und die Demonstration fand am Abend statt, als es dunkel war. Ich hörte, dass einige Leute hinter den Bäumen provokativ Nazi-Parolen brüllten, und ich schrie in die Menge, dass wir etwa 50 Leute brauchen, die sich darum kümmern. Eine Gruppe Fallschirmjäger kam zu mir rüber und sagte: „Wir stehen zu deiner Verfügung!“ Der Offizier, der sie anführte, wollte in Treptow sprechen, weil er der Führer eines Soldatenrates war. Er sagte: „Komm mit mir“, und wir gingen zur Rückseite des Platzes und bauten eine Verteidigungslinie auf, die sicherstellte, dass es keine Störungen geben würde. Das sagt euch einiges über den Charakter des Staates, weil diese Formationen bewaffneter Menschen ausgebildet worden waren, um kollektivierte Eigentumsformen zu verteidigen, und der Offizier war auf der Demo, weil er genau das tun wollte. Er verstand auch, was eine Rückkehr der Nazis bedeuten würde.

Die Treptower Mobilisierung war der Wendepunkt in der politischen Revolution. Danach gab Gorbatschow grünes Licht für die kapitalistische Wiedervereinigung und der SED-Führer Modrow gab die Losung aus, dass die SED für „Deutschland einig Vaterland“ sei. Die aktiven, fortgeschrittenen Schichten der Arbeiterklasse, die an unseren Kampagnen teilgenommen hatten, fielen zurück in Passivität. Dazu kam, dass das Bewusstsein der Arbeiter unterminiert wurde, weil ihre Fabriken dichtgemacht wurden aufgrund fehlender Rohstoffe, und vor der Vereinigung wurden sie oft nach Hause geschickt, manchmal bei vollem Lohn. Die PDS nahm die Losung „Wir sind ein Volk – 1:1“ an, was hieß, dass eine DDR-Mark wie eine Deutsche Mark behandelt werden sollte. Zu diesem Preis wollten sie den Arbeiterstaat verkaufen. Nach dem Propagandablitzkrieg der bürgerlichen Medien gegen eine Arbeiterklasse, die demoralisiert und von den Stalinisten ausverkauft worden war, gewann die westdeutsche Kapitalistenklasse die Volkskammerwahlen. Das war der entscheidende Schritt zur kapitalistischen Wiedervereinigung Deutschlands.

Es ist sehr wichtig, zu verstehen, dass die IKL die Chance hatte, in einer revolutionären Situation zu intervenieren, und dass wir sie wahrgenommen haben. Die Erfahrung, die unsere Organisation in diesem Kampf gesammelt hat, wird uns in der Zukunft von großem Nutzen sein, denn solche Situationen entwickeln sich sehr schnell und halten häufig nicht lange an. Rosa Luxemburg sagte, dass revolutionäre Situationen sich dadurch auszeichnen, dass das Programm selbst eine materielle Kraft wird. Das war genau unsere Erfahrung: Was immer wir brauchten – Papier, Autos, Räume, Kommunikation –, bekamen wir, indem wir Leute politisch überzeugten, dass sie uns unterstützen sollten. Und wir werden diese Perspektive einsetzen, um das nächste Mal zu gewinnen.

Spartakist Nr. 177

Spartakist Nr. 177

Mai 2009

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USA/Bundeswehr raus aus Afghanistan!

Nieder mit der NATO!

Erklärung der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten)

Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

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Zitat

Tiananmen 1989: Beginnende politische Revolution in China

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Spartakist-Jugend

Volksabstimmung in Berlin: Nein zu „Pro Reli“! Für die Trennung von Kirche und Staat!

Weg mit bürgerlich-christlichem Ethikunterricht!

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Wiedereinsetzung der Todesstrafe droht weiterhin

USA: Rassistisches Oberstes Gericht weist Mumias Antrag ab

Freiheit für Mumia, jetzt!

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Britannien: Nieder mit protektionistischem Gift!

Pseudotrotzkisten: Persilschein für chauvinistische Streiks

Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!

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1989/90: Eine politische Revolution entwickelt sich in der DDR

Der Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands

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Amnestie für alle Demonstranten gegen den NATO-Gipfel!

Freiheit für alle Verhafteten! Weg mit allen Anklagen!

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China

Charta 08: Programm für „demokratische“ Konterrevolution

Verteidigt den bürokratisch deformierten Arbeiterstaat China! Für proletarisch-politische Revolution!