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Spartakist Nummer 213 |
Sommer 2016 |
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Rechtsaußen-Regierung in Polen:
Feind von Immigranten, Frauen und Linken
Nachstehend drucken wir die Übersetzung eines Artikels aus Platforma Spartakusowców Nr. 20 (April 2016), Zeitung der Spartakusowska Grupa Polski, polnische Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga.
Seit ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen im vergangenen Oktober führt die klerikalchauvinistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter der Führung von Jaroslaw Kaczynski im Eiltempo Maßnahmen durch, um abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre reaktionäre Agenda umzusetzen. Vor einem Jahrzehnt gab es schon einmal eine von der PiS geführte Koalitionsregierung und Lech Kaczynski, Jaroslaws Zwillingsbruder, war bis zu seinem Tod 2010 Präsident. Doch dies ist das erste Mal seit der Restauration des Kapitalismus in Polen 1989/90, dass eine einzige Partei sowohl den Präsidenten stellt als auch den Senat und den Sejm [das Unterhaus des Parlaments] kontrolliert. Während Kaczynski im Hintergrund mit fester Hand die Strippen zieht, beeilen sich der im Mai 2015 gewählte Präsident Andrzej Duda und die neu gewählte Ministerpräsidentin Beata Szydlo, den Zugriff der Partei auf die Staatsverwaltung zu festigen.
Die staatlichen Medien, der öffentliche Dienst und die Spitzen von Militär, Polizei, Geheimdiensten und Staatsunternehmen wurden gesäubert und mit regimetreuen Leuten besetzt. Das Verfassungsgericht, das von der PiS als ein Hindernis auf dem Weg zur totalen Kontrolle angesehen wird, wurde lahmgelegt. Justizminister Zbigniew Ziobro, der schon in der früheren PiS-Regierung denselben Posten innehatte, darf jetzt in jede Ermittlung eingreifen und illegal beschaffte Beweismittel verwenden. Mit dem geplanten Gesetz über „Antiterroristische Aktivitäten“ werden die Befugnisse der Geheimdienste und der Polizei zur Bespitzelung und zu Repressionsmaßnahmen, insbesondere gegen Ausländer, erheblich erweitert. Veröffentlichungen werden daraufhin zensiert, ob sie „die polnische Republik oder die polnische Nation beleidigen oder diffamieren“. Die neue Regierung plant auch, noch in diesem Jahr eine 35 000 Mann starke Miliz zur Landesverteidigung aufzustellen. Diese Miliz soll aus bestehenden paramilitärischen Formationen, von denen viele faschistisch sind, gebildet werden und gegen Immigranten sowie andere „Gefahren“ für die „staatliche Sicherheit“ eingesetzt werden (ncss.org.pl, 5. April). Dazu kommt ein ständiges Sperrfeuer von Drohungen gegen Immigranten, Muslime, Juden, Frauen und Linke wie auch ein Frontalangriff auf das bisschen Recht, über das Kinderkriegen zu entscheiden, das den Frauen im katholisch dominierten kapitalistischen Polen noch geblieben ist.
Die PiS erhielt bei den Parlamentswahlen nur knapp 38 Prozent der Stimmen, doch das genügte, um die vorherige Regierungskoalition aus Bürgerplattform (PO) und Polnischer Bauernpartei (PSL) zu besiegen. Neben diesen Parteien sitzen im Sejm die für „freie Marktwirtschaft“ eintretende Partei Nowoczesna [Die Moderne] des Bankiers Ryszard Petru und die reaktionär-populistische Kukiz’15-Koalition unter der Führung des Rockstars Pawel Kukiz, zu der eine Reihe von Abgeordneten der faschistoiden Nationalbewegung gehören. Der PiS gelang es, im Sejm eine absolute Mehrheit zu bekommen, weil mehrere Parteien die Mindestzahl an Stimmen, die für einen Einzug ins Parlament notwendig sind, nicht erreichten. Eine davon ist die Partei Razem [Gemeinsam], eine kleinbürgerliche Gruppierung, die sich für einen „sozialeren“ Kapitalismus einsetzt. Ebenso fehlt im Sejm die sozialdemokratische Allianz der Demokratischen Linken (SLD) – ein Zerfallsprodukt der in der ehemaligen Volksrepublik Polen (PRL) herrschenden stalinistischen Partei –, die als Teil einer bürgerlichen Koalition kandidierte. Die SLD war schon bei den Parlamentswahlen von 2005 zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, Ergebnis ihres jahrelangen Verrats an den Werktätigen.
Die von der PiS-Regierung eingeführten Maßnahmen haben seit vergangenen Dezember eine Welle von Massendemonstrationen ausgelöst, wie sie das Land seit vielen Jahren nicht erlebt hat. Diese Proteste werden von dem neu gegründeten Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) angeführt, das von Nowoczesna und PO unterstützt wird.
Das KOD, das unter National- und EU-Fahnen „für die Verteidigung der Verfassung“ demonstriert, kritisiert das Regime dafür, dass es gegen die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative verstößt. Mit seinem Namen erinnert das KOD an das KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter), das Ende der 70er- und in den 80er-Jahren eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Solidarność spielte, und zu seinen Kundgebungen kommen hauptsächlich ältere Leute, die 1989/90 die Konterrevolution von Solidarność unterstützt haben. Razem hat ebenfalls mehrere kleine Demonstrationen organisiert. Und seit April gibt es eine Protestwelle gegen Pläne, Abtreibung unter allen Umständen zu verbieten. Die Spartakusowska Grupa Polski, Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga, hat bei den Anti-Regierungs-Protesten mit unserer einzigartigen Linie interveniert, dass wir gegen die Konterrevolution von Solidarność waren und für eine leninistische Arbeiterpartei sind, die sich für alle Unterdrückten einsetzt.
Sowohl die PiS als auch die bürgerliche Opposition setzen auf Antikommunismus. Während das KOD der PiS vorwirft, sich wie das alte stalinistische Regime aufzuführen, nennt der PiS-Führer Kaczynski seine Gegner „Kommunisten und Diebe“ und „die schlimmste Sorte von Polen“. Pawel Kukiz, ein gelegentlicher Verbündeter der PiS, behauptet, das KOD werde von einem „jüdischen Bankier“ finanziert. Ein anderer Parlamentarier, Kornel Morawiecki, bedient sich der Sprache von Hans Frank, Hitlers Bevollmächtigtem für die Nazi-Verwaltung im besetzten Polen, und geifert: „Das Recht ist nicht heilig. Über dem Recht steht das Wohl der Nation… Das Recht, das nicht der Nation dient, ist Gesetzlosigkeit.“ Die Abgeordneten von PiS und Kukiz’15 spendeten ihm für diese Worte stehend Applaus. In den 80er-Jahren war Morawiecki der Gründer und Führer einer konterrevolutionären Untergrundgruppe, der Kämpfenden Solidarność.
Konterrevolution von Solidarność bedeutete Armut für Werktätige
PiS und PO können beide mit Fug und Recht den Anspruch auf das Erbe von Solidarność erheben. Die zukünftigen PiS- und PO-Führer wurden durch diese Bewegung politisch als Reaktionäre geprägt. Die neoliberale, EU-freundliche Politik der PO (verkörpert durch den gegenwärtigen „Präsidenten“ der EU Donald Tusk) ist eines der Gesichter von Solidarność; das offen chauvinistische, klerikalistische und populistische Auftreten der PiS ist das andere. Solidarność versprach, dass der Sturz des deformierten Arbeiterstaats Polen und das Liebäugeln mit den westlichen Bankiers und dem US-geführten antisowjetischen NATO-Bündnis ein zweites „Wunder an der Weichsel“ [wo 1920 die von den Imperialisten unterstützten polnischen Streitkräfte unter Jozef Pilsudski den Vormarsch der Roten Armee auf Warschau zum Stehen brachten] bewirken würde, indem man sofort zu Wohlstand komme wie im Westen. Die PiS behauptet, dieses Versprechen sei durch Intrigen ehemaliger „Kommunisten“ und ihrer Agenten (darunter angeblich der Solidarność-Führer Lech Walesa!) in Zusammenarbeit mit ausländischen Kapitalisten verraten worden. Dieser Appell an die Millionen verärgerter polnischer Arbeiter und Bauern, die zu dem Luxus der Neureichen keinen Zugang haben, ist garniert mit ein paar populistischen Vorschlägen, die „echten“ Polen zugute kommen sollen, wie die Erhöhung des Kindergeldes und eine Rückkehr zum bisherigen Renteneintrittsalter, das die PO angehoben hatte.
Die Wahrheit ist, dass Walesa, die Kaczynskis und Tusk alle gemeinsam für die Verarmung der Werktätigen verantwortlich sind, die das unausweichliche Ergebnis des Sieges von Solidarność war. Von dem Moment an, als sich Solidarność auf ihrem Gründungskongress im September 1981 um ein Programm für kapitalistische Konterrevolution konsolidierte, bezeichneten wir sie als ein Instrument der CIA, des Vatikans und der westlichen Bankiers und stellten die Losung auf: „Stoppt die Konterrevolution von Solidarność!“ Im Dezember 1981 unterstützten wir das militärische Vorgehen von General Wojciech Jaruzelski zur Vereitelung eines Versuchs von Solidarność, die Macht zu erobern, und schrieben:
„Denn man darf nicht vergessen, dass Lech Walesa und Solidarność nicht allein dabei waren, das korrupte und diskreditierte stalinistische Regime zu stürzen, sondern die von der bolschewistischen Revolution geerbten sozialen Errungenschaften – hauptsächlich eine kollektivierte Planwirtschaft –, die nach der Befreiung Polens von der Nazibesetzung durch die Rote Armee bürokratisch dorthin ausgeweitet wurden. Deshalb wird diese polnische ,freie Gewerkschaft‘ von den Kräften der imperialistischen Reaktion unterstützt.“ („Solidarność: Konterrevolutionärer Drang zur Macht gestoppt“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 10, Winter 1981/82)
Trotzkisten kämpften für eine proletarisch-politische Revolution, welche die parasitäre stalinistische Bürokratie ersetzt durch eine Herrschaft der Arbeiterräte, die sich auf die Verteidigung des vergesellschafteten Eigentums stützt.
Die Kollektivierung der polnischen Wirtschaft und die Konsolidierung eines wenn auch von Anfang an bürokratisch deformierten Arbeiterstaats Ende der 1940er-Jahre stellten für die Arbeiterklasse eine enorme Errungenschaft dar. Zum ersten Mal hatten die Massen allgemeinen Zugang zu kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung, für alle gab es Arbeitsplätze und Wohnungen. Im ganzen Land entstanden neue Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Wohnsiedlungen und Fabriken. Vorbei war es mit den reaktionären Anhängern von Pilsudski und Endek (Nationaldemokraten), die das Zwischenkriegspolen im Sinne der britischen und französischen Imperialisten regiert hatten – durch Einkerkerung von Kommunisten, blutige Niederschlagung von Arbeiterkämpfen und die Verfolgung von Juden, Ukrainern und Angehörigen anderer Minderheiten. Die rückständige katholische Kirche hatte die Bevölkerung nicht mehr im Würgegriff: Die Bildung wurde säkularisiert und die Abtreibung auf Wunsch ermöglicht.
Diese Errungenschaften wurden teuer bezahlt: Etwa 600 000 Soldaten der Roten Armee verloren ihr Leben bei der Befreiung des Landes von der Nazi-Tyrannei. Viele weitere sowjetische Soldaten, polnische Kommunisten und Juden, die den Holocaust überlebt hatten, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von reaktionären Mörderbanden, die zur alten Ordnung zurückkehren wollten – heute als „verstoßene Soldaten“ bezeichnete Reste der Heimatarmee –, abgeschlachtet. Aber der Arbeiterstaat wurde auch durch den Nationalismus und die bürokratische Misswirtschaft der stalinistischen Bürokratie unterminiert. Dreimal erhoben sich die Arbeiter gegen stalinistischen Machtmissbrauch und Misswirtschaft: 1956, 1970 und 1976. Das eröffnete die Perspektive einer proletarisch-politischen Revolution, deren Sieg zur Arbeiterdemokratie und zur Wiederherstellung der revolutionären und internationalistischen Traditionen des historisch pro-sozialistischen polnischen Proletariats, verkörpert durch Rosa Luxemburg, geführt hätte.
Aber Solidarność, die 1980 aus einem Massenstreik an der Gdansker Werft hervorging, war etwas anderes. Sie verachtete diese revolutionären Traditionen und machte stattdessen Pilsudski, Papst Wojtyla und den antisowjetischen und gewerkschaftsfeindlichen US-Präsidenten Ronald Reagan zu ihren Schutzherren. Sobald Solidarność an der Macht war, demontierte sie die kollektivierte Wirtschaft und setzte eine vom Imperialismus diktierte wirtschaftliche „Schocktherapie“ durch, die die Werktätigen in Armut stürzte. Zu den ersten Maßnahmen der Solidarność-Regierung gehörte 1990 die Unterdrückung eines Eisenbahnerstreiks in Pommern. Für den Angriff auf den Lebensstandard der polnischen Massen waren nicht nur die Vorgänger der PO verantwortlich, sondern auch Walesa und seine damaligen Verbündeten, die Kaczynski-Zwillinge. Als Walesa Ende 1990 Präsident wurde, hatte ihm Jaroslaw Kaczynski bei seinem Wahlkampf geholfen.
Nach der kapitalistischen Wiedervereinigung Deutschlands warnten unsere Genossen von der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands in einem „Brief an die polnischen Arbeiter“ vom Juni 1990:
„Jetzt hat Solidarność die Zügel der Regierung übernommen. Was hat sie Euch gebracht? Ihr müsst die Art von ökonomischer ,Schockbehandlung‘ erleiden, die gewöhnlich von lateinamerikanischen Juntas durchgeführt wird. Ihr werdet ausgeblutet von den Frankfurter Bankiers, von Wall Street und vom Kartell der Weltbanken, dem Internationalen Währungsfonds …
Nun droht Euch, vom deutschen Imperialismus zu Vasallen gemacht zu werden, bei seinem Drang zu einem Vierten Reich.“ (Spartakist Nr. 72, 5. Juni 1990)
Solidarność war die Speerspitze bei der kapitalistischen Konterrevolution in ganz Osteuropa und der Sowjetunion. (Ihre endgültige Entwicklung zu einer pro-kapitalistischen Bewegung wird in Platforma Spartakusowców Nr. 14, Sommer 2007 dokumentiert, eine Übersetzung der Spartacist-Broschüre von 1981 „Solidarność: Polish Company Union for CIA and Bankers“ [Solidarność: Polnische gelbe Gewerkschaft im Dienste von CIA und Bankiers].) Die Restauration des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion, dem Land der Oktoberrevolution von 1917, war eine welthistorische Niederlage für die Arbeiter und Unterdrückten, die wirtschaftliches Elend brachte, zu mörderischen Auseinandersetzungen führte und die Imperialisten dazu ermutigte, sich rücksichtslos über schwächere Länder und Völker hinwegzusetzen. Wir von der IKL sind stolz darauf, dass wir von Berlin bis Moskau auf unserem Posten gestanden haben und unsere Kräfte in den Kampf geworfen haben, um die bedrohten Arbeiterstaaten gegen die Welle der Konterrevolution von 1989–92 zu verteidigen und für eine proletarisch-politische Revolution zu kämpfen.
Im Gegensatz dazu bejubelten die pseudotrotzkistischen Sozialdemokraten begeistert Solidarność, wie zum Beispiel die Vorläufer der Sozialistischen Alternative, die zum Komitee für eine Arbeiterinternationale [CWI] gehört, und von der Demokratie der Werktätigen (PD), die mit der britischen, von Tony Cliff gegründeten Socialist Workers Party verbunden ist. Diese Gruppen bejubelten später [Boris] Jelzins Konterrevolution in der Sowjetunion 1991/92 und sind seitdem viele Jahre lang verschiedenen Solidarność-Abspaltungen hinterhergelaufen. Erst kürzlich riefen die polnischen Cliff-Anhänger zur Wahl der kleinbürgerlichen Razem auf, die sich die „demokratische Opposition“ gegen den ehemaligen Arbeiterstaat auf ihre Fahne geschrieben hat (partiarazem.pl, 7. November 2015).
Rassismus gegen Immigranten
verhalf der PiS zum Wahlsieg
Die Wahlen fanden statt, als sich die EU in einer Krise befand wegen der massenhaften Einwanderung nach Europa, die durch die imperialistischen Bombardierungen und den Bürgerkrieg in Syrien und durch die imperialistischen Verwüstungen in anderen Ländern des Nahen Ostens und Afrikas verstärkt wurde. Kaczynski benutzte den Wahlkampf, um Immigranten an den Pranger zu stellen, da sie angeblich in Italien Kirchen als Toiletten benutzen, und um zu verkünden, dass es in Schweden und anderen Ländern Westeuropas „Scharia-Enklaven“ gebe, die die Polizei nicht betreten könne. Im Stile der rassistischen Propaganda von [Nazi-Propagandaminister] Goebbels gegen die Juden im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs hetzte er gegen muslimische Immigranten, sie würden „Cholera auf den griechischen Inseln; Bakterienruhr in Wien; verschiedenartige Parasiten, die in den Organismen dieser Menschen nicht gefährlich sind, die uns aber schaden können“, einschleppen. Derart rassistisches Gift findet sich auch bei Polens südlichen Nachbarn: Es war vor kurzem das beherrschende Thema bei den Parlamentswahlen in der Slowakei, vom wiedergewählten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Robert Fico bis hin zu den Faschisten.
Der Sieg der PiS hat die faschistischen Banden weiter ermutigt, die als Folge der Konterrevolution zu wuchern begannen. Die Faschisten haben zahlreiche antimuslimische Kundgebungen und Aufmärsche abgehalten und Immigranten auch physisch angegriffen. Kundgebungen gegen Immigranten sind zehnmal größer als die für Immigranten. Am 11. November 2015 marschierten beim größten „Unabhängigkeitsmarsch“, den es jemals in Warschau gab, 70 000 Faschisten und ihre Sympathisanten unter der Parole „Polen den Polen“. Und unter anderen skandierten sie: „Nicht islamisch, nicht säkular – ein katholisches Großpolen!“, und den alten Schlachtruf der Kämpfenden Solidarność: „An den Bäumen werden statt Blättern Kommunisten hängen!“ Ein am selben Tag von der faschistischen NOP in Wroclaw organisierter antimuslimischer Aufmarsch hatte 10 000 Teilnehmer. Im heutigen Polen werden nicht nur syrische Flüchtlinge brutal zusammengeschlagen, sondern auch Chilenen, Inder und andere Immigranten. In der Stadt Limanowa in der Nähe von Kraków wurden im November Häuser der Roma-Gemeinde mit rassistischen Losungen beschmiert und immigrantenfeindliche Plakate mit der Parole „Nein zu einem islamischen Viertel in unserer Stadt!“ tauchten auf. Daraufhin forderte ein PiS-Politiker die „Auflösung“ des Roma-„Gettos“.
Auch die vorherige Regierung der Bürgerplattform von Ewa Kopacz trug zu der gegenwärtigen immigrantenfeindlichen Welle bei. Während Kopacz gar nicht erst daran dachte, die von der EU auferlegte Quote syrischer Flüchtlinge zu akzeptieren, verkündete sie im vergangenen Mai, Polen würde als „christliches Land“ 60 Familien syrischer Christen aufnehmen. Schließlich stimmte die EU-loyale PO-PSL-Regierung zu, 2016/17 etwa 7000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Doch Amtsinhaber der PiS-Regierung haben immer wieder erklärt, keine Immigranten aufnehmen zu wollen, und Ministerpräsidentin Szydlo sagte: „Ich sehe im Moment keine Möglichkeit, dass Migranten nach Polen kommen“, wobei sie geltend machte, es könnten „Terroristen“ sein (superstacja.tv, 23. März).
Heute benutzt die Bourgeoisie die Muslime als willkommenen Sündenbock, um die durch kapitalistische Ausbeutung hervorgerufene Wut in der Gesellschaft abzulenken, und setzt sie auf die Liste von „Polens Feinden“ neben Homosexuellen und Juden. Hitlers Krieg gegen den „jüdischen Bolschewismus“ entsprach weitgehend dem polnischen nationalistischen Mythos einer „jüdisch-kommunistischen“ Verschwörung gegen Polen. Nach der Konterrevolution verankerte die polnische Bourgeoisie die abscheuliche Gleichsetzung von Kommunismus und Hitlerfaschismus in ihrer Verfassung von 1997. Dieser mörderischen Mythologie hat Szydlos Minister für nationale Verteidigung, Antoni Macierewicz, ein berüchtigter Anhänger der judenfeindlichen zaristischen Fälschung Die Protokolle der Weisen von Zion, ein neues Kapitel hinzugefügt. Macierewicz behauptet, „Terrorismus“ sei „ein Produkt sozialistisch-sowjetischen Denkens“, dem er die Schuld daran gibt, „eine riesige Welle der Völkerwanderung in Gang zu setzen, die den gesamten europäischen Kontinent destabilisieren soll“ (tv-trwam.pl, 11. März). Er fügte später hinzu, ein solcher „Terrorismus“ habe seine „mediale Form“, wie zum Beispiel die „Flugblattverteilungen der bolschewistischen Armee 1939“ (wyborcza.pl, 17. März).
Diese antikommunistischen Tiraden laufen auf die Drohung hinaus, dass die Verteilung von Flugblättern zur Propagierung sozialistischer Ideen oder zur Verteidigung von Immigranten vom polnischen kapitalistischen Staat als „Terrorismus“ verfolgt werden könnte. Falls irgendein klassenbewusster Arbeiter noch Zweifel hat, ob er Immigranten gegen reaktionäre Angriffe verteidigen soll, sollte er daran denken, dass seine Gewerkschaft oder linke Organisation als nächstes ins Visier des gleichen kapitalistischen Staates und der faschistischen Schlägerbanden gerät. Nieder mit der immigrantenfeindlichen und antikommunistischen Hexenjagd!
Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse in der Gesellschaft, die die Macht und das Interesse hat, für alle Unterdrückten einzutreten als Teil ihres Kampfes, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu stürzen und durch eine vergesellschaftete Planwirtschaft unter der Herrschaft von Arbeiterräten zu ersetzen. Dieses Verständnis brachte Lenin in Was tun? (1902) zum Ausdruck: Die Avantgarde der Arbeiterklasse, vertreten durch die revolutionäre Partei, muss als „Volkstribun“ handeln. Lenins bolschewistische Partei wurde dieser Rolle gerecht, wie die Zusammensetzung der ersten revolutionären Regierung Sowjetrusslands zeigte, deren Mitglieder zum großen Teil aus verschiedenen unterdrückten Völkern des zaristischen „Völkergefängnisses“ stammten. Zum Beispiel war Trotzki ein Jude, Stalin ein Georgier und Felix Dserschinski – der erste Führer der Tscheka, der sowjetischen Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution – ein Pole.
Als revolutionäre Marxisten geben wir der Bourgeoisie keine Ratschläge bezüglich ihrer Einwanderungsquoten. Die Forderung nach „offenen Grenzen“, die von einigen bürgerlichen Liberalen und von linken Gruppen erhoben wird, spiegelt Illusionen in die EU als einen Superstaat wider, der zudem noch ein „soziales Europa“ repräsentiere. Dies sind bürgerliche Mythen. Wir rufen die Arbeiterklasse auf, für volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten, die in diesem Land sind, zu kämpfen. Für Mobilisierungen von Arbeitern/Minderheiten, um faschistische Angriffe zu stoppen! Nein zu rassistischen Abschiebungen!
Reaktionäre katholische Offensive
gegen Frauen
Das Wahlversprechen der Regierung, dass eine Familie für jedes Kind nach dem Erstgeborenen [monatlich] 500 Zloty [113 Euro] Kindergeld erhält, soll ihrem populistischen Auftreten Glaubwürdigkeit verleihen. Das dient tatsächlich dazu, die unterdrückerische bürgerliche Familie zu stärken und wird dazu beitragen, Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen. Der PiS-Wahlsieg gab den reaktionären Kräften Auftrieb in der ganzen Gesellschaft und ermutigte die katholische Kirche bei ihren Angriffen auf Frauen, sexuelle Minderheiten und Jugendliche. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Plänen, die „Pille danach“ nur noch gegen Rezept abzugeben, was besonders junge Frauen treffen wird.
Neuerdings sprachen sich Kaczynski und Szydlo dafür aus, dass die katholische Kirche erneut die Initiative ergreift für ein totales Abtreibungsverbot. Das bestehende Recht aus dem Jahr 1993 beseitigte das Recht auf Abtreibung, das im deformierten Arbeiterstaat existierte. Es gilt als „Kompromiss“, weil es eine Abtreibung erlaubt, wenn der Fötus ernsthaft missgebildet ist, wenn die Schwangerschaft eine unmittelbare Bedrohung für das Leben oder die Gesundheit der Frau darstellt oder das Ergebnis von Vergewaltigung oder Inzest ist – und selbst dann nur, wenn das „Gewissen“ des Arztes es ihm erlaubt, eine Abtreibung durchzuführen. Doch ein völliges Abtreibungsverbot bleibt weithin unpopulär, besonders bei armen Frauen und Frauen aus der Arbeiterklasse, die es sich nicht leisten können, für eine Abtreibung ins Ausland zu reisen. Als die Bischöfe in einem Diktat von den Katholiken verlangten, ein totales Verbot zu unterstützen, löste dies eine Reihe von Massendemonstrationen gegen das „Quälen von Frauen“ aus, begleitet von einem dramatisch inszenierten Verlassen der Kirchen, sobald die Priester in der Sonntagsmesse den Hirtenbrief verlasen.
Die von Razem initiierten Proteste wurden bald von einer Koalition aus feministischen und anderen „überparteilichen“ Gruppen übernommen, die hofften das KOD für sich zu gewinnen, dessen Unterstützung für demokratische Rechte nicht weiter reicht als bis zur Verteidigung des drakonischen „Kompromisses“ von 1993. Aber nicht alle Protestierenden akzeptieren die aus der Konterrevolution von Solidarność stammenden Fesseln, wie der Sprechchor auf einer Kundgebung vor dem Sejm am 9. April zeigt: „Freiheit, Gleichheit, Abtreibung auf Wunsch!“ Wir sagen: Kostenlose Abtreibung auf Wunsch im Rahmen einer qualifizierten Gesundheitsversorgung für alle! Nieder mit dem Konkordat! Für strikte Trennung von Kirche und Staat! Eine revolutionäre Arbeiterregierung würde das ganze Kircheneigentum in Polen enteignen. Wie die Geschichte gezeigt hat, werden Frauen zu den entschlossensten Kämpfern für eine sozialistische Revolution gehören.
Nieder mit NATO und EU!
Die herrschenden Imperialisten in der EU heucheln Besorgnis über die Gefährdung der „Rechtsstaatlichkeit“ durch die neue Regierung. Aber das PiS-Regime ignorierte einfach den Appell der Venedig-Kommission der EU, Warschau solle „die Blockade seines obersten Gerichts beenden und einen Bescheid akzeptieren, dass die Regierung das Gesetz gebrochen hat“ (ft.com, 11. März). Der US-Senator John McCain von den Republikanern schrieb zusammen mit zwei Demokraten einen offenen Brief an Szydlo, worin er an die „gemeinsamen demokratischen Werte“ appellierte und seine Sorge ausdrückte, dass die Aktionen der Regierung gegen das Verfassungsgericht und die staatlichen Medien „Polens Rolle als Demokratiemodell für andere Länder der Region untergraben“ würden. Szydlo antwortete: „Das Interesse und der gute Wille der amerikanischen Politiker dürfen nicht zu einem Belehren und Aufdrängen von Aufgaben im Hinblick auf innenpolitische Angelegenheiten meines Vaterlandes werden“ (reuters.com, 14. Februar).
Trotz dieser zynischen Posse beabsichtigen weder die PiS-Regierung, ihre imperialistischen Schutzherren zu brüskieren, noch Washington oder die EU, Polen abzuschreiben. Am 16. Februar veröffentlichte die New York Times einen anbiedernden Beitrag des PiS-Außenministers Witold Waszczykowski. Dieser bekennende „Islamophobe“ wies auf „gemeinsame Geschichte und Werte“ von Polen und den USA hin und brüstete sich: „Polen nimmt seine NATO-Verpflichtungen sehr ernst“, insbesondere als Gegner von „Russlands Aggression“. Waszczykowski ging die lange Geschichte durch, in der das kapitalistische Polen dem US-Imperialismus zu Diensten war, von Truppeneinsätzen in Afghanistan und im Irak bis zur Zustimmung zu einer amerikanischen Raketenbasis in Polen, die gegen Putins kapitalistisches Russland gerichtet ist.
Selbst nach der Zerstörung des degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion 1991/92 hielt die polnische Bourgeoisie an ihrem tief sitzenden antirussischen Chauvinismus fest. Verteidigungsminister Macierewicz besteht darauf, dass Russland sich seit 2010 mit Polen im Krieg befindet, als die Präsidentenmaschine beim Landeanflug auf [die russische Stadt] Smolensk im Nebel zerschellte und dabei Lech Kaczynski und ein Großteil der militärischen und politischen Elite Polens umkamen. Ohne irgendeinen Beweis behauptet Macierewicz, das Flugzeug sei von Russland in die Luft gesprengt worden. Kaczynski und Co. waren auf dem Weg zu einer Gedenkfeier für die von Stalins Geheimpolizei 1940 im Wald von Katyn getöteten polnischen Offiziere. Wie wir bei früherer Gelegenheit zu Katyn schrieben:
„Auf jeden Fall befürworten revolutionäre Marxisten die unterschiedslose Tötung der bürgerlichen Offizierskaste genausowenig wie die der Fabrikbesitzer oder der bürgerlichen Politiker. (Anders ist es mit denen, die persönlich für Verbrechen und Grausamkeiten gegen die arbeitenden Massen verantwortlich sind; sie werden gewiss der revolutionären Gerechtigkeit überantwortet werden.) Nichtsdestotrotz ist Katyn kein Verbrechen gegen das polnische arbeitende Volk. Es handelte sich um Offiziere einer faschistoiden, antisemitischen Diktatur, für die das Abschlachten von Arbeitern und sogar von bürgerlichen Dissidenten üblich war.“ („Pilsudski und die Konterrevolution in Polen“, Spartakist Nr. 42, Februar 1982)
Was den US-Imperialismus angeht, so braucht er Polen nicht nur als ein Modell für „demokratische“ Konterrevolution in den verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten (China, Kuba, Vietnam, Nordkorea und Laos), sondern auch als Sprungbrett für NATO-Provokationen gegenüber Russland. Die Obama-Administration hat eine Flut von Diplomaten nach Polen in Bewegung gesetzt, um sicherzustellen, dass der für Juli in Warschau geplante NATO-Gipfel reibungslos abläuft. Dem Gipfel sollen Militärmanöver an Russlands Westflanke vorausgehen, an denen 25 000 Soldaten aus 24 Ländern teilnehmen. Nein zu US-Truppen und -Stützpunkten in Polen! Nieder mit der NATO!
Dass sich Werktätige zu der PiS (und rechtsgerichteten und faschistischen Formationen in anderen Ländern) wegen deren chauvinistischer „euroskeptischer“ Haltung hinwenden, zeugt von dem Bankrott der Sozialdemokraten, die die EU zu ihrer Sache gemacht haben. Die Europäische Union entstand als wirtschaftliches Anhängsel zur antisowjetischen NATO-Allianz und ist ein reaktionäres imperialistisches Konsortium mit Deutschland an der Spitze, dessen Zweck es ist, die Arbeiter in jedem Land schärfer ausbeuten und die schwächsten Länder, wie heute Griechenland, wirksamer beherrschen zu können. Wir Trotzkisten stehen gegen dieses imperialistische Projekt vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus. Ebenso lehnten wir 2004 (als Polen Mitglied wurde) die Ausweitung der EU ab. Die europäischen Imperialisten stellten einen Katalog von Kriterien für den EU-Beitritt auf, der ein Programm brutaler sozialer Einschnitte darstellt. Zum Beispiel wurde in Polen der erheblich verkleinerte Bergbau „konkurrenzfähig gemacht“, das heißt Bergleute wurden massenhaft entlassen und Gruben geschlossen. Die Arbeitslosenunterstützung war so niedrig, dass sie zum Überleben nicht reichte. In Bezug auf die Tatsache, dass der deutsche Autobauer Opel in seinem Werk in Polen niedrigere Löhne zahlte, schrieben unsere deutschen Genossen:
„Die Arbeiter in Deutschland müssen den Arbeitern in Polen helfen, menschenwürdige Löhne und Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, gegen die von der Konterrevolution voll entfesselte kapitalistische Profitgier. Dafür brauchen wir eine revolutionäre Partei, basierend auf einem Programm für internationalistischen Klassenkampf. Letzten Endes kann nur eine geplante Wirtschaft unter der Kontrolle der Arbeiterklasse die schreienden ökonomischen und sozialen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern beseitigen.“ (Spartakist Nr. 157, Winter 2004/2005)
Es ist notwendig, für Arbeiterrevolutionen zu kämpfen zum Sturz aller europäischen Bourgeoisien bis hin zur Schaffung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.
Eine massive Ausweitung der Produktivkräfte unter der Herrschaft des Proletariats ist nötig, um die Grundlage für eine sozialistische Weltordnung zu legen, die schließlich die historisch überholten Rahmenbedingungen der Nationalstaaten überwindet und mit Hunger, Unterdrückung und Krieg Schluss macht. Nieder mit der imperialistischen EU!
Die PiS hat vor, aus den zahllosen kleinen und mittleren Fabriken in polnischem Besitz, die auf den Resten der nach der Konterrevolution zerstörten, einst bedeutenden vergesellschafteten Industriebasis florierten, eine starke „nationale“ Industrie aufzubauen. Dazu wird sie die Ausbeutung des Proletariats in Polen verstärken. Um wirkungsvoll gegen das reaktionäre PiS-Regime zu kämpfen, müssen die polnischen Arbeiter dem Chauvinismus proletarisch-internationalistische Solidarität entgegensetzen und die demokratischen Rechte aller Unterdrückten in der kapitalistischen Gesellschaft verteidigen. Inspiriert von dem Vermächtnis der „Drei L “ – Lenin, Luxemburg und Liebknecht – muss das Proletariat erneut für die revolutionäre Einheit der russischen, polnischen und deutschen Arbeiter kämpfen. Es ist das Ziel der SGP, eine revolutionäre Arbeiterpartei nach dem Vorbild der bolschewistischen Partei von Lenin und Trotzki aufzubauen. Für neue Oktoberrevolutionen! Für die Wiederschmiedung von Trotzkis Vierter Internationale, Weltpartei der sozialistischen Revolution!
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