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Spartacist (deutschsprachige Ausgabe) Nummer 32

Herbst 2020

James Robertson

1928–2019

James Robertson, führendes Gründungsmitglied der Spartacist League/U.S. und ihr langjähriger nationaler Vorsitzender, ist am 7. April 2019 im Alter von 90 Jahren zu Hause in Nordkalifornien gestorben. Genosse Robertson war über 70 Jahre in der Arbeiterbewegung aktiv und blieb bis zu den letzten Wochen seines Lebens ein wesentlicher Teil der Führung der SL/U.S. und der Internationalen Kommunistischen Liga. Er hinterlässt seine Frau und Genossin Martha, seine beiden Söhne Douglas und Kenneth, zwei Stieftöchter, Rachel und Sarah, und seine Enkel.

In der Geschichte haben revolutionäre marxistische Parteien ihre führenden Gründungskader nicht mit intaktem Programm und Daseinszweck überdauert. Genosse Robertsons Ziel war es, sein Äußerstes zu geben, um dieses Urteil umzustoßen. In der letzten größeren politischen Auseinandersetzung seines Lebens spielte Jim eine entscheidende Rolle bei dem Kampf, eine langjährige Entstellung des Leninismus durch die IKL in der nationalen Frage zu korrigieren, insbesondere hinsichtlich der Anwendung auf relativ fortgeschrittene multinationale Staaten. Aus diesem Kampf ging eine neue Generation von Führern hervor, die zu einem zentralen Bestandteil des Internationalen Exekutivkomitees der IKL wurden, zusammen mit langjährigen Kadern, die zur Aufrechterhaltung unserer dünnen revolutionären Kontinuität wesentlich sind.

Auf einer Gedenkfeier von Genossen und Sympathisanten nach Jims Tod wies die jetzige nationale Vorsitzende der SL/U.S. darauf hin, dass revolutionäre Kontinuität „vor allem programmatisch ist, aber sie ist auch persönlich, denn das Programm wird durch Menschen verkörpert“. Auf Parteischulungen und in zahllosen informellen Diskussionen vermittelte Jim einen lebendigen Eindruck von seiner politischen Geschichte samt der Fraktionskämpfe, die eine Schlüsselrolle dabei spielten, dass er seinen Weg zum Programm der bolschewistischen Partei Lenins und Trotzkis fand. Diese Geschichte führte ihn von der Kommunistischen Partei (KP) über die Workers Party/Independent Socialist League (WP/ISL) von Max Shachtman zur Socialist Workers Party (SWP) von James P. Cannon, bis er dann zu einem zentralen Führer der Revolutionary Tendency (RT) wurde. Nach ihrem Ausschluss aus der SWP 1963/64 gründeten RT-Kader dann die Spartacist League/U.S.

In späteren Jahren äußerte Jim, dass er im Verlauf der von ihm geführten Fraktionskämpfe lernte und lernen musste, dass die „russische Frage“ das ausschlaggebende Kriterium des revolutionären Marxismus in der imperialistischen Epoche ist. Diese Frage umfasst sowohl eine tiefe Kenntnis der bolschewistischen Partei, die in der Russischen Revolution von 1917 die Arbeiterklasse zur Machteroberung führte, als auch die Notwendigkeit, die Errungenschaften dieser Revolution trotz der stalinistischen Degeneration der Sowjetunion zu verteidigen.

Dieses programmatische Verständnis war seit den Anfängen der SL/U.S. zentral für unsere Intervention in die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung. Gegen den sozialpatriotischen Aufruf „Bring Our Boys Home“ [Bringt unsere Jungs nach Hause] kämpften wir für die Niederlage des US-Imperialismus und erhoben die Forderung „Ganz Indochina muss kommunistisch werden!“ In einem Telegramm an Ho Chi Minh vom 7. Februar 1965, abgeschickt an dem Tag, als die USA mit der Bombardierung Nordvietnams begannen, erklärten wir: „Heldenhafter Kampf der vietnamesischen Werktätigen treibt die amerikanische Revolution voran“ (abgedruckt in Spartacist, englischsprachige Ausgabe Nr. 4, Mai/Juni 1965). In den 1980er-Jahren, als im zweiten Kalten Krieg der antisowjetische Feldzug voll entbrannte, stachen wir durch unsere zugespitzte Verteidigung der Sowjetunion hervor, indem wir dazu aufriefen: „Hoch die Rote Armee in Afghanistan! Weitet die sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution auf die Völker Afghanistans aus!“, und forderten: „Stoppt die Konterrevolution der Solidarność!“ in Polen.

Genosse Robertson initiierte einige unserer schlagkräftigsten und schärfsten Losungen sowie Propaganda und Aktionen. Er war der zentrale Architekt der größten und bedeutsamsten Mobilisierung unserer internationalen Tendenz, unserer Intervention in eine beginnende proletarisch-politische Revolution 1989 im deformierten Arbeiterstaat DDR. Während Arbeiter, Soldaten, Studenten und andere massenhaft unter Bannern mit der Aufschrift „Für kommunistische Ideale“ und „Keine Privilegien“ marschierten, erhoben wir unsere Stimme für ein „rotes Rätedeutschland“ durch sozialistische Revolution in Westdeutschland und proletarisch-politische Revolution zum Sturz der verräterischen stalinistischen Führer der DDR.

Wir standen in einem politischen Kampf mit dem abdankenden stalinistischen Regime über die Zukunft der DDR, der allerdings durch ein Missverhältnis der Kräfte geprägt war. Als der Sowjetführer Michail Gorbatschow grünes Licht für die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands gab, wurden wir in die Niederlage gezwungen. Aber wir haben mit all unseren Kräften gekämpft! Jim zog später einen Vergleich zu Lenins Intervention auf einer Sitzung des Ersten Allrussischen Sowjetkongresses im Juni 1917. Als ein menschewistischer Führer behauptete, dass keine Partei zur Machtübernahme bereit sei, rief Lenin: „Es gibt eine solche Partei.“ Wie Genosse Robertson feststellte: „Das waren wir in der DDR 1989/90. Ich glaube nicht, dass wir dies herunterspielen oder abstreiten sollten, nur weil wir besiegt wurden. Wir werden häufig besiegt werden.“

Die Konterrevolution, die die deformierten Arbeiterstaaten Ost- und Mitteleuropas verschlungen hatte, zerstörte 1991/92 die Sowjetunion. Jim erkannte klar die verheerenden Auswirkungen dieser Niederlage auf die Kämpfe und das Bewusstsein der Arbeiterklasse:

„Wir befinden uns in einer ungewöhnlich tiefen Talsohle, und die Erfahrungen, zu denen wir direkt Zugang haben, taugen nicht viel. Also täten wir gut daran, uns sehr stark auf die Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu stützen, als diese viel weitblickender war: die Jahre 1918 bis einschließlich 1921.“

Unsere viersprachige theoretische Zeitschrift Spartacist ist ein zentrales Instrument, um diese Erfahrungen, die in den ersten vier Weltkongressen der Kommunistischen Internationale verkörpert sind, lebendig zu halten. Jim war Gründungsredakteur und blieb bis zu seinem Tod ein wesentliches Mitglied der Redaktion der englischsprachigen Ausgabe. Jim betonte immer, dass es nicht darum gehe, überliefertes Wissen weiterzureichen, sondern dieses kritisch auszuwerten. Besonders schätzte er unsere Artikel „Nieder mit Exekutivämtern des kapitalistischen Staates!“ (Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 27, Frühjahr 2009) und „Warum wir die Forderung nach einer ‚konstituierenden Versammlung‘ ablehnen“ (Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 29, Sommer 2013). Jim hatte zu beiden Artikeln entscheidenden Anstoß gegeben und betrachtete sie als notwendige Erweiterungen von Lenins Schriften Staat und Revolution und Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky.

Kalifornien, Calvinismus und Kommunismus

Jim, 1928 in Berkeley geboren, war ein Kind der Weltwirtschaftskrise, deren bitteres Elend er oft in Erinnerung rief. Er erinnerte sich ebenfalls an die Auswirkung des Hafenarbeiterstreiks 1936/37 an der Westküste, wo er mit den Augen eines kleinen Jungen in der San Francisco Bay den herumtreibenden Abfall sah, der von nichtabgefertigten Schiffen über Bord geworfen worden war.

Etwa 80 Jahre später war es in erster Linie Jim, der unsere Broschüre „Then and Now“ [„Damals und heute“, siehe auch Spartakist Nr. 212, Frühjahr 2016] motivierte. Diese Broschüre zeigt den Kontrast zwischen den Siegen dreier stadtweiter Streiks während der Wirtschaftskrise 1934 – die Streiks der Hafenarbeiter in San Francisco, der Teamsters [Transportarbeiter] in Minneapolis und der Autoarbeiter in Toledo – und der fortlaufenden zerstörerischen Angriffe auf die organisierte Arbeiterklasse heute. Die Broschüre soll eine neue Generation von Kämpfern aus der Arbeiterklasse bewaffnen und macht einen entscheidenden Unterschied sehr klar: Im Gegensatz zu den heutigen verräterischen Arbeiterführern, die sich den Interessen und Profiten des amerikanischen Imperialismus unterordnen, wurden die 1934er Streiks von „Roten“ angeführt, die zur Mobilisierung der Klassenmacht der Arbeiter entschlossen waren. In dem Kampf, eine klassenkämpferische Perspektive in der Arbeiterklasse zu verankern, hatte Jim ein tiefes Verständnis von der Beziehung der leninistischen Partei zum Proletariat: Gewerkschaften stehen für die Einheit der Arbeiter, während die Partei für Spaltung steht – d. h. für den Kampf, die Avantgarde der Klasse durch die Rekrutierung der klassenbewusstesten Arbeiter zu schmieden.

Jim wuchs in einer Familie von lauter standhaften Presbyterianern auf. Die ihm durch seine calvinistische Erziehung eingeprägten Lehren sollten für ihn weiterhin wesentlich sein, selbst nachdem er als Jugendlicher Atheist geworden war. Er blieb Wissen und Redlichkeit verpflichtet und behielt einen ausgeprägten Sinn für Geldangelegenheiten. Der Kampf gegen die Unwissenheit, den Aberglauben und den allseitig reaktionären Charakter der katholischen Kirche inspirierte ihn als Jugendlichen auch dazu, im Spanischen Bürgerkrieg für die Loyalisten Seite zu beziehen gegen Francos Kräfte, die mit den Faschisten verbündet waren. Jim war ein universal gebildeter Mensch mit einer großen Bandbreite von Interessen: Er war ein begeisterter Taucher und besaß eine stattliche Sammlung britischer Münzen; er interessierte sich stark für römische und mediterrane Geschichte, gerade auch für den Übergang von der Antike zum Feudalismus.

Der Amerikanische Bürgerkrieg und der Kampf zur Abschaffung der Sklaverei der Schwarzen waren für Jim seit jungen Jahren weitere lebenswichtige Fragen. Während seine Familie mütterlicherseits von Sklavenhaltern abstammte, hatte sein Urgroßvater im Bürgerkrieg auf der Seite der Unionstruppen des Nordens gekämpft. 1984 gab Jim den Anstoß, dass wir die Konföderierten-Flagge vom Civic Center in San Francisco herunterrissen. Zur Würdigung der Inspiration durch seinen Urgroßvater brachte unser Artikel „We Tore Down the Flag of Slavery!“ [Wir rissen die Flagge der Sklaverei herunter!] (Workers Vanguard Nr. 353, 27. April 1984) ein Bild seines Grabsteins.

Jim, der hauptsächlich in der Bay Area und im Central Valley aufwuchs, wo seine Mutter in einer Reihe kleinstädtischer Grundschulen Lehrerin war, blieb sein ganzes Leben lang Kalifornier. Seine Vorstellung von einer guten amerikanischen Mahlzeit war ein Gericht aus Rindfleisch-Enchiladas, Reis und Bohnen. Er hatte auch ein tiefes Verständnis der brutalen Unterdrückung und Erniedrigung der Mexikaner, die auf den Feldern des Central Valley schufteten. Das Einsperren von Amerikanern japanischer Herkunft in Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs hatte er ebenfalls in lebendiger Erinnerung. Als seine Mutter in einer kleinen Mennonitengemeinde unterrichtete, waren seine einzigen Freunde japanisch-amerikanische Kinder, die viele Interessen mit ihm teilten. Das Bild japanischer Amerikaner, die in Merced, Kalifornien, interniert waren und dort auf den Transport in die Lager warteten, prägte sich unauslöschlich in sein Bewusstsein ein.

In Notizen für Memoiren, die seine Frau Elizabeth Robertson für ihn aufschrieb – vor ihrem Krebstod im Jahre 2005, der für Jim ein furchtbar schwerer Schlag war –, spricht er über die Auswirkung dieser Erfahrungen auf das „Heranreifen eines kommunistischen Bewusstseins“:

„Eine ausgeprägte Abscheu gegen Rassismus; die absurd einfache Vorstellung, dass die materiellen Erfordernisse des Lebens auf Grundlage des Bedarfs nach diesen statt ihrer Profitabilität für die Industriebesitzer produziert und verteilt werden sollten; ein kompromissloser Atheismus, der ziemlich direkt daher kommt, dass man einen unbewusst hartnäckigen Calvinisten ein Jahr lang in eine römisch-katholische Schule steckte, wo er Bestnoten in Katechismuskunde erhielt, worauf man ihn auf eine säkulare Schule zurückschickte; sowie, mit der einzigen Ausnahme des geliebten Franklin Delano Roosevelt, ein gründliches Misstrauen gegenüber bestehenden Regierungen und Institutionen.“

Im Alter von 18 Jahren trat Jim Ende 1946 in Richmond, Kalifornien, in die Kommunistische Partei ein. Zu der Zeit teilte er die Roosevelt-freundliche Politik der „antifaschistischen Volksfront“ der Stalinisten voll und ganz.

Schwarz und Rot

Jims Auftrag war es, in der KP-Jugendorganisation zu arbeiten, die überwiegend aus jungen schwarzen Arbeitern bestand. Viele von ihnen waren während des Zweiten Weltkriegs aus dem Süden gekommen, um auf den Werften in Richmond zu arbeiten, waren aber jetzt entlassen worden. Wie Jim einmal bemerkte, hatte sich die Vorstellung, der Norden sei das „gelobte Land“, zerschlagen, und jetzt schauten diese schwarzen Arbeiter auf die Sowjetunion. Die Geschichten über die tagtägliche rassistische Demütigung und Erniedrigung, der seine neuen Genossen ausgesetzt waren, vertieften Jims Bewusstsein über die zentrale Bedeutung der Unterdrückung der Schwarzen sowohl für die Gründung als auch für die Aufrechterhaltung des amerikanischen Kapitalismus.

Jahre später, Ende der 1950er-Jahre, gewann der langjährige SWP-Führer Richard Fraser Jim zu seinem Programm des revolutionären Integrationismus, das sowohl liberalen Integrationsplänen als auch schwarzem Nationalismus entgegengesetzt ist. Der revolutionäre Integrationismus wurzelt in einer auf das Proletariat zentrierten Perspektive des Kampfes gegen jegliche Erscheinung von Rassenunterdrückung im Kapitalismus. Er beruht auf dem Verständnis, dass der einzige Weg zur Befreiung der Schwarzen in der Zerschlagung dieser rassistischen kapitalistischen Ordnung durch eine proletarische Revolution liegt und dass schwarze Arbeiter als die am stärksten unterdrückte und auch bewussteste und kämpferischste Schicht der Arbeiterklasse in diesem Kampf eine führende Rolle spielen werden.

Auf einer Gedenkveranstaltung nach Frasers Tod 1988 nannte Jim ihn seinen „letzten persönlichen Lehrer“ und schilderte den Einfluss, den Fraser auf ihn ausübte: „Ich war bereits ganz empfänglich für die Darstellung und die historische Begründung Frasers, dass man nämlich in diesem Land die Abschaffung der Rassenspaltung nur durch eine tiefgreifende, umfassende, weitreichende soziale Revolution erreichen kann, in der die Arbeiterklasse an die Macht kommt.“ Eines der Gründungsdokumente der SL/U.S., „Black and Red – Class Struggle Road to Negro Freedom“ [Schwarz und Rot – der klassenkämpferische Weg zur Freiheit der Schwarzen] (1966) erläuterte Frasers Programm des revolutionären Integrationismus und schloss auch Lehren aus den ersten Jahren unserer Intervention in den Kampf für die Befreiung der Schwarzen mit ein. Von dieser Perspektive ging die Mobilisierung von Arbeitern und Schwarzen aus, die die SL am 27. November 1982 in Washington, D.C., initiierte, um den Klan zu stoppen, sowie auch unsere anderen antifaschistischen Aktionen. Der Anblick von 5000 Schwarzen, Gewerkschaftern und anderen potenziellen Opfern des Klan-Terrors, die siegreich auf der vom KKK geplanten Route in Washington marschierten, bleibt einer unserer stolzesten Momente.

In den zwei Jahren als KP-Mitglied unternahm Jim die ersten Schritte in seinem lebenslangen Studium der Lehren der Russischen Revolution. Seine Ortsgruppenleitung ermunterte ihn nicht gerade dazu, Lenin zu lesen, also ging Jim los und kaufte ein Exemplar von Staat und Revolution. Ihm fiel der eklatante Widerspruch zwischen Lenin und der KP-Politik der Klassenzusammenarbeit auf. Später sollte sich diese Erkenntnis verstärken, als er sich der zunehmenden Einkommensunterschiede und anderer Ungleichheiten in der Sowjetunion bewusst wurde, welche die Behauptung der Stalinisten Lügen straften, die Sowjetunion marschiere stetig in Richtung Sozialismus.

Während seiner Zeit als Chemiestudent an der Universität Berkeley, Kalifornien, wurde Jim mit Trotzkis Buch Verratene Revolution sowie weiteren Trotzki-Werken bekannt gemacht, und zwar von einem jungen Paar, das Max Shachtmans Workers Party unterstützte. Später erzählte er oft, wie ihm nach seinem „Geständnis“, er sei „Trotzkist“ (er beschrieb das Erlebnis als etwa ähnlich, in den 1950er-Jahren deinen Eltern zu sagen, dass du schwul bist), erklärt wurde, das sei nicht so einfach. Es gebe nämlich zwei trotzkistische Parteien: Eine sei „für Russland und gegen Stalin“ und die andere „gegen Russland und gegen Stalin“. Jim meinte, er ziehe die erstere vor, doch man sagte ihm, dies sei „altmodisch“ und er wurde stattdessen an Shachtmans Partei verwiesen. 1948 trat er in deren Jugendorganisation ein.

Von der KP ins „Dritte Lager“

Shachtman, einer der Mitbegründer und ursprünglichen Führer des amerikanischen Trotzkismus, hatte sich 1940 von der SWP abgespalten, als er die Verteidigung der Sowjetunion durch die Partei zurückwies. Es dauerte aber einige Jahre, bis die gesamte proimperialistische Tragweite dieser Fahnenflucht vom Trotzkismus klar wurde. Shachtmans Organisation stürzte immer tiefer in offene Unterstützung des US-Imperialismus ab, ein Prozess, der nicht lange nach Jims Eintritt einsetzte und ihn in die Opposition trieb. 1951 brachte Shachtman die Idee in Umlauf, man könne einen US-geführten Krieg gegen die Sowjetunion unterstützen, solange er irgendwelche Abdeckung seitens der Arbeiterbewegung hätte. Kurz darauf debattierte Jim mit Shachtman vor den Mitgliedern der Ortsgruppe San Francisco in der Bay Area.

Das erforderte durchaus Rückgrat und deutete schon früh auf Jims politische Unnachgiebigkeit und seinen Wagemut hin. In der Debatte benutzte er Shachtmans Artikel von 1941 „Working-Class Policy in War and Peace“ [Proletarische Politik in Krieg und Frieden]. In diesem Artikel hatte Shachtman die „Proletarische Militärpolitik“ der SWP – die während des Zweiten Weltkriegs eine gewerkschaftliche Kontrolle über die militärische Ausbildung befürwortete – zu Recht als Zugeständnis an den Sozialpatriotismus angeprangert. Die Ablehnung dieser Politik, kodifiziert in unserer Broschüre Prometheus Research Series Nr. 2, „Documents on the ‚Proletarian Military Policy‘“ [Dokumente über die ‚Proletarische Militärpolitik‘] (Februar 1989), bleibt weiterhin kennzeichnend für unsere internationale Organisation.

Jim erhielt in Shachtmans Organisation auch eine gute Ausbildung in den marxistischen Klassikern, auf welche er später als Modell für die Schulung neuer Genossen in der SL zurückgriff. Bedauerlicherweise für Al Garber, der das Schulungsprogramm leitete, hatte dieses den Schüler bewaffnet, polemisch den erbärmlichen Revisionismus des Lehrers vernichtend auseinanderzunehmen. Garber hatte argumentiert, der Stalinismus hätte vermieden werden können, wenn die Bolschewiki am Ende des verheerenden Bürgerkriegs 1921 zu Neuwahlen aufgerufen und die Macht an eine siegreiche Partei übergeben hätten, welche auch immer. In einem Dokument von 1954 mit dem Titel „Should the Bolsheviks Have Surrendered State Power?“ [Hätten die Bolschewiki die Staatsmacht aufgeben sollen?] argumentierte Jim, dies wäre „ein Verrat ersten Ranges am Sozialismus [gewesen] und hätte die Niederlage“ der Oktoberrevolution unvermeidlich gemacht. Garber giftete Jim an, er gehöre in die SWP, worauf Jim erwiderte, Garber gehöre in die Socialist Party. Ein paar Jahre später waren beide in jeweils genau diesen Organisationen gelandet.

Die Ungarische Revolution von 1956 versetzte Shachtmans Position, dass die stalinistische Bürokratie eine neue „bürokratisch-kollektivistische“ herrschende Klasse sei, einen gewaltigen Schlag. Konfrontiert mit einem Aufstand der Arbeiterklasse kam es zur Polarisierung in der Bürokratie der Kommunistischen Partei Ungarns und zur Spaltung. Eine beträchtliche Minderheit, darunter ein zentraler Militärführer und der Budapester Polizeichef, ging auf die Seite der Arbeiter über. Damit bestätigte sich Trotzkis Verständnis, dass die stalinistische Bürokratie eine instabile Kaste ist, eine parasitäre Wucherung an der Spitze des Arbeiterstaats. Wie Jim später in einem Vortrag über die Vorläufer der Spartacist League bemerkte: „Stellt euch eine proletarische Revolution in einem kapitalistischen Land vor, bei der ein Viertel der Republikanischen Partei oder der Tories auf die Seite der Arbeiter übergeht. Das ist ein reines Hirngespinst! Alles, was Trotzki sagte, war richtig.“

Im selben Jahr der Entwicklungen in Ungarn trieb die „Geheimrede“ Chruschtschows über die Verbrechen Stalins hunderte erschütterte und desillusionierte Stalinisten aus der Kommunistischen Partei, wodurch die Dominanz der KP in der Linken gebrochen wurde. Shachtman seinerseits war dabei, die vollständige Liquidierung in die „State Department Socialists“ [Regierungs-Sozialisten] der heruntergekommenen Socialist Party von Norman Thomas einzufädeln. Als einer der Führer des Left Wing Caucus [Linke Fraktion] in der Shachtman-Jugendorganisation, der sich der Liquidation widersetzte, debattierte Jim abermals mit Shachtman. Nach der Debatte schrieb Shachtman, der Versuch sei zwecklos, Jim vor „etwas zu retten, was er so sehr will und so sehr braucht – die Erfahrung mit einer sterilen, intoleranten Sekte von revolutionären Phrasendreschern wie der SWP“.

Und genau dorthin ging Jim auch, er trat 1957 in die SWP ein. Er erinnerte sich immer gern an die Zusammenarbeit mit dem SWP-Veteranen Murry Weiss, der eine zentrale Rolle bei der Umgruppierung der Partei mit dem Left Wing Caucus spielte. Diese Umgruppierung legte dann die Basis für die Gründung der Jugendgruppe der SWP, die Young Socialist Alliance (YSA). Genosse Robertson und zwei andere ehemalige Caucus-Führer, Shane Mage und Tim Wohlforth, wurden zu YSA-Führern. Wie Jim es beschrieb, sahen sie zwar die SWP eher als eine Art Trotzki-Gedenkgesellschaft an, doch meinte er, er wolle „lieber in einem ehrenwerten, irrelevanten Trotzki-Gedenkverein“ sein, als bei den Shachtman-Anhängern zu bleiben.

Die SWP, die RT und die Kubanische Revolution

Zum Zeitpunkt von Jims Eintritt war die SWP schon erheblich ausgehöhlt, was vor allem die Auswirkungen der Stagnation und Repression während der Kalten-Kriegs-Hexenjagd der 1950er-Jahre widerspiegelte. Als die SWP einige Jahre lang die Gesellschaft kaum oder überhaupt nicht beeinflussen konnte, wurde für einen Großteil der Parteiführung das trotzkistische Programm zunehmend irrelevant. Auf der Suche nach irgendetwas, an das sie sich anhängen konnte, entdeckte die SWP die Kubanische Revolution unter der Führung von Fidel Castro, dessen kleinbürgerliche Guerilla-Kräfte 1959 in Havanna die Macht ergriffen und dessen Regierung 1960/61 die kubanische Bourgeoisie enteignete. Jim erzählte oft, wie der langjährige SWP-Führer Morris Stein von der Kubanischen Revolution schwärmte, die er für die beste hielt, die er zu Lebzeiten sehen würde.

Indem die SWP-Führung Fidel Castro als „unbewussten Marxisten“ hochjubelte, warf sie sowohl die zentrale Bedeutung der Arbeiterklasse als auch die unerlässliche leninistische Avantgardepartei, die den Kampf des Proletariats um die Macht führt, über Bord. 1960 schrieb Shane Mage das oppositionelle Dokument „The Cuban Revolution and Marxist Theory“ [Die Kubanische Revolution und marxistische Theorie], das von Robertson und Wohlforth mitunterzeichnet wurde. In einem Vortrag von 2014 über „The RT at Conception“ [Die RT bei der Entstehung] bemerkte Jim, er habe nicht gedacht, dass das Dokument viel bewirken würde, da sie alle Neulinge in der SWP waren. Aber sie waren eben auch Führer der SWP-Jugendorganisation, und im Januar 1961 berief die Parteiführung ein Plenum zur kubanischen Frage ein. Jim erinnerte sich: „Das Plenum ging darum, uns gefügig zu machen, uns zu stoppen. Sie haben uns ziemlich schwer zugesetzt. Wir haben nichts widerrufen. Stattdessen beriefen wir ein Fraktionstreffen ein“ (Marxist Studies for Cadre Education [Marxistische Studien für die Kaderausbildung] Nr. 10, Juni 2018). Das war der Beginn der Revolutionary Tendency in der SWP.

Ein voll ausgereiftes Verständnis davon, dass Kuba durch die umfassenden Verstaatlichungen und die Liquidierung der Bourgeoisie als Klasse 1960 zu einem deformierten Arbeiterstaat geworden war, wird in einem ergänzenden Vorwort zum Marxist Bulletin Nr. 8, „Cuba and Marxist Theory“ [Kuba und marxistische Theorie] dargelegt. Dieses 1973 von Jim geschriebene Vorwort erklärte die außergewöhnlichen Umstände, die zu diesem Ergebnis geführt hatten: Die Tatsache, dass die Arbeiterklasse nicht als Anwärter auf die Macht auftrat, die Flucht der kubanischen Bourgeoisie, die unnachgiebige Gegnerschaft der Eisenhower-Regierung und die Existenz der Sowjetunion als militärisches und wirtschaftliches Gegengewicht zum US-Imperialismus.

Diese Analyse der Kubanischen Revolution lieferte den Schlüssel zum Verständnis des Prozesses, wie Revolutionen aufständischer bäuerlicher Kräfte unter der Führung von Stalinisten nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich den Kapitalismus zerschlagen und deformierte Arbeiterstaaten errichten konnten. Das war ein entscheidender Beitrag, der den Trotzkismus gegenüber der Desorientierung und dem Impressionismus der Vierten Internationale der Nachkriegszeit neu bekräftigte. Die Mehrheit der Trotzkisten, die sich auf eine sterile „Orthodoxie“ stützte, hatte zunächst darauf bestanden, dass es ohne eine proletarische Revolution keinen sozialen Umsturz des Kapitalismus geben könne. Nach der Jugoslawischen Revolution, die sich auf die Bauernschaft stützte, und nach Titos anschließendem Bruch mit Stalin, feierten viele Trotzkisten die jugoslawischen Stalinisten als „Genossen“ und „linke Zentristen“. Michel Pablo, der nach der Dezimierung der zentralen Kader der Vierten Internationale in Europa während des Krieges als ihr Führer hervorgegangen war, verallgemeinerte dieses Nachlaufen hinter den jugoslawischen Stalinisten zu einem umfassenden revisionistischen Kurs. Er argumentierte, die Errichtung deformierter Arbeiterstaaten in Ost- und Mitteleuropa, von denen die meisten von den Streitkräften der Roten Armee von oben herab geschaffen wurden, habe gezeigt, dass „unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit weiter besteht, dass die Kommunistischen Parteien sich eine annähernd revolutionäre Orientierung geben“. So wurde die Notwendigkeit einer revolutionären trotzkistischen Internationale für nichtig erklärt.

Cannons SWP hatte, wenn auch nur teilweise und begrenzt, den pabloistischen Revisionismus bekämpft und sich im Internationalen Komitee (IK) mit anderen Organisationen zusammengeschlossen, die den Anspruch erhoben, den Trotzkismus zu verteidigen. Aber die Begeisterung der SWP für Castros Guerillas ebnete 1963 den Weg zur Wiedervereinigung mit den Pabloisten. Die RT war gegen diesen Kurs. Jim war besonders stolz darauf, den folgenden Abschnitt der RT-Resolution „Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale“ von 1963 verfasst zu haben:

„Die Ereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg haben bewiesen, dass ein Guerilla-Krieg mit bäuerlicher Basis und kleinbürgerlicher Führung als optimalen Ausgang nur ein antiproletarisches, bürokratisches Regime hervorbringen kann. Die Entstehung solcher Regime haben der niedergehende Imperialismus, die durch stalinistischen Verrat erzeugte Demoralisierung und Desorientierung sowie das Fehlen einer revolutionär-marxistischen Führung der Arbeiterklasse ermöglicht. Die Kolonialrevolution bekommt nur dann einen eindeutig progressiven Charakter, wenn das revolutionäre Proletariat eine solche Führung besitzt. Den Revisionismus in Bezug auf die proletarische Führung der Revolution in ihrer Strategie aufzunehmen, stellt also eine grundlegende Leugnung des Marxismus-Leninismus seitens der Trotzkisten dar, mögen auch so viele fromme Wünsche über den ‚Aufbau revolutionär-marxistischer Parteien in Kolonialländern‘ geäußert werden. Der Weg zum Sozialismus mittels bäuerlichen Guerilla-Kriegs ist mit dem von Lenin bekämpften Programm der Sozialrevolutionäre historisch verwandt; ihn zu akzeptieren, bedeutet Abenteurertum. Marxisten müssen ihn entschieden bekämpfen, da er für die sozialistischen Ziele der Bewegung katastrophal wäre und unter gewissen Umständen einem Selbstmord der Abenteurer gleichkäme.“

– abgedruckt in Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 1, Frühling 1974

In den USA selber kämpfte die RT, die schwarze Aktivisten zum revolutionären Marxismus gewinnen wollte, gegen die kriminelle Weigerung der SWP, in den wachsenden linken Flügel der Bürgerrechtsbewegung zu intervenieren. In ihrem Dokument „For Black Trotskyism“ [Für die Schmiedung eines trotzkistischen Kaders von Schwarzen] vom Juli 1963 erinnerten Robertson und Shirley Stoute an Trotzkis Mahnung: „Sollte es dazu kommen, dass wir in der SWP den Weg zu diesen Schichten nicht finden können, dann sind wir ganz unwürdig.“ Im Dezember 1963 schloss die SWP-Führung Robertson und vier weitere RT-Führer aus. Das waren die ersten politischen Ausschlüsse in der Geschichte der Partei.

Die Verpflichtung zum proletarischen Internationalismus

Nach Cannons Tod im August 1974 hielt Genosse Robertson bei einer nationalen Versammlung der SL/U.S. im selben Monat eine Gedenkrede. Er sprach über Cannons einzigartige Fähigkeit, die sich aus seiner Ära und seinen politischen Kämpfen entwickelt hatte, „der erfolgreiche Stratege und Führer einer proletarischen Revolution in Nordamerika zu sein“. Jim stellte jedoch fest, dass Cannon der internationalen Verantwortung ausgewichen war, die er nach Trotzkis Ermordung hätte übernehmen müssen:

„Cannon haftete ein Fehler an. Im August 1940 wurde er als derjenige mit der größten Autorität verantwortlich für die trotzkistische Weltbewegung, und er machte im Grunde nichts daraus (obwohl die SWP internationalistisch und dazu bereit war, Energie und Leben einzusetzen). Ich glaube, der Grund war ziemlich einfach: Cannon spürte, dass er nicht gut genug war, ein internationaler Führer der marxistischen Bewegung zu sein, und er hatte Recht…

Also ist Cannon zurückgewichen, und die Arbeit haben wir am Hals. Er hat sie uns im doppelten Sinne aufgebürdet. Weil er um vieles besser war als wir – und wenn ich sage ‚er‘, meine ich nicht nur Cannon persönlich, sondern das Team, das unmittelbar zusammenarbeitete und das ‚Cannon-Regime‘ ausmachte…

Es gab allerdings ein Cannon-Regime, und die Genossen taten ihr Bestes. Aber sie haben die internationale Herausforderung nicht angenommen, und doch ist dies eine Verpflichtung. Ja, wenn man weiß, dass man nichts weiß, geht man geduldig, leise, beständig weiter; man kämpft mit der größten Geduld und Aufmerksamkeit um internationale Mitarbeiter. Wir müssen diesen Weg gehen, nicht zurückweichen und nicht in nationaler Isolierung warten, bis jemand hervortritt und sagt: ‚Ich kann es machen‘, und wir dann sagen: ‚Nun gut; wir verleihen dir unsere Autorität.‘ Wir müssen beharrlich sein; wir müssen intervenieren.“

– Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 18, Frühjahr 1997

Von Anfang an verstanden unsere Gründungskader, dass wir in nationaler Isolierung als revolutionäre Organisation niemals überleben würden, schon gar nicht unter dem Druck, den die Arbeit im mächtigsten imperialistischen Land der Welt mit sich bringt. Wir sahen uns in programmatischer Übereinstimmung mit dem Internationalen Komitee (bis zu unserem endgültigen Bruch mit dem IK 1967). Insbesondere die Socialist Labour League von Gerry Healy in Britannien hatte äußerst beeindruckende und orthodox klingende Dokumente in Verteidigung des authentischen Trotzkismus veröffentlicht. Gleichzeitig hatte die RT ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit Healys bürokratischen Organisationspraktiken gemacht, die darauf abzielten, Gehorsam gegenüber seinen Diktaten zu erzwingen. Im Jahr 1962 hatte Healys amerikanischer Speichellecker Wohlforth die RT gespalten; später sollte er der SWP-Führung bei unserem Ausschluss als Denunziant dienen.

Mit Healy hatten wir auch eine bedeutende politische Differenz über Kuba. Die Healyisten reagierten auf die begeisterte Unterstützung der SWP für Castros kleinbürgerliche Guerillas, indem sie bestritten, dass der Kapitalismus in Kuba gestürzt worden war – eine Position, die wir als „umgekehrten Pabloismus“ bezeichneten. Dennoch hatten wir, soweit wir es ihren schriftlichen Dokumenten entnehmen konnten, wesentliche programmatische Übereinstimmung, und das war von zentraler Bedeutung.

Bei der Konferenz des IK 1966 in London, an der eine Spartacist-Delegation teilnahm, trat Genosse Robertson als unser Redner auf. Er sprach unsere Meinungsverschiedenheiten über Kuba an: „Wenn die kubanische Bourgeoisie wirklich ‚schwach‘ ist, wie das IK behauptet, kann man nur vermuten, dass sie vom langen Schwimmen nach Miami, Florida, müde sein muss.“ Er kritisierte die enorme Überschätzung einer unmittelbar herannahenden endgültigen „Krise des Kapitalismus“ durch das IK und argumentierte, das IK habe den Kampf gegen den pabloistischen Revisionismus „nicht besonders gut“ geführt. Healys Antwort kam prompt. Er warf Robertson vor, seine angeblich „unentschuldigte“ Abwesenheit bei einer Konferenzsitzung sei ein Akt kleinbürgerlicher, amerikanisch-chauvinistischer Verachtung, und verlangte, dass Jim sich entschuldige. Jim weigerte sich, ein falsches Schuldeingeständnis abzulegen.

In der Schlusserklärung der Spartacist-Delegation an die Konferenz erklärte Jim:

„Wir halten es für eine Verletzung leninistischer Praxis, von einem Genossen zu verlangen, seinen Genossen etwas zu beteuern, an das er selbst nicht glaubt… Die Spartacist-Organisation [wurde] einer Reihe von verleumderischen Angriffen ausgesetzt, trotz unserer grundlegenden politischen Übereinstimmung in Bezug auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Revisionismus. Dies ist ein Versuch, für die amerikanische Sektion den internationalen demokratischen Zentralismus durch einen Mechanismus von Furcht und Gehorsam und nicht von Bewusstsein und Disziplin zu ersetzen.“

Ein Jahr später wurde der Widerspruch zwischen Healys Organisationspraktiken und dem erklärten Programm des IK aufgelöst, als dieses Maos „Kulturrevolution“ sowie die sogenannte „Arabische Revolution“ bejubelte, die aus despotischen nationalistischen Regimen im Nahen Osten bestand.

Schmiedung eines Kaderkollektivs

Gewiss dachte Healy, dass wir nach unserem Bruch mit ihm einfach zusammenschrumpfen und sterben würden. Taten wir aber nicht. Mit der ersten Ausgabe des Spartacist (Februar/März 1964) hatten wir unsere Absicht erklärt, die Diskrepanz zwischen unserer Größe und unserem Ziel, eine leninistische Avantgardepartei zu schmieden, zu überwinden: durch revolutionäre Umgruppierung mit sich nach links bewegenden Elementen anderer vorgeblich marxistischer Organisationen und durch Rekrutierung von individuellen Anhängern unter radikalisierten Jugendlichen und militanten Bürgerrechtskämpfern sowie dadurch, dass wir in Schlüsselsektoren der Arbeiterklasse zu intervenieren suchten.

In den USA war dies eine Zeit tiefgreifender politischer Gärung und turbulenter sozialer Kämpfe. Die Bürgerrechtskämpfe hatten den reaktionären Konsens des Kalten Kriegs der 1950er-Jahre zerschmettert. Opposition gegen den die Demokratische Partei unterstützenden liberalen Pazifismus der Martin-Luther-King-Führung hatte zu einer linken Abspaltung junger schwarzer Militanter geführt. Die Auswirkung der Kubanischen Revolution verband sich nun mit wachsender Opposition gegen den Vietnamkrieg. Die Neue Linke wuchs sprunghaft an.

Obwohl unsere Reihen klein und in den Anfangsjahren etwas amorph waren, kämpften wir dafür, nach besten Kräften zu intervenieren. Was Genosse Robertson dabei einbringen konnte, waren die Lehren des leninistischen Parteiaufbaus, insbesondere Kaderschulung und -entwicklung, die er vor allem aus der Arbeit und Geschichte von James P. Cannon gelernt hatte. Er verstand, dass wir hauptsächlich Einzelpersonen und Gruppen rekrutieren würden, die von unserem Programm und von unserer Analyse in unserer Propaganda angezogen waren und nicht von einer falschen Vorspiegelung von „Massenarbeit“. Gleichzeitig suchte Jim nach Möglichkeiten, wie wir unser Programm auf exemplarische Weise in Aktion zeigen könnten.

Als 1964 das schwarze Harlem nach Massenprotesten gegen den Bullenmord eines schwarzen Jugendlichen unter Belagerung durch die Polizei stand, initiierte die SL das Harlem Solidarity Committee. Sein Ziel war es, Arbeiter-unterstützung für die belagerte schwarze Bevölkerung zu mobilisieren. Die Resonanz zeigte sich in einer Kundgebung von fast 1000 Menschen im Garment District [Textilviertel] von New York. In seiner Rede vor der Menge bot Jim der Kampagne der Bullen, die für die Entfachung der Unruhen in Harlem die Kommunisten verantwortlich machen wollten, die Stirn. Herausfordernd erklärte er: „Leider gibt es in Harlem heute nicht viele Rote – aber es wird sie geben!

1968 gelang es Jim im Verlauf eines intensiven internen Fraktionskampfes, ein Kaderkollektiv aus den Genossen zu schmieden, die in den Anfangsjahren zur SL/U.S. gewonnen worden waren. Nach einer Reihe von Umgruppierungen und Fusionen konnten wir dann mit der Gründung von Workers Vanguard und Women and Revolution unsere Perspektive als kämpfende Propagandagruppe verwirklichen. Wir gründeten eine nationale Jugendorganisation, aus welcher wiederum viele der jungen Genossen kamen, die weiter in wichtigen Gewerkschaften für eine klassenkämpferische Perspektive kämpfen sollten.

In Notizen für seinen eigenen Nachruf schrieb Jim 1990: „Er schlug die Brücke von der alten Linken unter James P. Cannon und Max Shachtman zur Neuen Linken und brachte damals mehrere hundert Leute mit, die dadurch ihr Leben nicht mit vergeblichen Abenteuern oder Yuppietum verschwendeten.“ Und zur Zeit unserer Dritten Nationalen Konferenz 1972 verfügten wir endlich über die Kader, Sprachkenntnisse und Finanzmittel, um unsere internationale Ausweitung systematisch voranzutreiben.

Für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale!

Die internationale Spartacist-Tendenz wurde 1974 mit der „Erklärung für die Organisierung einer internationalen trotzkistischen Tendenz“ offiziell ins Leben gerufen. Das Dokument, das von der SL/U.S., der Spartacist League of Australia and New Zealand und Genossen in Europa angenommen wurde, erklärte:

„Die internationale Spartacist Tendenz ist genau das, was ihr Name sagt: eine in einem Konsolidierungsprozess begriffene Tendenz. Doch vom Beginn ihrer internationalen Arbeit an erklärt sie ihre ein Jahrzehnt lang im nationalen Rahmen erprobte Treue zu den marxistisch-leninistischen Grundsätzen und dem trotzkistischen Programm – ihren revolutionären, internationalistischen und proletarischen Charakter.

Der Kampf um die Wiedergeburt der Vierten Internationale dürfte schwierig, langwierig und vor allem ungleichmäßig sein.“

Von unseren ersten Tagen an war Jim oft Teil internationaler Delegationen, die Öffnungen für prinzipienfeste revolutionäre Umgruppierung verfolgten. Persönlich richtete er sein Augenmerk vor allem auf Britannien und er lebte Mitte der 1970er-Jahre in London. Dort arbeitete er an der Abfassung unserer „Thesen über Irland“ mit, eine wichtige Erweiterung des leninistischen Verständnisses von der nationalen Frage, insbesondere in Bezug auf geografisch vermischt lebende Völker. Jim spielte auch eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung einer oppositionellen Fraktion aus der Workers Socialist League von Alan Thornett, die mehrere junge irische und türkische Mitglieder umfasste. Damit wurde der Grundstock für die Gründung der Spartacist League/Britain im Jahr 1978 gelegt.

Zum Zeitpunkt unserer Ersten Internationalen Konferenz 1979 hatten wir Sektionen in Frankreich, Deutschland, Australien, Kanada, den USA und Britannien. Diejenigen unter den fast 300 anwesenden Delegierten und Beobachtern, die früher anderen Organisationen angehört hatten, stammten mehrheitlich von Linksabspaltungen aus dem pabloistischen Vereinigten Sekretariat von Ernest Mandel. Außerdem gab es ehemalige Stalinisten der Moskau- und Beijing-Richtung, antirevisionistische Trotzkisten und ehemalige Anhänger des Dritten Lagers sowie Ex-Mitglieder der Black Panthers und radikaler Organisationen für Frauen- und Schwulenrechte.

Aber obwohl wir viele junge Militante aus selbsternannten trotzkistischen Gruppen rekrutiert hatten, war es uns nicht gelungen, altbewährte Kämpfer zu gewinnen, deren Erfahrung uns geholfen hätte, eine neue Generation heranzubilden. Dabei mangelte es ja nicht an Versuchen. Unsere wichtigsten Bemühungen, „die Gründungskader der neuen Organisation im Schoße der alten“ (James P. Cannon) zu finden, waren unsere langjährigen brüderlichen Beziehungen mit den Genossen der Revolutionary Workers Party (RWP) von Edmund Samarakkody in Sri Lanka. 1960 hatte Jim einen Brief an das Politische Komitee der SWP geschrieben, in dem er gegen dessen öffentliches Schweigen zu dem Verrat der Lanka Sama Samaja Party (LSSP) protestierte, die mit der bürgerlich-nationalistischen, singhalesisch-chauvinistischen Sri Lanka Freedom Party (SLFP) einen Volksfront-Wahlpakt unterzeichnet hatte. (Siehe Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 28, Herbst 2011.) 1964 trat die LSSP in die SLFP-Regierung ein, was Samarakkody veranlasste, sich von der LSSP abzuspalten. Noch im gleichen Jahr stimmten er und sein Genosse Meryl Fernando, beide Parlamentsabgeordnete, für einen Misstrauensantrag – ein prinzipienfester Akt, der die Koalitionsregierung stürzte.

Die Erklärung für die Organisierung einer internationalen trotzkistischen Tendenz, die die Aussichten für revolutionäre Umgruppierungen umriss, würdigte besonders Samarakkodys RWP, weil sie „unbefleckt aus dem Wirrwarr von Verrätereien hervorgegangen [ist], die die alte LSSP begangen hat“ und denen das Vereinigte Sekretariat (wie auch Healys IK) Vorschub geleistet hatten. In schriftlichen und mündlichen Diskussionen, die wir ab 1971 mit Samarakkodys Gruppe führten, wurde klar, dass sie mit einem parlamentarischen Rahmen nicht gebrochen hatte. Ein Beweis dafür war, dass Samarakkody sein Votum von 1964 gegen die Volksfront verwarf. Die Beziehungen waren scheinbar in eine Sackgasse geraten, als wir 1979 einen Vorschlag zur Fusion erhielten.

Genosse Robertson leitete eine Delegation nach Lanka an, um Diskussionen zu führen. Ein Genosse, der auch dieser Delegation angehörte, schrieb kürzlich: „Diese zehn Tage intensiven politischen Kampfes demonstrierten Jims Fähigkeiten als politischer Führer mit klarem Kopf, der stählerne programmatische Härte mit einem ausgezeichneten Sinn für Diplomatie verband. Die Reise war von vielen Faktoren bestimmt, vor allem aber von Jims wohlbekannter Entschlossenheit, unsere Kräfte international auszuweiten.“ Als Teilnehmer an unserer Internationalen Konferenz 1979 machte Samarakkody deutlich, dass er seine provinzielle Operation am linken Rand der Volksfront in Sri Lanka fortzusetzen beabsichtigte und es nicht erlauben würde, seine Organisation den Korrektiven des internationalen demokratischen Zentralismus zu unterstellen. Die Fusion platzte, als Samarakkody seine Koffer packte und noch vor dem Ende der Konferenz abreiste.

Allerdings erfuhren wir, dass wir die RWP polarisiert hatten, und wir gewannen einige ihrer jüngeren Genossen zu unserer Tendenz. Sie waren davon motiviert, dass Jim darauf bestand, der Kampf der Arbeiterklasse Sri Lankas gegen den singhalesischen Chauvinismus könne „nicht weniger eine Voraussetzung für die erfolgreiche Revolution [sein], als es der Kampf der Bolschewiki gegen den großrussischen Chauvinismus war“. Sie kämpften als unsere Sektion in Lanka mit Entschlossenheit und großem Mut gegen den eskalierenden Krieg der Regierung gegen die tamilische Bevölkerung. International organisierten unsere Sektionen gemeinsam mit Tamilen im Exil Proteste und beteiligten sich an Demonstrationen gegen den Terror in Sri Lanka.

Wir verloren diese Genossen vor allem deshalb, weil wir nicht in der Lage waren, in der jeweils anderen Sprache zu kommunizieren. Trotz gemeinsamer Bemühungen unserer Genossen in Sri Lanka und in New York ist es uns nie gelungen, die singhalesisch-englische Sprachbarriere zu durchbrechen. In einem späteren Dokument mit dem Titel „Internationalismus ist leeres Gerede, wenn …!“ schrieb Jim: „Ohne die Sprachkenntnisse, mit denen wir die Kluft zwischen den verschiedenen Völkern überbrücken können, sind wir nicht nur verloren, sondern von vornherein auf verlorenem Posten.“ Jim bezeichnete sich selbst als „das klägliche lebendige Beispiel dieses Problems“, obwohl er mehrere Jahre lang Spanisch und etwas Französisch gelernt hatte und lange Zeit versuchte, Deutsch zu lernen. Er schloss mit dem Gruß „Für eine Schweißer- und Zweisprachler-Regierung!“

Instandhaltung und die PRL

Jims Hinweis auf „Schweißer“ war nicht als Spaß gemeint. Sein ganzes politisches Leben lang kämpfte er gegen die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschende Verehrung von „geistiger Arbeit“ und Verachtung derjenigen, die von der Arbeit ihrer Hände leben. Das rührte zum Teil von seinem Studium der Chemie und seiner Arbeit als Chemiker her. In Bemerkungen auf der SL/U.S.-Nationalkonferenz von 1994 stellte er „vereinheitlichende kommunistische Werte“, die die Teilung in geistige und körperliche Arbeit zu überwinden suchen, der bürgerlichen „Trennung zwischen dem Macher und dem Denker, dem Blaumann und dem Weißkittel, der Arbeit und dem Vergnügen, schmutzig und sauber, gemein und erlaucht“ gegenüber.

Diesen Vortrag (gedruckt als „Instandhaltung und die kommunistische Bewegung“, Spartakist Nr. 116, Januar/Februar 1995) widmete Jim Nina Hartley. Hartley, Pornostar und Kämpferin für sexuelle Befreiung, die, so Jim, „den Kampf gegen eine parallele Form von Gemeinheit und Heuchelei personifiziert – in ihrem Fall sexueller Art –, die der bürgerlichen Ordnung eigen ist“. Jim trug wesentlich zu unserer Zeitschrift Women and Revolution bei, die von 1971 bis 1996 erschienen ist. Women and Revolution war nicht nur ein Organ für die Intervention in die Frauenbefreiungsbewegung der 1970er-Jahre, sondern wollte auch ein Licht auf die sozialen Fragen werfen, die dem grundlegenden Charakter der Frauenunterdrückung entstammen, wobei Themen aufgegriffen wurden wie der Ursprung der Menschheit, Urgesellschaften sowie Kultur und Kunst.

Innerhalb der Partei unterstützte Jim Genossinnen dabei, Führerinnen der Organisation zu werden. Zum Teil kam das aus seinen Erfahrungen in der SWP, wo männliche nationale Funktionäre Sekretärinnen hatten. Obwohl diese äußerst kompetenten und ergebenen weiblichen Kader den nationalen Führern ihre Meinungen mitteilten, sprachen sie bei den Sitzungen des Politischen Komitees nie. Eine unserer ersten führenden Genossinnen schrieb: „Jim sagte, er wolle nicht, dass ich so werde; er wollte, dass die Frauen in unserer Partei eigenständig nach Autorität streben.“ Die vielen weiblichen marxistischen Kader waren schon immer ein besonderes Merkmal der Führungen der SL/U.S. und der IKL.

Was das reine Buchwissen betrifft, widmete sich Jim lebenslang mit Hingabe dem Aufbau einer marxistischen Bibliothek und der Sammlung von Archivmaterial, das die Geschichte und die Erfahrungen der Arbeiterbewegung in den USA und auch international dokumentiert. Er fing damit bereits während seiner Zeit in Shachtmans Organisation an, und für einen armen Studenten mitten in der Hexenjagd von McCarthy war das nicht so einfach. So war Jim verständlicherweise sehr stolz, als Louis Sinclair, der Bibliograf von Trotzkis Werken, in Jims Bibliothek Dokumente fand, die ihm vor seinem Besuch in der Bay Area 1958 nicht bekannt waren.

Das auf der Vierten Konferenz der SL/U.S. 1974 angenommene Aufgaben- und Perspektiven-Dokument weist auf die Bedeutung von Archiv-Arbeit hin und zitiert Lenins Ermahnung: „Wer aufs Wort glaubt, ist ein hoffnungsloser Idiot.“ Wir schrieben:

„Eine der entscheidenden Aufgaben der Avantgarde des Proletariats ist es, als Gedächtnis der Arbeiterklasse zu fungieren. Zu den wichtigen Bestandteilen dieses Kampfes um die Kontinuität gehören die systematische Zusammenstellung, Verbreitung und kritische Aneignung der Primärquellen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Da sich im Verlauf der Zeit Verzerrungen und Verflachungen anhäufen, kann nur die präzise, gut dokumentierte Rekonstruktion vergangener Realitäten als wegweisender Kompass dienen.“

Jims persönliche Sammlung wurde zum Grundstock der Prometheus Research Library (PRL), einer Arbeitsstätte für marxistische und verwandte Studien, die auch als Bibliothek und Referenzarchiv des Zentralkomitees der SL/U.S. dient. Er blieb bis zu seinem Tod Leiter der PRL.

Seit den Anfängen der PRL trieb Jim ein ehrgeiziges Publikationsprogramm voran, um seltene und wichtige Dokumente aus der Geschichte der kommunistischen Bewegung verfügbar zu machen. In unserem ersten Bulletin der Prometheus Research Series (August 1988) veröffentlichten wir die erste vollständige, präzise englische Übersetzung der „Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der Kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit“. Dieses Dokument, das 1921 vom III. Weltkongress der Kommunistischen Internationale angenommen wurde, kodifiziert die kommunistische Organisationspraxis, die von den Bolschewiki geschaffen und in der Arbeiterrevolution von 1917 getestet wurde.

Angesichts der anfänglich sehr begrenzten redaktionellen Erfahrung der PRL wandte sich Jim an George Breitman, einen der Hauptherausgeber von Trotzkis Schriften im Pathfinder-Verlag, der 1984 zusammen mit anderen langjährigen Kadern aus Jack Barnes’ SWP hinausgeschmissen worden war. Mit Breitmans Hilfe begann die PRL, Cannons Schriften aus den 1920er-Jahren zu sammeln, was schließlich zu dem Buch James P. Cannon and the Early Years of American Communism [James P. Cannon und die Anfänge des amerikanischen Kommunismus] (1992) führte, das Jim mitherausgab. Ein PRL-Memo, das auf Jims Notizen basiert, stellt eine solche Zusammenarbeit mit Gegnern innerhalb der Arbeiterbewegung den Praktiken des Stalinismus gegenüber:

„Allen historischen Überlieferungen zufolge machte der Stalinismus Schluss mit der moralischen und politischen Praxis der alten radikalen Bewegung, wonach Anarchisten, Marxisten, Syndikalisten, Genossenschaftler und sogar Befürworter einer einzigen umfassenden Steuer [single-taxers] bei Fragen von gemeinsamem Interesse zusammenarbeiteten. Eine besonders giftige Eigenschaft des Stalinismus, und diese durchdringt so ziemlich alles, ist die Überzeugung, dass man jemandem, mit dem man ernste politische Meinungsverschiedenheiten hat, nicht einmal sagen darf, wie spät es ist, geschweige denn, dass man ihm einen Hinweis auf ein altes Dokument geben kann.“

In diesem Geiste beteiligte sich Jim auch persönlich daran, dem Historiker Bryan D. Palmer Dokumente und Kommentare zur Verfügung zu stellen, als dieser an seinem Buch James P. Cannon and the Origins of the American Revolutionary Left, 1890–1928 [James P. Cannon und die Ursprünge der revolutionären Linken in Amerika, 1890–1928] arbeitete.

Die meisten – nicht alle – Bulletins der Prometheus Research Series wurden von Jim konzipiert (wenn nicht sogar mitherausgegeben) und beruhten auf seinen jahrelangen Recherchen und Überlegungen. Das gilt auch für das zweite Buch der PRL, Dog Days: James P. Cannon vs. Max Shachtman in the Communist League of America, 1931–1933 [Hundstage: James P. Cannon vs. Max Shachtman in der Communist League of America, 1931–1933] (2002). Jim hatte schon in seiner Anfangszeit in Shachtmans Organisation Gerüchte über diesen Fraktionskampf gehört, aber es dauerte Jahre, bis er an die zentralen Dokumente gelangte. Jim wurde klar, dass dieser frühe Kampf zwischen Cannon und Shachtman, obwohl es noch keine prinzipiellen programmatischen Differenzen gab, schon der Vorbote ihres Kampfes um die russische Frage 1939/40 war. Der frühe Kampf war ein Beispiel des kleinbürgerlichen Impressionismus, der zu Shachtmans Bruch mit dem Trotzkismus führen sollte. Und der Kampf zeigte Cannons festes Beharren auf programmatischer Integrität und auf die zentrale Bedeutung des Proletariats.

„Wir, die Alten …“

Dick Fraser schrieb einmal, Robertson habe sich „die schlechtesten Seiten des Cannonismus und des Shachtmanismus“ zu eigen gemacht. Jim hoffte, dass Fraser damit Cannons politische Unnachgiebigkeit und Shachtmans entspannte demokratische Organisationspraktiken meinte. Aber er wusste, dass es nicht so gemeint war. Trotz politischer Differenzen blieben Robertson und Fraser bis zu Frasers Tod 1988 Freunde und sie arbeiteten politisch zusammen, insbesondere beim Kampf für die Befreiung der Schwarzen. Zwei Jahre später gaben wir zu Ehren von Fraser ein PRS-Bulletin mit einer Auswahl seiner Schriften heraus.

Andere, durch und durch feindliche Opponenten stellten Jim als einen wütenden Größenwahnsinnigen dar, umgeben von Jasagern und Schmierfinken. Einer dieser Opponenten war Tim Wohlforth, der sich mit seinem eigenen vermeintlichen Status als marxistischer Führer im Kontrast zu Cannon darstellte, den er einen vulgären „Fenstereinschmeißer“ nannte. Auch die sich fälschlich so nennende Bolschewistische Tendenz, eine von verbitterten Ex-Mitgliedern gegründete Gruppe, schloss sich diesem Chor an. Die subjektive Bösartigkeit, die die BT motiviert, zeigte sich darin, dass sie Bill Logan – einen sozialen und sexuellen Psychopathen, der auf unserer ersten Internationalen Konferenz ausgeschlossen wurde – zu ihrem Anführer erkoren hat.

Die Wahrheit ist, dass Jim nie anstrebte, „der Anführer“ zu sein, und sich sehr bewusst war, dass er tief in Cannons Schatten stand. Wie Jim in seiner Gedenkrede für Cannon sagte, wusste er, dass er und wir nicht „in nationaler Isolierung warten [dürften], bis jemand hervortritt und sagt: ,Ich kann es machen‘“. Also packte er den Stier bei den Hörnern. Nicht alleine, sondern durch den beharrlichen Kampf, eine kollektive Führung zu schmieden.

Gegen diejenigen, die sich als „100-prozentige“ Führer aufspielen und die keine Korrektur oder Kritik dulden konnten, argumentierte Jim, dass es schon eine ziemlich gute Erfolgsbilanz wäre, wenn man zu 70 Prozent richtig liege. Jim sagte oft, dass „die Partei auf zwei Flügeln fliegt“, wobei er den Wert von Genossen auf dem linken und dem rechten Flügel der Partei betonen wollte.

Er zitierte auch gerne die dringliche Bitte Oliver Cromwells: „Ich beschwöre euch um Christi Barmherzigkeit willen, gebet zu, dass ihr euch möglicherweise irren könnet.“ Und wenn die Partei falsch lag, bestand Jim darauf, dass wir uns öffentlich korrigieren. Andere, besonders diejenigen von der Sorte Líder máximo, werten dies als Beweis von Schwäche und Verwirrung. Für uns ist jedoch das ehrliche Eingeständnis unserer Fehler, wie Lenin sagte, „das Merkmal einer ernsten Partei“, die versucht, sowohl aus ihren Fehlern zu lernen als auch diese Lehren dem Proletariat zu vermitteln.

Revolutionäre Politik „verzehrt die Menschen“, wie es Cannon ausdrückte. Erheblichen Widrigkeiten zum Trotz ließ Genosse Robertson nicht locker im Kampf, eine leninistische Partei zu schmieden. Das forderte seinen Tribut. Um den Stress zu bewältigen und eine große persönliche Schüchternheit zu überwinden, trank er, und nicht gerade wenig. Gegen Ende der 1980er-Jahre wurde er sich auch zutiefst bewusst, wie sich das Älterwerden auf seine politische Fähigkeit als zentraler Führer der Partei auswirkte. Er sprach oft vom „Rickover-Syndrom“, ein Hinweis auf den US-Navy-Admiral Hyman Rickover, der mit 82 Jahren zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde, nachdem er das Atom-U-Boot USS La Jolla während einer Probefahrt 1981 beinahe versenkt hatte.

Anfang der 1990er-Jahre zogen Jim und seine Familie nach Kalifornien, was er als „Teil-Ruhestand“ bezeichnete. Zwar gehörte er nicht mehr der administrativen Führung der Partei an, dennoch war er weiterhin von zentraler Bedeutung für die Gestaltung unserer Positionen auf internationaler Ebene, für unsere Propaganda und ebenso für interne Kämpfe in der IKL. Da seine Gesundheit durch Alkoholismus bedroht war, hörte er mit dem Trinken auf und später auch mit dem Rauchen. Dadurch gewannen Jim und wir noch gut 25 Jahre seines Lebens und seiner politischen Erfahrung. In dieser Zeit strebte er an, die Lehren, die er sich angeeignet hatte, an jüngere Parteiführer weiterzugeben.

Bei einer internen Schulung zur Parteigeschichte bemerkte Jim 1977:

„Der Grund, warum wir so viel Wert auf die Kontinuität des internationalen Kommunismus und Trotzkismus legen, liegt darin, dass wir so wenig davon haben... Sie ist sehr dünn, Genossen, diese Kontinuität. Und es scheint mir und ist mir immer so vorgekommen, dass zwei Komponenten erforderlich sind, um ein guter Kommunist zu sein, von denen alle beide notwendig sind. Die eine ist ähnlich wie bei den Studenten auf der Universität. Die Beherrschung der Texte: zu verstehen, zu lesen, zu studieren, die historischen Beispiele durch Bücherwissen aus dem Ärmel schütteln zu können. Und die zweite entspricht der Lehrlingsausbildung, wo du unter Anleitung und Aufsicht derjenigen, die es besser wissen als du, in der Praxis lernst. Und ohne die beiden Komponenten ist es, denke ich, nicht möglich, die bolschewistische Partei aufzubauen, ohne wieder ganz von vorne anfangen zu müssen, was unwahrscheinlich ist.“

Die Führung der SL aus der Gründungszeit hatte den Vorteil, zu einer Zeit auf den Plan zu treten, als die Gesellschaft in den USA und international vom Ausbruch sozialer Kämpfe erschüttert wurde. Die gegenwärtige Generation muss darum kämpfen, beharrlich weiterzumachen in einem politischen Klima, das seit der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 vor allem dadurch geprägt ist, dass es kaum Klassenkämpfe und soziale Kämpfe gibt, und dass sich das Bewusstsein stark zurückentwickelt hat.

Eines von Jims Lieblingszitaten stammt aus einer Rede Lenins vom Januar 1917, als er sagte: „Wir, die Alten, werden vielleicht die entscheidenden Kämpfe dieser kommenden Revolution nicht erleben.“ Im darauffolgenden Monat eröffnete die Februarrevolution in Russland Lenin und der bolschewistischen Partei die Möglichkeit, in einen politischen Kampf zu intervenieren, der in der Oktoberrevolution gipfeln sollte. Jim riet unseren jüngeren Genossen, nicht vorgeblichen Marxisten auf den Leim zu gehen, die uns wegen fehlender unmittelbarer Perspektiven anprangern, und betonte: „Starrt nicht so sehr auf eure unmittelbare Perspektive, denn ihr wisst nicht, was im Februar passieren wird! Was ist euer Programm? Das ist die entscheidende Frage.“

– Übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 1162, Zeitung der Spartacist League/U.S., 4. Oktober 2019

 

Spartacist (deutsche Ausgabe) Nr. 32

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