Documents in: Bahasa Indonesia Deutsch Español Français Italiano Japanese Polski Português Russian Chinese Tagalog
International Communist League
Home Spartacist, theoretical and documentary repository of the ICL, incorporating Women & Revolution Workers Vanguard, biweekly organ of the Spartacist League/U.S. Periodicals and directory of the sections of the ICL ICL Declaration of Principles in multiple languages Other literature of the ICL ICL events

Abonniert Spartakist, Zeitung der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands

Archiv

Druckversion dieses Artikels

Spartakist Nummer 176

März 2009

Kalter Krieg, Ostpolitik und DDR-Anschluss

SPD: Trojanisches Pferd der Konterrevolution

In diesem Jahr nähert sich der 20. Jahrestag der Massenproteste in der DDR, die im Herbst 1989 zum Zusammenbruch des SED-Regimes unter Erich Honecker führten. Die deutsche Bourgeoisie und ihre sozialdemokratischen Handlanger in der Arbeiterbewegung werden die damaligen Ereignisse mit pompösen Zeremonien feiern und sie als Schritte in Richtung einer „freiheitlich-demokratischen“ Konterrevolution zur Wiedervereinigung in einer „sozialen Marktwirtschaft“ umdichten. Diese Lügengeschichtsschreibung der kapitalistischen Sieger soll ausradieren, dass die Demonstrationen 1989 nicht als prokapitalistische Bewegung gegen die Planwirtschaft im bürokratisch deformierten Arbeiterstaat DDR begannen, sondern gegen die Missherrschaft der verknöcherten und korrupten stalinistischen Bürokratie gerichtet waren. Millionen, die im Herbst und Winter 1989/90 in der gesamten DDR auf die Straße gingen, wollten eine erneuerte DDR auf sozialistischer Basis. Wir Trotzkisten von der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) kämpften dafür, eine revolutionäre Führung zu schaffen, die die Arbeiter gegen eine kapitalistische Wiedervereinigung und für eine revolutionäre Wiedervereinigung in einem roten Rätedeutschland mobilisiert als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. In unserem Aufruf „Gründet Spartakist-Gruppen!“ vom 2. Dezember 1989 schrieben wir:

„Das ist die Wahl: Entweder eine Reihe kapitalistischer Siege, auf lange Zeit schreckliche Verelendung der Massen in den bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten, imperialistische Rivalität um die Aufteilung der Beute, die Gefahr der Auslöschung der Menschheit durch einen dritten Weltkrieg. Oder das Proletariat schmiedet die revolutionäre Führung, das Werkzeug dafür, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen. Der Kapitalismus hinterlässt weltweit ungeheuren Dreck. Eine vereinte und klassenlose sozialistische Weltgemeinschaft kann sich daran machen, damit aufzuräumen.“

Unter dem Ansturm einer massiven Kampagne der Imperialisten und betrogen und demoralisiert durch den Ausverkauf seitens der stalinistischen Spitzen in Moskau und Ostberlin wurde die beginnende politische Revolution von einer kapitalistischen Konterrevolution überrollt. Der Triumph der Konterrevolution wurde mit den Volkskammerwahlen im März 1990 besiegelt, danach folgten die Zerschlagung der kollektivierten DDR-Wirtschaft durch die Treuhand und die formale Wiedervereinigung im Oktober. Kaum zwei Jahre später kämpften wir im Heimatland der Oktoberrevolution darum, die Arbeiter gegen Jelzins Konterrevolution zu mobilisieren. Aber obwohl wir und die prosozialistischen Kräfte eine Niederlage erlitten, sind die Lehren aus 1989/90 in der DDR und danach in der Sowjetunion dennoch von ungeheurer Bedeutung für den Kampf für neue Oktoberrevolutionen weltweit. Dieser stellt nach wie vor die einzige Hoffnung dar, die Menschheit vor einer Zukunft von kapitalistischen Krisen, Ausbeutung, neokolonialer Unterdrückung und ultimativ vor der Drohung einer nuklearen Auslöschung zu retten. Beginnend mit dieser Ausgabe wird Spartakist Artikel abdrucken, die auf der Grundlage von Forschung und Diskussion innerhalb der IKL in den letzten Jahren die Lehren dieses Kampfes gegen die Konterrevolution in DDR und Sowjetunion vermitteln. Für einen zusammenfassenden Überblick unserer Intervention verweisen wir unsere Leser auf „Für den Kommunismus von Lenin und Trotzki!“ (Dokument der II. Internationalen Konferenz der IKL, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 15, Frühjahr 1993) sowie auf „Revolution vs. Konterrevolution in Deutschland 1989/90“ (Spartakist-Extrablatt, 4. April 2000).

In dieser Ausgabe befassen wir uns mit der speziellen Rolle der Sozialdemokratie beim Vorantreiben der kapitalistischen Konterrevolution. Wie wir im oben zitierten Flugblatt vom Dezember 1989 warnten: „Die SPD/SDP, Strohmänner für die Frankfurter Bankiers, sind die größte Gefahr. Ihr Programm des ,demokratischen Sozialismus‘ heißt kapitalistische Konterrevolution à la Scheidemann und Noske, Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.“ Die Rolle der SPD als Trojanisches Pferd der Konterrevolution war eng mit ihrem Charakter als Agent der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung verknüpft, ausgedrückt in ihrer – Anfang der 1960er-Jahre entwickelten – Ostpolitik. Wie Lenin erklärte, ist die SPD eine „bürgerliche Arbeiterpartei“. Mit ihrer Zustimmung zu den kaiserlichen Kriegskrediten bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 war sie offen auf die Seite ihrer „eigenen“ Bourgeoisie übergegangen. Ohne eine Strategie, die Sozialdemokratie (ob SPD oder LINKE) entlang der Klassenlinie zu spalten – d. h. die Arbeiterbasis politisch von der prokapitalistischen Führung zu brechen und für ein revolutionäres Programm zu gewinnen –, kann es keine siegreiche revolutionäre Politik in diesem Land geben.

SPD nach dem Zweiten Weltkrieg: Vom „Ostbüro“ zur „Ostpolitik“

Seit der bolschewistischen Revolution von 1917 war es immer das vorherrschende Ziel des Imperialismus gewesen, diesen bisher größten Sieg der internationalen Arbeiterklasse wieder zunichte zu machen. Die Sowjetunion machte ab 1923/24, im Kontext der imperialistischen Umzingelung und der fortgesetzten Isolation des jungen Arbeiterstaates, eine stalinistische Degeneration durch, eine politische Konterrevolution. Aber die sozialen Grundlagen der Oktoberrevolution – Enteignung der Kapitalistenklasse – blieben erhalten und stellten nach wie vor Errungenschaften für die Arbeiter der gesamten Welt dar. Auf Basis der bedingungslosen militärischen Verteidigung gegen Imperialismus und innere Konterrevolution kämpften wir für proletarisch-politische Revolution, um den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion und die nach seinem Muster errichteten deformierten Arbeiterstaaten durch Errichtung der Räteherrschaft auf den revolutionär-internationalistischen Kurs von Lenins und Trotzkis Bolschewiki zurückzuführen.

Die prokapitalistischen SPD-Spitzen zeichneten sich seit 1917 durch bösartigen Antikommunismus aus, angefangen mit den konterrevolutionären Bluthunden Ebert, Noske und Scheidemann. Politisch am gefährlichsten waren jedoch die linken sozialdemokratischen Führer wie Karl Kautsky, die mit pseudomarxistischen Phrasen die Einheit mit der Partei von Ebert und Noske predigten und gegen die Sowjetunion hetzten. Im Zweiten Weltkrieg starben über 20 Millionen sowjetische Arbeiter und Bauern, um den Ansturm des deutschen Imperialismus zurückzuschlagen, und es war die Rote Armee, die trotz Stalin das Naziregime zerschlug und Europa befreite. Ende der 1940er-Jahre entstand im sowjetisch besetzten Osten Deutschlands auf Grundlage der Enteignung der Kapitalistenklasse ein deformierter Arbeiterstaat. In Westdeutschland baute der US-Imperialismus – der als die dominante kapitalistische Weltmacht aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging – den kapitalistischen Staatsapparat als Frontstaat seines antisowjetischen Kalten Kriegs wieder auf und nahm viele der „ehemaligen“ Nazikader in seine Dienste. Die SPD wurde als antikommunistisches Bollwerk in der Arbeiterbewegung neu aufgebaut. Zu diesem Zweck flogen die Kalten Krieger der AFL-CIO (US-Gewerkschaftsdachverband) Irving Brown und Jay Lovestone ein, die zuvor die „Arbeiterabteilung“ im Londoner Büro des OSS (Vorläufer der CIA) leiteten. Die Sozialdemokraten wuschen CIA-Gelder und lieferten die „demokratische“ Rhetorik für deren konterrevolutionäre Kampagnen. Gemeinsam setzten sie Schläger und Gangster ein, um die Kommunistischen Parteien aus den Gewerkschaften in Westdeutschland und in ganz Westeuropa zu vertreiben, sie zu zerschlagen und auf schwarze Listen zu setzen. 1973 gründeten die SPD und ihre Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) die Sozialistische Partei Portugals (SP). Nach dem Sturz der Caetano-Diktatur 1974, der eine vorrevolutionäre Situation eröffnete, organisierten SPD und FES, dass CIA-Gelder nach Portugal geleitet wurden, um die konterrevolutionäre Offensive der SP zu unterstützen, die 1975 Büros der Kommunistischen Partei niederbrannte.

Ein Beispiel der SPD-Arbeit für Konterrevolution in der DDR war ihr Ostbüro, eingesetzt auf Befehl von Kurt Schumacher, dem ersten SPD-Vorsitzenden nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Ostbüro war ein Referat beim Parteivorstand der SPD und diesem bis zur Auflösung 1971 verantwortlich. Sein letzter Chef, Helmut Bärwald, prahlt in seinem Buch Das Ostbüro der SPD (Sinus-Verlag, Krefeld, 1991) über die Zusammenarbeit seines Büros mit verschiedenen imperialistischen Geheimdiensten, alles im Namen der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ der BRD, dem selbsternannten Nachfolgestaat von Hitlers Drittem Reich. Zusammengearbeitet wurde etwa mit dem Bundesnachrichtendienst von Reinhard Gehlen – früher Spionage-Chef der Nazis in der Wehrmacht-Abteilung Fremde Heere Ost – und der Bundeswehr-Abteilung für „psychologische Kampfführung“. In Bärwalds Buch wird die DDR ständig revanchistisch als „Mitteldeutschland“ bezeichnet.

In den 50er-Jahren war ein gewisser Egon Bahr, später ein wichtiger Berater von Willy Brandt und zentraler Stratege der SPD-Ostpolitik, Chefkommentator des RIAS („Rundfunk im amerikanischen Sektor“), einem Propagandawerkzeug der Imperialisten im Kalten Krieg. Während der beginnenden proletarisch-politischen Revolution im Juni 1953 in der DDR, als die ostdeutschen Arbeiter gegen die stalinistische Bürokratie rebellierten, sendeten Bahr und der RIAS prokapitalistische, nationalistische Parolen in die DDR. Während sie also versuchten, im Osten den Samen der Konterrevolution zu legen, wiesen sie ostdeutsche Arbeiter ab, die zu einem Generalstreik aufrufen wollten. Bahr und die SPD-Führung verhinderten so gut sie konnten, dass prosozialistische Losungen von Arbeitern in der DDR die Arbeiter im Westen erreichten – z. B. der Aufruf zu einer Metallarbeiterregierung oder die Parole „Räumt ihr den Mist in Bonn jetzt aus, in Pankow säubern wir das Haus!“ (siehe „Der 17. Juni 1953 gehört der Arbeiterklasse, nicht der Bourgeoisie!“, Spartakist Nr. 151, Sommer 2003).

Die SPD blieb in den 1940er- und 1950er-Jahren im Bundestag in der Opposition und profilierte sich als deutsche nationalistische Opposition gegen Adenauers Christdemokraten. In seinem Buch Uneinig in die Einheit (J. H. W. Dietz Verlag, Bonn, 2006) beschreibt Daniel Sturm, was die SPD unter „Einheit der Nation“ verstand: „Gemeint war damals ohne Frage das gesamte Deutschland in den Grenzen von 1937. Die Gebiete jenseits von Oder und Neiße zählten ebenso dazu wie das Saarland.“ Schumacher, der ein Nazi-Konzentrationslager überlebt hatte, war für seinen Nationalismus berüchtigt, zum Beispiel griff er 1949 Adenauer als „Bundeskanzler der Alliierten“ an. Im Mai 1952 wetterte Schumacher bei der Bundestagsdebatte über die Aufhebung des Besatzungsstatuts gegen Adenauer: „Wer diesem Generalvertrag zustimmt, hört auf, ein Deutscher zu sein“ (Sturm, a. a. O.). Aber der Nationalismus der SPD war ihrem Antikommunismus, ihrer Treue zur kapitalistischen Ordnung, untergeordnet, und so agierte sie in dieser Periode des ersten antisowjetischen Kalten Krieges hauptsächlich als Agent des US-Imperialismus.

Bezeichnend für die Rolle der SPD als Arbeiterleutnants der Kapitalistenklasse war, dass sie ihren Antikommunismus und Nationalismus in Rhetorik über „soziale Gerechtigkeit“, „Demokratie“ und „Butter statt Kanonen“ verpackte, zum Beispiel in ihrem auf dem Dortmunder Parteitag 1952 verabschiedeten „Aktionsprogramm“:

„Die Sozialdemokratische Partei kennt die tödlichen Gefahren der sowjetischen Politik für ganz Europa. Das Instrument dieser Politik ist heute der Kalte Krieg. Diesen Kalten Krieg muss die freie Welt gewinnen... Die vorgesehene deutsche Aufrüstung fördert dieses Ziel nicht; sie gefährdet es, weil sie den wirksamsten Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik im Kalten Krieg, nämlich die Festigung der demokratischen Widerstandskraft durch eine Politik sozialer Gerechtigkeit, unmöglich zu machen droht. Die Sozialdemokratische Partei bekennt sich zu den freiheitlichen Auffassungen der demokratischen Völker. Es gibt für sie weder im ganzen noch im einzelnen ein Zusammengehen mit den Hilfstruppen des östlichen Totalitarismus.“ (zitiert nach Manfred Uschner, Die Ostpolitik der SPD, Dietz Verlag, Berlin, 1991)

Noch in ihrem „Deutschlandplan“ vom März 1959 wandte sich die SPD auf Basis von deutschem Nationalismus gegen die „Westintegration“. Der Plan sah eine „neutrale Zone“ in Zentraleuropa vor, die weder der NATO noch dem Warschauer Pakt angehörte, als Basis für kapitalistische Wiedervereinigung. Aber ein Jahr später argumentierte dann Herbert Wehner, stellvertretender Vorsitzender der SPD, für Westintegration und damit gegen die „Neutralitäts“politik. Nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 stellte sich der Westberliner Bürgermeister Willy Brandt an die Spitze der darauffolgenden antikommunistischen Mobilisierungen und wurde so als führender nationalistischer Sprecher der SPD bekannt. Aber Brandt und die SPD waren nicht in der Lage, diese antikommunistische Demagogie in irgendwelche praktischen Schritte in Richtung Konterrevolution umzusetzen. Im Gegenteil, der Bau der Mauer und die Tatsache, dass die anderen Imperialisten die Mauer akzeptierten, zeigte, dass der „Tag X“ – der Tag, an dem die deutsche Bourgeoisie die Errungenschaften des Oktober in der DDR und Polen durch die Kombination eines „Volksaufstands“ und Bundeswehr-Unterstützung zerschlagen wollte – irgendwo in der Zukunft lag und dass man gegenwärtig irgendwie mit der DDR umgehen musste. Wie auch die Kubakrise im Oktober 1962 unterstrich, hatte die Sowjetunion ein Niveau an militärischer Macht erreicht, das die Imperialisten ernst nehmen mussten.

Trotzkisten verteidigten die Berliner Mauer als eine – wenn auch bürokratische – Maßnahme, die die DDR-Wirtschaft schützen sollte; denn die westdeutsche Bourgeoisie wilderte in einer konzertierten Kampagne unter den DDR-Facharbeitern und warb viele ab. Diese Situation hatten die Stalinisten selbst mit herbeigeführt. Sie hatten die vielversprechenden revolutionären Situationen am Ende des Zweiten Weltkrieges abgewürgt, um den Imperialisten ihren Willen zur friedlichen Koexistenz unter Beweis zu stellen: In Jalta im Februar 1944 und später in Potsdam im Sommer 1945 wurde der Großteil Deutschlands den Westalliierten zugesprochen, Griechenland dem Imperialismus preisgegeben und die stalinistisch dominierte Arbeiterbewegung Italiens und Frankreichs zu einer Politik des „nationalen Wiederaufbaus“ des Kapitalismus gezwungen. Dadurch und durch ihre spätere konterrevolutionäre Unterdrückung der Arbeiteraufstände in der DDR 1953, in Ungarn 1956 und in anderen Ländern des Ostblocks zerstörten sie sozialistisches Bewusstsein und trieben die Arbeiter in die Arme der Antikommunisten.

Nach dem Mauerbau 1961 brauchte die SPD eine neue Strategie – und die kam in Form der „neuen Ostpolitik“, ursprünglich von Willy Brandt gemeinsam mit Egon Bahr ausgearbeitet und im Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing vorgestellt. Bahr fasste sie in der Losung „Wandel durch Annäherung“ zusammen. Das grundlegende Konzept dieser Politik war, die Existenz der DDR und der Sowjetunion (d. h. die Realität) anzuerkennen, um davon ausgehend Schritt für Schritt die Macht der stalinistischen Bürokratien zu unterminieren und konterrevolutionäre Kräfte zu fördern. Uschner fasst in Die Ostpolitik der SPD Brandts Rede in Tutzing zusammen: „Eine Lösung der deutschen Frage könne es nur mit der Sowjetunion geben, nicht gegen sie. Das verlange zwangsläufig ein neues Verhältnis zwischen Bundesrepublik und Sowjetunion. Man brauche dabei Zeit, die sich aber lohnen werde.“ Mit der Großen Koalition von CDU und SPD begann 1966 ein schrittweiser Wandel in der westdeutschen Außenpolitik in die Richtung, die Brandt und Bahr in Tutzing dargelegt hatten. Als 1969 die SPD/FDP-Koalition an die Macht kam, hatte die SPD nun die Möglichkeit, ihre Politik großenteils umzusetzen. Die ersten Abkommen kamen 1970 mit der Sowjetunion zustande und legten die Basis für Verhandlungen mit der DDR-Regierung.

Wegen der Ostverträge beschuldigten bürgerliche Konservative und andere dogmatische Antikommunisten Brandts SPD-Führung der Kapitulation vorm Kommunismus. 1972 scheiterte das Misstrauensvotum der CDU/CSU-Opposition gegen die Brandt-Regierung.

Die Anklagen kamen nicht nur von Erzrevanchisten wie dem CSU-Führer Franz-Josef Strauß, sondern auch von rechten SPDlern wie Bärwald, in dessen Vorstellung die SPD von Kommunisten und Spionen infiltriert war unter Führung Herbert Wehners – ein stramm antikommunistischer Ex-KPDler. Solche Angriffe waren Wahldemagogie und teilweise Selbsttäuschung, die Leute glaubten an ihre eigenen antikommunistischen Märchen. Tatsächlich war nach der SPD/FDP-Regierungskoalition die Ostpolitik die etablierte Politik geworden, mit der die deutsche Bourgeoisie auf die Konterrevolution hinarbeitete; und auch die Nachfolge-Regierung unter Helmut Kohl (CDU) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) setzte sie im Wesentlichen unverändert bis zum Ende der 80er-Jahre fort. Die SPD selbst verteidigte sich 1992 gegen solche Anschuldigungen folgendermaßen: „Nein, die Sozialdemokraten haben überhaupt keinen Grund, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Ihre Ostpolitik war erfolgreich: Sie hat den Gegner SED umarmt, bis er schließlich in der freundlichen Umklammerung erstickte. So nüchtern, bar jeder ideologischen Verklärung, ist das zu sehen“ („Die Neue Gesellschaft“, Frankfurter Hefte, 1992).

Die SPD war in einzigartiger Weise in einer Position, die Ostpolitik glaubwürdig durchzudrücken. Ihre Rolle dabei, die Bourgeoisie von Auschwitz mit einem „demokratischen“, „antifaschistischen“ Image auszurüsten, zeigte sich am besten durch das Bild von Willy Brandt, der als westdeutscher Kanzler und ehemaliger Widerstandskämpfer 1970 vor dem Monument für den Warschauer Ghettoaufstand niederkniete. Kaum nötig zu erwähnen, dass eine solche Geste seitens Adenauers undenkbar (und völlig unglaubhaft) gewesen wäre, ganz zu schweigen von einem Ex-Nazi wie CDU-Führer Kurt-Georg Kiesinger, der 1966–69 Kanzler war. Die SPD als bürgerliche Arbeiterpartei hatte ein feines Gespür für die pazifistischen Gefühle in der Arbeiterklasse und nutzte diese mit ihrer Ostpolitik geschickt aus, um einen „friedlichen“ Weg zur Konterrevolution zu verfolgen.

SPD, „Friedensbewegung“ und Wiederaufstieg des deutschen Nationalismus

In den 1980er-Jahren verfolgte die SPD eine zweigleisige Politik. Einerseits initiierte der SPD-Kanzler Helmut Schmidt zusammen mit den US-Imperialisten den NATO-Doppelbeschluss, der 1979 verabschiedet wurde und in den frühen 1980er-Jahren zur Stationierung der gegen die Sowjetunion gerichteten atomaren Mittelstreckenraketen führte. Dies lag auf einer Linie mit der zweiten Kalten-Kriegs-Kampagne, initiiert während der Präsidentschaft des rechten Demokraten Jimmy Carter in den späten 1970er-Jahren. Die Kampagne folgte auf mehrere Jahre der „Entspannungs“politik gegenüber der Sowjetunion, die der US-Imperialismus als Atempause nach seiner Niederlage in Vietnam brauchte. Der zweite Kalte Krieg, der später unter Reagan noch mehr Fahrt aufnahm, zielte darauf ab, die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts totzurüsten.

Gleichzeitig übernahmen SPD-„Linke“ wie Oskar Lafontaine und Erhard Eppler die Führung der „Friedensbewegung“, die sich in Opposition zum NATO-Doppelbeschluss entwickelte. Aber die „Friedensbewegung“, heutzutage von der gesamten reformistischen Linken glorifiziert und von Mythen umsponnen, richtete sich ebenso gegen die Sowjetunion und deren Atomwaffen. Wie wir damals schon klarmachten, wäre die Sowjetunion ohne Atomwaffen schon lange zuvor von den Imperialisten in radioaktiv verseuchte Trümmerberge verwandelt worden. Diese linken Sozialdemokraten bedienten sich der Furcht von Millionen Menschen über das Gerede der US-Herrscher von einem „gewinnbaren“ Atomkrieg, um die Entwaffnung der Arbeiterstaaten und nationalistische Klassenkollaboration mit den eigenen Imperialisten zu predigen. Eppler wurde mittels der „Friedensbewegung“ zum zentralen Verbindungsglied zwischen evangelischer Kirche und SPD, als die SPD um diese Zeit ihre Kontakte zu kleinbürgerlich-pazifistischen Oppositionsgruppen wie „Schwerter zu Pflugscharen“ in der DDR durch die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) intensivierte. Von Anfang an hatte die EKD eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung und Implementierung der sozialdemokratischen „Ostpolitik“ gespielt; sie forderte z. B. schon 1965 in ihrer „Ostdenkschrift“ die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, um engere Verbindungen nach Osten knüpfen zu können.

In scharfem Gegensatz zu den Arbeiterverrätern und den pseudomarxistischen Gruppen, die ihnen hinterherliefen, riefen wir zur militärischen Verteidigung von Sowjetunion und DDR gegen die NATO auf und erklärten: „Der einzige Weg zum Frieden: Zerschlagt den antisowjetischen NATO-Kriegskurs durch proletarische Revolution!“ Wir betonten die Schlüsselrolle einer revolutionären Wiedervereinigung Deutschlands – politische Revolution im Osten und sozialistische Revolution im Westen – um den imperialistischen Kriegskurs zerschlagen und Europa und die Welt auf sozialistischer Basis reorganisieren zu können: „Die Verteidigung von DDR und Sowjetunion beginnt in Berlin!“

In den frühen 1980ern war der deutsche Nationalismus wieder im Aufstieg begriffen, sowohl in seiner „linken“ Form, wie ihn die von SPD und Grünen dominierte „Friedensbewegung“ repräsentierte, als auch in seiner rechten Form – Naziterror gegen Juden, gegen Türken und andere Immigranten, offener Revanchismus. Dies fand oft einen Ausdruck in „Antiamerikanismus“ und Antisowjetismus, mit der Begründung, gegen „beide Supermächte“ zu sein. Einer der wesentlichen Beweggründe der „Friedensbewegung“ sowohl im Osten als auch im Westen war, zu verhindern, dass Deutschland zum Schlachtfeld wird. Lafontaine, damals ein aufsteigender Star in der SPD, forderte: „Deutschland raus aus der NATO!“ Das hatte nichts mit Antiimperialismus zu tun, sondern war ein nationalistisches Programm für die deutschen Kapitalisten, ihre Interessen in größerer Distanz zu den USA besser zu verfolgen. Es war eine alternative Strategie für den deutschen Imperialismus, die Lafontaine bis heute propagiert, nun an der Spitze der Linkspartei. In den 1980ern kam dazu auch noch der sozialdemokratische Ruf nach einem „wiedervereinigten neutralen Deutschland“, was einfach ein Deckmantel für eine kapitalistische Restauration im Osten war.

1982 erklärten wir den Hintergrund des Wiederaufstiegs des deutschen Nationalismus und betonten die konterrevolutionäre Gefahr durch die Ostpolitik:

„Mit dem Zusammenbruch von Bretton Woods – dem Weltwährungssystem, das sich auf die Dominanz des US-Imperialismus stützte – und der Niederlage der USA in Vietnam zeigte sich die Veränderung der Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten.

Der japanische und deutsche Imperialismus wurden zu Konkurrenten für den US-Imperialismus. Aber die USA sind immer noch die stärkste militärische und ökonomische Macht in der westlichen Welt. Die Entspannungspolitik des US-Imperialismus – nach der Niederlage im Vietnamkrieg Zeit zur Wiederaufrüstung zu gewinnen – bedeutete für die deutschen Kapitalisten etwas anderes. Die deutschen Bankiers wollen jetzt keinen dritten Weltkrieg, egal ob mit Nuklearwaffen oder konventionell geführt, weil sie ihn jetzt verlieren werden. So trachtet die deutsche Bourgeoisie danach, die Planwirtschaft durch Kredite, Waren und gemeinsame Unternehmen zu unterminieren, und sie gleichzeitig mit bürgerlicher Ideologie in sozialdemokratischen Farben, unterstützt von den korrupten stalinistischen Bürokratien, zu durchdringen.

Die deutsche Bourgeoisie bereitet ihren Weg vor, die Arbeiterstaaten zu zerschlagen. Sie baut ihre eigene Atombombe und die zweitgrößte Armee in der NATO auf als Vorbereitung, den dritten Weltkrieg zu gewinnen.“ („Der unheilvolle Wiederaufstieg des deutschen Nationalismus“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 11, Winter 1983/84)

Mit der imperialistischen Offensive des zweiten Kalten Kriegs stellte sich für Revolutionäre die „russische Frage“ – Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution 1917 – knallhart. Ende 1979 ging die Rote Armee auf Bitten der linksnationalistischen DVPA-Regierung nach Afghanistan, um den Aufstand islamisch-fundamentalistischer Mudschaheddin zu bekämpfen. Diese revoltierten gegen modernisierende Reformen der DVPA (zum Beispiel Senkung des Brautpreises oder Schulbesuch für Mädchen). Die Imperialisten starteten eine massive Kampagne zur Unterstützung und Bewaffnung der antisowjetischen Mudschaheddin-„Freiheitskämpfer“. Ein paar Jahre später stand Polen im Brennpunkt des Kalten Krieges, wo die antikommunistische, klerikal-reaktionäre Solidarność konterrevolutionär nach der Macht griff. Im Mai 1985 bekräftigten der US-Präsident Ronald Reagan und der deutsche Kanzler Helmut Kohl ihr antisowjetisches Kalte-Kriegs-Bündnis an den Gräbern von SS-Kriegsverbrechern in Bitburg.

Im Gegensatz zur reformistischen Linken wichen wir von der IKL nicht vor der Verteidigung der deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten zurück. Zu Afghanistan sagten wir: „Hoch die Rote Armee! Für die Ausweitung der sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution auf die afghanischen Völker!“ Wir riefen dazu auf: „Stoppt die Konterrevolution von Solidarność“, und bezogen militärisch Seite, als das polnische stalinistische Regime von General Jaruzelski Ende 1981 eben dies tat. Gleichzeitig warnten wir, dass die stalinistischen Herrscher – die in Polen die Verantwortung dafür trugen, dass die Wirtschaft bankrott und ein großer Teil der historisch prosozialistischen Arbeiterklasse der klerikalen Reaktion in die Arme getrieben worden war – keine verlässliche Garantie für die Verteidigung der Arbeiterstaaten waren. Sie waren durchaus in der Lage, mit der kapitalistischen Reaktion einen Deal zu machen, und 1989 ermöglichte Jaruzelski als Staatspräsident die Übergabe der Macht an Solidarność. Notwendig für die wirksame Bekämpfung der imperialistischen Offensive war eine Politik seitens der Arbeiterstaaten, die internationale Ausweitung der Revolution, besonders auf die imperialistischen Zentren, voranzutreiben. Dies erforderte proletarisch-politische Revolutionen gegen die stalinistischen Regime von Moskau bis Ostberlin, die gegen eine solche Perspektive tödliche Feindschaft hegten und stattdessen „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus predigten, ein reaktionäres utopisches Programm.

Die SPD und die stalinistische Bürokratie

Ein wichtiges Element der Ostpolitik war der Dialog mit den stalinistischen Bürokratien in DDR und Sowjetunion. Vom Standpunkt der SPD und der Bourgeoisie aus war der Sinn dieser Kontakte, die Macht der stalinistischen herrschenden Kaste politisch und ökonomisch zu unterminieren und prokapitalistische Elemente innerhalb der Bürokratie zu ermutigen. Der Verlauf der Entwicklung dieser Dialoge unterstrich das trotzkistische Verständnis der Doppelrolle der stalinistischen Bürokratie, einer widersprüchlichen und parasitären herrschenden Kaste, die an der Spitze des Arbeiterstaats thront, aber keine herrschende soziale Klasse ist. Wie Trotzki in „Der Klassencharakter des Sowjetstaats“ sagte: „Wir bezeichnen den Stalinschen Apparat gerade deswegen als zentristisch, weil er eine Doppelfunktion erfüllt: heute, wo es eine marxistische Führung nicht mehr gibt und eine neue noch nicht entstanden ist, verteidigt er die proletarische Diktatur mit seinen eigenen Methoden; doch diese Methoden erleichtern einen künftigen Sieg des Feindes“ (Oktober 1933).

Als Bahr/Brandts „Neue Ostpolitik“ verkündet wurde, soll der DDR-Außenminister Otto Winzer diese zutreffenderweise als „Konterrevolution auf Filzlatschen“ charakterisiert haben. Nach dem ersten Treffen von Brandt mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph im März 1970 in Erfurt, wo Brandt enthusiastisch von einer Menge gefeiert wurde, sorgte sich auch die Bürokratie in Moskau zunehmend über den Annäherungskurs zwischen DDR und BRD. Nach einem zweiten Treffen in Kassel verhinderte der Sowjet-Chef Breschnjew, dass ein drittes stattfand. Bei einem Treffen mit Erich Honecker, damals Walter Ulbrichts Stellvertreter in der SED, beklagte sich Breschnjew im Juli 1970: „Was will Walter [Ulbricht] … mit der … durch nichts zu beweisenden Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der westdeutschen Sozialdemokratie, was versteht er unter der Forderung, der Brandt-Regierung zu helfen? Es darf zu keinem Prozess der Annäherung zwischen der BRD und der DDR kommen.“ Er erinnerte Honecker: „Wir haben doch Truppen bei Euch. Erich, vergiss das nie: Ohne uns gibt es keine DDR!“ Bei anderer Gelegenheit wies Breschnjew richtigerweise darauf hin, dass Brandt ebenso wie Strauß für die Liquidierung der DDR stehe. Und Honecker selbst äußerte einmal intern folgende Einschätzung: „Wir sind Zeuge eines großangelegten Versuchs, hinter dem Nebel einer großangelegten Reform an Haupt und Gliedern die Bundesrepublik in der Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus attraktiver zu machen“ (alle Zitate aus Uschner, a. a. O.).

Im Sommer 1970 antwortete Ulbricht auf Breschnjews Einwände: „Wenn wir die Existenz einer unter sozialdemokratischer Führung stehenden Regierung Westdeutschlands nicht maximal ausnutzen, um die friedliche Koexistenz zu erreichen, dann werden uns die Völker das nicht verzeihen, auch nicht das Sowjetvolk.“ Wie groß die Illusionen in die SPD von Brandt und Co. waren, findet auch seinen Ausdruck in dem Buch Im eigenen Auftrag des ehemaligen DDR-Spionagechefs Markus Wolf; er schrieb darin, er bedauere Brandts Sturz 1974, der auf die Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume im Bundeskanzleramt folgte. Die SED-Bürokratie um Honecker suchte die Nähe zu Westdeutschland und vertrat teilweise so weitgehend übereinstimmende nationalistische Losungen, dass Moskau sich zeitweise gezwungen sah, dem Techtelmechtel mit Bonn einen Riegel vorzuschieben, wie bei ihrer Absage eines geplanten Besuchs Honeckers bei der Kohl-Regierung 1984.

Der gemeinsame Nenner aller Flügel der Bürokratie war nationaler Konservativismus, das antirevolutionäre stalinistische Programm des „Sozialismus in einem Land“ sowie damit einhergehend „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus. Das Moskauer Regime hatte mit Bonn und den anderen Imperialisten seine eigenen Verhandlungen laufen, bekam selbst Kredite von den Bankern in Frankfurt, Washington und London, genauso wie die DDR und die anderen deformierten Arbeiterstaaten in Osteuropa. Insbesondere die massiven Schulden bei den Finanzkapitalisten erwiesen sich als fatal, als ab 1981 der Ölpreis in den Keller fiel und die Produktivität stagnierte. Der ganze Sinn der „Ostpolitik“ war, Bankkredite und andere Deals anzubieten und so einen konterrevolutionären Keil in die Arbeiterstaaten zu treiben. Wie Bahr im Nachhinein 1990 prahlte: „Es war so angelegt, dass mit jedem weiteren Schritt das Interesse aller Beteiligten an der Fortsetzung wuchs. Honecker konnte von da an gar nicht mehr anders handeln“ (Uschner, a. a. O.).

Nach Kohls Sieg und dem Ende der SPD/FDP-Koalition in den 1980ern sah sich die SPD gezwungen, ihre Ostpolitik auf der Ebene von Parteikontakten mit der SED fortzuführen. Ab Ende 1982 wurden auf Brandts Initiative hin direkte Verbindungen hergestellt. Erhard Eppler wurde von Seiten der SPD damit beauftragt, dies anzuleiten, aber wahrscheinlich war es am Ende Bahr, der diese Politik zum größten Teil bestimmte. Die Bedeutung dieser Kontakte für die SED zeigt sich in der Tatsache, dass es kaum eine SED-Politbüro-Sitzung gab, auf der die Kontakte zur SPD nicht diskutiert wurden. Die Mehrheit der SPD-Führung hatte regelmäßigen formellen oder informellen Kontakt zur SED-Führung.

Diese Kontakte führten zu einer gemeinsamen Erklärung von SPD und SED, „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“, die 1987 fertiggestellt wurde. Diese Erklärung war von vorn bis hinten eine krasse Kapitulation vor der SPD und dem Imperialismus und legte den Bankrott des Programms der SED-Stalinisten, des „Sozialismus in einem Land“, bloß. Die SED unterstützte offen die Beschönigung des Imperialismus, den die SPD betrieb, wie die Zwischenüberschriften des Papiers zeigen: „I. Friedenssicherung durch gemeinsame Sicherheit“, „II. Friedlicher Wettbewerb der Gesellschaftssysteme“ usw. Die SPD legte großen Wert auf „die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Systemen“, sie fühlte sich sicher, dass sie diese Auseinandersetzung mit der verknöcherten stalinistischen Bürokratie gewinnen könnte. Die SPD beschrieb sich selbst in militant prokapitalistischen Tönen als „Teil der westlichen Demokratie“, die sie „notfalls unter Opfern“ verteidigen wollte – was sehr glaubhaft ist, wenn man sich an ihre Stimmabgabe für die imperialistischen Kriegskredite 1914 erinnert, die blutige Unterdrückung der Arbeiterrevolution nach dem Ersten Weltkrieg durch die SPD-Regierung unter Ebert und Noske oder die Unterstützung für Hitlers „Friedensrede“ als Reichskanzler im Mai 1933, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das Einzige, was die SED als Antwort darauf zustande bekam, war, positiv zu erwähnen, dass „die Überführung der wichtigsten Produktionsmittel in Gemeineigentum und die politische Macht der Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen Werktätigen das Fundament umfassender demokratischer Rechte“ garantiere.

Die SED verpflichtete sich offen dazu, die SPD und den Imperialismus weißzuwaschen, und stimmte zu: „Vermieden werden muss alles, was die andere Seite als prinzipiell unfriedlich oder zum Frieden unfähig erscheinen lässt.“ Gleichzeitig denunzierte die SPD die „These vom weltrevolutionären Prozess“, die „auf Revolutionsexport hinauslaufe und zur Rechtfertigung sowjetischer Machtansprüche diene“. Die SED akzeptierte dies ohne Protest, was die Schaffung der DDR selbst denunzierte und darauf hinauslief, sich von der Sowjetunion zu distanzieren. Implizit wurde damit die von den Imperialisten geführte Kampagne unterstützt, die Sowjetunion wegen „Menschenrechtsverletzungen“ aufgrund der „Invasion“ Afghanistans usw. zu denunzieren. Natürlich war der ganze Sinn dieser Kampagne, Teile der Bürokratie dazu zu ermutigen, sich für westliche „Demokratie“ zu begeistern und die deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten für die ungehinderte Ausbeutung der Arbeiter zu öffnen – letzteres sehen die Kapitalisten als das einzige „Recht“, das ihnen überhaupt was bedeutet. Und ein erster Schritt in Richtung kapitalistischen Ausverkaufs kam nicht viel später, als 1988 der Kreml unter Gorbatschow mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan begann. Als Antwort darauf boten wir an, eine internationale Brigade aufzustellen, die gegen die CIA und die Mudschaheddin auf Leben und Tod kämpft, und wir prangerten den Rückzug als Verrat an – an den afghanischen Frauen und Linken und an der Verteidigung der Sowjetunion.

Im Juli 2007 veröffentlichten die stalinistischen Überbleibsel in der Kommunistischen Plattform (KPF) der LINKEN eine Apologie für das SED/SPD-Papier, geschrieben von Prof. Dr. Erich Hahn, der seitens der SED daran beteiligt gewesen war, dieses Papier zu entwerfen. Unter der Überschrift „SED/SPD-Papier 1987 – Chance oder Kapitulationsvorbereitung?“ argumentiert Hahn (und die KPF stimmt offenbar zu), dass es „ein sinnvoller Kompromiss“ war. Hahn zufolge stellte Honecker persönlich sicher, dass das Papier angenommen wurde. Hahns zentrales Argument zur Verteidigung dieser Kapitulation bringt auf den Punkt, wie die Stalinisten internationale Revolution und Klassenkampf zugunsten der Utopie einer „friedlichen Koexistenz“ zurückweisen:

„Spätestens zu diesem Zeitpunkt [1983/84] war es klar, dass ein revolutionärer Aufbruch in den entwickelten kapitalistischen Ländern und ein rascher Zusammenbruch der imperialistischen Herrschaft nicht auf der Tagesordnung stand. Die einzig realistische Perspektive war die längerfristige Koexistenz beider Systeme, in der sich zu erweisen hatte, welche Seite es besser vermag, die objektiven Erfordernisse des Friedens und des Fortschritts in der gegenwärtigen Etappe der Menschheitsentwicklung zu realisieren. Es ging darum, Formen zu finden, die dem epochalen Widerspruch zwischen Sozialismus und Kapitalismus eine Bewegung verleihen, die nicht in einem Kernwaffenkrieg mündet.“

Das trojanische Pferd rollt: Die SPD in der DDR 1989/90

Während die SPD in den 1980ern Diskussionen mit der SED führte, knüpften eine Reihe führender SPD-Politiker Kontakte zu Oppositionsgruppen hauptsächlich in und um die Evangelische Kirche. Im Juni 1988 beklagte der frühere SPD-Kanzler Schmidt anlässlich einer Rede beim Protestantischen Kirchentag in Rostock die Teilung Deutschlands, forderte die DDR-Führung offen auf, Reisen zu vereinfachen, und bezog sich positiv auf Gorbatschow. 1988 erklärte Karsten Voigt die Beziehung zwischen den zwei Aspekten der SPD-Ostpolitik – Abrüstung/Entspannung und „Freiheitsrechte“, d. h. Konterrevolution – wie folgt: „Reformpolitik ist der Versuch, prinzipielle Zielsetzungen in einzelnen Schritten zu erreichen… Unsere abrüstungspolitischen Gespräche mit den regierenden kommunistischen Parteien aus den Staaten des Warschauer Vertrages dienen dem Frieden. Aber sie konnten und können die Freiheitsfrage nicht im Sinne des sozialdemokratischen Verständnisses von Freiheit lösen. Dies heißt nicht, dass wir in unserer Entspannungspolitik die Freiheitsfrage ausblenden. Mit unserer Entspannungspolitik wollen wir auch die Voraussetzungen für die Entfaltung von Freiheitsrechten verbessern“ (Uschner, a. a. O.).

Dies war die Bedeutung des scheinbaren Widerspruchs zwischen den zwei Aspekten der SPD-Politik, zwischen dem NATO-Doppelbeschluss einerseits und den Abrüstungsdiskussionen andererseits, zwischen Kontakten mit antisowjetischen Oppositionsgruppen und mit der SED. Sie ergänzten einander mit dem Ziel, die DDR und die Sowjetunion auf die „demokratische“ Konterrevolution vorzubereiten. Nachdem die Gesellschaft der DDR 1989 zu explodieren anfing, führte dies zu verstärkter Polarisierung innerhalb der Partei, welcher Aspekt in den Vordergrund zu stellen war.

Ein früher Hinweis dieser Polarisierungen war die Reaktion der SPD-Führung auf die Initiative für die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP). Nachdem Ende August 1989 ein Aufruf zur Parteigründung zirkulierte, wurde die SDP am 7. Oktober in einem Kirchengebäude nahe Berlin gegründet. Das angenommene Programm war offen konterrevolutionär, es forderte eine „ökologisch orientierte soziale Demokratie ... Rechtstaat und strikte Gewaltenteilung ... parlamentarische Demokratie und Parteienpluralität [und die] soziale Marktwirtschaft“ (Sturm, a. a. O.). Anders als die meisten oppositionellen Gruppierungen der kleinbürgerlichen „Bürgerbewegung“ versuchte die SDP noch nicht mal, ihre konterrevolutionären Bestrebungen mit der Fassade zu bemänteln, eine „Reform“ der DDR zu verlangen. Den SDP-Gründern, überwiegend evangelische Geistliche, war sogar der Begriff „demokratischer Sozialismus“ oder der Gruß „Genossen“ zuwider, was doch eigentlich das täglich Brot für Sozialdemokraten ist, um vor den Arbeitern ihre konterrevolutionären Ziele zu verschleiern.

Während der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel darauf drängte, die SDP sofort anzuerkennen und sie aggressiv zu unterstützen, um den Druck auf die zerfallende DDR-Bürokratie zu erhöhen, war insbesondere Egon Bahr skeptisch, ob dies ein geeignetes Vehikel für die Konterrevolution sei und ob es nicht die SED-Spitzen unnötig provozieren würde. Tatsächlich hatten die Pfarrer, die die SDP gründeten, ganz bewusst nicht den Namen „SPD“ gewählt, und dies war großenteils ein Stinkefinger gegen die SPD-Führung, deren Kontakte mit der SED diese glühenden Antikommunisten völlig ablehnten. Später sabotierten sie aktiv Versuche, rechte Abspaltungen von der SED dazu zu kriegen, sich der Sozialdemokratie im Osten anzuschließen. Tatsächlich bestätigten sich Bahrs Besorgnisse, und der SPD gelang es nie, in der Arbeiterklasse im Osten Fuß zu fassen, sie ist bis heute dort hauptsächlich eine Partei von Geistlichen und fanatischen Anti-DDR-Hexenjägern geblieben. Dies eröffnete der PDS das Feld, sich in den 1990er-Jahren als die zweite Sozialdemokratie in einem kapitalistisch wiedervereinigten Deutschland zu etablieren. Heute, 20 Jahre später mit Lafontaine in der LINKEN vereint, sind sie es, die den Mantel der SPD-Ostpolitik und den „Wandel durch Annäherung“ für sich reklamieren.

Die Kontroversen innerhalb der SPD wuchsen, als sich die Entwicklungen in der DDR beschleunigten. Nachdem am 9. November die Berliner Mauer geöffnet worden war, eilten Brandt und Vogel am nächsten Tag nach Berlin, um aggressiv Nationalismus und kapitalistische Wiedervereinigung durchzudrücken. Brandt war ganz in seinem Element, und sein berühmter Satz während seines Berlin-Besuchs – „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ – wurde als Beweis gesehen, dass er Kohl im Wettrennen, die Speerspitze des großdeutschen Nationalismus in der DDR zu sein, dicke geschlagen hatte. Als Kohl ungefähr einen Monat später sein Zehn-Punkte-Programm für kapitalistische Wiedervereinigung ankündigte, versicherten Vogel und Voigt sofort ihre loyale Unterstützung für Kohls Programm und Regierung im Namen der „nationalen Einheit“. Ab Dezember 1989 starteten Brandt und Kohl einen Blitzkrieg öffentlicher Auftritte in der DDR. Besonders in Städten im Süden wie Leipzig wurden sie von zunehmend nationalistischeren Menschenmassen begrüßt, darunter Nazis, von einem Meer deutscher Fahnen und Rufen von „Deutschland, einig Vaterland!“

Brandts aggressiv nationalistischer Kurs rief unter SPD-„Linken“ Alarm hervor. In einer Präsidiumssitzung am 6. November 1989 hatte Lafontaine sich gegen das Gerede von Einheit und Wiedervereinigung gewandt; er argumentierte, die SPD sei „immer international ausgerichtet gewesen. Deshalb sei die Wiederherstellung eines Nationalstaates auch nicht unser Ziel, zumal der Prozess insgesamt auf internationale Mechanismen in einer Weltgesellschaft hinauslaufe.“ Andere Parteilinke wie Jusoführerin Susi Möbbeck argumentierten ähnlich; Möbbeck wird im Protokoll der SPD-Parteivorstandssitzung vom 30. Oktober 1989 zitiert: „Mit dem Begriff Nation könne sie nichts anfangen. Priorität hätten für sie die Vereinten Nationen von Europa… Das Beste für unser Land sei das Fortbestehen der Zweistaatlichkeit. Einem reformierten demokratischen Sozialismus in der DDR müsse eine Chance gegeben werden“ (zitiert in Sturm, a. a. O.). Auf der gleichen Sitzung traten andere SPD-„Linke“ wie Eppler nachdrücklich für einen nationalistischen Kurs einer offenen Konfrontation mit der SED ein; Eppler bezog sich dabei auf seine antikommunistische Tirade im Bundestag am 17. Juni 1989.

Möbbecks Argumente waren typisch für die Sorte von „Status-quo“-Politik, die man bei vielen SPD-„Linken“ fand und auch innerhalb der „Friedensbewegung“ und der pseudosozialistischen westdeutschen Linken, in der Hinsicht, dass sie davon Abstand nahmen, offen die Konterrevolution zu unterstützen. Grundlegend diente diese Politik dazu, die Arbeiterklasse und Linke mit Illusionen in die Möglichkeit einer „friedlichen“ und „stabilen“ Entwicklung im Rahmen des Kapitalismus zu betrügen. Gleichzeitig wurde die Lüge der „Kollektivschuld“ propagiert, um die deutsche Arbeiterklasse – aufgelöst in die klassenlose „Nation“ – für die Verbrechen der Bourgeoisie von Auschwitz anzuklagen. Gegen dieses utopische kleinbürgerliche Programm, das einzig die Gegner des Imperialismus entwaffnete, kämpften wir Trotzkisten für die Perspektive der revolutionären Wiedervereinigung Deutschlands als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Lafontaine, SPD-Kanzlerkandidat bei den dann folgenden Wahlen, stellte sich im Wesentlichen gegen den Rest der Parteiführung. Er forderte zum Beispiel, die sozialen Anreize abzuschaffen, die eine Emigration in den Westen ermutigen sollten, und stattdessen Geld in der DDR zu investieren. Lafontaine bevorzugte eine langsamere kapitalistische Wiedervereinigung. In einem Spiegel-Interview antwortete Lafontaine auf die Frage, ob es Themen gäbe, die bei den Wahlen 1990 besser ankämen als „Deutschland einig Vaterland!“: „Ja. Die Beseitigung der Wohnungsnot bei uns und in der DDR, die Verringerung der Arbeitslosigkeit bei uns und in der DDR, die Verbesserung der Situation der Familien bei uns und in der DDR – das sind Themen, die für mich allemal größere Zugkraft haben als Fahnen und Lieder“ (Spiegel, 25. Dezember 1989). Die Atmosphäre in der SPD-Führung gegenüber Lafontaine wurde als sehr eisig beschrieben, und ein SPD-Führer aus dem Ruhrgebiet klagte über Lafontaine: „Wir haben uns jahrzehntelang wegen unserer Ostpolitik prügeln lassen, und jetzt erwecken wir bei den Bürgern den Eindruck, als ob wir Angst vor der Wiedervereinigung hätten“ (Spiegel, 18. Dezember 1989).

Gleichzeitig betrieb Lafontaine in seiner Wahlkampagne stark chauvinistische Demagogie gegen Sozialleistungen für „Übersiedler“ aus der DDR ebenso wie für Immigranten aus anderen Ländern. Im Sommer 1990 stand er an vorderster Front, als im Saarland eine Pogrom-Atmosphäre gegen Roma und Sinti hochgepeitscht wurde. Beide Kampagnen waren offen darauf ausgerichtet, Stimmen der faschistischen Republikaner zu erlangen. Chauvinistischer Protektionismus ist bis heute ein Kennzeichen des Reformismus Marke Lafontaine – von seiner Rolle in der rassistischen Kampagne zur Abschaffung des Asylrechts Anfang der 1990er-Jahre, die begleitet wurde von Nazipogromen von Rostock bis Hoyerswerda, bis zu seiner reaktionären Hetze gegen „Fremdarbeiter“ in der Bundestagswahlkampagne 2005.

Laut Sturms Uneinig in die Einheit fand Lafontaines Linie – Opposition gegen den Nationalismus von Brandt und gegen eine schnelle Wiedervereinigung – Resonanz in der Mitgliedschaft der SPD. Brandt wurde wegen seines Status als „Parteilegende“ nicht direkt angegriffen, sondern die Ablehnung seiner nationalistischen Linie richtete sich gegen Vogel, zum Beispiel in einem im SPD-Unterbezirk Hannover verteilten Flugblatt:

„SPD-Parteitag: ... Wiederbegegnung ist süß – Wiedervereinigung ist bitter! Auch in der SPD macht sich die Vereinigungslust breit. Wir haben unsere Lust dagegen: Sozialis-Muss! Kohl gibt den Ton an mit seinem 10-Punkte-Programm, Vogel pariert und ist auch für die ,Wiedervereinigung‘ und den Ausverkauf der DDR... Damit Kohl nicht weiterhin in der SPD den Ton angibt, damit die Vögel nicht weiter Höhenflüge Richtung ,Wiedervereinigung‘ und Abflüge Richtung Ausverkauf nicht nur der DDR, sondern auch des Sozialismus und eines sozial-ökologischen Umbaus unternehmen, fahren wir am 18.12. nach Berlin. Nicht die Vögel sind die Partei, sondern wir!“

Es gibt Hinweise darauf, dass das Gerede über kapitalistische Wiedervereinigung mit einer Menge Unbehagen in der Arbeiterbasis der SPD sowie in den Gewerkschaften aufgenommen wurde. Auf einer gewissen Ebene spiegelte dies das Verständnis wider, dass die sozialen Errungenschaften in der DDR auch Errungenschaften für die Arbeiter im Westen darstellten. Franz Steinkühler, damals Chef der IG Metall, zeigte sich laut Spiegel (26. November 1990) überrascht darüber, „wie schnell in den Betrieben das Unbehagen über Oskars Alleingänge verschwunden ist“. Lafontaines Distanzierung von Brandts nationalistischem Kurs in Richtung schneller Wiedervereinigung, seine Appelle für eine langsame Wiedervereinigung, um eine Überlastung der westlichen Sozialsysteme zu vermeiden, waren sowohl ein deformierter Ausdruck solchen Unbehagens innerhalb der Arbeiterklasse im Westen als auch ein Mittel, um solche Besorgnisse zu beschwichtigen und vor allem um Klassenkampf zu verhindern. Als der IG-Metall-Tarifvertrag auslief und im Januar 1990 Streiks anstanden, wurde sehr schnell eine große Lohnerhöhung ausgehandelt. Die Bosse und die SPD-Spitzen waren sehr bewusst dabei, um jeden Preis den Ausbruch von Klassenkampf im Westen zu dieser Zeit zu verhindern; sie fürchteten den Einfluss, den dieser auf die Arbeiterklasse in der DDR haben könnte. Die Polarisierung in der SPD 1989/90 deutete an, wie diese Partei unter der Wucht einer siegreichen proletarisch-politischen Revolution in der DDR entlang der Klassenlinie hätte gespalten werden können.

Lafontaines Rolle war die des linken Gesichts der sozialdemokratischen Kampagne für die kapitalistische Wiedervereinigung, auch wenn die anderen Führer der SPD ihm dafür nicht sehr dankbar waren. Viele von ihnen haben ihm bis heute nicht vergeben, wie skeptisch er über die nationalistische Orgie war, die sie zusammen mit Kohl durchzogen. Dabei hielt er Leute, die sich als „Internationalisten“ sahen, innerhalb des Rahmens der Sozialdemokratie, Leute, die die nationalistischen Exzesse der Ost-SPD und von Brandt abschreckten. Mit seinen Warnungen vor den Ergebnissen einer schnellen Konterrevolution sprach er die Angst derjenigen an, die in der DDR etwas Positives sahen, das nicht zerstört werden sollte, er gab diesen Leuten den Eindruck, er sei irgendwie auf ihrer Seite. Er war auch die Person, die die potenziellen linken Dissidenten und große Teile der Arbeiterklasse an die Sozialdemokratie band. In dieser Funktion verkörperte er in viel gefährlicherer Form als Brandt und Co. das Trojanische Pferd der Konterrevolution.

Daniel Sturms Buch Uneinig in die Einheit repräsentiert die rechte Kritik an Lafontaine, wirft ihm und anderen SPD-Führern vor, angesichts einer großartigen konterrevolutionären Öffnung in Panik verfallen zu sein, und stellt dem positiv die „dynamische“ Rolle Willy Brandts entgegen. Diese Einschätzung basiert vollständig auf den bürgerlichen Mythen über 1989/90, die die Ergebnisse der Volkskammerwahlen vom März 1990 schon rückblickend in der Geschichte als gegeben behaupten, um das Bild eines unaufhaltsamen Marsches in Richtung kapitalistischer Wiedervereinigung zu zeichnen. Es ist keine Überraschung, dass das Buch eines bürgerlichen Akademikers – der hauptsächlich das Triumphgeheul vom „Tod des Kommunismus“ in der nachsowjetischen Periode weiterzuverbreiten versucht – die Massenproteste von manchmal Hunderttausenden im Herbst und Winter 1989 einfach ignoriert, in denen prosozialistische Losungen wie „Für kommunistische Ideale!“ hervorstachen und wo es eine Stimmung gegen eine Wiedervereinigung gab.

Der Protest, der am eindeutigsten den Willen eines Teils der DDR-Arbeiterklasse und vieler SED-PDS-Mitglieder demonstrierte, gegen die kapitalistische Wiedervereinigung und für die Verteidigung der Sowjetunion zu kämpfen, fand am 3. Januar 1990 in Berlin-Treptow statt. Als Antwort auf die Initiative, die von uns Spartakisten ausging und die von der SED-PDS unter dem Druck ihrer Basis aufgegriffen wurde, kamen 250 000 auf die Straße gegen die Nazischändung des Treptower Ehrenmals für die sowjetischen Soldaten, die bei der Befreiung Deutschlands von den Nazis gefallen waren. Es war eine machtvolle antifaschistische, prosowjetische Demonstration zur Verteidigung des Arbeiterstaats DDR. Dies trieb die Imperialisten und ihre sozialdemokratischen Handlanger zur Weißglut, und sie starteten als Antwort eine massive antikommunistische Kampagne, um organisierten Arbeiterwiderstand gegen die kapitalistische Wiedervereinigung im Keim zu ersticken. Bei einer Sitzung des „Runden Tisches“ unmittelbar nach der Treptow-Demonstration startete der SDP-Führer Markus Meckel eine Tirade dagegen. Dabei bezog er sich auf unseren trotzkistischen Aufruf zur Demonstration, in dem wir vor den Sozialdemokraten als dem „Trojanischen Pferd der Konterrevolution“ warnten.

Treptow erschreckte auch die stalinistischen Bürokraten zutiefst, und Gorbatschow wies 10 Jahre später auf den 3. Januar 1990 hin als den Zeitpunkt, als die Gefahr von „Chaos“, d. h. proletarisch-politischer Revolution, wuchs. Das habe ihn und die Moskauer Bürokratie dazu gebracht, dass „wir … unseren Standpunkt zum Prozess der Vereinigung Deutschlands unter der Einwirkung der Ereignisse geändert“ haben. Ende Januar gab Gorbatschow grünes Licht für eine schnelle Wiedervereinigung, und die SED-PDS-Führung griff dies mit Modrows Parole „Deutschland, einig Vaterland“ auf. Gysi und die SED-PDS-Führung verteidigten zunächst die Treptow-Demonstration gegen Meckels Beschimpfung, aber dann knickten sie ein und denunzierten sie als „Fehler“. Am Ende waren es nur wir Spartakisten, die gegen den Ausverkauf der DDR kämpften. Wir kandidierten bei den Volkskammerwahlen auf der klaren Basis „Nein zur kapitalistischen Wiedervereinigung“.

Auf der anderen Seite standen nicht nur die verschiedenen Flügel der SPD, sondern auch die überwältigende Mehrheit der pseudomarxistischen Linken in Deutschland, die politisch der SPD-„Linken“ hinterherliefen oder es sogar schafften, sie in der Unterstützung für die kapitalistische Wiedervereinigung rechts zu überholen. Zum Beispiel riefen die Vorläufer der Sozialistischen Alternative (SAV), die damals in der SPD vergraben waren, „SPD in die Offensive!“. Oder die Gruppe Arbeitermacht forderte den sofortigen Abzug der Roten Armee aus der DDR. Eine andere Gruppe, Vorläufer der sogenannten „Bolschewistischen Tendenz“, verbrachte die meiste Zeit in der DDR damit, die IKL als „Bürokraten“ zu verleumden und uns dafür zu denunzieren, dass wir ein anderes Ergebnis als Konterrevolution und Niederlage überhaupt für möglich hielten. Die wirklichen politischen Gelüste dieses dubiosen Grüppchens, insoweit es überhaupt von Politik angetrieben wird, zeigen sich in seinem grotesken Vorschlag, wir hätten die SPD einladen sollen, bei der Treptower Demonstration zu reden. In Wirklichkeit war die Politik der SPD/SDP um 180 Grad dem politischen Zweck der prosozialistischen, prosowjetischen Treptower Demo entgegengesetzt.

Ungeachtet ihrer politischen Unterschiede hatten all diese Gruppen grundlegend eins gemeinsam: ein Programm der „Einheit“ mit der Sozialdemokratie und daher mit den Kräften der Konterrevolution. Heute firmiert dies häufig unter der Überschrift „Einheit der Linken“, und der politische Zweck dieser Gruppen dreht sich um den Aufbau der „Einheit“ der Linkspartei mit Lafontaine ebenso wie mit den früheren PDS-Führern wie Gysi, die durch den Ausverkauf der DDR ihre Karriere machten. Unsere Position ist dem diametral entgegengesetzt: Wir kämpften damals ebenso wie heute für eine politische und organisatorische Spaltung der fortgeschrittenen, klassenbewussten Arbeiter vom sozialdemokratischen Reformismus und für die Schmiedung einer revolutionären bolschewistischen Partei in der wirklichen Tradition Lenins, Luxemburgs und Liebknechts. Diese Partei ist das unabdingbare Instrument für die Arbeiterklasse, damit sie ihre revolutionäre, historische Aufgabe erfüllen kann, die kapitalistische Herrschaft zu zerschlagen und eine auf internationaler Planwirtschaft basierende klassenlose Gesellschaft aufzubauen, in der die Produktivkräfte und der von Menschen erzeugte Reichtum im Dienste aller Menschen rational eingesetzt werden wird.

 

Spartakist Nr. 176

Spartakist Nr. 176

März 2009

·

Karl Marx hatte recht

Kapitalistische Wirtschaftskrise: Bosse lassen Arbeiter zahlen

Für Klassenkampf gegen die kapitalistischen Herrscher!

·

Volksfrontpolitik entwaffnet Gewerkschafter, Linke

Dresden: Staat schützt Nazi-Aufmarsch

Arbeiter/Immigranten-Mobilisierung kann Faschisten stoppen!

·

Leserbrief:

Zur Familie in der DDR

·

Nieder mit reaktionären Streiks gegen ausländische Arbeiter!

Britannien: Gewerkschaften müssen immigrierte Arbeiter verteidigen!

Tariflöhne für alle!

·

Hamburg: "Vorteilsregelung" spaltet Arbeiterklasse

Verteidigt ver.di gegen Angriffe der Hafenbosse!

Organisiert die Unorganisierten!

Gerichte und Staat: Hände weg von den Tarifen!

·

Kalter Krieg, Ostpolitik und DDR-Anschluss

SPD: Trojanisches Pferd der Konterrevolution