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Spartakist Nummer 196 |
Januar 2013 |
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Syrischer Bürgerkrieg
Das Erbe der imperialistischen Teile-und-herrsche-Politik
Der folgende Bericht wurde im Juli von einem Genossen der Internationalen Kommunistischen Liga als Diskussionsgrundlage vorgelegt und zur Veröffentlichung in Workers Vanguard Nr. 1009, 28. September, redigiert.
Noch bevor der Erste Weltkrieg zu Ende war, teilten die britischen und französischen Imperialisten mit Zustimmung des zaristischen Russlands in dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 die Beute aus ihrem bevorstehenden Sieg über das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich auf. Durch die Veröffentlichung dieses Dokuments entlarvte der bolschewistische Arbeiterstaat Ende 1917 die Machenschaften der Imperialisten und wirkte elektrisierend auf den gesamten Nahen Osten. In Ägypten gab es 1919 zahlreiche Streiks und Demonstrationen, und in Mesopotamien (dem heutigen Irak) erhoben sich die Massen gegen die dort stationierte über 130 000-köpfige britische Besatzungsmacht.
Das riesige Gebiet, das jahrhundertelang als Bilad al-Scham (die Länder um Damaskus) oder „Großsyrien“ bekannt war, umfasste bis zu seiner Zerstückelung bei der Aufteilung des Nahen Ostens Syrien, Jordanien, den Libanon und Palästina. Auch wenn es so gut wie nie eine politische Einheit war, betrachteten es seine Einwohner als ein kulturelles Ganzes mit einer eng verflochtenen Wirtschaft. Gegen den Willen seiner Einwohner, die das Sykes-Picot-Abkommen vehement ablehnten und ein vereinigtes Syrien-Palästina verlangten, nahm Frankreich sich Syrien und den Libanon und Britannien besetzte Jordanien und Palästina.
1920 schuf Frankreich, um in der Levante eine prowestliche Enklave zu bilden, den sogenannten Grand Liban (Großlibanon), indem es dem Libanongebirge muslimische Gebiete Syriens angliederte. Um zu teilen und herrschen, fassten die Franzosen die Muslime, bei denen aufkommender arabischer Nationalismus immer stärker wurde, mit der christlich-maronitischen Mehrheit zusammen, bei der sie den Mythos eines nicht-arabischen Erbes nährten und die von Frankreich Schutz erwarten würde. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs versuchte Frankreich verzweifelt die Türkei dazu zu überreden, sich den Alliierten gegen Deutschland anzuschließen, und trat Syriens nordwestliche Provinz Alexandretta an die Türkei ab. (Die Türkei behielt Alexandretta, benannte sie in Hatay um, blieb aber trotzdem auf der Seite Deutschlands.)
Jahrhundertelang hatten die unzugänglichen Täler hoch über dem Meeresspiegel und das zerklüftete Terrain an der östlichen Mittelmeerküste Syriens und des Libanons verschiedenen religiösen und ethnischen Minderheiten natürlichen Schutz vor der Verfolgung durch christliche und muslimische Herrscher gegeben. Die Alawiten und die Ismailiten, beide schiitischen Ursprungs, fanden in Syrien Zuflucht vor dem Zorn aufeinanderfolgender sunnitischer Herrscher. Christliche Armenier strömten nach Syrien, als ihr Land im 11. Jahrhundert von den türkischen Seldschuken Anatoliens erobert wurde. Jahrhunderte später kamen wieder ganz viele von ihnen, auf der Flucht vor dem völkermörderischen Terror der Jungtürken 1915–18. Die Drusen, ein Ableger der Schiiten aus dem 10. Jahrhundert, flohen vor der Verfolgung durch das Kalifat der Fatimiden in Ägypten. Palästinenser, die nach der Eroberung Jerusalems 1099 vor den Massakern der Kreuzfahrer flohen, ließen sich an den Hängen des Berges Kassiun nieder. Griechisch-Orthodoxe und griechische Katholiken siedelten in dem Gebiet nach aufeinanderfolgenden Spaltungen der christlichen Kirche. Nach der Übergabe Alexandrettas an die Türkei 1939 flohen noch mehr Kurden und Armenier in den Süden nach Syrien.
Die Einwohner Syriens sind mehrheitlich arabischsprachige Sunniten (etwa 60 Prozent). Die größeren religiösen Minderheiten sind die Alawiten (12 Prozent), Christen aus mehr als sieben Konfessionen (14 Prozent), Drusen (3 Prozent) und Ismailiten (1,5 Prozent). Die wichtigsten ethnischen Minderheiten sind Kurden (9 Prozent), Armenier (4 Prozent), Turkmenen und Tscherkessen. Während Kurden, Turkmenen und Tscherkessen fast ausschließlich Muslime sind, sind die Armenier Christen. Alawiten, Drusen und Ismailiten sowie die Griechisch-Orthodoxen sprechen arabisch.
Ursprünge der alawitischen Vormachtstellung
Das Blutvergießen, das einen Großteil der Geschichte Syriens (und des Libanon) kennzeichnet, ist ein Erbe osmanischer Herrschaft und späterer französischer Vorherrschaft sowie der Verflechtung der zahllosen religiösen und ethnischen Gemeinschaften in Verbindung mit imperialistischer Intervention, die in ihrer Verquickung die kapitalistische Entwicklung bremsten und die Konsolidierung eines modernen Staates verhinderten. Was sich gegenwärtig in Syrien ereignet, ist zum großen Teil eine Fortsetzung gegenseitiger (teilweise jahrhundertelanger) Feindseligkeiten, die in zahllosen blutigen Putschen, Gegenputschen, ethnischen und religiösen Konflikten – kennzeichnend für die syrische Geschichte seit Erlangung der Unabhängigkeit 1946 – zum Ausdruck kamen.
Im April 1964 inszenierten sunnitische Fundamentalisten in der Stadt Hama, einer Hochburg konservativer Sunniten, einen Aufstand, plünderten Weinläden, verprügelten Mitglieder der nationalistischen Baath-Partei und töteten und verstümmelten einen ismailitischen Nationalgardisten. Die Regierung antwortete mit brutaler Gewalt und tötete an die einhundert Menschen. 1979 wurden bei einem Massaker unter der Leitung eines sunnitischen Offiziers an der Artillerieschule in Aleppo 30 alawitische Offiziersanwärter ermordet. Weitere Morde an Alawiten gab es in der Stadt Latakia. Die Regierung antwortete umgehend mit einer landesweiten Kampagne gegen die Muslimbruderschaft.
Die Gewalt ging in den frühen 1980er-Jahren weiter. Die Muslimbruderschaft versuchte 1980 Hafis al-Assad zu ermorden, den Vater des gegenwärtigen Präsidenten Baschar. Assad antwortete mit der kaltblütigen Ermordung von etwa 500 in Palmyra inhaftierten Mitgliedern der Muslimbruderschaft. Die konfessionelle Konfrontation zwischen den sunnitischen Fundamentalisten und dem alawitisch-dominierten Regime erreichte im Februar 1982 ihren Höhepunkt mit der blutigsten Machtprobe in der modernen syrischen Geschichte. Das Regime machte die Stadt Hama dem Erdboden gleich und tötete schätzungsweise 10 000 bis 20 000 Sunniten.
Die konfessionelle Konfrontation geht weiter. Während westliche bürgerliche Medien die Repression des Regimes publik machen, wird über Gräueltaten der sunnitischen Fundamentalisten, wenn überhaupt, nur wenig berichtet. Das Massaker vom Mai in Hula zum Beispiel, das laut Medienberichten von den Milizen des Assad-Regimes ausgeführt worden sein soll, wurde einer deutschen Zeitung [faz.net] zufolge von islamistischen Kräften begangen. Niemand kann den Ausgang des Konfliktes vorhersagen, doch das Schicksal der religiösen und ethnischen Minderheiten ist von den islamischen Fundamentalisten bereits besiegelt, wenn sie skandieren: „Al-Alawi a la taboot, wa al-Masihi a la Beirut“ (Christen nach Beirut, Alawiten in den Sarg).
Die Alawiten sind Mitglieder eines schismatischen Nebenzweigs der Hauptrichtung des „Zwölfer-Schiitentums“. Wie die Drusen und die Ismailiten sind sie ein Überbleibsel der Schia-Welle, die um das neunte Jahrhundert herum die islamische Welt erfasste. Der Name Alawi (d. h. Anhänger von Ali) ist eine jüngere Wortschöpfung, die auf die französische Eroberung nach dem Ersten Weltkrieg zurückgeht. Davor waren sie als Nusairier bekannt, nach ihrem Gründer und Führer Muhammad Ibn Nusair. Die Alawiten teilen mit anderen Schiiten den Glauben, dass Ali, der Cousin und Schwiegersohn des Propheten, dessen rechtmäßiger Nachfolger war, aber von den ersten drei Kalifen (Herrschern) um sein Erbe gebracht wurde. Darüberhinaus schreiben sie Ali ein „göttliches Wesen“ zu.
Wegen dieser und anderer esoterischer Glaubensinhalte wurden sie von Sunniten als Ungläubige gebrandmarkt, die den Tod verdienen. Der syrische Jurist Ibn Taimiya aus dem 14. Jahrhundert, ein Verfechter der sunnitischen Orthodoxie, verdammte sie als gefährlicher als die Christen. Er forderte die Muslime auf, gegen sie einen heiligen Krieg zu führen, und erklärte ihr Blut und ihr Vermögen als frei verfügbar; sie seien Abtrünnige, die bestraft, ja vernichtet werden müssen, wo immer man sie antreffe. Ihren Gegnern liefert diese Äußerung bis heute Munition.
In den Hochlandsiedlungen der rauen Berge lebten die Alawiten, von den osmanischen Herrschern vernachlässigt, in Armut. Man verweigerte ihnen Bildung, Beschäftigung und Dienstleistungen jeder Art. Viele Jahrhunderte lang wurden Generationen verarmter Alawiten vom Hunger in die zentralsyrischen Ebenen um Holms und Hama getrieben, wo sie für reiche sunnitische Grundherren als Leibeigene oder Pachtbauern arbeiten mussten. Nach der französischen Besetzung erhielten die Alawiten zum Verdruss der sunnitischen Mehrheit Privilegien, als sie ebenso wie andere „verlässliche Minderheiten“ mit begrenzten nationalistischen Bestrebungen zu den Troupes Spéciales du Levant rekrutiert wurden, von den Franzosen dazu eingesetzt, sunnitische Nationalisten schonungslos zu unterdrücken. Zur Zeit der Unabhängigkeit dominierten die Alawiten das Militär. 1955 waren mindestens 65 Prozent der Unteroffiziere Alawiten, ein Vorteil, der es ihnen ermöglichte, die Kontrolle über die Baath-Partei und die Regierung an sich zu reißen.
Die Baath-Partei
Die Arabisch-Sozialistische Baath-Partei (Baath: Wiedergeburt oder Wiedererweckung) wurde in Syrien zur Zeit der ansteigenden Welle des arabischen Nationalismus und antikolonialen Kampfes in den 1940er-Jahren von zwei Lehrern in Damaskus gegründet, Michel Aflaq, einem griechisch-orthodoxen Christen, und Salah al-Din al-Bitar, einem sunnitischen Muslim. Die Partei trat für die Unabhängigkeit von ausländischer Herrschaft, für Säkularismus und Panarabismus ein. Sie erhob die utopische Losung „Eine arabische Nation mit einer ewigen Mission“, was das jahrhundertelange Joch der unter der Herrschaft der Osmanen und der Kolonialmächte erlittenen Erniedrigung thematisieren sollte.
Die Baath-Partei schuf sich beharrlich eine Basis unter den ländlichen Armen, den städtischen kleinbürgerlichen Intellektuellen, arabischen religiösen Minderheiten und innerhalb der Armee. Die baathistische säkulare Ideologie richtete sich vornehmlich an die arabischen religiösen Minderheiten, die hofften, die Baath-Partei würde sie von ihrer Minderheitenstellung befreien und dass die sunnitische Dominanz im politischen Leben Syriens gebrochen würde. Seit jeher weisen sunnitische arabische Nationalisten dem sunnitischen Islam eine zentrale Rolle zu und betrachten arabischsprachige religiöse Minderheiten, seien es andersgläubige Muslime oder Christen, als ängstliche „Untergebene“ und „unvollkommene“ Araber. Doch vom Arabismus „abweichende“ nationalistische Bestrebungen wurden von der Baath-Partei scharf unterdrückt, und Nicht-Arabern wie den Kurden, Armeniern und Tscherkessen wurde die Parteimitgliedschaft verweigert, es sei denn sie gaben ihre ethnische Identität auf und akzeptierten die Arabisierung.
Mitte der 1950er-Jahre war die Baath-Partei zu einer bedeutenden politischen Kraft mit einer ziemlich großen Vertretung im Parlament geworden. Sie war maßgeblich an der ägyptisch-syrischen Einigung beteiligt, die schließlich 1958 zur Errichtung der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) führte, in der die Baathisten einen Schritt in Richtung ihres Programms des Panarabismus sahen. Doch die Partei war bald enttäuscht über Ägyptens wirtschaftliche und politische Dominanz über Syrien und Gamal Abdel Nassers Unterdrückung und Ächtung aller politischen Parteien, auch der Baath-Partei. Die Baath-Partei unterstützte den Putsch von 1961, der zur Abtrennung Syriens von der VAR führte.
Die Periode nach der Abtrennung Syriens war gekennzeichnet durch einen Machtkampf hochrangiger (hauptsächlich sunnitischer) Militäroffiziere, der die Form von aufeinanderfolgenden Putschen und Gegenputschen annahm mit den daraus resultierenden jeweiligen Säuberungen. Die zahlreichen Säuberungen schwächten die Stellung der sunnitischen Offiziere in den höheren Rängen der Macht außerordentlich. Offiziere religiöser Minderheitengruppen litten weniger unter den Verschleißerscheinungen in der Armee, da sie nicht am politischen Kampf teilnahmen. Anfang 1960 gelang es ihnen, wichtige Kommandoposten zu besetzen.
Als die Baathisten 1963 einen erfolgreichen Putsch durchführten und die Macht übernahmen, bestand die Mehrheit des Offizierskorps aus Vertretern der Minderheiten, vor allem der Alawiten, Drusen und Ismailiten. Die oberste Führung des Militärkomitees, das den Putsch geleitet hatte, lag in den Händen dreier Alawiten, Muhammad Umran, Salah Jadid und Hafis al-Assad, die binnen kurzem ihre Macht zu konsolidieren begannen, indem sie die Armee von Opponenten säuberten, darunter Nasseristen, Sunniten und sogar ihre Verbündeten anderer Minderheiten. Die Säuberungen waren so umfassend, dass viele der Meinung sind, einer der Hauptgründe für Syriens Niederlage im Krieg gegen Israel 1967 sei gewesen, dass Syrien mit einem stark dezimierten Offizierskorps angetreten war.
In den ganzen 1960er-Jahren gab es mehrere Putschversuche der Alawitengegner; sie wurden blutig unterdrückt. Gleichzeitig kam es innerhalb der alawitischen Militärführung selbst zu fraktionellen Spaltungen und persönlichen Rivalitäten. Im Jahr 1970 wurde Hafis al-Assad durch die Säuberung der Jadid-Fraktion und bei einem von ihm als „Korrekturbewegung“ bezeichneten Putsch zum Machthaber, der Syrien bis zu seinem Tod im Jahr 2000 regieren sollte, als Baschar die Macht übernahm. Zwar beendete Assads Putsch von 1970 den Kreislauf von Machteroberungen durchs Militär, der die syrische Politik begleitete, doch damit hörten die internen blutigen Fehden nicht auf, auch nicht innerhalb der Assad-Familie selbst. 1984 belagerte Rifaat al-Assad, Hafis’ jüngerer Bruder, Damaskus mit Panzern und Artillerie. Der Putschversuch wurde niedergeschlagen und Rifaat nach Westeuropa ins Exil geschickt, wo er noch immer wohnt.
Um seine Unterstützerbasis zu verbreitern, gründete Hafis al-Assad die sogenannte Nationale Progressive Front (NPF), an der sich Parteien beteiligten, die die Führung der Baath-Partei akzeptieren. Zu diesen Gruppen gehörte auch die Kommunistische Partei Syriens (KPS), die bereitwillig in Assads Regierung eintrat und bis heute ein enger Verbündeter des Regimes geblieben ist. Assad reichte auch Teilen der sunnitischen Elite von Damaskus und Aleppo die Hand und berief viele von ihnen auf wichtige Militär- und Regierungsposten. (Baschars Frau stammt aus einer wohlhabenden sunnitischen Familie aus Damaskus.)
Um die Sunniten noch mehr zu beschwichtigen, gab Hafis al-Assad eine neue Verfassung heraus, derzufolge nur ein Muslim Präsident sein kann. Entgegen alawitischen Glaubensinhalten besuchte er regelmäßig das Freitagsgebet und pilgerte nach Mekka. Er begann seine Reden mit religiösen Redensarten zu eröffnen und Koranverse zu zitieren. (Alawiten bauen keine Moscheen, fasten auch nicht während des Ramadan und gehen nicht auf Pilgerreise.) Er verzichtete auf den Panarabismus der Baath-Partei, entledigte sich der zivilen Führung der Partei einschließlich ihrer Gründer und machte die Verstaatlichungen und dürftigen Agrarreformen rückgängig, die Mitte der 1960er-Jahre durchgeführt worden waren.
Der Anspruch des Regimes auf Säkularismus wird nicht nur durch die Haltung des älteren Assad gegenüber den Sunniten Lügen gestraft, sondern auch durch den immer reaktionäreren Konservativismus des Staates – vom Bau von Moscheen über die Ernennung von Imamen und die Überprüfung ihrer Freitagspredigten bis hin zu der zunehmenden Anzahl verschleierter Frauen auf den Straßen von Damaskus und Aleppo.
Syrien und die Weltmächte
Mit seiner strategischen Lage an der östlichen Mittelmeerküste war Syrien von jeher ein Zielobjekt für die Vorherrschaft der Weltmächte. Die Stadt Aleppo, am Schnittpunkt zwischen der arabischen, türkischen und persischen Welt gelegen, war eine bedeutende Zwischenstation auf der Seidenstraße. Im Laufe der Jahrhunderte besetzten aufeinanderfolgende Eroberer die Region: Alexander der Große, die Römer, die Byzantiner, die Araber, die Kreuzfahrer, Saladins Dynastie der Ayyubiden, die Mongolen, die Osmanen und die Franzosen.
Seit den Kreuzzügen, als Raimund von Toulouse die blühenden Hafenstädte der Levante eroberte, hatten die französischen Herrscher Interesse an der Region. Die verfolgten christlichen Maroniten sahen die Kreuzfahrer, mit denen sie sich gegen die Muslime verbündeten, als Befreier an. Die Maroniten dienten den Franzosen als Stützpunkt für die koloniale Durchdringung. Die Briten wiederum wurden die Wohltäter der Drusen, und das zaristische Russland gewährte den orthodoxen Christen Schutz. 1859 rebellierten maronitische Bauern gegen drusische Feudalherren, die daraufhin mehr als 12 000 Maroniten abschlachteten. Das Massaker lieferte Frankreich einen Vorwand, militärisch einzugreifen. Am Vorabend der französischen Invasion schrieb Karl Marx im August 1860 in der New York Daily Tribune einen Kommentar über die „Unruhen in Syrien“:
„Die Konspiratoren von Petersburg und Paris hielten jedoch – sollte ihre Versuchung Preußens fehlschlagen – den erregenden Zwischenfall der syrischen Massaker in Reserve; ihm sollte eine französische Intervention folgen, die … die Hintertür für einen allgemeinen europäischen Krieg öffnen sollte. Hinsichtlich Englands will ich nur hinzufügen, dass 1841 Lord Palmerston die Drusen mit Waffen versah, die sie seitdem behalten haben, und dass er 1846 durch eine Übereinkunft mit Zar Nikolaus tatsächlich die türkische Herrschaft, die die wilden Stämme des Libanons niederhielt, vernichtete und an ihre Stelle eine quasi-Unabhängigkeit setzte, die im Verlaufe der Zeit und unter geschickter Führung ausländischer Agenten nur eine blutige Ernte hervorbringen konnte.“
Die französische Besetzung Syriens war gnadenlos. General Henri Gouraud, Oberbefehlshaber der französischen Levantearmee, „hatte Damaskus in einen Trümmerhaufen verwandelt“, schrieb Jean Genet, der Ende der 1920er-Jahre in der französischen Armee diente. Als Gouraud vor dem Grab des historischen Muslim-Führers Saladin (der ein Kurde war) stand und die Kreuzzüge heraufbeschwor, erklärte er: „Meine Gegenwart an diesem Ort belegt den Sieg des Kreuzes über den Halbmond.“ Eine Reihe von Revolten gegen die französische Herrschaft wurde gnadenlos unterdrückt. Die Stadt Damaskus wurde mehrere Male aus der Luft bombardiert. Nationalistische Syrer wurden eingesperrt, ermordet oder in andere französische Kolonien verbannt. Nach Jahren des Kampfes errang Syrien 1946 die Unabhängigkeit.
Nach dem Abzug der Briten und Franzosen im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg wollten die amerikanischen Imperialisten sie in der Region beerben. Vor dem Iran (1953) und vor Guatemala (1954) zettelte die CIA ihren ersten Putsch 1949 gegen die Nationalisten in Syrien an, nach dessen Weigerung, Aramco eine Pipeline vom Persischen Golf zum Mittelmeer bauen zu lassen. Der Putsch hatte nur wenige Monate Bestand, und sein Anführer Husni al-Zaim wurde getötet. Doch die USA gaben niemals ihre Versuche auf, ihre Oberherrschaft über Syrien zu errichten, und inszenierten während der gesamten Dauer des Kalten Krieges weitere Putsche, da Syrien sich mehr und mehr mit der Sowjetunion verbündete. 1979 erklärten die USA Syrien zu einem „staatlichen Unterstützer des Terrors“, eine Bezeichnung, die seitdem eine Flut von Wirtschaftssanktionen bewirkt hat. Heute sind die Imperialisten, unterstützt von den reaktionären Golf-Monarchen, darauf aus, das syrische Regime zu Fall zu bringen, um dessen Verbündete Iran und Hisbollah zu schwächen.
Die Kommunistische Partei Syriens
Die KPS wurde 1920 als Kommunistische Partei Syriens und des Libanon gegründet. Zwar wurde sie von den französischen Kolonialherren verboten, spielte aber doch eine wichtige Rolle im Unabhängigkeitskampf, indem sie Demonstrationen und Streiks organisierte. Ihre Mitgliedschaft kam hauptsächlich von den Kurden und anderen Minderheiten. Ihr Sekretär Chalid Bakdasch und die meisten ihrer Führer waren Kurden.
Die KPS ging 1954 als kleine, aber äußerst aktive und gut organisierte Partei aus der Illegalität hervor. Bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr wurde Bakdasch der erste ins Parlament gewählte Führer einer Kommunistischen Partei in der arabischen Welt. Die KPS wurde rasch zur größten und am besten organisierten Kommunistischen Partei in der arabischen Welt und zu einer der führenden politischen Kräfte Syriens. Sie erlangte die Kontrolle über wichtige Gewerkschaftsorganisationen. Im Sommer 1957 „wäre sie möglicherweise dazu imstande gewesen, nach der politischen Macht zu greifen“, schrieb Walter Laqueur in The Middle East in Transition. Die KPS jedoch betrieb die stalinistische Volksfrontpolitik der Unterordnung der Arbeiterklasse unter bürgerliche Kräfte. Chalid Bakdasch erklärte mehr als einmal, dass seine Partei eher radikal-nationalistisch als kommunistisch sei, und sagte im Parlament: „Syrien ist arabisch-nationalistisch, nicht kommunistisch, und bleibt das auch.“
Als Assad 1970 die Herrschaft übernahm, hob er das Verbot auf, das gegen die KPS nach dem Putsch der Baath-Partei verhängt worden war, und erlaubte ihr, seiner „Progressiven Front“ beizutreten, vorausgesetzt die KPS akzeptiert seine Bedingungen. Die KPS verhielt sich brav und wurde mit Ministerposten in der Regierung belohnt. Als Syrien 1976 in den Bürgerkrieg im Libanon auf der Seite der Maroniten gegen die Palästinenser intervenierte, spaltete sich die KPS, und eine Oppositionsgruppe, die sich Politisches Büro nannte, wurde unter der Führung von Riad al-Turk gegründet. Die Partei spaltete sich 1986 ein weiteres Mal über die Politik von Perestroika (marktorientierte „Reformen“) und Glasnost (politische Liberalisierung) des sowjetischen Führers Michail Gorbatschow, wobei Bakdasch und ein Großteil seiner kurdischen Basis an Gorbatschow Kritik hatten. Beide Seiten blieben ein Teil der Nationalen Progressiven Front von Assads Regime.
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