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Spartakist Nummer 221

Sommer 2018

Griechische Trotzkisten gegen chauvinistische Hetze über Mazedonien

Für eine Sozialistische Föderation des Balkans!

Folgender Artikel erschien zuerst in O Bolsevíkos Nr. 4, April 2018, Zeitung der Trotzkistischen Gruppe Griechenlands (TOE, Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga). Am 17. Juni unterzeichneten die Regierungen von Griechenland und Mazedonien eine Vereinbarung, dass letztere ihren Namen in Republika Severna Makedonija (Republik Nord-Mazedonien) ändern wird. Das mazedonische Parlament hat das Abkommen ratifiziert, später soll ein Referendum stattfinden. Auch das griechische Parlament muss noch zustimmen.

17. April – Am 21. Januar in Thessaloniki und am 4. Februar in Athen beteiligten sich Hunderttausende an chauvinistischen Demonstrationen und forderten, die Republik Mazedonien dürfe nicht die Bezeichnung „Mazedonien“ in ihrem Namen tragen. An diesen reaktionären Demonstrationen beteiligten sich unter anderem Nea Demokratia, PASOK, ANEL, Horden von der Kirche organisierter Gläubiger sowie pensionierte höhere Staatsbedienstete und paramilitärische Organisationen. An der Spitze des Mobs standen die Faschisten von Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). In Thessaloniki grölten die Faschisten „Die Stadt gehört den Nationalisten“, bevor sie das von Anarchisten frequentierte Sozialzentrum „Sxoleio“ angriffen, das besetzte Libertatia-Haus anzündeten und das Holocaust-Mahnmal schändeten.

Der Metropolit [Erzbischof] Anthimos rief bei seiner Kirchenpredigt in Thessaloniki zur Unterstützung der Demonstrationen auf und verkündete: „Wo immer Mazedonien ist, ist auch Griechenland, und wo immer Griechenland ist, ist auch Mazedonien.“ Eben dieser Bischof drohte 2014, Jugendliche in Thessaloniki zu mobilisieren, um Straßenschilder, die an berühmte Türken der Stadt erinnern, zu zerstören. Die orthodoxe Kirche ist eine tragende Säule des griechischen Staats, ein Bollwerk des griechischen Chauvinismus und allumfassender Reaktion. Die vollständige Trennung von Kirche und Staat muss eine der Hauptforderungen der Arbeiterbewegung in Griechenland sein.

Bereits 1991, als die Republik Mazedonien ihre Unabhängigkeit erklärte, explodierte griechisch-chauvinistische Hysterie wegen der Bezeichnung „Mazedonien“. Dies geschah inmitten des von den Imperialisten angefachten Auseinanderbrechens des deformierten Arbeiterstaats Jugoslawien – eine kapitalistische Konterrevolution, die sich aus einem nationalistischen Blutbad nährte und dieses verstärkte. Im darauf folgenden Jahr brachen in Griechenland riesige Demonstrationen mit bis zu einer Million Menschen aus, mit Bannern wie „Mazedonien ist griechisch“. Die griechische herrschende Klasse und ihre orthodoxe Kirche beharren darauf, dass schon der Name Mazedonien ausschließlich griechisches Eigentum sei, das auf die Antike zurückgeht, und dass „Mazedonier“ nur eine „geografische“ Bezeichnung für die Bürger in Griechenlands nördlicher Provinz gleichen Namens ist. Wegen Athens Unnachgiebigkeit wurde die Republik in internationalen Körperschaften fast drei Jahrzehnte lang als Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (EJRM, im Englischen FYROM) bezeichnet. Griechische Chauvinisten nennen das Nachbarland verächtlich nur „Skopje“ [die Hauptstadt Mazedoniens].

Die Amtseinführung einer neuen Regierung in Mazedonien im Mai 2017, einer Koalition unter Zoran Zaevs Sozialdemokratischer Liga Mazedoniens (SDSM), die die rechtsgerichtete nationalistische Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation-Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit (VMRO-DPMNE) ablöste, wurde von den US- und europäischen Imperialisten und ebenso von Syriza zum Anlass genommen, Mazedonien zu einem Kompromiss in der Namensfrage zu drängen. Die Imperialisten, mit Unterstützung Syrizas, wollen den Weg für die Mitgliedschaft des Landes in der NATO und der EU frei machen, wogegen Griechenland bisher sein Veto einlegte. Eines der Hauptziele der US-Imperialisten dabei ist, Russlands Einfluss in Mazedonien und auf dem übrigen Balkan zu untergraben. Als marxistische Revolutionäre sind wir aus Prinzip Gegner sowohl des blutigen NATO-Militärbündnisses als auch der imperialistischen EU. NATO raus aus dem Balkan! Schließung von Souda und allen anderen US-Militärstützpunkten in Griechenland! Nieder mit der EU und dem Euro! Sofortiger Austritt Griechenlands!

Die Regierung Mazedoniens hat bereits Zugeständnisse gemacht, indem sie die Namen ihres internationalen Flughafens und ihrer Hauptautobahn änderte, um Verweise auf Alexander den Großen zu beseitigen. Aber dies reicht nicht aus, um die arroganten griechischen Chauvinisten zu besänftigen, die fordern, die Republik Mazedonien solle ihre Verfassung ändern und die Artikel streichen, welche die Nationalität und Sprache der slawischen Bevölkerung Mazedoniens als „mazedonisch“ beschreiben, wie auch den Artikel, der besagt: „Die Republik kümmert sich um die Stellung und Rechte der Angehörigen des mazedonischen Volkes in den Nachbarstaaten und der Aussiedler aus Mazedonien“ („Die Verfassung der EJRM strotzt vor irredentistischen Bezugnahmen“, Kathimerini, 24. Januar).

Für Selbstbestimmung der mazedonischen Minderheit Griechenlands!

Griechische Chauvinisten behaupten beharrlich, dass jeglicher Gebrauch der Bezeichnung „Mazedonien“ oder Verweis auf Mazedonier in Griechenland durch die Republik einen irredentistischen Anspruch auf griechisches Territorium beinhalte. Mazedonien ist ein winziges Land mit einer Bevölkerung von nur zwei Millionen, davon ein Viertel ethnische Albaner. Aber Griechenland ist ebenfalls ein Balkanland mit seinen eigenen nationalen Fragen. Der griechische kapitalistische Staat lehnt es als einziger auf dem Balkan ab, die Existenz irgendeiner nationalen Minderheit innerhalb seiner Grenzen anzuerkennen. Ethnische Mazedonier werden offiziell als „slawischsprachige Griechen“ bezeichnet, während die Türken Westthrakiens (sowie Pomaken und Roma, die andere Sprachen sprechen) „griechische Muslime“ genannt werden. In Wirklichkeit existiert trotz jahrzehntelanger ethnischer Säuberung und Zwangshellenisierung hauptsächlich nahe der Grenze zur Republik Mazedonien weiterhin eine mazedonische Bevölkerung.

Die mazedonische Bevölkerung ist Opfer systematischer Diskriminierung und schrecklicher Unterdrückung durch den griechischen Staat. Die Mazedonier wurden gezwungen, ihre Namen und die Namen ihrer Ortschaften zu ändern; ihre Sprache und Kultur sind verboten; Aktivisten für die Rechte der Mazedonier werden verfolgt. Die Feindseligkeit der griechischen Bourgeoisie gegenüber Mazedoniern nährt sich aus deren zentraler Rolle bei den kommunistisch geführten Kräften während des Bürgerkriegs. 1982 erlaubte die erste PASOK-Regierung die Rückkehr von griechischstämmigen Kämpfern der Demokratischen Armee Griechenlands (DSE) aus dem Exil, aber Mazedoniern, die mit den Kommunisten gekämpft hatten, blieb weiterhin die griechische Staatsbürgerschaft verwehrt und selbst heute noch bekommen sie kein Visum, wenn sie ihre Familien in Griechenland besuchen wollen. Schon der bloße Hinweis auf die Existenz einer mazedonischen Minderheit in Griechenland reicht aus, um wütende chauvinistische Gegenreaktionen hervorzurufen. Nicht von ungefähr herrscht in den mazedonischen Gebieten ein Klima der Angst.

Als integraler Bestandteil unseres Kampfes zur Schmiedung des Kerns einer internationalistischen leninistischen Arbeiterpartei in Griechenland kämpft die Trotzkistische Gruppe Griechenlands (TOE) dafür, die Arbeiterklasse von griechischem Chauvinismus zu brechen, um für eine proletarische Revolution zu kämpfen. Wir kämpfen für das Recht der mazedonischen Minderheit auf Selbstbestimmung, was das Recht der ethnischen Mazedonier beinhaltet, sich abzuspalten und ihren eigenen Staat zu gründen oder sich mit dem bestehenden Staat Mazedonien zu vereinigen. Wir sind gegen jegliche Diskriminierung der verschiedenen nationalen Minderheiten, die innerhalb der Grenzen Griechenlands leben – Türken, Arvaniten, Walachen, Pomaken und andere –, sowie von ethnischen Gruppen wie den Roma und wir kämpfen für deren volle demokratische Rechte.

1992 entfachten die griechischen herrschenden Kreise eine chauvinistische Gegenreaktion in der Mazedonienfrage vor dem Hintergrund heftiger Kämpfe der Arbeiterklasse gegen Austerität und gewerkschaftsfeindliche Politik. Auch heute, nach einem Jahrzehnt verzweifelter Kämpfe der arbeitenden Massen gegen die Angriffe der EU und der griechischen Bourgeoisie – jetzt umgesetzt von der „linken“ Regierung der kapitalistischen Partei Syriza – wird griechischer Nationalismus von den Feinden der Interessen der Arbeiterklasse eingesetzt, um diese zu schwächen und zu spalten und ihre Kämpfe zum Scheitern zu bringen.

Nationalismus ist Gift für das Proletariat und ist direkt dem entgegengesetzt, was heute so dringend notwendig ist: internationalistische Solidarität und gemeinsamer EU-weiter Klassenkampf der Arbeiter gegen ihre Bosse. Nicht nur in ärmeren Ländern wie Griechenland und Irland leiden Arbeiter unter der EU-Austerität. Auch in Deutschland, dem mächtigsten Land in Europa, wurde der Lebensstandard der Arbeiter heruntergedrückt, um die Profite der Bosse anzukurbeln. Es liegt im unmittelbaren Interesse der griechischen Arbeiter, sich den Versuchen der Kapitalisten und deren Mitläufern zu widersetzen, Chauvinismus gegen ihre mazedonischen, türkischen oder deutschen Klassenbrüder und -schwestern zu entfachen.

Die Arbeiterklasse in Griechenland wird nicht für ihre eigenen Interessen und eine siegreiche proletarische Revolution kämpfen können, wenn sie nicht mit dem Nationalismus bricht – eine bürgerliche Ideologie, die dazu dient, die arbeitenden Menschen im sogenannten „nationalen“ Interesse an ihre Ausbeuter zu ketten. Arbeiter haben keine gemeinsamen Interessen mit den Bossen. Es ist die Aufgabe von Leninisten, griechischen Chauvinismus unter den Arbeitern zu bekämpfen und sie im Geiste eines echten Internationalismus zu erziehen, genau wie unsere deutschen Genossen dagegen kämpfen, dass die griechischen Werktätigen durch die EU im Auftrag der deutschen und anderer imperialistischer Monopole zermalmt werden. Eine Partei, die fähig ist, die Arbeiterklasse an der Spitze aller Unterdrückten an die Macht zu führen, die Kapitalisten zu enteignen und die Gesellschaft im Interesse der arbeitenden Menschen neu aufzubauen, muss ein „Volkstribun sein …, der es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen“ (Lenin, Was tun?). Auf dem Balkan haben nationale Feindseligkeiten wiederholt zu großem Blutvergießen geführt, aber unter der Führung einer Partei nach dem Vorbild von Lenins Bolschewiki kann der Kampf gegen nationale Unterdrückung auch treibende Kraft für eine proletarische Revolution sein.

Die chauvinistische Agitation in der Mazedonienfrage im Jahre 1992 – bei der Syrizas Vorgänger in Synaspismos eine wichtige Rolle spielten – ermöglichte es den Faschisten der Chrysi Avgi, aus ihren Rattenlöchern hervorzukriechen. Heute, ohne eine Führung der Arbeiterklasse, die dem Land einen revolutionären Ausweg aus der Sackgasse weist, bietet die von der kapitalistischen Wirtschaftskrise hervorgerufene Verzweiflung einen fruchtbaren Boden für das Wachstum der Faschisten. Dass Chrysi Avgi in Athen ungehindert an der Spitze von mehr als hunderttausend Reaktionären marschieren konnte, ist dem Verrat der reformistischen Führung der Arbeiterklasse geschuldet, insbesondere dem der KKE [Kommunistische Partei Griechenlands], die die zahlenmäßige Unterstützung und den Einfluss in der Arbeiterklasse besitzt, um eine Gegenoffensive anzuführen, die aber stattdessen liberale Aufrufe zur „Isolierung“ der Faschisten herausgibt und Vertrauen in den kapitalistischen Staat predigt. Um Chrysi Avgi und ihresgleichen zu stoppen, bevor es zu spät ist, ist es dringend notwendig, Einheitsfrontmobilisierungen durchzuführen, die sich vor allem auf die soziale Macht der organisierten Arbeiterklasse stützen.

KKE: Wieder einmal im Dienste der Bourgeoisie

Die Reaktion der stalinistischen KKE auf die neuerliche bürgerliche Kampagne in der Mazedonienfrage war ihre gewohnte Kapitulation vor dem griechischen Nationalismus. In einer Erklärung vom 5. Februar „bezüglich der Entwicklungen im Zusammenhang mit EJRM [!]“ distanziert sich die KKE zwar von der rechten „Mazedonien-ist-Griechenland“-Meute und ruft „die Menschen auf, jene nationalistischen, faschistischen Mächte zu isolieren, die ihre berechtigten Sorgen ausnutzen, um das Gift von Nationalismus und Vaterlandsgetöse zu verbreiten“ [Hervorhebung im Original] (kke.gr) und behauptet, 1992 habe sich die Partei „gegen den vorherrschenden nationalistischen Trend, den alle anderen politischen Parteien pflegten, gestemmt“. Doch das ist nur eine Beschönigung des nationalistischen Populismus der KKE.

In einem Artikel ihrer theoretischen Zeitschrift Kommounistiki Epitheorisi [Kommunistische Rundschau] (Nr. 2/2018) versucht die KKE selbst den Chauvinismus von Tsipras zu übertreffen: „Eine echte Lösung bedeutet Garantien für die Beseitigung von Irredentismus, Nationalismus, [territorialen] Ansprüchen, die die Unverletzlichkeit der Grenzen sicherstellen, und das bedeutet eine Verfassungsänderung der EJRM jetzt und nicht in der Zukunft.“ Die KKE besteht darauf, jeglicher von der Republik angenommene Name „muss eine streng geografische Bedeutung haben“.

Im gleichen Artikel plappert die KKE den schlimmsten griechischen Chauvinisten nach und erklärt unverblümt: „Eine historisch geformte ,mazedonische‘ Nation, ,mazedonische‘ Ethnie, ,mazedonische‘ Sprache, welche die Grundlage für Irredentismus bilden und die Frage der Existenz einer Minderheit, Ansprüche und Verteidigung ihrer Rechte usw. aufkommen lassen, existiert nicht.“ Das mazedonische Volk jedoch hat ungeachtet der Ansichten chauvinistischer griechischer Stalinisten lange und hart für seine Existenz als Nation mit eigener Sprache und Kultur gekämpft. Die KKE würde nie den Stammbaum der griechischen Nation infrage stellen. Man könnte anmerken, dass sich die Griechen unter den Byzantinern und den Osmanen jahrhundertelang selbst als „Römer“ bezeichneten und die Entwicklung eines Nationalbewusstseins in Griechenland, wie anderswo auf dem Balkan, erst im späten 18. Jahrhundert während des Niedergangs des Osmanischen Reichs begann.

Die Grenzen des kapitalistischen Griechenlands, die die KKE als heilig und unantastbar betrachtet, spiegeln weitgehend den Landgewinn wider, den sich die griechische Bourgeoisie 1913 im Zweiten Balkankrieg einverleibte, als Griechenland und Serbien gegen Bulgarien kämpften, um die strategische Provinz Mazedonien untereinander aufzuteilen. Zu jener Zeit war die bäuerliche Bevölkerung der von Griechenland eroberten Gebiete vorwiegend mazedonischsprachig, während in Thessaloniki die größte ethnische Gruppe die ladinosprachige jüdische Bevölkerung war. Die Gründungskader des zukünftigen griechischen Kommunismus kamen aus dieser fruchtbaren kosmopolitischen Umgebung.

Heute beruft sich die KKE auf imperialistische Verträge wie dem von Bukarest 1913, der den Zweiten Balkankrieg beendete und Griechenlands Annexionen in Epirus und Mazedonien (einschließlich Thessaloniki) besiegelte. Aber insbesondere auf den Balkan mit seinen zahlreichen verschiedenen Nationalitäten decken sich die Staatsgrenzen überhaupt nicht mit der geografischen Ausdehnung der einzelnen Nationen. Den Eroberungen der bürgerlichen Mächte folgen unweigerlich Massenvertreibungen („ethnische Säuberungen“) und/oder Zwangsassimilierung nationaler Minderheiten. Die Verteidigung des Status quo auf dem Balkan durch die KKE ist eine kategorische Absage an das Recht auf Selbstbestimmung.

Unser Programm zur nationalen Frage ist das von Lenins bolschewistischer Partei. Im zaristischen Russland – diesem „Völkergefängnis“ – waren die Bolschewiki Verfechter der nationalen Rechte aller vom dominierenden großrussischen Chauvinismus unterdrückten Völker. Lenins Partei kämpfte für die Gleichberechtigung aller Nationen und für das Recht aller Nationen auf Selbstbestimmung, d. h. ihr Recht, sich abzuspalten. Die Bolschewiki bewiesen durch ihre Taten, nicht nur in Worten, dass sie den großrussischen Chauvinismus bis auf den Tod bekämpfen würden, und so war es ihnen möglich, die Sehnsucht der unterdrückten Völker nach nationaler Freiheit als eine mächtige Kraft für die Oktoberrevolution zu mobilisieren und so die Proletarier- und Bauernmassen für den Kampf an der Seite ihrer großrussischen Klassenbrüder zu gewinnen zum Sturz aller bürgerlichen und gutsherrlichen Ausbeuter.

Während die Kriecherei der KKE vor ihrer „eigenen“ Bourgeoisie durch ihre grotesken Appelle an hundert Jahre alte imperialistische Verträge zur Verteidigung der territorialen Integrität des kapitalistischen Griechenlands hinreichend belegt ist, äußerte sich Lenin ganz eindeutig darüber, was die Position wirklicher Kommunisten sein muss:

„Der Schwerpunkt der internationalistischen Erziehung der Arbeiter in den unterdrückenden Ländern muss unbedingt darin liegen, dass sie die Freiheit der Lostrennung der unterdrückten Länder propagieren und verfechten. Ohne das gibt es keinen Internationalismus. Wir haben das Recht und die Pflicht, jeden Sozialdemokraten [d. h. Kommunisten] einer unterdrückenden Nation, der keine solche Propaganda treibt, als Imperialisten und Schurken zu behandeln. Das ist eine unbedingte Forderung, selbst wenn der Fall der Lostrennung vor der Errichtung des Sozialismus nur in einem von tausend Fällen möglich und ,durchführbar‘ wäre.

Wir sind verpflichtet, die Arbeiter zur ,Gleichgültigkeit‘ den nationalen Unterschieden [nicht „Diskriminierungen“, wie es die KKE übersetzt] gegenüber zu erziehen. Das ist unbestreitbar. Aber nicht zur Gleichgültigkeit von Annexionisten. Dem Angehörigen einer unterdrückenden Nation muss es ,gleichgültig‘ sein, ob die kleinen Nationen seinem Staat oder dem Nachbarstaat oder sich selbst angehören, je nach ihren Sympathien: ohne diese ,Gleichgültigkeit‘ ist er kein Sozialdemokrat. Um ein internationalistischer Sozialdemokrat zu sein, darf man nicht nur an seine eigene Nation denken, sondern muss höher als sie die Interessen aller Nationen, ihre allgemeine Freiheit und Gleichberechtigung stellen. In der ,Theorie‘ sind alle damit einverstanden, in der Praxis jedoch zeigt man gerade eine annexionistische Gleichgültigkeit. Das ist die Wurzel des Übels.“ („Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“, Juli 1916)

Mazedonien: Prüfstein für Revolutionäre in Griechenland

Der Sieg der Arbeiter und Bauern in der Oktoberrevolution von 1917 inspirierte die Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Griechenlands (SEKE) ein Jahr später – sie wurde später zur KKE. Die meiste Zeit ihrer Geschichte verfolgte die KKE in der mazedonischen nationalen Frage einen Kurs opportunistischer Zickzacks und offenen Verrats. Zwar gab es bei Teilen der KKE von Anfang an ausgeprägte nationalistische Abweichungen, dennoch war die Partei in ihren frühen Jahren massiver Repression seitens der griechischen Bourgeoisie ausgesetzt, weil sie die nationalen Rechte der Mazedonier verteidigte. 1924 nahm die KKE auf Druck der Komintern die Forderung für ein vereinigtes unabhängiges Mazedonien und ein vereinigtes unabhängiges Thrakien an, eine Position, die zu tiefen Spaltungen innerhalb der Partei führte, die bis heute damit nicht klarkommt.

Seit 1923/24 machten in der Sowjetunion die Kommunistische Partei und der Staat eine qualitative bürokratische Degeneration durch: eine politische (jedoch nicht soziale) Konterrevolution. Der Sieg der konservativen nationalistischen Bürokratie, die als parasitäres Geschwür am Arbeiterstaat in ihrem eigenen engen Interesse herrschte, nahm im Dezember 1924 programmatische Gestalt an, als Stalin die absurde Idee verkündete, die UdSSR könnte den Sozialismus allein aufbauen, ohne Revolutionen in anderen Ländern. Die stalinistische Degeneration hatte eine katastrophale Auswirkung auf die jungen Parteien der Kommunistischen Internationale, darunter die KKE. Im Verlauf des nächsten Jahrzehnts und darüber hinaus, während die Trotzkisten beharrlich dafür kämpften, das Banner des leninistischen Internationalismus hochzuhalten, vollzog die stalinistische Bürokratie einen Zickzackkurs zwischen unverhohlener Beschwichtigung der verschiedenen imperialistischen Mächte und gedankenlosem, zum Scheitern verurteiltem Abenteurertum und verwandelte so die Komintern von einer Partei, die die internationale Arbeiterrevolution anstrebt, in ein Werkzeug der Kreml-Diplomatie.

Heute leugnet die KKE gänzlich die Existenz einer mazedonischen Nation, Sprache oder Minderheit. Doch die eigene Vergangenheit der KKE ergreift das Wort gegen ihre Gegenwart. 1924 nahm ein KKE-Parteitag eine Resolution an, die besagte:

„Die herrschende Bourgeoisie, die Arbeiter ausbeutet und den Bauern das Blut aussaugt, unterwirft ganze Nationen ihrer Ausbeutung und Unterdrückung, während sie scheinheilig und aus ihren ureigenen Motiven über den Schutz kleiner Nationen schwadroniert. Die herrschenden Kapitalisten der dominierenden Nation unterdrücken die nationalen Minderheiten politisch und berauben sie jeglicher Rechte (Sprache, Schule, Religion usw.). Sie wenden eine Politik nationaler Zwangsassimilierung an, um auf diese Weise den Widerstand der unterdrückten Nationalitäten zu ersticken und so ihre ungehemmte Ausbeutung sicherzustellen.

Die Kommunistische Partei ist die einzige Partei, die einen unerbittlichen Kampf gegen diese Gewalt, politische Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung anderer Völker führt. In ihrem Kampf gegen die Bourgeoisie unterstützt die KKE alle wirklich revolutionären Kämpfe dieser Völker gegen ihre nationale Unterdrückung und proklamiert das Recht auf Selbstbestimmung aller Nationen bis hin zu ihrer Abspaltung und der Gründung ihres eigenen unabhängigen Staats.“ (Die KKE – Offizielle Dokumente, Bd. 1, 1918–1924)

Doch die KKE gab bald jegliche prinzipienfeste Position zur mazedonischen Selbstbestimmung auf und wandte sich dem griechischen Chauvinismus zu. 1935 vollzog die KKE auf ihrem 6. Parteitag eine Kehrtwende bezüglich der nationalen Frage, ließ ihre Forderung nach Unabhängigkeit für Mazedonien fallen und ersetzte sie durch eine Forderung, in der lediglich von voller Gleichberechtigung aller nationalen Minderheiten in Griechenland die Rede war. Wenn die KKE in späteren Resolutionen von Selbstbestimmung sprach, meinte sie damit, unter vollständiger Verfälschung von Lenin, dass die mazedonische Minderheit im griechischen Staat eingegliedert sein müsse. Diese Kehrtwende der KKE war eng mit der Volksfront verbunden, d. h. Koalitionen der Klassenzusammenarbeit mit einer „antifaschistischen“ Bourgeoisie gegen den Faschismus. Mit der Annahme der Volksfrontpolitik gingen die stalinisierten Kommunistischen Parteien, darunter die KKE, endgültig zur Verteidigung der bürgerlichen Ordnung über, genauso wie es die Sozialdemokratie während des Ersten Weltkriegs getan hatte, die gelobte, jeden Zentimeter nationalen Bodens zu verteidigen.

Während des Bürgerkriegs bestand die Demokratische Armee Griechenlands (DSE) zu mindestens 25 Prozent aus Mazedoniern, doch die KKE hatte im Namen der „nationalen Einheit“ jegliche Forderung nach Selbstbestimmung begraben. Ein wichtiger Faktor, um mazedonische Unterstützung für den Kampf der DSE zu gewinnen, war die soziale Revolution, die in Jugoslawien stattgefunden hatte. Dort hatten die mazedonischen Kämpfer ihr eigenes Hauptquartier errichtet, das mit mazedonischen Offizieren besetzt war und die mazedonische Flagge und Sprache benutzte. Die Schaffung einer autonomen mazedonischen Republik innerhalb der jugoslawischen Föderation übte auf die Slawen in Griechenland eine starke Anziehungskraft aus. Die jugoslawische Kampagne für ein vereinigtes Mazedonien stieß bei der KKE auf feindliche Ablehnung.

Zur Zeit von Titos Bruch mit Stalin machte die KKE einen Annäherungsversuch an die Mazedonier, um deren Unterstützung für Tito zu untergraben. Im Januar 1949 gelobte die KKE, dass mit „dem Sieg der DSE und der Volksrevolution das mazedonische Volk seine volle nationale Wiederherstellung nach seinen eigenen Wünschen erlangen wird“ (Resolution des Fünften Plenums des ZKs der KKE, 30./31. Januar 1949, rizospastis.gr). Doch nach der Niederlage im Bürgerkrieg verwarf die KKE erneut das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Der Parteisprecher Vasilis Bartziotas verkündete im Oktober 1949: „Heute hat sich die Lage geändert… Wir müssen zu der Losung für nationale Gleichberechtigung zurückkehren, die vom Sechsten Parteitag der KKE [1935] aufgestellt worden war“. (Siehe auch „Griechenland 1940–49: Eine verratene Revolution“, Spartacist [deutsche Ausgabe] Nr. 30, Winter 2014/15.)

Viele der reformistischen Gruppen in und um die Koalition Antarsya behaupten, sie würden sich dem griechischen Chauvinismus widersetzen und für die Rechte der mazedonischen Minderheit in Griechenland eintreten. Doch wenn es um das Recht auf Selbstbestimmung geht, sträuben sie sich. In einer gemeinsamen Erklärung mit dem Titel „Der Feind ist nicht das Nachbarvolk, sondern ,unsere eigene‘ Bourgeoisie“ schreiben OKDE-Spartakos, EEK, OEN und ORMA: „Politische Organisationen blockierten den Weg der Nazis, machten Propaganda gegen die nationalistischen Demonstrationen und unterstützten das Recht auf Selbstbestimmung der Republik Mazedonien“, womit sie das Recht der Republik meinen, ihren eigenen Namen zu wählen. Dies ist eine Verhöhnung des Rechts auf Selbstbestimmung, d. h. des Rechts auf einen unabhängigen Staat. Die Republik Mazedonien war innerhalb des deformierten Arbeiterstaats Jugoslawien autonom und ist seit der kapitalistischen Konterrevolution 1991 formal unabhängig. Die slawische Bevölkerung dort braucht nicht mehr „Selbstbestimmung“ (anders steht es bei den Albanern). Die wirkliche Frage, der sich die Opportunisten von OKDE-Spartakos, EEK und andere verweigern, ist das Recht der Mazedonier in Griechenland, ihr eigenes Schicksal frei zu bestimmen.

Die ersten griechischen Unterstützer von Leo Trotzkis Linker Opposition – die Archeiomarxisten – waren gegen die Unabhängigkeit der mazedonischen Minderheit. Trotzki kritisierte seine Unterstützer wegen dieser chauvinistischen Linie scharf. Auf ihr Argument, dass das ägäische Mazedonien „zu 90 Prozent griechisch“ sei, antwortete Trotzki: „Als unsere erste Aufgabe müssen wir diese Zahlen [der Regierung] auf der ganzen Linie in Frage stellen.“ Zur Frage der Unabhängigkeit sagte Trotzki:

„Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist, diese Losung abzulehnen. Wir können nicht sagen: Wir sind gegen die Losung, weil die Bevölkerung gegen sie sein wird. Die Bevölkerung muss nach ihrer Meinung dazu befragt werden. Die ,Bulgaren‘ stellen eine unterdrückte Schicht dar…

Es ist nicht unsere Aufgabe, nationalistische Aufstände zu organisieren. Wir sagen lediglich, dass dann, wenn die Mazedonier es machen wollen, wir auf ihrer Seite stehen werden, dass die Entscheidung bei ihnen liegen soll und wir ihre Entscheidung auch unterstützen werden.“ („A Discussion on Greece“, Frühjahr 1932)

Dann wies Trotzki auf den springenden Punkt in dieser Frage für Marxisten in Griechenland hin:

„Sorge bereitet mir nicht so sehr die Frage der mazedonischen Bauern, sondern vielmehr, ob es bei den griechischen Arbeitern nicht doch eine Spur von chauvinistischem Gift gibt. Das ist sehr gefährlich. Für uns, die wir für eine Balkanföderation von Sowjetstaaten sind, ist es unerheblich, ob Mazedonien dieser Föderation als autonomes Ganzes oder als Teil eines anderen Staates angehört.“

Für eine Sozialistische Föderation des Balkans

Seit mehr als einem Jahrhundert ist Mazedonien der „Zankapfel“ des Balkans, eine strategische Region, die seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs zwischen Griechenland, Bulgarien und Serbien, die diese multiethnische Provinz vor dem Ersten Weltkrieg untereinander aufteilten, heftig umstritten ist. Eine gerechte Lösung der mazedonischen nationalen Frage ist eng verknüpft mit dem Kampf für eine Sozialistische Föderation des Balkans.

In den 1870er-Jahren machten serbische Sozialisten erstmals den Vorschlag einer Balkanföderation, der von der Zweiten Internationale angenommen wurde als das einzige Mittel, die nationalen Spannungen auf der Halbinsel zu entschärfen, die von den Großmächten fortwährend aus Eigeninteresse angefacht wurden. Nach dem Gemetzel des Ersten Weltkriegs, das von Spannungen auf dem Balkan ausgelöst wurde, beharrte die Kommunistische Internationale darauf, dass die örtlichen Bourgeoisien nicht in der Lage seien, die nationalen Widersprüche zu überwinden, und dass eine Balkanföderation nur als Ergebnis von proletarischen Revolutionen entstehen könne.

Der Sieg von Titos Partisanenarmee im Zweiten Weltkrieg über die Achsenmächte, die serbischen monarchistischen Tschetniks und die kroatische faschistische Ustascha führte zur Zerschlagung des kapitalistischen Staates Jugoslawien und zur Errichtung eines Arbeiterstaats. Auf der Grundlage von Arbeitermacht wurden Jahrzehnte blutiger nationaler Konflikte unter den Südslawen und anderen beendet. Dies war eine bedeutende Errungenschaft, die zeigt, welche Möglichkeiten zur Lösung der nationalen Fragen in der Macht der Arbeiter liegen. Doch Jugoslawien war von Anfang an durch die stalinistische Bürokratie Titos deformiert, die nicht für die internationale Ausweitung der Revolution kämpfte, sondern stattdessen auf Grundlage der völlig falschen stalinistischen Perspektive vom „Sozialismus in einem Land“ regierte.

Die jugoslawische Version dieses anti-marxistischen Dogmas war „Marktsozialismus“, eine Reihe von Reformen, die Konkurrenz zwischen Unternehmen zuließen und die entwickelteren Regionen Jugoslawiens wie Slowenien gegen weniger entwickelte Gegenden wie Kosovo und Mazedonien und damit die einzelnen Nationen gegeneinander ausspielten. So wurden die zentrifugalen Kräfte entfesselt, die letztlich den deformierten Arbeiterstaat in einer Orgie nationalen Blutvergießens zerstörten.

Mit der Errichtung von deformierten Arbeiterstaaten in Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien nach dem Krieg wurde der Ruf nach einer Balkanföderation wieder aktuell. Im Rahmen einer Föderation der Halbinsel hätte die heikle Mazedonienfrage leicht gelöst werden können. Aber Titos Jugoslawien, Dimitroffs Bulgarien und die KKE in Griechenland (ganz zu schweigen von Stalin im Kreml) verfolgten jeweils ihre eigene Version vom „Sozialismus in einem Land“, wobei Forderungen nach einer Sozialistischen Balkanföderation je nach den opportunistischen Gelüsten der Stalinisten erhoben und fallengelassen wurden und jeder die mazedonische Frage für sein eigenes Interesse ausbeutete.

Als authentische Marxisten wissen wir, dass die sich widersprechenden nationalen Ansprüche der verschiedenen Balkanvölker nur gerecht gelöst werden können durch den proletarischen Sturz aller kapitalistischen Regime der Region und die Schmiedung einer Sozialistischen Balkanföderation, unter Einschluss Griechenlands, als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa. Um dieses Ziel endlich zu erreichen, kämpft die TOE, griechische Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (Vierte Internationalisten), für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei nach dem Vorbild der Bolschewiki von Lenin und Trotzki.

 

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