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Spartakist Nummer 197

März 2013

Auf der Suche nach dem „fortschrittlichen“ Flügel der Bourgeoisie

DKP: Krise bei den Wasserträgern für die Sozialdemokratie

Nachfolgend drucken wir ein Spartakist-Extrablatt vom 27. Februar nach, das beim 20. Parteitag der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) am 2. und 3. März verteilt wurde.

Die DKP führt vor ihrem 20. Parteitag heftige Auseinandersetzungen über den zukünftigen Kurs ihrer Organisation. Auf der einen Seite stehen die Anhänger des Parteivorstands, die ihre Organisation in einer hoffnungslosen Lage wähnen, wenn sie sich nicht noch weiter in Richtung Sozialdemokratie öffnet und sich nicht weiter unter den vermeintlichen Rettungsschirm der Linkspartei flüchtet. Der andere Flügel versucht mit Scheinorthodoxie zumindest Reste seines stalinistischen Weltbildes zu retten. Mit dem Kampf von Lenins Bolschewiki für Arbeiterrevolution hat weder das eine noch das andere etwas zu tun.

Die DKP, die KKE und Opposition zur imperialistischen EU

Die Opposition in der DKP kritisiert am Parteivorstandsantrag, dass dieser den Hauptgegner nicht zu benennen wisse, den „deutschen Imperialismus“. In der Stellungnahme des oppositionellen Berliner Landesverbandes der DKP vom 2. September heißt es dann dazu richtig:

„In der Einschätzung der EU wird das ,imperialistische Deutschland‘ … als ,„Vorreiter“‘ einer ,reaktionären Politik‘ in der EU charakterisiert. Diese Einschätzung ist im Kern falsch. Alle jüngsten Entwicklungen in der EU bestätigen die Einschätzung, dass die EU ein Instrument in den Händen des deutschen Imperialismus ist, um seine ökonomische und politische Vorherrschaft in der EU auszubauen und er nutzt die EU-Schuldenkrise, um den Ausbau seiner Vorherrschaft in der EU zu beschleunigen.“

Mit seiner grundlegenden Unterstützung der EU bezieht der DKP-Parteivorstand eine Seite mit dem deutschen Imperialismus bei dessen nunmehr dritten Versuch in der Geschichte, Europa unter seinem Stiefel zu einen. Was sind die Konsequenzen, die die Opposition aus der Position des Parteivorstandes zieht, die man mit Lenin nur als sozialchauvinistisch bezeichnen kann? Als die Sektionen der sozialdemokratischen Zweiten Internationale mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 offen auf die Seite ihrer jeweils eigenen Bourgeoisie überliefen, zog Lenin daraus die Schlussfolgerung, dass der Bruch mit den Sozialchauvinisten die Vorbedingung für jegliche weitere revolutionäre Arbeit sei und erklärte die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen, von Opportunisten befreiten Dritten Internationale. Bei allem Mäkeln am Vorstand will die Opposition in der DKP um den Berliner Landesverband von einem politischen Kampf für ihre Position allerdings nichts wissen, sie bleibt – obwohl es um eine prinzipielle Position geht – eine handzahme Opposition.

Die Opposition redet davon, das Klassenbewusstsein in die Arbeiterklasse hineintragen zu wollen. Aber wie soll das gehen, wenn die eigene Partei nicht einmal darin übereinstimmt, wer der Klassenfeind ist? Wir Trotzkisten rufen auf zum Klassenkampf gegen den deutschen Imperialismus. Solidarität mit den griechischen Arbeitern heißt Klassenkampf im eigenen Land. Wir lehnen die EU vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus als ein imperialistisches Bündnis grundsätzlich ab. Seit ihren Anfängen in den 1950er-Jahren richteten sich die EU und ihre Vorläufer gegen den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion und die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas. Nach der Konterrevolution Anfang der 90er-Jahre wurde die EU zu einem vom deutschen Imperialismus dominierten Konsortium der europäischen Bourgeoisien zur besseren Konkurrenz gegen die imperialistischen Rivalen und zur verschärften Ausbeutung der Arbeiterklasse Europas. Aufgabe von Revolutionären war es immer, diese Allianz europäischer Imperialisten zu bekämpfen. Deshalb sagen wir klipp und klar: Nieder mit der imperialistischen EU! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Im Einklang mit dem Eintreten für eine wie auch immer reformierte EU wollen Teile der DKP der „Europäischen Linken“, einem Zusammenschluss diverser sozialdemokratischer Organisationen wie der Linkspartei, beitreten. Die Opposition dagegen beruft sich auf die griechische Kommunistische Partei (KKE), die für den Austritt Griechenlands aus NATO und EU ist. Weiterhin hat die KKE selbstkritisch ihre Politik des Aufbaus „,linker‘ Bündnisse in den Jahrzehnten von 1950 und 1980“ kritisiert und vor den Wahlen deutlich gemacht, dass sie nicht in eine Koalitionsregierung eintreten will. Die KKE behauptet, die Lehren aus ihrer verfehlten Bündnispolitik gezogen zu haben und schreibt:

„Aus den Erfahrungen der Bündnispolitik hat die KKE wertvolle Schlüsse gezogen und hat auf keinen Fall die Absicht, ähnliche Fehler zu wiederholen.“ („Zwischen zwei schwierigen Kämpfen“, 23. Mai 2012)

Auf dieser Basis gab unsere griechische Sektion, die Trotzkistische Gruppe Griechenlands (TGG), der KKE bei den letzten Wahlen kritische Wahlunterstützung. In dem Aufruf vom 5. Juni 2012 heißt es:

„Unser Wahlaufruf für die KKE bei dieser Wahl ist eine Anwendung der Taktik der kritischen Unterstützung, die Lenin 1920 in Der ,linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus dargelegt hat. Wir unterstützen zwar die Kandidaten der KKE, aber wir haben grundlegende programmatische Differenzen. Unser Programm ist proletarisch, revolutionär und internationalistisch. Die KKE hingegen biedert sich an griechischen Nationalismus an, das Haupthindernis beim Aufbau einer revolutionären Partei in Griechenland. Ihre Perspektive der ,Volksmacht‘ löst das Proletariat – die einzige zum Sturz des Kapitalismus fähige Klasse – in ,das Volk‘ auf und verwischt die wesentliche Spaltung der kapitalistischen Gesellschaft, die Klassenlinie.“ („Wählt KKE! Keine Stimme für Syriza!“, Spartakist Nr. 194, Juli 2012)

Wie die TGG auch schrieb, war die jahrzehntelange Praxis der KKE kein Fehler,

„sondern Verrat, der sich aus ihrem stalinistischen Programm ergibt. Trotz der Weigerung der KKE, sich gegenwärtig an einer Koalitionsregierung zu beteiligen, hat sie politisch nicht mit dem Programm gebrochen, das sie dazu gebracht hat, in der Vergangenheit bürgerlichen Regierungen beizutreten.“

Die DKP hat keine Probleme mit der Art Bündnispolitik, die die KKE jetzt formal ablehnt, sondern sie giert förmlich danach, sich in klassenübergreifende Bündnisse zu liquidieren und Steigbügelhalter für Regierungsbeteiligungen der Linkspartei zu sein. Dass sich die Opposition der DKP davon ein bisschen distanzieren will, ist verständlich nach der jahrelangen Verratspolitik der PDS/Linkspartei im Berliner Senat. Der SPD/PDS-Senat war die Speerspitze von Privatisierungen und Angriffen auf die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Der Berliner Bankgesellschaft wurden schon lange vor der Krise Milliarden Euro in den Rachen geworfen, um die Profite der Investoren zu sichern.

Das Scheitern der Regierungsbeteiligung der Linkspartei zu konstatieren, reicht aber nicht. Der Verrat muss klar benannt und die ihm zugrunde liegenden Illusionen in die bürgerliche Demokratie und den kapitalistischen Staat müssen bekämpft werden. Der Staat steht nicht über den Klassen, sondern dient der Bourgeoisie. Er ist nicht reformierbar im Interesse der Arbeiterklasse, sondern muss im Zuge einer Revolution zerschlagen werden. Das ist die zentrale Lehre, die Lenin aus dem Bruch mit dem Reformismus zog und in Staat und Revolution (1917) dargelegte. Der reformistischen Lüge über die „reine Demokratie“ setzte Lenin in Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky (1918) die Realität der bürgerlichen Demokratie entgegen, wo „die geknechteten Massen auch im demokratischsten bürgerlichen Staat auf den schreienden Widerspruch zwischen der von der ,Demokratie‘ der Kapitalisten verkündeten formalen Gleichheit und den Tausenden tatsächlicher Begrenzungen und Manipulationen, durch die die Proletarier zu Lohnsklaven gemacht werden,“ stoßen.

Reformistische Illusionen werden von allen Flügeln der DKP massiv geschürt, wie die ständigen Appelle zeigen, der bürgerliche Staat solle die Nazis/NPD verbieten. Im Zusammenhang mit der rassistischen Mordwelle des NSU macht die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen und Nazis nahezu jede Woche neue Schlagzeilen. Für Marxisten ist das keine Überraschung: Der kapitalistische Staat schützt und nährt die Nazis als extralegale Schlägerbande gegen die Arbeiterbewegung für Zeiten, wenn sich die Klassenkämpfe zuspitzen, demokratische Illusionen zerbröckeln und gewöhnliche Polizeirepression nicht mehr zur Sicherung des Kapitalismus ausreicht. Händeringend bemüht sich der von allen Bundestagsparteien einberufene NSU-Untersuchungsausschuss in den Worten seines Vorsitzenden Edathy (SPD), „das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaates wiederherzustellen“. Die Zeitung Berliner Anstoß (Januar 2012) des Berliner Landesverbandes der DKP schrieb eine gemeinsame Erklärung mit der Kommunistischen Partei der Türkei über die NSU-Morde unter dem Titel: „Kampf dem Faschismus heißt: Kampf diesem imperialistischen Staat!“ Zwar machten sie darin viele richtige Punkte darüber, dass der kapitalistische deutsche Staat die Verantwortung für die Morde des NSU trägt, um dann aber zu erklären: „Wir Kommunistinnen und Kommunisten halten an der Forderung nach einem Verbot und der Zerschlagung aller neofaschistischen Parteien fest.“

Um die Nazis zu stoppen, sind vom bürgerlichen Staat unabhängige Mobilisierungen von Arbeitern, Immigranten und ethnischen Minderheiten notwendig. Dieser Kampf, die Nazis zu zerschlagen, solange sie noch verhältnismäßig klein sind, ist ein wichtiger Teil des Kampfes, die Arbeiter zum Sturz des Kapitalismus zu mobilisieren, der die Nazis brütet und behütet. Verbotsappelle sind dem entgegengesetzt. Und jedes Mal, wenn der Staat scheinbar doch was gegen die Nazis tut, dient dies nur zur Abdeckung dafür, gegen die Linke und Arbeiterbewegung vorzugehen. Auf das Verbot der faschistischen SRP 1952 folgte das Verbot der KPD 1956. Die Nazis konnten unter anderem Namen jedes Mal einen neuen Verein aufmachen, während die KPDler jahrelang verfolgt wurden und die DKP selbst die Erfahrung der Berufsverbote machen musste. Und genau so ging es weiter mit allen Verboten durch den Staat: Immer sind es die Linken, gegen die sich die Repression richtet.

„Staat greif ein“ war schon Ende der 1920er-Jahre das Programm, mit dem die SPD-Führung ihre Weigerung rechtfertigte, ihre Arbeiterbasis gegen die Nazis zu mobilisieren. Tatkräftige Hilfe erhielt sie dabei von der Führung von Kommunistischer Internationale und KPD, die mit ihrer Politik der „Dritten Periode“ SPD und Nazis zu „Zwillingsbrüdern“ erklärte und sich weigerte, die SPD in eine Einheitsfront zu zwingen. Es waren Trotzki und die Linke Opposition, die vor der drohenden Katastrophe warnten und einen Kampf führten, die deutsche Arbeiterklasse mittels der Einheitsfront gegen die Nazis zu mobilisieren, nach dem Prinzip Klasse gegen Klasse. Die Schlussfolgerung der Stalinisten aus der kampflosen Kapitulation in Deutschland 1933 war die verräterische Politik der offenen Klassenkollaboration der Volksfront.

Volksfrontstrategie und immer wieder Verrat, von Spanien bis Südafrika

Illusionen in die bürgerliche Demokratie bilden die Grundlage für die sowohl von Sozialdemokraten als auch Stalinisten praktizierten Volksfronten – Bündnisse von Arbeiterparteien mit dem vermeintlich „fortschrittlichen Teil“ der Bourgeoisie, bei dem die Interessen der Arbeiter immer den Kapitalisten untergeordnet werden. Ihr Prototyp ist die in Folge der Februarrevolution 1917 in Russland gebildete Koalitionsregierung aus Menschewiki und Kadetten, die letztlich in der von Lenin und Trotzki geführten Oktoberrevolution 1917 weggefegt wurde. Die Volksfrontregierungen von Spanien und Frankreich Ende der 1930er-Jahre ordneten eine aufständische Arbeiterklasse dem (Alb-)Traum eines „fortschrittlichen Flügels“ der Bourgeoisie unter, würgten damit potenziell siegreiche sozialistische Revolutionen ab und bahnten der faschistischen Reaktion den Weg. Alle Volksfront-Experimente endeten in blutigen Niederlagen, und wir Trotzkisten lehnen solche Bündnisse als Klassenverrat prinzipiell ab.

Die Verratspolitik der Volksfront setzt sich fort und konnte in ihren blutigen Konsequenzen konkret im August 2012 in Südafrika beobachtet werden. Die bürgerliche Regierung der Dreier-Allianz aus Afrikanischem Nationalkongress (ANC), der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) und des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU brachte im Auftrag des britischen Bergbaukonzerns Lonmin ihre Bullen in Stellung, um gegen einen Streik der fürchterlich ausgebeuteten schwarzen Bergarbeiter vorzugehen. Das Ergebnis war das größte Massaker an schwarzen Arbeitern in Südafrika seit Jahrzehnten, mit 34 Toten und mehr als siebzig Verletzten. Wie unsere Genossen von Spartacist South Africa in ihrem Flugblatt (23. August 2012, nachgedruckt im Spartakist Nr. 195, Oktober 2012) zu dem Massaker hervorhoben:

„Sie zeigen ein blutiges, abscheuliches Bild von der Brutalität dieses kapitalistischen Systems der Neo-Apartheid, wo Arbeiter für das ,Verbrechen‘, gegen Hunger zu kämpfen und sich zu verteidigen, von der Polizei mit Schnellfeuergewehren wie wilde Tiere abgeknallt werden. … Das Blut dieser abgeschlachteten Arbeiter klebt an den Händen der Führer der Dreierallianz von ANC, SACP und COSATU sowie ihrer Regierung, die wieder einmal den Randlord-Herrschern und deren imperialistischen Oberherren ihre Verlässlichkeit bewiesen haben.“

Rotfuchs, eine mit dem Berliner Landesverband der DKP eng verbundene Zeitung, hatte in der November-Ausgabe das Massaker im Grunde gerechtfertigt. Die alternative Gewerkschaft AMCU, die die übergroße Zahl der streikenden Arbeiter von Lonmin repräsentiert, denunzierte Rotfuchs nach einer SACP-ZK-Erklärung als „eine Handvoll anarchistischer NUM-Dissidenten“ und deckte die Verantwortung der ANC/SACP/COSATU-Regierung für das Massaker ab. Die uz ging am 24. August 2012 unter dem Titel „Blutiges Massaker in Südafrika“ nur ein wenig subtiler vor. Das Massaker als solches bezeichnend und von einem lokalen „Sozialkonflikt“ sprechend, folgte dann aber die Rechtfertigung und Entschuldigung der Verantwortung der Regierung: Da ist von „interessierten Kreisen“ die Rede, die „die Fortsetzung der ,linksorientierten‘ Entwicklungsphase der nationaldemokratischen Revolution Südafrikas unter Zuma“ zu „torpedieren“ suchten. Die „nationaldemokratische Revolution“ ist, wie immer, nichts anderes als die nackte kapitalistische Herrschaft und niemals eine „Etappe“ zu einer sozialistischen Revolution. Die Arbeiterklasse Südafrikas erkennt zunehmend, dass dies der Fall ist – deshalb die massive Streikbewegung im letzten Jahr. Die zentralen Führungen von SACP und COSATU sind so sehr in das kapitalistische Ausbeutersystem Südafrikas integriert, dass sie zu einem Teil dieses Systems wurden und zum Handlanger imperialistischer Konzerne. Das Massaker von Marikana war offener Klassenverrat. Da kann die Opposition der DKP sich abstrakt über das niedrige Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse beschweren, aber ohne diesen brutalen und eklatanten Verrat als solchen zu bezeichnen, wird eine sich als revolutionär verstehende Organisation zwangsläufig zum Büttel der Kapitalisten. Wenn eine Bourgeoisie sich eine Arbeiterpartei in die Regierung holt, dann immer nur um solche Drecksarbeit zu machen.

Nationalistische Friedensbewegung

Viele DKPler erinnern sich wehmütig an die alten Zeiten, als die DKP noch scheinbar Einfluss auf Massenbewegungen hatte. Die „Friedens“bewegung der 80er-Jahre ist der große Mythos, wo man Hunderttausende mobilisieren konnte. Es war die Zeit des Zweiten Kalten Krieges und des NATO-Doppelbeschlusses, der zur Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Deutschland führte, die Moskau in fünf Minuten auslöschen konnten. Zentraler Tenor für die „Friedens“bewegung in Deutschland war „Deutschland darf nicht Schlachtfeld werden“. Gemeint war das Schlachtfeld eines neuen, atomaren Weltkriegs. Nur gab es zwei deutsche Staaten. Einerseits das von einer rabiat antikommunistischen SPD/FDP-Regierung geführte kapitalistische Westdeutschland und andererseits die DDR.

Die DDR war für uns Trotzkisten ein deformierter Arbeiterstaat, errichtet nach dem Modell des degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion. In der Sowjetunion hatte eine sich formierende Bürokratie unter Stalins Führung Ende 1923, Anfang 1924 die Kontrolle und Macht über die bolschewistische Partei an sich gerissen. Sie nutzte die Enttäuschung und Apathie aus, die sich unter den erschöpften sowjetischen Massen nach der Niederlage der Revolution in Deutschland 1923 breit machte, die vorerst die Isolation des jungen Arbeiterstaates besiegelte. Statt des bolschewistischen Internationalismus und des Kampfes für die Ausweitung der Oktoberrevolution wurde nun von Stalin der „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“ verkündet. Die Kommunistische Internationale, 1919 gegründet als Partei der Weltrevolution, wurde in ein Instrument verwandelt, das entscheidend war, die Arbeiter an ihre Bourgeoisie zu ketten, für die Illusion einer friedlichen Koexistenz der Sowjetunion mit dem Imperialismus.

Diese Konterrevolution war eine politische und keine soziale; die parasitäre stalinistische Bürokratie, die die Arbeiterklasse politisch unterdrückte, basierte auf den kollektiven Eigentumsformen, die durch die Oktoberrevolution geschaffen worden waren. Der Staat blieb ein Arbeiterstaat, wenn auch ein bürokratisch degenerierter, und es war die Pflicht des internationalen Proletariats, ihn gegen den Klassenfeind zu verteidigen. Notwendig war eine proletarisch-politische Revolution, um die Bürokratie zu stürzen und die Sowjetunion wieder auf den Weg des bolschewistischen Internationalismus zu bringen. Genauso wie die Sowjetunion verteidigten wir auch die DDR bedingungslos militärisch gegen imperialistische Aggression und innere Konterrevolution. Wir verteidigten die Enteignung der Produktionsmittel und die staatliche Planwirtschaft, riefen aber die Arbeiter zur politischen Revolution gegen die stalinistische SED-Bürokratie auf, die diese Errungenschaften durch politische Unterdrückung nach innen und die illusorische Politik der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus nach außen ständig gefährdete.

Ganz im Gegensatz dazu versuchten wir die linken Teile der „Friedens“bewegung für eine proletarische Perspektive zu gewinnen. Unsere Losung war: „Nieder mit der NATO! Verteidigt DDR und Sowjetunion!“ Die DKP wurde zum Organisator der „Friedens“bewegung und passte sich an deren Nationalismus und Pazifismus an, der die Entwaffnung der DDR unter der Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ forderte. Das ist nicht verwunderlich, hatten doch SPD und evangelische Kirche schon längst ihr konterrevolutionäres Spiel begonnen, die „Friedens“bewegung in der DDR aufzubauen, um die Verteidigung der DDR weiter zu unterminieren. Die stalinistische Bürokratie mit Honecker an der Spitze ebnete den Weg für die konterrevolutionären Umtriebe der SPD. Die von der DKP hofierten SPDler Erhard Eppler und Egon Bahr (beide bekannte Verfechter der SPD-Ostpolitik, dem „Wandel durch Annäherung“) nahmen die Einladung, die Konterrevolution im Osten voran zu bringen, nur zu gerne an. Gleichzeitig setzte ihr Genosse im Kanzleramt, Helmut Schmidt, den NATO-Doppelbeschluss durch. Die SPD war das trojanische Pferd der Konterrevolution in der DDR. Und die DKP-Führung assistierte den Bestrebungen der SPD tatkräftig, indem sie dem deutsch-nationalen Treiben und der Klassenzusammenarbeit auch ihre Autorität verlieh. Arbeiter in Westdeutschland, die auf die DDR guckten und pro-sowjetisch waren, wurden so vor den Karren der eigenen Bourgeoisie gespannt.

Der allergrößte Teil der DKP-Mitglieder stand zweifellos für die Errungenschaften der DDR und der Sowjetunion ein und wollte diese verteidigen, aber das konnte man nicht gemeinsam mit dem Klassenfeind tun. Statt nach einem „fortschrittlichen, friedlichen“ Teil der deutschen Bourgeoisie zu suchen, wie es die DKP tat und tut, war es notwendig, die Arbeiterklasse unabhängig von eben dieser Bourgeoisie und gegen sie zu organisieren. Unsere revolutionäre Antwort war: Für die revolutionäre Wiedervereinigung Deutschlands! Das bedeutete den Kampf für den revolutionären Sturz der Kapitalisten durch soziale Revolution im Westen und für eine politisch-proletarische Revolution im Osten.

Die Konterrevolution in der DDR

Die Folgen der Anpassung an deutschen Nationalismus und die Desorientierung durch die Politik der Klassenkollaboration der DKP konnte man dann sehr bald sehen, als die Widersprüche in der Sowjetunion unter Gorbatschow zunehmend offen zu Tage traten. Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf die DDR bleiben. Die Krise der DKP begann zu dieser Zeit offensichtlich zu werden. Intern zerrissen, ob man Gorbatschow, der die DDR später für ’nen Appel und ’n Ei ausverkaufte, folgen solle oder doch lieber der SED, die nichts in der DDR zu ändern wünschte, war die DKP völlig paralysiert. Als in Ostberlin Hunderttausende auf die Straße gingen, um einen besseren Sozialismus zu fordern, und Mitglieder der SED anfingen, von ihrer Partei zu fordern, zu Lenin zurückzukehren, hatte die stalinistische Führung der DKP keinerlei Antworten mehr auf die drängenden Fragen. Wir revolutionäre Trotzkisten der Internationalen Kommunistischen Liga hingegen mobilisierten alle unsere Kräfte, um der sich öffnenden Situation in der DDR eine revolutionäre Richtung zu geben.

Am 29. Dezember 1989 druckte Neues Deutschland einen Artikel von Klaus Steiniger, dem heutigen Herausgeber des Rotfuchs und Ikone vieler „linker“ DKPler, unter der Überschrift „Über rote Seifenblasen und die Wirklichkeit“. Steiniger polemisierte in diesem Artikel gegen uns Spartakisten und fragte:

„Führt blinder und sektiererischer Revolutionarismus, der sich oft als ,lupenreiner‘ Marxismus-Leninismus ausgibt und bisweilen gar im Sonntagsstaat einer neuen ,Kommunistischen Partei‘ einherstolziert, nicht vielmehr zur Spaltung und in eine geradezu tödliche Isolierung?“

Steinigers Antwort auf sich selbst war, die „Gemeinsam-gegen-rechts“-Volksfront zu suchen, mit allem, was irgendwie als links durchgehen konnte. Die sollte auch die Anti-Stasi-Hexenjäger der Grünen, die antikommunistischen Pfaffen der SDP (DDR-SPD) und andere einschließen. Die SPD/SDP demonstrierte zu dieser Zeit in Leipzig zusammen mit den Nazis für „Deutschland einig Vaterland“. Dieser jämmerliche „Realismus“ hieß konkret, die Brücke zur Konterrevolution zu suchen.

Unsere Antwort war nach der Nazi-Schändung des Treptower Ehrenmals die Mobilisierung für die Einheitsfront-Demonstration am 3. Januar 1990 nach Treptow. Nachdem die SED/PDS aufgrund des Drucks ihrer Basis unseren Aufruf aufgegriffen hatte, demonstrierten 250 000 in einer antifaschistischen, prosowjetischen Demonstration für den Erhalt der DDR. Unter dem antikommunistischen Geschrei der deutschen Bourgeoisie und ihrer „linken“ Helfer knickte die SED/PDS wenig später ein und distanzierte sich von der Demonstration. Gorbatschow bekam nach der Mobilisierung von Treptow kalte Füße, wie er zehn Jahre später ausplauderte, und beschloss den Ausverkauf der DDR. Zu den Volkskammerwahlen im März 1990 traten nur die Spartakisten in bedingungsloser Opposition zur kapitalistischen Wiedervereinigung an. Unser Kampf in der DDR war zentral dafür, Sektionen in Polen, Mexiko und Irland zur IKL zu gewinnen.

Wer in der DKP tatsächlich eine Revolution machen will und nicht nur das linke Anhängsel der Sozialdemokratie sein will, ob SPD oder Linkspartei, muss sich zwangsläufig mit dem trotzkistischen Programm der Spartakisten auseinandersetzen, weil es ganz in der Tradition Lenins die Antwort auf die Fragen der gegenwärtigen Epoche ist. Um eine Revolution in Deutschland zu machen, ist es notwendig, die Arbeiterklasse politisch von der Sozialdemokratie zu brechen. Das war der Kampf, den Lenin 1914 international begann, den Luxemburg und Liebknecht aufgriffen, als sie 1918 die KPD gründeten, und den wir heute fortführen. Dieser Kampf ist unvereinbar mit der politischen Anpassung an die Sozialdemokratie, die von allen Teilen der DKP betrieben wird.

 

Spartakist Nr. 197

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