Documents in: Bahasa Indonesia Deutsch Español Français Italiano Japanese Polski Português Russian Chinese Tagalog
International Communist League
Home Spartacist, theoretical and documentary repository of the ICL, incorporating Women & Revolution Workers Vanguard, biweekly organ of the Spartacist League/U.S. Periodicals and directory of the sections of the ICL ICL Declaration of Principles in multiple languages Other literature of the ICL ICL events

Abonniert Spartakist, Zeitung der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands

Archiv

Druckversion dieses Artikels

Spartakist Nummer 176

März 2009

Leserbrief:

Zur Familie in der DDR

18. September 2008

Liebe Genossen,

mit Freude habe ich den Artikel „DIE LINKE, von der Leyen und die ,heilige Familie‘ “ in der aktuellen Ausgabe vom Spartakist [Nr. 173, September 2008] gelesen. Die Beschreibung, wie der bürgerliche Staat durch seine Gesetze die Institution der Familie auf Schritt und Tritt zementiert, sprach mir aus ganzem Herzen, habe ich mich doch selbst kürzlich mit Jugendämtern und Kita-Leiterinnen herumschlagen müssen, die den Anspruch meines Sohnes auf Tagesbetreuung wiederholt versuchten, mit dem Argument auszusetzen, dass meine hochschwangere, bzw. sich kurz nach der Entbindung unserer Tochter erholende Partnerin sich doch wohl gefälligst um beide Kinder kümmern solle.

Auch den auf das vom katholischen Klerus inspirierte Familienprogramm der saarländischen LINKEN gemünzte Bezug zu den reaktionären lassalleanischen Rechtfertigungen für „Mutterschutz“ fand ich äußerst zutreffend. Nicht zuletzt deshalb, weil Lafontaine selbst noch kurz vor dem Cottbusser Parteitag der LINKEN versuchte, das Kommunistische Manifest für sein bürgerliches Programm, den kapitalistischen Staat von der LINKEN mitverwalten zu lassen, zu vereinnahmen. Doch prangert schon das Manifest die bürgerliche Familienmoral als eine ideologische Grundfeste der Unterdrückung und Ausbeutung des Proletariats an.

Die Benennung der kapitalistischen Wiedervereinigung als die Grundlage der historisch beispiellosen Zurückwälzung sozialer Errungenschaften für Frauen ist absolut richtig und notwendig zu einem Zeitpunkt, da sich die deutsche Bourgeoisie über Berichte mokiert, dass die DDR in weiten Teilen der Bevölkerung (Ost und West) als sozialer gesehen wird als das heutige Deutschland oder das damalige Westdeutschland. Nun kündigt sie „Aufklärungsmaßnahmen“ an, in denen mit aller Wucht eine neue Welle antikommunistischer Propaganda gegen diesen deformierten Arbeiterstaat losgetreten wird. Welche „Geisteshöhen“ die Ideologen dieser Kampagne erreichen werden, ist schwer vorauszusagen, aber bestimmt wird es noch mehr Quacksalber-Theorien geben, die der von den armen Jugendlichen, die zu Nazis wurden, weil sie in Plattenbausiedlungen aufwuchsen und im Kindergarten kollektiv aufs Töpfchen mussten, in nichts nachstehen.

In einem Detail bin ich jedoch mit der im Artikel wiedergegebenen Darstellung der Rolle der Familie in der DDR nicht einverstanden. „Die Familie, die weiterhin existierte, verlor viel von ihrem Charakter einer Sittenpolizei der Doppelmoral und als Institution, die sexuelle Unterdrückung durchsetzt.“ Eingeleitet wird dieser Satz durch eine Feststellung, dass „Schwangerschaft und Geburt ... nicht mehr den Ruf oder die Zukunft einer Frau, egal ob sie verheiratet war oder nicht“ bedrohten. Das widerspricht vielen Erlebnissen, die ich hatte, als ich in der DDR aufwuchs. Und DDR-Schriftstellerinnen wie Irmtraud Morgner oder Maxie Wander kritisierten wiederholt den Zynismus der DDR-Staatsführung, die alljährlich am 8. März die Emanzipation der Frau beschwor, aber letzten Endes sich einen Teufel drum scherte. In Amanda. Ein Hexenroman schrieb Morgner: „Ein Sozialismus aber, der die Männervorherrschaft nicht abschafft, kann keinen Kommunismus aufbaun.“

Selbst Ulrich Plenzdorfs sehenswerter, wenn auch aus heutiger Sicht betrachtet eher harmloser Film Die Legende von Paul und Paula sollte ursprünglich verboten werden. In diesem Film stichelt Plenzdorf auf subtile Weise gegen den Moralkodex, der es einem jungen aufsteigenden stalinistischen Bürokraten nicht möglich machte, seine Karriere fortzusetzen, wenn er sich von seiner Frau trennt und sich zu seiner Liebe für Paula, einer allein erziehenden Mutter zweier Kinder, bekennt. Interessanter Weise und letztlich typisch für die Widersprüche innerhalb der herrschenden stalinistischen Kaste war es Honecker, der sich dafür einsetzte, dass der Film, wenn auch nur kurzfristig, in die DDR-Kinos kam.

Das jedoch machte Honecker kaum zum Helden im Kampf für die Rechte der Frauen oder gar Homosexueller. Es ist wahr, dass zu seiner Zeit eine ganze Reihe archaischer Strafgesetze abgeschafft wurden wie das Abtreibungsverbot (1972) und 1988 sogar §151 (ein 1968 abgewandelter §175), der homosexuelle Beziehungen unter Strafe stellte. Während seiner Regierungszeit gab es einen enormen Ausbau von kinderfreundlichen Maßnahmen. Doch blieb auch unter Honecker die stalinistische Ideologie der „Familie als Keimzelle des Sozialismus“ bestehen. In der Praxis blieb die Familie das Druckmittel, um die in ihr lebenden Keime – ob Mann, Frau oder Jugendliche – zu disziplinieren.

In seinem Buch Verratene Revolution sezierte Trotzki die Rolle der Familie im degenerierten Arbeiterstaat UdSSR und stellte die reaktionäre Politik der stalinistischen Bürokratie im scharfen Kontrast zu den Maßnahmen der jungen Sowjetmacht in den ersten sieben Jahren nach der Oktoberrevolution dar. Trotzkis Beschreibungen der Familienverhältnisse in der Sowjetunion der 1930-er Jahre treffen auch auf die DDR nicht nur in den 50er- und 60er-Jahren unter Ulbricht zu, sondern auch später. Er fasste zusammen:

„Die wirklich sozialistische Familie, der die Gesellschaft die Last der unerträglichen und erniedrigenden Alltagssorgen abnimmt, wird keiner Reglementierung bedürfen, und die bloße Vorstellung von Abtreibungs- oder Scheidungsgesetzen wird ihr nicht schöner erscheinen als die Erinnerung an Freudenhäuser oder Menschenopfer. Die Oktobergesetzgebung tat einen kühnen Schritt zu einer solchen Familie hin. Wirtschaftliche und kulturelle Zurückgebliebenheit erzeugten eine heftige Reaktion. Die thermidorianische Gesetzgebung geht zu den bürgerlichen Vorbildern zurück und verhüllt ihren Rückzug mit falschen Reden über die Heiligkeit der ,neuen‘ Familie. Das Versagen des Sozialismus verbirgt sich auch in dieser Frage hinter frömmelnder Respektabilität.“

Trotzki beschrieb das Wiederaufleben feudaler Sitten und mittelalterlichen Aberglaubens in den bäuerlichen Familien der Sowjetunion und die widerliche Doppelmoral der korrupten russischen Bourgeoisie in den städtischen, insbesondere den Familien in der Bürokratie. Die von den Stalinisten propagierte Familienmoral in der DDR kultivierte die starren, vom heuchlerischen lutherisch-evangelischen Protestantismus geprägten, spießbürgerlichen Wertvorstellungen Preußens, die Kommunisten wie Clara Zetkin oder Franz Mehring zu ihrer Zeit so hervorragend geißelten.

Mit genossenschaftlichem Gruß,

J.

Spartakist antwortet:

Der Leserbrief weist auf eine problematische Formulierung im Spartakist-Artikel hin. Der Satz „Die Familie, die weiterhin existierte, verlor viel von ihrem Charakter einer Sittenpolizei der Doppelmoral und als Institution, die sexuelle Unterdrückung durchsetzt“ kann den Eindruck erwecken, die Familie in der DDR wäre nicht mehr ein Instrument zur Frauenunterdrückung gewesen. Tatsächlich aber dient die Familie in jeder Klassengesellschaft der Unterdrückung der Frau, nicht nur im Kapitalismus, sondern auch in einer Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Kommunismus, wo unter der Diktatur des Proletariats die gesellschaftlichen Produktivkräfte entwickelt werden, um das Erbe des Ausbeutersystems zu überwinden. Dies gilt erst recht für einen bürokratisch deformierten Arbeiterstaat wie die DDR, wo die Diktatur des Proletariats durch die politische Herrschaft einer stalinistischen Bürokratie verzerrt wurde, die das Programm von internationaler proletarischer Revolution im Namen des nationalistischen und antimarxistischen Dogmas vom „Sozialismus in einem Land“ verriet und den Staatsapparat zur Verteidigung ihrer eigenen bürokratischen Privilegien missbrauchte. Gleichzeitig waren in der DDR aufgrund der Vergesellschaftung der Produktionsmittel enorme Fortschritte für Frauen möglich.

Wir verteidigten die DDR und die sozialen Errungenschaften, die sie verkörperte, bedingungslos militärisch, trotz und gegen die Politik ihrer stalinistischen Führung. Das Programm der SED in der DDR, wie das der Moskau-Stalinisten, hatte nichts mit Lenins und Trotzkis Bolschewiki zu tun, die den Kampf um die Befreiung der Frau als einen wesentlichen Bestandteil des Kampfes für die Befreiung der ganzen Menschheit begriffen und die für die internationale Ausweitung der Revolution kämpften. Diese marxistische Perspektive basiert auf dem Verständnis, dass der Mangel als materielle Basis für Klassen und die Familie überwunden werden muss. Sie unterscheidet sich damit übrigens auch grundlegend von dem feministischen Weltbild von „Frauen gegen Männer“, wie es in dem im Leserbrief erwähnten Zitat von Irmtraud Morgner zum Ausdruck kommt: „Ein Sozialismus aber, der die Männervorherrschaft nicht abschafft, kann keinen Kommunismus aufbauen.“ Nach der Oktoberrevolution 1917 ergriff die junge Sowjetunion trotz der bitteren Armut und Rückständigkeit des Landes Maßnahmen, die den Weg zur wahren Emanzipation der Frau durch die Ersetzung der Familienfunktionen durch soziale Institutionen einschlugen. Soweit es ihre sehr begrenzten Mittel zuließen, versuchte sie, soziale Einrichtungen aufzubauen, die Hausarbeit und Kindererziehung übernehmen konnten: öffentliche Kantinen und Wäschereien, Krippen, Kindergärten usw. Das waren die ersten notwendigen Schritte in die Richtung, Frauen aus dem beengten Rahmen der Familie zu befreien und eine neue egalitäre Gesellschaft aufzubauen.

Im Kontext der fortgesetzten internationalen Isolation der Sowjetunion usurpierte eine aufkommende bürokratische Kaste mit Stalin an der Spitze die politische Macht vom sowjetischen Proletariat und erwürgte die bolschewistische Partei in einer 1923/24 beginnenden politischen Konterrevolution. In seiner brillanten Analyse der stalinistischen Degenerierung der Sowjetunion, Verratene Revolution (1936), betonte Trotzki, dass „die kurz nacheinander erfolgten Änderungen in der Einstellung zur Familie in der UdSSR bezeichnend [sind] für das Wesen der Sowjetgesellschaft und die Evolution ihrer herrschenden Schicht.“ 1934 wurde das Abtreibungsverbot (1920 von der Sowjetrepublik als erstem Staat der Welt abgeschafft) wiedereingeführt, 1936 wurde die „sozialistische Familie“ offiziell proklamiert. Trotzki schrieb in Verratene Revolution dazu:

„Das materielle und kulturelle Versagen des Staates führte zur feierlichen Rehabilitierung der Familie, die – welch ein Wunder der Vorsehung – auch gleich mit der Rehabilitierung des Rubels zusammenfiel. Statt offen zu sagen: ,Es hat sich gezeigt, dass wir noch zu arm und zu roh sind, um sozialistische Beziehungen zwischen den Menschen zu schaffen – diese Aufgabe werden unsere Kinder und Enkel erfüllen‘, verlangen die Führer nicht nur, die Scherben der zerbrochenen Familie wieder zu kitten, sondern auch – unter Androhung schlimmster Strafen –, in ihr die geheiligte Grundzelle des siegreichen Sozialismus zu sehen. Das Ausmaß dieses Rückzugs ist mit bloßem Auge nicht zu ermessen.“

Es war dieses stalinistische Programm, das die SED-Bürokratie nach der Gründung der DDR von der Führung in der Sowjetunion übernahm, beispielsweise wurde Abtreibung zwischen 1950 und 1972 unter Strafe gestellt. In ihrem ultimativen Verrat haben die stalinistischen Spitzen in Moskau und Ostberlin die Sowjetunion und die DDR an den Imperialismus ausverkauft. Das war das katastrophale Resultat des Programms vom „Sozialismus in einem Land“. Wie wir im Artikel in Spartakist Nr. 173 ausführten, stellte die Konterrevolution eine riesige Niederlage für Frauen, Arbeiter und Unterdrückte nicht nur in der ehemaligen DDR dar. Wir Trotzkisten haben einzigartig gegen diesen Ausverkauf gekämpft. Wir kämpfen für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale, Weltpartei der sozialistischen Revolution, nicht zuletzt angesichts der kommenden Kämpfe um die Zukunft der verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten China, Kuba, Nordkorea und Vietnam, deren Ausgang entscheidend für das Schicksal von Abermillionen Arbeiterinnen und anderen Werktätigen sein wird.

 

Spartakist Nr. 176

Spartakist Nr. 176

März 2009

·

Karl Marx hatte recht

Kapitalistische Wirtschaftskrise: Bosse lassen Arbeiter zahlen

Für Klassenkampf gegen die kapitalistischen Herrscher!

·

Volksfrontpolitik entwaffnet Gewerkschafter, Linke

Dresden: Staat schützt Nazi-Aufmarsch

Arbeiter/Immigranten-Mobilisierung kann Faschisten stoppen!

·

Leserbrief:

Zur Familie in der DDR

·

Nieder mit reaktionären Streiks gegen ausländische Arbeiter!

Britannien: Gewerkschaften müssen immigrierte Arbeiter verteidigen!

Tariflöhne für alle!

·

Hamburg: "Vorteilsregelung" spaltet Arbeiterklasse

Verteidigt ver.di gegen Angriffe der Hafenbosse!

Organisiert die Unorganisierten!

Gerichte und Staat: Hände weg von den Tarifen!

·

Kalter Krieg, Ostpolitik und DDR-Anschluss

SPD: Trojanisches Pferd der Konterrevolution