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Spartakist Nummer 162

Frühjahr 2006

BND-Skandal, El-Masri-Entführung und deutscher Imperialismus

BKA/BND/VS: Voll im US-Folternetzwerk

Skandal folgte auf Skandal in den letzten Monaten. Im Zentrum standen der ehemalige Innenminister Otto Schily (SPD), die Geheimdienste des deutschen Imperialismus und der gegenwärtige Außenminister der CDU/SPD-Koalition Frank-Walter Steinmeier (SPD), der als Kanzleramtsminister der alten SPD/Grünen-Regierung für die Geheimdienste zuständig war. Die Regierung ist bemüht, die ganze Sache unter den Teppich zu kehren. Groß ist der Aufruhr über die Kollaboration deutscher Geheimdienste bei der Entführung und Folter von Deutschen und vor allem über die BND-Tätigkeiten in Bagdad während der Irak-Invasion. So konnte die Regierung nicht die Einberufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses verhindern.

Der „große Skandal“ geht um die beiden BND-Agenten, die genau vor und während der US-Invasion Iraks im März 2003 in Bagdad Informationen sammelten und u. a. an das US-Kommando von General Tommy Franks weiterleiteten. In den Medien wird der Schröder/Fischer-Regierung „doppeltes Spiel“ vorgeworfen. Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Linkspartei-Bundestagsfraktion, fasst die „linke“ Version dieses Arguments zusammen. In einem Artikel für die linke PDS-nahe junge Welt preist er erstmal die kapitalistische SPD/Grünen-Regierung: „Es bleibt ein Verdienst der rot-grünen Bundesregierung, keine deutschen Soldaten im Irak eingesetzt zu haben. Dies wollten CDU-Politiker wie Wolfgang Schäuble, Friedbert Pflüger und Angela Merkel.“ Aber nun, argumentiert Gehrcke, da die BND-Aktivitäten aufgedeckt wurden, kann man sie nicht mehr so ganz bejubeln: „Fazit: Die Zusammenarbeit zwischen deutschen und US-Stellen während des Irak-Krieges war so eng, daß sich die Legende einer rot-grünen Kriegsgegnerschaft nicht aufrechterhalten läßt“ (23. Februar).

Wir Trotzkisten haben von Anfang an vor Illusionen in den deutschen Imperialismus gewarnt. So erklärten wir nach Schröders Wiederwahl 2002:

„Kein vernünftiger Marxist würde eine Maßnahme denunzieren, die der kriegsgierigen Bush-Gang ein Hindernis in den Weg legt, wenn auch nur ein bescheidenes. Jedoch ist es besonders die Pflicht von Kommunisten in Deutschland, unerschütterliche politische Opposition gegenüber dem deutschen Imperialismus und seinen sozialdemokratischen Agenten aufrechtzuerhalten. Insbesondere müssen Marxisten in Deutschland die verhängnisvolle Illusion bekämpfen, dass die deutsche Bourgeoisie und namentlich die Sozialdemokratie eine Kraft für den Frieden seien.“ (Spartakist-Extrablatt, 15. Oktober 2002)

Wir traten für die militärische Verteidigung des Irak gegen den imperialistischen US-Angriff ein, ohne dem blutigen kapitalistischen Regime von Saddam Hussein auch nur die geringste politische Unterstützung zu geben. Wir forderten: USA/Bundeswehr/UNO – Raus aus dem Balkan, Nahost und Afghanistan! Wir machten klar, dass der Irak am besten verteidigt werden kann durch Klassenkampf gegen die kapitalistischen Herrscher im eigenen Land, insbesondere den der multirassischen Arbeiterklasse in der Höhle des imperialistischen Löwen, den USA.

Die jetzige Kritik der Linkspartei an der SPD/Grünen-Regierung ist ziemlich dreist. 1991 forderte die PDS eine UN-Hungerblockade als eine „friedliche“ Alternative zur Bombardierung Bagdads. Als Konsequenz der Blockade starben 1,5 Millionen Iraker, vor allem Kinder und Alte. Und Irak konnte sich keine moderne Bewaffnung oder so genannte Massenvernichtungswaffen – das einzige, das die Imperialisten von einer Invasion hätte abschrecken können – zur Verteidigung beschaffen. 2002 war die PDS ganz zufrieden mit Schröder, mit dessen Partei sie im Berliner Senat brutale Kürzungen durchpeitscht. Wie wir damals erklärten:

„Die Linie der PDS ist heute genauso wenig wie die Schröders durch Gegnerschaft zum Imperialismus motiviert. Sie wollen, dass der deutsche Imperialismus unabhängiger von den amerikanischen Imperialisten ist. Tatsächlich hat sich die PDS (wie auch einige SPD-Dissidenten wie Oskar Lafontaine) schon seit langem für eine engere Verbindung mit dem kapitalistischen Russland ausgesprochen.“

Ganz in Übereinstimmung damit übt die Linkspartei jetzt Druck aus, einen von den USA unabhängigeren Kurs zu fahren: „Die Bundesregierung muss sich deshalb jetzt der Frage stellen, ob diese US-Stützpunkte tatsächlich der Sicherheit Deutschlands und Europas dienen“ (14. Dezember 2005, www.linksfraktion.de).

Die pseudotrotzkistische Gruppe Arbeitermacht (GAM) schreibt über die BND-Enthüllungen: „Das alles zeigt erneut die Hohlheit der Anti-Kriegs-Gesten von Schröder und Fischer vor und während des Irak-Kriegs. Sie waren nichts als Handlanger des Kriegers Bush – allerdings mit eigenen imperialistischen Ambitionen, die mit denen der USA divergierten“ (Neue Internationale, März 2006). Was für ein vernichtender Schlag gegen diesen „Handlanger des Kriegers Bush“, den die GAM mit ihrem „Wählt SPD/PDS!“ (NI, September 2002) unterstützt hatte. Immer wenn es drauf ankam, hatten die GAM und die meisten anderen Linken, die Schröder jetzt „Verrat“ vorwerfen, ihren Anteil am Betrug an den Arbeitern. Zum Beispiel der Appell, der von den britischen Unterstützern der GAM, der Jugendgruppe REVO und anderen bei einem Vorbereitungstreffen für das volksfrontlerische Europäische Sozialforum im September 2002 unterzeichnet wurde: „Wir fordern alle Staats- und Regierungschefs Europas auf: Sprechen Sie sich öffentlich gegen diesen Krieg aus, unabhängig davon, ob die UNO ihn am Ende billigt oder nicht! Fordern sie von George W. Bush, auf seine Kriegspläne zu verzichten“ (Liberazione, 13. September 2002). Diese sozialchauvinistischen Appelle halfen dabei, Schröders Regierung die Glaubwürdigkeit zu verleihen, die sie brauchte, um Agenda 2010 und Hartz IV durchzupeitschen. Sie deckten auch die militärischen Abenteuer des deutschen Imperialismus ab und gaben Unterstützung für den rassistischen „Krieg gegen Terror“ nach innen.

Klar, drei Jahre später, wo die SPD-Umfragewerte im Keller sind, würden die GAM und viele andere am liebsten diese Tatsachen verschwinden lassen. In Diskussionen behaupten GAM- und REVO-Unterstützer, dass sie nichts mit der Brüsseler Erklärung 2002 zu tun haben oder dass es ein Missverständnis gab. Aber warum hat sich die GAM dann nicht öffentlich von diesem „Missverständnis“ distanziert, das so gefährliche Illusionen in die angebliche Friedfertigkeit der europäischen Imperialisten sät?!? Die politische Praxis der GAM widerlegt dieses Ablenkungsmanöver. Während ihre Zeitung voll mit radikalen Phrasen von der Verteidigung des Iraks und Losungen wie „Nieder mit dem Imperialismus“ war, dienten ihre praktischen Aktivitäten dem Aufbau einer klassenübergreifenden „Antikriegsbewegung“: „Überall – in Schulen, im Stadtteil, an den Unis, in Betrieb und Gewerkschaft – müssen Antikriegskomitees aufgebaut werden, die gemeinsam konkrete Aktionen durchführen“ (NI, Februar 2003). Wie James Burnham, ein Führer der Workers Party, der damaligen trotzkistischen Organisation in Amerika, in seiner 1936 erschienenen Broschüre War and the Workers [Der Krieg und die Arbeiter] argumentierte:

„Daher ist es eine tödliche Illusion, anzunehmen, dass Revolutionäre ein gemeinsames ,Programm gegen Krieg‘ mit Nicht-Revolutionären ausarbeiten können. Jede Organisation, die sich auf ein solches Programm gründet, ist nicht nur machtlos, Krieg zu verhindern, sondern trägt in Wirklichkeit dazu bei, Krieg zu fördern, weil sie sowohl auf ihre Weise der Aufrechterhaltung des Systems dient, das Kriege hervorbringt, als auch die Aufmerksamkeit ihrer Mitglieder vom wirklichen Kampf gegen den Krieg ablenkt. Es gibt nur ein Programm gegen den Krieg: das Programm für Revolution – das Programm der revolutionären Partei der Arbeiter.“

In Übereinstimmung mit ihrem Hinterherkriechen hinter der Sozialdemokratie und den Sozialforen (siehe auch „Sozialforen – ein Schwindel“, Spartakist Nr. 159, Sommer 2005) betrieben die Antikriegskomitees natürlich eine prokapitalistische Politik. Aber für die GAM ist die Bewegung alles: „Wir müssen die reformistischen Führungen (SPD, PDS, DGB) auffordern, ihre Basis zu mobilisieren. Wenn sie es tun, gut“ (NI, Februar 2003). Und das ist genau, was SPD-, PDS- und DGB-Führung gemacht haben … um Schröder, Fischer und den deutschen Imperialismus zu stärken! Das genaue Gegenteil von Klassenkampf.

Wenn die GAM heute behauptet, Schröder und Fischer entlarvt zu haben, „nichts als Handlanger“ von Bush gewesen zu sein (und gleichzeitig imperialistische Rivalen!), so ist das nicht nur ein Weißwaschen ihrer eigenen Rolle, es ist auch ein fürchterliches Kuddelmuddel. Tatsächlich widersprechen die BND-Aktivitäten im Irak nicht der Tatsache, dass sich die alte SPD/Grünen-Regierung gegen den US-Krieg stellte. Beides diente dem deutschen Imperialismus. Natürlich nutzten Schröder und Fischer zynisch die Opposition in der Bevölkerung gegen einen Irakkrieg für ihre Wiederwahl 2002 aus. Doch reflektierte ihre Opposition auch, dass der Krieg den Interessen des deutschen Imperialismus zuwiderlief. Der BND-Skandal „enthüllt“, dass die Opposition zum US-Krieg nichts damit zu tun hatte, irgendwie „friedlicher“ als die USA zu sein. Das war klar für jeden Linken, der es sehen wollte, bei der deutschen Teilnahme am imperialistischen Krieg gegen Serbien 1999, am Krieg gegen Afghanistan 2001 und am „Krieg gegen den Terror“.

Die beiden BND-Schurken in Bagdad haben mit Sicherheit dreckige Arbeit für die deutsche Regierung verrichtet. Dass sie dabei militärische Informationen mit dem Oberkommando der US-Streitkräfte austauschten, gehört zu den Unkosten, Spione vor Ort haben zu können, und spiegelt das Kräfteverhältnis zwischen den Imperialisten wider. Als Ergebnis der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 wurden die USA zur „einzigen Supermacht“ und ihre militärische Macht überragt um ein Vielfaches die ihrer nächsten Konkurrenten, sogar wenn man die zusammenrechnet. Deshalb sind die imperialistischen Konkurrenten der USA gezwungen, nach friedlichen Wegen zu suchen, wie sie ihre Interessen verteidigen. Die militärische Bedeutung der BND-Spionage-Unterstützung war nicht größer als die Entlastung durch die deutschen Truppen in Afghanistan oder die Nutzung der US-Luftbasen in Deutschland. Diese Unterstützung wurde sowohl im gemeinsamen Interesse des „Kriegs gegen Terror“ gegeben als auch, um einen irreparablen Riss in der NATO zu vermeiden. Ein Kommentar der bürgerlichen Frankfurter Allgemeine Zeitung (6. März) fragte polemisch:

„Wäre es den Leuten aber lieber, wenn das nächste Mal – und wer kennt schon den Fortgang der Weltpolitik? – die Bundesregierung an der Seite der Amerikaner in einen Krieg zöge oder aber jegliche Zusammenarbeit versagte mit der Folge, daß zum einen die Partnerschaft wirklich im Eimer wäre und zum anderen die Terroristen Deutschland als sicheres Rückzugsgebiet betrachteten (mißverständlicherweise, natürlich)?“

Deutschland und USA: Seite an Seite im rassistischen „Krieg gegen Terror“

Der „Krieg gegen Terror“ ist eine Fiktion, ein politisches Konstrukt, keine militärische Realität. Der Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York, bei dem Tausende unschuldiger Zivilisten getötet wurden, war ein Verbrechen vom Standpunkt der Arbeiterklasse – die Täter reflektieren die Mentalität der US-Herrscher, indem sie die Bevölkerung mit ihren imperialistischen Ausbeutern gleichsetzen. Wie unsere US-Genossen im Workers Vanguard ausführten:

„Im Gegensatz zum World Trade Center ist das Pentagon das Kommando- und Verwaltungszentrum des US-imperialistischen Militärs, und bei einer militärischen Einrichtung kann man getroffen werden, wenn man sich dort aufhält. Diese Betrachtung macht aus dem Angriff keinen ,antiimperialistischen‘ Akt und sie ändert auch nichts an der Tatsache, dass Terrorismus fast immer Unschuldige trifft – in diesem Fall sowohl die Passagiere des Flugzeugs als auch Instandhaltungsarbeiter, Hausmeister und Sekretärinnen im Pentagon“ (WV Nr. 830, 6. August 2004).

Die kapitalistischen Regierungen weltweit haben die Empörung über das WTC und andere Akte wahllosen Terrors ausgenutzt, um den Repressionsapparat massiv aufzurüsten und demokratische Rechte einzuschränken. Dafür wird eine antimuslimische Hysterie geschaffen, in der diese Teile der Bevölkerung jeweils als „Feind im Inneren“ stigmatisiert werden. Die Regierung will willkürlich jegliche Rechte entziehen (auch Muslimen mit Staatsbürgerschaft), nur auf den Verdacht hin, „terroristische Aktivitäten zu unterstützen“. Hierzulande dienen dieser Hysterie die vorgeschlagenen rassistischen „Moslem-Fragebögen“, die Hetztiraden über „Parallelgesellschaften“ und das rassistische Kopftuchverbot. Dies richtet sich vor allem gegen türkische und kurdische Arbeiter, die einen strategischen Anteil des machtvollen Industrieproletariats darstellen. Letztlich sind die Zielscheibe die gesamte Linke und Arbeiterbewegung, deren soziale Macht gegen diese bürgerliche Kampagne mobilisiert werden muss. Wir erklärten in Bezug auf die rassistische Rasterfahndung und die Sicherheitsgesetze, die die Kontrolle der Bosse über die Industriearbeiter deutlich erhöhen, dass die Gewerkschaften den Kampf gegen diese Maßnahmen von staatlicher Kontrolle und Einschüchterung aufnehmen müssen. Verteidigt Muslime und Immigranten gegen Staatsterror! Nieder mit dem rassistischen „Krieg gegen den Terror“!

Der „Krieg gegen den Terror“ lässt sich perfekt an die jeweiligen inneren und äußeren Ziele jeder kapitalistischen Regierung anpassen: Die Unterdrückung der Basken durch Spanien und Frankreich; Russlands völkermörderischer Krieg in Tschetschenien; der Krieg der Türkei gegen die Kurden; Deutschlands Einschüchterung und Terror gegen die einheimische Immigrantenbevölkerung – das alles wird unter der Rubrik „Kampf gegen Terror“ durchgezogen. Bereits 1993 war Deutschland in Europa führend darin, die PKK als „terroristische Organisation“ zu kriminalisieren, kurdische Linke und Arbeiterorganisationen zu terrorisieren und sie an die Folterknechte des türkischen Staates abzuschieben. Im Regierungsbericht vom Februar über den BND wurde die Entführung des PKK-Führers Abdullah Öcalan 1999 in die Türkei als positives Beispiel für internationale Zusammenarbeit in der Bekämpfung von „Terror“ bezeichnet. Dies wurde von massivem Staatsterror gegen Kurden begleitet: z.B. ermordeten israelische Sicherheitskräfte vier Kurden, die sich an einer Besetzung des israelischen Konsulats in Berlin beteiligt hatten. Und Gefängnisse vom F-Typ, in Deutschland entwickelt, um RAF-Gefangene durch Isolation zu foltern, wurden in der Türkei eingeführt. Ein Instrument gegen die PKK waren die berüchtigten Paragrafen 129 und 129a, die zuerst gegen RAF-Unterstützer eingesetzt wurden. Nach dem 11. September 2001 wurden sie um den Paragrafen 129b ergänzt, der die Möglichkeit bietet, die Unterstützung jeder Organisation zu kriminalisieren, die irgendeine Regierung irgendwo als „terroristisch“ einstuft. Nieder mit den Gesinnungsparagrafen 129/a/b! Weg mit dem Verbot von PKK, kurdischen Vereinen und linken türkischen Organisationen! Freiheit für Öcalan! Freiheit für die Gefangenen aus der RAF!

BND, BKA, Verfassungsschutz voll dabei im US-Folternetzwerk

Das Empörendste und Bezeichnendste, das die Regierung beim BND-Skandal zu verbergen hat, ist die geheime Mitarbeit der SPD/Grünen-Regierung an der CIA-Entführung und Folterung von Khaled El-Masri. Wie die New York Times bemerkte: „Herr Masris Fall wurde zum Symbol für die CIA-Praxis der außerordentlichen Verlagerung, bei der Terrorverdächtige zum Verhör in andere Länder geschickt werden, wo Folter gemeinhin benutzt wird“ (20. Januar). Was zynisch und euphemistisch „außerordentliche Verlagerung“ [extraordinary rendition] genannt wird, ist nichts weiter als eine systematische US-Regierungspolitik des Outsourcings von Folter und Mord im „Krieg gegen Terror“. Der ehemalige CIA-Agent Bob Baer sagte dem New Statesman: „Wenn du willst, dass sie gefoltert werden, sendest du sie nach Syrien. Wenn du jemanden verschwinden lassen willst … schickst du ihn nach Ägypten“ (17. Mai 2004). Es ist jetzt klar, trotz Regierungsverschleierung und Verleumdungen der bürgerlichen Medien gegen El-Masri, dass in diesem und vielen anderen Fällen die SPD/Grünen-Regierung und andere europäische Regierungen eine Politik des Outsourcings an die Outsourcer betrieben.

Khaled El-Masri, ein deutscher Staatsbürger libanesischer Herkunft, wurde von der CIA im Dezember 2003 in Mazedonien entführt. Nach einem ersten Verhör dort haben die CIA-Gangster ihn in ein Flugzeug gepackt – nackt und mit verbundenen Augen – und ihn ins afghanische Kabul geflogen. Fast fünf Monate lang wurde er dort festgehalten, ohne Anklage, ohne Angabe von Gründen. Dann, genauso plötzlich wie alles begann, wurde er im Mai 2004 freigelassen. In den letzten Jahren wurde diese Art von Terror zweifellos gegen unzählige Muslime verübt (z. B. in Guantánamo, Abu Ghraib), die entführt, misshandelt, gefoltert und – wenn sie Glück hatten – freigelassen wurden, ohne Anklage, Erklärung oder sonst irgendetwas. Aber El-Masri fand, dass er als deutscher Staatsbürger einen Anspruch auf Gerechtigkeit hatte, nach der Hölle, die er durchmachen musste. Er suchte sich einen Anwalt, um seinen Fall an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist der einzige Grund, warum man seinen Fall nicht einfach „verschwinden lassen“ konnte, wie bei so vielen Opfern des „Kriegs gegen Terror“.

Die deutsche Regierung hat erst unter dem Druck einer öffentlichen Untersuchung Ende 2005 zugegeben, dass Schily im Mai 2004 vom US-Botschafter über die Entführung informiert wurde. Wie El-Masri einem Interviewer in gerechter Empörung sagte: „Ich fühle mich betrogen und verraten von meinem eigenen Land.“ Das wurde er. Aber es war nicht einfach nur so, dass die deutsche Regierung daneben stand und über die CIA-Machenschaften Schweigen bewahrte. Mazedonische Regierungsvertreter sagen, sie hätten unverzüglich die deutsche Botschaft über die Entführung informiert (was normal ist): „Inoffiziell wussten sie es“ (New York Times, 21. Februar). Der Regierung, die selber Monate lang zusammen mit der CIA hinter El-Masri her spioniert hatte, brauchte man es wohl nicht mehr mitzuteilen. Wie El- Masri berichtet, wurde er während seiner Gefangenschaft in Afghanistan dreimal von einem Agenten namens „Sam“ verhört, der perfektes Deutsch sprach und „keinen Hauch von ausländischem Akzent gehabt“ hat, der ihm detaillierte Fragen über seine Aktivitäten und die anderer Muslime in und um seine Heimatstadt Ulm stellte. In einer Gegenüberstellung im Februar konnte El-Masri den BKA-Hauptkriminalkommissar Gerhard Lehmann mit absoluter Sicherheit als „Sam“ aus Kabul identifizieren; Lehmann war sichtlich nervös und konnte El-Masri nicht in die Augen blicken.

Trotz El-Masris Sicherheit bei der Identifizierung, und obwohl sich alle Details über die Entführung als wahr erwiesen, wurde Lehmann sofort ein Persilschein ausgestellt seitens der Regierung, des parlamentarischen Kontrollgremiums und eines Großteils der bürgerlichen Medien. Lehmann ist nicht nur irgendein BKA-Agent, sondern „einer der angesehensten deutschen Terrorfahnder“ (Die Zeit, 2. März) mit engen Beziehungen zum BND und jahrelanger Erfahrung im Nahen Osten, speziell im Libanon. „Er bekommt häufig ,sensible‘ Aufträge und hilft dabei, ,schmutzige Arbeit‘ für den deutschen Auslandsgeheimdienst zu machen, sagte einer seiner langjährigen Kollegen, der unter der Bedingung, anonym zu bleiben, sprach“ (New York Times, 21. Februar). Zuletzt war er im Libanon im Rahmen der UN-Sonderkommission für die Aufklärung des Mordes am ehemaligen libanesischen Präsidenten Hariri stationiert – also jener Kommission, die an einem Vorwand für imperialistische Erpressung gegen Syrien arbeitet. Anfang Februar wurden Lehmann und die anderen deutschen Agenten aus der Kommission abgezogen, augenscheinlich um die „Kollateralschäden“ aus dem jetzigen Skandal zu begrenzen. Die ganze Sache stinkt zum Himmel, und es steckt bestimmt noch mehr dahinter.

So empörend der Fall von El-Masri auch ist, er passt in eine Reihe anderer, die in letzter Zeit aufgedeckt wurden: BKA-, BND- oder andere deutsche Agenten werden in Foltereinrichtungen des US-Imperialismus oder arabischer Regime geschickt, um deutsche Bürger oder andere zu verhören, die sie im Fadenkreuz haben. Da ist z. B. der Fall von Mohammes Haydar Zammar, ein weiterer deutscher Staatsbürger, den die CIA entführte und der, während er vom syrischen Geheimdienst in Damaskus festgehalten wurde, von einem Agententeam von BKA, BND und VS verhört wurde. Die vertrauliche Version des kürzlichen Regierungsberichts (die 295 Seiten lang ist im Gegensatz zur 90-seitigen öffentlichen Version) deckt auf, dass der Befehl für dieses Verhör direkt aus dem Bundeskanzleramt stammte (Neues Deutschland, 14. März).

Der Wochenzeitschrift Die Zeit zufolge haben BKA-Agenten im Libanon in mehreren Fällen mit den libanesischen Sicherheitskräften zusammengearbeitet, die Folter einsetzten, um Informationen, an denen das BKA interessiert war, aus dortigen Gefangenen herauszuholen. Die Zeitschrift berichtete über eines der Militärgefängnisse, in denen für das BKA gefoltert wurde:

„Es ist für seine Foltermethoden berüchtigt. Menschenrechtsorganisationen haben in den vergangenen Jahren immer wieder berichtet, Insassen des Gefängnisses seien geschlagen, nackt ausgezogen, mit Elektroschocks gequält, an hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen aufgehängt worden. Auch Schlaf- und Nahrungsentzug sowie Dunkelhaft seien üblich. Joseph H., ein libanesischer Mitarbeiter des Beiruter BKA-Verbindungsbeamten, erzählt Trede und seinen Kollegen, wie Gefangene im Militärgefängnis üblicherweise gefügig gemacht würden. Man gebe ihnen ,Strom auf die Eier‘, sagt er. Die BKA-Leute glauben ihm, schließlich war Joseph H. früher selbst Geheimdienstler.“ (19. Januar)

Murat Kurnaz, der in Deutschland aufwuchs und die türkische Staatsbürgerschaft besitzt – von der bürgerlichen Presse als „Bremer Taliban“ denunziert –, wurde Ende 2001 in Pakistan verhaftet und wird seitdem in Guantánamo festgehalten. Wie Tausenden anderen Gefangene in Guantánamo werden ihm vom US-Imperialismus jegliche Rechte verweigert – selbst solche für Kriegsgefangene. 2002 wurde Kurnaz von BND- und Verfassungsschutz-Agenten im Regierungsauftrag verhört, während er an Händen und Füßen angekettet war. Als Innenminister Wolfgang Schäuble das und ähnliche Fälle von Verhören verteidigte, hat er offensichtlich eine Vorgehensweise aufgezeigt, die schon seit Jahren unter Schily und der SPD/Grünen-Regierung praktiziert wurde. Der Spiegel hat nun berichtet, dass die US-Regierung 2002 der SPD/Grünen-Regierung anbot, Kurnaz auszuliefern, da er offenbar nur das Pech gehabt hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Die Bundesregierung lehnte ab und wollte ihn nicht wieder nach Deutschland lassen. Sie ist damit direkt verantwortlich dafür, dass Kurnaz nunmehr vier weitere Jahre in der Hölle von Guantánamo schmoren musste!

Europäische Liberale, Sozialdemokraten und sogar einige Konservative und Regierungschefs haben Bush wegen der Bedingungen in Guantánamo und auch wegen des umfangreichen Netzwerks von „Folterflügen“ und „Geheimeinrichtungen“ der CIA überall in Europa kritisiert. Wenn man bedenkt, wie Europas kapitalistische Regierungen alle mitgespielt haben, um ihre eigenen Interessen im „Krieg gegen Terror“ zu stärken, ist das billig und scheinheilig. Der einzige Grund für ihre Heuchelei ist, nicht mit der Bush-Regierung zu sehr assoziiert zu werden, die sie als Hindernis im „Krieg gegen Terror“ sehen, weil sie von so einer durchgedrehten Bande von religiösen Eiferern und Reaktionären geführt wird. Sie wollen die demokratische Fassade des rassistischen „Kriegs gegen Terror“ aufpolieren. Die Fälle von Khaled El-Masri, Murat Kurnaz und Haydar Zammar müssen eine brutale Warnung sein, nicht auf diese Lüge hereinzufallen.

Was ist dieser Staat?

Dieselben Überlegungen – wie man am besten die Angelegenheiten des deutschen Imperialismus regelt – standen auch dahinter, als Linkspartei.PDS zusammen mit FDP und Grünen auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss drängten. Natürlich wollen wir Kommunisten die schmutzige Arbeit der Regierung offen legen und nutzen jede Möglichkeit die Beweise aufzudecken. Aber wir haben keine Illusion darin, dass eine Untersuchung des bürgerlichen Parlaments dies tun wird. Eine vollständige Veröffentlichung all der üblen Geheimnisse der Kapitalisten und ihrer Regierung wird es erst nach dem Sieg einer proletarischen Revolution geben. So brachten die Bolschewiki nach der Oktoberrevolution 1917 die Geheimverträge des Zaren und der Imperialisten ans Licht. FDP, Grüne, PDS und Konsorten, die alle auf ihre Art den Kapitalismus unterstützen, wollen die Untersuchung, um den Mythos von „parlamentarischer Kontrolle“ aufrechtzuerhalten und allgemein das Image des Staats aufzupolieren und damit den Glauben an die bürgerliche Demokratie zu retten. Dass die Linke hier keinen Finger gerührt hat gegen die Verfolgung von El-Masri, Murat Kurnaz oder vorher von Motassadeq und Mzoudi, zeigt ihre Kapitulation vor der Sozialdemokratie, deren Unterstützung für die imperialistische Demokratie sie grundlegend teilen.

Für diese Liberalen und Sozialdemokraten ist die westliche Demokratie der höchste Gipfel menschlicher Zivilisation. „Demokratie“ in Deutschland, Westeuropa, den USA usw. ist nur Schein. Vor allem in den weitestentwickelten kapitalistischen Ländern dient die demokratische Regierungsform dazu, mit einem Gewäsch über die „Gleichheit der Bürger“ die Klassennatur des Staats zu verschleiern, also die Diktatur der Bourgeoisie über die Ausgebeuteten und Unterdrückten. In Staat und Revolution, geschrieben 1917, zitierte Lenin Engels:

„In der demokratischen Republik, fährt Engels fort, ,übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sichrer aus‘, und zwar erstens durch die ,direkte Beamten korruption‘ (Amerika) und zweitens durch die ,Allianz von Regierung und Börse‘ (Frankreich und Amerika)…

Die demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle des Kapitalismus, und daher begründet das Kapital, nachdem es … von dieser besten Hülle Besitz ergriffen hat, seine Macht derart zuverlässig, derart sicher, daß kein Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern kann.“

Folter ist bei weitem nichts Neues in der Geschichte des deutschen Imperialismus. Sie ging immer Hand in Hand mit kolonialer Eroberung und Unterdrückung. Die Kolonialmächte unterhielten immer Geheimdienste, beauftragt mit der schmutzigen Arbeit von Folter, Entführung und Ähnlichem. Der deutsche Imperialismus, ein Spätzünder unter den Industriemächten und hungrig nach Kolonien, entwickelte und benutzte diese Maschinerie mit besonders schrecklichen Resultaten: vom Völkermord an den Hereros und der militärischen Hilfe beim Völkermord gegen die Armenier unterm Kaiserreich bis hin zum industriellen Massenmord an sechs Millionen Juden und Hunderttausenden Roma, Sinti, Homosexuellen und anderen und zum Gestapo-Staatsterror unter den Nazis. Für den „demokratischen“ Nachfolgestaat des Dritten Reichs ist Folter auch nichts Neues, und seine entscheidenden Bestandteile hat er von den früheren Regimen übernommen. Das Erbe des BND geht beispielsweise direkt zurück auf den Nazi-Spion Reinhard Gehlen und seine „Fremde Heere Ost“. Die Gehlen-Organisation mit ihren Erfahrungen über die Stärken und Schwächen der Roten Armee wurde zum Kern des antisowjetischen Spionagenetzwerks der CIA in Osteuropa und 1954 des BND. Der Verfassungsschutz wurde von BND und BKA hauptsächlich aus ehemaligen SS-Offizieren gebildet.

Warum? Aus kapitalistischen Klasseninteressen: Der US-Imperialismus wollte einen starken Frontstaat im antisowjetischen Kalten Krieg. Aus dem gleichen Grund wurden SPD und Arbeiterbürokratie mit CIA-Unterstützung wiederaufgebaut, damit sie im Westen nach 1945 die Klassenkollaboration aufrechterhalten. Im Rahmen der antisowjetischen NATO-Allianz unterhielt die BRD eine besondere Beziehung zu einem anderen Frontstaat – der Türkei. SPD/FDP-Koalitionen lieferten in den 70er-Jahren der türkischen Regierung Waffen im Wert von 1,6 Milliarden DM, dazu Armeeausrüstung und andere Kredite. Sie stärkten die bonapartistische Herrschaft, unterstützten Militärputsche und trainierten den brutalen türkischen Geheimdienst. Nach dem Putsch 1980 unter General Kenen Evren wurde der SPD-Finanzminister Matthöfer zitiert, der die Hoffnung ausdrückte, der Putsch würde ein „heilsamer Schock“ sein (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. September 1980). Die deutsche Bourgeoisie unterstützte den türkischen Staat auch zu dem Zweck, die wichtigen türkischen und kurdischen Teile der Arbeiterklasse einzuschüchtern und davon abzuhalten, „rot“ zu werden. Zahllose türkische und kurdische Linke hat der deutsche Staat in die Türkei abgeschoben, wo sie gefoltert und manchmal „verschwunden“ wurden. Seit der Zerstörung der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Kriegs suchen BND und andere Geheimdienste nach ihrer neuen Rolle und fanden diese in der Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“. Außenminister Steinmeier wird zugeschrieben, als Geheimdienstkoordinator der SPD/Grünen-Regierung große Teile dieser Umorientierung initiiert zu haben.

Ein bedeutender Teil des BND-Personals und ausländischer Kontakte waren „alte“ Nazis, die nach der Niederlage des Dritten Reichs auf der CIA-Vatikan-Rattenlinie nach Lateinamerika und in den Nahen Osten entkamen. Einer dieser Mörder und Kriegsverbrecher war Alois Brunner, Eichmanns Assistent, der persönlich den Mord an ca. 100 000 Juden beaufsichtigte. In den 50er-Jahren gelang er mit der persönlichen Hilfe von Gehlen nach Syrien, wo er schließlich die syrische Geheimpolizei dazu trainierte, Foltermethoden einzusetzen. Seine BND-Akte bleibt unter Verschluss, höchstwahrscheinlich weil er für diesen Verein gearbeitet hat. Im BND und anderen Teilen des Staatsapparats wird die Kontinuität vom Dritten Reich der Nazis zum heutigen Staat durch Tausende derartiger Fälle unterstrichen. Diese Kontinuität ergibt sich aus dem Fakt, dass die herrschende Klasse, die Bourgeoisie von Auschwitz, an der Macht blieb. Um diesen Dreck wirklich an der Wurzel auszureißen und die Verbrechen des deutschen Imperialismus zu rächen, bedarf es einer sozialistischen Revolution, die den kapitalistischen Staatsapparat durch die Herrschaft von Arbeiterräten ersetzt. Wir haben uns dem Aufbau einer revolutionären Partei verpflichtet, die nötig ist für den Sieg dieser Revolution.

 

Spartakist Nr. 162

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