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Spartakist Nummer 183

Mai 2010

Aus den Archiven des Marxismus

Basteln am Finanzsystem kann Wirtschaftskrise nicht stoppen

Marx kontra Keynes

von Joseph Seymour

Die sich vertiefende Wirtschaftskrise brachte den Verlust von Arbeitsplätzen, Häusern und Ersparnissen für Millionen arbeitende Menschen mit sich. Sie hat auch den kompletten Trugschluss der bürgerlichen Doktrin namens Monetarismus aufgezeigt, wonach wirtschaftliche Krisen durch ein Anpassen der Geldmenge im Bankensystem sowie des Zinssatzes minimiert, wenn nicht gar verhindert werden können. Monetarismus war das Evangelium für bürgerliche Ökonomen in dem rechten Klima, das durch den Aufstieg von Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Britannien in den 80er-Jahren symbolisiert wurde. Die konterrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 und das damit einhergehende Triumphgeschrei über den „Tod des Kommunismus“ in den westlichen imperialistischen Ländern, vor allem in den USA, blies mehr Wind in die Segel der Monetarismus-Ideologen des „freien Marktes“.

Heute, wo der monetaristische Mythos in Scherben liegt, haben bürgerliche Ökonomen sich beeilt, die Ideen von John Maynard Keynes anzunehmen – des britischen Ökonomen, der während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre die Ansicht vertrat, dass kapitalistische Wirtschaftskrisen durch Defizit-Ausgaben seitens der Regierung überwunden werden könnten. Das ist die Idee, die hinter den diversen „Aufschwung“-Paketen internationaler Regierungen steht, die durch Neuverschuldung finanziert werden und der Wirtschaft „Starthilfe“ geben sollen. In Wirklichkeit scheitern Wirtschaftsrezepte à la Keynes genauso wie die monetaristischen an der zerstörerischen Irrationalität des kapitalistischen Systems, die von Karl Marx analysiert und erklärt wurde und die sich besonders in den Zyklen von Aufschwung und Krisen zeigt.

Der unten nachgedruckte Artikel wurde zuerst in Workers Vanguard Nr. 64 vom 15. März 1975 veröffentlicht und bietet eine marxistische Kritik der Wirtschaftstheorie von Keynes.

Die gegenwärtige extrem scharfe Wirtschaftskrise hat eine Welle von Pessimismus hervorgebracht, die sich von der Börse und dem Weißen Haus bis zu den akademischen Bastionen bürgerlicher Wirtschaftslehre erstreckt. Während Präsident Ford verspricht, dass die Arbeitslosenrate für weitere zwei Jahre nicht unter 8 Prozent fallen wird, erklärt der Vorsitzende der American Economic Association (Vereinigung von Wirtschaftswissenschaftlern), Robert A. Gordon: „Ich glaube nicht, dass wir eine Wirtschaftstheorie haben, die in der heutigen Welt von großer Hilfe ist“ (Wall Street Journal, 30. Dezember 1974).

Während der 60er-Jahre wurde die Wirtschaftspolitik der US-Regierung die meiste Zeit von Kennedy-ähnlichen Schlaumeiern bestimmt, die behaupteten, durch geschickte Manipulation finanzpolitischer „Hebel“ gleichzeitig die Preise unten halten und Investitionen stimulieren zu können. Jetzt aber, mit dem Einsetzen einer zweistelligen Inflation und einem Abschwung von krisenhaftem Ausmaß, werden diese Behauptungen ganz schnell entlarvt.

Es war vorherzusehen, dass eine Weltwirtschaftskrise zum Zusammenbruch des Optimismus bezüglich keynesianischer Wirtschaftspolitik führen würde. Die antikeynesianische Rechte (die in der Ford-Administration gut vertreten durch Alan Greenspan, Anhänger von Ayn Rand [Philosophin des „Laissez-faire-Kapitalismus“], und den ehemaligen Wall-Street-Anleihenhändler William Simon) argumentiert schon seit Jahren, dass Haushaltsdefizite eine immer weiter steigende Inflation hervorbringen müssen, und fordert jetzt ihre eigene Rehabilitierung.

Selbst die keynesianischen Liberalen wirken nicht von sich selbst überzeugt und stellen fest, dass der „Kompromiss“ zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit äußerst schmerzhaft geworden ist. So hat Sir John Hicks, einer der ursprünglichen Architekten der „keynesianischen Revolution“ vor kurzem ein Buch herausgebracht, das den bemerkenswerten Titel The Crisis in Keynesian Economics trägt. Und revisionistische Marxisten, die früher über die „relative Stabilität des Neokapitalismus“ schrieben, entstauben jetzt ihre Exemplare von Das Kapital und behaupten, dass seine ehrwürdigen Wahrheiten die kapitalistische Welt noch immer verfolgen.

Wir beobachten eine bemerkenswerte intellektuelle Annäherung, die von bürgerlichen Reaktionären (Milton Friedman) bis zu vorgeblichen Marxisten (Ernest Mandel) reicht und eine Reihe von Liberalen (John K. Galbraith, John Hicks, Abba Lerner) einschließt: Keynesianismus, der angeblich eine Generation lang „funktionierte“, wurde, so stimmen alle überein, jetzt durch eine noch nie da gewesene Inflation und die schlimmste Krise seit 1929 überwältigt. Diese These ist jedoch trotz ihrer breiten Akzeptanz falsch. Die keynesianische Finanzpolitik hat nie und konnte auch nie die zyklischen Überproduktionskrisen stoppen, die dem kapitalistischen System innewohnen.

Ein großer weltweiter Abschwung, der so ausgeprägt ist wie der jetzige, war spätestens seit der letzten weltweiten Rezession von 1958 möglich. Dass dieser Abschwung nicht vor 1974 eintrat, liegt an besonderen Umständen und nicht an der Effektivität von keynesianischen Gegenmaßnahmen. Zum Beispiel hätten die USA 1967 eine Rezession gehabt, wenn es nicht die Ausweitung des Vietnamkriegs gegeben hätte. Im ersten Quartal 1967 fiel die Produktion tatsächlich und im gleichen Jahr gab es auch eine Rezession in Westdeutschland, damals die zweitgrößte kapitalistische Wirtschaft. Ohne die plötzliche Eskalation des Vietnamkriegs hätten diese Umstände unzweifelhaft eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst, möglicherweise sogar eine sehr heftige. Nur ein idiotischer Objektivist kann diese historische Möglichkeit verneinen.

Die Tatsache, dass ein großer weltweiter Abschwung in den 20 Jahren vor 1974 nicht stattfand, ist nicht der Kreditinflation, einem stetig wachsenden Militärbudget, keynesianischer Stabilisierungspolitik oder irgendeiner anderen absichtsvollen Regierungspolitik geschuldet. Es gab keine fundamentale Veränderung in der Struktur des Nachkriegskapitalismus, die die verschiedenen Etiketten rechtfertigen könnte, die in liberalen und revisionistisch-marxistischen Theorien so populär sind, wie z. B. Neokapitalismus, die gemischte Ökonomie, die permanente Kriegswirtschaft usw.

Mythen der „keynesianischen Revolution“

Weder die Entwicklung noch die bloße Bekanntmachung der Strategie, dass kapitalistische Regierungen ihre Ausgaben in Zeiten eines Abschwungs erhöhen sollten, und zwar durch Schuldenaufnahme anstelle von Steuererhöhungen, sind Verdienste von John Maynard Keynes. Diese bürgerliche Reformmaßnahme hat eine lange und ansehnliche Geschichte, die mindestens in die 1890er-Jahre zurückreicht.

So steht im Minderheitsbericht der englischen Kommission für ein Armengesetz (1909): „Wir denken, dass die Regierung durch eine bewusste Ausrichtung ihrer kapitalartigen Tätigkeit viel tun kann, um den Gesamtbedarf an Arbeitskräften von einem Jahr zum anderen zu regulieren.“ Die Konferenz zur Arbeitslosigkeit unter US-Präsident Harding empfahl 1921 umfangreiche öffentliche Arbeiten während des Nachkriegsabschwungs – eine Empfehlung, die durch solch konservative Organisationen wie die US-Handelskammer unterstützt wurde.

Darüber hinaus wurde 1930 im US-Senat ein Gesetz (Nr. 3059) verabschiedet, das „fortgeschrittene Planung und regulierten Aufbau bestimmter öffentlicher Arbeiten für die Stabilisierung der Industrie und für die Verhinderung von Arbeitslosigkeit in Perioden geschäftlichen Abschwungs“ befürwortete. Dieses Prinzip wurde in das Gesetz zur Erholung der Industrie (1933) aufgenommen, ein halbes Jahrzehnt bevor die keynessche Wirtschaftslehre bekannt gemacht wurde.

Was ist dann also die Bedeutung von Keynesianismus – warum die ganze Aufregung? Während pragmatische Politiker erhöhte Staatsausgaben bereits befürworteten und teilweise auch umsetzten, hielt die orthodoxe bürgerliche Wirtschaftstheorie (besonders in englischsprachigen Ländern) immer noch daran fest, dass Abschwünge sich durch ein Fallen der Zinssätze leicht selbst korrigieren. Den Lehrbüchern zufolge sollte die Regierungspolitik darauf ausgerichtet sein, Bankenreserven auszuweiten und einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.

Keynes lieferte nun – im Rahmen der bürgerlichen Wirtschaftsdoktrin – eine theoretische Rechtfertigung für die Staatsverschuldung, die in den 1930er-Jahren ebenso wie in früheren Abschwungphasen von den meisten kapitalistischen Regierungen praktiziert wurde. Die „keynesianische Revolution“ war eine Revolution in universitären Wirtschaftsfakultäten, in den Lehrbüchern, aber nicht in der tatsächlichen Regierungspolitik.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg behaupteten kapitalistische Politiker, dass die relative wirtschaftliche Stabilität der effektiven Nutzung keynesianischer Stabilisierungsmaßnahmen geschuldet sei. Diese Behauptung – dass kapitalistische Regierungen die Wirtschaft im Interesse „des Volkes“ kontrollieren können und auch tatsächlich kontrollieren – ist teils bürgerliche Propaganda und teils falsches bürgerliches Bewusstsein.

Die Ansicht, dass das Ausmaß der Staatsausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg gewaltig gestiegen sei, ist so weit verbreitet, dass sie von fast allen politischen Strömungen, einschließlich bürgerlicher Reaktion, keynesianischem Liberalismus, sozialdemokratischem und stalinistischem Reformismus und revisionistischem „Marxismus“ à la Mandel, als Selbstverständlichkeit hingenommen wird. In Wirklichkeit ist die angebliche erweiterte Funktion von Staatsausgaben der größte aller Mythen der „keynesianischen Revolution“.

Mit ein paar Statistiken, die Staatsausgaben als Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts der großen kapitalistischen Mächte während der Zwischenkriegsperiode (1920–39) und während des Jahrzehnts von 1961–1970 angeben, kann dieser Mythos leicht widerlegt werden:

Land 1921–1939 1961–1970
Frankreich 14 % 13 %
Deutschland1 18 % 16 %
Großbritannien2 21 % 19 %
Japan 10 %   8 %
USA 11 % 20 %

Quellen: OECD, National Accounts, 1961–1972; U.S. Department of Commerce, Long-Term Economic Growth, 1860–1970; Mitchell, Abstract of British Historical Statistics; Stolper, The German Economy, 1870–1940; Maddison, Economic Growth in the West; Ohkawa und Rosovsky, Japanese Economic Growth.
1Deutsche Zwischenkriegszahlen nur für den Zeitraum 1925–39.
2Britische Zahlen beruhen auf dem nationalen Produkt ohne Abschreibungen, wodurch sie im Vergleich zu den anderen Ländern leicht erhöht erscheinen.

Diese wenigen Zahlen zerstören komplett die Annahme einer „keynesianischen Revolution“, die großartige strukturelle Veränderungen im kapitalistischen System nach dem Zweiten Weltkrieg gebracht haben soll. Nur in den Vereinigten Staaten gab es einen signifikanten Anstieg von Staatsausgaben. In allen anderen großen kapitalistischen Ländern verringerte sich der Anteil des Staatshaushalts an der Wirtschaft etwas. Und die erweiterte Rolle des Staatshaushalts in den USA erklärt sich vollständig durch die gewaltig erhöhten Militärausgaben, als der amerikanische Imperialismus in der Nachkriegsperiode zum Weltgendarm aufstieg.

Darüber hinaus verringerte sich der relative Anteil der Militärausgaben in den USA seit dem Koreakrieg beständig, ausgenommen die Jahre des Vietnamkriegs. 1954 (nach dem Ende des Koreakriegs) betrug das Militärbudget 11 Prozent des US-Bruttoinlandproduktes (BIP); bis 1965 (vor der Vietnam-Mobilmachung) fiel diese Zahl auf 7 Prozent; und 1973 betrugen die Militärausgaben nur noch 6 Prozent des BIP (Economic Report of the President [Wirtschaftsbericht des Präsidenten]). So viel zur Theorie der „permanenten Kriegswirtschaft“!

Marxismus kontra Keynesianismus

Bevor wir den Keynesianismus einer marxistischen Kritik unterziehen, ist es notwendig, seine Behauptungen genauer zu beleuchten. Die orthodoxe bürgerliche Wirtschaftslehre vor Keynes besagte, dass ein Absinken des Investitionsvolumens, das einem Abschwung vorausgeht, auch Geldkapital freisetzen würde, welches wiederum in den Kreditmarkt fließen und somit die Zinssätze nach unten treiben würde. Diese Zinssenkung würde dann Investitionen bis zu dem Punkt stimulieren, wo eine volle Ausnutzung der Ressourcen wiederhergestellt wäre. Alles, was eine Regierung tun müsse, wäre sicherzustellen, dass die Krise nicht das Bankensystem desorganisiert, d. h. dass die Mechanismen der Kreditausweitung handlungsfähig bleiben.

Keynes akzeptierte die Theorie, dass bei einem Abschwung eine ausreichende Absenkung der Zinssätze das Investitionsniveau in vollem Umfang wiederherstellen würde. Sein Hauptwerk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes ist ein Versuch zu erklären, warum es zu solch einem ausreichenden Fallen der Zinssätze nicht kommt. Keynes behauptete, dass Rentiers [Leute, deren Einkommen aus Kapitalzinsen besteht] eine Vorstellung von einem normalen Zinssatz haben. Wenn der aktuelle Zinssatz aber weit unter dieses Niveau fällt, erwarten Geldgeber, dass dieser wieder steigt und dadurch bei Anleihen mit niedrigerem Zinssatz ein Kapitalverlust entsteht. Ganz allgemein behauptet der Keynesianismus, dass bei einem außerordentlich niedrigen Zinssatz (auch „Liquiditätsfalle“ genannt) Geldgeber in Erwartung zukünftig höherer Zinssätze Geld horten werden. Dies ist nicht so sehr eine erklärende Theorie, sondern eher eine Beschreibung des finanziellen Aspekts einer Krise oder eines Abschwungs.

Von diesen Voraussetzungen ausgehend argumentierte Keynes, dass bei einem Abschwung Regierungsmaßnahmen zur Ausweitung der Geld- und Kreditmenge ineffektiv seien und lediglich mehr Geldvorräte und/oder überschüssige Bankreserven hervorbringen würden. Deshalb argumentierte er, dass unzureichende Kapitalinvestitionen durch erhöhte Staatsausgaben wettgemacht werden sollten. Das war im Wesentlichen die „keynesianische Revolution“.

Um den Unterschied zwischen der marxistischen und der bürgerlichen (einschließlich der keynesschen) Analyse von Wirtschaftszyklen zu verstehen, ist es notwendig, die grundverschiedene Auffassung über die Rolle des Zinssatzes zu betrachten. In der bürgerlichen Wirtschaftslehre ist das Niveau der Investition durch die Differenz zwischen der Profitrate bei den physischen Produktionsmitteln und dem Zinssatz für geborgtes Geldkapital bestimmt. Solange der Zinssatz deutlich unter der Profitrate liegt, werden Unternehmer voraussichtlich borgen und investieren, bis sich diese Lücke schließt. Eine historische Tendenz des Falls der Profitrate, die von vielen bürgerlichen Ökonomen (einschließlich Keynes) gesehen wird, gilt ihnen nicht als wesentliches Hindernis für die Ausweitung der Produktion. Solange der Zinssatz ausreichend niedrig ist, sind angeblich Investitionen in vollem Umfang gesichert.

Im Kontrast dazu ist für Marx das Investitionsniveau bestimmt durch die Profitrate aus den Produktionsmitteln in Privatbesitz. Der Zinssatz ist Teil von und bestimmt durch die Profitrate aus den realen Produktionsmitteln. Während eines Abschwungs bleibt leihbares Kapital trotz ungewöhnlich niedriger Zinssätze ungenutzt. Marx bezeichnete das als die „Phase des industriellen Zyklus unmittelbar nach überstandner Krisis, wo Leihkapital massenhaft brachliegt“ (Das Kapital, Band III, 30. Kapitel, S. 502).

Die Stichhaltigkeit der marxistischen Position zeigte sich Ende der 1930er-Jahre, als die überschüssigen Bankreserven (ein Zeichen für die Differenz zwischen gesetzlich erlaubter Leihkapazität und tatsächlichen Darlehen) trotz der ungewöhnlich niedrigen Zinssätze das höchste Niveau in der US-Geschichte erreichten. Genau dasselbe Phänomen tritt in der jetzigen Flaute auf. Während Bankguthaben in den USA sich jährlich nur um 0,6 Prozent verringern, gehen Bankkredite deutlich zurück, obwohl die fallenden Zinssätze jetzt niedriger sind als die Inflationsrate (International Herald Tribune, 15./16. Februar 1975). Die Expansion und Kontraktion der Kredite sind ein passives Ergebnis und nicht die Ursache von Veränderungen in der Produktion.

Hinter den analytischen Differenzen zwischen bürgerlichen und marxistischen Ökonomen über die Rolle von Kredit und Zins steht das Konzept der Klasse. In der bürgerlichen Wirtschaftslehre gibt es keine Kapitalistenklasse. Stattdessen borgen individuelle nicht-kapitalistische Unternehmer von genauso atomisierten Rentiers und nutzen das Geld zur Gründung produktiver Unternehmen. Unternehmer und Rentiers sind einzig durch den Zinssatz miteinander verbunden.

Dem Marxismus zufolge ist jedoch die Kapitalistenklasse eine bestimmte, konkrete Gruppe: diejenigen, die Produktionsmittel (einschließlich Leihkapital) besitzen und ein Monopol darüber haben. Die Kapitalistenklasse ist durch unzählige persönliche, familiäre und organisatorische Bande verknüpft; der atomisierte nicht-kapitalistische Unternehmer – die zentrale Figur der bürgerlichen Wirtschaftstheorie – ist eine Fiktion. Wie viel jemand borgen kann, ist streng beschränkt durch seinen Besitz an Kapitalvermögen, welches als Sicherheit für Darlehen verlangt wird. Unter dem Kapitalismus ist Kredit in Wirklichkeit immer rationiert, und zwar auf der Grundlage von spezifischen Monopolkomplexen, zu denen Finanz-, Industrie- und Handelskapitalisten gehören. Das klarste Beispiel dafür ist das japanische Zaibatsu-System, allerdings kommt dasselbe Phänomen in der gesamten kapitalistischen Welt vor.

Vom marxistischen Standpunkt ist der fundamentale Trugschluss der keynesschen Wirtschaftslehre die Behauptung, dass die Profitrate und damit auch das Niveau privater Investitionen durch die Ausweitung des staatlichen Sektors nicht verändert werden. Ob durch Kreditaufnahme oder Steuereinkommen finanziert, sind Staatsausgaben allgemeine Unkosten des kapitalistischen Systems – ein Teil des gesamten aufgewandten und ersetzten gesellschaftlichen Kapitals, das in Marx’ Gleichung für die Bestandteile des Warenprodukts als „konstantes Kapital“ bezeichnet wird. (Für eine ausführlichere Diskussion dieser Frage siehe auch „Myth of Neo-Capitalism“, RCY Newsletter Nr. 10, Januar/Februar 1972.)

Wenn man wie Marx davon ausgeht, dass der eine Teil des Kapitals, die Löhne der Produktionsarbeiter (das variable Kapital), auf dem Arbeitsmarkt bestimmt wird, dann muss eine Erhöhung der allgemeinen Unkosten (das konstante Kapital) den potenziellen Mehrwert und damit auch die Profitrate reduzieren. Ein ständig expandierender Staatssektor würde dazu tendieren, die Profitrate zu drücken und damit private kapitalistische Investitionen immer mehr zu hemmen.

Die Grenzen von Matticks „gemischtem Wirtschaftssystem“

Das 1969 veröffentlichte Buch Marx und Keynes (Europäische Verlagsanstalt, 1971) von Paul Mattick, das den treffenderen Untertitel Die Grenzen des „gemischten Wirtschaftssystems“ trägt, akzeptiert die übliche revisionistische/reformistische/liberale Ansicht, dass Keynesianismus für eine gewisse historische Periode „Prosperität“ produzierte:

„Staatlich induzierte Produktion vermag sogar die Rate des Wirtschaftswachstums künstlich zu fördern. Eindrucksvollere Bedingungen für ,Prosperität‘ als unter der Herrschaft des laissez-faire entstehen… In jedem Fall zeigt die jüngste Wirtschaftsgeschichte eine ,gedeihliche‘ Entwicklung des gemischten Wirtschaftssystems.“

Jedoch unternimmt Mattick zumindest einen ernsthaften Versuch, die inneren Widersprüche keynesianischer Wirtschaftspolitik herauszuarbeiten, und ist der Ansicht, dass erhöhte Staatsausgaben letztlich die kapitalistische Stabilität zerstören müssen:

„Wenn die nicht-profitable Produktion einmal ein institutionalisierter Teil der Wirtschaft ist, kommt ein circulus vitiosus in Gang. Staatlich induzierte Produktion begann, weil die private Kapitalakkumulation sich verringerte. Aber auf diese Weise reduziert sich die private Kapitalakkumulation noch mehr; die nicht-profitable Produktion wächst… Die Grenzen der privaten Kapitalproduktion sind somit schließlich die Grenzen der staatlich induzierten Produktion.“

Als orthodoxester der verschiedenen revisionistischen Theoretiker des Nachkriegskapitalismus (z. B. Mandel, Paul Sweezy, Michael Kidron) ist Mattick derjenige, der am widerwilligsten Zugeständnisse an die Behauptungen des Keynesianismus macht. Im Gegensatz zu Mandel und Sweezy hat Matticks Arbeit den Vorzug, zu erkennen, dass verstärkte Staatsausgaben die Profitrate aus privatem Kapital nach unten treiben und somit produktive Investitionen hemmen. Mattick wäre jedoch mehr im Einklang mit marxistischer Wirtschaftslehre gewesen, wenn er Staatsausgaben als Abschlag vom Bruttowert der Produktion, in der Form von aufgewandtem und ersetztem konstantem Kapital, behandelt hätte und nicht als eine nicht-profitable Komponente des Mehrwerts.

Matticks Arbeit ist eine teilweise korrekte Erklärung, warum jene kapitalistischen Länder, die eine schwere Last von Staatsausgaben tragen (USA, Großbritannien), viel langsamer gewachsen sind als Wirtschaften mit einem relativ beschränkten staatlichen Sektor (Japan, Frankreich). Doch kann seine Theorie nicht das Eintreten einer großen weltweiten Wirtschaftskrise erklären; Mattick sieht eine solche Entwicklung auch nicht vorher. Aus der Logik seines theoretischen Modells folgt zunehmende Stagnation, aber kein allgemeiner weltweiter Abschwung.

Nach Matticks Modell müsste einem starken Rückgang privater Investitionen, wie er 1974 eintrat, als Ursache ein starker Anstieg im Anteil von Staatsausgaben vorangegangen sein. Doch nichts dergleichen geschah während des Aufschwungs von 1972/73. Der Anteil von Staatsausgaben in den entwickelten kapitalistischen Ländern blieb in dieser Periode nahezu unverändert, was man aus den folgenden Zahlen ablesen kann:

Staatsausgaben
in Prozent des BIP
Land 1971   1973
Frankreich 12 %   12 %
Japan   9 %     9 %
USA 22 %   22 %
Westdeutschland 17 %   18 %

Quelle: OECD, Economic Outlook, Dezember 1972 und Dezember 1974.

Selbst auf empirischer Ebene ist also unbestreitbar, dass die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise nicht auf die Beschränkungen des Keynesianismus zurückzuführen ist, zumindest nicht im Sinne von untragbar hohen Staatsausgaben im Verhältnis zur privaten kapitalistischen Produktion.

Die mandelianische Schule der Fälschung

In seinem Artikel „Weltwirtschaftrezession und die gesellschaftliche Krise des Kapitalismus 1974/75“ (Rote Hefte Nr. 9, Januar 1975) versucht sich Ernest Mandel, Theoretiker und Führer des pseudotrotzkistischen Vereinigten Sekretariats, an einer umfassenden Analyse der Weltkonjunktur. Der Artikel beginnt mit einem Eigenlob, dass der Autor anders als viele Andere immer die Idee abgelehnt habe, dass keynesianische Wirtschaftspolitik kapitalistische Industriezyklen stabilisieren könne:

„Wenn sie alle im bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lager, ebenso wie innerhalb der Arbeiterbewegung, überrumpelt, welche den leichtfertigen Behauptungen Glauben geschenkt hatten, die mit den neo-Keynes’schen Techniken ausgerüsteten Regierungen des Kapitals wären künftig in der Lage, ,den Zyklus zu kontrollieren‘, so ist diese Rezession fast zum genauen Termin von unserer Bewegung vorhergesagt und angekündigt worden.“

Und wer sind diese ungenannten Gestalten in der Arbeiterbewegung, die – ach, wie naiv – glaubten, dass „neo-Keynes’sche Techniken“ „den Zyklus kontrollieren“ könnten? Vielleicht bezieht sich Mandels Anspielung auf den Autor der folgenden Auszüge aus einem wohlbekannten Buch über marxistische Wirtschaftslehre, das 1962 veröffentlicht wurde:

„Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Kapitalismus vier charakteristische Rezessionen durchgemacht; jene von 1948 bis 1949, jene von 1953 bis 1954; jene von 1957 bis 1958; jene von 1960 bis 1961. Er hat keine schwere Krise erlebt und ganz bestimmt keine vom Ausmaß der Krise von 1929 oder der von 1938.

Handelt es sich hier um ein neues Phänomen in der Geschichte des Kapitalismus? Wir glauben nicht, dass man dies bestreiten kann, wie einige marxististische Theoretiker es tun…

Die Wurzeln dieses Phänomens liegen genau in all jenen Charakteristika der Phase des Spätkapitalismus, die wir aufgezählt haben. Die kapitalistische Wirtschaft dieser Phase tendiert dahin, sowohl dem Konsum als auch den Investitionen eine größere Stabilität zu sichern als in der Epoche der freien Konkurrenz oder während des ersten Stadiums des Monopolkapitalismus; sie tendiert zu einer Verminderung der zyklischen Fluktuationen, was hauptsächlich ein Ergebnis der wachsenden Intervention des Staates ist.“ [Hervorhebung im Original]

Was ist das für ein angeblich marxistisches Werk, das behauptet, staatliche Intervention habe für „größere Stabilität“ und eine „Verminderung zyklischer Fluktuationen“ gesorgt? Sein Titel ist Marxistische Wirtschaftstheorie (Suhrkamp, 1968 – die Auszüge sind aus dem Kapitel XIV) und wurde von einem gewissen Ernest Mandel geschrieben.

Um Mandel gegenüber fair zu sein, sollte man anmerken, dass er immer auf Nummer sicher geht. Auch jetzt hat er die Wirksamkeit keynesianischer antizyklischer Maßnahmen nicht vollkommen zurückgewiesen. Im Rote-Hefte-Artikel verborgen findet sich eine Aussage, wonach Staatsinterventionen die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise aufhalten und umkehren können:

„Die Rezession ist haargenau eine Überproduktionskrise, deren Umfang und Dauer von einer Injektion inflationistischer Kaufkraft bestimmt ist. Wenn also die Wirtschaft durch derartige Injektionen im Laufe der kommenden Monate flottgemacht wird – zuerst in Westdeutschland, dann in den USA und in Japan – dann wird die internationale kapitalistische Wirtschaft diesmal noch die schwere Krise vermeiden.“

Wenn das möglich wäre, fragt man sich natürlich, warum die kapitalistischen Regierungen die Sache so weit aus dem Ruder laufen ließen.

Trotz seiner üblichen kleingedruckten Ausstiegsklauseln ist Mandels neuester Beitrag eine unehrliche Zurückweisung der Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus, die er in seinen maßgeblichen Schriften der 1960er-Jahre zum Ausdruck brachte. Nachdem der „Neokapitalismus“ seinen Zweck als impressionistische Rechtfertigung für opportunistische Politik und Anpassung an die Arbeiterbürokratie erfüllt hatte, wurde er jetzt unauffällig aus dem mandelianischen Vokabular gestrichen.

Ein professioneller Impressionist betrachtet die Konjunktur

Nachdem Mandel seinen Glauben an die Wirksamkeit keynesianischer Stabilisierungspolitik „verschwinden“ ließ, greift er auf verschiedene Ad-hoc-Theorien zurück, um die gegenwärtige Konjunktur zu erklären. Seine zentrale Frage ist, warum es jetzt eine weltweite Krise gibt, während in den letzten 20 Jahren die verschiedenen (manchmal sehr starken) nationalen Abschwünge weitgehend zeitlich isoliert voneinander waren. Mandel formuliert es so:

„Die allgemeine Rezession wird die schwerste Rezession der Nachkriegszeit gerade deswegen sein, weil sie überall auftritt. Die zeitliche Ungleichmäßigkeit des industriellen Zyklus in der Periode 1948–1968 hatte die Tiefe der Rezession gemildert.“

Es ist eine unbestreitbare empirische Tatsache, dass seit der Rezession von 1958 (nicht seit 1948, wie Mandel behauptet), die verschiedenen nationalen Wirtschaftsflauten sich nicht gegenseitig verstärkt, sondern sich teilweise untereinander ausgeglichen haben. Diese Aussage kann nur dann von einer empirischen Beschreibung in eine kausale Theorie verwandelt werden, wenn man behauptet, dass das Fehlen konjunktureller Synchronisation nicht besonderen Umständen geschuldet ist, sondern im Wesen der Struktur des Nachkriegskapitalismus lag (zumindest bis vor kurzem). Genau das versucht Mandel jetzt vorzuführen:

„Diese Gleichzeitigkeit ist jedoch kein zufälliger Faktor. Sie resultiert ebenfalls aus tiefgehenderen ökonomischen Umwandlungen, die während der langen ihr vorausgegangenen Expansionsperiode entstanden sind.“

Zur Unterstützung seiner These führt Mandel drei Gründe an. Der erste ist, dass die Weltwirtschaft in den 1950er-, 1960er-Jahren nicht ausreichend integriert (!) war, um eine allgemeine Krise zu ermöglichen. Während dieser Periode wurde die Weltwirtschaft jedoch ausreichend integriert, besonders aufgrund der Ausdehnung multinationaler Firmen:

„Die Internationalisierung der Produktion hat neue Schritte voran gemacht, die durch Fortschritte der internationalen Arbeitsteilung innerhalb der Gesamtheit der imperialistischen Länder gekennzeichnet sind. Vom Standpunkt der Organisation des Kapitals kommt das im Aufschwung der multinationalen Firmen zum Ausdruck, die gleichzeitig in einer großen Zahl Länder Mehrwert erzeugen…“

Anscheinend ist es wirklich notwendig, Mandel darauf hinzuweisen, dass die Weltwirtschaft seit mehr als einem Jahrhundert ausreichend integriert gewesen ist, um internationale Krisen oder Abschwünge hervorzubringen! Die wesentliche Grundlage dieser Integration ist der weltweite Warenhandel und der damit verbundene Komplex finanzieller Verpflichtungen. Die wesentlichen „multinationalen Firmen“, die „gleichzeitig in einer großen Zahl Länder“ Mehrwert abschöpfen, sind heute, wie schon seit Jahrhunderten, die großen Banken und nicht die Industriekonzerne.

Weltkrisen sind vor allem von großen Banken-Zusammenbrüchen gekennzeichnet und werden durch sie verschärft: die österreichische Credit-Anstalt 1931, das Bankhaus Herstatt in Westdeutschland und die Franklin National Bank in den USA 1974. Die teilweise Verdrängung von Banken durch Industrieunternehmen bei der Finanzierung von internationalem Handel und Investitionen hat eine gewisse Auswirkung auf den gegenwärtigen Kapitalismus. Doch auf keinen Fall erhöht sie das Niveau internationaler wirtschaftlicher Integration auf qualitative Weise, so dass Weltwirtschaftskrisen zum ersten Mal entstehen könnten.

Mandels zweiter Grund ist, dass die Ersetzung des festen Dollar-Umtauschkurses durch kontrolliert fluktuierende Kurse 1971 eine wettbewerbliche Entwertung verhinderte und somit gleichzeitige Deflationsmaßnahmen notwendig machte:

„Aber vom Augenblick an, wo … der Zusammenbruch des internationalen Währungssystems zum Zustand floatender Währungskurse geführt hat, d. h. zur Unmöglichkeit, um einer Erhöhung der Exporte willen plötzlich stark abzuwerten, von diesem Augenblick an sind alle Regierungen durch die imperialistische Konkurrenz untereinander gezwungen gewesen, eine gleichzeitige antiinflationistische Politik zu führen.“ [Hervorhebung im Original]

Dieses Argument ist einfach komplett falsch. Das System festgeschriebener Wechselkurse, das 1944 in Bretton Woods eingerichtet wurde, war deflationär und diente zur Beschränkung von Staatsausgaben auf Verschuldungsbasis. Mehrere prominente britische Keynesianer, so wie Roy Harrod und James Meade, haben lange Zeit fluktuierende Wechselkurse befürwortet, um expansivere Währungs- und Finanzmaßnahmen umsetzen zu können.

Vor dem August 1971 war die wettbewerbliche Entwertung eine Ausnahme, die nur im Extremfall genutzt werden sollte; heute ist sie die Regel. In den 1950er- und 1960er-Jahren griffen Regierungen häufig auf deflationäre Maßnahmen zurück, um einen überbewerteten Wechselkurs zu schützen (z. B. die Maßnahmen der zweiten Eisenhower-Administration, die harte Sparpolitik des frühen gaullistischen Regimes und die „Stop-go“-Maßnahmen verschiedener britischer Regierungen vor der Entwertung des Pfunds 1968).

Mandels dritter Grund ist, dass Perioden wirtschaftlicher Flauten, da sie länger werden, auch wahrscheinlicher mit Rezessionen in anderen Ländern überlappen:

„Die Phasen von Stagnation, ja der Rezession, werden immer länger. Das begünstigt offensichtlich die Synchronisierung. Rezessionen, die sechs Monate dauern, lassen sich weniger leicht in einem Dutzend Länder auf einmal [überwinden], als Rezessionen, die verteilt über 2 Jahre andauern.“

Das ist natürlich eine statistische Binsenweisheit. Aber da die Verlängerung von Wirtschaftskrisen in einem Land stark von gleichzeitigen Flauten im Rest der Welt beeinflusst ist, dreht sich Mandels Argument komplett im Kreis. Somit ist sein dritter „Grund“ überhaupt kein Grund, sondern nur eine andere Beschreibung eines allgemeinen weltweiten Abschwungs.

Kurz gesagt ist von Mandels drei Gründen, warum ein allgemeiner weltweiter Abschwung gerade jetzt stattfindet und in der vorherigen Periode nicht möglich war, der erste irrelevant, der zweite falsch und der dritte bedeutungslos.

Ist Inflation die Achillesferse des Keynesianismus?

Praktisch alle liberal-bürgerlichen, reformistischen und revisionistischen Ökonomen behaupten, dass nur die Inflation ein Hindernis für wirksame keynesianische Maßnahmen ist. Erhöhte Staatsausgaben, sagen sie, können immer Vollbeschäftigung hervorbringen, jedoch manchmal nur um den Preis unerträglicher Inflationsraten. Bürgerliche Reaktionäre wie Milton Friedman bis hin zu Pseudomarxisten wie Ernest Mandel stimmen darin überein, dass keynesianische Maßnahmen immer höhere Inflationsraten hervorbringen müssen. Ist diese Behauptung stichhaltig?

Die beschleunigte Inflation der letzten paar Jahre ist eine unbestreitbare empirische Tatsache. Im Zeitraum 1961–71 stiegen die Verbraucherpreise in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern jährlich um 3,7 Prozent; 1972 stiegen sie um 4,7 Prozent, 1973 um 7,7 Prozent und 1974 um 14,1 Prozent (OECD, Economic Outlook, Dezember 1974)! Ist diese beschleunigte Inflation ein unausweichliches Ergebnis von 20 Jahren keynesianischer Wirtschaftspolitik?

Wir haben in diesem Artikel schon darauf hingewiesen, dass der Anteil von Staatsausgaben in den Aufschwungsjahren 1972/73 nicht anstieg. Somit kann die Preisexplosion der letzten paar Jahre nicht auf zunehmende Haushaltsdefizite zur Finanzierung wachsender Staatsausgaben zurückgeführt werden. Gerade die Schärfe der Preissteigerungen seit 1971 spricht gegen die Theorie, dass sie ein organisches, unausweichliches Ergebnis einer Generation auf Schulden basierender Staatsausgaben ist.

Was ist dann aber die Ursache für die verstärkte Inflation der letzten drei Jahre? Eine wichtige Ursache wurde schon angesprochen. Das System fester Dollar-Wechselkurse, das im August 1971 kollabierte, hatte Auswirkungen, die teilweise denen des Goldstandards vor dem Ersten Weltkrieg ähnlich waren. Die Beibehaltung eines festen Wechselkurses diente als externe Grenze für die Ausdehnung einheimischen Geldes und Kredits. Seit 1971 haben kapitalistische Regierungen den „leichten Ausweg“ aus den Zahlungsbilanzdefiziten gewählt, indem sie Abwertungen ihrer Währungen zuließen. Wechselkursabwertung verstärkt die einheimische Inflation noch weiter und erzeugt so einen Teufelskreis. Britannien und Italien sind die deutlichsten Beispiele für diesen Prozess.

Der zweite Grund für die beschleunigte Inflation ist, dass der scharfe weltweite Aufschwung von 1972/73 ähnliche Auswirkungen auf die Versorgung mit Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten hatte wie ein größerer Krieg. Vom Koreakrieg bis 1971 verfielen die Handelsbedingungen für landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe im Verhältnis zur Industrieproduktion, was zu einem fundamentalen Ungleichgewicht der globalen Produktionskapazitäten führte. Während 1972 die Industrieproduktion in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern um 8 Prozent anstieg, ging die globale Nahrungsmittelproduktion sogar leicht zurück (OECD, Economic Outlook, Dezember 1973). Schnell erzeugte diese reale Knappheit Spekulation, Hortung und Kartellmanipulation. Zwischen 1971 und 1973 erhöhte sich der Index weltweiter Rohstoffpreise um 80 Prozent wie auch der Preis international gehandelter Nahrungsmittel (OECD, Economic Outlook, Dezember 1974). Somit erklärt sich die Preisexplosion der letzten zwei Jahre aus zwei Faktoren: die weitverbreitete Anwendung wettbewerblicher Währungsabwertung ab 1971 und die Auswirkungen des Aufschwungs von 1972/73 auf landwirtschaftliche und Rohstofferzeugnisse.

Das Argument, Keynesianismus sei jetzt ineffektiv, weil er zu unerträglicher Inflation führe, ist kein wesentliches, sondern eher ein temporäres, konjunkturelles, selbst wenn man außer Acht lässt, dass es empirisch falsch ist. Als Versuch einer objektiven Analyse ähnelt es der gegenwärtigen Position einiger rechter Keynesianer wie dem Vorstandsmitglied der US-Notenbank Arthur F. Burns oder Präsident Fords Wirtschaftsberater William Kellner, die meinen, dass ein paar Jahre hoher Arbeitslosigkeit notwendig sind, um den Druck der Inflation vom kapitalistischen Weltsystem zu nehmen. Danach, so behaupten sie, können keynesianische Maßnahmen wieder 10 oder 20 Jahre Expansion unter Bedingungen von niedriger Inflation und milder Rezession hervorbringen.

Wenn es in den nächsten paar Jahren keinen großen Krieg oder massiven revolutionären Aufbruch in Westeuropa gibt (beides sind reale Möglichkeiten), sollte sich die Weltwirtschaftskrise dieses Jahr vertiefen und zu einer Phase der Stagnation mit hoher Arbeitslosigkeit mindestens bis 1976 führen. Sollte das eintreten, wird sich in zwei Jahren die Inflationsrate wesentlich verringern; sie zeigt schon jetzt viele Anzeichen einer Verlangsamung. Diejenigen Linken, deren Hauptargument gegen bürgerlichen Wirtschaftsreformismus darin besteht, dass er zu immer schnellerer Inflation führt, werden sich auf theoretischer Ebene den Behauptungen eines wieder auflebenden Keynesianismus schutzlos ausgeliefert finden.

Die „Theorie“, dass kapitalistische Regierungen eine Generation lang in der Lage waren, große Krisen zu verhindern und außergewöhnliche wirtschaftliche Expansion zu bewirken, führt zu unerbittlich revisionistischen Schlussfolgerungen. Unabhängig von der subjektiven Herangehensweise ihrer Vertreter führt diese Sichtweise direkt zu der Schlussfolgerung, dass wir in einer Epoche kapitalistischer wirtschaftlicher Stabilität gelebt haben. Solcherlei Argumente haben mit dem Marxismus nichts gemein. Im Gegenteil, das Übergangsprogramm der Vierten Internationale hat als sein Fundament die leninistische Theorie des Imperialismus als höchstes (letztes) Stadium des Kapitalismus, eine Epoche seines Niedergangs und eine Periode von Kriegen und Revolutionen. Das muss unsere Perspektive sein.

 

Spartakist Nr. 183

Spartakist Nr. 183

Mai 2010

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