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Spartakist Nummer 202

März 2014

Hamburg: „Gefahrenzone“ nach Protesten gestoppt

Nieder mit Polizeirepression gegen Linke und Immigranten!

Die „Gefahrenzone“, die die Polizei vom 4. bis 13. Januar über mehrere Stadtteile Hamburgs verhängte, führte zu fast 1000 willkürlichen Personenkontrollen: Es gab über 200 Aufenthaltsverbote und Platzverweise, 66 Personen wurden in Gewahrsam genommen und fünf verhaftet. Bereits im Oktober kam es immer wieder zu gezielten Personenkontrollen und Verhaftungen von Menschen schwarzer Hautfarbe auf der Reeperbahn und an anderen Orten (taz, 17. Oktober 2013). So sollten die Flüchtlinge schikaniert werden, die wegen des imperialistischen Kriegs gegen Libyen auf die Mittelmeerinsel Lampedusa geflohen waren und von italienischen Behörden mit EU-Visa ausgestattet wurden. Denn seit bald einem Jahr kämpfen diese Flüchtlinge für ein Recht auf Arbeit und Wohnraum sowie Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung – Dinge, die ihnen vom SPD-Senat verwehrt werden.

Wie so oft, war auch hier der Angriff auf die demokratischen Rechte der verwundbarsten Teile der Gesellschaft nur der erste Schritt. Unter dem Vorwand eines erfundenen autonomen „Überfalls“ auf die Davidwache in St. Pauli und einer Straßenschlacht, die durch Polizeiübergriffe auf eine Demo zur Verteidigung des linken Kulturzentrums „Rote Flora“ herbeigeführt wurde, richtete sich die Einrichtung der „Gefahrenzone“ ganz offen gegen die organisierte Linke. Trotz weitgehender politischer Differenzen mit Autonomen und Anarchisten sehen wir als marxistische Revolutionäre es als unsere Pflicht an, sie gegen die Repression des bürgerlichen Staates zu verteidigen. Im Gegensatz dazu kritisierte die pseudotrotzkistische Studentengruppe „Waffen der Kritik“ (verbunden mit der Revolutionären Internationalistischen Organisation) in ihrer gleichnamigen Zeitschrift (Ausgabe Wintersemester 2013/14) die Polizei dafür, am 21. Dezember „nicht etwa gegen einzelne Provokateur*innen, sondern gegen die Demo als ganzes mit Knüppeln, Tränengas und Wasserwerfern“ vorgegangen zu sein! Tatsächlich sind die kapitalistischen Verhältnisse die Provokation, nicht linke Militante, die versuchen sie zu bekämpfen.

Was für eine Hexenjagd hier stattgefunden hat, zeigt sich schon an der „Ausbeute“ an Gegenständen, die bei den knapp 1000 Polizeikontrollen eingezogen wurden: Abgesehen von einer geringen Anzahl von Pyrotechnik und einer Handvoll Selbstverteidigungswaffen wie Pfefferspray handelte es sich um Alltagsgegenstände, von Schals bis zu Petersilie! Breite Empörung und Proteste führten dazu, dass die auf unbestimmte Zeit errichtete Zone bereits nach wenigen Tagen wieder aufgehoben werden musste. Stattdessen hat der Senat die Polizei aber mit weiteren 10 Millionen Euro ausgestattet, damit sie in Zukunft ihre „Arbeit“ noch effektiver machen kann: Immigranten abschieben, Linke terrorisieren und Streiks brechen. Darüberhinaus sind die unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenhandels permanent eingerichteten „Gefahrenzonen“ am Hauptbahnhof, auf der Reeperbahn, in St. Georg, die in erster Linie auf Immigranten abzielen, weiterhin in Kraft.

Nachfolgend drucken wir das leicht redigierte Protestflugblatt unserer Hamburger Genossen gegen die „Gefahrenzone“ vom 7. Januar ab.

* * * * *

Seit dem vergangenen Wochenende ist ein Großteil des Hamburger Stadtgebiets zur „Gefahrenzone“ erklärt. Mit diesem rechtlichen Konstrukt „zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ zur Hand, kontrollierte die Hamburger Polizei allein bis Montagabend mit 11/2 Hundertschaften innerhalb des Gebiets über 600 Personen, erteilte rund 130 Aufenthaltsverbote und verhaftete über 40 Demonstranten, die spontan gegen die Einrichtung der „Gefahrenzone“ protestierten. Diese Vendetta, mit der die Polizei gezielt versucht, gegen „relevante Personengruppen“, sprich Linke und Immigranten, vorzugehen und sie einzuschüchtern, ist ein offener Angriff auf grundlegende Rechte wie die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht und der vorläufige Höhepunkt einer Reihe brutaler Übergriffe seitens der Polizei. Über Monate hinweg steigerte sie sukzessive die Provokationen gegen soziale Proteste in dieser Stadt. Jetzt nutzt sie Lügenmärchen über einen angeblich geplanten Angriff auf die Davidwache auf St. Pauli, bei dem Polizisten verletzt worden sein sollen, als Vorwand für diese neueste Eskalation. Mittlerweile musste sie einräumen, dass dieser angebliche Angriff gar nicht so stattfand wie behauptet. Keine Anklagen gegen linke Demonstranten! Nieder mit den Bürgerkriegsmanövern der Hamburger Polizei! Verteidigt das Demonstrationsrecht!

Der Verhängung als „Gefahrenzone“ ging ein massiver Angriff der Polizei gegen die über 10 000 Teilnehmer einer international mobilisierten Demonstration zur Verteidigung der „Roten Flora“, einem linken Kulturzentrum, gegen die Wohnungspolitik des Hamburger Senats und für die Rechte der sich in der Stadt befindlichen Lampedusa-Flüchtlinge am 21. Dezember vergangenen Jahres voraus. Die Demonstranten, die bereits im Vorfeld durch die Ankündigung massiver Polizeipräsenz eingeschüchtert werden sollten, kamen auf der weiträumig abgeriegelten Route keine 30 Meter weit: Kaum hatte sich die Demo in Bewegung gesetzt, wurde sie für aufgelöst erklärt und die Teilnehmer durch über 3000 Polizisten, die zu diesem Zweck aus allen Teilen der Republik herbeigeschafft worden waren, stundenlang eingekesselt. Die Polizei ging mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray vor und verletzte über 500 Demonstranten, 20 davon schwer. Während der Demonstration wurden 320 Demonstranten in Gewahrsam genommen, 21 Demonstranten wurden festgenommen, 16 wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs, bis auf einen wurden angeblich alle wieder auf freien Fuß gesetzt. Freiheit für alle linken Demonstranten! Sofortige Einstellung aller Verfahren!

Der Demonstration am 21. Dezember ging eine Reihe anderer Proteste gegen den staatlichen Rassismus gegen schwarze Flüchtlinge voraus, die ebenfalls stark von der Polizei bedrängt wurden. Dadurch sollte den Flüchtlingen und ihren Unterstützern ein Denkzettel verpasst werden, und die jetzige Vendetta ist die Antwort des Staates auf Proteste gegen die Politik des SPD-Senats, von denen es in den letzten Monaten ungewöhnlich viele und große gegeben hat.

Die jetzigen Ereignisse sind eine Gefahr nicht nur für Linke und Immigranten, sondern für die gesamte in Hamburg arbeitende Bevölkerung. In dem Maß, in dem der Staat heute Gewalt gegen Immigranten und linke Demonstrierende steigert, wird er morgen „Recht und Ordnung“ gegen Arbeiter durchsetzen, die ihre Streikpostenketten verteidigen. Er tat dies schon oft genug, wie vergangenen Winter, als die Polizei die Neupack-Streikposten gewaltsam auflöste, oder wie beim süddeutschen Infineon-Streik 2005, bei dem Arbeiter von Zivilpolizisten mit vorgehaltener Waffe bedroht wurden. Darum ist es ein ureigenes Interesse der Arbeiter, diejenigen, die jetzt den Knüppel zu spüren bekommen haben, gegen Repression zu verteidigen und ihre Gewerkschaften zu diesem Zweck zu mobilisieren!

Der Hamburger SPD-Senat, der in der Drangsalierung der Bevölkerung dieser Stadt eine über vierzigjährige Expertise vorzuweisen hat und direkt für die Polizeibrutalität verantwortlich ist, hetzte gemeinsam mit anderen Vertretern des bürgerlichen Staats und den bürgerlichen Medien nach der Demo gegen linke Demonstranten, indem er die Opfer der Ausschreitungen zum Sündenbock machte und sie als „gewaltbereite Randalierer“ brandmarkte. Innensenator Michael Neumann (SPD) geiferte: „Es ist nun an der Justiz, deutlich zu machen, dass es keine Akzeptanz für gewalttätige Straftäter gibt.“ Ähnlich wurde aus CDU-Kreisen nach Strafmaßnahmen wie dem Entzug der Fahrerlaubnis oder einem erschwerten Zugang zum Abitur oder Hochschulabschluss verlangt. Die sogenannte „Gewerkschaft“ der Polizei, ein vom Korpsgeist der Polizei erfüllter Verein für die Abdeckung jeder Art von Polizeigewalt, forderte den Einsatz von potenziell tödlichen Tasern und stellte möglichen Schusswaffengebrauch für den zukünftigen Umgang mit Demonstranten zur Diskussion.

Die über mehrere Monate aufgeheizte Stimmung machte es für jeden, der es sehen wollte, klar, dass der SPD-Senat seine Polizei am 21. Dezember gegen Linke von der Leine lassen würde. Es spricht Bände über ihr Streben nach Respektabilität, dass die Linkspartei Demonstranten, die sich verteidigen, mit der Polizei auf eine Stufe stellte, indem sie sich in vorauseilendem Gehorsam an einer gemeinsamen Erklärung aller Bürgerschaftsfraktionen vor der Demonstration am 21. Dezember beteiligte, die „jede Anwendung von Gewalt“ ächtete. Da die Linkspartei den Staat verwalten will, beschönigt sie Hamburg in dieser Erklärung als eine „weltoffene Metropole mit einer ausgeprägten Willkommenskultur“. Ein Hohn angesichts der Realität tagtäglicher rassistischer Unterdrückung. Die Linkspartei hat das Eiapopeia über die angeblich klassenübergreifende „Demokratie“, in der es „kein politisch oder moralisch motiviertes Recht zur Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung“ gebe, bis zum letzten Tropfen aufgesogen, und dies ist die Grundlage ihres reformistischen politischen Programms als bürgerliche Arbeiterpartei. Dieses Programm predigt die Lüge, dass durch bessere Gesetze das kapitalistische System grundlegend den Interessen der Unterdrückten dienen könnte und nicht der Kapitalismus als die Wurzel des Übels angepackt werden müsste. Daher versucht die Linkspartei, die Wut über diesen rassistischen Staat in Richtung Parlamentarismus zu lenken. Entsprechend übte zwar Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, in ihrer Reaktion auf die Demonstration Kritik an der Polizei für ihre Gewaltanwendung, nicht aber ohne darauf zu verweisen, es bestehe die „Aufgabe als Teil der Legislative darin, die Exekutive, also die Polizei, zu kontrollieren“ und erneut zu betonen, dass es für die „Gewalteskalation aufseiten von Demonstranten … keine Rechtfertigung“ gebe.

Während wir energisch gegen alle Angriffe auf demokratische Rechte protestieren, wissen wir, dass die bürgerliche Demokratie ausschließlich Demokratie für die herrschende Kapitalistenklasse bedeutet. Wir halten es mit Lenin, Führer der Russischen Revolution:

„In der kapitalistischen Gesellschaft, ihre günstigste Entwicklung vorausgesetzt, haben wir in der demokratischen Republik einen mehr oder weniger vollständigen Demokratismus. Dieser Demokratismus ist jedoch durch den engen Rahmen der kapitalistischen Ausbeutung stets eingeengt und bleibt daher im Grunde genommen stets ein Demokratismus für die Minderheit, nur für die besitzenden Klassen, nur für die Reichen. Die Freiheit der kapitalistischen Gesellschaft bleibt immer ungefähr die gleiche, die sie in den antiken griechischen Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter.“ (Staat und Revolution, 1917)

Die Angriffe auf die Demonstrationen, die gerade stattgefunden haben, zeigen aufs anschaulichste, dass dies im kapitalistischen System eine elementare Wahrheit ist. Die Polizei ist Bestandteil der Institutionen, die sich auf bewaffnete Machtausübung basieren – wie auch Militär, Gerichte und Gefängnisse – und den Kern des kapitalistischen Staates darstellen. Der bürgerliche Staat hat den Zweck, unter Zuhilfenahme organisierter Gewalt die politische Herrschaft, das Privateigentum und die globalen Interessen einer winzigen Schicht an Kapitalisten zu verteidigen, deren Reichtum aus der Ausbeutung der Arbeiterklasse in diesem Land und anderenorts stammt. Der Staat kann nicht übernommen und für die Interessen der Unterdrückten eingesetzt werden, sondern muss durch eine soziale Revolution zerschlagen und durch die Diktatur des Proletariats, die Herrschaft der Arbeiterräte, ersetzt werden. Aus diesem Grund ist die Polizei kein Teil der Arbeiterbewegung, sondern ein Mittel zu ihrer Unterdrückung. Polizei raus aus dem DGB!

Viele Autonome stellen sich den Polizisten in Montur, ihren Wasserwerfern und Schlagstöcken mutig entgegen und vergeuden dabei gleichzeitig ihren Elan, da sie die Arbeiterklasse als Subjekt revolutionärer Umgestaltung ablehnen. Sie teilen den vorherrschenden Mythos der „nachsowjetischen“ Welt: dass Klassenkampf gegen die kapitalistische Ordnung ein Ding der Vergangenheit sei; dass die Arbeiterklasse als ein Faktor für gesellschaftliche Veränderungen ohne Bedeutung sei. In Wahrheit ist das kapitalistische System wie eh und je von der Arbeiterklasse abhängig. Es sind die Arbeiter, die die Betriebe in Bewegung halten und das auch sehr gut ohne die Kapitalisten können, denen die Betriebe heute noch gehören. Sie sind daher die entscheidende Klasse, um den Kapitalismus zu stürzen und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, wo der durch die kapitalistische Produktionsweise hervorgerufene Mangel und die durch ihn verursachten Übel wie Rassismus, Armut und Krieg ein Ding der barbarischen Vergangenheit sein werden.

Ohne eine sozialistische Perspektive kann „Antikapitalismus“, nichts anderes sein als militante Verteidigung des Status quo, auf dass es „nicht noch schlimmer“ werde und dabei ist die Verteidigung der Roten Flora als „autonome Insel“ im Kapitalismus geradezu sinnbildlich. Jugendliche, die durch den parlamentarischen Irrsinn à la Linkspartei abgestoßen sind und sich der Militanz der Autonomen zuwenden, müssen verstehen: Es führt kein Weg daran vorbei, die Arbeiterklasse dafür zu gewinnen, ihre soziale Macht gegen rassistische Verfolgung von Immigranten oder gegen Polizeiterror gegen Linke als Teil des notwendigen Kampfes für einen revolutionären Sturz der kapitalistischen Herrscher in die Waagschale zu werfen. Denn die Arbeiterbewegung kann etwas tun, was selbst den kämpferischsten Autonomen unmöglich ist: die Profite der Hamburger Pfeffersäcke stoppen.

Eine solche Perspektive erfordert jedoch die Erkenntnis auf Seiten der Arbeiterklasse darüber, dass ihre eigenen Interessen mit denen der Kapitalisten unvereinbar sind. Hierfür sind die sozialdemokratischen Parteien SPD und Linkspartei ein Hindernis, die ihre Arbeiterbasis mit einem bürgerlichen Programm an den Kapitalismus ketten. Deren Vertreter in der Gewerkschaftsbürokratie sorgen dafür, die Klassenkämpfe möglichst im Rahmen der Regeln der Bosse zu halten. Es bedarf eines Bruchs der Arbeiter mit den Irreführern aus ihren eigenen Reihen und wir kämpfen darum, das Bewusstsein hierfür in die Reihen der Arbeiterbewegung hineinzutragen. Es ist notwendig, eine revolutionäre Partei zu schmieden, die, wie Lenin es sagte, als Volkstribun auftritt und „es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen …“, um alle unterdrückten Teile der Gesellschaft hinter der sozialen Macht der Arbeiterklasse zu vereinen und so die Kämpfe der Arbeiter und aller Unterdrückten miteinander zu verbinden, zu vertiefen und zusammenzuschweißen. Für eine solche Partei kämpfen wir Spartakisten. Schließt euch uns an!

 

Spartakist Nr. 202

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