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Spartakist Nummer 196 |
Januar 2013 |
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Spartakist-Jugend
RIO und die Flüchtlingsproteste
In ihrer Zeitschrift Klasse gegen Klasse (November/Dezember 2012) protestiert die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO, sympathisierende Sektion der FT-CI) gegen die rassistische Unterdrückung von Flüchtlingen in Deutschland. Sie begrüßt die Aktionen der Flüchtlingsaktivisten und weist gleichzeitig auf die Notwendigkeit hin, „dass die ArbeiterInnenklasse diese Kämpfe aufnimmt, sie zu ihren macht, und mit den eigenen Kampfmitteln vorantreibt.“ Konkret stellt RIO sich vor, dass die Reinigungskräfte und Cafeteria-Beschäftigten in den Flüchtlingslagern sich mit Aktionen „von kleinen Sabotagen bis zu einem gemeinsamen Befreiungsaufstand“ mit den Eingesperrten verbünden sollen. Generell müssen die Gewerkschaften mobilisiert werden.
Aber warum kommt es dazu nicht? Was sind die Hindernisse? Dazu schweigt der Artikel. Die Appelle an einzelne Arbeiter, Sabotageakte auszuführen, umgehen gekonnt die Frage nach der gegenwärtigen Führung der Arbeiterbewegung. Die Gewerkschaftsführer sind über tausend Fäden mit den beiden sozialdemokratischen Parteien SPD und LINKE verbunden, die dem sozialen Frieden verpflichtet sind. Während RIO sich über rassistische Ablenkungsmanöver von CDU-Innenminister Friedrich beschwert, gibt es kein Wort über die protektionistische Standortpolitik der Gewerkschaftsbürokraten. Protektionismus (eine Politik zur Rettung der „eigenen“ kapitalistischen Wirtschaft) geht immer einher mit Hetze gegen „Billiglohnkonkurrenz“ durch Migranten. In dieser Frage nehmen sich rechte und „linke“ Sozialdemokraten nichts. So hetzte der Linksparteiführer Oskar Lafontaine in seiner berüchtigten Chemnitzer Rede von 2005 gegen osteuropäische Arbeiter: „Der Staat ist verpflichtet, seine Bürger zu schützen, wenn ihnen Fremdarbeiter die Arbeitsplätze wegnehmen!“ (taz, 16. Juni 2005).
Auch in ihrem regelmäßigen Uniflugblatt Waffen der Kritik (29. Oktober 2012) veröffentlichte RIO einen Artikel zu den Flüchtlingsprotesten. Anders als der oben zitierte Artikel im unregelmäßigen Parteiorgan Klasse gegen Klasse erwähnt dieser Artikel nicht mal den Kapitalismus oder gar die Notwendigkeit von Revolution, um den Kapitalismus (also die Wurzel des Rassismus) zu beseitigen, sondern bleibt auf der Ebene demokratischer Forderungen stehen. Dieser Unterschied ist kein Zufall, sondern liegt in RIOs Opportunismus begründet. Für die „Massenarbeit“ an Gymnasien und Unis benutzt RIO diverse Frontgruppen-Flugblätter, die in großer Zahl verteilt werden. Die Inhalte werden so politisch weiter heruntergekocht, in der Hoffnung möglichst viele Jugendliche anzuziehen, die dann irgendwann später vom „vollen Programm“ überzeugt werden sollen.
In der von RIO initiierten Schülerzeitung Red Brain vom September 2012 gab es ebenfalls einen Artikel über Rassismus, nämlich zum 20. Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. Hier finden sich zum Schluss tatsächlich zwei marxistische Sätze zur Erklärung der Rolle der Bullen, die statt die Nazis zu stoppen Linke angriffen: „Der Polizeiapparat stellt das Gewaltmonopol des kapitalistischen Staats dar. Damit dient er – gleich dem gesamten bürgerlichen Staat – der herrschenden Klasse als Gesamtheit.“ Eingeleitet wird der Artikel aber wie folgt:
„Nach 40 Jahren Diktatur und einem radikalen Wechsel des Wirtschaftssystems hatten viele, durch das Entfallen des Rechts auf Arbeit und einer zusammengebrochenen Industrie, keine Arbeitsplätze. Viele suchten, enttäuscht und verraten durch eine stalinistische Diktatur, eine Perspektive in der extremen Rechten.“
Im Gleichschritt mit der Sozialdemokratie schieben sie der DDR die Schuld am Pogrom von Lichtenhagen zu! Dass dieser Artikel antikommunistische Lügen widerspiegelt, ist wenig verwunderlich, wenn man die Position von RIOs argentinischer Mutterpartei PTS zur DDR bedenkt: Sie forderte in skandalöser Weise die „Verteidigung des Rechtes der deutschen Massen auf Vereinigung, wie auch immer diese sie wünschen, selbst wenn sie beschließen sollten, dies im Rahmen des Kapitalismus zu tun“ (Avanzada Socialista, 30. März 1990)! Das war nichts als Unterstützung für den kapitalistischen Anschluss des deformierten Arbeiterstaats DDR an den westdeutschen Imperialismus. Es war gerade diese Konterrevolution, die zum mörderischen Wiederaufstieg des deutschen Nationalismus und zur Massenverelendung Ostdeutschlands geführt hatte und so die materielle Grundlage für die Verschärfung des Naziterrors geschaffen hat.
Die sozialdemokratischen Irreführer der Arbeiter haben ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht und müssen deshalb auf Schritt und Tritt politisch bekämpft werden. Das bedeutet beispielsweise, die Forderung nach vollen Staatsbürgerrechten für alle, die es hierher geschafft haben, sowie die Verteidigung von Immigranten gegen rassistische Angriffe in die (zumeist) rein ökonomischen Kämpfe des Proletariats hineinzutragen. Denn frei nach Marx werden sich die deutschen Arbeiter nicht befreien können, solange Kollegen aus ethnischen Minderheiten unterdrückt bleiben. Je nach Wetterlage „schwankt“ RIO zwischen offener Anbiederung an die Reformisten und ihrer konsequenten Nichterwähnung. So bleibt RIO akzeptabel im „linksradikalen“ Berliner Sumpf um die Linkspartei, die zehn Jahre lang als Teil der Berliner Landesregierung für Abschiebungen, Schutz von Nazimärschen, Sozialkahlschlag und Streikbruch verantwortlich war. Marxisten hingegen kämpfen dafür, einen Keil zwischen die proletarische Basis und die pro-kapitalistische Führung von SPD und Linkspartei zu treiben. Nur so kann eine revolutionäre multiethnische Arbeiterpartei geschmiedet werden, die sich als Volkstribun für die Anliegen aller Unterdrückten einsetzt.
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