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Spartakist Nummer 173

September 2008

Großmachtduell in Georgien

US/NATO-Säbelrasseln gegen Russland

Russische, georgische Arbeiter: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

US-Basen raus aus Osteuropa, Zentralasien, Nahost!

Bundeswehr raus aus Afghanistan, Balkan!

In der Nacht zum 8. August befahl die georgische Regierung unter Michail Saakaschwili ihrer von den USA bewaffneten und ausgebildeten Armee, in Südossetien einzumarschieren, einer kleinen, ethnisch eigenständigen Provinz, die sich vor über 15 Jahren unter russischem Schutz praktisch von Georgien losgesagt hatte. Am nächsten Tag führte Russland einen Gegenangriff durch, überrollte Zentralgeorgien und näherte sich dessen Hauptstadt Tiflis bis auf 40 km und demonstrierte so seine Absicht, sich wieder als die dominierende Macht in der Region zu etablieren. Die russischen Streitkräfte haben sich jetzt bis auf eine Pufferzone um das Gebiet von Südossetien zurückgezogen und bekräftigten ihre Absicht, eine dauerhafte Präsenz von „Friedenstruppen“ in der Provinz aufrechtzuerhalten.

Der Konflikt zwischen Russland und Georgien, letzteres unterstützt von den USA, ist nichts weiter als reine Machtpolitik auf beiden Seiten. Somit ist unsere Position revolutionärer Defätismus: Die Klasseninteressen der Arbeiter Georgiens und Russlands liegen im Kampf für den Sturz ihrer jeweiligen kapitalistischen Herrscher durch sozialistische Revolution. Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Keinesfalls ähnelt der Konflikt in Georgien der russischen Invasion Tschetscheniens 1994 und dann wieder, nach mehreren Jahren tatsächlicher tschetschenischer Unabhängigkeit, Ende 1999. In diesen beiden Fällen intervenierten die Imperialisten nicht militärisch, und der Konflikt drehte sich um die Verteidigung der nationalen Rechte des tschetschenischen Volkes gegen Russlands mörderischen Versuch, die Provinz von neuem zu unterjochen. Wir riefen zur militärischen Verteidigung der tschetschenischen Streitkräfte und zur Verteidigung der Unabhängigkeit Tschetscheniens auf. Wir sagten: Nieder mit der russischen Invasion Tschetscheniens! (siehe: „Independence for Chechnya! Russian Troops Out Now!“ [Unabhängigkeit für Tschetschenien! Russische Truppen raus, sofort!], Workers Vanguard Nr. 840, 21. Januar 2005).

Die Situation der georgischen Regierung gegenüber Wladimir Putins Russland heute unterscheidet sich davon erheblich. Saakaschwili wurde mindestens seit 1999 zur Marionette des US-Imperialismus aufgebaut, als er einen „Führungskurs“ des Außenministeriums in Washington besuchte. Er kam 2004 im Zuge einer Reihe farbkodierter „Revolutionen“ an die Macht, die von den USA finanziert und arrangiert worden waren, um dem russischen Einfluss in der Region entgegenzuwirken und gefügige proamerikanische Regime einzurichten. Washington hat seine westeuropäischen Alliierten in aller Schärfe dazu gedrängt, Georgien (und die Ukraine) als Vollmitglieder der NATO zu akzeptieren, und Tiflis zeichnet sich dadurch aus, dass es die einzige Großstadt auf der Welt ist, die mit ihrem internationalen Flughafen durch eine nach US-Präsident George W. Bush benannte Autobahn verbunden ist! Saakaschwilis Armee wurde von den USA und ihren israelischen Alliierten aufgebaut und ausgebildet. Und Georgien, mit einer Bevölkerung von weniger als fünf Millionen, hat im Irak ein Truppenkontingent von 2000 Soldaten – das drittgrößte nach den USA und Britannien –, das nach dem russischen Gegenangriff von den USA auf dem Luftweg zurück nach Georgien verfrachtet wurde.

Die New York Times (13. August) behauptete in einer Titelzeile, dass Georgien „uneinheitliche US-Mitteilungen“ bezüglich seiner geplanten Invasion Südossetiens erhalten habe. Doch ein Foto in derselben Ausgabe strafte diese Behauptung Lügen. Es zeigte fünf regionale US-Lakaien aus Polen, der Ukraine und den baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen – von den US-Imperialisten seit langem als „unterjochte Nationen“ des „Sowjetimperiums“ bezeichnet – auf einem inszenierten Solidaritätsbesuch bei Saakaschwili vier Tage nach dem russischen Gegenangriff. Die Zeitung Stars and Stripes (9. August) des US-Militärs berichtete, dass eine NATO-Militärübung in Georgien, an der auch tausend US-Soldaten teilnahmen, am Vorabend der georgischen Invasion beendet worden sei. Die georgische Armee wurde auch von israelischen Militär„beratern“ unterstützt. Das gut informierte Pariser Satirejournal Le Canard Enchaîné (20. August) berichtete:

„Die Rolle der amerikanischen Berater war möglicherweise nicht auf die Bereitstellung technischer Unterstützung für die georgische Artillerie beschränkt. Wenn man dem glauben kann, was im Hauptquartier des Vereinigten Generalstabs [Frankreichs] in Paris gesagt wurde, so folgten die Georgier einem Vorschlag dieser US-Offiziere, als sie noch vor dem Vormarsch ihrer Truppen Hunderte von Boden-Boden-Raketen auf die ossetische Hauptstadt abschossen.“

Heute ist Russland nicht länger der wirtschaftlich hoffnungslose Fall wie in den Jahren nach der kapitalistischen Konterrevolution von 1991/92, die den sowjetischen degenerierten Arbeiterstaat zerstörte. Reich geworden durch Petrodollars auf Grund des hohen Ölpreises war Putin in der Lage, das russische Militär wiederaufzubauen und klarzustellen, dass er bereit ist, die USA herauszufordern, um Russlands Rolle als die Großmacht in der Region wieder geltend zu machen. Am 26. August erkannte Russland formell die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens, einer anderen abtrünnigen Provinz, an.

Russlands demütigende Ohrfeige für Washingtons Handlanger Tiflis löste in US-imperialistischen Kreisen eine Welle von Beschimpfungen aus. Bush stimmte lächerlicherweise die Klage an, in ein fremdes Land einzumarschieren sei „nicht hinnehmbar im 21. Jahrhundert“ – und das nur wenige Tage bevor die US-Besatzer ein blutiges Massaker an etwa 95 afghanischen Zivilisten begingen, darunter 50 Kinder! Die USA brachten dann eine lange geplante Abmachung unter Dach und Fach, ein Anti-Raketen-„Abwehr“-System in Polen zu installieren – das erste in einem Land des ehemaligen Sowjetblocks – und amerikanische Truppen dort zur Bedienung zu stationieren. So viel zu Washingtons Behauptungen, eine solche Anti-Raketen-Verteidigung sei nicht gegen Russland, sondern gegen den Iran gerichtet, der weder Interkontinentalraketen noch Atomsprengköpfe besitzt!

Die kapitalistische Restauration in der Sowjetunion ebnete der Entstehung einer „Eine-Supermacht-Welt“ den Weg und ermutigte die US-Imperialisten – nicht mehr durch sowjetische militärische Stärke angefochten – zu ihren militärischen Abenteuern im Ausland. Die USA haben seitdem Stützpunkte in ganz Zentralasien und anderswo an der Peripherie Russlands errichtet, die nicht nur auf die Einkreisung des kapitalistischen Russlands zielen, das immer noch die zweitgrößte Atommacht ist, sondern auch auf die Chinas, des größten und mächtigsten der verbliebenen bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten. Wir rufen auf zu bedingungsloser militärischer Verteidigung Chinas – und der anderen deformierten Arbeiterstaaten Kuba, Nordkorea und Vietnam – gegen Imperialismus und innere Konterrevolution und fordern: US-Stützpunkte raus aus Osteuropa, Zentralasien, dem Kaukasus und dem Nahen Osten!

Die europäischen imperialistischen Mächte, vor allem Frankreich und Deutschland, haben ihr eigenes Süppchen in der Region am Kochen. Der Kaukasus und Zentralasien sind entscheidend für den Zugang der USA und Westeuropas zu kaspischem und zentralasiatischem Öl und Gas. Die riesige 1770 km lange Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan – eine von dreien, die dazu gebaut wurden, Westeuropa unter Umgehung russischen Territoriums und möglicher russischer Kontrolle über den Ölfluss zu versorgen – durchquert Georgien. Ein Teil der deutschen Bourgeoisie will die Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten aus Russland verringern, die ein Drittel bzw. fast die Hälfte des EU-weiten Bedarfs decken, ein anderer Teil sieht seine Interessen besser durch eine engere Zusammenarbeit mit Russland gewahrt. Diese Differenzen widerspiegelnd verfolgen Merkel und die CDU eine Strategie mehr im Fahrwasser der Vereinigten Staaten, während die SPD eine Strategie unabhängiger von den USA, im Bündnis mit Frankreich und offener gegenüber Russland verfolgt. In jedem Fall ist der deutsche Imperialismus bestrebt, den Einfluss von Russland und den USA in der Region auszubalancieren, um den eigenen Einfluss auszubauen. Frankreich wie Deutschland waren gegen den Eintritt Georgiens in die NATO und versuchen nun, wenigstens den Zeitpunkt seines NATO-Beitritts zu verzögern. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy führte als gegenwärtiger Ratspräsident der Europäischen Union den Vorsitz bei dem ersten Waffenstillstandsabkommen zwischen Russland und Georgien. Inzwischen sind europäische Militär„beobachter“ Teil einer UN-„Friedenstruppe“, die seit 1993 in Georgien entlang der Grenze zu Abchasien stationiert ist. UNO raus aus Georgien, sofort! EU/OSZE – Hände weg vom Kaukasus!

Die Demokraten, die andere Partei des US-Imperialismus

Die beiden voraussichtlichen Kandidaten für das Amt des imperialistischen Oberbefehlshabers in den USA, der Republikaner John McCain und der Demokrat Barack Obama, beeilten sich, Russland zu verurteilen. Beide riefen dazu auf, Georgiens Antrag auf NATO-Mitgliedschaft im „Eilverfahren“ zu behandeln. Nur Tage vor seiner Auswahl als Obamas Kandidat für die Vizepräsidentschaft stattete der demokratische Senator Joseph Biden Georgien demonstrativ einen Besuch ab. Bei seiner Rückkehr erklärte Biden: „Ich verließ das Land in der Überzeugung, dass die russische Invasion Georgiens eines der bedeutsamsten Ereignisse ist, die sich in Europa seit dem Ende des Kommunismus zugetragen haben“ (Washington Post online, 18. August). Bidens Tirade haut in die gleiche Kerbe wie Obamas Berliner Rede vom 24. Juli, in der dieser den antisowjetischen Kreuzzug der USA als ein Modell pries, wie Washington heutzutage seine globalen Interessen wieder geltend machen kann.

Tatsächlich zielt die von der reformistischen Linken bejubelte vorsichtige und uneinheitliche Opposition von Obama zu Krieg und Besetzung im Irak darauf ab, die Fähigkeit des – durch die katastrophale Politik der Bush-Regierung im Irak geschwächten – US-Imperialismus zur globalen militärischen und diplomatischen Machtentfaltung wiederherzustellen. Obama machte das deutlich in einem Artikel über „Wiederherstellung amerikanischer Führerschaft“ in Foreign Affairs (Juli/August 2007), wo er sich für eine „verantwortungsvolle Beendigung“ der US-Besetzung des Irak ausspricht, um amerikanische Streitkräfte und Operationen rund um die Welt umzugruppieren und erheblich auszuweiten. Obama steht voll hinter der mörderischen Besetzung Afghanistans und ruft dazu auf, dort weitere 10 000 US-Soldaten zu stationieren. Nicht zufällig ist Obamas außenpolitischer Berater ein gewisser Zbigniew Brzezinski, ein Veteran des zweiten Kalten Krieges, der eine zentrale Figur in der demokratischen Carter-Regierung war, als diese einen antikommunistischen „Menschenrechts“kreuzzug gegen die Sowjetunion in Gang setzte. Dies beinhaltete massive Unterstützung für islamische Reaktionäre in Afghanistan gegen die Sowjetarmee, die dort Ende 1979 zur Verteidigung der UdSSR an ihrer südlichen Flanke und auf Seiten elementaren menschlichen Fortschritts intervenierte.

Tiefer Hass auf die Bush-Bande bei Arbeitern und Minderheiten in den USA und international darf nicht die Tatsache verschleiern, dass die Demokraten die andere Partei von imperialistischem Krieg und Rassismus sind. Wir sind gegen die Unterstützung jedweden kapitalistischen Politikers – ob McCain, Obama oder Cynthia McKinney von den Grünen. Wir sind für die vollständige politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Unser Ziel ist die Schmiedung einer revolutionären multirassischen Arbeiterpartei, die dafür kämpft, das kapitalistische System durch Arbeiterrevolution zu stürzen und eine Arbeiterregierung zu errichten. Alle US-Truppen raus aus Irak und Afghanistan, sofort!

Leninismus und die nationale Frage

Während die bürgerlichen Medien Georgiens „demokratische“ Ansprüche gegenüber einer unaufhörlichen Aggression eines angeblich zeitlosen „russischen Imperialismus“ aufbauschen, sind sie voll von historischen Bezügen auf das „fortschrittliche“ menschewistische Regime Georgiens von 1918–21. So sprach die New York Times (10. August) davon: „als bolschewistische Truppen Georgiens aufregendes, und kurzes, erstes Experiment mit liberaler Herrschaft zerschlugen“. Vom Standpunkt der proletarischen Revolution war die Unterdrückung des menschewistischen Georgiens, das weder „demokratisch“ noch „unabhängig“ war, absolut korrekt und notwendig.

Im Gefolge der proletarischen Machtergreifung in der Oktoberrevolution von 1917 setzten Lenins Bolschewiki ihr Bekenntnis zur Garantie des Rechtes auf Selbstbestimmung für die Vielzahl der vom zaristischen Völkergefängnis unterdrückten Völker sofort in die Tat um. Die leninistische Position in der nationalen Frage ging von vollständiger Gleichheit aller Nationen und Völker aus. Ziel war es, die nationale Frage von der Tagesordnung zu bekommen und jedem bürgerlichen Nationalismus einen Appell an die Arbeiter für internationale Einheit im Klassenkampf entgegenzustellen.

Dem revolutionären Russland wurde durch die vom Imperialismus unterstützten weißen Reaktionäre und durch direkte imperialistische Militärintervention von 14 kapitalistischen Armeen ein dreijähriger Bürgerkrieg aufgezwungen. Jene Länder – wie Georgien, Polen, Finnland und die baltischen Staaten –, die nach der Erlangung ihrer Unabhängigkeit von Russland kapitalistisch blieben, wurden Bollwerke reaktionären Terrors gegen die Arbeiterklasse und Brückenköpfe für imperialistische Intrigen gegen den Sowjetstaat.

In seiner Streitschrift Zwischen Imperialismus und Revolution von 1922 entlarvte der bolschewistische Führer Leo Trotzki den Mythos des „demokratischen“, „unabhängigen“ Georgien, der von den Imperialisten und ihren sozialdemokratischen Handlangern damals verbreitet wurde und heute von den bürgerlichen Medien wiedergekäut wird, indem er die Menschewiki selbst zitiert. Im Dezember 1918 versicherte der georgische Menschewik Topuridse den imperialistischen Alliierten: „Ich nehme an, dass unsere Republik mit allen Mitteln und aus allen Kräften die alliierten Großmächte im Kampf gegen die Bolschewiki unterstützen wird.“ In einem weiteren Beispiel berichtet Trotzki von der brutalen Unterdrückung eines Bauernaufstands in Ossetien und zitiert den menschewistischen Führer Valiko Dschugeli, der sich an dem Massaker ergötzte: „Überall rings um uns brennen die ossetinischen Dörfer… [Wir werden] grausam sein. Ja, wir werden es sein“, und Dschugeli erinnerte an einen anderen Menschewik, der ihm erzählt habe: „Ich beginne Nero und den großen Brand von Rom zu verstehen“, wobei er „auf diese nächtlichen, leuchtenden Feuer blickte“.

Als die Menschewiki, die sich der proletarischen Revolution in Russland widersetzt hatten, Anfang 1918 in Georgien die Macht übernahmen, trieben sie die georgischen Kommunisten in den Untergrund. Das „unabhängige“ Georgien bat umgehend die imperialistische deutsche Armee ins Land und übergab nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg die Zügel an die britischen Imperialisten. In Zusammenarbeit mit armenischen und georgischen Nationalisten arrangierten die britischen Imperialisten die Niederschlagung des Bakuer Sowjets von 1918, der sich auf aserbaidschanische, armenische, georgische und russische Ölarbeiter stützte und der das bolschewistische Machtzentrum im Kaukasus war. Die 26 bolschewistischen Führer des Sowjets wurden später gefangen und im September 1918 auf Geheiß der Briten hingerichtet. Trotzki widmete seine Streitschrift jenen heroischen Kommunisten und den Hunderttausenden anderen, die vom georgischen und anderen bürgerlichen Regimen im Kaukasus verfolgt und hingemetzelt wurden.

Als im Februar 1921 in Georgien ein kommunistisch geführter Aufstand ausbrach, marschierte die Rote Armee schließlich ein und fegte die vom Imperialismus unterstützte menschewistische Regierung hinweg, führte Arbeiterherrschaft ein und brachte wirkliche nationale Befreiung. Wie Trotzki in seiner Streitschrift erläuterte:

„Wir erkennen das Prinzip der Selbstbestimmung nicht nur an, sondern unterstützen es auch nach Kräften dort, wo es gegen die feudalen, kapitalistischen, imperialistischen Staaten gerichtet ist. Dort aber, wo die Fiktion der Selbstbestimmung sich in den Händen der Bourgeoisie in eine Waffe verwandelt, die gegen die Revolution des Proletariats gerichtet ist, haben wir gar keinen Grund, uns zu dieser Fiktion anders zu verhalten, als zu den andern ,Prinzipien‘ der Demokratie, die durch das Kapital in ihr Gegenteil verwandelt worden sind.“

Für Marxisten ist das Recht auf nationale Selbstbestimmung kein absolutes Prinzip. Im Falle Georgiens 1921 war es der Verteidigung der proletarischen Revolution untergeordnet. Ähnlich war 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Frage des Rechts kleiner von der einen oder anderen imperialistischen Macht besetzter Nationen dem Prinzip des revolutionären Defätismus gegen alle imperialistischen Kriegsteilnehmer untergeordnet. So lehnten es die revolutionären serbischen Sozialdemokraten zu Recht ab, für serbische Selbstbestimmung einzutreten, nachdem das Land vom österreich-ungarischen Reich überrannt worden war.

Ein jüngeres Beispiel ist der von den USA angeführte Krieg gegen Serbien von 1999, den die demokratische Clinton-Regierung im Namen der Beendigung von „ethnischen Säuberungen“ im Kosovo führte. Ein Großteil der reformistischen Linken rührte international im Namen des „armen, kleinen Kosovo“ die Trommel für den „Menschenrechts“-Imperialismus, wobei einige sogar die direkte imperialistische Invasion unterstützten. Wir haben seit jeher das Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner, einschließlich des Rechts auf Gründung ihres eigenen Staates oder Eingliederung in ein „Groß“-Albanien, verteidigt. Doch während der Kriegsvorbereitungen und während des US/NATO-Krieges wurde diese Frage unserer Position des revolutionären Defensismus untergeordnet: militärische Verteidigung Serbiens ohne jegliche politische Unterstützung für das revanchistische Regime in Belgrad. Dies blieb auch gültig, als die NATO-Streitkräfte nach dem Krieg von 1999 die serbische Armee als tatsächliche Staatsmacht im Kosovo ersetzten. Wie wir in „Balkan-Verstrickungen“ (Spartakist Nr. 143, Frühjahr 2001) schrieben: „Jetzt, wo das Kosovo ein NATO-Protektorat ist, kann es keinen unabhängigen Kampf für nationale Rechte der ethnischen Albaner oder irgendeiner anderen nationalen Minderheit in der Region geben, wenn dieser nicht zuallererst danach trachtet, die imperialistischen ,Friedenstruppen‘ hinauszuwerfen.“

Der Schwindel der „Unabhängigkeitserklärung“ des Kosovo von Serbien diesen Februar war im Wesentlichen eine diplomatische Provokation gegenüber Serbien und Russland – was den Weg für den Konflikt in Georgien ebnete – und eine weitere Aufwiegelung gegen die serbische Minderheit im nördlichen Kosovo. Wir verteidigen die nationalen Rechte der Serben im nördlichen Kosovo und sind gegen ihre Zwangseingliederung in einen albanisch-kosovarischen Staat. Als Marxisten sind wir Gegner von Nationalismus und kämpfen für die Klasseneinheit der Arbeiter des gesamten Balkans zum Sturz all der blutigen kapitalistischen Regime in der Region. Nieder mit der imperialistischen Besetzung des Kosovo! Alle US/UN/NATO/Bundeswehr-Truppen raus aus dem Balkan, sofort! Für eine sozialistische Föderation des Balkans!

Die Auswirkung der kapitalistischen Konterrevolution

Vor allem in Gebieten, wo nationale Bevölkerungen geografisch vermischt sind, wie dem Kaukasus oder dem Balkan, kann es eine für alle Seiten gerechte Lösung für die im Widerstreit liegenden nationalen Ansprüche der zahlreichen Völker nur unter proletarischer Herrschaft geben. Um zwischen der Vielzahl von Völkern in verschiedenen Stadien der nationalen Konsolidierung einen Ausgleich zu schaffen, errichteten die Bolschewiki eine Reihe von Sowjetrepubliken, Autonomen Sozialistischen Sowjetrepubliken für Nationalitäten, Autonomen Oblasts [Gebiete] und Nationalitäten-Okrugs [Kreise] für verschiedene Volksstämme. In Georgien hatten Abchasen und Osseten autonome Regionen, ebenso wie andere ehemals unterdrückte Völker, z. B. die Tschetschenen, Tataren und im Ural die Baschkiren.

Viele politische Maßnahmen der Bolschewiki wurden im Zuge des Anwachsens der nationalistischen stalinistischen Bürokratie, die mit der 1924 beginnenden politischen Konterrevolution an die Macht kam, wieder rückgängig gemacht. Das von Stalin im Laufe des Jahres 1924 verkündete Dogma vom „Sozialismus in einem Lande“ wurde in den kommenden Jahrzehnten zum Synonym für den Ausverkauf zahlloser revolutionärer Gelegenheiten außerhalb Russlands und für das Fördern des Wiederauflebens von russischem Chauvinismus in der Sowjetunion. Dennoch schuf die kollektivierte Wirtschaft des multinationalen sowjetischen Arbeiterstaates die Grundlage für die gerechte Lösung nationaler Konflikte und einen enormen Sprung an sozialem Fortschritt. Dies spiegelte sich in dem hohen Niveau von Ausbildung und kultureller Entwicklung wider sowie im Aufstieg der Frauen und der weiten Verbreitung von ethnisch gemischten Ehen. Darüber hinaus führte der Sowjetstaat Maßnahmen durch, um die rückständigsten Regionen der UdSSR zu fördern. Georgien war ein typisches Beispiel. Ein Artikel von Göran Therborn in der New Left Review (Juli/August 2007) mit dem Titel „Transcaucasian Triptych“ stellte in Bezug auf die Jahrzehnte nach 1921 fest:

„Die sowjetische industrielle Entwicklungspolitik – Fabriken, Straßen, Eisenbahnen, Schulen, Krankenhäuser, wissenschaftliche Einrichtungen – sollte die sozioökonomische Landschaft des Kaukasus verwandeln und ein sich modernisierendes Tiflis wurde zur industriellen, administrativen und kulturellen Drehscheibe des gesamten Südkaukasus…

Als einer der Hauptnutznießer des Sowjetsystems war Georgien einer der Hauptverlierer des Auseinanderbrechens der UdSSR.“

Jahrzehntelange stalinistische Misswirtschaft, Lügen und Bürokratismus ebneten dem konterrevolutionären Zusammenbruch der UdSSR 1991/92 den Weg. Die Imperialisten ermunterten das Wachstum bürgerlich-nationalistischer Bewegungen, insbesondere in den wohlhabenderen nichtrussischen Republiken im Baltikum und in den Staaten des Sowjetblocks, wie Polen, und benutzten diese als Rammbock für die Konterrevolution. Die Restauration des Kapitalismus in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion führte zu einer beispiellosen Verelendung der arbeitenden Massen in diesen Ländern und verschärfte kommunalistische Feindseligkeiten. Die endgültige Annullierung der Oktoberrevolution war eine welthistorische Niederlage für die Arbeiter und Unterdrückten auf der ganzen Welt.

Bis zum bitteren Ende kam die IKL ihrer trotzkistischen Verpflichtung nach, die Errungenschaften der Oktoberrevolution zu verteidigen. Wir begrüßten die sowjetische Militärintervention in Afghanistan gegen die CIA-unterstützten islamischen Aufständischen. Als die Imperialisten Anfang der 80er-Jahre die klerikalnationalistische „Gewerkschaft“ Solidarność in Polen als Speerspitze zur kapitalistischen Restauration im gesamten Sowjetblock finanzierten, forderten wir: „Stoppt die Konterrevolution der Solidarność!“ Als Boris Jelzin in Russland Hand in Hand mit dem Weißen Haus von Bush Senior im August 1991 einen proimperialistischen Putsch durchführte, antwortete die IKL mit dem Aufruf: „Sowjetische Arbeiter: Zerschlagt die Konterrevolution von Jelzin und Bush!“ (siehe Spartakist Nr. 89, September 1991). Wir zeigten dem multinationalen sowjetischen Proletariat die dringende Notwendigkeit auf, zum internationalistischen Weg von Lenin und Trotzki zurückzukehren und eine echte bolschewistische Partei aufzubauen, die den Kampf für proletarisch-politische Revolution und zur Zerschlagung der Kräfte der kapitalistischen Konterrevolution anführt. Unsere ins Russische übersetzte Erklärung wurde zehntausendfach in der ganzen Sowjetunion verteilt.

Im Gegensatz dazu richtete sich die reformistische Linke international nach den Leutnants der Imperialisten in Sozialdemokratie und Gewerkschaften und verurteilte die sowjetische Präsenz in Afghanistan, bejubelte Solidarność und spendete Jelzins proimperialistischen „Demokraten“ Beifall. Paradebeispiel waren die International Socialist Organization (ISO) in den USA und die Vorläufer von Linksruck/marx21 in Deutschland, Anhänger von Tony Cliff und damalige Gesinnungsgenossen, die von Jelzins/Bushs Sieg begeistert waren: „,Der Kommunismus ist gescheitert‘, deklarieren unsere Zeitungen und Fernsehen. Es ist ein Faktum, das jeden Sozialisten erfreuen sollte“ (Klassenkampf, September 1991). Russische Unterstützer von Peter Taaffes Komitee für eine Arbeiterinternationale (KAI, in Deutschland die SAV) und Alan Woods’ International Marxist Tendency taten mehr, als von weitem zu jubilieren; sie versuchten tatsächlich, Arbeiter zurückzuhalten, die sich Jelzins konterrevolutionären Barrikaden widersetzen wollten.

Die Antwort eines Großteils der reformistischen Linken auf den Konflikt in Georgien reichte international von vager pazifistischer Neutralität – im Falle der ISO durchsetzt mit Kalter-Krieg-Rhetorik à la „unterjochte Nationen“ über „Stalins Völkergefängnis“ (Socialistworker.org, 12. August) – bis hin zu einer prorussischen Neigung. Beispielhaft für letztere ist die junge Welt, die für Russlands „militärische und humanitäre Hilfsaktion“ gegen Georgien eine Seite bezieht. Damit folgt sie der LINKEN, die genau wie ein Teil der SPD, z. B. Außenminister Steinmeier – oder Schröder, Gernot Erler und Egon Bahr – eine Strategie für den deutschen Imperialismus verfolgen, unabhängiger von den USA zu agieren. Der Sprecher für internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Wolfgang Gehrcke, erklärte:

„Ich appelliere an die Bundesregierung, die besonderen deutsch-russischen Beziehungen nicht zu gefährden. Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland haben für ganz Europa eine besondere Qualität. Die Regierungen Russlands und Deutschlands haben dafür den Begriff einer strategischen Partnerschaft gewählt. Strategische Partnerschaften sind keine Angelegenheit für Schön-Wetter-Phasen, sondern müssen sich in Krisensituationen bewähren…

Die NATO muss sich aus dem Georgien-Konflikt heraushalten. Gefordert ist nicht die NATO, sondern die OSZE.“ (Pressemitteilung, 20. August)

Gehrcke will die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) im Kaukasus haben, weil der deutsche Imperialismus in ihr mehr Einfluss hat als in der fast völlig US-dominierten NATO. Die gleiche Strategie steckt hinter den Beschwörungen der jungen Welt von „Völkerrecht“ und der UNO als Instrument, es durchzusetzen. Die OSZE ist ein Instrument der europäischen Imperialisten, die sie dominieren, so wie die UNO von den großen imperialistischen Staaten USA, Japan und Deutschland dominiert wird. Ihr Vorläufer, der Völkerbund, wurde von Lenin ganz zu Recht als eine imperialistische Räuberhöhle gegeißelt. Die Alternativstrategie der LINKEN dient dazu, Arbeiter und linke Jugendliche in Deutschland an den eigenen Imperialismus zu ketten.

Was eine Unterstützung für Putins Russland vor Ort bedeutet, kann man an der grotesken Position der russischen Taaffe-Leute sehen. Seit der Konterrevolution haben sich diese Reformisten mit den rückständigsten chauvinistischen Kräften in Russland zusammengetan, darunter die faschistische Nationalbolschewistische Partei. Während das KAI wie gewohnt für den internationalen Gebrauch eine bereinigte Erklärung („Georgia/Russia Conflict Brings Disaster for Working People of Region“ [Georgien/Russland-Konflikt bringt Katastrophe für Werktätige der Region], 11. August) herausgab, stellt die russische Gruppe den Krieg gegen Georgien als einen gerechten Krieg für russische staatliche Souveränität dar und ruft nach „Volksmilizen“, die für Mütterchen Russland kämpfen sollen:

„Die Reaktion der einfachen Leute, die sich im ganzen Land zu Freiwilligenbrigaden melden, ist völlig klar. Wenn es jene gibt, die Brudervölkern zu Hilfe kommen wollen (und die massenhafte Freiwilligenbewegung ist genau davon beseelt – schließlich sind die verrohten Typen, die einfach nur ,herumballern‘ wollen, nicht so zahlreich), dann wäre es völlig logisch, wenn genau diese Leute die wehrpflichtigen Soldaten ersetzen. Doch eine Volksmiliz ist gefährlich für die Obrigkeit und das Kapital, da Volksmilizen aufgrund ihres urwüchsigen proletarischen Instinktes nicht nur gegen äußere, sondern auch gegen innere Feinde vorgehen könnten.“ („Richtet die Gewehre auf die hohen Tiere [Offiziere]!“, www.socialism.ru, 11. August)

Nach allem, was man hört, folgten solche „Volksmilizen“ Putins Streitkräften nach Georgien, wo sie Berichten zufolge mordeten, plünderten und die Häuser ethnischer Georgier niederbrannten. Ohne eine der beiden Seiten in diesem Konflikt zu unterstützen, halten Marxisten das Recht aller Gemeinden auf Selbstverteidigung gegen pogromistischen Terror hoch.

Infolge der Konterrevolution in der Sowjetunion und den deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas kehrte die ganze alte Scheiße der Ära vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Ethnische Säuberungen, täglicher Terror gegen Immigranten und Minderheiten: Dies sind wesentliche Bestandteile des Triumphs des „nationalen Prinzips“, das die Imperialisten den ganzen Kalten Krieg über als Waffe gegen die Sowjetunion propagiert haben. Nur wenn sich das Klassenprinzip – d. h. das Programm der sozialistischen Weltrevolution – gegen das „nationale Prinzip“ durchsetzt, kann mit imperialistischem Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung Schluss gemacht werden.

Washingtons imperialistischer Triumphalismus in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat Risse bekommen. Während sich die globale Wirtschaft im Abwärtstrend befindet, werden Spannungen zwischen den USA und den europäischen Mächten wahrscheinlich zunehmen. Die US-Imperialisten befinden sich im Irak und zunehmend in Afghanistan im Schlamassel. Ihre Ambitionen im Kaukasus wurden von Russland offen herausgefordert. Doch ein verwundetes imperialistisches Ungeheuer mit dem größten Atomwaffenarsenal der Welt ist eine äußerst gefährliche Kreatur. Das unterstreicht sowohl die Dringlichkeit wie den Ernst der Aufgabe, der Marxisten gegenüberstehen: die Wiederschmiedung von Trotzkis Vierter Internationale, Weltpartei der sozialistischen Revolution, die das Proletariat zum Sturz der imperialistischen Barbarei führt.

Nach Workers Vanguard Nr. 919, 29. August 2008

 

Spartakist Nr. 173

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