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Spartakist Nummer 174

November 2008

Arbeiterklasse muss herrschen:

Für internationale sozialistische Planwirtschaft!

Finanzkrise: Kapitalismus bankrott

SPD/LINKE schröpfen Arbeiter für Banken und Industrie

Im Folgenden drucken wir einen Artikel aus der Zeitung unserer amerikanischen Genossen der Spartacist League/U.S., Workers Vanguard Nr. 922, 10. Oktober, nach. In der Zwischenzeit beschloss der Bundestag am 17. Oktober ein „Rettungspaket“ von 500 Milliarden Euro für die deutschen Banken. Damit ist es relativ zum Bruttosozialprodukt gesehen viermal größer als das der US-Regierung. Durch dieses Paket soll die arbeitende Bevölkerung für die Krise der Bourgeoisie bluten. Angesichts einer drohenden weltweiten Rezession sind die Börsen in Panik, und die Aktienkurse gehen unter wilden Auf- und Abbewegungen in den Keller, seit Jahresbeginn verloren die 30 DAX-Unternehmen die Hälfte ihres Werts, 500 Milliarden Euro. In der Auto- und Stahlindustrie brechen die Absatzmärkte ein und bei vielen Autoherstellern stehen immer wieder die Bänder still. Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr auf nahe Null gesenkt. Und während Milliarden in den Rachen des Finanzkapitals geworfen werden, bedrohen massive soziale Angriffe die Arbeiter, Immigranten und die gesamte Bevölkerung: „Das Ende der Gemütlichkeit“ titelte der Spiegel vom 20. Oktober zynisch.

Die Bevölkerung ist wütend auf die Bankiers. Die CDU/SPD-Regierung versucht, die Finanzkrise als ein Problem schlechter Manager sowie des ungezügelten angelsächsischen Kapitalismus darzustellen, im Gegensatz zum „regulierten“ Kapitalismus der EU. So sagte SPD-Finanzminister Peer Steinbrück: „Und wenn wir Deutschen – vielleicht sogar zu spät – mal anfingen, nach Kontrollen zu fragen, nach mehr Transparenz oder Eigenkapital-Richtlinien, wurden wir zunächst nur belächelt… Mit einem Mittelweg der sozialen Marktwirtschaft sind wir in Deutschland ja erfreulich gut gefahren bislang“ (Der Spiegel, 29. September). Das Ausmaß dieser verlogenen Heuchelei entspricht ganz dem Umfang des Rettungspakets. Die Marktwirtschaft war immer nur so „sozial“, wie die Kapitalisten die Arbeiterklasse fürchteten. Seit der konterrevolutionären Zerstörung von DDR und Sowjetunion sehen sich die Kapitalisten in Westeuropa nicht mehr gezwungen, mit den Errungenschaften der Planwirtschaft – billige Wohnungen, Arbeit für alle und gute Gesundheitsversorgung für jeden – zu konkurrieren. Die Kapitalisten und ihre Regierungen haben daher den sogenannten „Sozialstaat“ attackiert und die Ausbeutungsrate massiv nach oben getrieben. Mit der verhassten Agenda 2010 der SPD/Grünen-Regierung unter Schröder und Fischer wurden Millionen auf Hartz-IV-Hungerration gesetzt, der Niedriglohnsektor expandierte gewaltig und die Löhne der Arbeiter stagnieren oder sinken seit Jahren. Das Rentenalter wurde angehoben und dank Riester ist die Altersversorgung vieler nun abhängig von Aktien und Spareinlagen bei Banken, die nur dank Steuergeldern nicht bankrott sind – bis jetzt. All das wurde damit begründet, dass so die Wirtschaft wächst, was am Ende allen nützen würde. Was wuchs, waren die Profite und die Gier der Bourgeoisie nach immer mehr.

Der nachfolgende Artikel nimmt auch den liberalen, hier von der Sozialdemokratie propagierten Mythos auseinander, stärkere „Regulierung“ der Finanzmärkte durch die kapitalistischen Regierungen hätte die jetzige Krise verhindern können. Was „Deregulierung“ angeht, haben es SPD oder CDU gerade nötig, mit dem Finger auf die USA zu zeigen. Unter der Schröder/Fischer-Regierung wurde 2001 die massive Besteuerung von Unternehmensverkäufen abgeschafft, wodurch die Auflösung der sogenannten „Deutschland AG“ enorm beschleunigt wurde. Allianz, Münchener Rück und Deutsche Bank entflochten ihr Kapital und zogen sich aus inländischen Industrieunternehmen zurück. Die Rentenreform des gleichen Jahres spülte gewaltige Geldmengen in die Kassen des Finanzkapitals. 2004 gab Deutsche-Bank-Boss Joseph Ackermann eine Rendite von 25 Prozent als Ziel aus, und das erreicht man nicht durch „gewöhnliche“ kapitalintensive Ausbeutung. Das bedeutete, dort mitzuzocken, wo die höchsten Renditen lockten, und das war nicht zuletzt der US-Kreditmarkt. Gleichzeitig ließ die SPD/Grünen-Regierung Hedgefonds und den Handel mit Derivaten zu, hochspekulative Geldanlagen mit gewaltigen Renditeversprechen. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition wiederum ermöglichte die Förderung forderungsbasierter Papiere. Solche „gebündelten Forderungen“ dienten dazu, Risiken bei Geldanlagen zu verschleiern. Kurz und gut, das deutsche Finanzkapital kämpfte darum, im innerimperialistischen Konkurrenzkampf die Nase vorne zu behalten, der deutsche Staat unterstützte sie nach Kräften dabei und so stecken sie über beide Ohren in der US-Finanzkrise.

Noch viel härter trifft die Krise die von den Imperialisten abhängigen Länder Osteuropas, deren Wirtschaft durch die kapitalistische Konterrevolution und die daraus folgenden Schockprogramme verwüstet wurde. Ungarn wurde gerade mit 20 Milliarden Euro von EU und Internationalem Währungsfond (IWF) erstmal vor dem Staatsbankrott gerettet, die Ukraine bekommt über 13 Milliarden vom IWF und auch Polen und Tschechien droht eine Krise.

Das Triumphgeheul vom „Tod des Kommunismus“, das die Bourgeoisie und ihre Ideologen nach der Konterrevolution angestimmt haben, das Getöse von der angeblichen Überlegenheit der Marktwirtschaft, all das klingt nun recht hohl, wo die größten Kapitalgesellschaften, Banken und Versicherer, am Rande des Bankrotts stehen. Mit der Rezession um die Ecke könnte das Gleiche auch bald auf viele Industriekonzerne zutreffen. Marx’ Kapital wird wieder gelesen. Wie immer, wenn angesichts kapitalistischer Missstände die „Gefahr“ besteht, dass sich Arbeiter nach einer Alternative zum Kapitalismus umsehen, wird die antikommunistische Hetzkampagne gegen die DDR um ein, zwei Gänge beschleunigt. So sorgt sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Mit den Banken scheint auch der Glaube an die (soziale) Marktwirtschaft den Bach runterzugehen“, und beschwört: „Trotz der Finanzkrise – Nie wieder DDR“ (7. Oktober). Trotz der stalinistischen Bürokratie verkörperte die Planwirtschaft der DDR, die durch die Enteignung der Bourgeoisie errichtet worden war, einen historischen Fortschritt gegenüber dem Kapitalismus. Hier wurde produziert, um Bedürfnisse zu befriedigen, und nicht, um Profite zu erwirtschaften wie im Kapitalismus. (Für unseren einzigartigen Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung siehe Spartakist-Extrablatt, Revolution vs. Konterrevolution in Deutschland 1989/90, 4. April 2000.)

Um die Arbeiterklasse zu beschwichtigen, haben SPD und CDU zynisch Bankmanager gerügt und eine Rückkehr zu „vernünftigem“ Wirtschaften angemahnt. Steinbrück ließ in einem Spiegel-Interview (29. September) die Bemerkung fallen: „Generell muss man wohl sagen, dass gewisse Teile der marxistischen Theorie doch nicht so verkehrt sind.“ Damit will er seinen Rettungsmaßnahmen für die Kapitalisten einfach ein linkes Mäntelchen umhängen. In dieser Situation versucht DIE LINKE die Arbeiter und Jugendlichen, die sich von der SPD abwenden, aufzufangen und im Rahmen der bürgerlichen Demokratie zu halten (siehe auch Rückseitenartikel dieser Ausgabe). So stimmte DIE LINKE gegen das Rettungspaket, wozu nicht viel gehörte, da von ihrer Stimme nichts abhing. Gregor Gysi erklärte am 17. Oktober im Bundestag:

„Können wir nicht zusammen darum ringen, ein Primat der Politik über Wirtschaft und Finanzen wiederherzustellen? Das ist auch eine Kernfrage der Demokratie; denn wenn der Vorstand der Deutschen Bank entscheidet, was der Bundestag und die Bundesregierung zu tun haben, und nicht wir entscheiden, was sie zu tun haben, dann ist die Demokratie schwer verletzt. Schließlich darf die Bevölkerung den Bundestag wählen, aber nicht den Vorstand der Deutschen Bank.“

Doch die Krise zerreißt gerade den Schleier der „Demokratie“ und legt den Klassencharakter des bürgerlichen Staates bloß als Staat der Kapitalistenklasse, ideeller Gesamtkapitalist: Zum Nutzen einer Handvoll märchenhaft reicher Kapitalisten (die Manager sind lediglich deren ausführendes Instrument) werden die Gewinne privatisiert, während die Verluste auf Kosten der Arbeiterklasse und der gesamten Bevölkerung vergesellschaftet werden. Genau das wird hier von Gysi vertuscht.

Da DIE LINKE den Kapitalismus unterstützt, hat sie keine Alternative dazu, dass die Bevölkerung zugunsten der Banken ausgeplündert wird. So begrüßte Oskar Lafontaine grundlegend das Rettungspaket: „Aber wenn die Bundesregierung sich weigert, für unsere Steuergelder staatliche Anteile zu fordern, dann ist das Paket nicht zustimmungsfähig. Zudem müsste längst ein Konjunkturprogramm gestartet worden sein“ (Stuttgarter Zeitung online, 20. Oktober). Was die staatliche Kontrolle der Banken angeht, so unterliegen auch diese den kapitalistischen Gesetzen der Finanzmärkte, die die Krise verursacht haben. Und das Beispiel der Bayern LB oder der West LB zeigt, dass kapitalistische Staatsbanken daher nicht weniger Teil der Krise sind als die Privatbanken. Wie der Führer der Russischen Revolution von 1917, W. I. Lenin, in seinem bahnbrechenden Werk Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1916) bemerkte, „ist ein Staatsmonopol in der kapitalistischen Gesellschaft lediglich ein Mittel zur Erhöhung und Sicherung der Einkünfte für Millionäre aus diesem oder jenem Industriezweig, die dem Bankrott nahe sind“.

Und das sieht man plastisch in Berlin, wo der SPD/LINKE-Senat der Bevölkerung ein brutales Sparprogramm reinwürgt, um Milliarden in die damalige bankrotte Bankgesellschaft Berlin (BGB) zu pumpen, damit die Bonzen und Profiteure vorheriger korrupter Landesregierungen ihre Gewinne scheffeln können. 2003 verließ der Senat den Arbeitgeberverband, um den Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst zu brechen. Massiv wurden Löhne gekürzt, Arbeitszeiten verlängert. Von damals 145 000 Stellen im öffentlichen Dienst sind heute nur noch 109 000 übrig, von denen in den nächsten zwei Jahren noch mal ca. zehn Prozent vernichtet werden sollen. Beim jetzigen Streik im öffentlichen Dienst versucht der Senat ein Exempel an ver.di zu statuieren. Vor 2009 will er sich nicht mal mehr mit der Gewerkschaft zu Verhandlungen treffen! Inzwischen wurden die profitablen Teile der BGB verkauft, während die 9,7 Millarden Verluste von den Berlinern abgezahlt werden dürfen. SPD und LINKE machen im Kleinen vor, was jetzt im nationalen Rahmen und weltweit geschieht.

Was das Konjunkturprogramm angeht, so ist das Gerede Lafontaines darüber, dass arme Leute mehr Geld kriegen sollten, hohles Geschwätz. Im Grunde würde ein solches Programm bedeuten, nicht nur den Banken, sondern auch der Industrie das Geld in den Rachen zu werfen. Worum es geht, ist nationalistischer Protektionismus, und so begrüßt Lafontaine den Vorstoß des konservativen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der angesichts dramatisch fallender Börsenkurse für eine Teilverstaatlichung strategischer Industriebetriebe in Europa eintritt. So sagte Lafontaine: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass ausländische Staatsfonds nicht europäische Unternehmen aufkaufen. Dazu brauchen wir eine abgestimmte Vorgehensweise der Europäer“ (Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, 21. Oktober). Das gleiche Programm vertritt die sozialdemokratische DGB-Führung, die das Rettungspaket der Regierung für die Banken begrüßt und ein Konjunkturprogramm von 25 Milliarden Euro für die deutsche Industrie fordert. Solcher Nationalismus ist Gift für das Klassenbewusstsein und spaltet die Arbeiter entlang nationaler Linien. Sie werden vor den Karren der jeweils „eigenen“ Bourgeoisie gespannt, also genau derjenigen, die die jetzige Krise zu verantworten haben. Die Krise verschärft die Rivalitäten zwischen den imperialistischen Staaten, deren Bourgeoisien umso verbissener um die Aufteilung der schrumpfenden Absatzmärkte kämpfen. Solche Rivalitäten münden letztlich in innerimperialistische Kriege um eine Neuaufteilung der Welt.

Wir brauchen harten Klassenkampf, um die Interessen der Arbeiterklasse und der armen Bevölkerung gegen die kommenden Angriffe zu verteidigen. Dieser Kampf muss internationalistisch sein – die Arbeiter verschiedener Länder dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, in einer nur abwärts führenden Spirale um die „Wettbewerbsfähigkeit“ ihrer jeweiligen Ausbeuter. Der nachfolgende Artikel erläutert das revolutionäre internationalistische Programm, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu verteidigen und hinzuführen zum notwendigen Kampf für den Sturz dieses gesamten irrationalen Profitsystems durch sozialistische Revolution.

6. OKTOBER – In der größten Rettungsaktion der US-Geschichte stimmte das Repräsentantenhaus dafür, über 700 Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen, um die „giftigen Anlagen“ von Banken und anderen großen Finanzinstituten aufzukaufen. In diesem Rettungsdeal, von internationalen Bankiers treffend als „cash for trash“ [Bares für Müll] bezeichnet, wird die Regierung eine Prämie für den „Müll“ in den Bank-Büchern bezahlen, vor allem für Hypotheken-Sicherheiten, bei deren massenhaftem Aufkauf sich Finanziers in spekulativen Machenschaften verzockt haben, um am US-Häusermarkt zu Barem zu kommen. Als diese Blase platzte, fingen Bankiers an, bei der Kreditvergabe an Geschäfte, Konsumenten und sogar ihresgleichen stark zu kürzen, was eine noch tiefere Wirtschaftskrise hätte auslösen können. Die Republikaner und Demokraten, die zwar zynischerweise die „Gier“ an der Wall Street geißelten, sprangen jedoch mit ihrer aus Steuergeldern bezahlten Subvention von fast einer Billion Dollar ein, um die Verluste der Ausplünderer im Banken- und Finanzsektor auszugleichen. Durch diesen Deal erhält US-Finanzminister Henry Paulsen – der selber fast eine halbe Milliarde Dollar während des Häuserbooms einstrich, als er noch Chef von Goldman Sachs war – fast uneingeschränkte Vollmachten, weitere Milliarden an die Wall-Street-Bonzen auszuteilen.

Bürgerliche Ökonomen und Medienexperten beschworen das Gespenst der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre und bestanden darauf, dass die Rettung der Wall Street der Preis sei, den jeder zahlen müsse, um die Stabilität wiederherzustellen. Jedoch glaubt so gut wie keiner, dass das Rettungspaket viel für die Wirtschaft tun wird; die Aktienkurse stürzen weiter, und Kredite werden noch spärlicher. Man braucht nicht Die Sopranos zu gucken, um Erpressung zu erkennen, wenn sie einem ins Gesicht starrt.

Die Arbeiterklasse, die Armen und Unterdrückten müssen sich vor allerlei Unheil fürchten, während die Krise auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Zwangsvollstreckungen fegen durchs ganze Land in einem Ausmaß, wie man es seit der Krise in den 30er-Jahren nicht mehr gesehen hat. Die weit verbreitete Zerstörung ganzer Rentenpläne bedeutet, dass viele zusehen müssen, wie die Rentenanlagen, die in Aktien und auf anderen Konten angelegt wurden, sich in Luft auflösen. Ein Artikel in der New York Times vom 30. September legte nahe, dass Menschen, die kurz vor der Rente stehen, sich doch überlegen sollten, ein paar Jahre länger zu arbeiten, damit die „Zauberkraft des Marktes“ ihre angeblichen Wunder vollbringt. Ein paar Tage später wurde bekannt gegeben, dass es im September nun zu dem größten monatlichen Verlust an Arbeitsplätzen seit fünf Jahren gekommen war – 159 000 Jobs gingen verloren. Hinzu kommen die etwa 600 000 Jobs, die allein seit Beginn des Jahres verschwunden sind. Über 6,1 Millionen Menschen arbeiten Teilzeit, weil ihre Arbeitszeit gekürzt wurde oder sie keine Vollzeit-Beschäftigung finden konnten. Und jene, die noch eine Arbeit haben, rutschen mit jedem Tag tiefer in die Schuldenfalle, während sie versuchen, irgendwie zurecht zu kommen – die Miete oder die Hypothek zu bezahlen, Lebensmittel und Benzin zu kaufen, Kreditkarten- und andere Schulden zu tilgen, Rechnungen und Abzahlungen fürs Auto zusammenzubringen.

Im ganzen Land sind arbeitende Menschen darüber empört, dass ihre Steuergelder in die Taschen derjenigen wandern, die für ihren Ruin verantwortlich sind. Populistische Appelle an diese Stimmung kamen weniger von den Demokraten, die sich meist gerne als die „Freunde des kleinen Mannes“ ausgeben, als von den republikanischen Kongressabgeordneten. Republikanische Stimmen waren es, die anfänglich den Rettungsplan zu Fall brachten, was zum größten Tagesverlust des Dow-Jones-Aktienindex in seiner Geschichte führte. Die republikanischen Tiraden gegen „Regierungseinmischung“ gelten schon lange in diesem Land als Codewort für den Abbau sämtlicher sozialer Maßnahmen, die irgendwie der Arbeiterklasse, Schwarzen, Immigranten, Armen, Kranken und Senioren zugute kommen.

Seit der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 haben die amerikanischen Herrscher den angeblichen „Tod des Kommunismus“ gefeiert. Dabei sind sie über die Gewerkschaften hergefallen, haben die Ausbeutungsrate der Arbeiterklasse hochgetrieben und das Leben der Armen unerträglich gemacht, besonders das der enteigneten schwarzen Menschen in den Innenstädten. Jetzt stellen die republikanischen Kongressabgeordneten das Rettungsprogramm der Regierung für jene, die sich massiv auf Kosten der Arbeiterklasse und der Armen bereicherten, als – in den Worten des texanischen Republikaners Jeb Hensarling – „die schiefe Bahn zum Sozialismus“ dar!

Die gegenwärtige Finanzkrise ist ein überzeugendes Argument für eine durchgreifende sozialistische Revolution in diesem Land, eine Revolution, die die Banken, Fabriken, Bergwerke, Hütten und andere Produktionsmittel aus den Händen der Kapitalisten reißt, die den Reichtum, der von der Arbeiterklasse erzeugt wird, aneignen und verprassen. Im Gegensatz zu sozialdemokratischen Reformisten wie die International Socialist Organization (ISO), deren Aufruf, die Banken zu verstaatlichen, eine eigene Version eines Rettungsprogramms der Regierung ist, reden wir nicht davon, diejenigen zu entschädigen, die das Land in den Ruin getrieben haben. Die ISO jammert: „Was wirklich in dieser Krise erforderlich ist, ist eine vollkommen andere Art von Intervention seitens der Regierung“ (Socialist Worker online, 1. Oktober). Was wirklich gebraucht wird, ist eine völlig andere Form der Regierung, eine Regierung der und für die Arbeiterklasse. Der Kapitalismus kann erst durch eine proletarische Ergreifung der Staatsmacht niedergerungen werden, die das Privateigentum an Produktionsmitteln abschafft und eine geplante sozialistische Wirtschaft einführt. Erst dann werden der Reichtum und die Produktionskapazitäten der Gesellschaft benutzt werden, um die Bedürfnisse der Mehrheit zu befriedigen und nicht die Profite einiger Weniger.

Die Arbeiterklasse ist die einzige objektiv revolutionäre Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft; mit ihren Händen an den Produktionsmitteln hat sie die soziale Macht und das Interesse, dieses zutiefst unmenschliche System in einer sozialistischen Revolution hinwegzufegen. Das wesentliche Problem jedoch ist das politische Bewusstsein. Es ist für amerikanische Arbeiter ganz üblich, sich als Angehöriger der „Mittelklasse“ zu charakterisieren. Dieses falsche Bewusstsein wird in die Arbeiterklasse durch die pro-kapitalistische Gewerkschaftsbürokratie hineingetragen und von der reformistischen Linken verstärkt, die entweder offen oder hinter vorgehaltener Hand den kapitalistischen Politikern, die das „kleinere Übel“ darstellen, Unterstützung geben. Arbeitende Menschen brauchen ihre eigene Partei, eine revolutionäre Arbeiterpartei, die den Kämpfen der Arbeiterklasse eine bewusste Führung gibt, nicht nur um ihre jetzigen Bedingungen zu verbessern, sondern um das ganze System der kapitalistischen Lohnsklaverei abzuschaffen. Wir sind aus Prinzip gegen jegliche politische Unterstützung für irgendeinen kapitalistischen Politiker – Barack Obama, John McCain oder Cynthia McKinney – Demokrat, Republikaner, Grüne oder „Unabhängig“. Brecht mit den Demokraten! Für eine Arbeiterpartei!

Die Fesseln der Klassenzusammenarbeit

In einer Presseerklärung vom 19. September erklärte John Sweeney, der Präsident des AFL-CIO-Gewerkschafts-Dachverbands, der Kongress müsse absolut „sicherstellen, dass der Plan der Regierung nicht nur Wall Street aus der Klemme hilft, sondern auch auf den wahren Schmerz der kleinen Leute reagiert“, wobei „permanente Lösungen im Wirtschaftsprogramm von Barack Obama gefunden werden können“. Die Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie für die Demokratische Partei ist ein zentraler Ausdruck ihrer Loyalität gegenüber dem amerikanischen Kapitalismus. Sie hat lange schon die Kampfkraft der organisierten Arbeiter geschwächt, indem sie die Gewerkschaften an eine Partei fesselt, die genauso wie die Republikaner die Interessen des kapitalistischen Klassenfeindes vertritt. Der Preis dieser Politik sind nicht einfach oder gar hauptsächlich die Millionen, die den Demokraten zu Wahlkampfzeiten zugeschoben werden, sondern die brutalen Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse, die ganze Zerstörung von gewerkschaftlich organisierten Jobs, der Abbau der Gesundheitsversorgung, das Elend in den Ghettos und die massive Einkerkerung von Schwarzen, die rassistischen Razzien und Abschiebungen von Immigranten.

Vom Parkett des Senats, wo er sich zu jenen gesellte, die für das Rettungspaket stimmten, rief Obama angesichts des finanziellen GAUs zu einer Versöhnung der Ausgebeuteten und Ausbeuter auf:

„Wir alle müssen Opfer bringen. Wir alle müssen unser Gewicht in die Waagschale werfen, denn jetzt, mehr als jemals zuvor, stecken wir alle gemeinsam in dieser Situation. Das gehört mit zu den Lehren dieser Krise. Denn letzten Endes gibt es keine wirkliche Trennung zwischen Wall Street und der kleinen Leute. Es gibt nur den Weg, den wir gemeinsam als Amerikaner beschreiten.“

Obama ist der erste schwarze Kandidat mit wirklichen Aussichten, zum Oberbefehlshaber des US-Imperialismus gewählt zu werden, was bisher in diesem zutiefst rassistischen Land so gut wie undenkbar war. Die gewaltsame Unterwerfung der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung ganz unten in der Gesellschaft war und ist immer noch ein zentraler Grundstein des amerikanischen Kapitalismus. Und seine Siegeschancen mögen gut und gern einen Auftrieb durch die Krise an der Wall Street erhalten haben. Die Fassade der Demokratischen Partei als „Freund“ der Arbeiter und Schwarzen hat sie historisch zur Partei gemacht, die die amerikanische Bourgeoisie am liebsten in Krisenzeiten am Steuer sieht – entweder bei der Mobilmachung zum Krieg oder mit Appellen, im „Interesse der Nation“ den Gürtel enger zu schnallen. Dieser Zustand wurde durch die zunehmenden Antipathien in der Bourgeoisie für die geistesgestörten Fundamentalisten der Republikanischen Partei im und außerhalb des Weißen Hauses weiter genährt. Ein Artikel in der New York Times vom 3. Oktober bemerkte: „In diesem Kampagnenzyklus verloren die Republikaner weiter an Boden, was die Parteizugehörigkeit von Wählern angeht, besonders bei Wählern mit hohem Einkommen und jenen, die sich als Fachleute und Manager bezeichnen. Noch mehr als 2006 bevorzugen Spender aus Unternehmen die Demokraten.“

Obama lässt McCain weit hinter sich, was Spenden von Hedgefonds-Managern, Anlagen- und Investment-Häusern und Geschäftsbanken betrifft – d. h. von denselben stinkreichen Spekulanten, deren Schulden aus Fehlspekulationen am Häusermarkt jetzt von den Steuerzahlern abgezahlt werden. Sie rechnen damit, und das nicht ohne Grund, dass eine Administration unter der Demokratischen Partei fähiger sein würde, den Deckel auf sozialem Unmut zu halten, indem sie derselben zermalmenden Unterdrückung und Ausbeutung, die von den Republikanern so blendend umgesetzt wird, ein netteres Gesicht verpasst. Einige beziehen sich dabei auf die Wahlen von 1932 – mitten in der Weltwirtschaftskrise –, die den Demokraten Franklin Delano Roosevelt (FDR) an die Macht brachte. Nur reden die Demokraten heutzutage nicht von einem „New Deal“. Alles, was jetzt angeboten wird, ist ein „harter Deal“ für die Arbeiterklasse, der die Ausgebeuteten und Unterdrückten für die Verbrechen des Kapitalismus zahlen lässt.

Es ist ja sowieso einfach ein liberaler Mythos, der „New Deal“ von FDR hätte die USA aus der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre herausgezogen. Die amerikanische Wirtschaft erreichte das Niveau von den Jahren vor 1929 erst, als das imperialistische Abschlachten des Zweiten Weltkriegs die Kriegsindustrie auf Hochtouren laufen ließ. Der „New Deal“ war allerdings darin erfolgreich, dass er einer proletarischen sozialistischen Bewegung zuvorkam. In den 30er- Jahren kämpften amerikanische Arbeiter in harten Klassenschlachten erstmals für die Massenorganisierung in Industriegewerkschaften. Jedoch wurde diese keimende Radikalisierung der Arbeiter von den Stalinisten und Sozialdemokraten, die an der Spitze dieser Gewerkschaften standen, in FDRs Demokratische Partei hineingeleitet.

Heute wird der Preis für die Treue der Gewerkschaftsbonzen gegenüber den Demokraten sichtbar in der Verwüstung vieler dieser Industriegewerkschaften, die in den Schlachten der 30er-Jahre geschmiedet wurden. Der Verlust von Abermillionen Jobs in der Fertigung seit Beginn der Deindustrialisierung Amerikas vor 30 Jahren trifft die schwarze Bevölkerung am härtesten. Der Arbeitsplatzabbau in der Produktion brachte einen parallelen Anstieg der Gefängnisbevölkerung mit sich, als überwiegend schwarze und lateinamerikanische Jugendliche im rassistischen „Krieg gegen Drogen“ verhaftet und eingekerkert wurden. Einst eine Reservearmee von Arbeitskräften für die amerikanischen Kapitalisten, werden die Bewohner der Ghettos zunehmend als überflüssige Bevölkerung verdammt, die es nicht einmal „wert“ sei, selbst die mieseste Sozialhilfe von den kapitalistischen Herrschern zu bekommen, die ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigen.

Es war der demokratische Präsident Bill Clinton, der „Sozialhilfe, so wie wir sie kennen“, beendete und alleinerziehende Mütter und deren Kinder zu unaussprechlicher Armut und Hunger verurteilte. Jetzt bläst Obama ins selbe Horn und verurteilt junge schwarze Männer als „deadbeat dads“ [verantwortungslose Väter], die ihre nichtvorhandenen Gürtel enger schnallen sollen. Die offizielle Arbeitslosenquote für Schwarze liegt bei 11,4 Prozent, doch laut manchen Ökonomen beträgt die tatsächliche Arbeitslosenrate für alle Schwarzen im arbeitsfähigen Alter in diesem Land unfassbare 42 Prozent! In einigen überwiegend schwarzen und lateinamerikanischen Vierteln in Süd-Chicago und auch im Großraum Detroit wurde bzw. wird gerade jeder 20. Haushalt zwangsvollstreckt. Die Antwort der Demokraten und der Republikaner ist die Verurteilung derer, die mit minderwertigen Hypotheken und anderen Kreditbetrügereien reingelegt wurden, sie würden „auf zu großem Fuße leben.“

Genug! Die Situation schreit nach Klassenkampf gegen die Angriffe der kapitalistischen Herrscher. Die Arbeiter brauchen eine kämpfende Führung, die die Macht der multirassischen Arbeiterklasse entfesselt in einem Kampf nicht nur für ihre eigenen Interessen, sondern auch für die Rechte der Schwarzen und die Verteidigung von Immigranten. Das heißt zuallererst, die von den gegenwärtigen Irreführern der Arbeiterklasse geschmiedeten Ketten, durch die sie an ihre Ausbeuter gefesselt wird, zu sprengen.

Die Politik, die Demokratische Partei als das „kleinere Übel“ zu sehen, hat nur dem Zweck gedient, die rassistische Hölle des kapitalistischen Amerikas aufrechtzuerhalten, wo die immer brutalere Ausbeutung der Arbeiter durch rassische und ethnische Spaltungen angeheizt wird. Obwohl Obama kaum Raum für Illusionen bietet, seine Wahl würde auf irgendeine Weise die Lebensbedingungen für Schwarze in diesem Land verbessern, hegen dennoch viele die Illusion, dass ein schwarzer Präsident zumindest die verkrusteten Rassenbeziehungen in diesem Land aufbrechen wird. Man muss nur auf die vielen schwarzen Demokraten schauen, die in Großstädten zu Bürgermeistern gewählt wurden. Ihr Job war es, die arbeitenden Menschen und Schwarzen unten zu halten – diese Rolle hat der ehemalige New Yorker Bürgermeister David Dinkins so ausgedrückt: „Wenn es von mir kommt, werden sie es schlucken.“ Obama will einfach Aufseher über die gesamte Plantage werden.

Schwarze Arbeiter sind ein wesentlicher Bestandteil der organisierten Arbeiterbewegung und sind in strategisch wichtigen Sektoren der Arbeiterklasse integriert. Der Weg zur Freiheit für Schwarze und zur Emanzipation der gesamten Arbeiterklasse kann nur durch die Zerstörung des amerikanischen Kapitalismus, in dem die Unterdrückung der Schwarzen seine Wurzeln hat, verwirklicht werden. Erst wenn die Arbeiterklasse die Wirtschaft den kapitalistischen Ausbeutern entrissen und auf sozialistischer Grundlage umorganisiert hat, ist damit die materielle Grundlage für die volle Gleichheit und Integration der schwarzen Menschen geschaffen. Für eine klassenkämpferische Führung der Gewerkschaften! Für Schwarzenbefreiung durch sozialistische Revolution! Die, die arbeiten, müssen herrschen!

Der Mythos der „Regulierung“

Es ist jetzt zur Binsenweisheit geworden, besonders in liberalen Kreisen, den Zusammenbruch an der Wall Street auf unzulängliche Regulierung seitens der Regierung zurückzuführen und diese unzulängliche Regulierung wiederum auf den angeblichen Glauben der Republikaner an den „Fundamentalismus des freien Marktes“. In einem Leitartikel der New York Times vom 20. September heißt es:

„Diese Krise ist das Ergebnis eines gewollten und systematischen Versagens der Regierung, die Aktivitäten von Bankiers, Kreditgebern, Hedgefonds, Versicherern und anderer Spieler am Markt zu regulieren und zu beobachten. Sie alle spielten einen hochriskanten Poker mit dem Finanzsystem, aber ohne hinreichende Transparenz, Aufsicht und Überwachung.“

Auf ähnliche Weise griff Obama seinen republikanischen Rivalen in der Debatte am 26. September an und zeterte: „Das ist der letztendliche Urteilsspruch über acht Jahre verfehlter Wirtschaftspolitik, die von George Bush gefördert und von Senator McCain unterstützt wurde – die Theorie, die im Grunde besagt, dass wir Regeln zerreißen können.“

In Wirklichkeit gehört ein Spekulationsrausch, der unausweichlich zusammenbricht, zum Wesen des Kapitalismus. Ein Beispiel wäre der Südseeschwindel von 1720 in England, als wild gewordene Spekulationen mit Aktien der South Sea Company zu einem Finanzkollaps führten, dessen Einfluss international spürbar war. (Der 2002 erschienene Roman Die Papierverschwörung von David Liss ist eine gute Lektüre zu diesem Thema.) Man muss nur auf die letzte große Finanzkrise in den USA zurückschauen, den Kollaps des Dotcom-Börsenbooms 2000/2001. In diesem Fall blähte sich die Spekulationsblase unter der demokratischen Clinton-Administration auf, und nicht unter einem republikanischen Weißen Haus. Die wild wuchernde Inflation von Finanzwerten – was Marx fiktives Kapital nannte – konzentrierte sich auf Unternehmensaktien und nicht auf neumodische exotische Wertpapiere wie CDOs (Collateralized Debt Obligations) und CDSs (Credit Default Swaps).

Transaktionen auf dem Aktienmarkt waren und sind von der Securities and Exchange Commission [US-Börsenaufsichtsamt] hochgradig reguliert. Dennoch wurden auf dem Höhepunkt der Blase des Jahres 2000 die Aktien der Firmen, die im S&P 500 Index geführt werden, 36-mal höher bewertet als der durchschnittliche Gewinn dieser Firmen in den fünf vorhergehenden Jahren. Das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis war auf dem höchsten Niveau des ganzen Jahrhunderts. Als der Kollaps kam, wurde mehr als ein Drittel des Papierwerts auf dem Aktienmarkt vernichtet. Dann kam eine Rezession, weil die Ausgaben von Firmen für neue Ausrüstung und Produktionsanlagen abstürzten und die Beschäftigung in drei aufeinanderfolgenden Jahren stark zurückging.

In allen modernen kapitalistischen Ländern ist die allgemeine Bereitstellung von Geld und Krediten durch Maßnahmen der jeweiligen Zentralbank geregelt. Keine dauerhafte Spekulationsblase – ob sie nun auf Unternehmensaktien oder hypothekengestützten Sicherheiten basiert – kann hinter dem Rücken der Zentralbank entstehen. Und die Federal Reserve [Fed], die US-Zentralbank, half mit ihrer Politik des „leichten Geldes“, den ersten Aktienboom und dann die Immobilienblase anzuheizen. Als die dann platzte, flutete die Fed die Finanzmärkte mit Geld. Bis 2003 senkte sie die Leitzinsen für kurzzeitige Darlehen an die Mitgliedsbanken von 6,5 auf 1 Prozent – die niedrigste Rate seit einem halben Jahrhundert. Während des größten Teils dieser Periode lag die sogenannte Federal funds rate [Tagesgeldsatz zwischen den Banken] unterhalb der laufenden Inflationsrate. Das bedeutete nichts anderes, als dass die Regierung Geld – und zwar so viel wie sie wollte – kostenlos an die Finanziers der Wall Street aushändigte. Kein Wunder also, dass diese es dann rücksichts- und hemmungslos ausgaben.

Ende 2004 warnte der Londoner Economist, dass Amerikas „Politik des leichten Geldes über ihre Grenzen hinausgeschossen ist“ und „in Aktienkurse und Häuser auf der ganzen Welt fließt, wodurch eine Reihe von Vermögenswertblasen entsteht“. Fast alle europäischen Länder wurden mit spekulativen Blasen infiziert, und zwar ungeachtet des politischen oder ideologischen Charakters ihrer Regierungen oder besonderer Gesetze und Praktiken, die deren Finanzmärkte regulieren. Länder wie Spanien, die von sozialdemokratischen Parteien regiert wurden, machten eine noch extremere Inflation bei Immobilien durch als die USA.

Jetzt stehen diese und andere europäischen Länder vor dem Tag der Abrechnung. Im letzten Herbst ging eine große britische Bank, Northern Rock, die sich auf Hypothekendarlehen spezialisierte, bankrott und musste von der Regierung übernommen werden. In den letzten paar Wochen waren die Regierungen Frankreichs, Belgiens und der Niederlande mit „Rettungs“aktionen für zwei Großbanken beschäftigt – Dexia und Fortis. Die schweizerische UBS – eine der größten Banken der Welt – ist durch starke Verluste angeschlagen, und jetzt spricht man über eine Rettung dieses Titans. Die deutsche Regierung kündigte an, dass sie alle privaten Ersparnisse mit einer Bürgschaft von über 500 Milliarden Euro absichern würde, nachdem eine Gruppe von Banken sich aus einem Deal verabschiedete, der die große deutsche Hypothekenbank Hypo Real Estate mit über 35 Milliarden Euro retten sollte. Thomas Mayer, Chefökonom der Deutschen Bank, beklagte: „In der heutigen Zeit dehnt sich ein Bankensturm auf die ganze Welt und nicht nur einen Häuserblock aus.“ Zu behaupten, dass die gegenwärtige internationale Finanzkrise durch mehr Regulierung und bessere Aufsicht von Washington hätte verhindert werden können, ist genauso unsinnig wie ein Argument, dass die Zerstörung durch eine 30 Meter hohe Tsunami-Welle hätte verhindert werden können, wenn man eine zwei Meter hohe Mole einen Meter höher gebaut hätte.

Auf politischer Ebene sind die westeuropäischen imperialistischen Herrscher hin- und hergerissen zwischen ihrer Besorgnis über die Folgen des Zusammenbruchs der Wall Street und der Schadenfreude über die plötzliche Schwächung ihres amerikanischen imperialistischen Rivalen. Eine kürzliche Studie des deutschen Wirtschaftsministeriums spricht von einem „merklich verschlechterten außenwirtschaftlichen Umfeld“. Auf der hämischen Seite (die nicht allzu lange hielt) steht ein von der führenden deutschen bürgerlichen Zeitschrift Der Spiegel online [auch auf englisch] veröffentlichter langer Artikel mit dem Titel „Das Ende der Arroganz: Amerika verliert seine dominante wirtschaftliche Rolle“:

„Der amerikanische Turbokapitalismus mit seinem Dreisatz aus billigem Geld, freien Märkten und zweistelligen Gewinnmargen hat im vergangenen Vierteljahrhundert weltweit die wirtschaftlichen Standards gesetzt. Jetzt entpuppt er sich als gigantisches Schneeballsystem, dessen krachender Zusammenbruch zugleich die weltpolitische Stellung der USA erschüttert.“ [Der Spiegel, 29. September – die ursprüngliche deutsche Überschrift lautet: „Der Preis der Überheblichkeit. Eine Wirtschaftskrise verändert die Welt“]

Der gegenwärtige wirtschaftliche Zusammenbruch demoliert die von verschiedenen liberalen und radikalen Ideologen verkaufte Vorstellung einer neuen Ära der „Globalisierung“, wonach die kapitalistische Herrschaft den Rahmen des Nationalstaats überschritten hätte und Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds zu einer Art kapitalistischen Weltregierung geworden seien. Gegenwärtig überschlagen sich die nationalen Bourgeoisien verschiedener kapitalistischer Länder, einschließlich derjenigen im Konsortium der Europäischen Union, um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu sichern. Irlands kürzliche Maßnahme, für die Schulden und Guthaben seiner sechs größten Banken zu bürgen, rief den Zorn der britischen New-Labour-Regierung hervor, die sich um den Verlust von Anlegern bei ihren eigenen Banken sorgte, weil es die Leute in grünere Gefilde zog.

Ein Artikel auf der Website der Financial Times vom 3. Oktober bemerkte, dass das „Fehlen einer einheitlichen Regulationsstruktur und einer koordinierten europäischen Antwort einige Regierungen dazu führte, einseitig zu handeln, um ihre Banken zu schützen, obwohl sie damit riskierten, ihre Nachbarn wütend zu machen“. Im selben Artikel wird Willem Buiter zitiert, ein Professor an der London School of Economics, der in seinem Financial-Times-Blog schrieb: „Die irische Bürgschaft ist die schrillste Provokation, um seinen Nachbarn an den Bettelstab zu bringen, seitdem Armeen im Mittelalter mit der Beulenpest infizierte Leichen in die von ihnen belagerten Städte katapultierten.“ Inzwischen haben die Holländer ihren Teil des Deals mit Belgien, Fortis zu retten, zerrissen und erklärt, dass sie diese Gelder dafür ausgeben werden, die volle Kontrolle über die Geschäfte der Bank in den Niederlanden zu übernehmen.

Der Mythos der „Globalisierung“ baute auf der liberal-pazifistischen Vorstellung auf, die Kapitalisten bräuchten keine Staatsmacht – d. h. Formationen bewaffneter Menschen –, um ihre Interessen sowohl gegen die Ausgebeuteten im eigenen Land als auch gegen kapitalistische Rivalen in anderen Ländern zu verteidigen. Da die Welt heute wieder einmal von einer Wirtschaftskrise geschüttelt wird, spitzen sich die Rivalitäten zwischen den imperialistischen Mächten, die schon zweimal zu einem Weltenbrand führten, wieder zu. Der tödliche Chauvinismus der Irreführer der Gewerkschaften, mit dem sie gegen ausländische Konkurrenz „amerikanische Jobs verteidigen“ – auch gegen den chinesischen deformierten Arbeiterstaat, wo die Kapitalistenherrschaft durch die Revolution von 1949 gestürzt wurde –, dient lediglich dazu, die Interessen der amerikanischen imperialistischen Herrscher gegen die Arbeiterklasse im In- und Ausland zu verteidigen. Die Verteidigung der Klasseninteressen des Proletariats muss von dem Programm der internationalen Solidarität und des Kampfes durchdrungen sein, den Karl Marx und Friedrich Engels vor über 160 Jahren auf das Banner der kommunistischen Bewegung schrieben: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

Reform kontra Revolution

In einem Leitartikel „Why not a bailout for the rest of us?“ [Warum hilft niemand dem Rest von uns aus der Klemme?] (Socialist Worker, 1. Oktober) ruft die International Socialist Organization dazu auf, „dem Wall-Street-Casino das hochriskante Glücksspiel zu verbieten“. Das erinnert an den Gendarmen in Casablanca, der erklärte, dass er „schockiert“ sei, in Ricks Casino Glücksspiel vorzufinden. Doch ist dies nur ein Ausdruck davon, dass die ISO Werbung für die angeblich der kapitalistischen Klassenherrschaft innewohnende Demokratie macht, die ausreichender Druck vom „Volk“ dazu bringen könne, den Interessen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten zu dienen.

Für den Fall, dass jemand den Aufruf des Leitartikels zur Verstaatlichung des Bankensystems mit einem Angriff auf die bürgerliche Herrschaft verwechseln könnte, beeilt sich die ISO hinzuzufügen: „Verstaalichte Banken sind nichts Neues. Für einen Großteil der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren sie in Westeuropa die Norm – und sie blieben erzkapitalistische Institutionen.“ Kein Scherz! Aus dem Munde reformistischer Massenparteien in Europa, wie z. B. der alten Labour Party in Britannien, waren Aufrufe zur Verstaatlichung typischerweise nichts anderes als ein Rezept zur Rettung von bankrotten Unternehmen und Finanzinstituten. In diesem Licht gibt sogar die ISO zu: „Es ist schwierig, die kürzlichen Abenteuer der Regierung in der Bankenindustrie anders als mit Verstaatlichung zu beschreiben.“

Um eine Verwechslung ihrer eignen Vorschläge mit dem 700 Milliarden Dollar schweren Rettungspaket der US-Regierung zu vermeiden, argumentiert die ISO: „Ein wirtschaftlicher Rettungsplan zu arbeiterfreundlichen Bedingungen würde viel mehr beinhalten als nur die Verstaatlichung der Banken.“ Dem folgt ein Wunschzettel von nützlichen Programmen wie der Aussetzung von Zwangsversteigerungen, Schaffung von Arbeitsplätzen, öffentliche Arbeiten, um Schulen und Wohnungen in den Innenstädten wieder aufzubauen, und so weiter. Das Ganze wird von der Workers World Party (WWP) in ihrem Artikel „Handout to the Rich Ignites People’s Anger“ [Verteilung an die Reichen entfacht die Wut des Volkes] (Workers World, 1. Oktober) nachgeplappert. Dort fordern sie „ein Einfrieren aller Betriebsschließungen und Entlassungen ... und eine Senkung von Sprit-, Lebensmittel- und Wohnnebenkosten“ sowie jede Menge anderer guter Sachen. Ginge es nach den Träumen der ISO oder der WWP, könnten und würden alle diese Forderungen irgendwie vom kapitalistischen Staat zum Gesetz gemacht werden. W. I. Lenin, der Führer der bolschewistischen Revolution von 1917, schrieb vor fast einem Jahrhundert, dass das Parlament „in der bürgerlichen Demokratie nie über die wichtigen Fragen entscheidet: diese Fragen werden von der Börse, von den Banken entschieden“.

Die WWP gibt sogar Ratschläge: „genau genommen würde von einem kapitalistischen Gesichtspunkt Hilfe für die Hausbesitzer schlechte Schulden in bezahlbare Schulden umwandeln. Das würde tatsächlich die finanzielle Krise des Systems lindern.“ Dennoch ist die WWP, im Unterschied zum ISO-Leitartikel, wenigstens in der Lage die Worte auszusprechen, dass die gegenwärtige Krise ein Produkt des kapitalistischen Systems der Produktion für Profit ist. Sie ruft sogar zum „Kampf“ auf als dem „einzigen Weg, durch den ein wirklicher, tiefgreifender Wandel stattfinden kann“. Doch damit die Arbeiterklasse, die Schwarzen und die Armen das Geld in die Hand bekommen können, das für Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung sorgt, muss die Macht der Bourgeoisie gebrochen werden, die den Reichtum besitzt, der von der Arbeit derer, die ihn produziert haben, gestohlen wurde.

Im Übergangsprogramm, dem am Vorabend des Zweiten Weltkriegs geschriebenen Gründungsdokument der Vierten Internationale, stellte der bolschewistische Führer Leo Trotzki eine Reihe von Forderungen auf, die darauf abzielten, von den Kämpfen der Arbeiterklasse eine Brücke hin zu dem Verständnis zu bauen, dass es notwendig ist, das zerfallende und anarchische kapitalistische Profitsystem zu stürzen. Um der Ausbeutung, dem Raub und dem Betrug der kapitalistischen Eigentümer und dem Schwindel der Banken die Maske vom Gesicht zu reißen, argumentierte er, dass die Arbeiter von den Kapitalisten fordern sollten, ihre Bücher zu öffnen, um „die Kulissenschiebereien und Gaunereien der Banken und Trusts aufzudecken und schließlich, vor den Augen der gesamten Gesellschaft die unsägliche Vergeudung menschlicher Arbeit offenzulegen, die das Ergebnis der kapitalistischen Anarchie und der wilden Jagd nach Profit ist“. Er bemerkte: „Der Imperialismus bedeutet die Herrschaft des Finanzkapitals.“ Während Trotzki die Forderung nach Enteignung der Banken aufstellte, argumentierte er, dies würde „jedoch nur dann diese günstigen Ergebnisse zeitigen, wenn die Staatsmacht selbst aus den Händen der Ausbeuter vollständig in die Hände der Arbeiterschaft übergeht“. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit rief er zu einem Kampf der Arbeiterklasse für eine kürzere Wochenarbeitszeit ohne Lohnverlust auf, um die vorhandene Arbeit aufzuteilen, für ein massives Programm öffentlicher Arbeiten und für eine Erhöhung der Löhne im Gleichschritt mit den Preisen, um gegen die verheerenden Folgen der Inflation gewappnet zu sein.

Im Gegensatz zu den Kapitalisten und ihren reformistischen Agenten argumentierte Trotzki:

„Die Besitzenden und ihre Anwälte werden die ,Unmöglichkeit‘ darlegen, diese Forderungen zu verwirklichen.Kleinere, insbesondere ruinierte Kapitalisten werden dabei auf ihre Geschäftsbücher verweisen. Die Arbeiter weisen diese Einwände und Bezugnahmen unterschiedslos ab. Es handelt sich nicht um den ,normalen‘ Zusammenstoß gegensätzlicher materieller Interessen, sondern vielmehr darum, das Proletariat vor Zersetzung, Hoffnungslosigkeit und Verderben zu bewahren. Es geht um Leben und Tod der einzig schöpferischen und fortschrittlichen Klasse und damit um die Zukunft der Menschheit. Kann der Kapitalismus die Ansprüche nicht befriedigen, die sich unvermeidlich aus den von ihm erzeugten Übeln ergeben, dann mag er zugrunde gehen. Ob jene Forderungen ,realistisch‘ oder ,unrealistisch‘ sind, ist hierbei eine Frage des Kräfteverhältnisses und kann nur durch den Kampf entschieden werden. Durch diesen Kampf, welche unmittelbaren praktischen Erfolge er auch erzielen mag, werden sich die Arbeiter am besten von der Notwendigkeit überzeugen, die kapitalistische Sklaverei zu beseitigen.“

 

Spartakist Nr. 174

Spartakist Nr. 174

November 2008

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