|
|
Spartakist Nummer 214 |
Herbst 2016 |
|
|
Wutgeheul der Yuppies über Brexit Nieder mit der EU! Der folgende Artikel ist übersetzt aus Workers Hammer Nr. 236, Herbst 2016, Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/Britain.
Das Wahlergebnis vom 23. Juni für den Austritt Britanniens aus der Europäischen Union (EU) hat Schockwellen um die Welt geschickt, die Finanzmärkte erschüttert und das Pfund auf seinen niedrigsten Wert seit drei Jahrzehnten abstürzen lassen. Die Abstimmung zum Brexit hat die EU, ein ohnehin bereits höchst instabiles imperialistisches Konsortium, zusätzlich destabilisiert. Sie hat ihr nach der Krise wegen der Knechtung Griechenlands und des massenhaften Zustroms von Flüchtlingen vergangenes Jahr den bisher schwersten Schlag versetzt und die Anti-EU-Stimmung in ganz Europa angeheizt. Wie zu erwarten, hat der Blair’sche rechte Flügel der Labour Party sich den Pro-EU-Tories bei der Kampagne für einen Verbleib in der EU angeschlossen und versucht nun, die Abstimmung zu kippen. Schändlicherweise hat Jeremy Corbyn (Chef der Labour Party) ebenfalls für ein Ja zur EU die Trommel gerührt und damit auf den Interessen der vielen arbeitenden Menschen herumgetrampelt, die von ihm einen Weg vorwärts erwarten. Man muss Corbyn zugute halten, dass er gesagt hat, der Brexit-Sieg müsse respektiert werden, ganz im Gegensatz zu Owen Smith, seinem Blair’schen Herausforderer im Kampf um die Parteiführung, und dessen Befürwortern. Wir sagen: Nieder mit der EU! Kein Zurück – Britannien raus, sofort!
Mittels der EU vereinigen sich die dominanten deutschen Imperialisten mit den britischen und französischen, um von Griechenland bis nach Deutschland den Lebensstandard aller europäischen Arbeiter anzugreifen, und treten die schwächeren kapitalistischen Länder in Süd- und Osteuropa mit Füßen. Die Bankiers in Frankfurt, Paris und London haben zerstörerische Kahlschlagsmaßnahmen über das griechische Volk verhängt und das Land in die Knie gezwungen. Wir Marxisten sind aus Prinzip Gegner sowohl der EU als auch der einheitlichen Währung Euro, die das Mittel zur Unterwerfung und Verelendung der griechischen arbeitenden Bevölkerung ist. In einer Erklärung des Zentralkomitees der Spartacist League, mit der wir die Abstimmung gegen die EU begrüßten, schrieben wir:
„Dies ist eine heftige Niederlage für die City of London, für die Bosse und Bankiers ganz Europas sowie für die Wall Street und die Regierung des US-Imperialismus. Das Votum für den Austritt ist Ausdruck der Feindseligkeit der Unterdrückten und Besitzlosen nicht nur gegenüber der EU, sondern auch gegenüber dem selbstgefälligen herrschenden britischen Establishment, das durch die Zerstörung der Industrie und der sozialen Einrichtungen ganze Teile des Proletariats ins Elend gestürzt hat.“ (Workers Hammer Nr. 235, übersetzt in Spartakist Nr. 213, Sommer 2016)
Besonders viele Stimmen erhielt der Brexit bei der Arbeiterklasse und den Armen, insbesondere in den ehemals industrialisierten Regionen von Nordengland, Wales und den Midlands. Eine Frau in der verarmten Gegend um Collyhurst in Manchester drückte es gegenüber dem Journalisten John Harris (selbst ein glühender Unterstützer für den EU-Verbleib) treffend aus: „Wenn du Geld hast, stimmst du für Bleiben“ und „wenn du kein Geld hast, stimmst du für Raus“ (Guardian, 24. Juni). Eine kürzliche Studie der Joseph-Rowntree-Stiftung ergab, dass in Haushalten mit einem Jahreseinkommen von weniger als 20 000 Pfund 58 Prozent der Wähler für den Brexit stimmten, während es bei den Familien mit mehr als 60 000 Pfund nur 35 Prozent waren. Arbeitslose stimmten zu 59 Prozent für den Austritt. Der Autor des Berichts, Professor Matthew Goodwin, schlussfolgert: „Diese Studie offenbart, dass es bei dem Referendum nicht einfach um unsere Beziehung zur Europäischen Union ging, sondern dass es auch die tiefen Gräben beleuchtet, die in unserer Gesellschaft existieren“ (Guardian, 31. August).
Gleichzeitig rief die Abstimmung für den Austritt einen Sturm der Entrüstung unter enttäuschten Pro-EU-Liberalen, insbesondere in London, hervor. Sie machten ihrem Frust Luft, indem sie insbesondere die Arbeiter und Armen in den wirtschaftlich zerstörten Regionen mit Verachtung geißelten, die mehrheitlich für den Austritt gestimmt hatten. Die kleinbürgerlichen Unterstützer der EU sehen in dem Club der Bosse Europas eine Möglichkeit, freier an kontinentaler Kultur teilzuhaben oder trendige Start-ups zu gründen; gewerkschaftsfeindliche Kahlschlagsmaßnahmen und Konzentrationslager für Immigranten erwähnen sie gelegentlich nur, um ihre Unzufriedenheit mit „der Gesamtsituation“ zum Besten zu geben. Der linksliberale Journalist John Pilger fasste ein bisschen was von der Qualität solcher Typen in Worte:
„Die effektivsten Propagandisten des ,Europäischen Ideals‘ sind nicht die Rechten gewesen, sondern eine unerträgliche Patrizierklasse, für die das Vereinigte Königreich lediglich die Metropole London ist. Ihre führenden Mitglieder betrachten sich selbst als liberale, aufgeklärte, kultivierte Tribune des Zeitgeists des 21. Jahrhunderts, ja sogar als ,cool‘. In Wirklichkeit sind sie eine Bourgeoisie mit unstillbarem Konsumdurst und altertümlichen Instinkten für ihre eigene Überlegenheit. In ihrer Hauszeitung, dem Guardian, haben sie ihre Schadenfreude Tag für Tag an denjenigen ausgelassen, die es auch nur für denkbar halten, dass die EU grundlegend undemokratisch ist, eine Quelle von sozialer Ungerechtigkeit und virulentem Extremismus, bekannt als ,Neoliberalismus‘.“ („Why the British Said No to Europe“ [Wieso die Briten Nein zu Europa gesagt haben], johnpilger.com, 25. Juni)
Seit dem Referendum haben die stramm EU-freundlichen Blair-Leute eine Kampagne dafür losgetreten, das Ergebnis des Referendums zu ignorieren oder es auf andere Weise zu untergraben. Am 2. Juli schloss sich der Blair’sche Parlamentsabgeordnete David Lammy, nachdem er das Wahlergebnis als „Idiotie“ verunglimpft hatte, in London einer Versammlung von Zehntausenden an, inmitten eines Meers von EU-Flaggen und Losungen wie „Ich werde die EU immer lieben“ und „Zur Hölle, wir gehen auf keinen Fall“ (Guardian, 2. Juli). Ein weiterer „Marsch für Europa“ fand in London am 3. September statt, mit der Unterstützung des verbissenen Blair-Anhängers Chuka Umunna. Im New European, einer allein aus Gegnerschaft gegen die Brexit-Abstimmung gegründeten Wochenzeitung, forderte der berüchtigte Ex-Imageberater von Tony Blair, Alastair Campbell, ein neues Referendum. Und Owen Smith will sich dafür einsetzen, das Wahlergebnis zu kippen, und machte das zum Dreh- und Angelpunkt seiner erbärmlichen Kampagne, Jeremy Corbyn als Vorsitzenden der Labour Party abzulösen. Glaubt man den Blair-Leuten und ihren Spachrohren beim Guardian und der BBC, waren die 17 Millionen, die gegen die EU gestimmt haben, einfach Tory/UKIP-Oberkonservative und stumpfsinnige rassistische „Prolls“. Beinharte Rassisten und Faschisten haben tatsächlich die Brexit-Abstimmung für die Verschärfung ihrer Rassenhass-Provokationen benutzt. Aber der plötzliche Anfall von Besorgnis wegen Rassismus gegen Immigranten (ganz zu schweigen von dem gegen Britanniens Schwarze und Asiaten) in den bürgerlichen Medien soll der Unterstützung ihres Einsatzes für eine fortgesetzte britische Mitgliedschaft in der EU dienen.
Man kann ja mal den vielen Tausenden Obdachlosen oder in den Abschiebezentren an den südlichen Grenzen der EU oder der Türkei erzählen, dass die EU (auch bekannt als rassistische „Festung Europa“) ein Zufluchtsort für die Verfolgten und Unterdrückten ist. Was diese zusammengedrängten Massen überhaupt erst in Immigranten und Flüchtlinge verwandelt hat, waren die neokolonialen Kriege und Plünderungen, die durch die USA, Britannien und andere europäische imperialistische Mächte durchgezogen wurden. Im Gegensatz zu der einfältigen Illusion, dass die EU die „Freizügigkeit“ von Immigranten beschützt, ist sie ein kapitalistisches Kartell, dessen vorherrschendes Anliegen die Freizügigkeit von Kapital unter seinen Mitgliedsstaaten ist. In diesem Rahmen wird die Freizügigkeit von Arbeitskräften benutzt, um den Bedürfnissen der miteinander konkurrierenden Kapitalisten in der EU zu dienen. Immigrierte Arbeiter aus ärmeren EU-Ländern werden als Pool für Niedriglohn-Arbeit benutzt. Niemand sollte sich dem Irrglauben hingeben, dass der Status osteuropäischer Immigranten garantiert wäre, falls Britannien in der EU bleiben würde.
Mit der Ausweitung der EU auf Osteuropa 2004 haben die EU-Mitgliedsstaaten vorübergehende Zugangsbeschränkungen für Staatsangehörige dieser Länder verhängt. In Britannien beschränkte die damalige Labour-Regierung ihren Zugang zu Sozialleistungen und peitschte gleichzeitig immigrantenfeindlichen Rassismus hoch. Labours derzeitiger stellvertretender Vorsitzender Tom Watson, der in der Kampagne für den EU-Verbleib kräftig mitmischte, tritt dafür ein, mit UKIP in einen Wettstreit um die Stimmen der Rassisten einzutreten, und argumentiert, dass die EU „die Gesetze zur Freizügigkeit von Arbeitskräften“ ändern sollte und dass eine künftige Labour-Regierung die Kontrolle der Immigration zu ihrer Priorität machen sollte (BBC, 14. Juni).
Die Antwort auf rassistischen Terror und Anti-Immigranten-Chauvinismus liegt nicht in der Hoffnung auf die Gnaden der EU oder irgendeinen der räuberischen kapitalistischen Herrscher, sondern in der Mobilisierung des multirassischen und multinationalen Proletariats an der Spitze aller Unterdrückten. Die Arbeiterbewegung in Britannien und andernorts muss kämpfen für: Keine Abschiebungen! Volle Staatsbürgerrechte für alle, die es hierher geschafft haben! Gewerkschafts-/Minderheitenmobilisierungen gegen faschistische Provokationen! Nieder mit der rassistischen Festung Europa!
Die verschiedenen reformistischen Gruppen, die dazu aufriefen, für den Austritt zu stimmen, taten dies nicht aufgrund prinzipieller Gegnerschaft zum imperialistischen EU-Kartell, sondern vielmehr weil die Plünderung der arbeitenden Menschen Griechenlands durch die EU jede Andeutung einer Unterstützung für sie abschreckend gemacht hatte. Um bloß keine Liberalen zu kränken, die für einen Verbleib waren, versuchten die verschiedenen Opportunisten, die halbherzig für einen „linken Ausstieg“ geworben hatten, sobald das Referendum vorbei war, ein doppeltes Spiel zu spielen. So hatte bei einer Pro-Corbyn-Demo am 27. Juni in London, obwohl viele linke Gruppen ebenfalls anwesend waren, ausschließlich die Spartacist League Plakate gegen die EU. Einige Tage später sagte der Führer der Socialist Workers Party, Charlie Kimber, bei der jährlichen Marxism-Veranstaltung der SWP: „Viele Menschen, die für einen Verbleib stimmten, taten dies aus Gründen, mit denen wir sympathisieren. Wir stimmen mit ihrer Position nicht überein, aber wir verstehen sie“ (zu sehen auf YouTube).
Dass eine Stimme für den Brexit als Abkömmling des Rassismus à la UKIP dargestellt werden konnte, ist zu einem großen Teil auf den Verrat der jetzigen Führung der Arbeiterklasse zurückzuführen, die keinen proletarischen Pol der Opposition zur EU angeboten hat und dadurch den Rassisten das Feld überließ. Anstelle von Klassenkampf haben die Labour Party und die Gewerkschaftsbürokratie gemeinsam mit ihren Schwesterparteien in Europa, wie der SPD in Deutschland und der französischen Sozialistischen Partei, absurde Illusionen in die EU als Garanten für Arbeiterrechte und Zuflucht für die Unterdrückten geschürt.
Der energischste Kampf gegen die EU ist nach wie vor unerlässlich für den Kampf für die Schmiedung revolutionärer Arbeiterparteien in Britannien und ganz Europa, Sektionen einer wiedergeschmiedeten trotzkistischen Vierten Internationale, um das Proletariat zum Sieg zu führen und den Weg für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil einer weltweiten Sowjetföderation frei zu machen.
|
|
|
|
|