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Spartakist Nummer 197

März 2013

Frauen und Revolution

Kölner Skandal um die „Pille danach“

Reaktionäre Partnerschaft von Kirchen und Staat

Für die Trennung von Kirche und Staat!

Als bekannt wurde, dass zwei katholische Krankenhäuser in Köln am 15. Dezember 2012 einer jungen Frau, Opfer einer Vergewaltigung, die Behandlung verweigert hatten, gab es eine Welle berechtigter Empörung gegen die katholische Kirche. Der „Grund“ für die Weigerung: Die behandelnden Ärzte hätten die Frau über die „Pille danach“ aufklären müssen! (Die junge Frau hatte bereits von der Notärztin ein Rezept für die „Pille danach“ bekommen.)

Nun haben die deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrsversammlung in Trier entschieden, dass katholische Krankenhäuser die „Pille danach“ für vergewaltigte Frauen verordnen dürfen, „wenn diese eine verhütende und nicht eine abtreibende Wirkung hat“. „Medizinisch-pharmazeutische Methoden, die den Tod des Embryos bewirken, dürfen weiterhin nicht angewendet werden“ (Die Welt, 21. Februar). Während das von den Medien teils als „sensationelle Kehrtwende“ gefeiert wurde, kommentierte der katholische Journalist Matthias Drobinski trocken: „Es hat sich also in diesem Fall der medizinische Fortschritt aufs schönste der katholischen Lehre genähert“ (Süddeutsche Zeitung, 1. Februar 2013). In der Tat bestätigt der Beschluss der Bischöfe die grundlegende Ablehnung von Verhütung und Abtreibung durch die Kirche.

Die Empörung über den Kölner Fall wird auch dadurch verstärkt, dass die christlichen Krankenhäuser, die hier aufgrund reaktionärer Dogmen einer jungen Frau ihr gutes Recht verwehren, ja bis zu 100 Prozent vom Staat bezahlt werden. Christliche Einrichtungen sind im sozialen Bereich auf dem Vormarsch, obwohl die Kirchen kontinuierlich an Mitgliedern verlieren. In ihrem Buch Gott hat hohe Nebenkosten – Wer wirklich für die Kirchen zahlt (2013) nennt Eva Müller folgende Zahlen:

„Jedes dritte Allgemeinkrankenhaus ist christlich. Mehr als jeder dritte Kindergarten. Ebenso jedes dritte Pflegeheim, jeder fünfte Pflegedienst. Die Kirchen stellen im Pflegebereich jeden zweiten Ausbildungsplatz. Zwei Drittel aller Privatschüler gehen auf eine christliche Schule. Finanziert werden diese Einrichtungen zum Hauptteil durch Länder und Kommunen, durch Sozialversicherungsträger und durch Nutzerentgelte wie zum Beispiel Kindergartenbeiträge. Nur wegen dieser verlässlichen Einnahmen und der damit verbundenen Planungssicherheit ist es für die Kirchen überhaupt möglich, so viele Einrichtungen im Sozialbereich zu betreiben.“

Die Wohlfahrtsverbände der Kirchen, Caritas und Diakonie, machen zusammen mehr Umsatz als die Lufthansa oder die Deutsche Bahn.

Kommunisten sind für die vollständige Trennung von Kirche und Staat und wir sind auch gegen jegliche Finanzierung der Kirchen durch den Staat. Glauben – oder nicht – ist Privatsache. Die Religionsfreiheit und Trennung von Kirche und Staat sind zumindest zeitweise in den bürgerlichen Revolutionen des 16. bis 19. Jahrhunderts erkämpft worden. In Deutschland wurde der Kapitalismus durch nichtdemokratisch-bürgerliche Revolution von oben durchgesetzt. Es wird einer proletarischen Revolution bedürfen, um die Trennung von Kirche und Staat in diesem Land durchzusetzen. Wir kämpfen für eine internationale proletarische Revolution, um die Grundlage für eine von allen Zwängen befreite sozialistische Gesellschaft zu schaffen – eine Gesellschaft, in der es keine Klassen gibt.

Die deutsche Verfassung strotzt vor religiösem Obskurantismus, das Grundgesetz erklärt in seiner Präambel die „Verantwortung vor Gott“. Es gibt im Wesentlichen die zwei großen Staatskirchen, für die der Staat mittels der „Kirchensteuer“ die Finanzen eintreibt. Sie haben den verfassungsmäßigen Auftrag, „christliche Werte“ einzuhämmern, und schon kleine Kinder kriegen diese Werte in den kirchlichen Kitas eingelöffelt. Kirchlich besetzte Zensurgremien entscheiden, was man im Radio und Fernsehen hören und sehen darf und was nicht – erst die Lottozahlen, dann das „Wort zum Sonntag“. Selbst im Knast bist du nicht sicher vor dem staatlich finanzierten Seelsorger. Weg mit der Kirchensteuer!

Trotz vielfältiger Maßnahmen verlieren die reaktionären Kirchen weiter Mitglieder. Und das ist auch gut so. Laut Zahlen vom „Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten“ ist im heutigen Deutschland etwa ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos, im Osten Deutschlands sogar über zwei Drittel. In einer Forsa-Umfrage für den Stern vom 5. Februar 2009 zu den Institutionen, denen die Deutschen „großes Vertrauen“ entgegenbringen, stand die katholische Kirche auf Platz 13, während die evangelische Kirche überhaupt nicht erscheint. Laut der Shell-Jugendstudie 2006 meinen 65 Prozent der jungen Deutschen (12 bis 25 Jahre), die Kirche habe keine Antworten auf die Fragen, die sie wirklich bewegen. Also versuchen die Kirchen mit der Übernahme von noch mehr sozialen Einrichtungen, das Land zu missionieren und ihren Einfluss zu befestigen. Dabei ist die Verflechtung der Kirche mit dem unterdrückerischen kapitalistischen Staat nicht nur für die konservativen und überwiegend katholischen Christdemokraten selbstverständlich, sondern auch für die reformistische Arbeiterpartei SPD, die enge Verbindungen besonders zur evangelischen Kirche unterhält. Somit wird der kapitalistische Staat zum natürlichen Verbündeten der religiösen Reaktion. Schluss mit staatlicher Finanzierung von jeglichen kirchlichen Einrichtungen! Für ausreichende, kostenlose, hochwertige, staatliche Angebote von Kitas und Ganztagsschulen – ohne Kruzifix und Religionsunterricht – sowie Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen!

Für qualitativ hochwertige Verhütungsmittel – kostenlos und auf Wunsch

In Ländern mit einer katholischen Staatskirche ist der mörderische Feldzug gegen Frauenrechte besonders rabiat, wie der nebenstehende Artikel „Für kostenlose Abtreibung auf Wunsch“ zum Tod von Savita Halappanavar in Irland zeigt. Aber wenn man erwartet, dass in Deutschland, dem reichsten kapitalistischen Land Europas mit einer starken Pharma- und Chemieindustrie, der Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibung selbstverständlich sei, täuscht man sich gewaltig.

Die bizarren Hindernisse zur freien Verfügbarkeit der „Pille danach“ sind beispielhaft. Im Gegensatz zu 28 anderen europäischen Ländern und den USA, wo das Medikament zum Teil an Schulen angeboten wird, bedeutet die Rezeptpflicht in Deutschland, dass besonders am Wochenende unzählige Frauen verzweifelt nach einem Krankenhaus oder Notarzt suchen müssen, wo ihnen geholfen wird. Es entstehen lange Fahrt- und Wartezeiten, wobei für die Wirksamkeit der Pille jede Stunde zählt. In Regensburg gab es zeitweise kein einziges Krankenhaus, in dem Frauen die „Pille danach“ erhalten konnten. Auch in Bonn hat eine Frau drei Krankenhäuser ergebnislos abgeklappert, bis sie Montagmorgen endlich die „Pille danach“ in der Beratungsstelle von pro familia bekam. Man stelle sich vor, was das gerade für jüngere Frauen, für Frauen mit Kindern oder Frauen in abgelegenen Dörfern bedeutet.

Bereits 2003 gab ein Expertengremium des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte seine Empfehlung für die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ an das von der SPD geführte Bundesgesundheitsministerium. Doch die Empfehlung wurde nicht aufgegriffen mit dem Argument, dass die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat sie ablehnen würde. Im gleichen Zeitraum konnten sich die SPD/Grüne-Regierungskoalition und die CDU/CSU-Opposition auf das „Gesundheitsmodernisierungsgesetz“ (ein Teil der berüchtigten „Reformen“ unter SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt) einigen – eine massive Verschlechterung des gesamten Gesundheitssystems (mit weitgehender Privatisierung einschliesslich Outsourcing an die Kirchen). Unter anderem hat das Gesetz, das erste Projekt im Rahmen der verheerenden Agenda 2010, die Übernahme der Kosten von Verhütungsmitteln für Hartz-IV-Empfängerinnen gestrichen und damit den Zugang für die Ärmsten enorm erschwert. Pro familia berichtet aus ihren Erfahrungen, dass „immer mehr Frauen unsichere, dafür billigere oder keine Verhütungsmittel verwenden und damit ihre Gesundheit und eine ungewollte Schwangerschaft riskieren“.

Alle Versuche, die Rezeptfreiheit für die „Pille danach“ durchzusetzen, sind bisher gescheitert, obwohl die World Health Organisation (WHO) im Juli 2012 das Ergebnis ihrer jahrelangen Untersuchungen über Wirkung und Nebenwirkungen präsentierte: „Levonorgestrel-haltige Notfallkontrazeptiva sind sehr sicher, verursachen keine Abtreibung und gefährden nicht die Fruchtbarkeit. Nebenwirkungen sind selten und verlaufen gewöhnlich mild.“ Doch in Deutschland sperren sich weiter u. a. die Berufsverbände der Frauenärzte und beharren darauf, dass vor Einnahme der Pille eine „Beratung“ erforderlich sei: „Vor allem junge Frauen könnten im Notfall nicht einschätzen, ob die Pille einzunehmen ist oder nicht.“ Gerade für Frauen, die laut ihren Erziehungsberechtigten zu jung für Sex sind, ist dieses Mittel eine Erlösung. Ein Antrag der Bremer Gesundheitsbehörde auf Rezeptfreiheit wurde beim Treffen aller Landesministerien in Saarlouis-Wallerfangen im März 2012 mit dem Argument abgeschmettert, „…man würde den Frauen durch diesen Schritt zu viel Freiheit genehmigen“! So offen wird es selten gesagt. Tatsächlich geht es darum, dass es als Bedrohung für die Institution der Familie gesehen wird, wenn Frauen die Kontrolle darüber erlangen, ob und wann sie Kinder bekommen.

Frauenunterdrückung, die Familie und der Staat

In seinem klassischen Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884) verfolgte Engels anhand des damals verfügbaren Materials den Ursprung der Institution der Familie und des Staates zurück bis zur Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Mit Entstehung eines gesellschaftlichen Überschusses, der über die Grundbedürfnisse hinausging, konnte sich auf der Grundlage privater Aneignung dieses Überschusses eine müßige herrschende Klasse entwickeln, was die menschliche Gesellschaft von dem primitiven Egalitarismus der Steinzeit wegbrachte. Die zentrale Stellung der Familie entsprang ihrer Rolle bei der Vererbung des Eigentums, die sexuelle Monogamie und gesellschaftliche Unterordnung der Frauen erforderte. Engels nannte dies „die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“.

Durch die Entwicklung der Industrie hat der Kapitalismus die materielle Voraussetzung geschaffen, mit der historischen Unterdrückung der Frauen Schluss zu machen. Um allerdings die Befreiung der Frauen von Haussklaverei zu verwirklichen, muss die Hausarbeit vergesellschaftet werden. Notwendig sei, so Engels, „die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und dass dies wieder erfordert die Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit der Gesellschaft“. Bereits der Eintritt ins Arbeitsleben, die Teilnahme am gesellschaftlichen Produktionsprozess, gibt den Frauen immerhin die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Klassenbrüdern gegen das bankrotte Profitsystem, das untrennbar mit Frauenunterdrückung, Rassismus und Krieg verbunden ist, zu kämpfen.

Denn für die Bourgeoisie und ihren bürgerlichen Staat ist die Institution der Familie unabdingbar: Sie erledigt das Aufziehen der neuen Generation und zunehmend wieder die Pflege der Alten und Kranken; gestützt auf und zusammen mit der organisierten Religion vermittelt sie der nächsten Generation, dass man sich für das Wohlergehen der Gesellschaft der Autorität beugen soll – den Eltern, Gott und seinen Vertretern auf Erden, den Pfaffen und dem von ihnen gesalbten Staat. Entsprechend werden den Frauen Hindernisse über Hindernisse in den Weg gelegt, sich an der gesellschaftlichen Produktion zu beteiligen. Beispielsweise bedarf es flächendeckender kostenfreier Kinderbetreuung rund um die Uhr. Doch selbst nach den Plänen zum Kitaausbau der Bundesregierung hat weniger als ein Drittel der unter Dreijährigen in Deutschland einen Krippenplatz. Für kostenlose Kinderbetreuung von höchster Qualität rund um die Uhr!

Fast 70 Prozent der Frauen in Deutschland arbeiten, doch jede zweite hat nur einen Halbtagsjob (im Vergleich zum EU-Durchschnitt von 30 Prozent) und das oft auf äußerst prekärer Basis. Arbeitende Frauen in Deutschland verdienen fast 25 Prozent weniger als Männer – der viertgrößte Unterschied unter allen EU-Staaten. Ein Kind allein zu erziehen in diesem Land heißt für die meisten, ein Kind in Armut zu erziehen. Da liegt der wirkliche Konflikt für die Masse der Frauen in dieser menschenverachtenden Gesellschaft: Sie können nicht arbeiten, an der Gesellschaft teilnehmen und eine Familie haben. Für Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!

Konterrevolution trampelt auf Frauen herum

Nach der kapitalistischen Konterrevolution 1990, die den deformierten Arbeiterstaat DDR zerstörte, brauchte die deutsche Bourgeoisie einen ganzen Lügenkatalog, um die bessere Situation für arbeitende Frauen dort vergessen zu machen. In der DDR basierte die Wirtschaft nicht auf Profit und Privateigentum, sondern auf staatlicher, wenn auch bürokratisch deformierter Planung, und so hatten 90 Prozent der Frauen Arbeit, sie waren gut ausgebildet und die Kinderbetreuung war gesichert. Allerdings mussten die Frauen auch die „zweite Schicht“ im Haushalt schieben, da die stalinistische Bürokratie fest zur Institution der Familie stand. Das war Teil der politischen Unterdrückung der Arbeiterklasse. Zugang zu Abtreibung war einfacher und Verhütungsmittel waren kostenfrei erhältlich.

Ab 1972 gab es in der DDR eine Fristenregelung für Schwangerschaftsabbrüche. Bei der Einführung des Gesetzes hieß es, dass das volle Recht „zur Bestimmung der Anzahl, des Zeitpunktes und der zeitlichen Aufeinanderfolge von Geburten“ bei der Frau liege. Gerade die evangelische Kirche in der DDR machte dagegen mobil – damals vor der kapitalistischen Wiedervereinigung noch ohne Erfolg. Sie ließ eine Erklärung in den Kirchen verlesen, gerichtet an schwangere Frauen, die vor der Entscheidung eines Abbruchs standen: „Macht von der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs keinen Gebrauch! Drängt niemand dazu!“, und erinnerte damit an ihr reaktionäres Dogma, wonach der Schwangerschaftsabbruch „Tötung keimenden Lebens“ sei. Im Artikel „Frauen und der deformierte Arbeiterstaat DDR“ in Spartakist Nr. 185, Oktober 2010, berichten wir über die widersprüchliche Haltung der stalinistischen Bürokratie in der Frage der Abtreibung und der Pille:

„Einerseits berief sie sich ja auch auf die KPD in der Weimarer Republik, die gegen den Paragrafen 218 gekämpft hat, andererseits pushte sie die Institution der Familie, brauchte Bevölkerungswachstum und Arbeitskräfte und das wiederum ergab Probleme, wenn die Frauen keinen Zugang zu rationaler Familienplanung hatten.“

Als sich die deutsche Bourgeoisie daran machte, die sozialen Errungenschaften der DDR abzubauen, kam es zu machtvollen Demonstrationen gegen den Abbau der Kinderbetreuungseinrichtungen und gegen die Einführung des BRD-Abtreibungsrechts. Die Bourgeoisie des Vierten Reichs brauchte zwei Jahre, bevor sie das Gesetz gegen Abtreibung durchdrücken konnte. Noch 20 Jahre nach der Konterrevolution gibt es Unterschiede, die auf die Vorteile der Planwirtschaft hinweisen, wie das dichtere Betreuungsnetz für Kleinkinder in der ehemaligen DDR. So zeigt der Länderreport „Frühkindliche Bildungssysteme 2011“ auf, dass in den ostdeutschen Bundesländern gut drei Viertel der Grundschulkinder ein Ganztagsangebot haben, während in den westdeutschen Ländern lediglich jedes fünfte Kind am Nachmittag in einer Ganztagsschule oder im Hort bleiben kann.

Die Hartnäckigkeit der Strafgesetzbuch-Paragrafen 218 und 219

Für die deutsche Bourgeoisie ist es in diesem Land mit seiner starken, gut organisierten Arbeiterklasse schon historisch von hoher Bedeutung, Abtreibung unter Strafe zu stellen. Der Paragraf dient heute wie damals, als er 1871 in Kraft trat, als Zuchtmittel und verfolgt und schikaniert vor allem arme und proletarische Frauen. Anfang der 1970er-Jahre haben in Westdeutschland massive Demonstrationen für die Streichung des Paragrafen 218 die Situation in Bewegung gebracht. Dies rief damals auch die klerikale Reaktion geschlossen auf den Plan. In unserem Artikel „Verteidigt Dr. Horst Theissen! – Weg mit §218 und §219!“ (Spartakist Nr. 58, September/Oktober 1988) erzählten wir die Geschichte: Innerhalb der SPD gab es starken Widerstand gegen die Streichung; so erließ die SPD/FDP-Regierung lediglich eine zaghafte „Reform“, die „Fristenlösung“, die die Abtreibung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft legalisierte. Der Paragraf wurde prompt von der CDU angefochten und im Februar 1975 durch das Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig außer Kraft gesetzt mit der Begründung, er verstoße gegen das im Grundgesetz garantierte „Recht auf Leben“. Die Charakterisierung von Abtreibung als „Tötung“ wurde aufrechterhalten. Der Paragraf wurde neu entworfen und trat 1976 in Kraft: Nur auf die ,Indikation aus einer schweren Notlage‘ hin darf aus sozialen oder medizinischen Gründen (wozu die Armut nicht gehört) abgetrieben werden.

Damit wurde „Beratung“ zur Pflicht für alle abtreibungswilligen Frauen. Gerade die „Beratung“ nach Paragraf 219 des Strafgesetzbuchs zielt explizit darauf, die Frauen dazu zu bringen, ihre Entscheidung über ihren eigenen Körper in Frage zu stellen. Dort heißt es: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen.“ Die Beratungspflicht zwingt die Frauenärzte dazu, als Wortführer dieser inhumanen Gesetze zu handeln; der Paragraf verbietet auch jegliche „Werbung“ für den Schwangerschaftsabbruch.

Durch die Zwangsberatung werden Frauen erniedrigt, entwürdigt und zum Glauben gedrängt, dass der Staat ein gutes Recht habe, über ihr Leben zu bestimmen. Viele der Beratungsstellen sind von den Kirchen geführt. Als Beispiel suchten wir auf der offiziellen Website www.berlin.de nach den Organisationen bis 20 Kilometer um Berlin, die die „Schwangerschaftskonfliktberatung“ anbieten. Das Ergebnis: 10 Stellen, wovon 6 kirchlich sind (3 evangelisch-freikirchlich, 3 katholisch „für die natürliche Familienplanung“). Dabei ist der kirchliche Charakter nicht immer klar: So haben zwei Beratungsstellen der katholischen Organisation „donum vitae“ das Etikett „nichtkonfessionelle Beratungsstelle“!

Wenn eine Frau doch abtreibt, soll sie sich gegenüber der Gesellschaft schuldig fühlen. Tatsache ist, dass der Fötus in jedem Stadium der Schwangerschaft Teil des Körpers der Frau ist und allein ihr gehört. Leo Trotzki, der zusammen mit Lenin die Oktoberrevolution 1917 geführt hat, betonte, dass das Recht auf Abtreibung „eines der bedeutendsten politischen und kulturellen Bürgerrechte ist“ (Verratene Revolution, 1936). Und 1920 war die junge Sowjetunion weltweit der allererste Staat, der die Kriminalisierung der Abtreibung aufhob. Nieder mit der Beratungspflicht! Ersatzlose Streichung der Paragrafen 218 und 219, sofort!

Kirche und Staat – Hand in Hand gegen die Arbeiterklasse

Nach dem Kölner Skandal gab es auch Wut und Empörung über die erbärmlichen Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Einrichtungen. Es wird dort überwiegend schlechter als nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gezahlt und es gibt kein Streikrecht. Damit einher geht die Diskriminierung von Homosexuellen, Geschiedenen, Atheisten oder Menschen mit anderer Religion oder Konfession. Leute werden nur aufgrund von persönlichem Glauben, Meinungen oder Lebensführung – Sachen, die die Bosse gar nichts angehen – entweder nicht eingestellt oder gekündigt.

In Gott hat hohe Nebenkosten wird über eine „öffentliche“ (also staatlich finanzierte) katholische Grundschule in Nordrhein-Westfalen berichtet, wo eine Lehrerin nach zwei Jahren gehen musste, weil sie evangelisch ist. Auch der Schuldirektor war verärgert: „Wir haben die Stelle allgemein im Internet ausgeschrieben. Dann kam von der Bezirksregierung sofort die Anmerkung zurück, dass nur katholische Christen überhaupt Zugang zu diesen Stellen haben…“ Die Hälfte der Familien mit Kindern an dieser Schule ist überhaupt nicht katholisch. Eine Mutter beschwerte sich: „Mein Sohn lernt, sich hier zu bekreuzigen. Oder er kommt auf einmal an Aschermittwoch mit einem Aschekreuz auf der Stirn nach Hause.“ Besonders in dieser kapitalistischen Krise benutzt der bürgerliche Staat die kirchlichen Einrichtungen, um sich die Drecksarbeit der Ausbeutung der Arbeiterklasse mit den Kirchen zu teilen, die Löhne insgesamt nach unten zu drücken und damit einhergehend insbesondere Frauenunterdrückung und rassistische Diskriminierung von Immigranten und ihren Kindern zu verstärken.

Die Zunahme von kirchlich geführten Einrichtungen ist ein massiver Angriff auf die Gewerkschaften, die Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse, insbesondere auf ver.di. In einem Interview mit dem Diakonie-Präsident Stockmeier schilderte ver.di-Chef Frank Bsirske einige der dreckigen Tricks der Kirchen: Die Caritas in Niedersachsen verkaufte mehrere Altenheime an ein ostdeutsches Diakonisches Werk, das ostdeutsche Löhne bezahlt, etwa 13 Prozent weniger. Die Gewerkschaft kann für sich reklamieren, die „größte Frauenorganisation im Land“ zu sein, und das ist ein sehr machtvolles Potenzial. Ver.di hat auch einige Kämpfe organisiert, z. B. Warnstreiks letztes Jahr beim Diakonischen Werk Hannover mit mehreren Hundert Teilnehmern. Aber was wir brauchen, ist eine massive Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisierung der unorganisierten Beschäftigten der Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Altersheime. Die Bezahlung und Bedingungen der Arbeiter in diesen Einrichtungen gehen die ganze arbeitende Bevölkerung etwas an. Für effektive Streiks müssen die stärkeren Bereiche des öffentlichen Dienstes und andere die Aktionen unterstützen. Für höchste Tariflöhne des öffentlichen Dienstes für alle Lohngruppen in den kirchlichen und privaten Einrichtungen! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Die jetzige Gewerkschaftsführung ist der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems verpflichtet und unterstützt die sozialdemokratischen Parteien wie SPD und Linkspartei, die die Arbeiterklasse an ihre Ausbeuter binden, sozusagen als Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus. Als der Antrag der Linkspartei „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken“ am 13. Dezember 2012 im Bundestag zur Abstimmung kam, stimmte die SPD dagegen und die Grünen enthielten sich. Der Linkspartei helfen solche Anträge und Reden dabei, sich ein arbeiterfreundliches Image zu geben, um von der eigenen elenden Realpolitik abzulenken. Von 2001 bis 2011 „sanierte“ der SPD/Linkspartei-Senat Berlin für die Kapitalisten mit brutalen sozialen Angriffen auf die arbeitende Bevölkerung. Seit 2004 hat die evangelische Schulstiftung Berlin-Brandenburg allein im Großraum Berlin/Brandenburg 35 Schulen gegründet; staatliche Schulen wurden geschlossen. Von 1991 bis 2008 wurden in Berliner Krankenhäusern insgesamt 21 300 Vollarbeitsplätze von ehemals 57 600 zerstört. Die Verwaltung des kapitalistischen Staats bedeutet, auf der Seite der Unterdrücker zu stehen und in ihren Interessen zu handeln. Für kostenlose Gesundheitsversorgung auf höchstem Niveau!

Die Arbeiterklasse braucht eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung, die die Rechte von Frauen und Minderheiten auf ihr Banner schreibt und dafür mobilisiert. Das geht einher mit dem Aufbau einer multiethnischen, revolutionären Arbeiterpartei als Volkstribun, die unversöhnlich daran arbeitet, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass dieser Staat durch proletarische Revolution gestürzt werden muss, um Freiheit für die Frauen und unterdrückten Massen zu erreichen.

 

Spartakist Nr. 197

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