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Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 25

Frühjahr 2006

Russische Archive: Anarchistische Lügen abermals widerlegt

Kronstadt 1921: Bolschewismus gegen Konterrevolution

ÜBERSETZT AUS SPARTACIST,
ENGLISCHE AUSGABE NR. 59, FRÜHJAHR 2006

Im März 1921 kam es zu einem Aufstand der Garnison der Ostsee-Inselfestung Kronstadt gegen die bolschewistische Regierung. Zwei Wochen lang hielten die Meuterer dieses Tor zum revolutionären Petrograd, bis es die Sowjetregierung schließlich durch einen frontalen Sturmangriff über das Eis zurückeroberte, was auf beiden Seiten viele Menschenleben kostete. Die Aufständischen behaupteten, für die Wiederherstellung einer gereinigten Sowjetmacht zu kämpfen, befreit vom Monopol der Kommunisten. Die Bolschewiki erklärten, der Aufstand sei eine konterrevolutionäre Meuterei: Unabhängig von den Absichten der Matrosen könne er nur den Kräften der kapitalistischen Restauration dienen — die von erklärten Demokraten bis zu unverhohlenen Monarchisten reichten, allesamt vereint hinter der weißen Fahne der klerikalen/zaristischen Reaktion. Obwohl die Weißgardisten und ihre imperialistischen Schirmherren nach fast drei Jahren Bürgerkrieg militärisch durch die Rote Armee zurückgeschlagen worden waren, blieben sie entschlossen, die von den Bolschewiki geführte Oktoberrevolution von 1917 rückgängig zu machen und den jungen sowjetischen Arbeiterstaat zu vernichten.

Fast 73 Jahre später, am 10. Januar 1994, erteilte der selbsternannte Erbe der Weißgardisten Boris Jelzin, Präsident eines inzwischen kapitalistischen Russlands unter dem [zaristischen] Doppeladler, dem Kronstädter Aufstand seine offizielle Zustimmung (siehe „Kronstadt und Konterrevolution damals und heute“, Spartakist Nr. 111, März/April 1994). Diese Rehabilitierung der Kronstädter Meuterer durch Jelzin, der 1991/92 der bolschewistischen Revolution den Todesstoß versetzt hatte, bestätigt erneut, in wessen Klasseninteresse der Aufstand von 1921 erfolgte. Rund um die Kronstädter Meuterei gibt es einen grandiosen Mythos, den die Anarchisten eifrig verbreiten, der aber auch von einem ganzen Aufgebot antirevolutionärer Kräfte, von Sozialdemokraten bis hin zu Verfechtern der zaristischen Ordnung, begierig aufgegriffen wird. Vorrangiges Ziel dieses „Zetergeschreis um Kronstadt“ war es schon immer, den Kampf der Marxisten für die Diktatur des Proletariats über die Bourgeoisie zu diskreditieren und insbesondere den Trotzkismus, die heutige Verkörperung des authentischen Leninismus, zu besudeln.

Dem anarchistischen Mythos zufolge war Kronstadt die „dritte Revolution der Werktätigen“ — eine Fortsetzung der Februar- und der Oktoberrevolution von 1917 — und ihre Unterdrückung der eindeutige Beweis für den arbeiterfeindlichen Charakter der bolschewistischen Regierung Lenins und Trotzkis und des Marxismus überhaupt. Um Kronstadt als ideologischen Knüppel gegen den Leninismus einzusetzen, müssen die Anarchisten allen bekannten Fakten zum Trotz die Behauptung aufstellen, dass die Meuterer von 1921 dieselben Matrosen waren, die 1917 eine Avantgarderolle gespielt hatten, und dass sie keine Verbindung zu den weißen Reaktionären hatten. Jelzin trug unabsichtlich dazu bei, den Kronstadt-Mythos zu Grabe zu tragen, als er den Meuterern seinen Segen gab und gleichzeitig die Archive zur Erforschung der Meuterei öffnete. Dies führte im Jahre 1999 zur Veröffentlichung einer riesigen Sammlung russischen historischen Materials durch ROSSPEN, den wichtigsten mit dem Zentralarchiv der Russischen Föderation verbundenen Verlag. Die Dokumente in Kronštadtskaja tragedija 1921 goda, dokumenty v dvuch knigach [Die Kronstädter Tragödie von 1921, Dokumente in zwei Büchern] (Russische Politische Enzyklopädie, Moskau, 1999) bekräftigen ohne den geringsten Zweifel den konterrevolutionären Charakter des Kronstädter Aufstands.

Lenin und Trotzki sagten die Wahrheit

Von Anfang an machten die Anarchisten hinsichtlich Kronstadt gemeinsame Sache mit offenen Konterrevolutionären. Die vom bekannten amerikanischen Anarchisten Alexander Berkman 1923 veröffentlichte Broschüre Die Kronstadt Rebellion basierte größtenteils auf einer erlogenen Darstellung von 1921 mit dem Titel Die Wahrheit über Kronstadt, die die Sozialrevolutionäre (SR), erbitterte Gegner der Oktoberrevolution, herausgebracht hatten. 1938 wurde die Kronstädter Lügenmaschine von Neuem angeworfen — in Form von Ida Metts Kommune von Kronstadt —, diesmal als Versuch zur Ablenkung von Trotzkis vernichtender Kritik an der Rolle der anarchistischen CNT-Gewerkschaftsführer, die (Hand in Hand mit den Stalinisten) die spanische Arbeiterrevolution zugrunde gerichtet hatten. (Mehr über die Spanische Revolution siehe in Revolution & Konterrevolution in Spanien von Felix Morrow [1937; Verlag Ergebnisse & Perspektiven, Essen, 1976].) Kurz vor seinem Tode 1945 warf ebenfalls Volin (V. M. Eichenbaum), 1917–21 ein führender russischer Anarchist, seine Autorität in die Waagschale, um das antibolschewistische Komplott zu stützen; seiner Beschuldigung lagen die lügnerischen Proklamationen der Meuterer selbst zugrunde (Volin, Die unbekannte Revolution [Verlag Libertäre Assoziation Hamburg, 1975–77]). Heute greift ein wieder auflebender anarchistischer Trend erneut auf angebliche Grausamkeiten von Lenins und Trotzkis Bolschewiki in Kronstadt zurück, um bei jungen Aktivisten in der nachsowjetischen Ära antikommunistische Vorurteile zu schüren.

Von Anfang an wiesen Lenin, Trotzki und andere Sprecher der Bolschewiki darauf hin, dass die Konterrevolutionäre im Exil eifrig für den Aufstand eingetreten waren und ihn sogar öffentlich vorhergesagt hatten; dass ehemalige zaristische Offiziere der Kronstädter Garnison wie General A. N. Koslowski bei der Meuterei eine prominente Rolle spielten; dass die Kronstädter Matrosen von 1921 nicht mehr der „Stolz und Ruhm“ der Arbeiterrevolution waren, wie Trotzki sie 1917 genannt hatte, sondern eine relativ privilegierte und demoralisierte, mit den Bauerndörfern verbundene Schicht. Als Trotzki 1938 die Perfidie der anarchistischen Irreführer in Spanien aufdeckte, zerriss er auch die neu aufgetischten Lügen um Kronstadt in der Luft und verfasste „Das Zetergeschrei um Kronstadt“ und „Mehr über die Niederschlagung Kronstadts“. In beißenden Worten schrieb er:

„Die spanische Regierung der ‚Volksfront‘ erstickt die sozialistische Revolution und erschießt die Revolutionäre. Die Anarchisten befinden sich in dieser Regierung oder unterstützen, nachdem sie herausgeworfen wurden, weiterhin die Henker. Und ihre ausländischen Verbündeten und Advokaten beschäftigen sich inzwischen mit der Verteidigung ... der Kronstädter Meuterei gegen die rauhen Bolschewiki. Eine schändliche Komödie!“

—„Das Zetergeschrei um Kronstadt“, 15. Januar 1938

Trotzki drängte seine Unterstützer außerdem, eine detaillierte Arbeit in Angriff zu nehmen. Das Ergebnis war „The Truth About Kronstadt“ [Die Wahrheit über Kronstadt] von John G. Wright von der amerikanischen Socialist Workers Party (SWP), zuerst veröffentlicht in der SWP-Zeitschrift New International (Februar 1938) und später, als eine längere Version, in einem Schulungsbulletin von 1939. Unter Heranziehung des damals verfügbaren historischen Beweismaterials, einschließlich der Zeugenaussagen „genau derjenigen Leute, die die Meuterei ausheckten, anführten und auszuweiten versuchten“, demonstrierte Wright methodisch, wie die Weißen den Aufstand unterstützt hatten und die Matrosen durch ihr kleinbürgerliches Klasseninteresse politisch angetrieben und von den Kräften der offenen Konterrevolution manipuliert worden waren. (Die längere Version von Wrights Artikel ist zu finden in der Sammlung Kronstadt by V.I. Lenin and Leon Trotsky [Pathfinder, New York, 1979].)

Seitdem hat jede seriöse historische Untersuchung den Bolschewiki Recht gegeben. Dies gilt bemerkenswerterweise auch für das Buch Kronstadt 1921 (Princeton University Press, Princeton, 1970) des pro-anarchistischen Historikers Paul Avrich. In unserer Besprechung („Anarcho-Libertarian Myths Exposed: Kronstadt and Counterrevolution“ [Anarcho-libertäre Mythen entlarvt: Kronstadt und die Konterrevolution], Workers Vanguard (WV) Nr. 195 und 203, 3. März und 28. April 1978) empfahlen wir das Buch als das Werk eines gewissenhaften Forschers, der „mit den Aufständischen sympathisieren [konnte] und doch eingestehen [musste], dass die Unterwerfung des Aufstands durch die Bolschewiki gerechtfertigt war.“

Avrichs Nachforschungen zeigten, dass der Hauptführer des Aufstandes, ein Seemann namens Stepan Petritschenko, zunächst versucht hatte, sich den Weißen anzuschließen, und dann mithalf, eine Massenprotestversammlung zu einem entschiedenen Bruch mit der bolschewistischen Regierung zu bewegen. Nach dem Aufstand floh Petritschenko nach Finnland, das unter der eisernen Herrschaft des ehemaligen zaristischen Generals und weißgardistischen Schlächters Baron Mannerheim stand. Petritschenko tat sich offen mit den emigrierten Weißgardisten zusammen, die sich dort gesammelt hatten, und unterstützte Pläne für eine „zeitweilige Militärdiktatur“, die die Herrschaft der Bolschewiki ersetzen sollte. Avrich entdeckte auch ein weißgardistisches „Memorandum über die Organisation eines Aufstandes in Kronstadt“, das die militärische und politische Lage innerhalb der Festung ausführlich beschrieb und davon sprach, dass eine Gruppe Kronstädter Matrosen rekrutiert worden war, die sich darauf vorbereiteten, in einem bevorstehenden Aufstand eine aktive Rolle zu übernehmen. Dennoch behauptete Avrich, es gäbe keine Beweise für eine Verbindung zwischen den Weißen und den Matrosen vor dem Aufstand, und er wiederholte die alte Leier, dass man den Aufstand, wäre er geplant gewesen, ein paar Wochen später begonnen hätte, nach dem Schmelzen des Eises, was einen Sturmangriff der bolschewistischen Fußtruppen unmöglich gemacht hätte.

Die in der Kronstädter Tragödie enthaltenen Dokumente widerlegen diese Einsprüche ein für allemal. Die Sammlung enthält 829 Originaldokumente (und in den Fußnoten zusätzliche 276 vollständig oder in Auszügen), von denen die meisten nie zuvor veröffentlicht worden waren. Dazu gehören Augenzeugenberichte von Teilnehmern des Aufstandes, zum Beispiel von meuternden Matrosen und Abgesandten der Weißgardisten, sowie Geheimberichte der Weißen; Erinnerungen und Artikel, verfasst von einigen der 8000 Meuterer, die nach der Rückeroberung Kronstadts durch die Bolschewiki nach Finnland geflohen waren; und Protokolle von Vernehmungen verhafteter Meuterer durch die sowjetische Tscheka, die Gesamtrussische Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution, Sabotage und Spekulation. Unter den Berichten von damals befinden sich auch der des Kommissars der Baltischen Flotte Nikolai Kusmin vom 25. März 1921 an den Petrograder Sowjet sowie der erste offizielle Bericht über die Ermittlungen der Tscheka, den Jakow S. Agranow, ein Mitglied der Sonderkommission, verfasst und am 5. April 1921 vorgelegt hatte. Von besonderem Wert ist es, dass man jetzt sehen kann, wie weitgehend sich die Berichte der geflohenen Meuterer mit den Geständnissen vor den sowjetischen Behörden decken.

Die ausführliche Einleitung des russischen Historikers Juri Schtschetinow, der schon früher zu Kronstadt geforscht hatte, ist sehr nützlich, da sie auf strittige Fragen hinweist und relevante archivarische Funde zusammenfasst. Die Dokumente stammen aus einer Reihe sowjetischer, weißgardistischer, imperialistischer, menschewistischer, sozialrevolutionärer und anarchistischer Quellen und wurden von Forschern aus neun russischen Archiven zusammengestellt, darunter das Russische Staatliche Militärarchiv, das Russische Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte und das Zentralarchiv des Bundessicherheitsdienstes (FSB), der politischen Polizei. Der Forschungsleiter für die Sammlung I. I. Kudrjawzew arbeitete an der Aufbereitung von Material aus dem FSB-Archiv mit und war für Fußnoten, Register und Bibliografie verantwortlich. In der Eintragung zu Trotzki im Namensregister heißt es zwar, dass er „Mitglied einer französischen Freimaurerloge [gewesen sei] und 1916 anscheinend ausgeschlossen“ wurde; diese lächerliche Verleumdung, die den Hass der Konterrevolutionäre auf den bolschewistischen Führer ausdrückt, steht in krassem Widerspruch zu Trotzkis Kampf, in der jungen Kommunistischen Partei Frankreichs den verderblichen Einfluss des Freimaurertums — ein historisches Problem in der französischen Arbeiterbewegung — zu beseitigen.

Diese Verleumdung greift der französische Historiker Jean-Jacques Marie, ein Mitglied der Parti des Travailleurs (PT) von Pierre Lambert, in einem neuen Buch auf, um die Sammlung als Ganzes anzufechten. Er behauptet, die „Zusammenstellung ist mit einer Unmenge von Fußnoten versehen, die den Stempel der politischen Polizei, des FSB (der ehemalige KGB), aufweisen und für die auch eine unter russischen Nationalisten grassierende Besessenheit mit einer Freimaurerverschwörung kennzeichnend ist“ (Jean-Jacques Marie, Cronstadt, Fayard, Paris, 2005). Dennoch verlässt sich Marie beim größten Teil seiner Zitate auf diese Zusammenstellung! Der FSB ist durchdrungen von großrussischem Chauvinismus, doch die Trotzki-Verleumdung in der Kronstädter Tragödie ist ein Einzelfall, der für die redaktionelle Bearbeitung der Sammlung nicht repräsentativ ist. Maries übermäßige Sorge um eine nichtexistente Besessenheit mit den Freimaurern in der Kronstädter Tragödie gibt eher Aufschluss über die lambertistische PT, deren Verbindungen zum Freimaurertum seit langem ein offenes Geheimnis in der französischen Linken sind. Dazu zählt die enge Beziehung zwischen Lambert, lange ein Funktionär des Gewerkschaftsverbandes Force Ouvrière (FO), und dem ehemaligen FO-Führer Marc Blondel, einem bekennenden Freimaurer.

Verschiedene anarchistische Websites und Webzines wiederum, konfrontiert mit der Masse neuen Beweismaterials in der Kronstädter Tragödie, suchen Zuflucht bei einem Kommentar aus zweiter Hand von Israel Getzler, Akademiker an der Hebräischen Universität („The Communist Leaders’ Role in the Kronstadt Tragedy of 1921 in the Light of Recently Published Archival Documents“ [Die Rolle der kommunistischen Führer bei der Kronstädter Tragödie von 1921 im Lichte jüngst veröffentlichter archivarischer Dokumente], Revolutionary Russia, Juni 2002). Getzler räumt dem Agranow-Bericht einen „Ehrenplatz“ ein, obwohl dieser nur wenige Tage nach der Meuterei in aller Eile vorgelegt wurde, ohne Zugang zu irgendeinem der Rädelsführer oder zu vielen der Dokumente in der gegenwärtigen Sammlung. Getzler isoliert dann aus diesem ursprünglichen Bericht eine einzelne Passage, um behaupten zu können, dass Agranow zufolge „der Protest der Matrosen ‚vollkommen spontan‘“ gewesen sei und dass seine „Befunde glatt der offiziellen Linie widersprechen“. Das ist eine Spitzfindigkeit, kein wissenschaftliches Arbeiten! Die „offizielle Linie“ der Bolschewiki war nicht, dass Kronstadt von Anfang bis Ende eine durch und durch weißgardistische/imperialistische Verschwörung gewesen sei, sondern dass es den Interessen der Konterrevolution gedient hat und von ihr vollkommen vereinnahmt wurde. Selbst der kurze Abschnitt, den Getzler von Agranow zitiert, untermauert dies durch die Feststellung: „Der Aufstand nahm einen systematischen Charakter an und wurde von der erfahrenen Hand der alten Generäle geleitet“ (Agranow, Bericht an das Tscheka-Präsidium, 5. April 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie [unsere Übersetzung]).

Tatsächlich werden wir sehen, wie die vielen Dokumente in der Kronstädter Tragödie, die Getzler geflissentlich ignoriert, genau beweisen, dass die Kronstädter „Revolution der Werktätigen“ im Kern doch eine konterrevolutionäre Verschwörung war — also alles andere als „vollkommen spontan“. Diese Dokumente veranschaulichen bis ins eindeutige Detail das Ausmaß und die Reichweite organisierter weißgardistischer Tätigkeit in und um Kronstadt und stehen in Einklang mit dem von Avrich entdeckten anonymen Memorandum. Eines der jüngst veröffentlichten Dokumente stammt sogar von dem bekannten weißgardistischen Agenten des konterrevolutionären Nationalen Zentrums G. F. Zeidler, den Avrich für den wahrscheinlichen Autor des Memorandums hält. In diesem Dokument prahlt Zeidler damit, wie rechte Emigranten aus Finnland (getarnt als Rotkreuzdelegation) in Kronstadt von Petritschenko und anderen Anführern der Meuterei willkommen geheißen wurden. Ein weiterer Bericht eines in Finnland ansässigen führenden Agenten der Weißen, General G. E. Elwengren, schreibt nicht nur die Entfachung des Aufstands in Kronstadt einer weißgardistischen Organisation zu, sondern erklärt auch, weshalb er früher als geplant begonnen wurde. Von besonderer Bedeutung für den Nachweis eines Drahtziehers hinter dem Aufstand sind die zahlreichen Augenzeugenberichte, die die systematischen Täuschungsmanöver belegen, derer sich Petritschenko und seine Verbündeten bedienten, um einen Teil der Garnison auf ihre Seite zu ziehen.

Bei der Vorbereitung dieses Artikels untersuchten wir auch eine Reihe anderer russischsprachiger Materialien, sowohl Primär- als auch Sekundärquellen. Dazu gehört eine Artikelserie zur Meuterei von Kronstadt, die in den Jahren 1930/31 im Leningrader historischen Journal Krasnaja Letopis veröffentlicht wurde, darunter eine Analyse des Sowjethistorikers A. S. Puchow über die Änderungen in der sozialen Zusammensetzung der Kronstädter Garnison zwischen 1917 und 1921. Wir konsultierten auch mit Juri Schtschetinow, der die Einleitung zur Kronstädter Tragödie geschrieben hat, und erhielten von ihm Auszüge aus seinem früheren Buch Kronštadt, mart 1921 g. (Kronstadt, März 1921), dessen Veröffentlichung 1992 nach Jelzins Machtübernahme gestoppt wurde. Alle Übersetzungen aus der Kronstädter Tragödie und anderen russischsprachigen Quellen sind von uns.

Der Klassencharakter der Kronstädter Meuterei

In „The Truth About Kronstadt“ liefert der Trotzkist John G. Wright eine vernichtende Kritik an dem anarchistischen Märchen, wonach die Kronstädter Aufständischen nur eine undifferenzierte Masse von Werktätigen gewesen seien, die selbstlos für das Ideal „freier Sowjets“ gekämpft hätten. Diese Vorstellung vernebelt die unterschiedlichen — und zuweilen entgegengesetzten — Klassenkräfte, die am Werk waren. Anarchisten lehnen ein materialistisches Klassenverständnis ab, sie teilen die Welt in Mächtige und Schwache ein, in Reiche und Arme, und werfen den bäuerlichen Kleineigentümer mit dem städtischen Fabrikarbeiter zusammen in den Topf eines klassenlosen „Volkes“. Doch ein Bauer ist nicht von Natur aus kollektivistisch oder antikapitalistisch; er ist im Wesentlichen ein primitiver kleiner Geschäftsmann, der für das, was er kauft, einen niedrigen Preis und für das, was er verkauft, einen hohen Preis haben will. Wright bemerkte:

„Die Annahme, Soldaten und Matrosen könnten unter einer abstrakten politischen Losung für ‚freie Sowjets‘ einen Aufstand wagen, ist an sich schon absurd... Diese Menschen hätten zu einem Aufstand nur durch tiefgehende wirtschaftliche Nöte und Interessen bewegt werden können. Das waren die Nöte und Interessen der Väter und Brüder dieser Matrosen und Soldaten, d. h. von Bauern, die mit Lebensmitteln und Rohstoffen Handel trieben. Mit anderen Worten, in der Meuterei kam die Reaktion der Kleinbourgeoisie auf die von der proletarischen Revolution hervorgerufenen Schwierigkeiten und Entbehrungen zum Ausdruck.“

—Wright, „The Truth About Kronstadt“

Die Arbeiterrevolution in Russland fand in einem rückständigen, überwiegend bäuerlichen Land statt und schuf, in Trotzkis Worten, eine Diktatur des Proletariats, gestützt auf die arme Bauernschaft. Das langfristige Überleben Sowjetrusslands konnte nur durch die Ausweitung der sozialistischen Revolution auf die fortgeschrittenen Industriemächte Westeuropas und der übrigen Welt sichergestellt werden. In der Zwischenzeit war für die Absicherung der Revolution die Unterstützung oder die Neutralität der Bauernmassen entscheidend. Das bedeutete, die ärmeren Bauern mit Konsumgütern, Traktoren und anderen Fertigprodukten für sich zu gewinnen und so schließlich die Basis zu legen für ein ländliches Proletariat auf der Grundlage groß angelegter, kollektivierter Agrarwirtschaft.

Doch im Winter 1920/21 war Russland nach sieben Jahren imperialistischen Kriegs und Bürgerkriegs ein zerstörtes Land. Die Armeen von 14 kapitalistischen Staaten waren in das revolutionäre Russland eingefallen. Sie unterstützten die Armeen der kapitalistischen Restauration unter Führung der ehemaligen zaristischen Militärbefehlshaber Denikin, Koltschak, Wrangel, Judenitsch und anderer, die das Land verwüsteten und systematisch Juden und Kommunisten ebenso wie militante Arbeiter und widerspenstige Bauern abschlachteten. Industrie und Transportwesen wurden lahmgelegt und größere Städte entvölkert, da die Hungernden auf der Suche nach Nahrung das Land durchstreiften. Auf dem Lande hatten Hungersnöte und Seuchen, wie man sie in diesem Ausmaß seit Jahrhunderten nicht mehr kannte, die Dörfer bis zum Kannibalismus getrieben. All dies wurde durch eine imperialistische Wirtschaftsblockade noch verschlimmert. Die Politik, die die Bolschewiki improvisierten, um mit diesen katastrophalen Umständen fertig zu werden, wurde „Kriegskommunismus“ genannt. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um die Beschlagnahme von Getreide bei den Bauern zur Ernährung der Städte und zur Versorgung der Roten Armee. Während des gesamten Bürgerkriegs wurde dies von der Masse der Bauernschaft als kleineres Übel gegenüber der Rückkehr des weißgardistischen Landadels akzeptiert.

Im Herbst 1920 waren die weißgardistischen und imperialistischen Hauptstreitkräfte schließlich geschlagen worden. Doch Truppen der Weißen hielten immer noch die Schwarzmeerküste bei Georgien besetzt; die japanische Armee stand bis Ende 1922 in Russlands fernem Osten, und Wrangel befehligte weiterhin in der Türkei 80 000 Mann unter Waffen. Dann explodierte der Groll der Bauern. Schtschetinow schreibt: „Gegen Ende 1920 und Anfang 1921 flammten bewaffnete Aufstände in den Gouvernements Tambow und Woronesch, in der zentralen Wolga-Region, im Donezbecken, am Kuban und in Westsibirien auf. Die Anzahl der antibolschewistischen Rebellen belief sich damals auf über 200 000“ (Schtschetinow, Einführung zur Kronstädter Tragödie). Dazu gehörten auch einige der über zwei Millionen Soldaten, die beim Ende des Bürgerkriegs aus der Roten Armee demobilisiert worden waren. In der Ukraine scharte sich jetzt eine bäuerliche Partisanenarmee beträchtlicher Größe um den anarchistischen Abenteurer Nestor Machno, um gegen die Sowjetmacht zu kämpfen. Wie Trotzki bemerkte:

„Nur wer vollkommen an der Oberfläche haften bleibt, kann in Machnos Banden oder in dem Kronstädter Aufstand einen Kampf zwischen den abstrakten Prinzipien von Anarchismus und ‚Staats-Sozialismus‘ sehen. Zu ihrer Zeit bedeuteten diese Bewegungen ein Um-sich-schlagen des bäuerlichen Kleinbürgertums, das sich natürlich vom Kapital befreien wollte, gleichzeitig aber nicht einverstanden war, sich der Diktatur des Proletariats unterzuordnen. Das Kleinbürgertum weiß nicht genau, was es will, und kann es auch, seiner Stellung nach, nicht wissen.“

—„Das Zetergeschrei um Kronstadt“

Diese Bauernunruhen und -revolten waren ein fruchtbarer Boden für organisierte konterrevolutionäre Agitation und Verschwörung.

Diese Umstände hatten direkten Einfluss auf die Entwicklungen in Kronstadt. Die zaristische Armee war in ihrer Zusammensetzung überwiegend bäuerlich gewesen, aber in der Baltischen Flotte — wo Fähigkeiten als Maschinist oder Techniker benötigt wurden — gab es 1917 eine knappe Mehrheit aus der Arbeiterklasse. Doch als die klassenbewusstesten Kämpfer zu den Frontlinien des Bürgerkriegs abzogen oder Verwaltungs- und Kommandopositionen im Apparat des neuen Arbeiterstaates einnahmen, wurden sie durch rückständigere und eher bäuerliche Schichten ersetzt — darunter in den Jahren 1920/21 eine erhebliche Anzahl an Bauernrekruten aus den Aufstandsgebieten der Ukraine.

Ein weiterer Faktor, der sich auf Kronstadt auswirkte, war die tiefe Spaltung innerhalb der Kommunistischen Partei über den weiteren Kurs nach dem „Kriegskommunismus“, insbesondere darüber, wie die Smytschka, das Bündnis zwischen der Bauernschaft und dem Arbeiterstaat, wiederbelebt werden könnte. In den Monaten vor der Meuterei war eine heftige Kontroverse ausgebrochen, Trotzki und Lenin nahmen in der sogenannten „Gewerkschaftsdebatte“ gegensätzliche Positionen ein. Unter Ausnutzung von Trotzkis Starrköpfigkeit mobilisierte Sinowjew seine eigene Basis im Gebiet Petrograd-Kronstadt gegen Trotzki, den er als Rivalen innerhalb der Parteiführung betrachtete. Sinowjew öffnete in der Kronstädter Parteiorganisation die Schleusen und ließ rückständige Neumitglieder hinein; er förderte auch eine vergiftete Atmosphäre im innerparteilichen Disput. Die Fäulnis in der Kronstädter Organisation der Kommunistischen Partei war ein kritischer Faktor für die weitere Entwicklung zur Meuterei, wie Agranow in seinem Tscheka-Bericht darlegt.

Kronstadt explodiert

Der Kronstädter Aufstand begann nach Arbeiterprotesten, die in Petrograd am 20. Februar ausbrachen, als eine Brennstoffkrise die Schließung wichtiger Fabriken erzwang. Durch eine Kombination von Zugeständnissen an die Arbeiter und Verhaftungen der menschewistischen Rädelsführer erstickte die Regierung die Proteste rasch ohne jegliches Blutvergießen. Doch Gerüchte über erschossene Arbeiter und bombardierte Fabriken gelangten am 25. Februar nach Kronstadt.

Delegationen von Matrosen der Kriegsschiffe „Petropawlowsk“ und „Sewastopol“ besuchten Petrograd und sahen, dass diese Gerüchte falsch waren. Als sie am 27. Februar nach Kronstadt zurückkehrten, klärten sie jedoch die Lügen nicht auf. Stattdessen wurden haufenweise neue Lügen hinzugefügt — darunter auch, dass in Petrograd Tausende von Matrosen verhaftet worden seien. An die Kronstädter Matrosen wurden Waffen ausgegeben. Auf Schiffsversammlungen am 28. Februar folgten sogleich am 1. März eine Massenversammlung auf Kronstadts Ankerplatz, die eine Liste von Forderungen annahm, und am 2. März eine Delegiertenversammlung, die über Neuwahlen zum örtlichen Sowjet diskutieren sollte. Kommunistische Redner ließ man auf diesen Versammlungen nicht zu Wort kommen.

Der Kommissar der Baltischen Flotte Kusmin und zwei weitere kommunistische Führer wurden auf der Versammlung vom 2. März verhaftet — angeblich, um „echte Freiheit“ für die Wahlen sicherzustellen! Als die Delegierten vor einem Vorschlag, auch alle anderen Kommunisten auf der Versammlung festzunehmen, zurückschreckten, erfolgte die dramatische — und völlig aus der Luft gegriffene — Bekanntmachung, bewaffnete kommunistische Kommandos seien im Begriff, die Halle zu umstellen und alle Teilnehmer zu verhaften. Was dann passierte, wird in einem kommunistischen Augenzeugenbericht anschaulich beschrieben, den Schtschetinow zitiert:

„In dem panikerfüllten Durcheinander wurde eine Abstimmung für irgendetwas durchgepeitscht. Ein paar Minuten später brachte der Vorsitzende der Versammlung, Petritschenko, die Versammlung zum Schweigen und kündigte an: ‚Das vom Präsidium gebildete und von euch gewählte Revolutionäre Komitee erklärt: „Alle anwesenden Kommunisten sind festzunehmen und nicht freizulassen, bis die Lage geklärt ist“.‘ Innerhalb von zwei, drei Minuten wurden alle anwesenden Kommunisten von bewaffneten Matrosen festgenommen.“

—zitiert in Schtschetinow, Einleitung
zur Kronstädter Tragödie

In Wahrheit hatte sich das „Provisorische Revolutionäre Komitee“ (PRK) bereits selbst „gewählt“ und in der Nacht davor Nachrichten an die verschiedenen Kronstädter Posten gesandt mit der Erklärung: „Angesichts der derzeitigen Lage in Kronstadt ist die Kommunistische Partei der Macht enthoben. Das Provisorische Revolutionäre Komitee hat jetzt die Verantwortung. Wir fordern die parteilosen Genossen auf, die Kontrolle zu übernehmen“ („An alle Posten Kronstadts“, 2. März 1921, 1.35 Uhr; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Das war ein Vorgeschmack auf „freie Sowjets“ nach Anarchisten-Art!

Nachdem die Meuterei begonnen hatte, wurden mehr als 300 Kommunisten eingesperrt; Hunderte weitere flohen. Agranow betonte:

„Die Repression, die das PRK gegen diejenigen Kommunisten ausübte, die der kommunistischen Revolution treu blieben, straft die angeblich friedlichen Absichten der Rebellen rundweg Lügen. Praktisch alle Protokolle der PRK-Sitzungen zeigen, dass der Kampf gegen die Kommunisten, die noch auf freiem Fuß waren, und die, die noch im Gefängnis saßen, unablässig im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stand. In der letzten Phase drohten sie sogar mit Feldkriegsgerichten, und das trotz ihrer erklärten Aufhebung der Todesstrafe.“

—Agranow, Bericht an das Tscheka-Präsidium, 5. April 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie

Es war der Kommandant des Gefängnisses, kein anderer als ein Anarchist namens Stanislaw Schustow, der vorschlug, die führenden Kommunisten zu erschießen. Flottenkommissar Kusmin beschrieb in seinem Bericht auf der Sitzung des Petrograder Sowjets vom 25. März 1921, wie es fast zur Ausführung der angedrohten Massenexekutionen gekommen wäre. Am frühen Morgen des 18. März postierte Schustow ein Maschinengewehr vor der Zelle, in der 23 Gefangene einsaßen. Nur das Vorrücken der Roten Armee über das Eis hielt ihn von dem Massaker an den Kommunisten ab.

Ein Programm der Konterrevolution

Wie Lenin bemerkte: „Etwas Festgeformtes, Klares, Bestimmtes gibt es kaum“ an den Kronstädter Forderungen („Über die Naturalsteuer“, 21. April 1921). Sie lauteten unter anderem: Neuwahlen zu den Sowjets; keine Einschränkungen für anarchistische und linkssozialistische Parteien; keine Überwachung von Gewerkschafts- oder Bauernorganisationen; Freilassung menschewistischer und sozialrevolutionärer Häftlinge und derer, die bei den jüngsten ländlichen und städtischen Unruhen verhaftet worden waren; Angleichung der Rationen; und zentral die Forderung, „den Bauern überall auf dem Land völlige Handlungsfreiheit nach freiem Belieben zuzugestehen und das Recht auf Besitz an Vieh, das sie selbst versorgen sollten, also ohne den Einsatz von Lohnarbeit“ (Resolution vom 1. März; nachgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Wäre dieses kleinbürgerliche Programm, das unbeschränkten Handel zum Ziel hatte und sich gegen wirtschaftliche Planung richtete, wirklich umgesetzt worden, dann wäre das Resultat die Entstehung einer neuen Kapitalistenklasse aus den erfolgreichsten Bauern, Handwerkern und Betriebsleitern und eine Rückkehr der alten Kapitalisten und der Imperialisten gewesen.

Das Programm war sorgfältig den bäuerlichen Vorurteilen der Matrosen angepasst, die es ansprechen sollte. Die Meuterer forderten die Abschaffung der politischen Abteilungen und den Abzug der den Militäreinheiten zugeordneten kommunistischen Kämpfer sowie der kommunistischen Patrouillen in den Fabriken. Die Losung „Alle Macht den Sowjets und nicht den Parteien“ war einfach kleinbürgerliche Demagogie, die darauf abzielte, die Masse der Matrosen zu beschwindeln, damit sie die Konterrevolution unterstützten. In der Praxis bedeutete es: „Nieder mit den Kommunisten!“ Die weitsichtigeren Anhänger der Konterrevolution begriffen, dass es nach einer Vertreibung der Kommunisten von der Macht, egal unter welchen Forderungen, bis zur Restauration der kapitalistischen Herrschaft nur ein kleiner Schritt sein würde. Auf den Seiten seiner in Paris erscheinenden Zeitung riet Pawel Miljukow, der Führer der Kadetten (Konstitutionelle Demokraten), seinen Mitreaktionären, die Forderung „Nieder mit den Bolschewiki! Lang leben die Sowjets!“ zu akzeptieren. Da dies aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen zeitweiligen Übergang der Macht an die „gemäßigten Sozialisten“ bedeuten würde, argumentierte der gerissene Bourgeois Miljukow, „haben sowohl die Monarchisten als auch andere im Ausland lebende Machtanwärter weder Sinn noch Verstand, wenn sie jetzt übereilt handeln“ (Poslednije Nowosti, 11. März 1921; zitiert in Wright, „The Truth About Kronstadt“).

Was hätte die Forderung nach „freien Sowjets“ im Kontext von Sowjetrussland 1921 bedeuten können? Viele der fortgeschrittensten Arbeiter hatten in der Roten Armee gekämpft und waren gefallen oder waren zu wichtigen Regierungsaufgaben herangezogen worden. Die Fabriken waren dermaßen dezimiert und ihrer besten Elemente beraubt, dass die Sowjets nur noch ein kümmerliches Dasein führten. Das Regime der Arbeiterdemokratie wurde durch die Kaderschicht der Kommunistischen Partei am Leben erhalten.

Die revolutionär gesinnten Elemente aller sozialistischen und anarchistischen Tendenzen waren zu den Bolschewiki übergegangen, entweder individuell oder durch Umgruppierungen. Im Jahre 1917 hatten die Anarchisten wegen ihrer militanten Haltung gegen die kapitalistische Provisorische Regierung kurzzeitig einigen Einfluss bei eher unbeständigen Elementen des Proletariats und der Garnison von Petrograd. Nach der Oktoberrevolution stellten sich die besten der Anarchosyndikalisten wie Bill Schatow, ein Amerikaner russischer Herkunft, der in den Vereinigten Staaten ein prominenter Wobbly gewesen war [Unterstützer der Industrial Workers of the World, IWW], auf die Seite der Bolschewiki bei der Verteidigung der Arbeiterrevolution. Diejenigen, die das nicht taten, wandten sich der Kriminalität und dem Terror gegen den Arbeiterstaat zu, von bewaffneten Raubüberfällen bis zur Bombardierung des Moskauer Hauptquartiers der Kommunistischen Partei im Jahre 1919. Die „sozialistischen“ Parteien, die der Provisorischen Regierung beigetreten waren, die Menschewiki und die rechten Sozialrevolutionäre, waren 1921 nur noch ein Schatten ihrer selbst und Handlanger der Konterrevolution. Die linken Sozialrevolutionäre beteiligten sich nach einer kurzen Mitwirkung in der Sowjetregierung 1918 an Untergrundterror gegen den Arbeiterstaat. Die Menschewiki gaben vor, sich an die Sowjetgesetze zu halten, ließen diese Pose aber fallen, wann immer sich die Gelegenheit zu einem kapitalistischen Sturz der Sowjetrepublik bot.

In Petrograd taten sich die Überreste der Sozialrevolutionäre, der Menschewiki und verschiedene Anarchisten zu einer „Versammlung der Bevollmächtigten der Fabriken und Betriebe Petrograds“ zusammen. Dieser schattenhafte, von niemandem gewählte Block arbeitete mit der neu gegründeten monarchistischen Petrograder Kampf-Organisation (PKO) zusammen, wie die PKO selbst beteuerte (PKO-Bericht an die Helsinki-Abteilung des Nationalen Zentrums, nicht früher als 28. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Die PKO druckte sogar die Flugblätter der Menschewiki! Am 14. März gab die Versammlung ein Flugblatt in Solidarität mit Kronstadt heraus, das nicht ein Wort über Sozialismus oder Sowjets enthielt, sondern zu einem Aufstand gegen „das blutige kommunistische Regime“ unter der Parole „Alle Macht dem Volke“ aufrief („Appell an alle Bürger, Arbeiter, Soldaten und Matrosen der Roten Armee“, 14. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie).

Trotz der Lügen, die die Presse der Meuterer über angebliche Massenerhebungen in Petrograd und Moskau verbreitete, gab selbst der menschewistische Führer Fjodor Dan in einem Buch von 1922 zu: „Es gab keine Bevollmächtigten“, und „die Kronstädter Meuterei wurde von den Petersburger Arbeitern in keiner Weise unterstützt“ (zitiert in „Die Menschewiki in der Kronstädter Meuterei“, Krasnaja Letopis, 1931, Nr. 2). „Die Arbeiter fühlten sofort, dass die Kronstädter Meuterer auf der anderen Seite der Barrikade standen — und sie unterstützten die Sowjetmacht“, erklärte Trotzki („Das Zetergeschrei um Kronstadt“, 15. Januar 1938). Es ist erwähnenswert, dass selbst der Flügel der Kommunistischen Partei, der am eifrigsten die unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter zu verfechten suchte, die halbsyndikalistische Arbeiteropposition, an der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands teilnahm.

Doppelzüngigkeit und Täuschung

Im Agranow-Bericht steht, dass „alle Teilnehmer der Meuterei ihre Parteiphysiognomie sorgfältig unter der Flagge der Parteilosigkeit verbargen“ (Agranow, Bericht an das Tscheka-Präsidium). Die Führer der Meuterei tasteten sich geschickt vorwärts. Zum Beispiel machte der PRK-Vorsitzende Petritschenko einen Rückzieher, als auf einer Versammlung am 1. März, vor der Ankerplatz-Kundgebung, sein Vorschlag eines Aufrufs zur Wahlzulassung aller sozialistischen Parteien von den Matrosen eine zornige Abfuhr erhielt. Laut Kusmin brüllte die Menge Petritschenko an: „Das ist Freiheit für die rechten Sozialrevolutionäre und Menschewiki! Nein! Auf keinen Fall!... Wir kennen ihre Konstituierenden Versammlungen genau! Wir brauchen so etwas nicht!“ (Kusmin-Bericht, stenografischer Bericht des Petrograder Sowjets, 25. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Petritschenkos Doppelzüngigkeit bei seinem Aufruf zu „freien Sowjets“ hatte schon Avrich in Kronstadt 1921 aufgezeigt. Andere PRK-Mitglieder waren ebenfalls Gegner der Sowjetmacht: Zwei waren Menschewiki, ein dritter war Mitglied der bürgerlichen Kadetten, und der Chefredakteur der Zeitung der Aufständischen, Iswestija des PRK, Sergej Putilin, war ein langjähriger Unterstützer der Kadetten. Einer der Menschewiki, Wladislaw Walk, trat offen für die Konstituierende Versammlung, d. h. ein bürgerliches Parlament, ein. Der Kadettenvertreter im PRK, Iwan Oreschin, brachte den Zynismus, mit dem die Führer die Matrosen manipulierten, auf den Punkt. In einer Emigrantenzeitung kommentierte er kurz nach der Meuterei:

„Der Kronstädter Aufstand brach unter dem Vorwand aus, den alten Sowjet, dessen Mandat abgelaufen war, durch einen neuen auf der Grundlage geheimer Wahlen zu ersetzen. Die Frage des allgemeinen Wahlrechts, was Erweiterung des Stimmrechts auch auf die Bourgeoisie bedeutete, wurde von den Rednern auf der Demonstration [vom 1. März] sorgfältig vermieden. Sie wollten unter den Aufständischen keine Opposition hervorrufen, derer sich die Bolschewiki hätten bedienen können... Sie sprachen nicht von der Konstituierenden Versammlung, gingen jedoch davon aus, dass man schrittweise dorthin gelangen könne, über frei gewählte Sowjets.“

—Oreschin, Wolja Rossii (April—Mai 1921); zitiert in Schtschetinow, Einleitung zur Kronstädter Tragödie

Während die Meuterei voranschritt und der Versuch, die Petrograder Arbeiter durch Gerede über „freie Sowjets“ hineinzuziehen, gescheitert war, waberte der Gestank weißgardistischer Reaktion immer unverhohlener durch Kronstadt. Bereits am 4. März gab der Kommandant der „Sewastopol“ einen schriftlichen Befehl heraus, in dem die Rede war von dem „seit langem leidenden, gequälten und verstümmelten Russland“ und von der Pflicht „gegenüber dem Mutterland und dem russischen Volk“ (zitiert in Agranow, Bericht an das Tscheka-Präsidium, 5. April 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Am 15. März erschienen dann derartige Formulierungen in einem offiziellen PRK-Aufruf. Gerichtet vor allem an die weißgardistischen emigrierten „russischen Menschen, die einem Russland entrissen wurden, das in Stücke gerissen darniederliegt“, erklärte der Aufruf: „Wir kämpfen jetzt für den Sturz des Parteijochs, für echte Sowjetmacht, und dann möge der freie Wille des Volkes entscheiden, auf welche Weise es sich regieren will“ („Aufruf der Kronstädter“, 15. März 1921; abgedruckt ebd.). Bezeichnenderweise sprach der Aufruf am Schluss nicht über „freie Sowjets“, sondern über die „heilige Sache der russischen Werktätigen“ beim „Aufbau eines freien Russlands“. Dies war ein unverhohlener Aufruf zur „demokratischen“ Konterrevolution. Am 21. März gab das PRK, drei Tage nachdem es auseinandergejagt worden war, im Exil einen noch unverfroreneren Aufruf heraus: „Nieder mit der Parteidiktatur! Lang lebe das freie Russland! Lang lebe die vom gesamten russischen Volk gewählte Macht!“ („An die unterdrückten Bauern und Arbeiter Russlands“, 21. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie).

Man beachte, dass Petritschenko den Aufruf vom 15. März als unmittelbare Reaktion auf die Forderungen des Generalstabs herausgab, das PRK solle sich Hilfe von außen sichern. Am selben Tag schickte das PRK zwei Mitglieder in geheimer Mission nach Finnland, die um Hilfe ersuchen sollten. Als am 17. März Petritschenko und das PRK die Entscheidung der Offiziere durchzusetzen versuchten, die Besatzungen der „Petropawlowsk“ und der „Sewastopol“ sollten ihre Schiffe aufgeben, ihre Artillerie sprengen und nach Finnland fliehen, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Die überwiegende Mehrheit der Besatzungen erhob sich, rettete die Schiffe und verhaftete alle Offiziere und PRK-Mitglieder, derer sie habhaft werden konnten (nach Agranow, Bericht an das Tscheka-Präsidium).

Imperialisten, zaristische Offiziere und das PRK

Wenn die Kronstädter Meuterei eine „Revolution“ war, dann in der Tat eine sehr merkwürdige — unterstützt von den Imperialisten, den russischen Monarchisten und Kapitalisten und ihren menschewistischen und sozialrevolutionären Handlangern! Der Aufstand führte, wie Trotzki in einem Artikel vom 23. März 1921 bemerkte, zu einem umgehenden Aufschwung an der Pariser und der Brüsseler Börse, insbesondere bei russischen Wertpapieren („Kronstadt und die Börse“, Kronstadt, Texte von W. I. Lenin, L. Trotzki und V. Serge, ISP-Verlag, Frankfurt/Main, 1981). Die geschlagenen Kräfte der weißen Emigration stellten eilends improvisierte Kampfeinheiten zusammen. Ein ehemaliger Angehöriger von General Denikins Gefolge, N. N. Tschebyschew, erinnerte sich in einem Artikel vom 23. August 1924 in der Emigrantenpresse: „Weiße Offiziere rafften sich auf und begannen nach Wegen zu suchen, wie sie zum Kampf in Kronstadt gelangen könnten. Es interessierte niemanden, wer dort war — Sozialrevolutionäre, Menschewiki, oder Bolschewiki, die vom Kommunismus enttäuscht waren, die aber immer noch für Sowjets eintraten. Die Funken schlugen hoch unter den Emigranten. Alle wurden frohen Mutes“ (zitiert in Schtschetinow, Einleitung zur Kronstädter Tragödie).

Emigrantenführer, deren Appelle an westeuropäische Staaten zuvor auf taube Ohren gestoßen waren, wurden jetzt freundlich empfangen. Avrich räumt zwar ein, dass Frankreich möglicherweise einige Hilfe zur Verfügung gestellt habe, argumentiert aber in Kronstadt 1921, die Weißen seien im Wesentlichen verschmäht worden, in Schach gehalten durch das Hindernis der westlichen Diplomatie. In Wirklichkeit hielten sich Frankreich und Britannien zwar vor einem offenen Eingreifen zurück, ermutigten aber die kleinen Anrainerstaaten Russlands, die Meuterei zu unterstützen. Der britische Außenminister Lord Curzon telegrafierte seinem Gesandten in Helsinki am 11. März: „Die Regierung seiner Majestät ist nicht bereit, selbst auf irgendeine Weise zu intervenieren, um den Revolutionären beizustehen. Streng vertraulich: Es gibt jedoch keinen Grund, warum Sie der finnischen Regierung empfehlen sollten, eine ähnliche Haltung einzunehmen oder Privatvereine oder Einzelpersonen an einer Hilfeleistung zu hindern, wenn sie dies vorhaben“ (Documents on British Foreign Policy 1919–1939 [Her Majesty’s Stationery Office, London, 1961]). Es reicht wohl zu sagen, dass Lebensmittellieferungen nach Kronstadt ohne ernsthaftes Eingreifen zugelassen wurden, ebenso die Konzentration weißgardistischer Expeditionsstreitkräfte in Finnland.

In seinem Tscheka-Bericht von 1921 dokumentierte Agranow die maßgebliche Rolle, die General Koslowski und andere bürgerliche Offiziere des Generalstabs spielten. Die Anarchisten haben seit jeher behauptet, diese Offiziere hätten eine rein beratende Funktion gehabt und seien sowieso schon von der bolschewistischen Regierung als militärische Spezialisten ernannt worden. Da sie von der Masse der Matrosen mit äußerstem Argwohn betrachtet wurden, hielten sich die Offiziere sicherlich zurück. Doch während sie früher unter der strengen Oberaufsicht kommunistischer Kommissare gedient hatten, saßen die Kommissare jetzt im Gefängnis und die Generäle waren obenauf. Als Koslowski auf einer Versammlung vom 2. März dem Kommissar der Kronstädter Festung (W. P. Gromow) die Kontrolle entriss, höhnte er: „Eure Zeit ist um. Jetzt werde ich tun, was getan werden muss“ (zitiert in A. S. Puchow, „Kronstadt unter der Herrschaft der Feinde der Revolution“, Krasnaja Letopis, 1931, Nr. 1). Ferner bezeugte ein höherer Offizier, der im Gefolge der Meuterei verhaftet worden war, bezüglich tagtäglicher operativer Angelegenheiten: „Der Vorsitzende des PRK [Petritschenko] ordnete sich normalerweise der Entscheidung des Leiters der Verteidigung [der zaristische Festungskommandant Solowjanow] unter und erhob keine Einwände gegen die operativen Aktivitäten des letzteren“ (Protokolle der Tscheka-Vernehmung von P. A. Selenoi, 26. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie).

Die Verbindungen von Offizieren wie Koslowski zu den Weißen in der Emigration, mit denen sie gemeinsam in der zaristischen Armee gedient hatten, waren von unschätzbarem Wert. Zu letzteren gehörte Baron P. W. Wilken, ehemaliger Kommandant der „Sewastopol“, der mit der in London ansässigen Marine-Organisation in Verbindung stand, einem Spionagenest der Weißgardisten, das von der Auslandsabteilung der sowjetischen Tscheka scharf überwacht wurde. Russische Geheimdienste haben jetzt die abgefangene Korrespondenz und die Informationen über Geldüberweisungen der Marine-Organisation veröffentlicht. Das erste einer Reihe von Telegrammen mit der Bezeichnung „Vorschlag notwendiger Maßnahmen zur Unterstützung der Kronstädter Meuterei in Russland“, das am 25. Februar 1921 abgeschickt wurde, meldete einem Agenten das Eintreffen von „400 Pfund Sterling“ mit der Anweisung: „Schicken Sie dies mittels zweier Schecks nach Helsinki, wo das Geld Anfang März benötigt wird“ (Russkaja voennaja emigracija 20-ch–40-ch godov [Die russische militärische Emigration der 1920er–1940er-Jahre], Band Eins [Geja, Moskau, 1998]).

„Linken“ Apologeten der Meuterei bleibt zwar nichts anderes übrig als zuzugeben, dass die Imperialisten den Aufstand begrüßten, sie behaupten aber, die Meuterer selbst hätten nichts mit den Imperialisten oder den Weißen zu tun gehabt. Anarchisten zitieren mit Vorliebe den Leitartikel der Iswestija des PRK vom 6. März 1921, der theatralisch als Wächter gegen die Weißen posierte: „Schaut genau hin. Lasst nicht zu, dass sich Wölfe im Schafspelz der Brücke des Steuermanns nähern“ (zitiert in Avrich, Kronstadt 1921). Doch heute wissen wir, dass das PRK zwei Tage nach Erscheinen dieses Leitartikels hinter dem Rücken der Matrosen ein ganzes Rudel von Wölfen willkommen hieß — darunter einen Kurier des leitenden Zentrums der Sozialrevolutionäre, den finnischen Agenten einer Spezialeinheit, zwei Vertreter der monarchistischen Petrograder Kampf-Organisation und vier weißgardistische Offiziere, darunter Wilken.

Wilken und ein weiterer Offizier, General Jawit, waren offiziell als Angehörige einer dreiköpfigen Delegation des „Roten Kreuzes“ anwesend, die von dem Agenten des Nationalen Zentrums G. F. Zeidler aus Finnland geschickt worden war. Laut einem detaillierten Bericht Zeidlers an das Hauptquartier des russischen Roten Kreuzes, einer Tarnorganisation der Weißen, wurde die Delegation umgehend zu einer gemeinsamen Sitzung des PRK und der Offiziere des Generalstabs eingeladen, wo man eine Übereinkunft über die Versorgung Kronstadts erzielte. Als ein PRK-Mitglied, wie Zeidler erzählt, die Frage stellte, „ob das PRK das Recht habe, die vorgeschlagene Hilfe zu akzeptieren, ohne zuvor die Öffentlichkeit, die es gewählt hat, zu befragen“, da dies als Beweis für einen „Ausverkauf an die Bourgeoisie“ angesehen werden könnte, wurde er abgewiesen mit dem Hinweis: „Wir können nicht andauernd Massenversammlungen abhalten“ (Zeidler, Aktivitäten des Roten Kreuzes bei der Organisierung von Verpflegungs-Hilfslieferungen für Kronstadt, 25. April 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie).

Weiteres Beweismaterial für Machenschaften der Rechten hinter dem Rücken der Matrosen findet man in einem Artikel, den das desillusionierte PRK-Mitglied Alexander Kupolow 1922 in einer Emigrantenzeitung in Finnland schrieb. Dieser Artikel sorgte im weißgardistischen Finnland für Aufregung; Kupolow kehrte anschließend nach Sowjetrussland zurück, wo er verhaftet und dann, nachdem er zugestimmt hatte, für die Tscheka zu arbeiten, freigelassen wurde. Kupolow schreibt:

„Das PRK sah, wie sich Kronstadt mit Agenten einer monarchistischen Organisation füllte, und gab daraufhin eine Erklärung heraus, dass es mit nichtsozialistischen Parteien weder in Verhandlungen treten noch von ihnen irgendwelche Hilfe annehmen werde.

Doch auch wenn das PRK diese Erklärung herausgab, so arbeiteten insgeheim Petritschenko und der Generalstab mit den Monarchisten zusammen und bereiteten einen Sturz des Komitees vor...“

—Kupolow, „Kronstadt und die russischen Konterrevolutionäre in Finnland:
Aus den Aufzeichnungen eines ehemaligen Mitglieds des PRK“, Put,
4. Januar 1922; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie

Laut Kupolow bot auch Wilken „eine bewaffnete Streitmacht von 800 Mann“ an — was das PRK „angesichts der Stimmung in der Garnison mehrheitlich ablehnte“.

Ein weiteres PRK-Mitglied, ein Anarchist namens Perepelkin, berichtete dem Tscheka-Offizier, der ihn vernahm, er sei über Wilkens prominente Rolle bei der Meuterei verärgert gewesen. Nach Aussage des regionalen Petrograder Tscheka-Vorsitzenden N. P. Komarow sagte Perepelkin:

„Und da sah ich den ehemaligen Kommandanten der ‚Sewastopol‘, Baron Wilken, mit dem ich früher zur See fuhr. Und gerade er wird jetzt vom PRK als Vertreter der Delegation akzeptiert, die uns Hilfe anbietet. Ich war darüber empört. Ich rief alle Mitglieder des PRK zusammen und sagte, das ist also die Lage, in der wir uns befinden, das ist der, mit dem wir zu verhandeln gezwungen sind. Petritschenko und die anderen fielen über mich her: ‚Wenn wir keine Lebensmittel oder Medizin haben — alles wird uns am 21. März ausgehen —, sollen wir uns dann wirklich den Eroberern ergeben? Es gibt keinen anderen Ausweg‘, sagten sie. Ich hörte auf zu streiten und sagte, ich würde den Vorschlag akzeptieren. Und am übernächsten Tag erhielten wir 400 Pud Lebensmittel und Zigaretten. Diejenigen, die gut Freund mit dem weißgardistischen Baron sein wollten, riefen noch gestern, sie seien für Sowjetmacht.“

—Komarow-Bericht, Stenografischer Bericht des Petrograder Sowjets, 25. März 1921;
abgedruckt ebd.

Wilken drängte das PRK, sich für die Konstituierende Versammlung auszusprechen. Komarow berichtet, er habe Perepelkin gefragt: „Und wenn am nächsten Tag der Baron von Ihnen verlangt hätte, nicht nur eine Konstituierende Versammlung zu fordern, sondern eine Militärdiktatur? Wie wären Sie dann damit umgegangen?“ Perepelkin antwortete: „Ich gebe es zu, ich kann jetzt ganz offen sagen, dass wir auch dies akzeptiert hätten — wir hatten keinen anderen Ausweg.“ Das also war die „dritte Revolution“!

Wilken sollte bis zum Ende in Kronstadt bleiben, als wesentlicher Teil der Einsatzleitung zusammen mit Petritschenko und dem Generalstab. Er wurde sogar dazu eingeladen, am 11. März vor einer außerordentlichen Mannschaftsversammlung auf seinem ehemaligen Kommandostand, der „Sewastopol“, zu sprechen. Zeidler selbst (zusammen mit dem politischen Repräsentanten General Wrangels in Finnland, Professor Grimm) war damit beauftragt, Kronstadt als Regierung des befreiten Gebiets Russlands zu repräsentieren. Eine der ersten Amtshandlungen der „Unabhängigen Republik Kronstadt“ war ein Funkspruch, der Warren G. Harding zu seiner Amtseinführung als US-Präsident gratulierte! Er wurde abgefangen und am 9. März einer Sitzung des X. Parteitags der Bolschewiki, der damals in Moskau tagte, vorgelegt (angeführt in Schtschetinow, Einführung zur Kronstädter Tragödie).

Im Jahre 1938 schrieb Trotzki: „Die Logik des Kampfes hätte innerhalb der Festung den Extremisten, d. h. den ausgesprochen konterrevolutionären Elementen, den beherrschenden Einfluss gegeben. Die Notwendigkeit des Nachschubs hätte die Festung direkt von der ausländischen Bourgeoisie und ihren Agenten, den weißen Emigranten, abhängig gemacht. Alle erforderlichen Vorbereitungen in dieser Richtung waren bereits getroffen“ (Trotzki, „Das Zetergeschrei um Kronstadt“). Die Archive geben Trotzki vollkommen recht.

Die anarchistische Fälscherschule

Wie schon erwähnt, machen heutige anarchistische Apologeten für Kronstadt viel Aufhebens von der Arbeit des israelischen Akademikers Israel Getzler. Auf der Infoshop-Website zum Beispiel findet man ein rundum antileninistisches, über hundert Seiten langes Traktat zu Kronstadt, in dem behauptet wird: „Anarchistische Darstellungen wurden durch spätere Forschungen erhärtet, während Behauptungen der Trotzkisten immer und immer wieder zerfetzt wurden“ („What Was the Kronstadt Rebellion?“ [Was war der Kronstädter Aufstand?], www.infoshop.org, undatiert). Na, sehen wir uns das einmal an. Getzler deklamiert bombastisch: „Die Frage der Spontaneität des Aufstands, die die Historiografie der Kronstädter Bewegung sechs Jahrzehnte lang gepeinigt hat, [ist] jetzt geklärt — wenigstens zu meiner Zufriedenheit“ („The Communist Leaders’ Role in the Kronstadt Tragedy of 1921 in the Light of Recently Published Archival Documents“ [Die Rolle der kommunistischen Führer bei der Kronstädter Tragödie von 1921 im Lichte jüngst veröffentlichter archivarischer Dokumente], Revolutionary Russia, Juni 2002). Und das nur, weil Tscheka-Kommissionsmitglied Agranow auf Grundlage des sehr begrenzten Beweismaterials, das in den Tagen unmittelbar nach der Meuterei verfügbar war, schrieb: „Diese Ermittlung konnte nicht belegen, dass es vor Ausbruch der Meuterei Aktivitäten irgendeiner im Festungskommando tätigen konterrevolutionären Organisation gab oder dass sie das Werk [imperialistischer] Entente-Spione gewesen ist“ (Agranow, Bericht an das Tscheka-Präsidium, 5. April 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie).

Wer Getzlers Artikel liest, käme nicht auf die Idee, dass die Kronstädter Tragödie unter anderem einen überaus wichtigen weißgardistischen Bericht enthält, der zur Zeit der anfänglichen Tscheka-Ermittlung noch nicht einmal existierte. Dort besteht General G. E. Elwengren, Wrangels militärischer Vertreter in Finnland, kategorisch darauf, dass es in Kronstadt eine organisierte weißgardistische Operation gegeben hat, und erklärt, weshalb die Meuterei vor der Eisschmelze begann:

„Entscheidend ist, dass die Kronstädter Matrosen (die örtliche Organisation, die mit der allgemeinen Organisation in Verbindung stand), nachdem sie von dem Beginn der Bewegung in Petrograd und deren Ausmaß erfahren hatten, diese für einen allgemeinen Aufstand hielten. Weil sie nicht passiv beiseite stehen wollten, beschlossen sie, trotz des vereinbarten Zeitplans, mit dem Eisbrecher ‚Jermak‘ nach Petrograd zu fahren und sich jenen anzuschließen, die bereits auf die Straße gegangen waren. In Petrograd orientierten sie sich schnell und erkannten, dass die Lage nicht ihren Erwartungen entsprach. Sie mussten schnell nach Kronstadt zurückkehren. Die Bewegung in Petrograd hatte sich gelegt, alles war ruhig, doch sie — die Matrosen —, die nun vor den Kommissaren kompromittiert waren, wussten, dass sie Repression zu erwarten hatten, und sie beschlossen, den nächsten Schritt zu machen und die Isolation Kronstadts dazu zu benutzen, ihren Bruch mit der Sowjetmacht zu verkünden und unabhängig ihren Aufstand, zu dessen Beginn sie somit gezwungen waren, voranzutreiben.“

—Elwengren, Bericht an das russische Evakuierungskomitee in Polen, nicht später als
18. April 1921; abgedruckt ebd.

Getzler ignoriert zwar das Elwengren-Dokument, zitiert aber einige isolierte Brocken über Spontaneität aus den Zeugenaussagen von Teilnehmern. Diese sind, gelinde gesagt, höchst selektiv. Getzler zitiert Anatoli Lamanow, einen Redakteur der Iswestija des PRK. Als Vorsitzender des Kronstädter Sowjets von 1917 und damit Verkörperung der angeblichen Kontinuität mit dem Roten Kronstadt war Lamanow ein wichtiges Aushängeschild für die Meuterei. Nach seiner Verhaftung erzählte Lamanow der Tscheka: „Die Kronstädter Meuterei kam für mich unerwartet. Ich betrachtete die Meuterei als eine spontane Bewegung“ (Protokolle der Tscheka-Vernehmung von Anatoli Lamanow, 19. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Diese Aussage zitiert Getzler. Nicht von Getzler zitiert wird Lamanows Bekenntnis, ein paar Sätze weiter, über die Lage nach einer Delegiertenversammlung am 11. März, an der Wilken teilnahm:

„Ich änderte meine Meinung über die Bewegung und hielt sie von da an nicht mehr für spontan. Bis zu dem Zeitpunkt, als sowjetische Truppen Kronstadt einnahmen, hatte ich geglaubt, die Bewegung sei von den linken Sozialrevolutionären organisiert worden. Nachdem ich zur Überzeugung gelangte, dass die Bewegung nicht spontan war, sympathisierte ich nicht länger mit ihr. Ich arbeitete nur deshalb weiterhin an der Iswestija mit, weil ich fürchtete, es könne in der Bewegung ein Rechtsruck stattfinden...

Jetzt bin ich fest davon überzeugt, dass ohne jeden Zweifel Weißgardisten, sowohl russische als auch ausländische, an der Bewegung teilnahmen. Die Flucht nach Finnland hat mich davon überzeugt. Ich halte jetzt meine Beteiligung an dieser Bewegung für einen unverzeihlichen, dummen Fehler.“

—Protokoll der Tscheka-Vernehmung von Anatoli Lamanow, 19. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie

Noch bevor Getzler die Frage der Spontaneität der Meuterei „klärte“ — nämlich zu seiner Zufriedenheit —, hatte er 1983 auf ähnliche Weise lautstark „harte statistische Fakten“ angekündigt, die die Behauptungen der Bolschewiki widerlegen würden, dass sich die soziale Zusammensetzung der Kronstädter Garnison zwischen 1917 und 1921 drastisch verändert hatte (Getzler, Kronstadt 19171921: The Fate of a Soviet Democracy [Kronstadt 1917–1921: Das Schicksal einer Sowjetdemokratie], Cambridge University Press, 1983). Der Infoshop-Artikel behauptet, Getzlers „Befunde sind eindeutig“. Wie eindeutig? In einer Fußnote zitiert Getzler folgende Quelle für sein Beweismaterial:

„Siehe Puchow, ‚Kronštadt i baltijskij flot pered mjatežom‘ [Kronstadt und die Baltische Flotte vor der Meuterei] über Daten, die sich auf das Geburtsdatum (statt das Anmusterungsdatum) der per 1. Januar 1921 in der Baltischen Flotte dienenden Matrosen beziehen, die nahelegen, dass wenigstens rund 80 Prozent Veteranen der Revolution von 1917 waren.“

—Getzler, Kronstadt 1917–1921

Wir sahen in Puchows Artikel nach. Aus dem Alter der Matrosen folgerte Puchow nicht, dass sie 1917 in Kronstadt gewesen wären — ganz im Gegenteil. Puchow folgerte:

„Im Laufe von knapp zwei Jahren wurde das Personal der Baltischen Flotte systematisch neu besetzt durch launische, verschlagene und klassenmäßig entwurzelte Elemente, was in großem Ausmaß den Prozess der Degeneration des Personals und der Wandlung seiner sozialen und politischen Zusammensetzung bestimmt hat bis zu dem Punkt, dass es Anfang 1921 nicht mehr wiederzuerkennen war.“

—A. S. Puchow, „Kronstadt und die Baltische Flotte vor der Meuterei von 1921“, Krasnaja Letopis, 1930, Nr. 6

Puchow erklärte, dass die proletarischen Elemente der Baltischen Flotte ein ständiges „Reservoir entschlossener Kämpfer [darstellten], die mit außerordentlichem Mut an den schwierigsten Schauplätzen der siegreichen Revolution kämpften“; sie wurden „an die gefährlichsten Frontabschnitte des Bürgerkriegs und zu den anspruchsvollsten Vorposten“ der neuen Staatsverwaltung geschickt. Doch dieses Reservoir war begrenzt, und diejenigen, die als Ersatz kamen, zog es gerade deswegen nach Kronstadt, weil es nicht in der Nähe der Frontlinien lag und bessere Verpflegung und Kleidung bot als die Rote Armee. Seit 1918 wurden die Flottenverstärkungen auf freiwilliger Basis rekrutiert über ein besonderes Anwerbebüro sowie durch direkt von den Schiffskomitees organisierte Anwerbekampagnen:

„Der ungehinderte Zugang von Freiwilligen zur Flotte und die auf persönlichen Erwägungen beruhende Cliquenmentalität, mit der die Schiffskomitees ihre Besatzungen zusammenstellten, führten schließlich dazu, dass fremde Klassenelemente in die Flotte einsickerten... Zusammen mit jungen Arbeitern und alten Seeleuten, die eine tief verwurzelte Hingabe an die Flotte besaßen und darauf brannten, für die Stärkung einer roten, sozialistischen Flotte zu arbeiten, traten auch häufig Gymnasiasten und Handelsschüler ein, richtige Muttersöhnchen aus dem ehemaligen Adel, Kinder von Spekulanten, Typen mit dunkler Vergangenheit und so weiter. Es ist typisch für diese Periode, dass der spätere ‚Führer‘ der Kronstädter Meuterei, S. Petritschenko, zu der Flotte kam, um als Büroangestellter zu ‚dienen‘.“

—Ebd.

Dann ging die Flotte zur Einberufung von Wehrpflichtigen über: „Die älteren Seeleute, die nun erneut einberufen wurden [ursprünglich Wehrpflichtige unter dem Zarismus] kamen in ihrer überwiegenden Mehrheit aus den Dörfern, wo sie sich inzwischen ‚verbäuerlicht‘ hatten“ (ebd.). Als schließlich Ende 1920 die Mannschaften bis zu 60 Prozent unterbesetzt waren, bekam die Baltische Flotte „qualifizierte“ Verstärkung von der Roten Armee:

„Ob Absicht oder nicht, die Rote Armee schickte Soldaten mit schlechtem Ruf. Dazu gehörten besonders ehemalige Deserteure, die Disziplinlosen und so weiter. Das heißt, die Rote Armee schickte diejenigen, die für sie nutzlos und in den Reserveeinheiten unerwünscht waren. Und die Flotte war gezwungen, diese ‚qualifizierten‘ Verstärkungen zu nehmen, denn sie litt unter einem dringenden Bedarf an ihnen.“

—Ebd.

Ebenfalls zu Hosianna-Rufen von Infoshop behauptet Getzler auch über die 2028 Besatzungsmitglieder der „Petropawlowsk“ und der „Sewastopol“, deren Anmusterungsjahr bekannt ist: „Nur 137 Matrosen oder 6,8 % wurden in den Jahren 1918–21 rekrutiert, darunter drei, die 1921 eingezogen wurden, und das waren die einzigen, die während der Revolution von 1917 nicht dort gewesen waren.“ Getzlers einziger Beweis dafür sind Besatzungslisten vom Februar 1921, die S. N. Semanow in Likvidacija antisovetskogo Kronštadtskogo mjateža 1921 goda [Die Liquidierung der antisowjetischen Kronstädter Meuterei von 1921]; ursprünglich veröffentlicht in Woprosy istorii, 1971, Nr. 3) aufführt. Wir untersuchten Semanows Listen ebenfalls; sie gaben an, wann die Matrosen anmusterten, nicht aber wo sie 1917 gedient hatten. Das Beweismaterial deutet darauf hin, dass die Besatzungen von 1921 in ihrer überwiegenden Mehrheit keine Veteranen von Kronstadt 1917 waren. So zeigt zum Beispiel Juri Schtschetinow in seiner unveröffentlichten Arbeit Kronstadt, März 1921, dass die Besatzung der „Petropawlowsk“ bis Ende 1918 von fast 1400 auf nur noch 200 Mann zurückgegangen war; die Mehrheit des Ersatzes waren nicht Kronstädter Veteranen, sondern Wehrpflichtige — ehemalige Besatzungsmitglieder der Flotte, der Handelsmarine und von Binnenschiffen —, die nach der Revolution abgemustert hatten, anstatt freiwillig in der neu gegründeten Roten Flotte zu dienen: „Unter denen, die mobilisiert wurden, waren nicht wenige Matrosen, die in der Schwarz- und der Nordmeerflotte gedient hatten, wo im Vergleich zur Baltischen Flotte der Einfluss der Sozialrevolutionäre und der Anarchisten beträchtlich größer war“ (Schtschetinow, Kronstadt, März 1921).

In der Einleitung zur Kronstädter Tragödie erklärt Schtschetinow kategorisch: „Allein im Jahre 1920 wurden, bei einer Gesamtstreitmacht von 17 000 Mann, 10 000 Matrosen und Rotarmisten durch Wehrpflichtige ersetzt.“ Und immerhin eine Autorität wie Iwan Oreschin, Kadetten- und PRK-Mitglied, bestätigte 1924 in einer Emigrantenzeitschrift die „offizielle bolschewistische Linie“ (wie Getzler sagen würde):

„Die Matrosen waren schon nicht mehr die von 1917/1918. Der revolutionäre Glanz war längst verflogen. Sie waren faul geworden und hatten jenen waghalsigen Enthusiasmus verloren, mit dem sie die Konstituierende Versammlung aufgelöst hatten. Viele waren zu Hause auf dem Dorf zu Besuch gewesen und hatten mit eigenen Augen die verheerenden Bedingungen gesehen, die die Bolschewiki herbeigeführt hatten. Sie wandten sich gegen ihre eigene Herrschaft.“

—„Der Kronstädter Aufstand und seine Bedeutung“, 6. Juni 1924; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie

Und schließlich gibt es Paul Avrich, der klarstellt, dass die Meuterer von 1921 nicht die roten Kronstädter von 1917 waren: „Obwohl die Aufständischen ... jegliche antisemitischen Vorurteile bestritten, steht außer Frage, dass bei den Matrosen der Baltischen Flotte, von denen viele aus der Ukraine und den westlichen Grenzgebieten stammten, den klassischen Gegenden des virulenten Antisemitismus in Russland, die Emotionen gegen die Juden hoch schlugen“ (Avrich, Kronstadt 1921). Iswestija-Redakteur Lamanow gab zu, dass antisemitisches Gift über die Juden, die „Russland ermordet“ hätten, so sehr grassierte — „Autoren legten ziemlich oft derartige Schriften vor“ —, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „antisemitische Propaganda abzublocken“ (Weitere Verhörprotokolle von Anatoli Lamanow, 25. März 1921; abgedruckt in der Kronstädter Tragödie). Diese bereinigten Iswestija-Artikel wurden dann von Volin und anderen anarchistischen Apologeten als „Beweis“ für die revolutionären Absichten der Meuterer hingestellt. In Trotzkis Worten: „Sie zitieren die Aufrufe der Aufständischen, wie fromme Priester die Heilige Schrift zitieren“ („Das Zetergeschrei um Kronstadt“).

Trotzkis Rolle während der Kronstädter Krise

Schon geraume Zeit bevor Kronstadt explodierte, war es den bolschewistischen Führern klar, dass die Zeit des Regimes des Kriegskommunismus abgelaufen war. Nach monatelangen Diskussionen wurde auf dem X. Parteitag, der inmitten des Wütens der Meuterei zusammentrat, die Neue Ökonomische Politik (NEP) offiziell angenommen. Bereits im Februar 1920 hatte Trotzki vorgeschlagen, die Zwangsrequirierung von Getreide durch eine Steuer zu ersetzen, die die Regierung in Form von Agrarprodukten kassieren würde — eine „Naturalsteuer“ —, das Kernstück der NEP. Sein Vorschlag wurde damals abgelehnt, und Trotzki reagierte darauf mit dem Versuch, den Kriegskommunismus mit verstärktem militärisch-administrativem Eifer durchzuführen und auszuweiten; er trat in fraktioneller Weise heftig für die Verschmelzung der sowjetischen Gewerkschaften mit dem Staatsapparat ein, damit sie die Wirtschaft leiten. Hinter diesem Vorschlag stand die Vorstellung, dass in einem Arbeiterstaat grundlegende Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse wie Gewerkschaften bestenfalls überflüssig seien und schlimmstenfalls ein Hebel für den rückschrittlichen wirtschaftlichen und bürokratischen Widerstand, gegen den er während des Bürgerkriegs als Oberbefehlshaber der Roten Armee angekämpft hatte.

So löste Trotzki den Gewerkschaftskampf aus, der die Partei am Vorabend des X. Parteitags zerriss. Lenin stellte den Kampf gegen Trotzki und seine Verbündeten in den Rahmen einer breiteren Parteidiskussion. Wie wir schrieben:

„Lenin beharrte zu Recht darauf, dass unter den damaligen konkreten Bedingungen in Russland die Gewerkschaften notwendige Verteidigungsorgane der Arbeiterklasse waren, nicht nur gegenüber der mit ihr verbündeten Bauernmehrheit, sondern auch gegen reale bürokratische Übergriffe durch den sowjetischen Staat selbst...

[Es schien] Lenin, dass sich Trotzki als Sprecher für die wachsende bürokratische Schicht empfehlen wollte; dafür sprachen sein früherer fraktioneller Eifer und seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Schutz der außerhalb der Partei stehenden Massen vor der entstehenden Bürokratie.“

—„Trotzki und die russische Linke Opposition“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001

Trotzki büßte eine Menge an Autorität ein und schwächte sich enorm gegenüber internen Gegnern wie Sinowjew (und Stalin).

Die oft wiederholte Verleumdung, er sei persönlich im Blut der Meuterer gewatet, sprach Trotzki in seinem Artikel zu Kronstadt vom Juli 1938 an. Trotzki erinnert sich, er sei zum Parteitag nach Moskau gekommen und dort während der gesamten Kronstädter Ereignisse geblieben. Allerdings hatte Trotzki vom 5. März an doch für vier Tage Moskau verlassen, um nach Petrograd zu fahren. An diesem Tag stellte er den Matrosen ein Ultimatum und befahl ihnen, sie sollten sich bedingungslos ergeben. Er organisierte auch ein neues Kommando unter Michail Tuchatschewski zur Niederschlagung des Aufstandes. Nach dem Fehlschlag von Tuchatschewskis erstem Angriff auf Kronstadt am 7./8. März eilte Trotzki nach Moskau zurück, um die Parteitagsdelegierten aufzurütteln. So weit reichte seine unmittelbare Rolle bei der Niederschlagung des Aufstandes. Trotzki erklärte:

„Die Wahrheit jener Geschichte ist, dass ich persönlich nicht im mindesten an der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands teilgenommen habe, noch an der Repression nach der Niederschlagung. In meinen Augen ist diese Tatsache von keiner politischen Bedeutung. Ich war Mitglied der Regierung, ich fand die Bekämpfung des Aufstands notwendig und trage deshalb Verantwortung für dessen Niederschlagung...

Wie kam es dazu, dass ich nicht persönlich nach Kronstadt ging? Der Grund war politischer Natur. Der Aufstand brach während der Diskussion über die sogenannte Gewerkschaftsfrage aus. Die politische Arbeit in Kronstadt war ganz in der Hand des Petersburger Komitees, an dessen Spitze Sinowjew stand. Derselbe Sinowjew war der hauptsächliche, unermüdlichste und leidenschaftlichste Anführer im Kampf gegen mich in der Diskussion.“

—Trotzki, „Mehr über die Niederschlagung Kronstadts“, 6. Juli 1938

Sinowjew nutzte Trotzkis falsche Position zur Gewerkschaftsfrage demagogisch aus, um gegen Trotzki und seine Verbündeten — unter ihnen der Kommandeur der Baltischen Flotte F. F. Raskolnikow — Stimmung zu machen. Am 19. Januar 1921 nahm Trotzki an einer öffentlichen Debatte über den Gewerkschaftsstreit vor 3500 Seeleuten der Baltischen Flotte teil. „Das Kommandopersonal der Flotte war isoliert und verängstigt“, erinnerte sich Trotzki (ebd.). „Dandyhafte und wohlgenährte Matrosen, Kommunisten nur dem Namen nach“, stimmten zu ungefähr 90 Prozent für Sinowjews Resolution. Trotzki weiter:

„Die überwältigende Mehrheit der Matrosen-‚Kommunisten‘, die Sinowjews Resolution unterstützt hatten, nahm am Aufstand teil. Ich schlug vor — und das Politische Büro machte keine Bedenken geltend —, dass Verhandlungen mit den Matrosen und, falls notwendig, ihre Befriedung, jenen Führern überlassen werden sollten, die noch gestern das politische Vertrauen jener Matrosen genossen. Andernfalls hätten die Kronstädter die Angelegenheit so angesehen, als ob ich gekommen wäre, um ‚Rache‘ dafür zu nehmen, dass sie während der Parteidiskussion gegen mich gestimmt hatten.“

—Ebd.

In „The Truth About Kronstadt“ weist John G. Wright darauf hin, dass Flottenkommissar Kusmin, ein Unterstützer Sinowjews, und die anderen örtlichen kommunistischen Führer, insoweit sie gegenüber dem vollen Ausmaß der sich in Kronstadt zusammenbrauenden Gefahr blind waren, „das Vorhaben der Konterrevolutionäre, die objektiven Schwierigkeiten für ihre Ziele auszunutzen, erleichterten“. Doch Wright betont, dass hier der fundamentale Gegensatz zwischen zwei Klassenlagern im Spiel war: „Alle anderen Fragen können nur von zweitrangiger Bedeutung sein. Dass die Bolschewiki möglicherweise Irrtümer der allgemeinen oder konkreten Art begangen haben, kann nichts an der Tatsache ändern, dass sie die Errungenschaften der proletarischen Revolution gegen die bürgerliche (und kleinbürgerliche) Reaktion verteidigt haben“ („The Truth About Kronstadt“).

Revolution gegen Konterrevolution

Das große Verbrechen der Bolschewiki lag in den Augen ihrer „demokratischen“ Kritiker darin, dass sie siegten. Zum ersten Mal in der Geschichte ergriff und behauptete eine besitzlose, unterdrückte Klasse die Macht und bewies damit in der Praxis, dass das Proletariat tatsächlich herrschen kann. Genau darum ging es schon seit jeher beim „Zetergeschrei um Kronstadt“.

Die Infoshop-Anarchisten spotten über das „‚leninistische Prinzip‘ (‚unantastbar für jeden Bolschewiken‘), dass ‚die Diktatur des Proletariats identisch ist mit der Diktatur der Partei und nur durch sie verwirklicht werden kann‘“ („What Was the Kronstadt Rebellion?“). Sie vertreten stattdessen die Kronstädter Losung „Alle Macht den Sowjets und nicht den Parteien“. Dieser Versuch, die Interessen der Klasse, die sich in Sowjets organisiert, denen ihrer revolutionären Avantgarde, die sich in einer leninistischen Partei organisiert, entgegenzustellen, ist typisch für die plumpen Vorurteile der Anarchisten gegen jegliche Führung. Wenn es je ein schlagendes Beispiel dafür gab, dass die Herrschaft der Arbeiter von der entschlossenen Führerschaft der kommunistischen Avantgarde abhängt — von „der Diktatur der Partei“, wenn man so will —, dann war das Kronstadt im Jahre 1921. Es ist eine schlichte Tatsache, dass jede andere Tendenz in der Arbeiterbewegung, ob menschewistisch oder anarchistisch, die Konterrevolution unterstützte!

In einem stabilen Arbeiterstaat sind Leninisten für volle demokratische Rechte aller politischen Tendenzen, die nicht den gewaltsamen Sturz der proletarischen Diktatur betreiben. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, dass es in Sowjet-Gremien zu Abstimmungsniederlagen der Kommunisten kommt. Doch die der Belagerung trotzende russische Arbeiterrepublik von 1918–22 war alles andere als stabil, und wären die Bolschewiki zugunsten sozialdemokratischer, populistischer oder anarchistischer Elemente zurückgetreten, hätten sowohl die Leninisten als auch ihre kleinbürgerlichen Widersacher sehr bald in die Läufe weißgardistischer Erschießungskommandos geblickt.

Die Niederschlagung von Kronstadt verschaffte dem belagerten sowjetischen Arbeiterstaat Zeit, um seine Wirtschaft und die Arbeiterklasse neu beleben — und dadurch die Bedingungen für eine lebendige Sowjetdemokratie wiederherstellen — und um für den Sieg der proletarischen Revolution in anderen Ländern kämpfen zu können. Hätte zwei Jahre später die revolutionäre Gelegenheit im industrialisierten Deutschland mit einem proletarischen Sieg geendet, wäre dies nicht nur für die Zukunft Sowjetrusslands von entscheidender Bedeutung gewesen, sondern für die Zukunft der sozialistischen Weltrevolution (siehe „Zur Wiederbewaffnung des Bolschewismus — Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001). Die Niederlage in Deutschland wurde von einer bürokratischen Schicht in der Partei und im Staatsapparat der Sowjetunion ausgenutzt, die dem Proletariat und seiner bolschewistischen Avantgarde die politische Macht entriss.

Der internationale Charakter der proletarischen Revolution ist der kleinbürgerlich-provinziellen Denkart des Anarchismus fremd. In seiner Schmähschrift von 1945 verdammt der russische Anarchist Volin die bolschewistische Regierung dafür, dass sie die roten Kronstädter von 1918 überall dorthin schickte, „wo die Situation im Innern schwankend, bedrohlich, gefährlich wurde“, und dafür mobilisierte, „den Bauern die Gedanken der revolutionären Solidarität und Pflicht zu predigen, insbesondere ihnen die Notwendigkeit der Ernährung der Städte klarzumachen“ (Der Aufstand von Kronstadt, Unrast-Verlag 1999, Nachdruck aus Die unbekannte Revolution). Dies war, so weint Volin, ein „machiavellischer Plan“, um Kronstadt „zu schwächen, auszulaugen, zu verschleißen und zu erschöpfen“. Volin ordnet die Interessen der gesamtrussischen Revolution — und erst recht der Weltrevolution — der angeblichen integren Einheit Kronstadts unter, was die idiotische Engstirnigkeit unterstreicht, die dem anarchistischen Konzept autonomer „föderierter Kommunen“ eigen ist.

In unserer Besprechung von Avrichs Kronstadt 1921 fragten wir: „Was ist denn die anarchistische Antwort auf die alliierte Blockade, unter Wasser gesetzte Kohlengruben, aufgerissene Eisenbahngleise und gesprengte Brücken usw., was dazu führte, dass es nichts gab, was man den Bauern im Austausch für Getreide anbieten konnte?“ (WV Nr. 195, 3. März 1978). Die Imperialisten und die Weißen versuchten zwischen die Arbeiterregierung und die riesigen Bauernmassen einen Keil zu treiben. Die Bolschewiki, die nur über begrenzte Mittel und eine nicht funktionierende Großindustrie verfügten, mussten gegenüber der Bauernschaft und gegenüber Kleinproduzenten und Kleinhändlern Zugeständnisse machen. Doch die NEP konnte nur ein zeitweiliger Rückzug sein — sie brachte ihre eigenen Gefahren mit sich, was klar wurde, als die nunmehr ermutigten Kulaken, die wohlhabenderen Bauern, einige Jahre später aufbegehrten.

Als liberale Idealisten sind die Anarchisten Meister darin, die konkreten materiellen Bedingungen, mit denen die Arbeiterrevolution fertig werden musste, geflissentlich zu übersehen. Die Infoshop-Autoren erkennen, wenigstens auf dem Papier, die fürchterliche Lage an, in der sich das revolutionäre Russland damals befand. Aalglatt behaupten sie, der Schlüssel zum Wiederaufbau des Landes sei die Beteiligung der Arbeiterklasse und der Bauernschaft an „freien Klassenorganisationen wie frei gewählten Sowjets und Gewerkschaften“ („What Was the Kronstadt Rebellion?“) gewesen. Wir haben bereits gesehen, was die „freien Sowjets“ der Anarchisten in der Praxis bedeutet hätten — eine Rückkehr zur Herrschaft der Weißen und eine „zeitweilige Militärdiktatur“.

In „Über die Naturalsteuer“ entlarvte Lenin die Blindheit des linken Menschewiken Julius Martow:

„Wenn Martow in seiner Berliner Zeitschrift erklärt, Kronstadt habe nicht nur menschewistische Losungen durchgeführt, sondern auch den Beweis geliefert, dass eine antibolschewistische Bewegung möglich sei, die nicht vollständig den Weißgardisten, den Kapitalisten und Gutsbesitzern diene, so ist das gerade das Musterbeispiel eines in sich selbst verliebten spießbürgerlichen Narziss. Lasst uns einfach die Augen verschließen vor der Tatsache, dass alle echten Weißgardisten den Kronstädter Meuterern zujubelten und durch die Banken Gelder zur Unterstützung von Kronstadt sammelten! Miljukow hat gegenüber den Tschernow und Martow recht, denn er verrät, welches die wirkliche Taktik der wirklichen weißgardistischen Kraft ist, der Kraft der Kapitalisten und Gutsbesitzer: Lasst uns jeden, wer immer es auch sei, sogar die Anarchisten, und jede beliebige Sowjetmacht unterstützen, wenn nur die Bolschewiki gestürzt werden, wenn nur eine Verschiebung der Macht herbeigeführt wird! ... das übrige aber — das übrige werden ‚wir‘, die Miljukow, ‚wir‘, die Kapitalisten und Gutsbesitzer, ‚selber‘ besorgen; die Anarchisten, die Tschernow und Martow werden wir mit einem Fußtritt davonjagen.“

—Lenin, „Über die Naturalsteuer“, 21. April 1921

Lenins prägnante Analyse wird ergänzt durch eine widerwillige Bestätigung von der anderen Seite der Klassenlinie, von Wrangels Strohmann General A. A. von Lampe. Dieser klassenbewusste Bourgeois, der nicht Martows kleinbürgerlich-mystische Scheuklappen aufhatte, notierte sarkastisch in sein Tagebuch: Die Wahrheit über Kronstadt der Sozialrevolutionäre sei „voll von Rechtfertigungen, um den Gedanken zu zerstreuen, die Matrosen hätten, Gott verhüte, unter dem Einfluss ehemaliger Offiziere gestanden“ (zitiert in Schtschetinow, Einleitung zur Kronstädter Tragödie). „Die SR verstehen nicht, dass in einem solchen Kampf strenge und entschlossene Maßnahmen vonnöten sind“, sagte er und fasste zusammen: „Es scheint, dass man, ob man will oder nicht, zu Lenins Schlussfolgerung kommen muss, dass es in Russland nur eine von zwei Herrschaften geben kann: eine monarchistische oder eine kommunistische.“

Was die Bourgeoisie und ihre Schreiberlinge, von den Menschewiki bis zu Infoshop, nicht verzeihen können, ist die Tatsache, dass Lenin und Trotzki entschlossene Maßnahmen gegen die Kronstädter Meuterei ergriffen. Das Proletariat steht für immer tief in der Schuld der 1385 Soldaten und Kommandeure der Roten Armee, die ihr Leben gaben, und der 2577, die bei der Verteidigung des jungen sowjetischen Arbeiterstaats verwundet wurden. Das neue historische Beweismaterial, das in der Kronstädter Tragödie zusammengetragen ist, klagt eindeutig die Handlanger der Konterrevolution an, die diese revolutionären Märtyrer verleumdet haben.

Spartacist (deutsche Ausgabe) Nr. 25

DSp Nr. 25

Frühjahr 2006

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Russische Archive: Anarchistische Lügen abermals widerlegt

Kronstadt 1921: Bolschewismus gegen Konterrevolution

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Empire, Multitude und „Tod des Kommunismus“

Senile Ergüsse des Postmarxismus

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Russische Revolution und Emanzipation der Frauen

(Frauen und Revolution)

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Briefwechsel mit Revolutionary History

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Für eine leninistische Partei in Griechenland!

Für eine Sozialistische Föderation des Balkans!

Gründung der Trotzkistischen Gruppe Griechenlands

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Elizabeth King Robertson, 1951–2005