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Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 31

Herbst 2017

Der Kampf gegen die chauvinistische Hydra

Dokument der VII. Internationalen Konferenz der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten)

[Übersetzt aus dem Französischen]


I. Einleitung

Das Ziel dieser Konferenz besteht darin, die Internationale Kommunistische Liga in der nationalen Frage wieder auf eine leninistische Grundlage zu stellen und mit dem Großmachtchauvinismus zu brechen, der bestimmte Aspekte der Politik und des Funktionierens der Internationale geprägt hat. Ein im Herbst 2016 begonnener Kampf in Kanada deckte auf, dass die kanadische Sektion seit ihrer Gründung ein anglochauvinistisches Programm der Assimilierung von Québec hatte. Auf diesen Kampf reagierte eine Schicht von langjährigen, englischsprachigen Kadern des Internationalen Exekutivkomitees, die ursprünglich diese Linie zur nationalen Frage in Kanada und anderen Ländern formuliert hatten, mit starkem Widerstand. Besonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion passte sich ein Teil der internationalen Führung an den US-Imperialismus an und ahmte dessen Herrschaftsgebaren gegenüber von ihm unterjochten neokolonialen Ländern nach. Zweck dieser Konferenz ist es, eine Fusion mit den Genossen aus Québec durchzuführen und eine neue internationale Führung zu wählen, die einen scharfen Bruch mit der Politik des Unterdrückerchauvinismus herbeiführt.

Seit Jim Robertson und Geoff White unsere Tendenz gegründet hatten, strebten sie deren internationale Ausweitung an. Doch bereits 1974, als die „Erklärung für die Organisierung einer internationalen trotzkistischen Tendenz“ unterzeichnet wurde (siehe Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 2, Herbst 1974), nahmen etliche amerikanische Kader eine antileninistische Position zur nationalen Frage ein. Diese Pervertierung des Leninismus wurde durch das Übergewicht der amerikanischen Sektion in der Internationale sowohl begünstigt als auch verschlimmert. Diese Linie wurde gegen den Genossen Robertson durchgesetzt: Schon 1976 hatte er vorgeschlagen, die Unabhängigkeit von Québec zu fordern, aber dieser Vorschlag wurde einhellig abgelehnt. Diese Konferenz verpflichtet sich, die revolutionäre leninistische Methodik wiederherzustellen und für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale zu kämpfen.

Wegen der heftigen Erschütterungen, die dieser Kampf in der Internationale verursachte, hat diese Konferenz praktisch den Charakter einer Notkonferenz, obwohl sie formal ordnungsgemäß einberufen wurde. In diesem Dokument geht es daher hauptsächlich um die wesentlichen Lehren aus den letzten Monaten und nicht so sehr um wichtige Veränderungen in der politischen Weltlage, die gekennzeichnet ist durch das Anwachsen rechtspopulistischer Kräfte in vielen Ländern, durch die Wahl von Trump in den USA, zunehmende Rivalitäten zwischen den imperialistischen Mächten und die Möglichkeit größerer militärischer Konflikte, besonders mit den deformierten Arbeiterstaaten. Für unsere Organisation geht es also zentral darum, uns programmatisch wieder zu bewaffnen und eine neue Führung zu schmieden, die sich diesen neuen Entwicklungen stellen kann. Im Grunde genommen stehen wir vor der zentralen Frage der Arbeiterbewegung: der revolutionären Führung.

II. Für die Schmiedung einer internationalen leninistischen Führung

„Aufgrund langjähriger historischer Erfahrung kann als Gesetz angegeben werden, wonach revolutionäre Kader, die sich gegen ihre gesellschaftliche Umgebung auflehnen und Parteien organisieren, um eine Revolution zu führen, bei allzu langem Ausbleiben der Revolution unter dem anhaltenden Einfluss und Druck eben dieser Umgebung selber degenerieren können...

Doch die gleiche historische Erfahrung zeigt ebenfalls, dass es zu diesem Gesetz auch Ausnahmen gibt. Diese Ausnahmen sind die Marxisten, die Marxisten bleiben, die Revolutionäre, die ihrem Banner treu bleiben. Die Grundideen des Marxismus, auf denen allein eine revolutionäre Partei aufgebaut werden kann, haben kontinuierlich ein Jahrhundert lang ihre Gültigkeit demonstriert. Die Ideen des Marxismus, die revolutionäre Parteien ins Leben rufen, sind stärker als die Parteien, die von diesen Ideen geschaffen werden, und überleben immer deren Untergang. Immer wieder finden sie in den alten Organisationen Repräsentanten, die die Arbeit des Wiederaufbaus führen können.“

– James P. Cannon, The First Ten Years of American Communism, Lyle Stuart, New York 1962

Gerade um die Aufgabe, die IKL wiederaufzubauen, geht es bei dieser Konferenz. Um wirklich mit dem Anglochauvinismus in der Partei zu brechen, müssen wir unsere eigene programmatische Kontinuität in der nationalen Frage, d. h. die von Marx und Lenin entwickelten Positionen, zurückgewinnen. Durch diesen Kampf wollen wir das revolutionäre, proletarische und internationalistische Programm von Lenins Dritter Internationale, verkörpert durch die ersten vier Weltkongresse der Kommunistischen Internationale (Komintern oder KI), wiederbeleben.

War nach der Machteroberung der Bolschewiki das Schmieden einer wirklichen Internationale schon eine schwierige Aufgabe, so wurde es durch die Degenerierung der Russischen Revolution und der KI zu einer immer größeren Herausforderung für die proletarische Avantgarde. Trotzki war nie in der Lage, tatsächlich ein internationales Kollektiv zu konsolidieren, wegen seiner objektiv äußerst schwierigen Situation im Exil, fehlender materieller Mittel und der Ermordung von trotzkistischen Kadern. Nach Trotzkis Tod war die Socialist Workers Party (SWP, unter der Führung von James P. Cannon) diejenige Sektion, die am ehesten die Führung der Vierten Internationale hätte übernehmen können. Statt diese Herausforderung anzunehmen und die Führung der Internationale zu übernehmen, zogen sich die amerikanischen Trotzkisten in die Isolation zurück, wozu sie nicht wirklich gezwungen waren. Genosse Robertson bemerkte dazu 1974:

„Also ist Cannon zurückgewichen, und die Arbeit haben wir am Hals. Er hat sie uns im doppelten Sinne aufgebürdet. Weil er um vieles besser war als wir – und wenn ich sage ,er‘, meine ich nicht nur Cannon persönlich, sondern das Team, das unmittelbar zusammenarbeitete und das ‚Cannon-Regime‘ ausmachte…

Es gab allerdings ein Cannon-Regime, und die Genossen taten ihr bestes. Aber sie haben die internationale Herausforderung nicht angenommen, und doch ist dies eine Verpflichtung. Ja, wenn man weiß, dass man nichts weiß, geht man geduldig, leise, beständig weiter; man kämpft mit der größten Geduld und Aufmerksamkeit um internationale Mitarbeiter. Wir müssen diesen Weg gehen, nicht zurückweichen und nicht in nationaler Isolierung warten, bis jemand hervortritt und sagt: ,Ich kann es machen‘, und wir dann sagen: ,Nun gut; wir verleihen dir unsere Autorität.‘ Wir müssen beharrlich sein; wir müssen intervenieren.“

– „Gedenkfeier für James P. Cannon“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 18, Frühjahr 1997

Seit der Entstehung unserer Tendenz haben unsere Gründungskader entscheidende Lehren aus der Entwicklung der SWP gezogen, wobei sie aktiv versuchten, aus ihrer Isolation in den USA auszubrechen. Sie verstanden, dass solch eine Isolation unvermeidlich zu Deformationen führt. Internationalist zu sein erfordert ein sehr hohes Bewusstsein: Man muss den vielseitigen Druck verstehen, der mit den eigenen sozialen und nationalen Wurzeln verbunden ist, um ihn bekämpfen zu können. Die Rückständigkeit der amerikanischen Arbeiterklasse sowie die Stärke des US-Imperialismus üben einen machtvollen Druck auf die SL/U.S. aus. Genosse Robertson kämpfte beharrlich für ein besseres Verständnis unter den englischsprachigen Genossen, wie wichtig es ist, andere Sprachen zu lernen und Erfahrungen außerhalb des eigenen nationalen Terrains zu sammeln. So hat er lange versucht, unsere internationale Zentrale von New York nach Paris zu verlegen, was er aber wegen der fehlenden Ressourcen der französischen Sektion nicht schaffen konnte. Trotz all seiner Bemühungen entwickelte ein Teil der amerikanischen Führung eine chauvinistische anti-internationalistische Linie und widersetzte sich nationalen Befreiungskämpfen in multinationalen Staaten. Diese Linie hat uns unermesslichen Schaden zugefügt, indem sie unsere Fähigkeit zur internationalen Ausweitung, besonders in nicht englischsprachige unterdrückte Nationen, erheblich einschränkte. Es gab einen scharfen Kontrast zwischen unserem Herangehen in den Gebieten, wo Genosse Robertson eine aktive Rolle spielte – wie den Britischen Inseln und Ceylon, wo wir eine leninistische Position hatten – und etwa Kanada oder Spanien, wo er kaum aktiv beteiligt war und wir eine offen chauvinistische Linie vertraten.

Für unsere Tendenz bildete die trotzkistische Position zur Sowjetunion einen zentralen programmatischen Bezugspunkt. Der Zusammenbruch der UdSSR stellte einen entscheidenden Wendepunkt sowohl in der Geschichte als auch im internen Leben unserer Organisation dar. Dieses Ereignis folgte auf Jahre des Rückzugs seitens der Arbeiterklasse im Westen, wobei diese objektiven Entwicklungen damit zusammentrafen, dass Genosse Robertson, der der Hauptarchitekt unserer internationalistischen Politik gewesen war, aus der Zentrale wegging. Das Zusammentreffen dieser Faktoren führte bei einer Schicht von Kadern zu einer tiefen Desorientierung und dazu, dass sie unser revolutionäres Ziel infrage stellten. Der Verlust eines revolutionären, proletarischen Kompasses führte dazu, dass aufeinanderfolgende Parteiregime mittels einer Reihe von opportunistischen Kampagnen nach Abkürzungen suchten. Bis 2008 erwies sich ein Regime nach dem anderen als unfähig, der IKL eine wirklich leninistische, internationalistische Führung zu geben. Unsere Anpassung an den vielseitigen Druck der amerikanischen Gesellschaft, wie er sich bereits in unserer chauvinistischen Linie ausdrückte, wurde durch diesen Opportunismus noch verstärkt – denn Opportunismus stellt immer eine Anpassung an das nationale Terrain dar.

Demgemäß haben wir in diesem Zeitraum das leninistische Konzept des Parteiaufbaus weitgehend dem Opportunismus und einer Anpassung an den amerikanischen Imperialismus untergeordnet. So gab es Widerstand gegen die Integration nicht englischsprachiger Kader in ein wirklich internationales Führungskollektiv sowie eine feindliche Haltung gegenüber dem Aufbau starker nationaler Sektionen. Das Internationale Sekretariat neigte dazu, die Sektionen außerhalb der USA als Satelliten für opportunistische Kampagnen zu benutzen, wie während des „Großen Sprungs nach vorn“ und der Mumia-Kampagne. Das Wegdriften vom Aufbau einer Avantgardepartei zeigte sich in der Behandlung der in der Gesellschaft am stärksten unterdrückten Genossen: Im Allgemeinen wurden sie nicht als marxistische Kader oder als Führer der Internationale gesehen und sie wurden auch nicht dazu ausgebildet. Vielmehr wurden sie zu „guten“ Aktivisten erzogen und als Fußvolk bei der „Basisarbeit“ eingesetzt. Also spiegelten sich die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft innerhalb der Partei wider, mit der Tendenz, die diesen Genossen widerfahrene Unterdrückung noch zu verstärken.

Unsere Praxis in den letzten Jahrzehnten steht im scharfen Gegensatz zu der versuchten Fusion mit Edmund Samarakkodys Gruppe („Agreement on Unification of the Revolutionary Workers Party [RWP] of Sri Lanka with the International Spartacist Tendency“, Vereinigungsabkommen zwischen der Revolutionären Arbeiterpartei von Sri Lanka und der Internationalen Spartacist Tendenz, 20. Juni 1979):

„(2) wirkliche, volle, häufige, regelmäßige Teilnahme der in das IEK gewählten RWP-Führungskader an IEK-Sitzungen;

(3) Abstellung eines kompetenten zweisprachigen (Singhalesisch-Englisch) Kaders aus der RWP in die internationale Zentrale und für den Fall, dass es sich um einen Führungskader handelt, dessen Mitgliedschaft im internationalen Sekretariat;

(4) ein internationaler Repräsentant, der Mitglied des IEK ist, soll im Zentralkomitee der RWP sitzen bzw. soll dieser, falls er nicht IEK-Mitglied ist, eine beratende Stimme in der RWP haben;

(5) Besuche und Teilnahme am politischen Leben anderer Sektionen durch Mitglieder der RWP sollen ermuntert werden sowie umgekehrt auch längere Besuche von Mitgliedern anderer Sektionen in Sri Lanka.“

Dies stellt das Vorbild für die Vereinigung mit den Québécois-Genossen auf dieser Konferenz dar.

Obwohl unsere Organisation eine Reihe von Schwächen hatte, haben wir unsere revolutionäre Pflicht erfüllt, als wir mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratien in der DDR und der UdSSR konfrontiert waren. An diesem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte kämpfte unsere Tendenz mit aller Macht gegen die Restauration des Kapitalismus und für eine politische Revolution. Außerdem ist es uns gelungen, beginnend mit der Zeit von Glasnost bis zur nachsowjetischen Periode wichtige Beiträge zu unserer Kontinuität zu leisten, wie z. B. mit der Herausgabe von zwei Büchern mit Schriften von Cannon und den Broschüren der Prometheus Research Series. Ebenso konnten wir die Analysen der ersten vier Weltkongresse der KI hinsichtlich der Frage von Exekutivämtern im kapitalistischen Staat und der konstituierenden Versammlung zu Ende führen (siehe Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 27, Frühjahr 2009, und Nr. 29, Sommer 2013).

Die von dieser Konferenz gewählte Führung sollte auf den Genossen beruhen, die für diesen Kampf entscheidend waren: besonders Genossen aus Mexiko, Griechenland, Südafrika und die Genossen aus Québec. Diese Veränderungen sollen nicht nur das IEK betreffen; auch das IS soll durch die Integration von Genossen aus Mexiko und Québec reorganisiert werden. Wegen der Krise der britischen Sektion ist das neue IEK mit der Aufgabe konfrontiert, in Europa wieder eine Zentrale aufzubauen, die auf den Genossen beruht, die das höchste Bewusstsein demonstriert haben. Eine weitere Änderung besteht darin, langjährigen Führern unserer Partei, die in der Parteiführung nicht mehr so aktiv sein können, den Status beratender Mitglieder des IEK zu geben. Das neue IEK braucht deren Erfahrung, doch gleichzeitig sollten wir besser nicht das Risiko eingehen, das U-Boot zu versenken, wie das Beispiel von Admiral Rickover zeigt [den man mit 82 Jahren endlich in Ruhestand schickte].

Der Aufbau eines wirklich internationalen Kollektivs erfordert starke nationale Führungen. Dieses Kollektiv muss auf einer gemeinsamen politischen Grundlage beruhen und durch persönliche Bindungen aufgebaut werden: Man muss seine engsten Genossen durch die gemeinsame Arbeit kennenlernen. Die Schmiedung einer neuen Achse internationaler Zusammenarbeit begann während des Kampfes in Kanada. Dieses Kollektiv wurde größer, als der Kampf eine internationale Dimension bekam, und hat sich bei der Ausarbeitung des Entwurfs für dieses Konferenzdokument herauskristallisiert. Der Aufbau einer Internationale über verschiedene Länder hinweg verlangt erhebliche materielle Mittel. Wie dieser Kampf zeigt, sind finanzielle Beiträge unserer Anhänger für die Existenz der IKL von äußerster Wichtigkeit. Verglichen mit Trotzki oder Cannon hat unsere Tendenz den Vorteil, dass uns zur Zeit ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um eine gewisse Stabilität und unsere internationale Ausweitung zu ermöglichen.

Unsere Partei steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte. Eine durch unser Programm motivierte Führung unter der Leitung von Genossin Coelho, die Rekrutierung der Genossen in Montréal und die Tatsache, dass der Genosse Robertson weiterhin unsere Kontinuität aufrechterhält: Diese Faktoren haben es uns ermöglicht, einen Kampf zu führen, der unsere Internationale von Grund auf erschütterte. Dieser Kampf verschafft uns die Gelegenheit, erfolgreich zu sein, wo die SWP versagt hat, und uns als Partei zu erneuern. Er gibt uns die Chance, entschieden mit dem Chauvinismus der Unterdrücker zu brechen, was die Grundlage legt für eine überwiegend nicht englischsprachige Organisation, die wirklich internationalistisch ist. In einem Brief vom November 1995 an das IEK hat Genosse Robertson das so ausgedrückt:

Internationalismus ist leeres Gerede, wenn ...!

Wenn man auch nur einen Bruchteil eines Gedankens dafür verwendet, wird es klar, dass Sprachkenntnisse unerlässlich sind, wenn man sich in der restlichen Welt bewegen will. Doch dieser Faktor wird bei formalen Berechnungen oft übersehen...

Ohne die Sprachkenntnisse, mit denen wir die Kluft zwischen den verschiedenen Völkern überbrücken können, sind wir nicht nur verloren, sondern von vornherein auf verlorenem Posten.

Für eine Schweißer- und Zweisprachler-Regierung!“


III. Theoretischer Rahmen des Chauvinismus

Entstellungen von Marx, Engels und Lenin in Workers Vanguard

Die theoretische Rechtfertigung für unser chauvinistisches Programm zur nationalen Frage wurde in zwei Artikeln des Genossen Seymour dargelegt: „The National Question in the Marxist Movement 1848–1914“ (Workers Vanguard Nr. 123 und 125, 3. und 17. September 1976; auf Deutsch erschienen als „Die nationale Frage in der marxistischen Bewegung, 1848–1914“, Spartakist Nr. 200, Oktober 2013), und in „Lenin vs. Luxemburg on the National Question“ (WV Nr. 150, 25. März 1977). Bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Kampfes dienten diese Artikel vielen Kadern in der Internationale als Bezugspunkt zur nationalen Frage. Die Konferenz weist diese Artikel zurück, damit die Partei wieder auf eine leninistische programmatische Grundlage gestellt wird – d. h. als Verfechter des Kampfes gegen nationale Unterdrückung.

Genosse Robertson bemerkte: „Welche Faktoren bestimmen die Theorie? Die Begehrlichkeiten des Menschen bestimmen sein Handeln“ („Conversations with Wohlforth“, Marxist Bulletin Nr. 3, Teil IV). Er führte aus:

„Du redest oft von ,Theorie‘ und ,Methode‘, bist aber schwach in der Definition. Um die marxistische Methode zu verwenden, muss man sie verstehen, nicht nur auf sie verweisen – ,Theorie‘ an sich ist eine leere Floskel. Theorie vereinfacht die Realität derart, dass sie in unseren Kopf passt und uns ein aktives Verständnis als Teilnehmer des gerade Geschehenden verschafft – das heißt, was wir im Kopf haben, ist ebenfalls ein Faktor. Das Programm erzeugt die Theorie. Entscheidend sind die programmatischen Fragen.“

Tatsächlich wurde die ursprüngliche Rede, veröffentlicht in dem Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125, zuerst im August 1976 gehalten, nur wenige Wochen nach der Diskussion über Flugsicherung in Kanada, die die Grundlage für den rassistischen Artikel in Spartacist Canada gegen den gerechten Kampf für Sprachenrechte in Québec schuf (siehe „Dispute Over Bilingual Air Traffic Control Rocks Canada“, WV Nr. 119, 23. Juli 1976, und Spartacist Canada Nr. 8, September 1976). So schrieb Genosse Robertson in seinem „Brief über 1976“ (30. November 2016):

„Es gibt einen Grund dafür, warum die kanadischen Genossen damals den Streik des Flugsicherungspersonals auswählten, um in derartiger Weise darüber zu schreiben. Es gab einen nationalen Aufruhr in Québec, und die damalige TLC entschied sich, über die einzige Übertreibung zu schreiben, die sie bei diesem politischen Aufruhr finden konnten. Die Genossen hätten den Aufruhr mit Begeisterung begrüßen und dabei gleichzeitig auf die eine Frage hinweisen sollen, die aus dem Rahmen dieser berechtigten und rühmenswerten politischen Befreiungsbewegung fiel.“

Die Appetite, die unsere Intervention bestimmten, waren also von einer Kapitulation vor dem vorherrschenden anglo-nordamerikanischen Druck gekennzeichnet. Tatsächlich stellt der Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125 eine Polemik gegen die Befreiung Québecs vom Joch der englischsprachigen Unterdrückung dar. Diese Perspektive fand auch ihren Widerhall in unserem Herangehen an andere nationale Fragen (man beachte die Gleichsetzung im Artikel zwischen den unterdrückten und den unterdrückenden Völkern im Libanon). Der theoretische Rahmen, der in diesen Artikeln ausgearbeitet wurde, ist sehr weit entfernt von den Erfahrungen der Russischen Revolution, die im wirklichen Leben aufzeigte, dass die nationale Frage eine treibende Kraft für revolutionären Kampf sein kann.

Der Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125 verteidigt die groteske Behauptung, dass „es kein marxistisches Programm für die nationale Frage als solche“ gebe, womit tatsächlich das marxistische Programm für die Befreiung der unterdrückten Nationen abgelehnt wird. Dieser Taschenspielertrick kann nur gelingen, weil der Artikel die politischen Positionen von Marx und Engels massiv entstellt. Erstens wird falsch argumentiert: „Marx und Engels [entwickelten] ein Programm, das auf den nationalen, wenn nicht physischen, Völkermord an den West- und Südslawen im Interesse der demokratischen oder fortschrittlichen Völker hinauslief.“ Die Haltung von Marx und Engels gegenüber den Slawen beruhte nicht auf Rassenvorurteilen. Ihre Herangehensweise kann nur im Rahmen ihrer Vision einer europaweiten Revolution verstanden werden. Die Südslawen spielten als Fußsoldaten der reaktionären Großmächte jener Epoche (Preußen, das Russische Reich und das Kaisertum Österreich) eine reaktionäre Rolle bei der Niederschlagung der Revolutionen von 1848/49. Lenin unterstützte die Position von Marx und Engels:

„Von dieser Zeit an [1849] bis zum Tode von Marx, ja sogar später, bis 1890, als ein reaktionärer Krieg des Zarismus im Bündnis mit Frankreich gegen das nichtimperialistische, aber national unabhängige Deutschland drohte, trat Engels vor allem und am stärksten für den Kampf gegen den Zarismus ein. Aus diesem und nur aus diesem Grunde waren Marx und Engels gegen die nationale Bewegung der Tschechen und Südslawen. Ein kurzer Einblick in das, was Marx und Engels in den Jahren 1848/1849 geschrieben haben, wird jedem, der sich für den Marxismus nicht nur interessiert, um ihn mit einer Handbewegung abzutun, zeigen, dass Marx und Engels damals klar und eindeutig ,ganze reaktionäre Völker‘, die als ,russische Vorposten‘ in Europa dienten, den ,revolutionären Völkern‘ – Deutschen, Polen und Ungarn – gegenüberstellten. Das ist eine Tatsache. Und auf diese Tatsache ist damals zweifellos richtig hingewiesen worden, denn 1848 fochten die revolutionären Völker für die Freiheit, deren Hauptfeind der Zarismus war, während die Tschechen usw. wirklich reaktionäre Völker, Vorposten des Zarismus waren.“

– „Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“, Juli 1916

In seinem Artikel setzt sich Genosse Seymour leichtfertig über die Entwicklung der Ansichten von Marx und Engels hinsichtlich nationaler Befreiungskämpfe hinweg, obwohl in Wirklichkeit deren Denken durch nationale Kämpfe in Indien (Sepoy-Aufstand 1857), Irland (Fenier-Aufstand 1867) und anderen Ländern stark beeinflusst wurde. Ihre Erfahrungen hatten sie gelehrt, dass die nationale Frage durch die Entwicklung des Kapitalismus keineswegs an Bedeutung verloren hatte, sondern sogar explosiver und damit zu einem möglichen Hebel für die Revolution wurde. Der Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125 ignoriert diese Entwicklung, um im Rahmen des Unterdrückerchauvinismus zu verharren. Beispielsweise wird die Befreiung Irlands als treibende Kraft ausschließlich für die englische Revolution dargestellt. Tatsächlich kämpften Marx und Engels für die Unabhängigkeit Irlands an und für sich und waren mit den Feniern politisch eng verbunden. Marx schrieb an Engels (30. November 1867):

„Was die Irländer brauchen, ist:

1. Selbstregierung und Unabhängigkeit von England.

2. Agrarische Revolution. Die Engländer können die mit dem besten Willen nicht für sie machen, aber sie können ihnen die legalen Mittel geben, sie für sich selbst zu machen.

3. Schutzzölle gegen England. Von 1783–1801 blühte die irische Industrie in allen Zweigen auf. Die Union mit Niederwerfung der Schutzzölle, welche das irische Parlament errichtet hatte, zerstörte alles industrielle Leben in Irland.“

Marx’ und Engels’ Orientierung auf die Kämpfe der irischen Werktätigen widerspiegelte ihre damalige Konzeption, dass das Volk in Irland „revolutionärer und erbitterter ist als in England“ („Der Generalrat an den Föderalrat der romanischen Schweiz“, 1. Januar 1870). Sie kämpften entschieden für die Organisierung einer irischen Sektion der Ersten Internationale und für die Verteidigung der Fenier innerhalb der englischen Arbeiterklasse.

Lenin erklärte, zu Marx’ Zeiten, in der vorimperialistischen Periode, „ging es vor allen Dingen ,gegen den Zarismus‘ (und gegen einige von ihm in antidemokratischer Richtung ausgenutzte Bewegungen kleiner Nationen) und für die zu den großen Nationen gehörenden revolutionären Völker des Westens.“ Weiterhin erklärte Lenin in Bezug auf die Epoche des Imperialismus:

„Der Zarismus hat ganz zweifellos aufgehört, die Hauptstütze der Reaktion zu sein, erstens infolge der Unterstützung durch das internationale Finanzkapital, besonders das Frankreichs, und zweitens infolge des Jahres 1905... Jetzt hat sich das System einer Handvoll (5–6 an der Zahl) imperialistischer ,Groß‘mächte herausgebildet, von denen jede fremde Nationen unterdrückt ... Jetzt steht das Bündnis des zaristischen Imperialismus mit dem fortgeschrittenen kapitalistischen europäischen Imperialismus auf der Basis ihrer gemeinsamen Unterdrückung einer Reihe von Nationen dem sozialistischen Proletariat entgegen, das in ein chauvinistisches, ,sozialimperialistisches‘ und ein revolutionäres Proletariat gespalten ist.“

– „Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“

Im Gegensatz zu den Behauptungen in den WV-Artikeln gibt es in der Tat ein definiertes marxistisches Programm zur nationalen Frage, nämlich das bolschewistische Programm, das Lenin zwischen Ende 1912 und 1916 entwickelt hatte:

„Volle Gleichberechtigung der Nationen; Selbstbestimmungsrecht der Nationen; Verschmelzung der Arbeiter aller Nationen – dieses nationale Programm lehrt die Arbeiter der Marxismus, lehrt die Erfahrung der ganzen Welt und die Erfahrung Russlands.“

– „Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, Februar–Mai 1914

Wir weisen die in diesen Artikeln aufgestellte Behauptung zurück, die nationale Frage hätte „historisch einen viel konjunkturelleren Charakter und wird viel mehr durch wechselnde empirische Umstände bestimmt“. Wenn sich die Welt wesentlich ändert, muss sich das marxistische Programm ebenfalls ändern, um mit der Realität umgehen zu können; das bedeutet nicht, dass das Programm „konjunkturell“ ist, sondern dass es nötig ist, „die konkrete Änderung in der Anwendung ein und derselben sozialistischen Prinzipien“ (Lenin) zu berücksichtigen. Bezüglich des Programms zur nationalen Frage teilten Marx, Engels und Lenin ein und dasselbe grundlegende sozialistische Prinzip: „Ein Volk kann nicht frei sein, das andre Völker unterdrückt.“

Der Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125 verteidigt die an sich korrekte These, dass es keine „reaktionären“ oder „progressiven“ Völker gibt, benutzt dies aber, um den Unterschied zwischen unterdrückten und unterdrückenden Nationen verschwinden zu lassen. Wie in diesem Artikel wird auch in „Lenin vs. Luxemburg on the National Question“ (WV Nr. 150) die Autorität von Marx, Engels und Lenin missbraucht, um eine Position der Gleichgültigkeit gegenüber dem Kampf für nationale Befreiung zu verteidigen:

„Das Fehlen von anhaltenden proletarischen revolutionären Kämpfen in den entwickelten kapitalistischen Ländern und die dort anhaltende Hegemonie der reformistischen Parteien haben innerhalb der Linken zu weitverbreiteter Unterstützung für kleinbürgerlichen Nationalismus geführt. Gruppen wie die Palästinensische Befreiungsorganisation, die angolanische MPLA, die Irisch-Republikanische Armee und die baskische ETA werden von vielen Linken, darunter vorgeblichen Marxisten, als Teil der Avantgarde der heutigen revolutionären Kräfte gesehen.

Als Teil des Kampfes der internationalen Spartacist Tendenz gegen die in der gegenwärtigen Linken grassierenden nationalistischen Abweichungen veröffentlichten wir letztes Jahr einen zweiteiligen Artikel, in dem wir die Evolution der marxistischen Position zur nationalen Frage untersuchten, vom Konzept der ,fortschrittlichen Nationen‘ von 1848 bis zum leninistischen Prinzip des ,Rechts auf Selbstbestimmung‘.“

Zwar ist es richtig, den Opportunismus der Linken und deren Hinterherlaufen hinter kleinbürgerlich-nationalistischen Kräften zu bekämpfen; wenn wir dies aber als Deckmantel benutzen, um die gerechten Bestrebungen eines Volkes zu verunglimpfen, das sich von einer Nation abtrennen will, von der es gewaltsam festgehalten wird, dann landen wir auf der falschen Seite der Linie, die eine revolutionäre Organisation von einer sozialchauvinistischen trennt. Diese Artikel bekundeten niemals irgendwelche Solidarität mit nationalen Befreiungskämpfen, geschweige denn mit dem Recht unterdrückter Nationen, aus ihrer nationalen Unterdrückung auszubrechen. Das stellte eine völlige Abkehr vom Internationalismus dar.

Der Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125 stellt einen falschen Gegensatz her zwischen der „Realisierung in der Praxis“ (Marx) und der einfachen „Befürwortung der Unabhängigkeit“ (Lenin): „Für Lenin war die Frage, ob die Unabhängigkeit tatsächlich verwirklicht würde oder nicht, keine grundlegende, sondern eine zweitrangige Frage.“ Diese falsche Entgegensetzung diente als Deckmantel für unsere ausdrückliche Opposition gegen die Unabhängigkeit von Québec und verneinte damit grundlegend das Recht auf Selbstbestimmung. Das steht eindeutig im Widerspruch zu Lenins Schriften über den Osteraufstand 1916 in Dublin und die Abtrennung von Norwegen 1905:

„dass dieses Beispiel [Norwegen] faktisch beweist: Die klassenbewussten Arbeiter haben die Pflicht, systematisch dafür Propaganda zu treiben und Vorbereitungen zu treffen, dass wegen der Lostrennung von Nationen mögliche Konflikte nur so gelöst werden, wie der Konflikt zwischen Norwegen und Schweden im Jahre 1905 gelöst worden ist, nicht aber ,auf russische Art‘.“

– „Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“

So viel zu Lenins angeblicher Gleichgültigkeit gegenüber der Frage der Unabhängigkeit.

Lenin führte einen Kampf gegen die Verfechter des imperialistischen Ökonomismus, darunter die polnischen Sozialdemokraten, die argumentierten: „Die Selbstbestimmung ist im Kapitalismus unmöglich und im Sozialismus überflüssig“ („Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den ‚imperialistischen Ökonomismus‘“, 1916). Der Artikel in WV Nr. 123 und Nr. 125 unterminiert Lenins prinzipienfeste Polemik gegen Luxemburg mit der falschen Behauptung, Lenin sei wie Luxemburg „gegen Föderalismus und für begrenzte regionale Autonomie für Minderheitennationen in einem Einheitsstaat“ (unsere Hervorhebung). Außerdem befürwortet der Artikel die Assimilierung der unterdrückten Nationen durch ihre Unterdrücker im imperialistischen Kapitalismus: „Während wir für die Gleichberechtigung der Sprachen und die damit verbundenen demokratischen Rechte eintreten, setzen wir uns für die graduelle, organische Assimilierung der verschiedenen Nationalitäten ein, die die Arbeiterklasse ausmachen.“

Aus dem Artikel „Lenin vs. Luxemburg on the National Question“ folgt, dass das Recht auf Selbstbestimmung nach der proletarischen Revolution nicht anwendbar ist. „Das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung kann wie jedes andere bürgerlich-demokratische Recht erst dann abgelöst werden, wenn die proletarische Klassenherrschaft und ihre Demokratie die bürgerliche Demokratie abgelöst haben.“ Das war nicht Lenins Position, sondern die seiner politischen Gegner wie Bucharin und Pjatakow, die für „Selbstbestimmung der Werktätigen“ eintraten. Diese Position wurde 1919 in der Debatte über das russische Parteiprogramm verworfen, als sich die Frage unter der Sowjetmacht konkret stellte. Dieses Programm fordert nicht nur: „die völlige Befreiung der kolonialen und der anderen bisher unterdrückten oder nicht gleichberechtigten Nationen, einschließlich der Gewährleistung der Freiheit der Lostrennung“, sondern betont auch: „Die Arbeiter jener Nationen, die im Kapitalismus Unterdrücker waren, müssen besonders behutsam sein gegenüber dem Nationalgefühl der unterdrückten Nationen …, sie müssen nicht nur die tatsächliche Gleichberechtigung unterstützen, sondern auch die Entwicklung von Sprache und Literatur der werktätigen Massen der früher unterdrückten Nationen fördern, um alle Spuren des aus der Epoche des Kapitalismus überkommenen Misstrauens und der Entfremdung zu tilgen“ („Entwurf des Programms der KPR (B)“). Seinen letzten Kampf führte Lenin gegen das großrussisch-chauvinistische Auftreten von Stalin und Ordschonikidse gegenüber den georgischen Kommunisten.

Lenin bestand darauf, dass nationale Trennlinien erst in der kommunistischen Zukunft völlig verschwinden werden:

„Hat das Proletariat den Kapitalismus in den Sozialismus umgestaltet, so schafft es die Möglichkeit für die völlige Beseitigung der nationalen Unterdrückung; diese Möglichkeit wird ,nur‘ – ,nur‘! – dann zur Wirklichkeit werden, wenn die Demokratie auf allen Gebieten vollständig durchgeführt sein wird – bis zur Festlegung der Staatsgrenzen entsprechend den ,Sympathien‘ der Bevölkerung, bis zur völligen Freiheit der Lostrennung einschließlich. Auf dieser Basis wird ihrerseits in der Praxis die absolute Beseitigung auch der kleinsten nationalen Reibungen, des geringsten nationalen Misstrauens erfolgen und damit die beschleunigte Annäherung und Verschmelzung der Nationen, die durch das Absterben des Staates vollendet werden wird.“

– „Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“

Zum Schluss stellt der Artikel „Lenin vs. Luxemburg on the National Question“ über Luxemburg die falsche Behauptung auf: „Sie lehnte das Recht auf Selbstbestimmung und jedes andere allgemeine Prinzip ab.“ Sowohl Luxemburg wie auch Lenin forderten energisch den Abzug der Imperialisten aus den Kolonien, jedoch bestand Lenin darauf, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch auf Europa zutraf. In einer Polemik gegen Luxemburg zur nationalen Frage stellte Lenin klar und deutlich die Frage: „Kann man in dieser Frage die Kolonien ,Europa‘ gegenüberstellen?“ Lenin antwortete klipp und klar „Nein“ („Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“). Das willentlich zu ignorieren steht in einer Linie mit den krassen Beispielen von Chauvinismus in der IKL. Das zeigte sich besonders klar, wenn es um die Anwendung der Selbstbestimmung auf unterdrückte weiße Menschen in ökonomisch fortgeschrittenen Ländern Nordamerikas und Europas ging: Québec, Katalonien, das Baskenland.

Kapitulation vor der Neuen Linken

Die beiden WV-Artikel von 1976 und 1977 gaben zwar vor, gegen die Kapitulation der Neuen Linken vor kleinbürgerlichem Nationalismus zu polemisieren, doch in Wirklichkeit pflichteten sie den Entstellungen und Verleumdungen des Marxismus seitens der Neuen Linken bei. Damals war es in diesem Milieu gang und gäbe zu sagen, dass Marx und Engels völkermörderische Rassisten sowie deutsche und europäische Großmachtchauvinisten seien. Doch insoweit Genosse Seymour überhaupt einräumte, dass Marx und Engels ein Programm zur nationalen Frage hatten, war dies das Programm „Deutschland über alles“:

„Seit 1848 wurde Marx und Engels von ihren Kritikern innerhalb der Linken oft vorgeworfen, deutsche Chauvinisten zu sein. Sie wiesen das mit dem Argument zurück, ihre Position zur Einigung Deutschlands sei objektiv begründet und spiegele nicht subjektive nationalistische Vorurteile wider … Indessen sollten sie erst 1870 die Chance bekommen, zu beweisen, dass sie keine deutschen Chauvinisten waren.“

WV Nr. 123

Marx’ Position zur polnischen Emanzipation wird auf die Errichtung „eines demokratischen Pufferstaates gegen das zaristische Russland“ reduziert, und zwar zu einer Zeit, als Preußen damit beschäftigt war, seine Grenzen an der Ostfront neu zu ziehen. Tatsächlich sah Marx die Wiedervereinigung Polens als treibende Kraft dafür, diese Grenzen neu zu ziehen auf Kosten der Hohenzollern sowie der Habsburger und der Romanows. So sagten Marx und Engels auf einer Versammlung anlässlich des zwölften Jahrestags des polnischen Aufstands von 1863/64:

„Die Teilung Polens ist der Kitt, der die drei großen Militärdespotien: Russland, Preußen und Österreich zusammenbindet. Nur die Wiederaufrichtung Polens kann dieses Band zerreißen und damit das größte Hindernis der sozialen Emanzipation der europäischen Völker aus dem Wege räumen.“

– „Für Polen“, 24. März 1875

Um diese Darstellung von Marx und Engels als deutsche Revanchisten zu rechtfertigen, schreibt der zweiteilige Artikel ihnen eine objektivistische Auffassung der 1848er Revolution zu und versucht, die Niederlage der Revolution auf eine schlichte Frage von „objektiver ökonomischer Rückständigkeit“ zu reduzieren:

„Infolge der Niederlage der radikalen Demokratie in den Revolutionen von 1848 modifizierte Marx sein Programm erheblich. Er machte für die Niederlage der radikalen Demokratie und der proletarischen Avantgarde eine objektive ökonomische Rückständigkeit verantwortlich, nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in Frankreich. Deshalb legte der klassische Nach-1848-Marxismus großes programmatisches Gewicht auf die Schaffung der objektiven Bedingungen, die das Proletariat in die Lage versetzen würden, die Macht zu ergreifen.“

In Wirklichkeit machten Marx und Engels die Bourgeoisie und ihre kleinbürgerlichen Verbündeten für die Niederlage der 1848er Revolution verantwortlich. In ihrer „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850“ schrieben sie:

„Wir sagten Euch, Brüder, schon im Jahre 1848, dass die deutschen liberalen Bourgeois bald zur Herrschaft kommen und ihre neuerrungene Macht sofort gegen die Arbeiter kehren würden. Ihr habt gesehen, wie dies in Erfüllung gegangen ist. In der Tat waren es die Bourgeois, die nach der Märzbewegung 1848 sofort Besitz von der Staatsgewalt ergriffen und diese Macht dazu benutzten, die Arbeiter, ihre Bundesgenossen im Kampfe, sogleich in die frühere unterdrückte Stellung zurückzudrängen.“

Marx und Engels bestanden darauf, dass die Arbeiter ihre eigenen Klasseninteressen wahren müssten, indem sie gegen die Bourgeoisie und ihre kleinbürgerlichen Anhängsel auf der Grundlage von Klassenunabhängigkeit kämpften:

„Wenn die deutschen Arbeiter nicht zur Herrschaft und Durchführung ihrer Klasseninteressen kommen können, ohne eine längere revolutionäre Entwicklung ganz durchzumachen, so haben sie diesmal wenigstens die Gewissheit, dass der erste Akt dieses bevorstehenden revolutionären Schauspiels mit dem direkten Siege ihrer eigenen Klasse in Frankreich zusammenfällt und dadurch sehr beschleunigt wird.

Aber sie selbst müssen das meiste zu ihrem endlichen Siege dadurch tun, dass sie sich über ihre Klasseninteressen aufklären, ihre selbständige Parteistellung sobald wie möglich einnehmen, sich durch die heuchlerischen Phrasen der demokratischen Kleinbürger keinen Augenblick an der unabhängigen Organisation der Partei des Proletariats irremachen lassen. Ihr Schlachtruf muss sein: Die Revolution in Permanenz.“

Sprachengesetze

Im Grunde lief unser chauvinistisches programmatisches Gerüst bezüglich der nationalen Frage auf ein Programm für die zwangsweise Assimilierung unterdrückter Nationen hinaus. Dieses Programm zeigte sich besonders in unserer Verteidigung der Sprachprivilegien von Unterdrückernationen sowie in unserer Ablehnung der Sprachengesetze in Québec und Katalonien. Diese Konferenz bekräftigt, dass die sprachliche Gleichberechtigung darin besteht, gegen die Privilegien der vorherrschenden Sprache zu kämpfen.

Wir kämpfen für die Unabhängigkeit von Québec. Solange die Unabhängigkeit Québecs nicht erreicht ist, hätte unsere Organisation die Sprachengesetze in Québec (und auch in Katalonien, wo die Situation qualitativ ähnlich ist) unterstützen sollen, weil sie wesentliche Maßnahmen zur Verteidigung der bloßen Existenz der unterdrückten Nation darstellen. Obwohl die Sprachengesetze eine Art Kompromiss im Kampf um Unabhängigkeit darstellten, hätten wir diese wenn auch begrenzte Verwirklichung der Selbstbestimmung, zur Verteidigung der französischen Sprache in Québec, unterstützen sollen. Der Kampf gegen Privilegien für die englische Sprache in Québec stellt eine Erweiterung von Lenins Kampf für die Gleichberechtigung der Sprachen dar:

„Das nationale Programm der Arbeiterdemokratie: absolut keine Privilegien für irgendeine Nation, für irgendeine Sprache; Lösung der Frage der politischen Selbstbestimmung der Nationen, d. h. ihrer staatlichen Lostrennung, auf völlig freiem, demokratischem Wege; Erlass eines für den ganzen Staat geltenden Gesetzes, kraft dessen jede beliebige Maßnahme (der Semstwos, der Städte, der Gemeinden usw. usf.), die in irgendwelcher Hinsicht einer der Nationen ein Privileg gewährt und die Gleichberechtigung der Nationen oder die Rechte einer nationalen Minderheit verletzt, für ungesetzlich und ungültig erklärt wird – und jeder beliebige Staatsbürger berechtigt ist zu verlangen, dass eine solche Maßnahme als verfassungswidrig aufgehoben wird und diejenigen, die sie durchsetzen wollen, strafrechtlich belangt werden.“

– „Liberale und Demokraten zur Sprachenfrage“, September 1913

Die englische Sprache wurde Québec mit dem ausdrücklichen Ziel der Assimilierung aufgezwungen, seit die Franzosen dort 1759 besiegt wurden. Das Gesetz 101 legt für Regierung, öffentlichen Dienst und Großunternehmen die französische Sprache formal als einzige Amtssprache fest. Danach müssen alle Kinder in Québec auf französischsprachige Schulen gehen – mit Ausnahme der englischsprachigen Einwohner von Québec und … aus allen anderen Provinzen. In Wirklichkeit wurden die Privilegien der englischen Sprache nie angetastet: Viele Krankenhäuser und die Elite-Universität McGill sind immer noch englischsprachig, Englisch bleibt weiterhin die Sprache „du business“, bei Dienstleistungen und in Geschäften wird häufig mit Kunden nur Englisch gesprochen; kurz gesagt, es ist möglich, sein ganzes Leben … auf Englisch zu verbringen! Trotz Gesetz 101 ist Englisch in Québec nach wie vor die Sprache der Vorherrschaft und der Unterdrückung.

In den 1960er- und 1970er-Jahren löste die Spaltung zwischen englischsprachigen und französischsprachigen Schulen in Québec berechtigte Kämpfe zur Verteidigung der französischen Sprache aus. Angesichts der miserablen Stellung der französischen Sprache zogen es viele Immigranten vor, ihre Kinder in der privilegierten Sprache, Englisch, unterrichten zu lassen, um ihnen bessere Aussichten auf einen sozialen Aufstieg zu verschaffen. Die Unterrichtssprache war damals die strittigste Frage, da Französischsprechende verstanden, dass sie in ihrer eigenen Provinz zur Minderheit würden, wenn sich Immigranten nicht in die französischsprachige Gesellschaft integrierten. Die Verteidigung eines Bildungssystems, das Immigranten die „freie Wahl“ überlässt zwischen Englisch und Französisch als Unterrichtssprache für ihre Kinder, ist in Québec tatsächlich eine Verteidigung der privilegierten Sprache: Englisch.

Die englisch-kanadische Elite verfolgte eine bewusste Politik, durch ständigen Zustrom nicht französischsprachiger Immigranten nach Québec die französischsprachige Bevölkerung in einem englischsprachigen Meer untergehen zu lassen. Genauso wie wir gegen die Forderung nach „offenen Grenzen“ sind, lehnen wir diese reaktionäre Politik ab, die dem Recht auf Selbstbestimmung zuwiderläuft. Wir sind dafür, dass sich Immigranten durch das Erlernen der französischen Sprache in Québec integrieren. Wie im Fall der englischen Sprache in den Vereinigten Staaten fordern wir kostenlosen, hochwertigen zweisprachigen Unterricht, damit eingewanderte Schüler und Studenten sich durch diese rationale Methode von ihrer Muttersprache auf die französische Sprache umstellen können. Immigranten, die ihr Land verlassen, um in einem fortgeschritteneren Land sesshaft zu werden, akzeptieren im Allgemeinen die Notwendigkeit, sich in diese Gesellschaft zu assimilieren, soweit ihnen das erlaubt wird. Die Charakteristik dieser Bevölkerungsgruppe ist anders als die einer unterdrückten Nation in einem multinationalen Staat, da Immigranten keine Nation bilden. Unterdrückte Nationen, die als eigenständige Nationen existieren wollen, kämpfen gegen Assimilierung. Das ist der Rahmen, in dem wir das leninistische Programm für die Gleichberechtigung der Sprachen anwenden müssen.

Wenn die kanadische Bourgeoisie Zweisprachigkeit durchsetzt, will sie damit nicht Französisch „retten“ und die Gleichberechtigung der Sprachen verteidigen (wie Spartacist Canada es darstellte); im Gegenteil, sie zwingt Französischsprachigen die englische Sprache auf. Bei dieser Politik wird von Französischsprachigen erwartet, Englisch zu sprechen, aber für Englischsprachige hört die Zweisprachigkeit bei „pickle jars“ (Gurkengläsern) auf. Wir sind gegen die „amtliche“ Zweisprachigkeit in Québec, die ein Werkzeug für die Zwangsassimilierung der Nation von Québec ist. Aus ähnlichen Gründen war Lenin dagegen, nationale Minderheiten zu zwingen, die russische Sprache zu lernen. Nieder mit dem Trudeauschen „Multikulturalismus“!

Um die Opposition von Spartacist Canada gegen das Gesetz 101 zu rechtfertigen, verzerrte unsere Zeitung Lenin und machte ihn zu einem Verfechter von Trudeauscher Zweisprachigkeit, d. h. zu einem Verfechter der nationalen und sprachlichen Unterdrückung. Nachfolgend ist eines der klassischen Zitate, die SC benutzte, um dieses defensive Gesetz zu verurteilen:

„Das ist der Grund, weshalb die russischen Marxisten sagen, es ist notwendig, dass keine obligatorische Staatssprache besteht, wobei der Bevölkerung Schulen zu gewährleisten sind mit Unterricht in allen regionalen Sprachen, und wobei ein grundlegendes Gesetz in die Verfassung aufzunehmen ist, wonach alle wie immer gearteten Privilegien der einen oder anderen Nation, alle wie immer gearteten Verstöße gegen die Rechte einer nationalen Minderheit für ungültig erklärt werden.“

– „Ist eine obligatorische Staatssprache notwendig?“, Januar 1914

In diesem Abschnitt bekräftigt Lenin, dass er gegen die zwangsweise Durchsetzung einer Amtssprache ist – Russisch, der Sprache der Unterdrücker. Das zeigt sich sehr deutlich im Zitat aus demselben Artikel:

„Was heißt das, obligatorische Staatssprache? Praktisch heißt das, dass die Sprache der Großrussen, die die Minderheit der Bevölkerung Russlands bilden, der ganzen übrigen Bevölkerung Russlands aufgezwungen wird. In jeder Schule soll der Unterricht der Staatssprache obligatorisch sein. Sämtliche Amtsgeschäfte sollen unbedingt in der Staatssprache und nicht in der Sprache der örtlichen Bevölkerung geführt werden.“

– ebd.

Für SC steht die Welt auf dem Kopf: Die russische Sprache im Zarenreich wird mit der französischen Sprache in Montréal verglichen. Die Sprache der Unterdrückten wird zur Sprache der Unterdrücker!

Mit der Behauptung, generell „Zwang“ durch jeglichen Staat abzulehnen, verteidigte unser Programm in Wirklichkeit die sprachliche Unterdrückung der Québécois durch den kanadischen Staat. In Spartacist Canada Nr. 2 (November/Dezember 1975) schrieben wir:

„Die einzige von Lenin hinzugefügte Einschränkung ist, dass eine derartige Assimilierung von Nationen nicht auf ,Zwang oder Privilegien…‘ beruhen darf.

Dieses Prinzip trifft auf alle Bereiche des sozialen Lebens zu. Sowohl die französische als auch die englische Sprache muss am Arbeitsplatz und in der Schule als gleichberechtigt anerkannt werden, wobei Immigranten, die weder des Französischen noch des Englischen mächtig sind, besonders unterstützt werden. Für dieses Prinzip müssen wir im Kapitalismus kämpfen, um es unter einer Arbeiterregierung schließlich zu verwirklichen.“

Der Artikel in SC rief 1975 die Arbeiter von Québec dazu auf, für die englische Sprache derselben Bosse zu kämpfen, von denen sie angeschnauzt wurden: „speak white!“ Gleichzeitig wurde nicht einmal in Betracht gezogen, dass die Québécois mittels des Gesetzes 101 für die Verteidigung ihrer eigenen Existenz kämpften. Für SC bestand das „Problem“ darin, dass die Québécois mittels des „Zwangs“ des Gesetzes 101 die Anglofonen von der Ausübung ihres „Rechts“ auf Unterdrückung abhalten würden. Lenin seinerseits unterstützte die Ausübung von Zwang seitens der Unterdrückten, um ihre Existenz zu verteidigen:

„Die Sozialisten verstanden unter einem ,Verteidigungs‘krieg stets einen in diesem Sinne ,gerechten‘ Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte). Nur in diesem Sinne erkannten und erkennen jetzt noch die Sozialisten die Berechtigung, den fortschrittlichen und gerechten Charakter der ,Vaterlandsverteidigung oder des ,Verteidigungs‘krieges an. Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Russland usw. den Krieg erklärten, so wären das ,gerechte‘ Kriege, ‚Verteidigungskriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die ,Groß‘mächte – sympathisieren.“

– „Sozialismus und Krieg“, 1915

IV. Der Kampf in Kanada

Die Internationale Konferenz unterstützt die programmatischen Schlussfolgerungen der historischen Konferenz der Trotskyist League (TL) im November sowie des Plenums ihres Zentralkomitees (ZK) im Dezember 2016. Diese Kämpfe markierten einen Bruch mit der anglochauvinistischen Politik, die die Sektion geprägt hatte, und sie legten die Grundlage für eine wirklich leninistische Herangehensweise an die nationale Frage in Québec. Von 1975 bis 1995 hatte die Sektion ein anglochauvinistisches Programm der Assimilierung. Die Konferenz weist die vor 1995 erschienenen Artikel zu Québec zurück, die alle offen die Unterdrückung Québecs durch Kanada verteidigen. Gerade zu dem Zeitpunkt, als Kämpfe gegen nationale Unterdrückung den Klassenkampf der Arbeiter entfachten, polemisierten wir gegen die Losungen unserer politischen Gegner, die für ein unabhängiges Québec unter dem Sozialismus auftraten, und verurteilten diese als reaktionär, utopisch und eine Kapitulation vor dem Nationalismus. Wir treten für die Unabhängigkeit ein: unter dem Kapitalismus sowie in einem Arbeiterstaat. Unsere Perspektive ist es, das revolutionäre Potential der nationalen Befreiungskämpfe in Québec zu entfesseln: Für eine Arbeiterrepublik Québec!

Die Genossen aus Montréal hatten Recht mit ihrer Ablehnung des Artikels über die Flugverkehrskontrolle von 1976. Wie sie in ihrem Dokument vom 24. Oktober 2016 betonten:

„Dieser Artikel wurde für englisch-kanadische Arbeiter geschrieben und schürt Ahornblatt-Chauvinismus, statt ihn zu bekämpfen. In seiner ganzen Ausrichtung stellt der Artikel eine Kapitulation vor Québécois-feindlichen Tendenzen in der Arbeiterbewegung dar und er verhöhnt den gerechten Kampf der Québécois, am Arbeitsplatz Französisch benutzen zu können.“

Gleichzeitig muss diese korrekte Opposition zu dem Artikel getrennt werden von der Frage der Sprache im Flugverkehr. Was die Flugsicherheit betrifft, waren die Streiks von CALPA (Canadian Airline Pilots Association) und CATCA (Canadian Air Traffic Control Association) unterstützenswert. Für uns als Avantgarde ist der wesentliche Punkt, dass es für den Flugverkehr eine einzige Sprache geben sollte. Die angemessenste Sprache für die Flugverkehrskontrolle wäre (mexikanisches) Spanisch – Aussprache und Grammatik sind logisch, es wird so geschrieben, wie es gesprochen wird und ist dadurch relativ leicht zu erlernen. Außerdem wird Spanisch in Nord- und Südamerika sowie in Spanien gesprochen und hat damit eine bedeutende geographische Verbreitung. Kurz gesagt, es ist eine Weltsprache.

Die einzige konsequent marxistische Position war es, für die Unabhängigkeit von Québec von dem Zeitpunkt an einzutreten, als es durch eine andere Nation unterdrückt wurde, nämlich seit der Eroberung im Jahr 1759. Unser Aufruf zur Unabhängigkeit Québecs seit 1995 stellte eine qualitative Verbesserung unseres Programms in der nationalen Frage dar. Dennoch hatte diese Änderung unserer Linie einen zentristischen Charakter, da sie immer noch im Rahmen des Anglochauvinismus blieb. Das ist die Kernfrage, die der Kampf in Kanada ans Licht gebracht hat.

Diese Konferenz weist die Losungen für eine „Nordamerikanische Sozialistische Revolution“ und eine „Sozialistische Revolution vom Yukon bis nach Yucatán“ zurück. Diese Losungen verwischen die nationalen Unterschiede zwischen Québec, dem englischsprachigen Nordamerika und Mexiko. In unserer Presse wurden diese Losungen ständig im Sinne einer Assimilierung verwendet, wobei die Integration der Québécois in das übrige Amerika als der einzige Weg dargestellt wurde, ihre nationale Emanzipation sicherzustellen.

Nach ihrer formalen Linienänderung 1995 kapitulierte die TL weiterhin vor dem Druck der bürgerlichen Gesellschaft Kanadas, insbesondere dem Trudeauismus und dessen Ideologie des „Multikulturalismus“, indem sie die strategische Bedeutung der nationalen Frage herunterspielte. Beispielsweise wurde unser einziger aus Québec stammender Genosse marginalisiert und des Nationalismus verdächtigt. Die Arbeit in Montréal war keine Priorität der Sektion und blieb lange Zeit auf englischsprachige Unis konzentriert. Es wurde nie ernsthaft versucht, eine französischsprachige Zeitung zu gründen, die es uns ermöglicht hätte, wirksam in die Gesellschaft von Québec zu intervenieren. Und die Sektion verfolgte keinerlei Perspektive, dass Genossen Französisch lernen. Und schließlich weigerte sich die alte Führung, die Québécois zu verteidigen, die 2010 bei den Demonstrationen gegen den G20 Gipfel gezielt der Repression ausgesetzt waren.

Es war trotz ihrer Kapitulation vor dem Anglochauvinismus, dass die Partei es schaffte, 2014 eine Gruppe von Kadern aus Québec zu gewinnen. Anstatt dass die Rekrutierung dieses Mitgliederkerns als eine für die TL entscheidende Fusion betrachtet wurde – die es möglich macht, eine binationale revolutionäre Partei zu gründen mit der Perspektive, zwei Parteien in zwei Staaten zu errichten –, wurden diese Genossen wie eine Jugendgruppe und als „dritte Ortsgruppe“ des englischen Kanadas behandelt. Die Genossen in Montréal wurden durch hirnlosen administrativen Kleinkram und sterilen Aktivismus erstickt, statt entsprechend ihrer offensichtlichen politischen Kapazitäten eingesetzt zu werden. Angesichts der jahrhundertelangen Unterdrückung der Nation von Québec in Kanada muss die TL danach streben, zu einer zu 70 Prozent aus Québécois und Angehörigen anderer Minderheiten bestehenden Partei zu werden. In der Tat gehörten die Genossen aus Québec zu denjenigen, die diesen politischen Kampf mit der größten Klarheit vorantrieben, und sie bilden den Kern der neuen Führung der kanadischen Sektion.

VI. Internationales Sekretariat

Seit dem Zusammenbruch der UdSSR sind Politik und Funktionieren des IS durch eine Anpassung an den amerikanischen Imperialismus deformiert. Diese Haltung hat Genosse Robertson einmal mit Sinowjews „Generalstab der Weltrevolution“ verglichen. Bereits unter Sinowjew in der Zeit nach der Russischen Revolution war dieses Konzept arrogant und bombastisch; bezogen auf unsere Internationale war es ein offener Ausdruck von angloamerikanischem Exzeptionalismus. Die Vertreter, die das IS nach Mexiko, Griechenland, Québec und Südafrika schickte, verhielten sich im Allgemeinen bevormundend, als seien sie auf einer „zivilisatorischen“ Mission. Die überhebliche Haltung, die diese Genossen an den Tag legten, rührte überwiegend nicht aus ihren persönlichen Schwächen her, sondern aus einer politischen Anpassung an imperialistische Arroganz. Im Laufe vieler opportunistischer Kampagnen hat das IS bewusste bolschewistische Arbeit ersetzt durch überzogenen administrativen Kram. Wie Genossen unserer griechischen Sektion betonten (März 2017): „Das offenbart eine völlig falsche politische Auffassung, wonach ,Regeln das Programm bestimmen‘, statt dass, wie es sein sollte, ,das Programm die Regeln bestimmt‘.“ Die aus unterdrückten Nationen stammenden Genossen, die zum Internationalismus gewonnen wurden, neigten dazu, die eigene Unterdrückung zu verinnerlichen und diese Funktionsweise zu akzeptieren, um nicht als Nationalisten abgestempelt zu werden. Unsere revolutionäre Kontinuität reicht von Lenin über Trotzki bis Cannon und den Genossen Robertson, also über die USA – eine Situation, die den angloamerikanischen Genossen eine manchmal unberechtigte und unverdiente Autorität verliehen hat. Die Konferenz weist diese gegen den Internationalismus gerichtete Politik zurück. Eine trotzkistische Internationale, die diesen Namen verdient, kann nicht auf einer solchen Grundlage aufgebaut werden. Diese Missbräuche werden nicht länger geduldet werden.

[...]

VIII. Die Ligue trotskyste de France: Das Hexagon und der Chauvinismus

Das chauvinistische Programm zur nationalen Frage „made in USA“ fiel in unserer französischen Sektion auf fruchtbaren Boden. Die Ligue trotskyste de France (LTF) wiederholte in der Propaganda die Lüge, dass Frankreich einig und unteilbar sei, und schrieb zahlreiche Artikel, in denen sie die Integrität des Hexagons verteidigte und nationale Befreiungskämpfe als reaktionär darstellte. Vor 1998 leugnete die LTF die Existenz unterdrückter Nationen in Frankreich, indem sie sich auf den Mythos berief, die Französische Revolution hätte die nationale Frage gelöst. Sie schrieb: „In Frankreich stärkte die Grande Révolution die Herrschaft der Bourgeoisie über die alten feudalen Provinzen unter dem jakobinischen Banner der einigen und unteilbaren Nation“ („Raid gestapiste au Pays basque“, Gestapo-artiger Angriff im Baskenland, le Bolchévik Nr. 78, November/Dezember 1987).

Angetrieben durch Genossen in New York und Britannien (von wo aus es leichter war, den französischen Chauvinismus anzuprangern) korrigierte die LTF 1997 teilweise diese Linie zum Baskenland. Nicht nur unterließ es die Sektion, zum Verfechter nationaler Minderheiten in Frankreich zu werden, in Wirklichkeit durchbrach sie nie gänzlich den Rahmen des französischen Chauvinismus. Nationale Fragen wurden mit Gleichgültigkeit behandelt, womit im Grunde die feindliche Haltung gegen jede Grenzänderung am Hexagon kaschiert wurde. Nach 1998 veröffentlichte die LTF weiterhin Artikel, in denen sie sich offen gegen die Unabhängigkeit von Korsika, dem Baskenland und Guadeloupe aussprach. Gleichzeitig präsentierte sie das Schicksal dieser Nationen so, als hinge es großteils vom französischen Proletariat ab, und leugnete die Möglichkeit, dass der Kampf gegen nationale Unterdrückung zur treibenden Kraft für Revolutionen in diesen Gebieten selbst werden könne.

Die LTF hielt die nationalen Fragen der Basken und der Katalanen im Wesentlichen für spanische Fragen. In Wahrheit sind die nationalen Fragen der Basken und Katalanen die nationalen Fragen der LTF. Statt der Internationale dabei zu helfen, ein leninistisches Programm zu diesen Fragen zu entwickeln, hat die LTF diese Arbeit ständig blockiert. Im Verlauf dieses Kampfes ist die französische Führung an diese Probleme auf vorschnelle und oberflächliche Weise herangegangen, anstatt ihre nationalen Fragen ernsthaft marxistisch zu untersuchen. Dieses Vorgehen hat lediglich mehr Verwirrung und weitere Abweichungen in die Diskussion hineingetragen. Ein Indiz der nationalen Beschränktheit der Sektion ist ihre Isolation von der restlichen Internationale. Mit Ausnahme des zentralen Führungsgenossen der Sektion haben die französischen Genossen nur wenig Austausch mit der übrigen IKL. Die Führung der französischen Sektion muss regelmäßige Reisen der Mitglieder in andere Länder bewusst fördern.

Das Baskenland und Katalonien

Es gibt eine baskische Nation und eine katalanische Nation, die jeweils durch zwei kapitalistische Staaten geteilt und unterdrückt werden. Die Unterschiedlichkeit der nationalen Gefühle in den nördlichen und südlichen Provinzen des Baskenlandes und Kataloniens spiegeln die Unterschiede in der kapitalistischen Entwicklung Spaniens und Frankreichs wider.

Auf der spanischen Seite spielten die Katalanen und die republikanischen Basken eine Vorreiterrolle in der Spanischen Revolution der 1930er-Jahre. Nach deren Niederlage stärkte die Zuwanderung von zehntausenden Flüchtlingen wieder die nationale Vitalität der in Frankreich gelegenen nördlichen Teile dieser Nationen. Unter Franco waren alle Sprachen außer dem Kastilischen verboten, was in der Losung „eine Nation, groß und frei“ verkörpert war. Die 1932 von der Republik in Kraft gesetzten Autonomiestatuten wurden aufgehoben. Das Franco-Regime führte brutale Strafmaßnahmen zur Repression unterdrückter Nationen durch, symbolisiert durch die Nazi-Flächenbombardierung der baskischen Stadt Guernica 1937 nach Aufforderung Francos. Als Ergebnis dieser Unterdrückung verliefen die Kämpfe der unterdrückten Nationen nach Francos Tod 1975 hauptsächlich entlang nationaler Linien im Gegensatz zu den 1930er-Jahren, als die Arbeiterklasse dieser beiden Nationen direkt um die Macht kämpfte.

In Spanien wurde die Bourbonen-Monarchie auf Geheiß von Generalissimo Francisco Franco wiederhergestellt und ihre Herrschaft durch die spanische Verfassung von 1978 festgeschrieben. Die Wiedereinführung der Monarchie war für die Stabilisierung des kastilischen Zentralstaats und die weiter andauernde gewaltsame Eingliederung der unterdrückten Nationen in Spanien entscheidend. Um den spanischen Staat zu stabilisieren, wurde dem Baskenland und Katalonien – und anderen Regionen – größere Autonomie zugestanden. Das steht im Gegensatz zum „glorreichen“ republikanischen Frankreich (dem „Land der Menschenrechte“), wo bis heute die unterdrückten Nationen weder Sprachenrechte haben noch gesetzlich anerkannt sind. Besonders im Baskenland erfährt die Bevölkerung genauso starke Repression wie in Spanien. Die historische Schwäche der kastilischen Bourgeoisie verglichen mit der baskischen und der katalanischen Bourgeoisie, die Niederlage der Spanischen Revolution und die daraus hervorgegangene Franco-Diktatur haben dazu geführt, dass die treibende Kraft der Unabhängigkeitsbewegungen in Katalonien und im Baskenland aus den Regionen kommt, die gewaltsam in den Grenzen Spaniens gehalten werden. Daher hängt das Schicksal der Provinzen, die gewaltsam in den Grenzen Frankreichs gehalten werden, in hohem Maße davon ab, was auf der spanischen Seite der Grenze geschehen wird. Wir rufen zur Unabhängigkeit des Baskenlandes und Kataloniens auf, im Norden wie im Süden. Wenn die baskische oder katalanische Region von Spanien unabhängig wird, würde sich ihr wahrscheinlich die entsprechende Region in Frankreich anschließen wollen. Wenn sie Teile Frankreichs bleiben wollten, würden wir ihr Recht verteidigen, ihre jeweilige Selbstbestimmung auf diese Weise auszuüben.

Jan Norden, zu der Zeit Chefredakteur von Workers Vanguard, war zentral verantwortlich für unsere Linie gegen die nationalen Befreiungskämpfe in Katalonien und im Baskenland südlich der spanisch-französischen Grenze. Die LTF ihrerseits ist zentral verantwortlich für unsere chauvinistische Linie zum Baskenland und zu Katalonien nördlich dieser Grenze. In den Jahren vor und nach Francos Tod wurde Spanien von bedeutenden Arbeiterkämpfen erschüttert, die zu einer Radikalisierung der Gesellschaft führten. Obwohl der Kampf gegen nationale Unterdrückung bei diesen Mobilisierungen eine zentrale Rolle spielte, ignorierte WV, der regelmäßig Artikel zu diesen Ereignissen brachte, diese Frage ganz und gar. Dieses Stillschweigen muss bewusst gewesen sein und drückt Feindseligkeit gegenüber dem Schicksal von Nationen aus, die vom spanischen Staat unterdrückt werden. In unserem ersten Artikel zu dieser Frage von 1979 lancierten wir dann eine üble Polemik in Verteidigung der Unterdrückung Kataloniens.

Diese Konferenz widerruft den Artikel „Spanish LCR Pays Homage to Catalan Bourgeois Nationalism“ (WV Nr. 233, 8. Juni 1979). Dieser Artikel ist eine krasse Kapitulation vor kastilischem und französischem Chauvinismus und eine Perversion des Leninismus in der nationalen Frage. Wir zitieren eine Polemik von Lenin gegen „national-kulturelle Autonomie“ und benutzen dabei skandalöserweise seine Argumente, um uns nicht nur gegen Unabhängigkeit, d. h. Abtrennung, zu stellen, sondern auch gegen Autonomie:

„Leninisten haben immer darauf bestanden, dass die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung etwas ganz anderes ist als ein Aufruf zu ihrer Durchführung, d. h. Unabhängigkeit. Und Spanien ist eines der klarsten Beispiele, wo Kommunisten erbittert darum kämpfen würden, die Einheit der Arbeiterklasse im Rahmen des jetzigen Staates aufrechtzuerhalten.“

Dieser groteske Artikel ist ein Treueschwur zur Verteidigung der Einheit Spaniens. WV fungierte als Wasserträger für die Bourgeoisie und die Monarchie im Kampf gegen die nationale Befreiung der Katalanen und Basken.

Der Artikel behauptet außerdem:

„Die baskischen und katalanischen Regionen, obwohl sie unter der Diskriminierung des Staatsapparats Francos leiden mussten (Sprachverbote, Verteilung staatlicher Leistungen, Repressionen), waren die am höchsten entwickelten Regionen des Landes, die über den Kern der spanischen Industrie verfügten. Sollten sie sich lostrennen, würden die zwei größten, am besten organisierten und kämpferischsten Sektoren des Proletariats abgezogen, was die Arbeiterbewegung im restlichen Spanien stark schwächen und eine erhebliche Niederlage der europäischen Arbeiterrevolution darstellen würde.“

In Wirklichkeit wäre die Unabhängigkeit von Katalonien und des Baskenlands ein Schritt vorwärts für die Arbeiterbewegung in Europa. Dies trifft heute umso mehr zu, wo das Auseinanderbrechen Spaniens die Europäische Union – ein reaktionärer imperialistischer Block – enorm destabilisieren würde.

Das Problem mit dem Herangehen der LTF an die baskische und katalanische Frage lässt sich mit folgender Feststellung eines baskischen Nationalisten zusammenfassen: „Es gibt kein baskisches Problem in Frankreich, sondern ein französisches Problem im Baskenland… Der Kampf des Baskenlandes wird solange dauern, wie es Basken gibt“ (James E. Jacob, The Hills of Conflict: Basque Nationalism in France, Reno, University of Nevada Press, 1994). Im Jahr 1987, gerade als der französische Staat die Basken brutal unterdrückte, veröffentlichte die LTF einen Artikel („Raid gestapiste au Pays basque“), der hauptsächlich die Forderungen der Basken nach nationalen Rechten angriff. Wir schrieben: „Es gibt allerdings keine nationale Frage im französischen Baskenland, aber die militärische Belagerung durch [die Polizeiminister] Pasqua und Pandraud könnte durchaus dazu führen, dass eine solche ins Leben gerufen wird!“ Der Artikel fährt mit einer Polemik gegen ein „vereinigtes, sozialistisches Euskadi“ fort: „Selbstbestimmung stellt sich nicht für die baskische Region“. Die gewaltsame Assimilierung der Basken in Frankreich wird als eine Errungenschaft der Französischen Revolution dargestellt.

Diese Probleme wurden nur äußerst geringfügig korrigiert, als die LTF 1998 das Recht auf Selbstbestimmung der Basken in Frankreich anerkannte. Die Internationale und die LTF verwarfen die vorherige politische Linie, jedoch in unehrlicher Weise, die das ganze Ausmaß des Chauvinismus im Artikel von 1987 vertuschte. Auf jeden Fall haben wir unsere Opposition gegen die Unabhängigkeit des Baskenlandes sowie jeder anderen Nation, die innerhalb des Hexagons festgehalten wird, niemals einer Prüfung unterzogen.

Als 2014 die Frage der Unabhängigkeit für Katalonien aufgeworfen wurde, entschied sich die LTF, nicht dafür eintreten zu wollen. Anstatt beim Ausbruch des aktuellen Kampfes in der Internationale ihr Herangehen an diese Frage zu überprüfen, verfasste die LTF vorschnell einen Artikelentwurf, dessen Linie ihrer Position vor 1998 ähnelt. In einem Brief an die LTF stellte Genosse Sacramento fest:

„In eurem Entwurf setzt ihr im Grunde den Nationalismus der Unterdrückten mit dem Nationalismus der Unterdrücker gleich, indem ihr Lenin falsch zitiert, um salomonisch den ,aggressiven bürgerlichen Nationalismus‘ anzuprangern. Bewusst hebt ihr hervor, dass ihr für die Unabhängigkeit der Basken und Katalanen ,in Spanien‘ seid, während ihr im nächsten Absatz gerade mal erwähnt, dass wir jenseits der Grenze ,ihr Recht sich einem unabhängigen Baskenland anzuschließen‘ unterstützen. Mit dieser Formulierung erwähnt ihr nicht explizit ihr Recht, sich von Frankreich abzutrennen, egal was der andere Teil der Nation auf der Südseite der Grenze tun mag. Und wie immer findet ihr einen Weg, die Katalanen in Frankreich zu ignorieren.“

2014 nahm das IEK gegen anfängliche Einwände der LTF die Position an, dass wir für die Unabhängigkeit des Baskenlands und Kataloniens eintreten. Diese Änderung stellte eine qualitative Verbesserung unseres Programms dar. Jedoch brachen wir damit noch nicht völlig mit den Schwächen unserer bisherigen Methodik: Die Bestrebungen der Unterdrückten nach nationaler Befreiung wurden weiterhin als ein Hindernis für proletarischen Klassenkampf aufgefasst, das wir „vom Tisch kriegen“ mussten. Wir sind für Unabhängigkeit – hier und jetzt – und wir kämpfen bewusst dafür, den Kampf für nationale Befreiung in Richtung sozialistische Revolution zu führen. Unser Programm lautet Arbeiterrepubliken in Katalonien und im Baskenland.

Bis zum heutigen Tag war unser Hauptargument für die Unabhängigkeit des Baskenlandes und Kataloniens, dass diese die Klasseneinheit mit der kastilischen Arbeiterklasse stärken würde. In Bezug auf Katalonien beruhte unsere Forderung nach Unabhängigkeit auf einer empirischen und konjunkturellen Einschätzung im Zusammenhang mit dem Referendum von 2014. Über hunderte von Jahren haben die Basken und Katalanen gegen die Assimilierung gekämpft und dabei ihren Wunsch ausgedrückt, als Nation zu existieren. Eine weitere Schwäche unserer letzten Artikel liegt darin, dass nicht ausdrücklich die Abschaffung der Monarchie gefordert wird. Der Kampf für Unabhängigkeit heißt auch, dieses francoistische Geschwür auszumerzen. Nieder mit der Monarchie!

Korsika

Seit über zweihundert Jahren leistet Korsika Widerstand gegen die Assimilierung durch Frankreich. Im März 2017 sprach sich die LTF für die Unabhängigkeit Korsikas aus. Die vorherige Behandlung dieser Frage seitens der Sektion stinkt allerdings nach chauvinistischen Vorurteilen. So behauptete ein unlängst von der LTF zurückgewiesener Artikel:

„Darüber hinaus unterliegt das unterentwickelte Korsika der rückständigen Herrschaft der Klans – wahre Parasiten, die von der halboffiziellen Veruntreuung der Pfründe des Zentralstaats leben und ihre Macht erhalten durch Vetternwirtschaft, die an Sizilien erinnert. Jeder weiß, wo die „Pauschale zum Länderausgleich“ [enveloppe de continuité territoriale] landet: Um die Klans zu mästen, die sich mit dem Mantel der linken Radikalen schmücken, bei der RPR [Rassemblement pour la République – rechtsgerichtete Partei] sowie anderen ,Bonapartisten‘, die die Insel mit staatlicher Unterstützung in lukrativer Rückständigkeit halten.“

– „Corse: la grève défie le gouvernement“, Korsika: Streik trotzt Regierung, le Bolchévik (LB) Nr. 92, April 1989

Diese Aussage wiederholt jedes rückständige antikorsische Vorurteil, das in Frankreich kursiert, und zeigt Verachtung für die berechtigten nationalen Bestrebungen des korsischen Volkes. Im Artikel steht auch: „Obwohl es heute keine ,korsische Nation‘ gibt, gibt es trotzdem ein korsisches nationales Problem.“ Das stammt fast Wort für Wort von der Bourgeoisie: „Es gibt kein korsisches Problem, es gibt Probleme auf Korsika“ (Valéry Giscard d‘Estaing).

Noch vor kurzem vertrat die LTF in dem Artikel, „Yvan Colonna, victime d’une machination policière, est innocent – Libération immédiate!“ (Yvan Colonna, Opfer eines Polizeikomplotts, ist unschuldig – Freiheit jetzt!, LB Nr. 197, September 2011) eine Position, die de facto gegen Korsikas Unabhängigkeit ist:

„Wir sind gegen die Vision und das Programm des Nationalismus, dessen grundlegendes Ziel die Errichtung eines kapitalistischen Regimes im nationalen Rahmen ist. Aus Sicht der kleinbürgerlichen Nationalisten ist die gesamte herrschende Nation der Feind. Diese Perspektive führt immer zu Fällen von wahlloser Gewalt gegen die Arbeiter der herrschenden Nation.“

Diese Aussage stellt nicht nur eine chauvinistische Verteidigung der Einheit Frankreichs dar, sie ist auch völlig falsch. Die Genossen der LTF müssen sich mit der nationalen Frage Korsikas ernsthaft befassen.

IX. Belgien

Unser Ausgangspunkt in Bezug auf Belgien muss Opposition gegen die künstliche Einheit dieses Landes sein. In Wirklichkeit haben Flamen und Wallonen niemals freiwillig der Vereinigung ihrer Nationen in einem gemeinsamen Staat zugestimmt. Die gegenwärtige föderale Struktur ist ein Hindernis für die vollständige Selbstbestimmung der Flamen und Wallonen, die beide in einem Unterdrückerstaat gefangen sind. Die Bourgeoisie hat wiederholt nationale Spannungen in ihrem eigenen Interesse ausgenutzt, auch um die Arbeiterbewegung zu spalten. Wir treten ein für das Auseinanderbrechen Belgiens und das Recht auf Selbstbestimmung für sowohl die Flamen als auch für die Wallonen. Die deutschsprachige Minderheit sollte ebenfalls frei über ihr Schicksal entscheiden können. Das Aufbrechen Belgiens geht Hand in Hand mit dem Kampf gegen die imperialistischen Institutionen, die die Einheit des Landes künstlich aufrechterhalten – Monarchie, NATO und Europäische Union. Unsere Perspektive ist der Aufbau einer binationalen Partei mit dem Ziel zweier Arbeiterparteien als Sektionen der Internationale.

Schon 1995 griff Genosse Robertson das Beispiel der nationalen Frage in Belgien auf, in dem Bemühen, eine Überprüfung unserer Linie zur Unabhängigkeit von Québec zu motivieren. Während die LTF über die Jahre hinweg versuchte, mit dieser Frage umzugehen, wobei sie aber zögerte, sie programmatisch zu klären, stand das IS der Frage größtenteils gleichgültig gegenüber. Im August 2016 verabschiedete das ZK der LTF einen Antrag, in welchem dem IS empfohlen wurde, zur Unabhängigkeit von Flandern aufzurufen. Motiviert wurde diese Linie hauptsächlich mit unserer alten Methodik, d. h. um die Frage „vom Tisch zu bekommen“, und innerhalb eines empiristischen Rahmens. Die Genossen, die anschließend an dieser Frage und am ersten Entwurf dieses Konferenzdokumentes arbeiteten, teilten alle mehr oder weniger eine falsche Grundauffassung, indem sie die Frage durch die Brille von Québec und Kanada betrachteten und herausfinden wollten, „welche Nation die andere unterdrückt“. Die historische Unterdrückung der Flamen ist unstrittig, aber das Verhältnis zwischen den beiden Nationen hat sich seit den 1960ern qualitativ verändert. Außerdem impliziert der Aufruf nach Unabhängigkeit für Flandern, dass Wallonien in gewisser Weise das „echte“ Belgien bleibt, aber tatsächlich ist die Einheit des Landes an sich schon ein künstliches Konstrukt. Eine historische Herangehensweise ist notwendig, um die Besonderheiten Belgiens zu verstehen.

Der Übergang vom feudalen zum kapitalistischen System in den Gebieten des heutigen Belgien fand fast ausschließlich unter ausländischer Herrschaft statt. Die protestantisch dominierten nördlichen Provinzen der Niederlande wurden formal im Jahr 1648 unabhängig, doch die auch heute noch katholischen südlichen Provinzen (die das heutige Belgien bilden) blieben noch bis 1700 unter der Herrschaft des spanischen Zweigs der Habsburger, 1713 gefolgt vom österreichischen Zweig der Habsburger. 1789 fand in diesen Provinzen eine erste gescheiterte Revolution statt, die Brabanter Revolution. Kurz darauf wurden sie gewaltsam von Frankreich annektiert. Nach der Niederlage Napoleons 1814 wurde das Schicksal dieser Provinzen unter den von Großbritannien angeführten Koalitionsmächten diskutiert. In der Folge nutzte der niederländische König die Rückkehr Napoleons und den Kriegszustand von 1815, um das Gebiet militärisch zu besetzen. Eine Übereinkunft der europäischen Mächte beim Wiener Kongress sprach dem König der Niederlande das Recht zu, diese Provinzen – ungeachtet ihres Willens – als Teil seines Königreichs zu beanspruchen. Britannien sah darin die Möglichkeit, einen „Pufferstaat“ zwischen Frankreich und anderen europäischen Mächten zu errichten. Erst im Jahr 1830 vollführte die Bevölkerung dieser Provinzen, unter dem Einfluss der Juli-Revolution in Frankreich, ihre „eigene“ von französischsprachigen Kräften geführte Revolution bürgerlichen Typs durch, die man als teilweisen Ausdruck von Selbstbestimmung ansehen kann.

Das heutige Belgien ist im Wesentlichen Produkt der Politik und Kompromisse der Großmächte jener Zeit. Die Möglichkeit, das Gebiet zwischen Britannien, Frankreich und Preußen aufzuteilen, wurde 1830 ernsthaft in Erwägung gezogen; allerdings war Britannien zu jener Zeit die größte europäische Macht, die eine französische Annexion dieses Gebietes unter keinen Umständen zugelassen hätte. Gleichzeitig wollte Britannien einen neuen europäischen Krieg vermeiden, und Frankreich war absolut dagegen, dass Britannien sich auch nur das kleinste Stückchen Land auf dem Kontinent unter den Nagel riss. Deshalb entschied sich die Londoner Konferenz für die Schaffung eines unabhängigen Staates (in Wirklichkeit ein britischer „Klientenstaat“). Bedroht wurden die Flamen und Wallonen einerseits von den Niederlanden sowie andererseits davon, von Frankreich, Britannien und Preußen annektiert und zerrissen zu werden; sie haben niemals wirklich entschieden, ihre Nationen zu vereinen; sie wurden von den historischen Umständen dazu gezwungen.

Außerdem waren im Jahr 1830 die flämischen und wallonischen Nationen noch nicht vollständig herausgebildet. In Flandern war die Sprache sehr uneinheitlich und in verschiedene Dialekte zersplittert, es bestanden deutliche Unterschiede zwischen den wichtigsten Städten und die Eliten adliger oder bürgerlicher Herkunft waren französischsprachig. Unter diesen Umständen ging der erzwungene Zusammenschluss dieser beiden Nationen notwendigerweise auf Kosten der flämischen Nation. Bereits 1840 machten die Flamen sprachliche Rechte geltend, um sich gegen die Assimilationspolitik der französischsprachigen Elite zur Wehr zu setzen. Die flämischen Arbeiter und Bauern waren doppelt unterdrückt, sowohl wirtschaftlich als auch national, und sie waren ganz ans untere Ende der Gesellschaftsordnung verbannt. Erst nach den 1870er-Jahren wurden den Flamen einige Sprachenrechte im rechtlichen und schulischen Bereich formal zugestanden; außerdem wurde erst 1967 eine niederländische Version der Verfassung anerkannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die relative Situation der beiden Nationen jedoch, was seit Beginn der 1960er-Jahre qualitativ wurde. Beginnend mit den 1950er-Jahren fand eine signifikante Kapitalverschiebung vom Süden in den Norden statt und verfallende wallonische Industriezweige wurden auf flämischem Gebiet durch modernere ersetzt: Der Niedergang des Kohlebergbaus und der Schwerindustrie (hauptsächlich in Wallonien angesiedelt) ging einher mit einem Aufschwung der Ölindustrie und verwandter Sektoren wie der petrochemischen, der Automobil- und der Stahlindustrie, die sich nahe des Hafens von Antwerpen und an der flämischen Küste entwickelten.

Die historische Entwicklung der nationalen Frage in Belgien zeigt, dass die „Einheit“ dieses Landes künstlich ist und nicht auf der freien Entscheidung der Nationen basiert, die innerhalb der belgischen Grenzen leben. Historisch wurde die Möglichkeit einer freien Assoziation beider Nationen durch die Dynamik zwischen den europäischen Großmächten jener Zeit verhindert sowie durch die Tatsache, dass die Belgische Revolution von 1830 zur Machtübernahme einer französischsprachigen Bourgeoisie führte. Heute befinden sich die Flamen ökonomisch in einer günstigen Situation, doch der Rahmen des Einheitsstaats Belgien unterdrückt beide Nationen, keine ist zur vollen Selbstbestimmung in der Lage. Einhergehend mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Flamen verfolgte das Land in den folgenden Jahrzehnten eine so weitgehende Politik der sprachlichen und kulturellen „Autonomisierung“, dass sich Flamen und Wallonen heute gegenseitig als Ausländer innerhalb desselben Staates ansehen. Angesichts dieser widersprüchlichen Situation, in der die nationale Frage das Land scharf spaltet, aber das Schicksal beider Nationen unklar ist, lautet unsere Antwort schlichtweg: Trennt euch!

Der Einfluss Britanniens im besonderen und in geringerem Maß auch Frankreichs auf die Entstehung des Landes spiegelt sich in der Form der konstitutionellen Monarchie wider, die 1830 errichtet wurde. Die Briten bestimmten einen nahen Verwandten der eigenen Krone, Leopold von Sachsen-Coburg, der dann die Tochter des „Königs der Franzosen“ Louis-Philippe heiratete. Die Monarchie fungiert nicht nur als Sammelpunkt für reaktionäre Kräfte, besonders in einer revolutionären Situation, sondern ist auch eine der Säulen, die heute die unterdrückerische Einheit von Belgien künstlich aufrechterhalten. Die Aufteilung Belgiens würde wahrscheinlich gleichzeitig diesen Beigeschmack des Feudalismus beseitigen; unsere Linie für das Aufbrechen dieses Landes muss verknüpft sein mit der Forderung: Nieder mit der Monarchie!

Brüssel ist eine französischsprachige Enklave auf flämischem Gebiet. Die Stadt war zur Zeit der Gründung Belgiens mehrheitlich flämischsprachig und ihre Französisierung ist ein Ergebnis der Assimilierungspolitik der französischsprachigen Bourgeoisie. Heute spricht nur noch eine sehr kleine Minderheit in der Region Brüssel-Hauptstadt Niederländisch. Ein bedeutender Anteil der Stadtbevölkerung stammt von Immigranten ab und ein anderer bedeutender Anteil arbeitet entweder direkt oder mittelbar für die Europäische Union. Tatsache ist, dass Brüssel und das umliegende Gebiet derzeit eine eigene Regionalregierung haben und ihre Bevölkerung sich vom übrigen Flandern unterscheidet. Es ist schwer vorherzusagen, was mit Brüssel passieren wird, wenn das Land auseinanderbricht, und mehrere Möglichkeiten sind vorstellbar. Wie das ZK der LTF im August 2016 richtig feststellte, muss die Bevölkerung frei entscheiden können, was mit der Region geschieht, obwohl dies davon beeinflusst sein wird, auf welche Art der Bruch des Landes stattfindet.

Die nationale Frage in Belgien ist ebenso wie das Schicksal von Brüssel mit den imperialistischen Institutionen vor Ort eng verbunden. Sowohl die NATO und als auch die Europäische Kommission haben ihren Hauptsitz in der belgischen Hauptstadt und die Imperialisten fürchten die Instabilität, die ein Auseinanderbrechen Belgiens verursachen würde. Insbesondere die EU spielt eine führende Rolle bei der Aufrechterhaltung nationaler Unterdrückung unter ihren Mitgliedsstaaten. Unabhängigkeit für Katalonien, das Baskenland, Schottland oder für die Flamen und Wallonen würde die gesamte Existenz der EU in Frage stellen, die eine Neuordnung der Grenzen ihrer Mitgliedsstaaten fürchtet. Deshalb ist es im Fall von Belgien umso unwahrscheinlicher, dass das Auseinanderbrechen des Landes ohne eine Bewegung gegen die EU stattfinden könnte. Wir sagen: Flandern und Wallonien, raus aus der Europäischen Union! Europäische Union, raus aus Brüssel! Unser Schwanken in dieser Frage steht auch in Verbindung mit anderen Problemen der Anpassung an die EU, die in unserer Organisation ausgekämpft wurden.

X. Europa

Anpassung an die Europäische Union

Die EU ist ein Konsortium kapitalistischer Staaten, dessen Ziel es ist, sowohl die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu maximieren als auch die ökonomische Beherrschung und Unterwerfung ärmerer Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien seitens der imperialistischen Mächte, besonders Deutschland, zu erzwingen, unter anderem durch die zwangsweise Einführung der gemeinsamen Währung Euro als finanzielles Instrument der EU. Zweck der EU ist es, die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Imperialisten gegenüber ihren Rivalen in den USA und Japan zu steigern. Fantasien heutiger Kautskyaner über ein „supranationales“, „soziales“ Europa zum Trotz ist die EU ein instabiles Gebilde, das ständigen, aus den unterschiedlichen nationalen Interessen der europäischen Imperialisten herrührenden Spannungen ausgesetzt ist, die fortwährend drohen, die EU auseinanderzureißen. Lenin lehrte uns:

„Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d. h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die ,fortgeschrittenen‘ und ,zivilisierten‘ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär…

Natürlich sind zeitweilige Abkommen zwischen den Kapitalisten und zwischen den Mächten möglich. In diesem Sinne sind auch die Vereinigten Staaten von Europa möglich als Abkommen der europäischen Kapitalisten … worüber? Lediglich darüber, wie man gemeinsam den Sozialismus in Europa unterdrücken, gemeinsam die geraubten Kolonien gegen Japan und Amerika verteidigen könnte …“

– „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“, August 1915

Nur die Einheit auf sozialistischer Grundlage, errungen durch eine proletarische Revolution und die Enteignung der Bourgeoisie, kann eine rationale weltweite ökonomische Entwicklung ohne Ausbeutung herbeiführen. Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Die EU ist ein Todfeind nationaler Rechte, wie die griechischen Massen bezeugen können, deren nationale Souveränität erdrosselt wurde. Die EU ist entschlossen, die gegenwärtigen europäischen Grenzen beizubehalten. Merkel ihrerseits machte das 2015 klar, als sie erklärte, dass Katalonien automatisch seine EU-Mitgliedschaft verliert, wenn es sich von Spanien abtrennt. Die nationale Unterdrückung Kataloniens aufrechtzuerhalten ist für die Interessen der europäischen Kapitalisten lebensnotwendig, denn eine Unabhängigkeit würde andere unterdrückte Nationen anspornen und könnte einen Dominoeffekt ausl ösen, der die territoriale „Integrität“ Frankreichs, Belgiens usw. in Frage stellt. Außerdem könnte der Kampf für nationale Befreiung durchaus zu einer Explosion des Klassenkampfes innerhalb des spanischen Staates sowie über Spanien hinaus führen.

Die Probleme, die wir jahrelang bezüglich der Europäischen Union hatten, müssen im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Kampf in der Partei betrachtet werden. Es gab politische Anpassungen an die EU, die im Wesentlichen die Auffassung widerspiegeln, dass diese imperialistische Mafia eine „progressive“ Kraft sei. Bereits 2011 äußerte Genosse Robertson seine Besorgnis, dass Genossen unsere Opposition zur EU als hypothetisch auffassen. Zwar stellten wir uns weiterhin formal gegen die EU, aber der Punkt, dass eine gemeinsame Währung ohne einen gemeinsamen Staat nicht lebensfähig ist, tauchte in unseren Artikeln nicht mehr auf. Als die EU vor der 2008 einsetzenden großen Wirtschaftskrise scheinbar florierte, passten wir uns ihr an, wohingegen es heute bei der weiter verbreiteten Opposition gegen die EU relativ leicht ist, sich gegen sie zu stellen. Jedoch wurde unsere Opposition gegen die EU – sobald es konkret wurde – seit 2008 mehrfach angefochten. Bereits Ende 2011 und Anfang 2012 gab es Einwände in der Internationale gegen die einfache Feststellung: „Das Beispiel Argentinien zeigt anschaulich, dass Griechenland eher viel besser dran wäre, wenn es den Staatsbankrott erklärte und die Eurozone verließe und dabei seine eigene Währung wieder einführte“ (Workers Vanguard Nr. 992, 9. Dezember 2011).

Das Dokument der VI. Konferenz der IKL (2010) behauptet, dass die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) „eine chauvinistische Herangehensweise vertritt: Sie ist deswegen gegen die EU und den Internationalen Währungsfond, weil diese sich in Griechenlands nationale Souveränität einmischen.“ Das ist falsch. Später traten wir zu Recht in unserer Propaganda dagegen ein, dass Griechenlands nationale Souveränität seitens der EU (d. h. Deutschlands) mit Füßen getreten wird. Tatsächlich „mischen sich“ EU und IWF nicht bloß ein: Griechenland verfügt heute über weniger nationale Souveränität als das neokoloniale Mexiko! Nationale Souveränität bedeutet letztendlich das Recht der Regierung eines bestimmten Landes, Entscheidungen über ihre Politik im eigenen Land zu treffen, nicht zuletzt die Kontrolle über die eigene Währung! Manche Genossen verstehen nicht die Verbindung zwischen der Selbstbestimmung für vom Imperialismus unterdrückte Nationen und der konkreten Verteidigung ihrer nationalen Souveränität. Es ist uns nicht egal, wenn die nationale Souveränität schwächerer Nationen von imperialistischen oder Unterdrückernationen mit Füßen getreten wird. So erhob z. B. Espartaco Nr. 36 (September 2012) die korrekte Losung: „FBI, DEA und alle US-Militär- und Polizei-Agenturen raus aus Mexiko!“

Seit einer IS-Diskussion im Februar 2012 gab es andauernde Konfusion über unser Herangehen an den Austritt einzelner Mitgliedsstaaten aus der EU. Im ursprünglich vorgeschlagenen Antrag für diese Sitzung stand: „Wir sind dafür, dass alle Mitgliedsstaaten aus der EU bzw. dem Euro austreten: Der Zusammenbruch der gemeinsamen Währung und der EU selber sollte ein Hauptziel der Arbeiterklassen in ganz Europa sein als Bestandteil der Perspektive für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.“ Während der Sitzung wurde dieser Teil des Antrags kritisiert mit der falschen Begründung, ein Aufruf zum Austritt eines spezifischen Mitgliedsstaates käme einer direkten Forderung an eine bürgerliche Regierung gleich. Zum Zeitpunkt des griechischen Referendums 2015 benutzten bestimmte führende Genossen dieses Argument, um gegen die Losung „Griechenland raus aus der EU“ zu argumentieren. Allerdings gab es ein wirkliches Problem mit diesem Teil des ursprünglichen IS-Antrags, denn er berücksichtigt weder den Unterschied zwischen Deutschland, der wirklichen Macht in Europa, und den anderen Mitgliedsstaaten, noch die Unterschiede zwischen den imperialistischen Ländern in der EU und jenen EU-Ländern, die von ihnen unterdrückt werden.

Hier ist der allgemeine Rahmen, in dem diese Frage angegangen werden soll: Ausgehend von unserem internationalistischen Standpunkt sind wir vor allem für die Zerschlagung der Europäischen Union. Allerdings können wir, da sich gegenwärtig ihr Auseinanderbrechen nur in Form des Austritts einzelner Staaten stellt, nicht neutral bleiben, wenn diese Frage auftritt. Es gibt keine Formel, wann oder wie man die Forderung für den Ausstieg eines Mitgliedsstaates aus der Europäischen Union aufstellt. Es hängt von dem betreffenden Land und auch von den konkreten Umständen ab. Vor dem Vorschlag eines Referendums in Britannien hätte die Forderung „Britannien raus aus der EU“ nur als nationalistisch aufgefasst werden können: nämlich für ein stärkeres imperialistisches England, „befreit“ von Deutschland. Im Gegensatz dazu wird die Forderung nach Griechenlands Austritt aus der Europäischen Union in diesem Land weit und breit als Opposition gegen die Unterdrückung Griechenlands durch die Europäische Union und Deutschland verstanden. In sämtlichen Fällen sollten solche Forderungen in den allgemeinen Zusammenhang unseres Programms für das Zerbrechen der Europäischen Union gestellt werden, wobei wir die Klassenachse in den Vordergrund rücken.

2015 erlebten wir zwei Wellen von Liberalismus, die sich in der Forderung nach „offenen Grenzen“ ausdrückten. Im Mai wurden zwei Entwürfe für Titelartikel in WV, die in Zusammenarbeit mit europäischen Genossen und dem IS geschrieben wurden, zurückgezogen, nachdem drei führende Genossen Einwände gegen die Linie zur Flüchtlingskrise in Europa und Südostasien erhoben hatten. Der Artikel zu Europa enthielt die Forderung nach vollen Staatsbürgerrechten für alle „Flüchtlinge, die Asyl suchen“ und in dem Artikel zu Südostasien hieß es: „Den Rohingya-Flüchtlingen muss es erlaubt werden, sich überall je nach Wunsch niederzulassen.“ Im Mai 2015 charakterisierte das Politische Büro der SL/U.S. das Problem und bekräftigte, dass diese Artikel eine „bürgerlich-liberale Politik und eine reaktionär-utopische Linie ,für offene Grenzen‘ hatten.“ Wenige Monate später erlebten wir eine zweite Welle des Liberalismus, als Genossen eine Position gegen das Dublin-III-Abkommen einnehmen wollten, welches Regierungen erlaubt, darüber zu entscheiden, wo Flüchtlingsanträge bearbeitet werden, d. h. welches Land die Flüchtlinge interniert bzw. deportiert. Diese Position teilt den sozialdemokratischen Rahmen eines „sozialen“ Europas und nimmt den liberalen Mythos von „offenen Grenzen“ zwischen Staaten, die dem Schengen-Abkommen beigetreten sind, für bare Münze. Kürzlich schrieben wir in einer Polemik gegen die Internationalistische Gruppe, die diese Illusionen verbreitet:

„Als Kommunisten setzen wir nicht darauf, dass ausgerechnet diejenigen, die diese Verwüstung zu verantworten haben, so gütig wären, ihren Opfern Zuflucht zu gewähren. Unser Ziel ist es, internationalistische revolutionäre Arbeiterparteien zu schmieden, die das Weltproletariat in seinem Kampf führen können, dieses System von brutaler Ausbeutung, Rassen- und kolonialer/neokolonialer Unterdrückung und Krieg zu zerschlagen.“

– Spartakist Nr. 217 (Sommer 2017)

Die Spartacist League/Britain

Der gegenwärtige Kampf brachte ans Licht, dass die Spartacist League/Britain (SL/B) in den letzten Jahren einen opportunistischen Kurs der Anpassung an den Sozialchauvinismus der Labour Party und einer damit einhergehenden Weichheit gegenüber der EU eingeschlagen hat. Ein wirklich krasses Beispiel für diese Kapitulation findet man in Workers Hammer Nr. 237 (Winter 2016-2017), wo die SL/B Jeremy Corbyns Position gegen Brexit beim EU-Referendum von 2016 nachträglich amnestiert. Auch stellte der Artikel der Politik Corbyns einen Persilschein aus, indem er verschwieg, dass er, ebenso wie die vorherigen auf ein Vereinigtes Königreich eingeschworenen Labour-Führungen, gegen Schottlands Recht auf Unabhängigkeit ist. Corbyns Position zur Unabhängigkeit hat zusammen mit seiner Linie für den Verbleib in der EU dazu beigetragen, schottische Arbeiter in die Arme der bürgerlichen Scottish National Party zu treiben. Außerdem trieb er durch seine Opposition gegen den Brexit englische Arbeiter zur UKIP (UK Independence Party). Die SL/B hat die Taktik der kritischen Unterstützung für Corbyn während seines Kampfes um die Labour-Führung 2016 nicht richtig durchgeführt: Der Zweck der kritischen Unterstützung ist nicht eine Labour Party unter der Führung von Corbyn, sondern die Mitgliederbasis gegen die Führung zu stellen mit dem Ziel, eine revolutionäre (leninistische) Avantgarde-partei zu schmieden. Stattdessen wurde die SL/B quasi heimlich inaktiv und bewegte sich in programmatischen Grundsatzfragen zusehends nach rechts.

[...]

Irgendwann nach 2010 ließ die SL/B die Forderung „Britische Truppen raus aus Nordirland“ heimlich fallen. Das Fallenlassen dieser Forderung, die schon vor der Gründung der Sektion zentral war für unsere Opposition gegen den britischen Imperialismus, wurde bei keiner ZK-Sitzung beschlossen und auch nicht dem IS berichtet. Voraussetzung für den imperialistischen „Friedens“schwindel von 1998 war, dass die britische Armee in Nordirland blieb. Dass wir diese Linie fallenließen, kam einer Leugnung der Repression gleich, der die katholische Bevölkerung weiterhin direkt durch den britischen Staat ausgesetzt ist, und akzeptierte die chauvinistische Lüge, das „Vereinigte Königreich“ habe einen legitimen Anspruch auf Nordirland. Diese Konferenz bekräftigt die Thesen über Irland, insbesondere den folgenden Punkt:

„2. Ein wesentlicher Bestandteil unseres Programms ist die Forderung nach dem sofortigen, bedingungslosen Abzug der britischen Armee. Der britische Imperialismus brachte der Insel jahrhundertelang Ausbeutung, Unterdrückung und Blutvergießen. Von der britischen Präsenz kann nichts Gutes kommen; die bestehende Verbindung zwischen Nordirland und dem britischen Staat kann der irisch-katholischen Bevölkerung nur Unterdrückung bringen; sie ist damit eine Barriere für eine proletarische Klassenmobilisierung und für eine Lösung im Sinne des Proletariats. Wir stellen zur Erfüllung dieser Forderung nach dem sofortigen Abzug aller britischen Militärkräfte keine Vorbedingungen noch verwässern wir ihren kategorischen Charakter dadurch, dass wir Vorschläge für ihre ,schrittweise‘ Erfüllung unterbreiten (wie z. B. einfach zu fordern, die Armee solle sich in ihre Kasernen oder aus proletarischen Bezirken zurückziehen).“

Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 6, Juni 1978

Die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands

Die deutsche Sektion hat seit einiger Zeit eine Politik verfolgt, nie Artikel ins Türkische zu übersetzen, da angeblich alle türkischen Immigranten zweisprachig seien. Das ist nicht nur falsch, sondern zeigt auch Geringschätzung gegenüber dem großen Anteil der aus der Türkei eingewanderten (und von Immigranten abstammenden) Bevölkerung in Deutschland. Außerdem wären türkische Übersetzungen ein Ausdruck von Internationalismus und Solidarität mit diesem unterdrückten Teil der Bevölkerung und könnten auch in der Türkei gelesen werden, nicht zuletzt auf unserer Website. Wir stellen fest, dass die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands bereits Maßnahmen ergriffen hat, um diese Situation zu korrigieren.

Die Genossen der SpAD müssen eine engere Verbindung mit der Internationale wiederherstellen und danach streben, in andere Länder zu reisen.

[...]

Zypern

Unsere Internationale Grundsatzerklärung und die „Vereinbarung für gemeinsame Arbeit zwischen griechischen Genossen und der IKL (Vierte Internationalisten)“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 25, Frühjahr 2006) behandeln Zypern als ein Gebiet, wo geografisch vermischte Völker (Griechen und Türken) leben, so dass die nationale Frage nur durch eine sozialistische Revolution gelöst werden kann. So heißt es zum Beispiel in der „Vereinbarung für gemeinsame Arbeit“:

„Wir kämpfen für eine proletarische Lösung der nationalen Frage, die notwendigerweise den revolutionären Sturz der nationalistischen Bourgeoisien in Nikosia/Lefkosia, Athen und Ankara erfordert.“

Diese Perspektive ist in Bezug auf die Zypern-Frage nicht angebracht. Heute sind die Republik Zypern (im Süden) und die Türkische Republik Nordzypern praktisch zwei getrennte Staaten, mit einer überwiegenden Mehrheit von Griechen im Süden und einer überwiegenden Mehrheit von Türken im Norden. Die früher geografisch vermischte Bevölkerung von Griechen und Türken wurde 1974 auseinandergerissen, als die griechische Militärjunta durch einen Putsch unter Führung der dort stationierten rechten Offiziere Zypern zu annektieren versuchte. Dies führte zu einer Invasion der türkischen Armee, in deren Folge die zwei Völker getrennt wurden; das Endresultat war die Gründung zweier separater Staaten.

Die nationalistischen Spannungen zwischen dem türkischen und dem griechischen Volk verschärften und verfestigten sich vor allem wegen der britischen Imperialisten, die ihre koloniale Vorherrschaft in Zypern durch blutige Repression aufrechterhielten und die türkische Minderheit dazu benutzten, ihre historische Strategie „Teile und herrsche“ durchzusetzen. Indem sie einem Volk gewisse Privilegien gaben, die sie dem anderen verweigerten, wollten sie gemeinsame Kämpfe verhindern, wie sie zuvor gegen die koloniale Unterdrückung stattgefunden hatten. Wir fordern den bedingungslosen und sofortigen Abzug der britischen und der UN-Truppen von der Insel. Die wirkliche Macht auf der Insel war ursprünglich Britannien; nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die USA diese Rolle. Diese Mächte schüren weiterhin Chauvinismus auf der Insel, der auch von der griechischen und der türkischen Bourgeoisie angeheizt wird.

Im aktuellen Kontext nimmt unser Programm für das demokratische Recht der griechischen und türkischen Zyprioten auf Selbstbestimmung die Form an, dass wir die Berechtigung der griechischen Seite anerkennen, sich Griechenland anzuschließen, sowie die Berechtigung der türkischen Seite, sich der Türkei anzuschließen. Es ist auch legitim, wenn die türkischen Zyprioten und die griechischen Zyprioten ihre eigenen kleinen unabhängigen Staaten unabhängig vom jeweiligen „Mutterland“ gründen, wenn das ihr Wunsch ist. Die Umsetzung jeder dieser Lösungen würde keiner der beiden Nationen das Recht auf Selbstbestimmung streitig machen. Allerdings sind weitere Diskussionen und Nachforschungen über die Situation notwendig.

XI. Für permanente Revolution in kolonialen Ländern!

Guadeloupe

In ihrem Artikel „La grève générale secoue les colonies françaises“, Generalstreiks erschüttern Frankreichs Kolonien (LB Nr. 187, März 2009) landete die LTF bei einer Verteidigung des französischen Imperialismus. Es heißt dort:

„Während es in Frankreich die Aufgabe einer revolutionären Partei ist, die Arbeiterklasse auf die Seite der auf den Antillen kämpfenden Menschen zu ziehen, ist es in Guadeloupe und Martinique die zentrale Aufgabe, die Vorherrschaft des nationalistischen falschen Bewusstseins zu brechen. Unter dem Imperialismus sind Nationen nicht gleichberechtigt und während wir das Recht auf ein unabhängiges Guadeloupe unter dem Kapitalismus verteidigen, könnte die Unabhängigkeit den Lebensstandard der Armen nur weiter nach unten drücken.“

Diesem Artikel zufolge ist der Wunsch nach nationaler Befreiung „nationalistisches falsches Bewusstsein“, das zerschlagen werden muss. Die LTF war mit der Begründung, dass der französische Imperialismus für die Bevölkerung der Insel von Vorteil ist, gegen die Unabhängigkeit! Darüber hinaus wird die Befreiung von Guadeloupe und Martinique so dargestellt, als ob sie von der französischen Arbeiterbewegung abhänge und die Arbeiter vor Ort nicht stark genug wären, um für die eigene Befreiung zu kämpfen. Das ist der Perspektive der permanenten Revolution völlig entgegengesetzt. So stellte Trotzki im Übergangsprogramm (1938) im Hinblick auf koloniale und halbkoloniale Länder fest:

„Aber rückständige Länder sind Teil einer Welt, die vom Imperialismus beherrscht wird. Deshalb hat ihre Entwicklung einen kombinierten Charakter: Sie vereinigt die primitivsten Wirtschaftsformen mit dem letzten Schrei der kapitalistischen Technik und Kultur. Damit ist auch die Politik des Proletariats der rückständigen Länder vorgezeichnet: Es ist gezwungen, den Kampf um die elementarsten Aufgaben der nationalen Unabhängigkeit und der bürgerlichen Demokratie mit dem sozialistischen Kampf gegen den Weltimperialismus zu kombinieren.“

Puerto Rico

Die Insel Puerto Rico ist durch eine Wirtschaftskrise verwüstet worden, die unmittelbar aus der kolonialen Vorherrschaft herrührt. Sie ist tatsächlich bankrott, mit mehr als 70 Milliarden Dollar Schulden gegenüber Hedgefonds und anderen Finanzinstituten. Diese enorme Schuldenlast wird von den US-Imperialisten benutzt, um die puertoricanischen Arbeiter im Würgegriff zu halten. Die Kolonialherrscher in Washington haben Puerto Rico ein „Gremium für Finanzaufsicht und Management“ aufgezwungen, das von der Regierung bis 2021 Haushaltskürzungen in Höhe von 3,2 Milliarden Dollar verlangt. Wir sind gegen dieses aufgezwungene Gremium, das die Kontrolle über die Wirtschaft Puerto Ricos übernommen hat und die gewählte Regierung der Insel noch weiter unter die Kontrolle der Imperialisten stellt. Wir fordern die Streichung der Schulden – eine Forderung, die früher in der Partei kontrovers war, die aber auf elementare Weise unsere Gegnerschaft zur kolonialen Unterdrückung der Insel ausdrückt.

Seit 1898 wird Puerto Rico von den US-Imperialisten in kolonialer Sklaverei gehalten. Sogar heute noch sind die minimalen politischen Rechte und lächerlichen US-Hilfeleistungen, die den Puerto Ricanern gewährt werden, nichts anderes als eine dünne Fassade für koloniale Ausbeutung. Außerdem hat die Insel keinen souveränen Status und kann daher ihre Währung nicht abwerten. Laut US-Gesetz ist jede Änderung im Kolonialstatus von Puerto Rico ohne Zustimmung des US-Kongresses verboten: eine offensichtliche Verweigerung des Rechts der puertoricanischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung. Die Hauptreaktion auf dieses Elend ist massenhafte Auswanderung. Die Insel hat jetzt eine Bevölkerung von 3,5 Millionen, gegenüber fünf Millionen in den USA wohnhaften Puerto Ricanern.

Im Zusammenhang des aktuellen Kampfes wurde klar, das wir Probleme hatten mit unserer Linie zu Puerto Rico, wie sie jahrelang in WV festgelegt wurde. Diese Konferenz bestätigt die 1998 von Genossen Robertson formulierte Linie zu Puerto Rico:

„Was wir wollen, ist ganz klar. Weil wir rassischen Chauvinismus auf dem Festland und Nationalismus auf der Insel bekämpfen wollen, treten wir entschieden für Unabhängigkeit ein, wobei uns aber bewusst ist, dass die Bevölkerung zutiefst ambivalent ist. Darum ist unsere zentrale Stoßrichtung das Recht auf Selbstbestimmung. Während unsere Position von hier aus gesehen tatsächlich die Selbstbestimmung ist, sollte sie von Puerto Rico aus der Kampf für Arbeitermacht sein. Die siegreichen Arbeiter sollten die Entscheidung treffen, wie sie ihre proletarische Selbstbestimmung ausüben werden, je nach der jeweiligen aktuellen Situation auf der Welt und in der Karibik. Ich denke, das ist eigentlich ganz einfach.“

Diese Formulierung kodifiziert gleichzeitig unsere antikoloniale Haltung von den USA aus, die Gefühle der puertoricanischen Bevölkerung und unsere Perspektive für permanente Revolution angewandt auf Puerto Rico, d. h. die Möglichkeit, dass nationale Kämpfe in Puerto Rico auch ein Hebel sein könnten für eine sozialistische Revolution auf der Insel und die Errichtung einer puertoricanischen Arbeiterrepublik.

Das ZK-Plenum der SL/U.S. vom November 1998, auf dem Genosse Robertson diese Rede hielt, stimmte für einen Antrag im Sinne dieser Formulierung, nämlich „dass wir als Kommunisten die Unabhängigkeit Puerto Ricos vorziehen würden ... doch angesichts der offensichtlichen und berechtigten Widersprüche bei den Puerto Ricanern über diese Frage treten wir nicht dafür ein, dass ihnen die Unabhängigkeit aufgezwungen wird.“ Der Artikel „For the Right of Independence for Puerto Rico!“ (WV Nr. 704, 8. Januar 1999), der von diesem Plenum in Auftrag gegeben wurde, ist jedoch widersprüchlich. Einerseits gibt der Artikel den wesentlichen Inhalt der Bemerkungen des Genossen Robertson wieder sowie des auf dem ZK-Plenum angenommenen Antrags. Andererseits spiegelt er die falsche Methodik wider, „die nationale Frage vom Tisch zu kriegen“.

Nach dem ersten Artikel von 1999 hat die SL/U.S. die auf dem Plenum im November 1998 angenommene Linie jahrelang entstellt. Ein damals führender Genosse griff 1999 unsere Linie als „verworren“ und konfus an. Tatsächlich hat gerade dieser Genosse die eindeutige und scharfe anti-imperialistische Position von Robertson zu einer derartig „verworrenen“ Position gemacht, dass dies zu einer zweideutigen Haltung zum Kolonialismus führte. Das Resultat davon war, dass bis 2010 auf den Seiten von WV keine Spur des Arguments zu finden war, dass wir, vom Standpunkt von Revolutionären in den USA aus, die Unabhängigkeit Puerto Ricos befürworten! Das bedeutete eine Position der Neutralität, ausschließlich das „Recht“ auf Selbstbestimmung zu fordern. Nach dieser „Korrektur“ stellte ein Artikel im Jahr 2000 fest („U.S. Out of Vieques!“, WV Nr. 736, 19. Mai 2000):

„Wir fordern für Puerto Rico das Recht auf Unabhängigkeit. Gleichzeitig betonen wir, dass die einzige Antwort auf die koloniale Unterdrückung Puerto Ricos der Sturz der kapitalistischen Herrschaft von der Insel bis hierher in die USA ist... Doch die puertoricanischen Nationalisten wollen durch eine falsche und gefährliche Einheit zwischen puertoricanischen Arbeitern und der einheimischen Bourgeoisie den proletarischen Kampf zum Scheitern bringen. Bestenfalls fordern sie eine Art von neokolonialer ,Unabhängigkeit‘.“

Diese in unserer US-amerikanischen Zeitung veröffentlichte Linie ist das Gegenteil dessen, was Genosse Robertson eineinhalb Jahre zuvor vertreten hatte. Wahr ist, dass die imperialistische Unterdrückung Puerto Ricos – und der gesamten Dritten Welt – nur durch eine sozialistische Revolution und ihre internationale Ausweitung zerschlagen werden kann. Es ist jedoch falsch, dass koloniale Unterdrückung ohne eine sozialistische Revolution nicht beendet werden kann. Und eine mögliche Unabhängigkeit Puerto Ricos unter dem Kapitalismus als „neokoloniale Unabhängigkeit“ anzuprangern heißt, Puerto Rico das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern – d. h. es ist chauvinistisch.

Ganz gleich, ob wir für Unabhängigkeit „eintreten“ oder die Unabhängigkeit „bevorzugen“ (würden), der zentrale Punkt ist, dass Kolonialismus den Interessen des Proletariats entgegengesetzt ist – alle kolonial Unterjochten sollen frei sein! Es ist nicht die Stimmung der puertoricanischen Bevölkerung, die diesen programmatischen Ausgangspunkt bestimmt, sondern unsere Gegnerschaft zum Imperialismus. Das sollten wir in unserer Propaganda zum Ausdruck bringen und auch die Tatsache anerkennen, dass die Bevölkerung von Puerto Rico verständlicher Weise in der Frage der Unabhängigkeit ambivalent ist. Einerseits hat die Bevölkerung der Insel ein sehr starkes Nationalgefühl. Puerto Rico hat eine lange Geschichte von antikolonialen Kämpfen, die durch die US-Imperialisten brutal niedergeschlagen wurden, wobei auch Independentistas ermordet und ins Gefängnis gesteckt wurden. Gleichzeitig haben viele Puerto Ricaner Angst davor, dass sie nicht mehr auf dem amerikanischen Festland leben und arbeiten können und sie genauso verarmen würden wie ihre unabhängigen Nachbarn in der Karibik. Daher wollen wir als Leninisten ihnen nicht unseren Standpunkt aufzwingen und nicht darauf bestehen, dass sie sich abtrennen; stattdessen heben wir das Recht auf Selbstbestimmung hervor.

Ausgehend von diesem Verständnis war es falsch, im Artikel von WV Nr. 1075 (2. Oktober 2015) implizit unsere Verteidigung des Rechts der Puerto Ricaner zurückzuweisen, darüber entscheiden zu können, ob sie ein Bundesstaat der Vereinigten Staaten werden wollen. Wir argumentierten:

„Dabei würde der Status als Bundesstaat oder der direkte Anschluss an die USA rassistische nativistische Feindschaft gegenüber Puerto Ricanern verschlimmern. Damit würde auch die Tendenz beschleunigt, die spanische Sprache auf der Insel durch die englische Sprache zu verdrängen, was letzten Endes die nationale Identität der puertoricanischen Bevölkerung bedroht.“

Diese beiden Argumente sind dem Recht der Puerto Ricaner, über den Anschluss frei zu entscheiden, direkt entgegengesetzt. Selbst wenn die Stimmung für den Status als Bundesstaat wirtschaftlicher Erpressung durch die USA entspringt, ist es ein Recht, das wir ebenfalls verteidigen.

Unsere Propaganda zu Puerto Rico wurde nur selten ins Spanische übersetzt. Von nun an muss die amerikanische Sektion der IKL diese Artikel systematisch übersetzen.

XII. Die wahre Kontinuität des Chauvinismus

Die Internationalistische Gruppe

Die hysterischen Anschuldigungen der IG, mit denen sie die IKL als „chauvinistisch“ und sogar rassistisch verleumdet, widerspiegelt die liberale Heuchelei dieser Sozialdemokraten, die vor ihrem eigenen Imperialismus kapitulieren: Sie verteidigen die EU; weigern sich, das Recht Kataloniens auf Unabhängigkeit anzuerkennen; sehen Québec als Teil einer Nordamerikanischen „Föderation“; behandeln ihre mexikanische Sektion wie eine Neokolonie; weigern sich, konsequent eine Seite gegen den amerikanischen Imperialismus und seine Lakaien in Syrien zu beziehen; schüren Illusionen in die Demokratische Partei und deren „Zufluchtsstädte“ (Sanctuary Cities) und wollen den Puerto Ricanern die Unabhängigkeit aufzwingen, „ob sie es wollen oder nicht“.

Als Jan Norden – heute Líder máximo der IG – Chefredakteur von WV war, gehörte er zu den Genossen, die für unsere chauvinistischen Abweichungen zur nationalen Frage zentral verantwortlich waren. An diesen Abweichungen hält er weiterhin fest, sowohl in seiner aktuellen Propaganda als auch im Umgang mit seiner mexikanischen Sektion. Norden ließ nicht einmal zu, dass seine mexikanischen Genossen ihre eigene Zeitung El Internacionalista schrieben, früher ihre am häufigsten erscheinende spanischsprachige Publikation, die in Wirklichkeit in New York geschrieben wird. (In 21 Jahren hat die IG gerade mal neun Ausgaben ihrer mexikanischen Zeitung herausgebracht!) Obwohl sie sich als die militantesten Verteidiger der Latino-Immigranten in den Vereinigten Staaten ausgeben, zeigt die Zusammensetzung ihrer Redaktion, wo es kein einziges Latino-Mitglied gibt, das wahre Gesicht der IG: #IGEdBrdSoWhite.

Die IG ist gegen das Auseinanderbrechen der imperialistischen EU, zum Beispiel hat sie den Brexit angegriffen. Ihre Linie zu Griechenland ist sogar dreifach grotesk: Sie argumentiert, dass Griechenland, solange eine sozialistische Revolution ausbleibt, unter dem Joch der EU und des Vierten Reichs bleiben soll. So schrieb die IG: „Zu fordern, dass Griechenland aus der EU austritt und den Euro durch die Drachme ersetzt, ist ... eine bürgerlich-nationalistische Forderung“ („Greece on the Razor’s Edge“, The Internationalist, Dezember 2010). Ebenso scheint die IG in Mexiko die Forderung „Nieder mit NAFTA!“ aufgegeben zu haben, die seit Jahren in ihrer Zeitung nicht mehr aufgetaucht ist.

In Bezug auf Katalonien tritt die IG offen gegen Unabhängigkeit auf unter dem Vorwand, dass Katalonien „der reichste Teil Spaniens“ sei und Unabhängigkeit bedeuten würde, „einen der militantesten Teile der Arbeiterklasse abzutrennen“. Sie tischt die Lüge auf: „Viele, wenn nicht die meisten Industriearbeiter sprechen kein katalanisch“ (The Internationalist Nr. 40, Sommer 2015). Der IG zufolge ist es die Unabhängigkeit Kataloniens, welche die Spanier diskriminieren würde. Auf diese Weise agiert die IG als Handlanger der kastilischen Bourgeoisie und Monarchie.

Mit ihrer Position für „offene Grenzen“ und „Kampf gegen Rechts“ – insbesondere mit ihrer Begeisterung über „Zufluchtsstädte“, die ein Schwindel der Demokratischen Partei sind – schreibt die IG ihren „eigenen“ amerikanischen Imperialisten und deren europäischen Bundesgenossen einen progressiven Charakter zu. Das Leiden der syrischen Flüchtlinge benutzt die IG nur zur heuchlerischen Abdeckung ihrer sozialimperialistischen Linie. Was Syrien angeht, so hat sich die IG geweigert, die konsequent leninistische Position zu beziehen, wonach ein militärischer Rückschlag Washingtons, selbst durch die Mörderbanden des Islamischen Staates, im Interesse der internationalen Arbeiterklasse liegt. Während sie stillschweigend ihre Position ständig ändern, treten diese schleimigen Zentristen als Fürsprecher von Kräften wie den kurdischen Nationalisten der YPG/PYD auf, die Washingtons Handlanger sind.

Die Internationalistische Gruppe ruft zur Unabhängigkeit Québecs auf, eine Forderung, die Norden in zentristischer Manier aus unserem Erbe herausgepickt hat. Dieser „Unabhängigkeit“ setzt sie jedoch Grenzen: „Die Liga für die Vierte Internationale kämpft für die Unabhängigkeit Québecs im Rahmen einer Föderation von Arbeiterstaaten Nordamerikas“ (The Internationalist, Mai 2012). Mit anderen Worten: Keine Unabhängigkeit unter dem Kapitalismus und auch keine unabhängige Arbeiterrepublik Québec. Zwar argumentiert die IG in ihren wenigen französischsprachigen Artikeln über Québec wie der weise König Salomon gegen alle nationalen Privilegien, doch ist sie gegen das Gesetz 101 in Québec und verteidigt damit letzten Endes die Zwangsassimilierung der Québécois.

Was Puerto Rico betrifft, ist die IG für Unabhängigkeit, egal ob die puertoricanischen Massen „es wollen oder nicht“, wie Norden schrieb, als er noch WV-Chefredakteur war. Eine derartige Verachtung des nationalen Willens der Puerto Ricaner seitens der IG geht Hand in Hand mit ihrer bevormundenden pro-imperialistischen Politik. Wenn es nach der IG geht, können weiße amerikanische Imperialisten über das Schicksal der Puerto Ricaner entscheiden ohne Rücksicht auf deren nationalen Willen.

In ihrer Polemik „Spartacist League: Land Surveyor Socialists“, (The Internationalist, Januar 2017) wirft uns die IG wegen unserer Position zur Dakota Access Pipeline (DAPL) Chauvinismus gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern vor, weil wir nämlich als Marxisten weder für noch gegen diese Erdölleitung sind, da wir die Bourgeoisie nicht bei ihrer Wirtschaftspolitik beraten. Im Gegensatz dazu setzt die IG die Verteidigung der amerikanischen Ureinwohner mit der Unterstützung von all deren Forderungen nach Rückgabe des Landes ihrer Vorfahren gleich: Sie argumentiert, es sei angemessen, die Rückgabe aller im Fort-Laramie-Vertrag von 1851 erwähnten Gebiete zu fordern. Dies ist eine liberale Position und reaktionäre Utopie nach der Devise „Zurück aufs Land“; mit dieser Linie biedern sie sich sowohl dem Umweltschutzaktivismus gegen Ölleitungen wie auch dem Ureinwohner-Traditionalismus an (die beide momentan Hand in Hand gehen). Damit leugnen sie auch die koloniale Geschichte Nordamerikas, in deren Verlauf die damalige Gesellschaft dieser Ureinwohner brutal zerstört und durch eine kapitalistische Wirtschaft verdrängt wurde.

Wir müssen anerkennen, dass man nicht in die Vergangenheit zurückkehren kann, in die Zeit der Stammesgesellschaften, die über Jahrhunderte durch unbeschreibliche Gewalttätigkeit, gebrochene Verträge und Landnahmen zerstört wurden. Wie Engels 1893 in einem Brief schrieb:

„Aber die Geschichte ist nun einmal die grausamste aller Göttinnen, und sie führt ihren Triumphwagen über Haufen von Leichen, nicht nur im Krieg, sondern auch in Zeiten ,friedlicher‘ ökonomischer Entwicklung. Und wir Männer und Frauen sind unglücklicherweise so stupide, dass wir nie den Mut zu einem wirklichen Fortschritt aufbringen können, es sei denn, wir werden dazu durch Leiden angetrieben, die beinahe jedes Maß übersteigen.“

Notwendig ist eine Arbeiterrevolution, die das rassistische System des amerikanischen Kapitalismus zerstört und die notwendige materielle Grundlage dafür schafft, die Armut der Ureinwohner und anderer unterdrückter Bevölkerungsgruppen zu überwinden. Unter einer Arbeiterregierung wird die indigene Bevölkerung die Wahl haben zwischen freiwilliger Integration in eine egalitäre Gesellschaft oder, soweit dies möglich ist, Autonomie für diejenigen, die es wünschen.

Die Bolschewistische Tendenz

Unsere Propaganda zu Québec hat sich nach 1995 erheblich verbessert. Aber wie der Antrag der Genossen aus Montréal auf der kanadischen Konferenz im November 2016 feststellte: „Von 1975 bis 1995 hatte die Sektion kein leninistisches Programm zur nationalen Frage.“ Dieses anglochauvinistische Erbe wird von der „Bolschewistischen Tendenz“ (BT) stolz verteidigt, einer dubiosen Organisation, die besessen ist von der grotesken Lüge, wir würden um Jim Robertson einen „F--ührerkult“ betreiben. Diese Gruppe wurde von Renegaten unserer Organisation gegründet und wird geführt von dem Soziopathen Bill Logan, der bei der Ausarbeitung unseres anglochauvinistischen Programms zu Québec eine prominente Rolle gespielt hatte, sowie von Tom Riley, der solchen Chauvinismus stolz verteidigt. 1999 veröffentlichte die BT eine Broschüre (Marxism & the Quebec National Question), in der sie auf unsere Position zu Québec vor 1995 Anspruch erhebt. Die können sie gerne haben! Diese Gruppe, die oft die schlimmsten Mängel unserer Organisation widerspiegelt, verkörpert die wahre Kontinuität unserer anglochauvinistischen Linie. Tatsächlich waren unsere Polemiken gegen die BT nach 1995 entscheidend dadurch geschwächt, dass wir eine falsche Unterscheidung zogen zwischen unserer Linie vor 1995 und der BT-Linie und daher nicht zugaben, dass jenes Programm in Wirklichkeit ihr Erbe ist. Hätten wir das zugegeben, wären wir darauf gestoßen worden, den anglochauvinistischen Charakter unserer damaligen Politik zu erkennen.

Die BT ist mit ihrer Verteidigung der Einheit des kanadischen Staates unverhohlen reaktionär. Ihre Anschuldigungen, unsere Linie für Unabhängigkeit laufe auf eine menschewistisch-stalinistische Position einer „Zwei-Etappen-Revolution“ hinaus, sind nur ein dünner Deckmantel für die Tatsache, dass nach der Logik der BT jeder Aufruf zur Unabhängigkeit einer unterdrückten Nation auf Verrat hinausläuft. In Wirklichkeit ist es die anglochauvinistische BT, die sich an die rassistische englischsprachige Bourgeoisie anbiedert und Klassenzusammenarbeit rechtfertigt.

Trotz unserer formal korrekten Position zur Unabhängigkeit behaupteten wir, damit würden wir die „nationale Frage vom Tisch kriegen“ mit dem Ziel, für die „nordamerikanische sozialistische Revolution“ zu kämpfen. Diese Argumentation bedeutete, dass wir nur unter dem Kapitalismus für Unabhängigkeit waren. Das machte uns angreifbar für die verlogenen Argumente der BT. Jetzt, nach diesem Kampf und unserer Linienänderung zu den Sprachengesetzen, werden uns diese Scharlatane zweifellos beschuldigen, vor dem Québécois-Nationalismus zu kapitulieren. Was uns betrifft, so freuen wir uns darauf, bei Logan, Riley und Co. einen Nervenzusammenbruch hervorzurufen, wenn wir gegen sie polemisieren und für eine Arbeiterrepublik Québec eintreten!

XIII. Verschiedenes

Die Agrarfrage

Diese Konferenz begrüßt die kritischen Bemerkungen eines Genossen über einen Artikel zur Agrarfrage in Kolumbien in WV Nr. 1105 (10. Februar 2017). In neokolonialen Ländern ist diese Frage für die konkrete Anwendung der permanenten Revolution entscheidend, und sie berührt auch die nationale Frage. In Kolumbien gehören den Großgrundbesitzern mehr als 50 Prozent des fruchtbaren Landes, während die armen Bauern, immerhin 75 Prozent der Landbesitzer, nur etwa 10 Prozent des Landes besitzen. Das schreit nach einer Agrarrevolution, aber unser Artikel behandelt die Bauernfrage in herablassender Weise.

Die Bauernfrage ist komplex und unterscheidet sich von Land zu Land; jeder einzelne Fall muss konkret behandelt werden. Was in Mexiko programmatisch angemessen ist, muss in Kolumbien nicht zwangsläufig genauso sein. Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, zu den aufgeworfenen Fragen eine Position zu beziehen. Es ist notwendig, in der Internationale dieser Frage mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Diskussion fortzuführen.

 

Spartacist (deutsche Ausgabe) Nr. 31

DSp Nr. 31

Herbst 2017

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Einleitung zum Konferenzdokument

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Der Kampf gegen die chauvinistische Hydra

Dokument der VII. Internationalen Konferenz der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten)

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Korrektur: Zu Bangladesch und dem indisch-pakistanischen Krieg von 1971

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Korrektur