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Spartakist Nummer 174

November 2008

Volksfrontstrategie entwaffnet Arbeiter im Kampf gegen Faschismus!

Tag der Mahnung: Falsche Lehren aus der Niederlage 1933

Arbeiterrevolution wird die Opfer des Holocaust rächen!

Folgendes Flugblatt (12. September) verteilten wir beim alljährlich vom VVN-BdA organisierten Tag der Mahnung in Berlin.

Wir Trotzkisten ehren mit revolutionärem Herzen die Kämpfer gegen das Naziregime: die jüdisch-kommunistische Herbert-Baum-Gruppe, die im Untergrund kämpfte; die heldenhaften Unterstützer der Sowjetunion, die Aufklärungsarbeit im Feindesland betrieben, wie Richard Sorge, Ozaki Hozumi und die Mitglieder von Leopold Treppers „Roter Kapelle“; die Trotzkisten wie Abraham Léon, die im Untergrund gegen die Nazi-Besatzung kämpften; und die zahllosen anderen Rotarmisten, Partisanen, die jüdischen Kämpfer im Warschauer Ghetto ebenso wie die Deserteure der Wehrmacht, die auf sowjetische Seite überliefen. Ihr Heldentum ist uns Verpflichtung im Klassenkampf gegen den Kapitalismus und seine faschistischen Schergen. Die Volksfrontpolitik des Aufrufs zum Tag der Erinnerung und Mahnung vom Berliner VVN-BdA ist aber diesem Kampf entgegengesetzt.

Der Aufruf „Hinschauen – nicht wegsehen!“ meint zum deutschen Faschismus: „Millionen ließen sich gleichschalten, die Mehrheit der Deutschen schaute zu“, und wälzt damit die Verantwortung der deutschen Bourgeoisie für die Machtergreifung der Nazis und ihre fürchterlichsten Verbrechen, den Holocaust – die industrielle Ermordung der europäischen Juden und von Roma und Sinti – und den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und andere Völker Osteuropas, auf die Schultern der Arbeiterklasse ab. Die Schuld am Sieg des Faschismus trägt nicht die Arbeiterklasse. Angesichts der Radikalisierung durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre stellten die Nazis der herrschenden Klasse 600 000 paramilitärisch ausgebildete SA-Schläger zur Verfügung, um die gesamte Arbeiterbewegung zu terrorisieren, sie zu atomisieren und ihre Organisationen zu zerschlagen. Die Machtübernahme der Nazis war kein „Betriebsunfall“ der Geschichte, sondern eine bewusste Entscheidung der herrschenden Klasse, ihre Macht zu sichern und eine sozialistische Revolution zu verhindern.

Die vielen Millionen deutschen Arbeiter, die in SPD, KPD und den Gewerkschaften organisiert waren, wollten gegen Hitlers Machtergreifung kämpfen. Sie wurden von ihren Führungen schmählich verraten. Aufgrund ihrer Treue zur kapitalistischen Ordnung hatte die SPD-Führung letztlich mehr Angst davor, die Arbeiterklasse gegen die Faschisten in Bewegung zu setzen, als vor ihrer eigenen Vernichtung durch die Machtergreifung Hitlers. Erst unterstützte sie Hindenburg als kleineres Übel, der seinerseits Hitler die Macht übergab, dann versuchte sie – vergeblich – sich mit den Nazis zu arrangieren. Die bewusstesten Arbeiter, die sich mit der russischen Oktoberrevolution von 1917 identifizierten, wurden von der Kommunistischen Internationale (Komintern) unter Stalin und der Thälmann’schen KPD-Führung in die kampflose Kapitulation geführt. Die Stalinisten tragen daher besondere Verantwortung für die Niederlage von 1933. Statt die SPD in die Einheitsfront zu zwingen, beschimpften sie die sozialdemokratischen Arbeiter als „Sozialfaschisten“ und erklärten: „Nach Hitler kommen wir.“

Gegen die Lüge der Kollektivschuld, die die Arbeiterklasse an ihre eigene Bourgeoisie ketten soll, benannte Trotzki im Mai 1933 die Verantwortung für die kampflose Kapitulation: „Die meisten wollten kämpfen, aber von oben arbeitete man ihnen beharrlich entgegen… Der fehlende Widerstand seitens der Arbeiter hob das Selbstvertrauen des Faschismus und verringerte die Furcht der Großbourgeoisie vor dem Risiko des Bürgerkriegs. Die unvermeidliche Demoralisierung des zunehmend von der Klasse isolierten kommunistischen Vortrupps machte selbst den geringsten Teilwiderstand unmöglich. So wurde der Triumphzug Hitlers über die Knochen der proletarischen Organisationen sichergestellt.“

Auf den Verrat von 1933 folgte die nicht weniger verräterische Wende der Komintern hin zur Volksfront, der Unterordnung der Arbeiterklasse unter einen illusorischen „demokratischen“ Flügel der Bourgeoisie im Namen des Kampfes gegen den Faschismus. Zahlreiche Revolutionen wurden so in die Niederlage geführt – in Spanien schlug die Volksfront die Arbeiterrevolution, die 1936 begann, nieder und bahnte so den Franco-Faschisten den Weg an die Macht. Genau diese Volksfrontpolitik durchdringt den Aufruf zum Tag der Erinnerung und Mahnung. Schon der erste Satz des Aufrufs klingt wie ein Loblied auf die bürgerliche Demokratie: „Vor 75 Jahren paralysierten die Nazis gemeinsam mit konservativen Eliten und unterstützt von der Großindustrie in wenigen Wochen die Weimarer Demokratie.“ Die kapitalistische Weimarer Republik war wie die Nazi-Herrschaft die Diktatur der Bourgeoisie. Der herrschenden Klasse ging es um die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Die von der VVN gelobte „Weimarer Demokratie“ gründete sich darauf, dass die Arbeiterrevolution von 1918/19 im Blut ertränkt wurde durch die von den Sozialdemokraten Noske und Ebert befehligten Freikorps, aus denen die Nazi-Organisation hervorging. Neben zehntausenden revolutionären Arbeitern wurde auch die Führung der jungen KPD fast vollständig ermordet. Diesem konterrevolutionären Terror fielen Luxemburg, Liebknecht, Leo Jogiches und Eugen Leviné zum Opfer.

Kein Wunder, dass die bürgerlichen Grünen den Aufruf unterstützen, die zusammen mit der SPD im Namen von „Antifaschismus“ zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Bundeswehrtruppen auf den Balkan schickten. Im Namen der bürgerlichen Demokratie helfen die Unterstützer des Aufrufs dabei, die Bourgeoisie für ihren nächsten Kampf um die Aufteilung der Welt ideologisch aufzurüsten. Im Fall der Führung von Stalinisten und Sozialdemokraten dient die Kollektivschuldlüge à la „die Mehrheit der Deutschen schaute zu“ im Übrigen dazu, ihre eigene Verantwortung dafür, dass die Nazis kampflos an die Macht kommen konnten, zu leugnen.

Der Aufruf appelliert an den bürgerlichen Staat: „Nazistische Organisationen sind zu verbieten.“ Das ist eine gefährliche Illusion. Die Faschisten sind die Reservearmee der Bourgeoisie. Es ist dieser rassistische kapitalistische Staat, der die Strippen der Nazis zieht, nicht nur über die V-Leute in den Vorständen der NPD und sonstwo, sondern auch indem er mit seinen rassistischen Kampagnen die Marschbefehle für die Nazi-Banden liefert. Die Kampagne zur Abschaffung des Asylrechts Anfang der 90er-Jahre führte zu den Pogromen von Rostock und Hoyerswerda und die Kampagne von Roland Koch gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund im Frühjahr dieses Jahres führte zu einem Anstieg rassistischen Terrors, wie dem Brandanschlag in Dautphetal.

Verbotsappelle werden von der Bourgeoisie und ihrem Staat immer benutzt, um Angriffe gegen die gesamte Arbeiterbewegung, gegen Immigranten und die Linke zu führen. Gesetze „gegen Extremismus“ werden immer gegen Linke und die Arbeiterbewegung angewendet. So wurde 1993 das Verbotsverfahren gegen die faschistische FAP formal eingeleitet, was nur eine Abdeckung für das Verbot der PKK und 35 kurdischer Vereine war. Statt ohnmächtige Appelle an den bürgerlichen Staat zu richten, kämpfen wir Trotzkisten für Arbeiter-/Immigranten-Mobilisierungen, um die Nazis zu stoppen! Das ist die Tradition des Kampfes von Trotzkis Linker Opposition für die proletarische Einheitsfront gegen Hitlers Machtergreifung Anfang der 30er-Jahre. Ultimativ muss der Kapitalismus, der die Nazis hervorbringt und ausbrütet, durch eine Arbeiterrevolution gestürzt werden.

Der Naziterror heute ist eine Folge der kapitalistischen Konterrevolution in der DDR. Das wird in dem Aufruf völlig verschwiegen. Schon damals, 1989/90, haben wir gewarnt, dass eine kapitalistische Konterrevolution einen Anstieg von Rassismus, Frauenunterdrückung, Arbeitslosigkeit und Naziterror mit sich bringen wird. Die Konterrevolution gab den Neonazis enormen Auftrieb. Für diese gewaltige Niederlage tragen die Stalinisten Verantwortung: Gorbatschow gab grünes Licht für den Anschluss der DDR an den westdeutschen Kapitalismus. Die SED-PDS-Spitzen fügten sich dem Verrat, wurden zur PDS und machten die konterrevolutionäre Wiedervereinigung zur eigenen Sache.

Wir Trotzkisten haben die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas und den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion bedingungslos militärisch gegen Imperialismus und innere Konterrevolution bis zur letzten Barrikade verteidigt. Auf dieser Grundlage kämpften wir in der DDR 1989/90 gegen eine kapitalistische Wiedervereinigung und für ein rotes Rätedeutschland durch proletarisch-politische Revolution gegen die stalinistische Bürokratie im Osten und für eine sozialistische Revolution im Westen zum Sturz der Bourgeoisie. Nur so wäre den Faschisten in Deutschland endgültig der Nährboden entzogen worden. Heute verteidigen wir die verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten China, Kuba, Nordkorea und Vietnam.

Die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen ist heute dringender denn je. Die Politik der Organisatoren des Tags der Erinnerung und Mahnung – VVN-BdA –, wie sie im Aufruf zum Ausdruck kommt, zieht die falschen Lehren aus dem Aufstieg der Nazis und dem Kampf gegen diesen mörderischen Abschaum und ist daher ein Hindernis für den notwendigen proletarischen Kampf gegen den Faschismus und den Kapitalismus, der ihn ausbrütet. Der Kapitalismus muss durch eine Arbeiterrevolution hinweggefegt werden. Dazu ist es notwendig, eine revolutionäre multiethnische Arbeiterpartei aufzubauen als Teil der wiederzuschmiedenden Vierten Internationale, die sich jeder Form von Ausbeutung und Unterdrückung entgegenstellt.

 

Spartakist Nr. 174

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