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Spartakist Nummer 202 |
März 2014 |
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Russische Revolution ermöglichte soziale Emanzipation der Roma
Kapitalistische EU: staatliche Verfolgung, faschistischer Terror gegen Roma
Der nachfolgende Artikel erschien zuerst in Workers Vanguard (Nr. 1037, 10. Januar), Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S.
In Ungarn greifen rassistische Schläger die Wohnungen mit Brandbomben an und schießen auf die fliehenden Opfer. In der Tschechischen Republik drohen Neonazi-Sturmabteilungen, sie in Gaskammern zu vernichten. In der Slowakei erschießt ein Bulle außer Dienst, der „Ordnung herstellen“ will, drei von ihnen. In Bulgarien gehen rassistische Angreifer mit Schlagringen auf sie los. In Frankreich wurden im vergangenen Jahr unter der Regierung des sozialistischen Präsidenten François Hollande Tausende von ihnen aus ihren Wohnorten ausgewiesen. In all diesen Fällen haben die Opfer eines gemeinsam: Sie sind Roma. [Im Artikel wird für die vielen Volksgruppen durchgehend „Roma“ als Oberbegriff verwendet. In Deutschland sind auch die Sinti (oder Manouches) eine bedeutende Teilgruppe.]
Auf dem gesamten Kontinent leiden Roma unter steigender Gewalt und Fremdenfeindlichkeit im Kontext der Auswirkungen der kapitalistischen Wirtschaftskrise, die die Länder der Europäischen Union beutelt. Mitte Oktober nahmen griechische Bullen einer Familie ein vierjähriges Mädchen weg und verhafteten seine Eltern unter der Anschuldigung, es entführt zu haben, weil Roma doch unmöglich eine blonde, blauäugige Tochter haben könnten. Einige Tage später taten es ihnen irische Behörden gleich und entrissen zwei hellhäutige Roma-Kinder ihren Eltern. Ermutigt durch die staatliche Verfolgung von Roma und mit dem Rückenwind des offiziellen Rassismus mischten in Serbien faschistische Skinheads mit und versuchten, ein hellhäutiges Roma-Kind zu entführen.
Die rassistische Raserei gegen die geächteten und seit jeher verfolgten Roma, von denen in Europa 10 bis 12 Millionen leben, wurde in den vergangenen Monaten von linken wie rechten Regierungen drastisch befeuert, um die Wut der Arbeiter vom kapitalistischen Klassenfeind abzulenken. Wir Trotzkisten von der Internationalen Kommunistischen Liga waren immer Gegner der EU, einem imperialistischen Handelsblock, der gegründet wurde, um die Ausbeutung und Verelendung der Arbeiter und Unterdrückten, darunter Millionen europäischer Immigranten, unter der Vorherrschaft des deutschen wie auch des französischen und britischen Kapitals voranzutreiben.
Obwohl der Gesetzesrahmen der EU das Schengener Abkommen von 1985 beinhaltet, das angeblich Bewohnern der Mitgliedsstaaten Freizügigkeit gewährt, hat die kapitalistische „Festung Europa“ die Repression gegenüber Immigranten zunehmend verstärkt und das Recht auf Asyl weitgehend ausgehöhlt. Als 2007 Rumänien und Bulgarien der EU beitraten, wurde ihren Bürgern, darunter viele Roma, untersagt, in Deutschland, Frankreich und Britannien eine Arbeit anzunehmen. Zwar wurde dieses Verbot nun offiziell aufgehoben, doch zeigt die von der konservativ-liberaldemokratischen Koalitionsregierung in Britannien gegen rumänische und bulgarische Immigranten geschürte Raserei, dass sie auch weiterhin von einer Ecke Europas in die andere gehetzt werden.
Wie unsere Genossen von der Ligue trotskyste de France in einem Flugblatt erklärten („A bas les expulsions racistes! Pleins droits de citoyenneté pour tous les immigrés! [Nieder mit rassistischen Abschiebungen! Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!], Le Bolchévik-Extrablatt, 29. Oktober):
„In einer vorkapitalistischen Wirtschaft hatten die Roma als Handwerker, Hausierer und Künstler ihr Auskommen in einer wirtschaftlichen Nische. Mit der Entwicklung des Kapitalismus wurden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt und misshandelt, was schließlich in der Vernichtung Hunderttausender Roma durch die Nazis gipfelte. Die Wahrheit ist, dass der niedergehende Kapitalismus, zumal in Perioden der Krise, unfähig ist, die Roma zu ,integrieren‘.“
Europas Roma-Bevölkerungen bilden keine einheitliche Nation auf der Grundlage eines zusammenhängenden Territoriums oder auch nur einer gemeinsamen Sprache. Ihre Rolle ähnelt in mancher Hinsicht der Stellung der europäischen Juden in der Feudalgesellschaft, die in ihrer wirtschaftlichen Rolle als Kaufleute und Geldverleiher eine „Volksklasse“ darstellten, wie es der Trotzkist Abraham Léon analysiert hatte. Die Roma wurden gesellschaftlich noch stärker ausgegrenzt, aber beide teilen eine lange Leidensgeschichte aus brutaler Diskriminierung und hasserfüllten Anfeindungen.
Bei unserer Verteidigung der Roma gegen den kapitalistischen Staat und faschistische Banden wollen wir die Arbeiterklasse dafür mobilisieren, die Anerkennung ihrer Sprachen, Dialekte und ihrer Kultur zu fordern; sich für das Recht sowohl der umherziehenden als auch der sesshaften Roma auf Gleichbehandlung bei Bildung, Wohnungssuche und Arbeitsplatz einzusetzen; und volle Staatsbürgerrechte für Roma zu fordern, wo auch immer sie leben. Letztendlich wird nur eine sozialistische Revolution die vollständige, freiwillige Assimilierung der Roma in die europäische Gesellschaft mit vollen und gleichen Rechten ermöglichen. Dies war die Perspektive der von den Bolschewiki geführten russischen Oktoberrevolution von 1917.
Die Aussicht auf Emanzipation
Wanderungsbewegungen von Roma in das Gebiet der späteren Sowjetunion fanden zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte statt. Im zehnten Jahrhundert begann ein Roma-Volk, bekannt als die Liuli, in ein später zum Zarenreich gehörendes Gebiet Zentralasiens einzuwandern, um muslimischen Angriffen in seinem Ursprungsland Nordindien zu entgehen. Im frühen 15. Jahrhundert zogen Roma in die Ukraine. Später im gleichen Jahrhundert zwang Verfolgung in Deutschland die Roma, nach Polen und Litauen auszuwandern, wo polnische Amtsträger ihre Ausweisung verlangten. Russland annektierte diese Gebiete im 18. Jahrhundert.
Alexander W. Germano, der führende Roma-Schriftsteller und -Intellektuelle der Sowjetunion, umriss in einem Werk von 1931 mit dem Titel Zygane Wtschera i Segodnja [Zigeuner gestern und heute] die Geschichte der europäischen Roma als blutige Chronik von Verfolgung und Entfremdung. Roma wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, gehenkt, abgeschlachtet und ins Exil getrieben. Da Dörfler und Amtsträger sie zu einem zeitweisen Leben am Ortsrand verbannten, verfestigte sich das Nomadentum als Lebensweise. Herabgesetzt auf den Status von Parias, wurden viele Roma in die Sklaverei oder Leibeigenschaft gezwungen, was kulturelle Rückständigkeit und politische Ausgrenzung zur Folge hatte.
Im zaristischen Russland litten Roma unter Polizeimaßnahmen und diskriminierenden Gesetzen. Mitte des 18. Jahrhunderts erließ Kaiserin Elisabeth eine Verfügung, die es Roma verbot, die Hauptstadt St. Petersburg und Umgebung zu betreten. 1783 versuchte der Senat zu verhindern, dass Roma von einem Grundherren zum anderen ziehen. In der Folge verfügte er, dass umherziehende Roma überwacht und in ihre ursprünglichen Bezirke zurückgeschickt werden sollten.
Einigen russischen Roma gelang es, zu relativem Wohlstand und stabilen Verhältnissen zu gelangen, denn sie gehörten Roma-Chören an, die beim Adel beliebt waren, bis diese Klasse dann von der Russischen Revolution zerschlagen wurde. Trotzdem gingen die letzten Jahre der zaristischen Autokratie auch mit zunehmender Unterdrückung der Roma einher. Zum Beispiel trafen 1906 das Zarenregime und einige andere europäische Regierungen ein Abkommen mit Preußen, nomadisch lebende Roma-Bevölkerungen zu verfolgen.
Die Bolschewiki, die verstanden, dass die kapitalistischen herrschenden Klassen Rassismus und Nationalismus anstacheln, um Arbeiter unterschiedlicher Herkunft zu spalten und zu schwächen und so ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, widersetzten sich unbeugsam Antisemitismus und jeglicher nationalen, religiösen und ethnischen Unterdrückung. Die kurz nach der Oktoberrevolution verabschiedete „Deklaration der Rechte der Völker Russlands“ verkündete „das Recht der Völker Russlands auf freie Selbstbestimmung“ und die „Abschaffung aller und jeglicher nationalen und national-religiösen Privilegien und Beschränkungen“. Mit der Deklaration verpflichtete sich der Arbeiterstaat zur „freien Entwicklung der nationalen Minderheiten und ethnographischen Gruppen, die das Territorium Russlands bevölkern“.
Im Geiste des bolschewistischen Programms des Kampfes gegen nationalen Chauvinismus und der Einigung der Arbeiter aller Länder gegen das kapitalistisch-imperialistische System unternahm der frühe Sowjetstaat heroische Anstrengungen, den Roma-Völkern Fortschritt, Modernität und Freiheit zu bringen. Wie der Historiker David M. Crowe in A History of the Gypsies of Eastern Europe and Russia [Eine Geschichte der Zigeuner Osteuropas und Russlands] (1994) feststellte:
„In den 1920er-Jahren begann in Osteuropa und Russland so etwas wie eine Roma-Renaissance aufzukommen, als Roma-Intellektuelle darum kämpften, in den neuen Nationen für die Roma eine Nische zu schaffen. Obgleich ihre Bemühungen, Organisationen zu schaffen und Werke auf Romani zu veröffentlichen, bewundernswert sind, waren sie durch Unerfahrenheit und mangelnde finanzielle Hilfe wie auch durch jahrhundertealte Vorurteile und Gleichgültigkeit beeinträchtigt. Die bemerkenswertesten, dauerhaftesten Errungenschaften für Roma gab es im neuen sowjetrussischen Staat.“
Zwar konnten die Roma in Sowjetrussland Fortschritte erreichen, die in der kapitalistischen Welt unvorstellbar waren, doch diese wurden unter der stalinistischen Bürokratie, die 1923/24 die politische Macht an sich riss, dann auch begrenzt und teilweise rückgängig gemacht. Die Bolschewiki unter W. I. Lenin und Leo Trotzki hatten die Gleichheit aller Nationen und Sprachen als Teil des Programms für sozialistische Weltrevolution auf ihre Fahnen geschrieben, doch das Regime Stalins war zunehmend durch großrussischen Chauvinismus gekennzeichnet und propagierte das nationalistische, antimarxistische Dogma vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“. Schon 1922 hatte Stalins Übergriff auf die nationalen Rechte der Georgier Lenin dazu veranlasst, sich für seine Ablösung vom Posten des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei auszusprechen.
Man muss aber verstehen, dass die Sowjetunion trotz der politischen Konterrevolution ein Arbeiterstaat geblieben war. Die kollektivierte Planwirtschaft hatte trotz ihrer Entstellung durch die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie und des ungeheuren Drucks, den die feindlichen imperialistischen Mächte auf sie ausübten, enormen sozialen Fortschritt für die Sowjetvölker gebracht, insbesondere für die eher in der Entwicklung zurückliegenden wie in Zentralasien. In seiner bahnbrechenden Analyse der Sowjetunion unter Stalin, Verratene Revolution (1936), stellte Trotzki fest:
„Allerdings leistet die Sowjetbürokratie auf dem Gebiet der nationalen Politik wie auf dem der Wirtschaft auch weiterhin eine gewisse progressive Arbeit, wenn sie auch mit maßlosen Unkosten verbunden ist. Dies bezieht sich vor allem auf die zurückgebliebenen Völkerschaften der Union, die notwendigerweise eine mehr oder weniger lange Periode der Übernahme, Nachahmung und Verarbeitung des woanders schon Vorhandenen durchmachen müssen.“
Der Kampf um Aufklärung
In den Jahren nach der bolschewistischen Revolution machten die Roma wirklich große substanzielle Fortschritte, von Kampagnen zur Sesshaftwerdung über die Unterrichtung von Roma-Kindern in ihrer eigenen Sprache bis hin zur Schaffung lebendiger kultureller Institutionen. Eine der wichtigen Katalysatoren bei dieser sozialen Umwandlung war eine Gruppe von Roma-Aktivisten, deren Bemühungen in einem neuen Buch der Assistenzprofessorin am Brooklyn College Brigid O’Keeffe dokumentiert sind (New Soviet Gypsies: Nationality, Performance and Selfhood in the Early Soviet Union [Neue Sowjet-Roma: Nationalität, Auftreten und persönliches Selbstverständnis in der frühen Sowjetunion], 2013). Diese kämpferischen Jugendlichen, Nachfahren der vorrevolutionären Romani-Intelligenz Moskaus, die aus den Roma-Chören hervorgegangen war, wurden von der revolutionären Leidenschaft mitgerissen, die das Leben im frühen Sowjetrussland durchdrang.
Ein prominenter Anführer dieser Arbeit war I. I. Rom-Lebedew, der 1923 in Moskau zusammen mit seinen Freunden eine Roma-Zelle des Kommunistischen Jugendverbandes (Komsomol) organisierte, um Aufklärung zu fördern und Wahrsagerei, Bettelei und andere mit produktiver Arbeit unvereinbare Praktiken zu bekämpfen. Mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft schufen die Jugendlichen im Petrowski-Park eine rote Ecke voller Bücher und Zeitschriften, um die Roma zu bewussten Sowjetbürgern zu machen. Ein Jahr später beteiligten sich die Komsomol-Genossen an der Gründung eines Aktionskomitees der Gründungsmitglieder der Proletarischen Zigeuner-Gesellschaft, darunter drei Aktivisten, die in der Roten Armee gedient hatten, drei Mitglieder der Kommunistischen Partei und drei Komsomolzen.
Im Juli 1925 bekam das Aktionskomitee vom Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) die Erlaubnis, eine „Allrussische Zigeuner-Union“ (ARZU) zu gründen. Innerhalb eines Jahres nach ihrer Gründung war der Einfluss der ARZU weit über das Moskauer Gebiet hinausgewachsen und führte zur Gründung von Ortsgruppen in Leningrad, Tschernigow, Wladimir und Smolensk. Derweil gingen beim Moskauer Ortsverband der ARZU, der Anfang 1926 nach eigenen Angaben 330 Mitglieder hatte, jede Menge Briefe von Roma aus der ganzen Sowjetunion ein.
Die erste Roma-Kolchose der Sowjetunion wurde 1925 in der Nähe von Rostow gegründet, von einer Gruppe von Roma, die während des Bürgerkriegs die Rote Armee mit Pferden versorgt hatte. Bald darauf gründete die ARZU in Zusammenarbeit mit dem Volkskommissariat für Landwirtschaft und der Nationalitätenabteilung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees die „Kommission für die Ansiedlung werktätiger Zigeuner“ mit dem Ziel, Roma zur Abkehr vom Nomadentum zu ermuntern. Und schnell begannen sich Roma auf dem Land anzusiedeln, das jede Sowjetrepublik dafür bereitgestellt hatte. Zwischen 1926 und 1928 ließen sich schätzungsweise 5000 Roma auf Bauernhöfen der Krim, der Ukraine und des Nordkaukasus nieder. Die Gesamt-Romabevölkerung wurde auf eine Größenordnung irgendwo zwischen 61 000 und 200 000 geschätzt, einschließlich der nomadisch lebenden und anderer sesshaft lebender Roma in den Städten und deren Randgebieten.
Trotz der Bemühungen des Staates und der kämpferischen Aktivisten weigerten sich viele Roma, sich auf Staatsland niederzulassen. Die Masse der Roma, die sehr vereinzelt lebten und großenteils Analphabeten waren, misstrauten auch der Obrigkeit, da sie jahrhundertelang unter brutaler Unterdrückung und Ächtung gelitten hatten. Ganz ähnlich den Kommunistinnen, die sich den Schleier überzogen, um unter den Frauen des muslimischen Ostens die Botschaft der Bolschewiki von der Emanzipation zu verbreiten, gingen Aktivisten der Zigeunerunion unter die Roma, um sie zu überzeugen. Ein Plakat auf Russisch und Romani erläuterte die sowjetischen Bemühungen, die Minderheitenvölker des ehemaligen Reiches aus der Rückständigkeit zu befreien. Während die Zaren, so das Plakat, die Nomaden unterdrückt und in Unwissenheit und Ausgrenzung gefangen gehalten hatten, würden nomadische Stämme nun mit Hilfe der Sowjetmacht „beginnen, auf Land zu siedeln, um Ackerbau zu treiben. Sie haben ihr eigenes Land, ihren eigenen Bauernhof, eigene Wälder, Dörfer, ihre eigenen Schulen.“
Tatsächlich erzielten die Roma gerade auf dem Gebiet der Bildung einige ihrer beeindruckendsten Fortschritte. Ein Erlass des Volkskommissariats für Aufklärung (Narkompros) vom 31. Oktober 1918 mit dem Titel „Über Nationale-Minderheiten-Schulen“ erklärte, dass Roma, wie alle sowjetischen Nationalitäten, ein Recht auf Unterricht in ihrer Muttersprache hatten. Im Januar 1926 wurden in Moskau in bestehenden russischen Grundschulen die ersten romanisprachigen Klassen eingerichtet. Schüler wurden in Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, handwerklichen Fähigkeiten, Musik, Leibeserziehung, Geschichte und Staatsbürgerkunde unterrichtet, und man bemühte sich, Alphabetisierungszentren für Erwachsene einzurichten. Auch auf Kolchosen, wo sich Roma niedergelassen hatten, sollten romanisprachige Schulen errichtet werden.
Lehrer gingen auch beherzt daran, ein weiteres Fach zu unterrichten: Hygiene. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Klassenzimmers wurde Roma-Kindern und ihren Eltern die Bedeutung des Waschens, Zähneputzens und Haarekämmens beigebracht. Das Moskauer Bildungsministerium war beunruhigt darüber, wie häufig bei Roma-Kindern Unterernährung und Krankheiten wie Anämie, Tuberkulose und Typhus auftraten. Doch die Vernachlässigung grundlegender Hygiene war keineswegs nur auf die Roma beschränkt; sie spiegelte die im frühen Sowjetrussland vorherrschende Not und Unwissenheit in einer überwiegend bäuerlichen Gesellschaft wider, die jahrhundertealte Rückständigkeit ererbt hatte.
Aus Mangel an romanisprechenden Lehrern oder wenigstens einem Romani-Alphabet wurden die Schüler anfangs auf Russisch unterrichtet. Um solche Hürden zu überwinden, führten Aktivisten der Zigeunerunion zusammen mit einem Sprachwissenschaftler der Moskauer Staatsuniversität eine Kampagne zur Schaffung eines Romani-Alphabets und einer Vereinheitlichung der Sprache an. Ein Erlass des Narkompros vom Mai 1927 verfügte, dass das neue Alphabet die in einigen Punkten modifizierte kyrillische Schrift zur Grundlage haben sollte – ein Bruch mit der früheren sowjetischen Praxis, neue Alphabete, wie z. B. das turkmenische, auf Grundlage der lateinischen Schrift zu entwickeln.
Bald kamen die ersten romanisprachigen Lehrbücher heraus. Im November erschien erstmals eine Zeitschrift auf Romani, Romany Sorja (Romani-Morgenröte), gefolgt von Newo Drom (Neuer Weg), einem Lesebuch für Erwachsene. Die erste Romani-Grammatik für den Schulgebrauch, Zyganskii Jasyk (Die Romasprache) erschien 1931, und ein 10 000 Wörter umfassendes Romani-Russisch-Wörterbuch wurde Ende der 1930er-Jahre veröffentlicht. O’Keeffe stellt fest: „Obwohl fast alle frühen sowjetischen Romani-Bildungsinitiativen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Erliegen kamen, waren schon viele Romani-Schüler aus dem praktischen und politischen Unterricht, den sie Ende der 1920er- und in den 1930er-Jahren erhalten hatten, als gebildete, integrierte Sowjetbürger hervorgegangen.“
Mit dem Kampf für die Bildung der Roma gingen die Bemühungen einher, Roma in die Arbeiterklasse zu integrieren, was zur Einrichtung mehrerer Artels (Kooperativen) in Moskau führte. 1931 gab es in der Hauptstadt 28 Roma-Artels, die 1350 Arbeiter beschäftigten. Ganz wichtig: Zwei der frühesten und erfolgreichsten, Zygschimprom (Roma-Chemieproduktion) und Zygpischtscheprom (Roma-Nahrungsmittelproduktion) beschäftigten nicht nur Roma. Bei Zygpischtscheprom arbeiteten Roma mit Arbeitern wenigstens elf anderer Nationalitäten zusammen.
Trotz des moderaten Fortschritts wuchs im Rat der Volkskommissare und anderen leitenden Sowjetgremien Skepsis an der „Zigeunerunion“. Im März 1927 führte die Arbeiter- und Bauerninspektion der Moskauer Kontrollkommission einen unangemeldeten Kontrollbesuch bei der ARZU durch und zog den Schluss, dass deren Führung überwiegend aus Geschäftemachern, Bühnendarstellern und Büroangestellten und ihre Mitgliedschaft zu einem Großteil aus Spekulanten auf dem Pferdemarkt und anderen nicht-proletarischen Elementen bestünde. Daraufhin protestierten Führer der Zigeunerunion, ihre Arbeit sei von skeptischen, intoleranten und misstrauischen Staatsbeamten behindert worden.
Als die ARZU im Februar 1928 aufgelöst wurde, erklärte das NKWD, sie habe es versäumt, konkrete Maßnahmen zum Kampf gegen „Wahrsagerei, Bettelei, Glücksspiel, Trunkenheit und andere Besonderheiten der Romabevölkerung“ umzusetzen. Abgesehen von der Tatsache, dass solche sozialen Übel ganz und gar keine „Besonderheiten der Romabevölkerung“ waren, würde deren Ausmerzung auch unter den besten materiellen Bedingungen Jahre des Kampfes brauchen, geschweige denn unter den rückständigen Bedingungen, die damals in Sowjetrussland vorherrschten. Trotz der Auflösung der ARZU spielten ihre Mitglieder weiterhin eine führende Rolle im Sowjetleben und trugen zum kulturellen Erwachen der Roma in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren bei.
Zurücknahme der Roma-Rechte
Die Roma blieben von den massiven sozialen Verwerfungen, die den Ende der 1920er-Jahre eingeführten ersten Fünfjahresplan und die Kampagne zur Zwangskollektivierung der Landwirtschaft begleiteten, nicht verschont. Trotzki und die Linke Opposition hatten für eine geplante Industrialisierung und eine freiwillige landwirtschaftliche Kollektivierung zur Stärkung der sozialisierten Wirtschaft der UdSSR gekämpft, aber das Regime Stalins und Nikolai Bucharins ermunterte die Kulaken (reiche Bauern), sich zu bereichern. 1928 war dann das wachsende Selbstbewusstsein der Kulaken zu einem Dolch an der Kehle des Arbeiterstaates geworden, wie ihr Getreideboykott gegen die Städte zeigte, der die Gefahr einer Hungersnot heraufbeschwor. Nun wandte sich die Bürokratie abrupt gegen die Kulaken. Der Sowjetstaat, der bis dahin keine der technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür geschaffen hatte, ging mit der Stalin eigenen Brutalität dazu über, die Bauern zu kollektivieren und ein abenteuerliches Industrialisierungstempo vorzulegen. Diese Wende beseitigte die unmittelbare Bedrohung durch eine kapitalistische Restauration in der UdSSR.
Inmitten des nachfolgenden Chaos flohen Tausende Roma in die ohnehin schon überfüllten städtischen Zentren. Unter ihnen waren viele Vlach-Roma, ein Volk, das Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aus Rumänien und dem österreich-ungarischen Reich nach Russland eingewandert war. Im Gegensatz zu den relativ etablierten Russka-Roma sprachen die Vlach-Roma oft kein Russisch. Sie hatten keine andere Wahl, als sich in Zeltstädten am Moskauer Stadtrand niederzulassen, und wurden von den Behörden als „Fremde“ angesehen. Vom 28. Juni bis zum 9. Juli 1933 trieb die Geheimpolizei in Moskau 1008 Romani-Familien zusammen – insgesamt 5470 Menschen – und deportierte sie in westsibirische Arbeitskolonien.
Solche Deportationen gingen einher mit Angriffen auf das Recht der Roma, in ihrer eigenen Sprache unterrichtet zu werden. 1932 hatten im Moskauer Zentralinstitut zur Förderung qualifizierter Unterrichtskader (ZIPKKNO) die ersten Lehrerausbildungskurse für Romani begonnen. Acht Monate später machten 15 Romani-Studenten ihren Abschluss und warteten auf ihre Anstellung an Schulen, die über das gesamte riesige Sowjetgebiet verteilt waren. Doch bald begannen einige der Studenten über Diskriminierung bei der Einstellung zu klagen. Daraufhin beendete das ZIPKKNO das Programm. Weitere Fälle von Diskriminierung und Protesten von Roma-Studenten folgten. Schließlich gab das Regime im Januar 1938 den Erlass „Über die Abschaffung von Nationalitätenschulen und Nationalitätenabteilungen in Schulen“ heraus, der dem Unterricht auf Romani ein Ende setzte. Der Erlass bedeutete auch das Ende für Schulunterricht auf Assyrisch, Estnisch, Finnisch, Polnisch, Chinesisch und in einigen anderen Sprachen.
Zu dieser Zeit legte die Bürokratie zunehmend den ihrer Doktrin vom „Sozialismus in einem Lande“ innewohnenden Nationalismus an den Tag. Nachdem in Deutschland die Nazis zur Macht aufgestiegen waren und für die Sowjetunion eine unmittelbare Bedrohung darstellten, nahmen die Stalinisten 1935 die Politik der Volksfront an und wiesen die Kommunistischen Parteien an, „fortschrittliche“ kapitalistische Regierungen, die der UdSSR angeblich wohlgesonnen waren, politisch zu unterstützen und ihnen manchmal sogar beizutreten. Die ausdrückliche Absage der Stalinisten an die Notwendigkeit von Arbeiterrevolutionen im Ausland, um die proletarische Herrschaft auf die wirtschaftlich fortgeschrittenen kapitalistischen Länder ausweiten, ging Hand in Hand mit der Annahme eines ekelhaften Nationalismus im eigenen Land, den die Bolschewiki von Anfang an strikt zurückgewiesen hatten.
Die Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Imperialismus konnte den Arbeiterstaat gegenüber seinen Klassenfeinden nur schwächen. Als Deutschland im Juni 1941 in die Sowjetunion einmarschierte, stand die bloße Existenz des Arbeiterstaats auf dem Spiel. Die Trotzkisten stellten sich im Krieg gegen alle imperialistischen Mächte, aber sie riefen das sowjetische Proletariat und die Arbeiter aller Länder dazu auf, die Sowjetunion in der Stunde der Gefahr zu verteidigen. Derweil bezeichnete das stalinistische Regime den militärischen Kampf der UdSSR in einer Verbeugung vor dem russischen Nationalismus als Großen Vaterländischen Krieg.
Schätzungsweise 30 000 bis 35 000 sowjetische Roma wurden von den Nazi-Invasoren während des Porajmos (Holocaust an den Roma) abgeschlachtet. Sowjetische Roma trugen ihren Teil dazu bei, die faschistische Geißel zu bekämpfen und schließlich zu besiegen. Das Theater Romen, erstes professionelles Roma-Theater weltweit, veranstaltete Vorstellungen für die Rote Armee, und einige Mitglieder seiner Truppe wurden Soldaten. Roma gehörten auch sowjetischen Partisaneneinheiten in Weißrussland und der Ukraine an, was die Befehlshaber der Feldpolizei der deutschen Armee dazu veranlasste, die schonungslose Hinrichtung von Romagruppen zu befehlen, die der Unterstützung von Partisanen verdächtigt wurden.
Trotz der bürokratischen Herrschaft erreichten die sowjetischen Roma in den Jahren nach dem Krieg ein hohes Niveau der Assimilierung und kulturellen Entwicklung. David Crowe zitiert die Beobachtung des Roma-Gelehrten Lajko Tscherenkow Anfang der 1970er-Jahre:
„Man findet heutzutage in der UdSSR kaum einen Rom, der nicht lesen und schreiben kann, während dies vor dem Krieg in gewissen Gruppen, zum Beispiel denen in Bessarabien, keiner konnte. Der Großteil der jungen Generation beendet heute die achte oder die zehnte Klasse, und in Städten kann man in dieser Hinsicht zwischen Roma und anderen Nationalitäten keinen Unterschied ausmachen.“
Osteuropäische Roma unter dem Stalinismus: Integration ganz unten
Der Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland schuf die Grundlage für den Sturz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Osteuropa und Ostdeutschland. Bis 1948 waren mittels der Sowjetstreitkräfte und der einheimischen Kommunistischen Parteien deformierte Arbeiterstaaten nach dem wirtschaftlichen und politischen Vorbild von Stalins Sowjetunion entstanden. Ausnahme war der jugoslawische deformierte Arbeiterstaat, der aus dem Sieg von Marschall Titos Partisanen hervorging. Die Zerstörung kapitalistischer Herrschaft in diesen Staaten brachte den Roma-Bevölkerungen bedeutende Errungenschaften. Doch ihre Behandlung durch die herrschenden Bürokratien war uneinheitlich und widersprüchlich und unterschied sich von Land zu Land.
Vor der Machtergreifung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPČ) im Februar 1948 hatten Regierungsminister strenge und restriktive Maßnahmen gegen die Roma gefordert. Die KPČ hingegen erklärte, ihr Endziel sei es, die Roma in die übrige Bevölkerung zu integrieren und ihr wirtschaftliches, soziales und kulturelles Niveau auf das der Slawen anzuheben. Das neue Regime der Kommunisten warf den kapitalistischen Vorgängerregierungen zu Recht vor, den niedrigen sozialen und wirtschaftlichen Status der Roma verfestigt zu haben, unternahm aber anfangs nur zögerliche Schritte, um ihr Los zu verbessern und sie in die Arbeiterschaft und die Gesellschaft im Allgemeinen zu integrieren. 1958 erließ die Regierung ein Gesetz, das Nomaden mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren bedrohte, während sie gleichzeitig rassistischen Fanatismus gegenüber Roma verurteilte.
Ein Kampf gegen das Nomadentum war zwar notwendig, doch die KPČ-Bürokratie führte ihn wie ihre Brüder in Moskau durch bürokratische Erlasse anstatt durch freiwillige Assimilation. Dabei sollte man trotzdem die erheblichen Errungenschaften der Roma nicht aus den Augen verlieren. Das KPČ-Regime stellte fest, dass 67 Prozent der 153 000 Menschen zählenden Romabevölkerung der Slowakei in menschenunwürdigen Siedlungen lebten, und startete 1965 ein Programm, die minderwertigen Behausungen abzureißen, Roma in wohlhabenderen tschechischen Landstrichen anzusiedeln und ihnen Beihilfen und Kredite für den Kauf neuer Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Die Umsiedlungspolitik wurde in den 1970er-Jahren fortgesetzt und bewirkte eine dramatische Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma. 1980 wohnten 70 Prozent der Roma in Wohnungen, und der Anteil derer, die in untauglichen Behausungen lebten, war von 80 Prozent ein Jahrzehnt zuvor auf 49 Prozent zurückgegangen.
Auch auf dem Gebiet der Bildung wurden Fortschritte erzielt. Zwischen 1971 und 1980 stieg der Anteil an Roma-Kindern, die eine öffentliche Schule absolvierten, von 16,6 auf 25,6 Prozent, und die Zahl der Roma, die eine Hochschule oder Universität besuchten, von 39 auf 191. Im selben Zeitraum schnellte die Alphabetisierungsrate bei Erwachsenen auf 90 Prozent. Inzwischen arbeiteten Anfang der 1980er-Jahre mehr als vier Fünftel der Roma in der Industrie.
Doch solche Errungenschaften hatten ihren Preis. Das Umsiedlungsprogramm war finanziell unzureichend ausgestattet und begünstigte in den tschechischen Gebieten zunehmende Feindseligkeit gegenüber den Roma-Neuankömmlingen. Dann entfachte 1972 die Regierung Gustav Husaks rassistische Stimmungen durch einen Erlass, der Roma-Frauen aufforderte, sich sterilisieren zu lassen. Vorwand für diese zynische und abscheuliche Kampagne war die angeblich „ungesunde“ Größe der Roma-Bevölkerung. Obgleich die tschechoslowakischen Roma eine der größten Roma-Gruppen in Osteuropa darstellten, machten sie 1980 weniger als 2 Prozent der Landesbevölkerung aus.
Das überwiegend ländliche Rumänien, das verglichen mit der relativ industrialisierten Tschechoslowakei zurückgebliebener und bettelarm war und vor dem Krieg nur eine winzige Kommunistische Partei hatte, war seinen Roma-Bürgern gegenüber weit weniger freundlich. Schon im 12. Jahrhundert begannen Roma in die späteren Donaufürstentümer Walachei und Moldau einzuwandern, die schließlich ein Gebiet des modernen Rumänien werden sollten. Ende des 14. Jahrhunderts waren Romafamilien von örtlichen Klöstern versklavt worden: der Beginn eines Jahrhunderte andauernden Abstiegs in die Sklaverei, der erst 1864 endete. Obwohl sich nach der Emanzipation das Leben verbesserte, blieben die Roma bettelarme Parias, von Bojaren-Gutsbesitzern unterdrückt und von den schwer bedrängten Bauern böse angeschaut. Die Roma litten unter der Gleichgültigkeit der Regierung und fielen offen rassistischem Terror zum Opfer. 1941 rief der Diktator Ion Antonescu zur Vernichtung der nationalen Minderheiten auf. Als Verbündeter von Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg beaufsichtigte er das Abschlachten Zehntausender Roma, viele von ihnen Opfer der faschistischen Eisernen Garde.
Unter dem stalinistischen Führer Gheorghe Gheorghiu-Dej versprach Rumänien, die Rechte der Nationalitäten des Landes hinsichtlich Bildung, Sprache und Kultur zu achten. Doch Bildung war für weite Teile der Roma-Bevölkerung trotz ihrer zunehmenden Verstädterung nur schwer erreichbar. Zwar waren 1956 etwa 43 Prozent der Roma im Alter von über acht Jahren in Grundschulen eingeschrieben, doch nur wenige besuchten einen über dieses Niveau hinausreichenden Unterricht. Bis 1966 hatte nur ein rumänischer Rom eine Universität besucht!
In den 1950er- und 1960er-Jahren ergriff das Gheorghiu-Dej-Regime einige Maßnahmen gegen die hohe Analphabetenrate unter Roma. Eine Untersuchung von 1983 unter der Regierung Nicolae Ceausescus ging weiter und definierte Ziele zur Abhilfe der vielen Probleme, von denen die Roma-Bevölkerung geplagt wurde: von Analphabetismus, schlechten Wohnverhältnissen, Arbeitslosigkeit und Kriminalität bis zu mangelnder Hygiene, hoher Kindersterblichkeit und der weiten Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, Typhus und Tuberkulose. Ein besonderes Gesetz betonte die Notwendigkeit, für Roma beim Bau und in der Landwirtschaft Arbeitsplätze zu finden, und verfügte, dass die Behörden sie beim Bau von Wohnstätten unterstützen sollten. Doch unter dem verrückten Ceausescu, der sich durch seine Unabhängigkeit gegenüber dem Kreml den Beifall der USA und anderer imperialistischer Mächte erworben hatte, beraubte das Regime den Staat der Ressourcen, die für Wohnungsbau, Bildung und Sozialleistungen für Roma benötigt wurden, und gab stattdessen Milliarden aus, um Schulden des Landes bei ausländischen Bankiers zu bezahlen.
Als die Werktätigen Rumäniens mit zunehmender Verarmung zu kämpfen hatten, suhlten sich die Stalinisten in rumänischem Nationalismus, was vor allem für die Roma und die ungarische Minderheit böse Folgen hatte. 1966 erließ die Regierung ein Dekret, das Frauen unter 45 Jahren, die noch nicht vier Kinder vorweisen konnten, Abtreibungen verbot – ein besonderer Schlag gegen die ärmsten und größten Familien. 1989 kam ans Licht, dass aufgrund dieser widerwärtigen Politik die Waisenhäuser mit über 100 000 Kindern überfüllt waren, darunter überproportional viele Roma. Ceausescus Regime führte auch Zwangsumsiedlungen durch. Das betraf zwar vor allem die ungarische Bevölkerung, führte aber auch zur Zerstörung ganzer Roma-Wohnviertel, wobei deren Einwohner gewaltsam in große Wohnblöcke, häufig in städtischen Ghettogegenden, umgesiedelt wurden.
Wie der ungarische Roma-Experte István Kemény bemerkte, waren die Roma Anfang der 1970er-Jahre in gewissem Sinne integriert, aber „ganz unten in der sozialen Hierarchie“ (zitiert in Crowe, A History of the Gypsies of Eastern Europe and Russia). Diese Aussage beschreibt mehr oder weniger die Stellung der Roma in allen degenerierten und deformierten Arbeiterstaaten recht treffend.
Konterrevolution: Katastrophe
für Arbeiter und Minderheiten
Angesichts materieller Knappheit und wirtschaftlicher Verwerfungen scheiterten die sporadischen und widersprüchlichen Bemühungen der stalinistischen Regime, die Roma zu assimilieren und ein Klima der vollen Gleichberechtigung zu fördern. Diese schlechten Bedingungen wiederum hatten ihre Ursache im relativ niedrigen Produktivitätsniveau der bürokratisch regierten Arbeiterstaaten und in ihrer feindlichen Umzingelung durch wirtschaftlich mächtigere imperialistische Länder. Als 1989–92 die tödliche Krise des Stalinismus in Ost- und Mitteleuropa eintrat, kämpften wir von der Internationalen Kommunistischen Liga mit all unseren Kräften und Ressourcen für die Schmiedung revolutionärer Parteien, die notwendig waren, um den Kampf gegen die kapitalistische Konterrevolution und für eine proletarisch-politische Revolution gegen die sich auflösenden Bürokratien zu gewinnen. Doch die Arbeiter, deren Bewusstsein durch jahrzehntelange stalinistische Misswirtschaft und Machtmissbrauch vergiftet war, stellten sich nicht entschlossen gegen die Konterrevolution, was zum Sturz dieser Arbeiterstaaten führte.
Bei unseren Interventionen in die Ereignisse in Ostdeutschland und der Sowjetunion warnten wir wiederholt davor, dass die Restauration des Kapitalismus den ganzen alten Dreck sozialer Reaktion gegen Frauen, Juden, Immigranten, ethnische Minderheiten und unterdrückte Nationalitäten zurückbringen würde. 1990 begannen faschistische Skinheads Roma und vietnamesische Immigranten in der Tschechoslowakei ins Visier zu nehmen. In Rumänien waren nach dem Sturz und der Hinrichtung Ceausescus im Dezember 1989 Pogrome gegen Roma an der Tagesordnung. Die Roma Rumäniens wurden in Anlehnung an Hitlers Wüten gegen die Juden als „gesellschaftliches Geschwür“ und „Abschaum der Gesellschaft“ bezeichnet, und Regierung und Medien waren dabei Vorreiter.
Ohne revolutionäre Führung waren viele Arbeiter für solches Gift empfänglich. In „East Europe: Reaction and Resistance“ [Osteuropa: Reaktion und Widerstand] (Workers Vanguard Nr. 505, 29. Juni 1990) berichteten wir von einer Massenmobilisierung rumänischer Bergarbeiter, die in Bukarest mit Konterrevolutionären kurzen Prozess machten, wonach einige Arbeiter, von giftigem Rassismus infiziert, Roma-Wohnviertel angriffen.
Vom Balkan bis zum Baltikum und in Russland selbst erreichte die nationalistische Flut, die zur Zerstörung der Arbeiterstaaten beigetragen hatte, im Gefolge der Niederlage einen blutigen Höchststand. Überall wurden die Roma verfolgt und angegriffen und mussten flüchten, um ihr Leben zu retten. So schrieb Isabel Fonseca in ihrem Buch Begrabt mich aufrecht. Auf den Spuren der Zigeuner (1996): „Die einschneidendste Veränderung für die Zigeuner in Mittel- und Osteuropa seit den Revolutionen von 1989 war die drastische Eskalation von Hass und Gewalt gegen sie. Allein in Rumänien hat es über fünfunddreißig schwere Angriffe auf Siedlungen gegeben, hauptsächlich in abgelegenen, ländlichen Gebieten und meistens in Form von Brandstiftung und Schlägen.“ Es verwundert nicht, dass einige Roma, mit denen Fonseca 1991 in der Stadt Constanza sprach, auf das Leben unter Ceausecscu wohlwollend zurückblickten.
Die Welle der Gewalt in Verbindung mit der bitteren Armut trieb Zehntausende zur Flucht nach Deutschland. Kaum angekommen, wurden die verzweifelten Roma von grölenden Neonazi-Banden angegriffen, die unter den Augen der Polizei ihre Unterkünfte niederbrannten. Im September 1990 unterzeichnete dann die Regierung des wiedervereinigten kapitalistischen Deutschlands mit Rumänien ein Abkommen zur Abschiebung von Rumänen – vornehmlich Roma – in ihr Herkunftsland.
In dem Artikel „Fourth Reich Racism Targets Immigrants – Stop Persecution of Gypsies!“ [Rassismus des Vierten Reichs hat Immigranten im Visier – Schluss mit der Verfolgung der Roma!] in Women and Revolution Nr. 38 (Winter 1990/91) schlugen wir Alarm, dass die Roma „aus Furcht um ihr Leben aus Osteuropa flüchten“. Der Artikel fährt fort:
„Sie sind die allerersten Opfer der Flut des allseitigen mörderischen Rassismus, der mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime und dem Absturz in eine unkontrollierte Marktwirtschaft über Osteuropa hereinbricht. Bürgerliche Ideologen bejubeln den ,Tod des Kommunismus‘, doch mit der Rückkehr kapitalistischer Ausbeutung ist auch der ganze nationalistische, antisemitische, antikommunistische mörderische Abschaum wieder aufgetaucht, der die Region vor dem Sieg der Roten Armee 1945 beherrscht hatte.“
Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
Die IKL kämpfte bis zuletzt für die Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution gegen kapitalistische Restauration. Dagegen überschlugen sich so gut wie alle unsere linken Opponenten geradezu dabei, die Kräfte der Konterrevolution im Namen von „Demokratie“, „Freiheit“ oder „nationaler Unabhängigkeit“ zu unterstützen. Heute beklagen einige dieser Gruppen, dass die Roma im Europa nach der Konterrevolution schlecht behandelt werden. Ein Beispiel ist die Sozialistische Alternative (SAV), deutsche Sektion von Peter Taaffes Komitee für eine Arbeiterinternationale (KAI), dem in den USA die Socialist Alternative angehört. Im zweiten Teil eines Artikels zu den Roma in sozialismus.info (4. Februar 2013) schreibt die SAV über die Periode unmittelbar nach der kapitalistischen Restauration in Osteuropa:
„Roma waren meist die ersten die entlassen wurden, da sie meist schlechter ausgebildet waren und hatten die niedrigeren Bildungsabschlüsse. Von den Segnungen des Kapitalismus bekamen die meisten Roma nichts ab und wurden damit zu den ersten und größten Verlierern der Wende. Daher wandten sich viele wieder notgedrungen und verstärkt ihren Familienstrukturen zu. Das es Roma gibt, die sich mit Müll sammeln oder Kriminalität über Wasser halten müssen, ist nicht ihre Schuld. Nein, es ist die Schuld des kapitalistischen Wirtschaftssystems, welches sich unfähig zeigt ihnen einen angemessenen Lebensstandard zu sichern.“ [Rechtschreibung wie im Original]
Angesichts dieser hehren Weisheiten würde nie jemand auf die Idee kommen, dass der russische Ableger des KAI 1991 auf Boris Jelzins Barrikaden stand, als dieser von den USA unterstützte Konterrevolutionär den letzten, entscheidenden Schlag gegen den Arbeiterstaat führte, der einst aus der Oktoberrevolution hervorgegangen war. Man erfährt auch nicht, dass Sektionen des KAI dabei mithalfen, die Flammen des rassistischen Fanatismus auf ihrem eigenen Terrain anzufachen. 2009 spielten die britischen Taaffe-Anhänger eine prominente Rolle bei einem reaktionären Bauarbeiterstreik an der Lindsey-Ölraffinerie gegen die Anstellung von Arbeitern aus anderen EU-Ländern. Das Gift der damaligen Streiklosung „britische Jobs für britische Arbeiter“ richtet sich nun vor allem gegen bulgarische und rumänische Immigranten, darunter viele Roma.
Wie unsere Genossen der Spartacist League/Britain berichteten („EU Austerity Fuels Racism: Irish State Abductions of Roma Children“ [EU-Austerität facht Rassismus an: Irischer Staat verschleppt Roma-Kinder], Workers Hammer Nr. 225, Winter 2013/2014), endeten am 1. Januar die vormaligen Arbeitsrestriktionen für bulgarische und rumänische Staatsbürger in Britannien, das sie als EU-Bürger ohne Visum besuchen konnten. Als dieser Stichtag nahte, peitschte die Tory-geführte Regierung jede Menge Maßnahmen durch, um die Rechte von Bulgaren und Rumänen auf Beantragung von Arbeitslosen- und Wohngeld zu beschneiden. Die Labour Party, auf deren Mist die Arbeitsrestriktionen gewachsen waren, entgegnete, dass diese Maßnahmen zu spät kämen!
Die Herrscher der EU-Schwergewichte Deutschland und Frankreich und solcher abhängigen Länder wie Griechenland, die unter den Diktaten der imperialistischen Bankiers ächzen, benutzen Roma und andere verzweifelte Immigranten als Sündenböcke für Massenarbeitslosigkeit, Austerität, Armut und andere Übel, die das kapitalistische System selbst hervorbringt. Nur der Sturz der kapitalistischen Herrschaft durch Arbeiterevolution kann den Kontinent von diesen Übeln befreien und den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, in denen alle Völker frei und gleichberechtigt sind, den Weg ebnen.
Um dieses Ziel zu erreichen, kämpft die IKL für den Aufbau revolutionärer internationalistischer Arbeiterparteien, deren Aufgabe es ist, das Bewusstsein im Proletariat zu verankern, dass es der historische Totengräber des kapitalistischen Systems ist. Wie Lenin in Was tun? (1902) schrieb, müssen revolutionäre Sozialisten „der Volkstribun sein …, der es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen …, um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen“. Heute, wo bösartige staatliche Repression und pogromistische Angriffe über Europa hinwegfegen, ist die Verteidigung von Roma und allen Immigranten eine ganz zentrale, unmittelbare Aufgabe der Arbeiterbewegung.
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