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Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 27

Frühjahr 2009

Nieder mit Exekutivämtern des kapitalistischen Staates!

Marxistische Prinzipien und Wahltaktik

ÜBERSETZT AUS SPARTACIST, ENGLISCHE AUSGABE NR. 61, FRÜHJAHR 2009

Die V. Konferenz (2007) der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) nahm die Position an, dass Marxisten aus Prinzip nicht für Exekutivämter des kapitalistischen Staates kandidieren dürfen — etwa für das Amt des Präsidenten, Bürgermeisters oder Gouverneurs eines Bundesstaates oder einer Provinz. Diese Haltung entspringt unserem Verständnis, dass der kapitalistische Staat das Exekutivkomitee der herrschenden Klasse ist. Den Kern dieses Staates bilden die Formationen bewaffneter Menschen — Militär, Polizei, Gerichte und Gefängnisse —, deren Funktion es ist, die Klassenherrschaft der Bourgeoisie samt ihrem Produktionssystem zu schützen.

Kommunistische Abgeordnete können jedoch als Oppositionelle dem US-Kongress, den Parlamenten und anderen gesetzgebenden Körperschaften angehören, als revolutionäre Tribune der Arbeiterklasse. Aber die Annahme eines Exekutivamtes bzw. die Übernahme der Kontrolle eines bürgerlichen Parlaments oder Stadtrats, ob nun selbständig oder als Teil eines Regierungsbündnisses, bedeutetet notwendigerweise, Verantwortung für die Verwaltung der kapitalistischen Staatsmaschinerie zu übernehmen. Früher hatte die IKL die Position vertreten, dass eine Kandidatur für Ämter in der Exekutive des bürgerlichen Staates für Kommunisten vertretbar sei, solange wir im Voraus erklären, dass wir diese Ämter nicht annehmen würden. Bei einer Überprüfung dieser Position kamen wir aber zu dem Schluss, dass eine Kandidatur für derartige Regierungsposten die implizite Bereitschaft zur Übernahme einer solchen Verantwortung beinhaltet — egal, welche Verzichtserklärungen man vorher abgibt. Wer sich als Marxist versteht und trotzdem so vorgeht, legitimiert unvermeidlich die vorherrschenden reformistischen Auffassungen vom Staat.

Entsprechend betonten wir 2007 in unserem Konferenzdokument:

„Die von uns nun angenommene Position gegen das Aufstellen von Kandidaten für die Exekutive des bürgerlichen Staates zieht explizit die logische Konsequenz aus Lenins Staat und Revolution und Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky — Schriften, die wirklich als die Gründungsdokumente der Kommunistischen Internationale [Komintern, KI] gelten sollten. Schon zur Zeit des II. Weltkongresses der KI, der bei Wahlen keinen Unterschied machte zwischen parlamentarischen und Exekutivämtern, war dieses Verständnis aber erheblich seichter geworden. In diesem Sinne vervollständigen wir weiterhin die theoretische und programmatische Arbeit der ersten vier Weltkongresse der KI. Ohne Aussicht auf einen Wahlsieg ist es recht einfach, zu geloben, dass man kein Exekutivamt annimmt. Die Frage lautet aber: Was passiert, wenn man gewinnt? …

Unsere frühere Praxis entsprach der der Komintern und der Vierten Internationale. Das heißt nicht, dass wir in der Vergangenheit prinzipienlos gehandelt hätten: Weder unsere Vorgänger noch wir selbst hatten das Prinzip als solches erkannt. Programme entwickeln sich, wenn neue Streitfragen aufkommen und wenn wir die Arbeit unserer revolutionären Vorläufer kritisch untersuchen.“

—„Nieder mit Exekutivämtern!“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 26, Frühjahr 2008

Hinter dieser Frage steht der grundlegende Gegensatz von Reformismus und Marxismus: Kann das Proletariat die bürgerliche Demokratie und den bürgerlichen Staat benutzen, um einen friedlichen Übergang zum Sozialismus zu schaffen? Oder muss das Proletariat stattdessen die alte Staatsmaschinerie zerschlagen, um an ihrer Stelle einen neuen Staat zu schaffen, der seine eigene Klassenherrschaft — die Diktatur des Proletariats — den kapitalistischen Ausbeutern aufzwingt, um sie zu unterdrücken und zu enteignen?

Angefangen mit den russischen Menschewiki haben Sozialdemokraten und Reformisten verschiedenster Couleur schon immer die Oktoberrevolution von 1917 verdammt — prominentestes Beispiel war damals der deutsche Sozialdemokrat und einstige Marxist Karl Kautsky. Sie alle argumentierten, die Bolschewiki hätten das Proletariat nicht zur Eroberung der Staatsmacht führen sollen; das russische Proletariat hätte stattdessen der liberalen Bourgeoisie die Führung übergeben und sie unterstützen sollen — alles im Namen der Verteidigung der „Demokratie“. Das von Lenin am Vorabend der Oktoberrevolution geschriebene Werk Staat und Revolution und das ein Jahr später verfasste Pendant Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky liefern zusammen eine schlagende Widerlegung dieser Ansicht. Lenin rettet in diesen Werken Marx und Engels vor den Entstellungen und Apologien der Opportunisten, die tendenziös und falsch zitierten und manchmal sogar die Ansichten von Marx und Engels unterdrückten, um ihren eigenen antirevolutionären Kurs zu rechtfertigen.

Die Revisionisten und Reformisten sind heute nicht weniger aktiv. Ihre Politik spielt sich gänzlich innerhalb des Rahmens der bürgerlichen Gesellschaft ab — eine Praxis, die Trotzki scharf als „Erziehung der Massen im Geiste der Anerkennung der Unerschütterlichkeit des bürgerlichen Staates“ charakterisierte (Trotzki, Die Lehren des Oktober, 1924). Solche Anpassungen an die kapitalistische Klassenherrschaft seitens vorgeblich marxistischer Organisationen sind heute sogar noch deutlicher, in einer Welt, die geprägt ist durch das endgültige Zugrunderichten der Oktoberrevolution und den weitverbreiteten Glauben an den „Tod des Kommunismus“.

Diese Organisationen, die mit dem „demokratischen“ Imperialismus gemeinsame Sache machten gegen den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion und die bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas, werfen sich heute noch schamloser dem Imperialismus in die Arme und verzichten in der Regel sogar auf jedes Lippenbekenntnis zur proletarischen Revolution. In Frankreich stellen die Pseudotrotzkisten regelmäßig Kandidaten für das halbbonapartistische Präsidentenamt auf, von Lutte ouvrière (LO) zu den Lambertisten (die jetzt unter dem Etikett Parti ouvrier indépendant agieren) und der Ligue communiste révolutionnaire (LCR), dem Flaggschiff des Vereinigten Sekretariats (VS). Der Kandidat der Lambertisten bei den Präsidentschaftswahlen 2007 war Bürgermeister einer Kleinstadt und trat als „Kandidat der Bürgermeister“ auf, und sowohl LO als auch LCR finanzieren ihre Wahlaktivitäten mithilfe direkter, bedeutender Subventionen durch den französischen kapitalistischen Staat. In Brasilien wurde ein Führer der dortigen VS-Gruppe, Miguel Rossetto, sogar Minister in der bürgerlichen Volksfrontregierung des Sozialdemokraten Lula. Die französische LCR hat sich inzwischen in eine „Neue Antikapitalistische Partei“ verwandelt, die jeden Hinweis auf den Kommunismus oder auf Revolution ablehnt. In Britannien ruft heute die Socialist Party von Peter Taaffe (Kern des Komitees für eine Arbeiterinternationale, CWI), die in ihrem früheren Dasein jahrzehntelang die alte Labour Party von innen her zu reformieren suchte, zu einer „Massenarbeiterpartei“ auf — die auf dem Reformismus von „Old Labour“ basieren und eine Alternative zur New Labour Party von Blair und Brown darstellen soll.

Zu den wenigen sich marxistisch nennenden Gruppen, die sich zuweilen noch der Sprache der Oktoberrevolution bedienen, gehören die Bolschewistische Tendenz (BT) und die Internationalist Group (IG). Die BT wurde von einer Handvoll Leuten gebildet, die in den frühen 80er-Jahren als Reaktion auf den Beginn des zweiten Kalten Krieges aus unserer Organisation austraten. Geführt wird sie von dem Soziopathen Bill Logan, den wir 1979 wegen Verbrechen gegen kommunistische Moral and elementaren menschlichen Anstand ausgeschlossen haben. Die Gründungskader der IG desertierten 1996 nach den kapitalistischen Konterrevolutionen in Osteuropa und der Sowjetunion aus unserer Organisation, um ihrer opportunistischen Orientierung auf verschiedene „radikale“ kleinbürgerliche Milieus nachzugehen. Diese beiden Gruppen, die sozusagen den Kalten Krieg politisch von beiden Seiten einrahmen, haben sich zusammengetan, um unsere Linie gegen das Kandidieren für Exekutivämter zu denunzieren.

Die IG denunzierte unsere Position als Bruch mit der „Kontinuität des echten Trotzkismus“ („France Turns Hard to the Right“ [Frankreich macht einen harten Rechtsschwenk], Internationalist, Juli 2007), eine Anspielung auf unsere Wahlkampagne 1985, als wir Marjorie Stamberg, jetzt eine Unterstützerin der IG, als Kandidatin für das Amt des New Yorker Bürgermeisters aufstellten. Unsere frühere Position entsprach der Praxis unserer revolutionären Vorfahren und war daher subjektiv kein Verstoß gegen marxistische Prinzipien. Prinzipienlos aber ist es, wenn die IG heute weiterhin solche Kandidaturen verteidigt. Die IG behauptet, Kommunisten dürfen „für jeglichen Posten“ kandidieren, einschließlich den des imperialistischen Oberbefehlshabers, und argumentiert: „In der ungewöhnlichen Situation, in der ein revolutionärer Kandidat genügend Einfluss hätte, um gewählt zu werden, hätte die Partei schon damit angefangen, Arbeiterräte und andere Organe nach Art der Sowjets aufzubauen. Und die Partei würde darauf bestehen, dass sich ihre Kandidaten, sofern sie gewählt würden, auf solche Organe der Arbeitermacht stützen und nicht auf die Institutionen des bürgerlichen Staates.“ Diesen Passus zitiert die BT ebenso beifällig wie die Charakterisierung der IG, unsere Position stelle „ein Novum“ dar, und sie fügt noch ihre eigene parlamentaristische Note hinzu: „Vielleicht kommt es dazu, dass die IKL-Genossen letztendlich auch das Kandidieren fürs Parlament als ,Hindernis‘ bewerten, weil schließlich die Partei, die die Wahlen gewinnt, die Exekutive übernimmt“ („ICL Rejects ,Executive Offices‘: Of Presidents & Principles“ [IKL lehnt ,Exekutivämter‘ ab: Über Präsidenten und Prinzipien], 1917, 2008).

Die IG erklärt es für zulässig, dass Kommunisten für Exekutivämter kandidieren, und lässt dabei die Frage offen — ganz klar schließt sie es nicht aus —, ob Kommunisten, „sofern sie gewählt werden“, zumindest in einer revolutionären Situation solche Ämter doch annehmen dürfen. Die BT ihrerseits verwischt jeden Unterschied zwischen dem Ministerialismus — d.h. der Annahme eines Ministersessels in einem bürgerlichen Kabinett — und der Kandidatur als revolutionäre Arbeiterabgeordnete in einem bürgerlichen Parlament. Hinter dem Meckern der BT steckt die unausgesprochene Annahme — die zutiefst falsch ist und ein Ausdruck kleinbürgerlicher Vorurteile —, dass bürgerliche Parlamente souveräne Körperschaften seien, die den „Volkswillen“ verkörpern. Augenscheinlich geistert der BT die Mutter aller Parlamente im Kopf herum, das britische Parlament von Ihrer Majestät Gnaden. Die BT verkündet schulmeisterhaft: „Selbstverständlich lassen sich die Einrichtungen des bürgerlichen Staates erst durch eine sozialistische Revolution ,abschaffen‘“ (ebd.). Aber das ist halt bloß eine Sonntagsrede für Leichtgläubige.

Als Plattform für ihre opportunistische Position beschwören IG and BT eine „revolutionäre Situation“ als Deus ex Machina. Wären die Bolschewiki 1917 nach dem Vorbild der Menschewiki mitten in einer revolutionären Situation in die bürgerliche Provisorische Regierung eingetreten, hätte das ihren Ruf „Alle Macht den Sowjets“ zu einer hohlen Phrase gemacht und sie zum linken Flügel der bürgerlichen Demokratie gestempelt. Die Geschichte wimmelt geradezu von „ungewöhnlichen Situationen“, wo vorgebliche Sozialisten und Kommunisten auf besondere Umstände plädierten, um an die Hebel der bürgerlichen Staatsmacht zu gelangen. Außerdem ignorieren IG and BT willentlich, dass es historisch für reformistische Arbeiterparteien ganz üblich ist, ihre ersten Erfahrungen im Verwalten des bürgerlichen Staates zu machen, indem sie in Gemeinde- oder Stadträten eine Mehrheit erringen — häufig ohne jede Spur einer revolutionären Situation. Solcherart Gemeindepolitik oder „Sozialismus auf Gemeindeebene“ hat noch nie die proletarische Revolution vorangebracht, sondern diese aus der Bahn geworfen.

Diese Frage der Kandidatur für Exekutivämter lässt sich in der Tat auf einen Kampf gegen den Ministerialismus zurückführen, den Rosa Luxemburg und andere Vertreter des linken Flügels der Zweiten Internationale an der Wende zum 20. Jahrhundert eröffneten, aber nicht zu Ende führten. IG und BT positionieren sich durch ihre Argumente, mit denen sie ihre Linie zu Exekutivämtern verteidigen, rechts vom linken Flügel der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg.

In der heutigen nachsowjetischen Periode macht das Proletariat eine lange Durststrecke durch. Unter solchen Umständen ist es umso wichtiger, dass wir Revolutionäre die lebensnotwendigen programmatischen Errungenschaften der Vergangenheit verteidigen und unser Verständnis des marxistischen Programms durch kritische Prüfung, Debatte und Umsetzung vertiefen und erweitern. Dabei müssen wir auf die Beispiele zurückgreifen, bei denen proletarischer Kampf und proletarisches Bewusstsein ihren höchsten Ausdruck erreichten — etwa die Lehren der Revolutionen von 1848, der Pariser Kommune 1871 und der bisher größten Errungenschaft des Proletariats überhaupt, der Oktoberrevolution 1917, die den definitiven Beweis dafür lieferte, dass die Übernahme eines Exekutivamtes in einer kapitalistischen Regierung entgegengesetzt ist zum Kampf für proletarische Staatsmacht.

Marx und Engels über den Staat

Im Kommunistischen Manifest, das unmittelbar vor den revolutionären Aufständen des Jahres 1848 verfasst wurde, machten Marx und Engels klar, dass das Proletariat seinen eigenen Staat errichten müsste als „der erste Schritt in der Arbeiterrevolution“ (Manifest der Kommunistischen Partei, Dezember 1847/Januar 1848). Sie fuhren fort: „Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ Wie von Lenin in Staat und Revolution festgestellt, wird im Manifest die Frage, wie der bürgerliche Staat vom proletarischen Staat ersetzt werden solle, nicht angegangen, ebenso wenig wie die Frage eines parlamentarischen Weges zum Sozialismus — zu dieser Zeit existierte ja das allgemeine Wahlrecht kaum.

Anfang 1852 war Marx zu dem Verständnis gekommen: „Die parlamentarische Republik endlich sah sich in ihrem Kampfe wider die Revolution gezwungen, mit den Repressivmaßregeln die Mittel und die Zentralisation der Regierungsgewalt zu verstärken. Alle Umwälzungen vervollkommneten diese Maschine statt sie zu brechen“ (Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1852). Doch es waren vor allem die Erfahrungen der Pariser Kommune 1871, die Marx und Engels zu der Feststellung führten: „Aber die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen“ (Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871). In diesem Werk stellte Marx fest, dass „die Staatsmacht mehr und mehr den Charakter einer öffentlichen Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, einer Maschine der Klassenherrschaft“, erhielt. „Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.“ Die Kommune, die die bürgerliche Staatsmacht ersetzte, „sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit“.

Vorgebliche Anhänger von Marx und Engels in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands versuchten mehrfach, diese revolutionäre internationalistische Perspektive zu entschärfen oder von ihr abzulenken, vor allem in Bezug auf den Staat. Marx kritisiert scharf die Forderung nach einem „freien Staat“ im Gothaer Programm (1875), dem Gründungsprogramm der inzwischen vereinigten SPD. Mit vernichtender Kritik, die nebenher das ganze Wesen des wilhelminischen Deutschlands erfasst, wirft er dem Gothaer Programm vor, Zuflucht zu folgender Täuschung zu nehmen:

“...Dinge, die nur in einer demokratischen Republik Sinn haben, von einem Staat zu verlangen, der nichts andres als ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Beisatz vermischter und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflusster, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus ist, und diesem Staat obendrein noch zu beteuern, dass man ihm dergleichen ,mit gesetzlichen Mitteln‘ aufdringen zu können wähnt!

Selbst die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausendjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, dass grade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist — selbst sie steht noch berghoch über solcherart Demokratentum innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten.“

Kritik des Gothaer Programms (1875)

Engels sah sich gezwungen, in seiner Kritik des Erfurter Programms von 1891 dieses Thema erneut aufzugreifen — und gleichzeitig den Ministerialismus anzuprangern:

„Wenn etwas feststeht, so ist es dies, dass unsre Partei und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen kann unter der Form der demokratischen Republik. Diese ist sogar die spezifische Form für die Diktatur des Proletariats, wie schon die große französische Revolution gezeigt hat. Es ist doch undenkbar, dass unsre besten Leute unter einem Kaiser Minister werden sollten wie Miquel. Nun scheint es gesetzlich nicht anzugehn, dass man die Forderung der Republik direkt ins Programm setzt, obwohl das sogar unter Louis-Philippe in Frankreich ebenso zulässig war wie jetzt in Italien. Aber das Faktum, dass man nicht einmal ein offen republikanisches Parteiprogramm in Deutschland aufstellen darf, beweist, wie kolossal die Illusion ist, als könne man dort auf gemütlich-friedlichem Weg die Republik einrichten, und nicht nur die Republik, sondern die kommunistische Gesellschaft.“

—„Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891“ (Juni 1891)

Johannes Miquel war bis zum Jahre 1852 Mitglied des Bundes der Kommunisten; dann desertierte er zur deutschen Bourgeoisie, wurde später zu einem Führer der Nationalliberalen Partei und saß mehrere Jahre als Minister in der Regierung.

Sowohl Größe als auch Einfluss der SPD hatten in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts enorm zugenommen, trotz der Sozialistengesetze unter Bismarck 1878 und noch verstärkt nach deren Aufhebung 1890. Eine Reihe von Wahlerfolgen führte zum Entstehen eines riesigen Kontingents von SPD-Gemeindevertretern und -Parlamentsabgeordneten. Eine ansehnliche Parteikasse und andere Mittel sowie ein behäbiger Partei- und Gewerkschaftsapparat trugen dazu bei, die Partei konservativ zu beeinflussen, und boten die materielle Grundlage einer starken und immer ausgeprägteren Neigung zum Opportunismus. In seinem Manuskript der 1891 verfassten Einleitung zu Marx’ Hauptwerk über die Pariser Kommune hatte Engels geschrieben:

„Der sozialdemokratische Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“

—„Einleitung zu Karl Marx’ ,Bürgerkrieg in Frankreich‘ (Ausgabe 1891)“

Vor dem Erscheinen des Buches ersetzten allerdings die SPD-Redakteure den Begriff „sozialdemokratischer Philister“ durch „deutscher Philister“!

In den Jahren nach Engels’ Tod 1895 gab Eduard Bernstein, einer der SPD-Führer, der zunehmenden opportunistischen Tendenz innerhalb der Partei einen theoretischen Ausdruck, indem er dem revolutionären Marxismus offen eine Absage erteilte und stattdessen auf einen „evolutionären Sozialismus“ setzte, der durch allmähliche Reform der bürgerlichen Gesellschaft zustande kommen sollte. Bernstein zufolge war die „Bewegung“ alles, das Endziel des Sozialismus nichts. Als Engels 1895 dem Parteivorstand seine Einleitung zu Marx’ Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 vorlegte, waren die reformistischen Impulse innerhalb der etablierten deutschen Sozialdemokratie schon dermaßen stark geworden, dass der SPD-Parteivorstand diese Arbeit für allzu revolutionär befand und Engels aufforderte, sie abzumildern. Engels fügte sich widerstrebend.

Auch diese Neufassung ließ der SPD-Parteivorstand nicht vollständig abdrucken. Hinter Engels’ Rücken wurden verschiedene Stellen gestrichen, damit es im Endeffekt so aussähe, als habe Engels seine revolutionären Ansichten aufgegeben. Zu den berühmtesten Entstellungen gehört, dass zwar der folgende Satz stehen blieb: „Die Rebellion alten Stils, der Straßenkampf mit Barrikaden, der bis 1848 überall die letzte Entscheidung gab, war bedeutend veraltet.“ Die darauf folgende kategorische Bekräftigung von Engels wurde hingegen gestrichen: „Heißt das, dass in Zukunft der Straßenkampf keine Rolle mehr spielen wird? Durchaus nicht. Es heißt nur, dass die Bedingungen seit 1848 weit ungünstiger für die Zivilkämpfer, weit günstiger für das Militär geworden sind. Ein künftiger Straßenkampf kann also nur siegen, wenn diese Ungunst der Lage durch andere Momente aufgewogen wird.“ Welche Faktoren er dabei unter anderem meinte, hatte Engels an früherer Stelle in der Einleitung so erklärt: Für die „Insurgenten“ sei es notwendig, „die Truppen mürbe zu machen durch moralische Einflüsse... Gelingt das, so versagt die Truppe oder die Befehlshaber verlieren den Kopf, und der Aufstand siegt.“ (Einleitung zu Karl Marx’ „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“, 6. März 1895)

Der Punkt, den Engels hier offensichtlich machte, war nicht, wie von den Reformisten später behauptet, dass Revolution veraltet sei, sondern dass die proletarischen Kräfte das bürgerliche Heer spalten müssen. Schon 1856 hatte Marx, der sich äußerst bewusst darüber war, dass der Kern der preußischen Armee stark bäuerlich war, unverblümt bemerkt: „The whole thing in Germany wird abhängen von der Möglichkeit, to back the Proletarian revolution by some second edition of the Peasants’ war. Dann wird die Sache vorzüglich.“ (Marx an Engels, 16. April 1856)

Marx über die Frage eines „friedlichen“ Wegs

Sozialdemokratische Reformisten griffen auch vereinzelte Bemerkungen von Marx und Engels auf, die die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus in bestimmten Ländern offenließen. Einem Zeitungsbericht zufolge sagte Marx in einem Vortrag in Amsterdam (8. September 1872):

„Wir wissen, dass man die Institutionen, die Sitten und die Traditionen der verschiedenen Länder berücksichtigen muss, und wir leugnen nicht, dass es Länder gibt, wie Amerika, England, und wenn mir eure Institutionen besser bekannt wären, würde ich vielleicht noch Holland hinzufügen, wo die Arbeiter auf friedlichem Wege zu ihrem Ziel gelangen können. Wenn das wahr ist, müssen wir auch anerkennen, dass in den meisten Ländern des Kontinents der Hebel unserer Revolutionen die Gewalt sein muss; die Gewalt ist es, an die man eines Tages appellieren muss, um die Herrschaft der Arbeit zu errichten.“

—„Rede über den Haager Kongress“ (ursprünglich auf Französisch veröffentlicht in La Liberté, 15. September 1872)

Bei diesem Argument ging Marx von der Überzeugung aus, dass es in diesen bestimmten Staaten keine militaristischen Cliquen bzw. keinen bedeutenden bürokratischen Apparat gab. Das war aber eine irrige Annahme. Sowohl Britannien als auch Holland herrschten über riesige Kolonialreiche, wobei große Bürokratien samt den entsprechenden Militärkräften unentbehrlich waren, um die Massen zu unterdrücken. Während der Regentschaft von Königin Victoria (1837–1901) führte Britannien zusätzlich zum Krimkrieg 1853–56 eine fast ununterbrochene Reihe von kleineren und nicht so kleinen Militäraktionen und Kriegen, die im Zweiten Burenkrieg kulminierten, um das Kolonialreich auszuweiten und aufrechtzuerhalten.

Die Vereinigten Staaten befanden sich damals mitten in ihrer demokratischsten Periode, der Ära der Rekonstruktion. Der amerikanische Bürgerkrieg hatte aber dem Kapital des Nordens einen enormen Auftrieb gegeben, und schon zur Zeit der Grant-Regierung [1869–1877] waren dann alle Elemente vorhanden, die sich im Verlauf der nächsten Jahrzehnte zu einem voll ausgewachsenen Imperialismus entwickelten. In dieser Periode nahm der amerikanische Kapitalismus auch die wirtschaftliche Unterwerfung Mexikos entschieden in Angriff (das schon zuvor im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg 1846–48 ein großes Stück seines Territoriums eingebüßt hatte), er schnappte sich erstklassiges Agrarland, Eisenbahn- und Bergbaukonzessionen. Die Zerschlagung des Großen Eisenbahnerstreiks 1877 und die Demontage der Rekonstruktion im selben Jahr waren weitere unverkennbare Wegweiser dieses ganzen Prozesses.

Zur Zeit der Revolution 1848 schätzte Marx die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus in England anders ein. Angesichts des Sieges der Bourgeoisie über die französische Arbeiterklasse in jenem Jahr betonte Marx die Notwendigkeit eines erfolgreichen Aufstands gegen die englische Bourgeoisie:

„Die Befreiung Europas, sei es die Erhebung der unterdrückten Nationalitäten zur Unabhängigkeit, sei es der Sturz des feudalen Absolutismus, sind also bedingt durch die siegreiche Erhebung der französischen Arbeiterklasse. Aber jede französisch-soziale Umwälzung scheitert notwendig an der englischen Bourgeoisie, an der industriellen und kommerziellen Weltherrschaft Großbritanniens. Jede partielle soziale Reform in Frankreich, und auf dem europäischen Kontinent überhaupt, ist und bleibt, soweit sie definitiv sein soll, ein hohler frommer Wunsch. Und das alte England wird nur gestürzt durch einen Weltkrieg, der allein der Chartistenpartei, der organisierten englischen Arbeiterpartei, die Bedingungen zu einer erfolgreichen Erhebung gegen ihre riesenhaften Unterdrücker bieten kann.“

—„Die revolutionäre Bewegung“, 31. Dezember 1848

Nach dem Scheitern der Revolutionen von 1848 wuchs der Kapitalismus auf dem Kontinent gigantisch. Zwar änderte sich die relative wirtschaftliche Stärke der verschiedenen Länder, doch Marx’ Beobachtungen über Britannien behielten mindestens bis zur Kommune und danach ihre allgemeine Gültigkeit.

Worüber Marx auch im Jahre 1872 spekuliert haben mag, heute leben wir in einer grundsätzlich anderen Epoche der Weltgeschichte: in der Epoche des Imperialismus, gekennzeichnet durch die Herrschaft des monopolistischen Finanzkapitals, wobei eine Handvoll kapitalistischer Großmächte um die Weltherrschaft ringt. Unter solchen Umständen ist die Vorstellung eines friedlichen, parlamentarischen Übergangs zum Sozialismus noch schlimmer als ein Hirngespinst: Es ist ein reformistisches Programm, das das Proletariat an seine Klassenfeinde kettet.

Die Polemik der ganz und gar falsch benannten Bolschewistischen Tendenz gegen unsere Opposition zu einer Kandidatur für Posten der Exekutive scheint eigens dazu gemacht, diesen Punkt zu veranschaulichen. Die BT zitiert einen Antwortbrief von Engels aus dem Jahre 1893 an den emigrierten Sozialisten F. Wiesen in Baird, Texas, der eine Kandidatur für die US-Präsidentschaft als Verleugnung des revolutionären Prinzips ansah. Engels verwarf Wiesens Bitte um eine prinzipielle Stellungnahme als „akademisch“ und wies darauf hin, dass das Ziel einer Arbeiterrevolution in den USA „noch sehr weit entfernt“ und es verfrüht sei, eine Kandidatur für den Senat oder das Präsidentenamt prinzipiell zu verurteilen. Engels argumentierte:

„Ich sehe nicht ein, welche Verletzung des sozialdemokratischen Prinzips notwendig darin liegt, dass man für irgendein durch Wahl zu besetzendes politisches Amt Kandidaten aufstellt resp. für diese Kandidaten stimmt, selbst wenn man darauf hinarbeitet, dies Amt selbst zu beseitigen.

Man kann der Meinung sein, der beste Weg zur Abschaffung des Präsidentenamts und des Senats in Amerika bestehe darin, dass man in diese Stellen Männer wählt, die verpflichtet sind, diese Abschaffung zu vollziehn; man wird dann konsequenterweise auch demgemäß handeln. Andre können der Meinung sein, dieser Weg sei unzweckmäßig; darüber lässt sich streiten. Es mag Umstände geben, unter denen jene Handlungsweise auch eine Verleugnung des revolutionären Prinzips in sich schließen würde; warum das immer und überall der Fall sein sollte, leuchtet mir nicht ein.“

—Engels an F. Wiesen, 14. März 1893

Dabei bestand Engels’ Hauptanliegen darin, die von Emigranten dominierte Socialist Labor Party (SLP) dazu zu bewegen, bei der Gründung einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse Hilfe zu leisten. Zu diesem Zweck hatte er einige Jahre zuvor die Wichtigkeit der Wahlkampagne von Henry George hervorgehoben, der eine Einheitssteuer befürwortete und 1886 als Bürgermeister in New York kandidierte. Engels sah dies als einen Schritt auf dem Weg zu einer unabhängigen Arbeiterpartei nach dem Muster der europäischen sozialdemokratischen Parteien. 1893 wusste Engels nicht, wo in der parlamentarischen Arena die prinzipiellen Linien verlaufen würden, wenn die Stunde des Kampfes anbricht. Wie hätte Engels damals enträtseln können, was für eine Partei notwendig ist, damit die Arbeiter die Macht ergreifen, was die Prinzipien des bolschewistischen Parlamentarismus sind oder wie die Dynamik der kritischen Unterstützung für reformistische Irreführer aussieht? Trotzdem wusste er genug, um auf der Notwendigkeit eines Bürgerkriegs zu bestehen.

Anders die BT, die Engels nur deswegen zitiert, um hintenherum den Ministerialismus zu unterstützen. Trotzki schreibt 1920 in seiner Polemik gegen Kautsky:

„Der bürgerlich-demokratische Staat schafft nicht nur im Vergleich zum Absolutismus günstigere Bedingungen für die Entwicklung der Werktätigen, sondern er beschränkt auch diese Entwicklung durch die Grenzen der bürgerlichen Legalität, indem er in den Oberschichten des Proletariats opportunistische Gewohnheiten und legalistische Vorurteile künstlich anhäuft und befestigt. Die Schule der Demokratie erwies sich als vollständig unzureichend, um in dem Augenblick, als die Kriegskatastrophe drohte, das deutsche Proletariat zur Revolution anzuspornen. Dazu war die barbarische Schule des Krieges, der sozialimperialistischen Hoffnungen, der größten militärischen Erfolge und einer beispiellosen Niederlage nötig. Nach diesen Ereignissen, die in der ganzen Welt und sogar im Erfurter Programm manches verändert haben, mit Gemeinplätzen über die Bedeutung des demokratischen Parlamentarismus für die Erziehung des Proletariats zu kommen, heißt, in politische Kindheit zurück[zu]fallen.“

Terrorismus und Kommunismus

Jetzt wird die BT ihre Zeitschrift wohl umtaufen von 1917 (verweist wohl auf den Februar?) auf 1893!

Der Kampf gegen den Millerandismus im Jahr 1900

Die Frage des Charakters von Exekutivorganen des bürgerlichen Staats wurde im Juni 1899 akut, als Alexandre Millerand als erster führender Sozialist einen Ministerposten in einer bürgerlichen Regierung annahm. In einem Artikel aus dem Jahre 1894, den die BT in ihrem Traktat nicht erwähnt, hatte Engels vor einer solchen Möglichkeit ausdrücklich gewarnt, sollten die italienischen Republikaner an der Spitze einer von den Sozialisten unterstützten revolutionären Bewegung an die Macht gelangen. In diesem für den italienischen Sozialistenführer Filippo Turati verfassten Artikel hatte Engels argumentiert:

„Nach dem gemeinsamen Siege bietet man uns vielleicht einige Sitze in der neuen Regierung an — aber immer so, dass wir in der Minderheit sind. Das ist die größte Gefahr. Nach dem Februar 1848 begingen die französischen sozialistischen Demokraten (die von der ,Réforme‘, Ledru-Rollin, Louis Blanc, Flocon etc.) den Fehler, solche Posten anzunehmen. Als Minderheit in der Regierung haben sie freiwillig die Verantwortung für alle Infamien und Verrätereien geteilt, welche die aus reinen Republikanern bestehende Mehrheit gegen die Arbeiter beging; währenddessen lähmte die Teilnahme dieser Herren an der Regierung völlig die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse, die sie vorgaben zu vertreten.“

—Engels, „Die künftige italienische Revolution und die Sozialistische Partei“, 26. Januar 1894

Fünf Jahre später rechtfertigte Millerand seine Tätigkeit als Handelsminister in der Regierung von Premier René Waldeck-Rousseau mit der Behauptung, die französische Republik sei sonst in Gefahr, von einem reaktionären Bündnis von Monarchisten und Aristokraten im Bunde mit dem Offizierskorps und der katholischen Kirche gestürzt zu werden. In dieser Regierung „der republikanischen Verteidigung“ saß Millerand neben dem blutigen Schlächter der Pariser Kommune, General Galliffet.

Hintergrund von all dem war die Dreyfus-Affäre, ein politischer Skandal, der Frankreich in eine tiefe politische Krise gestürzt hatte. Ein geheimes Kriegsgericht hatte Alfred Dreyfus, einen jüdischen Offizier und Mitglied des Generalstabs, 1894 schuldig gesprochen, Militärgeheimnisse an eine ausländische Macht verkauft zu haben, und ihn zu lebenslanger Haft verurteilt. Es kam bald heraus, dass das ein abgekarteter Prozess gewesen war, den Spitzenoffiziere des Heeres in Gang gesetzt hatten, um die Schuld eines anderen, adligen Offiziers zu vertuschen. Nach Jahren der Gefangenschaft auf der Teufelsinsel vor Französisch-Guayana bekam Dreyfus einen neuen Prozess, in dem man ihn im September 1899 nochmals für schuldig erklärte; im gleichen Monat begnadigte ihn schließlich der französische Präsident. Millerand wurde in die Regierung gebracht, um die andauernde Krise zu entschärfen.

Die ohnehin schon durch die Dreyfus-Affäre polarisierte französische sozialistische Bewegung spaltete sich durch die Handlungen Millerands noch weiter. Ein Flügel unterstützte Millerand — insbesondere Jean Jaurès, der 1898 einer der eifrigsten und redegewandtesten Verteidiger von Dreyfus wurde, wenn auch streng innerhalb des Rahmens des bürgerlichen Liberalismus. Der andere Flügel, die von Jules Guesde und Paul Lafargue geführte Französische Arbeiterpartei (POF), hatte sich geweigert Dreyfus zu verteidigen und war gegen den Eintritt Millerands in die Regierung.

Auch Rosa Luxemburg griff in die Debatte über den Millerandismus ein. Luxemburg, Mitbegründerin der Sozialdemokratischen Partei des Königreichs Polen and Litauen, wurde danach im linken Flügel der SPD besonders durch ihren Kampf gegen Bernstein berühmt. In ihrer eloquenten Widerlegung des bernsteinschen Reformismus stellte Luxemburg fest:

„Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß quantitative Veränderungen in der alten.“

Sozialreform oder Revolution?, 1899

Luxemburg argumentierte richtig, dass Sozialisten Dreyfus verteidigen müssen, indem sie den Fall benützen, um den französischen Kapitalismus und Militarismus anzuprangern und den Klassenkampf zu fördern. Doch sie war gegen den Eintritt Millerands in die Regierung:

„Der Charakter einer bürgerlichen Regierung wird nicht durch den persönlichen Charakter ihrer Mitglieder, sondern durch ihre organische Funktion innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt. Die Regierung des modernen Staats ist grundsätzlich eine Organisation der Klassenherrschaft, deren regelmäßiges Funktionieren eine der Voraussetzungen für das Dasein des Klassenstaates bildet. Beim Eintritt eines Sozialisten in die Regierung existiert die Klassenherrschaft weiter, die bürgerliche Regierung wird nicht in eine sozialistische Regierung verwandelt, sondern der Sozialist verwandelt sich in einen bürgerlichen Minister.“

—„Affaire Dreyfus et cas Millerand: Réponse à une consultation internationale“, Cahiers de la Quinzaine, Nr. 11, 1899 (unsere Übersetzung)

Nach dem Eintritt Millerands in die Regierung zeigte sich die Logik des Millerandismus nur allzu deutlich: die Erhaltung der Regierung Waldeck-Rousseau um jeden Preis. Rosa Luxemburg stellte ironisch fest: „Früher war die Rettung der Republik durch die Verteidigungsaktion der Regierung erforderlich, heute — die Rettung der Regierung durch die Preisgabe der Verteidigung der Republik“ („Die sozialistische Krise in Frankreich“, 1900/01). Nach dem Rücktritt von Waldeck-Rousseau unterstützte die Jaurès-Gruppe die Regierung des Radikalen Emile Combes und stimmte für das Regierungsbudget, einschließlich der Finanzmittel für Militär und Kriegsmarine.

Auf die offensichtliche Verbindung zwischen dem bernsteinschen Revisionismus und dem Millerandismus wies Lenin hin:

„Millerand hat ein ausgezeichnetes Beispiel dieses praktischen Bernsteinianertums geliefert — nicht umsonst waren sowohl Bernstein als auch Vollmar sofort dabei, Millerand so eifrig zu verteidigen und ihm Lob zu spenden! In der Tat: Wenn die Sozialdemokratie im Grunde genommen einfach eine Reformpartei ist und den Mut haben muss, dies offen zu bekennen, dann hat ein Sozialist nicht nur das Recht, sondern muss sogar stets danach streben, in ein bürgerliches Kabinett einzutreten. Wenn die Demokratie im Grunde genommen die Aufhebung der Klassenherrschaft bedeutet, warum sollte dann ein sozialistischer Minister nicht die ganze bürgerliche Welt mit Reden über Zusammenarbeit der Klassen entzücken? Warum sollte er nicht selbst dann noch in der Regierung bleiben, wenn die Niedermetzelung von Arbeitern durch Gendarmen zum hundertsten und tausendsten Male den wahren Charakter der demokratischen Klassenzusammenarbeit offenbart hat?“

Was tun? (1902)

Die Diskussion über den Ministerialismus beherrschte 1900 den Pariser Kongress der Zweiten Internationale. Rosa Luxemburg sowie der Wegbereiter des russischen Marxismus Georgi Plechanow, der Führer der amerikanischen Socialist Labor Party Daniel De Leon und andere Linke stemmten sich gegen den rechten Flügel, vertreten von den SPDlern Bernstein und Georg von Vollmar, die Jaurès und Millerand unterstützten. Politisch in der Mitte befand sich, wie das auch zunehmend in der deutschen Partei der Fall war, der SPD-Theoretiker Karl Kautsky, der in der Internationale allgemein immer noch als „Papst des Marxismus“ angesehen wurde. Der Historiker G.D.H. Cole kommentiert: „Kautskys Aufgabe war es, eine Formulierung auszuarbeiten, die dem Zentrum akzeptabel war und die äußerste Linke entwaffnen würde, ohne den rechten Flügel aus der Internationale hinauszutreiben und ohne die Position von Jaurès unmöglich zu machen“ (Cole, The Second International 1889–1914, Macmillan & Co. Ltd., London, 1960).

Die von Kautsky zusammengeschusterte Kompromissresolution ist lehrreich darüber, wie abgrundtief der sozialdemokratische Reformismus in die Zweite Internationale eingedrungen war:

„Die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat kann in einem modernen demokratischen Staate nicht das Werk eines bloßen Handstreichs sein, sondern kann nur den Abschluss einer langen und mühevollen Arbeit der politischen und ökonomischen Organisation des Proletariats, seiner physischen und moralischen Regenerierung und der schrittweisen Eroberung von Wahlsitzen in Gemeindevertretungen und gesetzgebenden Körperschaften bilden.

Aber die Eroberung der Regierungsgewalt kann dort, wo sie zentralisiert ist, nicht stückweise erfolgen. Der Eintritt eines einzelnen Sozialisten in ein bürgerliches Ministerium ist nicht als der normale Beginn der Eroberung der politischen Macht zu betrachten, sondern kann stets nur ein vorübergehender und ausnahmsweiser Notbehelf in einer Zwangslage sein.

Ob in einem gegebenen Falle eine solche Zwangslage vorhanden ist, das ist eine Frage der Taktik und nicht des Prinzips. Darüber hat der Kongress nicht zu entscheiden. Aber auf jeden Fall kann dieses gefährliche Experiment nur dann von Vorteil sein, wenn es von einer geschlossenen Parteiorganisation gebilligt wird und der sozialistische Minister der Mandatar seiner Partei ist und bleibt.“

Internationaler Sozialisten-Kongress zu Paris 1900 (Expedition der Buchhandlung Vorwärts, Berlin, 1900)

Die überflüssige Warnung vor dem Putschismus und die Argumente dafür, allmählich in Stadtverordnetenversammlungen und gesetzgebende Körperschaften einzudringen, sollten die Revisionisten beschwichtigen und fanden so auch ihre Zustimmung. Der Ausweichklausel „Notbehelf in einer Zwangslage“ stimmten Millerand und Jaurès ebenfalls gerne zu, denn sie verwendeten dieses Argument schamlos, um ihren eigenen Ministerialismus zu rechtfertigen. In Wirklichkeit war es aber die Bourgeoisie, die diesen sozialistischen Minister „ausnahmsweise“ in die Arme schloss, um so die politische Krise loszuwerden, die durch die Dreyfus-Affäre entbrannt war.

Die von Guesde und dem Italiener Enrico Ferri eingebrachte Minderheitsresolution bekräftigte: „Unter der Eroberung der öffentlichen Macht ist die politische Expropriierung der Kapitalistenklasse zu verstehen, ob auf friedlichem oder gewaltsamem Wege.“ Die Resolution fährt fort:

„Dies besagt also, dass unter einem bürgerlichen Regime nur solche durch Wahlen zu erreichende Positionen besetzt werden dürfen, die die Partei durch ihre eigenen Kräfte erobern kann, d.h., durch die Arbeiter, die in einer Klassenpartei organisiert sind; untersagt ist daher jegliche Teilnahme an bürgerlichen Regierungen, gegen die Sozialisten immer eine unversöhnliche Opposition einnehmen müssen.“

Congrès Socialiste International Paris 23–27 Septembre 1900 (Minkoff-Neudruck, Genf 1980, unsere Übersetzung)

Die Minderheitsresolution ließ also die Möglichkeit offen, dass man Posten innerhalb des bürgerlichen Regimes annehmen könne, die „die Partei durch ihre eigenen Kräfte erobern kann“. Plechanow ging noch weiter, er wollte die Möglichkeit offen halten, unter gewissen außergewöhnlichen Umständen die Teilnahme an einem bürgerlichen Kabinett als Taktik zu rechtfertigen. Ursprünglich unterstützte er daher Kautskys Resolution, versuchte sie aber umzuändern, um Millerand wenigstens implizit zu kritisieren. Plechanow argumentierte, dass ein Sozialist, wenn er im äußersten Fall dazu gezwungen ist, einem bürgerlichen Kabinett beizutreten, verpflichtet ist, dies zu verlassen, wenn es sich im Kampf zwischen Arbeit und Kapital als parteiisch offenbart. Plechanow gab allerdings selber zu, dass sein Änderungsantrag auf theoretischer Ebene „einer Kritik nicht standhält: Welches bürgerliche Kabinett kann sich schon unparteiisch zum Kampf der Arbeit mit dem Kapital verhalten?“ („Neskol’ko slov o poslednem Parizskom mezdunarodnom socialistceskom kongresse“ [Einige Worte über den letzten Internationalen Sozialisten-Kongress in Paris], April 1901, unsere Übersetzung). Jaurès änderte Plechanows Änderungsantrag dann geschickt um; nunmehr hieß es, ein Sozialist müsse aus dem Kabinett austreten, falls eine vereinigte sozialistische Partei die Regierung im Kampf zwischen Kapital und Arbeit für parteiisch halte. Was in Frankreich aber gerade fehlte, war eine vereinigte Partei! Plechanow, der jetzt in der Falle saß, stimmte dann letztendlich mit der Minderheit, beschwerte sich aber darüber, dass sich der Antrag von Guesde allzu kategorisch gegen den Eintritt in ein bürgerliches Kabinett richte.

Guesde brachte auch eine Resolution gegen eine sozialistische Beteiligung an Koalitionen der Klassenzusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien ein. Diese Resolution stellte zwar fest: „Der Klassenkampf verbietet jede Form von Bündnis mit jeglicher Fraktion der Kapitalistenklasse“, gestand aber zu: „außergewöhnliche Umstände machen Koalitionen manchmal notwendig“ (Congrès Socialiste International, unsere Übersetzung). Dieses Hintertürchen war groß genug, so dass selbst eingefleischte Opportunisten für die Resolution stimmen konnten, die dann auch einstimmig angenommen wurde.

Amsterdam 1904: Noch einmal der Millerandismus

Das Thema des Millerandismus beschäftigte auch den Amsterdamer Kongress der Zweiten Internationale 1904. Ein Jahr zuvor hatte Kautsky auf dem Dresdner Kongress der SPD zusammen mit anderen eine Resolution eingebracht, die den Revisionismus und implizit den Millerandismus verurteilte. Der Führer der amerikanischen SLP, Daniel De Leon, kommentierte bissig: „Beim Pariser Kongress war der Anti-Millerandismus äußerst unpopulär und Kautsky ,lief da mit der Hasenmeute‘“, während in Dresden Kautsky „wieder ganz vorne war, jetzt aber ,mit den Wölfen heulte‘“ („The Dresden Congress“, Daily People, 3. Januar 1904).

Die Anhänger von Guesde brachten dann die SPD-Resolution auf dem Amsterdamer Kongress zur Abstimmung ein. Die vom Kongress 1904 verabschiedete Fassung „verurteilt[e] auf das entschiedenste die revisionistischen Bestrebungen, unsre bisherige bewährte und sieggekrönte, auf dem Klassenkampf beruhende Taktik in dem Sinne zu ändern, dass an Stelle der Eroberung der politischen Macht durch Überwindung unsrer Gegner eine Politik des Entgegenkommens an die bestehende Ordnung der Dinge tritt (Internationaler Sozialisten-Kongress zu Amsterdam, Expedition der Buchhandlung Vorwärts, Berlin, 1904). Sie stellte sich ausdrücklich gegen jegliche „Partei ..., die sich mit der Reformierung der bürgerlichen Gesellschaft begnügt“, und erklärte ferner, „dass die Sozialdemokratie gemäß der Resolution Kautsky des Internationalen Sozialistenkongresses zu Paris im Jahre 1900 einen Anteil an der Regierungsgewalt innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft nicht erstreben kann.“ Der positive Hinweis auf die Resolution Kautsky von 1900 war ein typisches beschwichtigendes Zugeständnis an den rechten Flügel. Die Rüge, die der Amsterdamer Kongress den Revisionisten erteilte, führte keineswegs zu einer Spaltung, da alle Flügel die Vorstellung einer „Partei der Gesamtklasse“ hatten, d.h. einer einzigen, vereinigten Partei der Arbeiterklasse, die vom Marxismus bis zum Reformismus sämtliche Tendenzen umfasst. Dennoch betrachteten sowohl linke als auch rechte Delegierte die Annahme der Dresdner Resolution von 1903 als eine scharfe Gegenmaßnahme gegen das Versöhnlertum, das im Jahre 1900 gegenüber dem Millerandismus praktiziert worden war.

De Leon hatte auf dem Pariser Kongress 1900 gegen die Resolution Kautsky gestimmt. Auch 1904 wandte er sich gegen eine Billigung von Kautskys Haltung im Jahr 1900 und brachte folgende Resolution ein:

„In Anbetracht dessen, dass 1900 auf dem letzten, in Paris abgehaltenen Internationalen Kongress eine allgemein als Kautsky-Resolution bekannte Resolution angenommen wurde, deren Schlussklauseln eine Notlage in Erwägung ziehen, in der die Arbeiterklasse ein Amt aus den Händen solcher kapitalistischer Regierungen annimmt, und die auch insbesondere DIE UNPARTEILICHKEIT VON REGIERUNGEN DER HERRSCHENDEN KLASSE IN DEN KONFLIKTEN ZWISCHEN DER ARBEITERKLASSE UND DER KAPITALISTISCHEN KLASSE FÜR MÖGLICH HÄLT... [sei es daher]

Beschlossen erstens, dass besagte Resolution Kautsky aufgehoben werde, was hiermit geschieht, und nicht Prinzip allgemeiner sozialistischer Taktik sein kann;

Zweitens, dass in vollentwickelten kapitalistischen Ländern wie Amerika die Arbeiterklasse kein politisches Amt besetzen darf, das sie nicht für sich selber und durch eigene Kraft erobert hat, sonst verrät sie die Sache des Proletariats.“

—De Leon, „Millerandism Repudiated“ [Millerandismus zurückgewiesen],
Daily People, 28. August 1904

Da diese Resolution keine Anhänger fand, stimmte De Leon für die Mehrheitsresolution.

Diese Resolution De Leons drückte sich aber wiederum um die Kernfrage herum — die Notwendigkeit, die Maschinerie des kapitalistischen Staates zu zerschlagen und diesen durch die Diktatur des Proletariats zu ersetzen — , indem sie es für zulässig erklärte, dass die Arbeiter politische Ämter besetzen, die sie „für sich selber und durch eigene Kraft“ erobert haben. De Leon nahm zwar eine prinzipielle Haltung gegen den bürgerlichen Ministerialismus ein, blieb aber immer noch dem Elektoralismus verpflichtet. James P. Cannon, Mitbegründer des Kommunismus in den USA und späterer Trotzkist, lobte De Leons Pionierrolle in der Entstehungszeit der amerikanischen sozialistischen Bewegung, bemerkte aber auch zu Recht: „Was seine Taktik betraf, war er sektiererisch, und seine Auffassung von politischer Tätigkeit war starr formalistisch und wurde durch seine Fetischisierung des Legalismus steril“ (Cannon, The First Ten Years of American Communism [Die ersten zehn Jahre des amerikanischen Kommunismus], Pathfinder Press, New York, 1962).

In einer 1905 gehaltenen Rede mit dem Originaltitel „The Preamble of the I.W.W.“ [Die Präambel der IWW] ließ De Leon die Möglichkeit offen, dass zumindest in den USA das Proletariat die politische Macht auf friedlichem Wege mittels Wahlurne erobern könne; danach würde die neue sozialistische Regierung sich auflösen und die Macht an eine aus „sozialistischen Industriegewerkschaften“ zusammengesetzte Verwaltung übergeben („The Socialist Reconstruction of Society“ [Der sozialistische Wiederaufbau der Gesellschaft], in: De Leon, Socialist Landmarks [Meilensteine des Sozialismus], New York Labor News Company, 1952). De Leon zufolge würden solche schon im Kapitalismus entstandenen Gewerkschaften organisch wachsen und immer mehr wirtschaftliche Macht gewinnen, die sie dann gegen die Kapitalisten einsetzen würden. Alle vier Jahre stellte De Leons SLP brav ihren eigenen Kandidaten für die US-Präsidentschaft auf. Nach De Leons Tod im Jahre 1914 und nachdem die SLP die Anwendbarkeit der Lehren der Oktoberrevolution auf amerikanischem Boden verworfen hatte, verwandelte sich die Partei in eine verknöcherte Hülle ihres früheren Selbsts.

Was aber ihre Haltung zum Elektoralismus betrifft, so unterschied sich die SLP, selbst unter der Führung von De Leon, kaum von der Socialist Party von Eugene V. Debs. Von 1900 an kandidierte Debs fünfmal für das Amt des Präsidenten der USA. Debs verkündete: „Es muss den Arbeitern beigebracht werden, dass sie sich vereinigen und als eine Klasse für die Socialist Party stimmen, die Partei, die sie als Klasse vertritt; wenn sie das tun, wird die Regierung in ihre Hände übergehen und der Kapitalismus wird untergehen und nie wieder auferstehen“ („The Growth of Socialism“ [Das Wachstum des Sozialismus], 1906, Writings and Speeches of Eugene V. Debs [Schriften und Reden von Eugene V. Debs], Hermitage Press, New York, 1948). Als Debs 1920 zum letzten Mal für die US-Präsidentschaft kandidierte — er erhielt mehr als 900 000 Stimmen —, saß er in einer Gefängniszelle in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia: Man hatte ihn wegen seiner Gegnerschaft zum Ersten Weltkrieg zu zehn Jahren Haft verurteilt (und ihm lebenslänglich das Wahlrecht entzogen). Sowohl Debs’ Präsidentschaftswahlkämpfe als auch seine große Autorität bewirkten, dass die Kandidatur von Sozialisten für das Amt des Oberbefehlshabers des US-Imperialismus zu einer festen Tradition wurde, die im Großen und Ganzen unkritisch von allen übernommen wurde, mit Ausnahme der Gegner jeglichen Parlamentarismus und jedweder Kandidatur. Debs selber trat für den Sturz des Kapitalismus ein, aber viele Sozialistenführer wie etwa Morris Hillquit waren erbitterte reformistische Gegner des Leninismus. Victor Berger z.B. bekam das treffende Etikett „Sewer Socialist“ [Abwassersozialist — in Anspielung auf die „sozialistischen“ Kommunalpolitiker, die sich typischerweise um Dinge wie das Abwassersystem kümmerten] wegen seines Programms von Gemeindereformen, das sich kaum vom offenen Reformismus der bürgerlichen Progressiven unterschied.

Munizipalismus und die Zweite Internationale

Munizipalismus [Kommunalpolitik] war nicht nur die Domäne offener Reformisten. Die tiefe Kluft zwischen dem reformistischen und dem revolutionären Flügel der Zweiten Internationale hinsichtlich einer Beteiligung von Sozialisten als Minister an bürgerlichen Regierungen galt nicht für die Kommunen. So verabschiedete der Pariser Kongress 1900 einstimmig eine Resolution über Munizipalismus, in der es heißt:

„In Erwägung, dass die Gemeinde zu einem vortrefflichen Labor des dezentralisierten Wirtschaftslebens und gleichzeitig zu einem hervorragenden politischen Stützpunkt werden kann, den die Sozialisten dort, wo sie über eine örtliche Mehrheit verfügen, gegen die bürgerliche Mehrheit der Zentralgewalt benutzen können, sobald eine echte Selbstverwaltung verwirklicht ist;

Erklärt der Internationale Kongress vom Jahre 1900:

Dass es bei voller Anerkennung der Bedeutung der allgemeinen politischen Tätigkeit die Pflicht aller Sozialisten ist, das Verständnis für und die Anerkennung von Tätigkeit in den Gemeinden zu fördern und den Reformen in den Gemeinden die Wichtigkeit beizumessen, die ihre Rolle als ,Keimzelle der kollektivisierten Gesellschaft‘ ihnen zuweist, sowie danach zu streben, die kommunalen Dienstleistungen — Nahverkehr, Beleuchtung, Wasserversorgung, Strom, Bade-Anstalten, Wäschereien, städtische Warenhäuser und Bäckereien, Schulen, medizinische Dienste, Krankenhäuser, Heizung, Arbeiterwohnungen, Bekleidung, Polizei, städtische Bauvorhaben usw. — zu Musteranstalten zu machen, sowohl im Interesse des allgemeinen Wohls als auch im Interesse der in diesen Betrieben Beschäftigten.“

Congrès Socialiste International (unsere Übersetzung)

Hier haben wir wohl das treffendste Beispiel für das Dilemma der Parteien der Zweiten Internationale: ein tatsächliches aus Minimalreformen bestehendes Programm und ein sozialistisches Maximalprogramm, das all zu oft nur bei Sonntagsreden zur Schau gestellt wurde, aber sonst nichts bedeutete. Selbst diejenigen, die am klarsten und konsequentesten ihre Opposition gegen Bernsteinianertum und Millerandismus kundtaten, meinten, dass Sozialisten an der Verwaltung der Kommunen teilnehmen könnten. Rosa Luxemburg schreibt dazu:

„Ganz anders liegt die Frage der Beteiligung an dem Gemeinderat. Es ist wahr, auch der Gemeinderat wie der Bürgermeister haben unter anderem übertragene administrative Funktionen und die Ausführung bürgerlicher Gesetze zur Aufgabe, allein historisch stellen beide ganz entgegengesetzte Elemente dar...

Für die sozialistische Taktik ergibt sich daraus ein grundverschiedenes Verhalten: Die Zentralregierung des heutigen Staates ist die Verkörperung der bürgerlichen Klassenherrschaft, deren Beseitigung eine unumgängliche Voraussetzung des sozialistischen Sieges ist, die Selbstverwaltung ist das Element der Zukunft, an das die sozialistische Umwälzung in positiver Weise anknüpfen wird.

Freilich verstehen die bürgerlichen Parteien auch in die wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen der Gemeinde ihren Klasseninhalt zu gießen. Allein die Sozialisten kommen hier nie in die Lage, der eigenen Politik untreu werden zu müssen. Solange sie in den Gemeindevertretungen in der Minderheit sind, machen sie genau in derselben Weise die Opposition zur Richtschnur ihres Verhaltens wie im Parlament. Werden sie aber zur Mehrheit, dann verwandeln sie die Gemeinde selbst in ein Kampfmittel gegen die bürgerliche Zentralgewalt.“

—„Die sozialistische Krise in Frankreich“ (1900/1901)

Diese Vorstellung war zum Teil ein Überbleibsel aus der Epoche des Aufstiegs des revolutionären Bürgertums, als die Kommune eine Waffe der städtischen Klassen gegen den feudalen monarchischen Staat darstellte. Im späten Mittelalter waren die Kommunen in Italien und Frankreich Bollwerke, innerhalb deren Mauern das Handel treibende Bürgertum die Wurzeln des Kapitalismus entwickelte, innerhalb der feudalen Gesellschaft und gegen die Kräfte des Absolutismus. Aber einmal an die Macht gelangt, drängte die Bourgeoisie diese freien Kommunen beiseite, um einen starken zentralisierten Staat zu bilden, der ihre Klasseninteressen auf nationaler Ebene verteidigen konnte. Die Befürwortung von Kommunalpolitik durch die Zweite Internationale spiegelt nicht bloß ihre theoretische Konfusion wider, sondern auch die Tatsache, dass durch Klassenkampf erreichte Reformen im ausgehenden 19. Jahrhundert oft von Kommunalregierungen umgesetzt wurden, in denen Sozialisten vorherrschten.

Marx und Engels hatten tatsächlich mehrmals versucht, solche Illusionen in Munizipalismus zu zerstören. Nach den Revolutionen von 1848 warnten sie, die Arbeiter „dürfen sich durch das demokratische Gerede von Freiheit der Gemeinden, von Selbstregierung usw. nicht irremachen lassen“ („Ansprache der Zentralbehörde an den Bund [der Kommunisten] vom März 1850“). Auch in seinen Schriften zur Pariser Kommune warnte Marx davor, die Funktionen der mittelalterlichen Kommunen mit den Aufgaben des proletarischen Sozialismus zu verwechseln:

„Es ist das gewöhnliche Schicksal neuer geschichtlicher Schöpfungen, für das Seitenstück älterer und selbst verlebter Formen des gesellschaftlichen Lebens versehn zu werden, denen sie einigermaßen ähnlich sehn. So ist diese neue Kommune, die die moderne Staatsmacht bricht, angesehn worden für eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Kommunen, welche jener Staatsmacht erst vorausgingen und dann ihre Grundlage bildeten... Der Gegensatz der Kommune gegen die Staatsmacht ist versehn worden für eine übertriebne Form des alten Kampfes gegen Überzentralisation... Das bloße Bestehn der Kommune führte, als etwas Selbstverständliches, die lokale Selbstregierung mit sich, aber nun nicht mehr als Gegengewicht gegen die, jetzt überflüssig gemachte, Staatsmacht.“

Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871)

Ähnlich hatte Lenin nach der Russischen Revolution 1905 den „philisterhaften Opportunismus“ menschewistischer Pläne für den „Munizipalsozialismus“ angeprangert:

„Man vergisst, dass die Bourgeoisie, solange sie als Klasse herrscht, nicht zulassen kann, dass die wirklichen Grundlagen ihrer Herrschaft auch nur vom ,munizipalen‘ Gesichtspunkt aus angetastet werden, und dass die Bourgeoisie, wenn sie den ,Munizipalsozialismus‘ gestattet, ihn duldet, dies gerade deshalb tut, weil er die Grundlagen ihrer Herrschaft unberührt lässt, die entscheidenden Quellen ihres Reichtums nicht angreift und sich nur auf jenes begrenzte lokale Ausgabengebiet beschränkt, das die Bourgeoisie selbst an die ,Bevölkerung‘ abtritt. Die oberflächlichste Kenntnis des ,Munizipalsozialismus‘ im Westen genügt, um zu wissen, dass jeder Versuch der sozialistischen Munizipalitäten, auch nur ein klein wenig über den Rahmen des gewohnten, d.h. kleinen, kleinlichen, dem Arbeiter keine wesentlichen Erleichterungen bringenden Wirtschaftens hinauszugehen, jeder Versuch, das Kapital ein klein wenig anzutasten, stets und unbedingt ein entschiedenes Veto der Zentralgewalt des bürgerlichen Staates nach sich zieht.

Das Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der ersten russischen Revolution von 1905 bis 1907 (verfasst im November/Dezember 1907)

Welche Widersprüche sich dabei auftaten, dass viele revolutionäre Sozialdemokraten eine sozialistische Kontrolle von Kommunalregierungen unterstützten, zeigt sich bei Luxemburg selber, die vehement parallel laufende Argumente zurückwies, mit denen Vollmars Gesinnungsgenossen im Mai 1900 ihre Stimme für das Budget der badischen Landesregierung rechtfertigten. Deren Behauptung, dass „die Budgets der deutschen Einzelstaaten im Unterschied von dem des Reiches zum größten Teile nicht Militär-, sondern Kulturausgaben enthalten“, beantwortete Luxemburg so:

„Ob das Budget mehr oder weniger Militärausgaben oder Kulturausgaben enthält, diese quantitativen Erwägungen wären für uns nur in dem Falle maßgebend, wenn wir im allgemeinen auf dem Boden des heutigen Staates ständen und bloß seine Auswüchse, so zum Beispiel den Militärstaat, bekämpften... Tatsächlich verweigern wir dem Deutschen Reiche die Mittel des steuerzahlenden Volkes nicht bloß deshalb, weil es ein Militärstaat, sondern vor allem, weil es ein bürgerlicher Klassenstaat ist. Letzteres bezieht sich aber in demselben Maße auf die deutschen Bundesstaaten.“

—Luxemburg, „Die badische Budgetabstimmung“, zuerst abgedruckt in Die Neue Zeit, 19. Jg. 1900/01, Zweiter Band

Die falsche Unterscheidung zwischen nationalen und bundesstaatlichen Regierungen einerseits und Kommunalregierungen andererseits bot den Unterstützern von Millerand die beste Gelegenheit zu einem Angriff auf die Gegner des Ministerialismus. So griff Jaurès die Tatsache auf, dass Guesdes Anhänger von der POF verschiedene Posten in kommunalen Verwaltungen innehatten, und bezichtigte sie wegen ihrer Opposition gegen den Ministerialismus der Inkonsequenz und Heuchelei. Bei einer Debatte am 26. November 1900 in Lille, wo der Bürgermeister ein POF-Mitglied war, argumentierte Jaurès:

„Man spricht von der Verantwortung, die ein sozialistischer Minister in einem bürgerlichen Ministerium eingeht; aber Ihre gewählten Vertreter in kommunalen Regierungen, gehen die nicht auch eine solche Verantwortung ein? Sind sie nicht ebenfalls Teil des bürgerlichen Staates?... [I]ch könnte Ihnen auch sagen, dass der sozialistische Bürgermeister, so sozialistisch er auch sein mag, von der Zentralmacht suspendiert werden kann und für ein ganzes Jahr nicht neu gewählt werden darf; ich könnte Ihnen sagen, dass er als Bürgermeister notwendigerweise darin einwilligt, eine große Anzahl von bürgerlichen Gesetzen anzuwenden und auszuführen, und ich könnte Ihnen auch sagen, dass er im Falle von gewaltsamen Streitigkeiten in den Straßen eurer Stadt gezwungen sein wird, die Kräfte der öffentlichen Ordnung zu rufen, weil er sonst befürchten muss, dass man den Sozialismus mit Raub und Mord gleichsetzt.“

—„le Socialisme en débat“ [Sozialismus in der Debatte], l’Humanité hebdo supplement,
19./20. November 2005 (unsere Übersetzung)

Jaurès’ spöttische Bemerkung über den Munizipalismus der Guesdisten diente zwar dazu, den Millerandismus zu verteidigen, aber sie traf den Nagel auf den Kopf, da sie eine anhaltende Schwäche der Zweiten Internationale benannte, die in die Dritte Internationale weitergetragen wurde.

Der Erste Weltkrieg: eine Wasserscheide

Der tief verwurzelte Reformismus der Zweiten Internationale zeigte sich in ihrer Unfähigkeit, die Fragen des Parlamentarismus, des Ministerialismus und des Koalitionismus ins Reine zu bringen. Die Zweite Internationale machte sich nicht die Lehren der Pariser Kommune zu eigen: die Notwendigkeit, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen und an dessen Stelle einen proletarischen Staat nach dem Muster der Kommune aufzubauen. Ja, die Führung der SPD — die erklärten Erben von Marx und Engels —, bemühte sich, die Lehren zu begraben oder zu verwischen, die Marx und Engels aus diesem epochalen Ereignis gezogen hatten.

Der erste interimperialistische Weltkrieg trieb die vielen aufgestauten Probleme der Zweiten Internationale auf die Spitze. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 brach die Internationale auf spektakuläre Weise zusammen und ging im Sozialchauvinismus unter. In den kriegführenden Ländern stellten sich nur die Bolschewiki und einige Menschewiki in Russland sowie die bulgarischen und serbischen Parteien gegen die Bewilligung von Kriegskrediten. Die Sozialpatrioten scharten sich im Namen der „Vaterlandsverteidigung“ um ihre eigenen Bourgeoisien; als Präzedenzfall zitierten sie fälschlicherweise nationale Kriege im Europa des 19. Jahrhunderts, bei denen ein Sieg der einen oder anderen Seite sozialen Fortschritt gegen die feudale Reaktion mit sich gebracht hatte. Der Erste Weltkrieg lieferte den Beweis, dass der Kapitalismus in das Zeitalter des Imperialismus eingetreten war: Beide Seiten wurden von Großmächten dominiert, die darum kämpften, die Welt neu unter sich aufzuteilen. Daher waren die Marxisten in diesem Krieg gegen beide Seiten und traten für den revolutionären Defätismus ein.

Der Erste Weltkrieg stellte eine Wasserscheide dar. Er bewirkte eine tiefgehende, weltweite Neuorientierung der revolutionären Arbeiterbewegung. Vorbereitet durch einen mehrjährigen Kampf gegen die russischen Opportunisten, die Menschewiki, sowie durch die ausschlaggebende Spaltung von ihnen, traten Lenin und seine Bolschewiki als die Führung einer internationalen Bewegung hervor, die erneut das Banner des revolutionären Marxismus aufgreifen wollte. Schon seit September 1914, in seinen ersten Schriften über den Krieg, und dann bei den Interventionen der Bolschewiki auf den Konferenzen von Antikriegssozialisten in Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916) betonte Lenin immer wieder zwei eng miteinander verbundene Themen: erstens, dass es unerlässlich war, mit den Sozialverrätern der Zweiten Internationale und deren zentristischen Apologeten unwiderruflich zu brechen und für eine neue, Dritte Internationale zu kämpfen; und zweitens, dass es notwendig war, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen das kapitalistische System zu verwandeln. (Lenins Kampf für eine neue Internationale wird z.B. dokumentiert in: Olga Hess Gankin und H.H. Fisher, The Bolsheviks and the World War [Die Bolschewiki und der Weltkrieg].) Die durch das endlose imperialistische Gemetzel aufgetürmte revolutionäre Welle durchbrach das schwächste Kettenglied des Imperialismus, das zaristische Russland. Als die Selbstherrschaft nach den revolutionären Aufständen im Februar 1917 zusammenbrach, stellte sich die Möglichkeit, die bolschewistische Losung Wirklichkeit werden zu lassen. Entscheidend für die politische Bewaffnung der bolschewistischen Partei, damit sie den Kampf für eine proletarische Machtergreifung führen konnte, war Lenins im Sommer 1917 verfasstes Werk Staat und Revolution, das die Schriften von Marx und Engels über den Staat und die Lehren der Kommune wieder ans Tageslicht holte.

Der Aufruf, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln, ließ keinerlei Spielraum mehr für Wahlbündnisse und parlamentarische Koalitionen mit bürgerlichen Parteien. Und dennoch bedurfte es der größten Anstrengungen Lenins, dem sich später Trotzki anschloss, um die bolschewistische Partei auf dem revolutionären Kurs zu halten, der im Oktober 1917 zum Triumph der russischen Arbeiter und Bauern führen sollte — ein Kurs, der bei jedem Schritt akut die Frage aufwarf: Welche Klasse wird herrschen? Das Unverständnis darüber, dass die alte Staatsmacht weggefegt werden musste, führte zu elektoralistischen und parlamentaristischen Illusionen, die an jedem Wendepunkt die Revolution zum Entgleisen zu bringen drohten. Für Ministerialismus und Munizipalismus wurde das Feuer dieser großen Revolution zum entscheidenden Prüfstein.

Die bolschewistische Revolution und die frühe Kommunistische Internationale zogen gegen Koalitionspolitik eine prinzipielle Linie. Die Trotzkisten hielten an dieser Linie fest gegen die stalinisierte Komintern, als diese sie wieder rückgängig machte (vgl. z. B. die Broschüre von James Burnham [amerikanischer Trotzkist], The People’s Front: The New Betrayal [Die Volksfront: Der neue Verrat], 1937). Aber die Frage, ob Kommunisten für Exekutivämter kandidieren dürfen, wurde selbst von der frühen, revolutionären KI nicht eindeutig geklärt.

Die Lehren der bolschewistischen Revolution

Wie Trotzki bemerkte, stellte die Februarrevolution ein Paradoxon dar. (Alle sich auf Russland im Jahr 1917 beziehenden Daten entsprechen dem alten julianischen Kalender, d.h. sie liegen jeweils 13 Tage früher als der moderne Kalender.) Die russische Bourgeoisie und ihre liberalen Parteien fürchteten die Revolution und versuchten sie aufzuhalten. Es waren die Volksmassen, die mit äußerster Entschlossenheit und Kühnheit die Revolution machten und die, wie im Jahr 1905, Sowjets (Räte) aufstellten, welche bald die Situation beherrschten. In diesen Sowjets dominierten aber anfänglich die kleinbürgerlichen Sozialrevolutionäre (SR) und die Menschewiki, die ganz der Ansicht verschrieben waren, die Revolution in Russland müsse eine bürgerliche sein, und die daher die Macht in die Hände der ohnmächtigen bürgerlichen Provisorischen Regierung zu schieben versuchten. Hinsichtlich dieser Kompromissler schrieb Trotzki:

„Die Revolution ist eben der unmittelbare Kampf um die Macht. Unsere ,Sozialisten‘ aber sind nicht darum besorgt, die Macht dem sogenannten Klassenfeind zu entreißen, der sie nicht besitzt und sie aus eigener Kraft nicht erobern kann — sondern darum, ihm die Macht um jeden Preis auszuhändigen. Ist das etwa kein Paradoxon? Es erschien um so verblüffender, als die Erfahrung der deutschen Revolution von 1918 damals noch nicht existierte und die Menschheit noch nicht Zeuge der gewaltigen und unvergleichlich erfolgreicheren Operation der gleichen Art gewesen war, die der ,neue Mittelstand‘, der die deutsche Sozialdemokratie führt, vollbrachte.“

Geschichte der russischen Revolution (1930)

Trotzki erklärte diese Situation der Doppelherrschaft so, dass „die Februarumwälzung zu einer bürgerlichen Regierung geführt [hatte], wobei die Macht der besitzenden Klassen durch die nicht zur Vollendung geführte Macht der Arbeiter-und Soldatensowjets eingeschränkt war“ (ebd.). (1918 in Deutschland blieben die Arbeiter- und Soldatenräte unter der Führung der Sozialdemokraten und wurden bald der bürgerlichen Regierung untergeordnet und von dieser liquidiert.)

In den ersten Wochen nach der Februarrevolution hatte die bolschewistische Partei ihre revolutionäre Stimme verloren. Nachdem im März Stalin und Kamenjew linkere Bolschewiki aus der Redaktion der Prawda gedrängt hatten, verkündeten sie in der Zeitung, die Bolschewiki würden die Provisorische Regierung unterstützen, „insofern sie gegen Reaktion und Konterrevolution kämpft“. Sie erklärten: „Unsere Losung ist — der Druck auf die Provisorische Regierung mit dem Ziele, sie zu zwingen ... mit einem Versuch hervorzutreten, alle kämpfenden Länder zur sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen zu bewegen... Bis dahin bleibt aber jeder auf seinem Kampfposten!“ (zitiert ebd.). Solche Erklärungen riefen großen Zorn an der Basis der bolschewistischen Partei hervor. Aus Ortsgruppen der Partei kam die Forderung, dass die neuen Prawda-Redakteure aus der Partei ausgeschlossen werden sollten. Die Versöhnler — die „März-Bolschewiki“ — blieben jedoch hart: Stalin z.B. behauptete, die Arbeiter und Bauern hätten die Revolution schon errungen, nun sei es die Aufgabe der Provisorischen Regierung, diese Errungenschaften zu festigen.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland am 3. April 1917 startete Lenin einen erbitterten Kampf gegen die März-Bolschewiki und die kapitulantenhaften Parteien der Sowjet-Mehrheit. Lenin verlangte eine Perspektive, die darauf abzielte, die Arbeiter und Bauern für die Errichtung einer auf den Sowjets basierenden Regierung nach dem Muster der Pariser Kommune zu gewinnen. Dabei verwarf er ausdrücklich seine frühere Vorstellung, die Russische Revolution werde die Form einer „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ annehmen. Lenins Schlussfolgerung deckte sich operativ mit Trotzkis Konzeption der permanenten Revolution, die besagte, dass das russische Proletariat vor dem westlichen Proletariat die Macht ergreifen könne und dazu gezwungen sein werde, über die bürgerlich-demokratischen Aufgaben der Revolution hinauszugehen und zu sozialistischen Maßnahmen zu greifen. Einige Monate später sollte diese Kongruenz zu einer Fusion des interrayonalen Komitees (Meschrayonzy), in dem Trotzki eine einflussreiche Rolle spielte, mit den Bolschewiki führen.

Lenin konnte sich trotz seiner früheren fehlerhaften analytischen Formel aus dem wesentlichen Grund durchsetzen, weil sich seine Ansichten mit dem revolutionären Elan des Proletariats deckten und weil der Bolschewismus während seines ganzen Daseins standhaft für proletarische Klassenunabhängigkeit und unversöhnliche Gegnerschaft sowohl zum zaristischen Regime als auch zur russischen Bourgeoisie gekämpft hatte. Es ist das anschaulichste Beispiel dafür, welch entscheidende Rolle die Führung einer Partei in einer revolutionären Situation spielt. Wären die Bolschewiki nicht imstande gewesen, ihre Rolle als linke Kritiker der Kompromissler zu überwinden, hätte die Partei die revolutionäre Gelegenheit sehr wohl verpassen können — eine Chance, die für sehr lange Zeit nicht wiederkehren würde.

Genau von diesem Standpunkt aus haben die Erfahrungen der Russischen Revolution 1917 große Bedeutung für jede Beurteilung des Parlamentarismus, Ministerialismus und Munizipalismus; und sie werfen ein Schlaglicht auf die Frage der Kandidatur für Exekutivämter. Die Provisorische Regierung ging aus dem Rumpf der alten zaristischen Duma hervor. Der große Ministerialist des Jahres 1917 war natürlich Alexander Kerenski, ein Vizevorsitzender des Provisorischen Exekutivkomitees des Petrograder Sowjets, der am 2. März 1917 ohne irgendeine formelle Genehmigung begierig den Posten des Justizministers in der neu entstandenen Provisorischen Regierung annahm. Zu diesem Zeitpunkt war keiner seiner Kollegen im Komitee bereit, in seine Fußstapfen zu treten, aber schon am 1. Mai entschied dann die Mehrheit des Exekutivkomitees, in eine Koalitionsregierung mit der Bourgeoisie einzutreten (lediglich die Bolschewiki und Julius Martows Menschewiki-Internationalisten waren dagegen). Das Ziel dabei war es, auf die allmähliche Auflösung der Sowjets hinzuarbeiten, die auf lokaler Ebene durch neue Kommunalregierungen (örtliche Dumas) und auf nationaler Ebene durch eine Konstituierende Versammlung ersetzt werden sollten. Diese Koalitionsregierung sollte also die Brücke zu einer bürgerlich-parlamentarischen Republik sein. Doch die Sowjets blieben weiter bestehen.

Auf die klassenverräterische Koalition antworteten die Bolschewiki mit der Losung: „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern!“ In seinen Lehren des Oktober (1924) erklärte Trotzki diese Losung folgendermaßen: „Wenn die Petrograder Massen unter der Führung unserer Partei die Parole herausgeben: ,Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern‘, so haben sie dadurch gefordert, dass deren Stelle Menschewiki und SR einnehmen. ,Schmeißt die Kadetten heraus, nehmt Ihr Herren bürgerlichen Demokraten die Macht in Eure Hände, setzet in die Regierung zwölf (oder wieviel es dort sonst gibt) Peschechonow-Leute [nach dem „sozialistischen“ Minister Peschechonow], und wir versprechen Euch, dass wir Euch möglichst „friedlich“ von Euren Posten absetzen, wenn die Stunde schlägt. Und sie wird bald schlagen.‘“ Die bolschewistische Taktik zielte nicht auf eine Übernahme der Provisorischen Regierung ab, sondern auf die Bloßstellung der Reformisten wegen ihrer Weigerung, im Namen der Sowjet-Mehrheit die Macht zu ergreifen. Die Bolschewiki wollten die Arbeiter davon überzeugen, dass diese bürgerliche Regierung auf den Müllhaufen der Geschichte gehörte und durch eine Arbeiterregierung ersetzt werden musste, die auf den Sowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern basiert. Das war, wenn man will, eine Konkretisierung der Losung „Nieder mit Exekutivämtern!“

Ein scharfer Streit über die Haltung zu den Wahlen für örtliche Dumas bildete einen integralen Bestandteil von Lenins Umbewaffnung der bolschewistischen Partei im April 1917. Dass der revolutionäre Flügel der Zweiten Internationale die Frage der Kommunalpolitik nicht richtig angegangen war, zeigte sich deutlich bei L.M. Michailow, dem Vorsitzenden des Petrograder Komitees der Bolschewiki. Er rechtfertigte nämlich ein klassisch sozialdemokratisches Programm kommunaler Reformen mit einem Hinweis auf den Pariser Kongress 1900:

„Die Gemeinde, die städtische Verwaltung, wurde und wird noch heute von Sozialisten aller vorhandenen Tendenzen und Schattierungen als die ,Keimzelle einer kollektivistischen Gesellschaft‘ gesehen.

Und selbst wenn uns ganz klar ist und wir uns fest daran erinnern, dass der Sieg einer ,kollektivistischen Gesellschaft‘ die grundsätzliche Neugestaltung der Gesamtheit des modernen Klassenstaats voraussetzt, haben doch auf dem Internationalen Kongress in Paris (1900) Sozialisten einstimmig beschlossen, ihre Anhänger zu verpflichten, für die Übernahme der örtlichen öffentlichen Selbstverwaltung zu kämpfen, die sie für ein ,vortreffliches Labor des dezentralisierten Wirtschaftslebens und gleichzeitig einen hervorragenden politischen Stützpunkt‘ hielten.“

Sed’maja (Aprel’skaja) Vserossijskaja konferencija RSDRP (bol’sevikov), Petrogradskaja obscegorodskaja konferencija RSDRP (bol’sevikov), Protokoly (Siebte [April]
Allrussische Konferenz der SDAPR [Bolschewiki], Allgemeine Petrograder Konferenz der SDAPR [Bolschewiki], Protokoll), Gospolitizdat, Moskau, 1958 (unsere Übersetzung)

Auf dieser Basis befürwortete Michailow Wahlbündnisse mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären — unmittelbar nachdem diese Parteien das Versprechen der Provisorischen Regierung an Russlands imperialistische Bündnispartner, auf der Seite der Entente weiterzukämpfen, widerspruchslos gutgeheißen hatten. Lenin prangerte daraufhin jegliche Vorstellung eines Wahlbündnisses mit der Bourgeoisie oder den Vaterlandsverteidigern als Verrat am Sozialismus an. Unmittelbar dringende Fragen wie etwa die Lebensmittelversorgung verlor er nicht aus den Augen, bestand aber darauf, man müsse bei den bolschewistischen Wahlkampagnen für die örtlichen Dumas hauptsächlich den Arbeitern die Differenzen der Bolschewiki mit der Bourgeoisie und den menschewistischen und SR-Versöhnlern in Bezug auf „alle Grundfragen der heutigen Politik, insbesondere auf die Frage des Krieges und der Aufgaben des Proletariats gegenüber der Zentralgewalt“ erklären („Resolution über die Kommunalfrage“, Petrograder Stadtkonferenz der SDAPR(B), 14.–22. April 1917).

Aus den Bemerkungen Michailows geht klar hervor, dass die widersprüchlichen Haltungen gegenüber den Gemeinderäten lediglich ein Bestandteil des grundsätzlicheren Konflikts innerhalb der Partei bildeten: Würden die Bolschewiki sich darauf beschränken, der linke Flügel der Demokratie zu sein, oder würden sie für die Macht des Proletariats kämpfen? In den neuen, nach dem breitesten Wahlrecht gewählten örtlichen Dumas stellten die Bolschewiki eine kleine, aber wachsende Minderheit. Die Menschewiki und die SR, die über eine Mehrheit sowohl in den Dumas als auch in den Sowjets verfügten, waren der Meinung, die Dumas sollten die Sowjets ersetzen. Demgegenüber erklärt Trotzki:

„Munizipalitäten, wie jegliche Einrichtungen der Demokratie überhaupt, können ihre Tätigkeit nur auf der Grundlage stabiler gesellschaftlicher Beziehungen, das heißt eines bestimmten Eigentumssystems ausüben. Das Wesen der Revolution besteht aber darin, dass sie eben diese Grundlage aller Grundlagen in Frage stellt, die zu beantworten lediglich die offene revolutionäre Nachprüfung des Verhältnisses der Klassenkräfte imstande ist... Im Alltagstrott der Revolution konnten die Munizipalitäten noch ihr Scheindasein fristen. Jedoch an Wendepunkten, wo das Eingreifen der Massen die weitere Richtung der Ereignisse bestimmte, mussten die Munizipalitäten auffliegen und ihre Bestandteile auf verschiedenen Seiten der Barrikade stehen. Es genügte, die parallelen Rollen der Sowjets und Munizipalitäten in der Zeit von Mai bis Oktober gegenüberzustellen, um das Schicksal der Konstituierenden Versammlung beizeiten vorauszusehen.“

Geschichte der russischen Revolution

Nachdem die Bolschewiki bei der Niederschlagung des gescheiterten konterrevolutionären Putsches von General Kornilow im August 1917 die führende Rolle gespielt hatten, errangen sie schlagartig Mehrheiten im Petrograder und Moskauer Sowjet. Auf diese probolschewistische Welle und auf den zunehmenden sozialen Aufruhr, insbesondere in der Bauernschaft, reagierte Lenin mit einer Reihe von Schriften, die die Notwendigkeit betonten, Vorbereitungen für einen Aufstand zu treffen. Der Kerenski-SR-Menschewiki-Block versuchte seinerseits, den Weg zur bevorstehenden Arbeiterrevolution durch eine Reihe „demokratischer“ Hindernisse zu versperren: zum Beispiel durch die Demokratische Konferenz (14.–22. September) und deren Sprössling, das Vorparlament, das am 5. Oktober 1917 zusammentrat.

Diejenigen Elemente der bolschewistischen Partei, die schon im April gegen Lenins Perspektive einer proletarischen Machtergreifung gearbeitet hatten, stemmten sich jetzt gegen die Verwirklichung dieser Perspektive. Am 3. September — Trotzki saß im Gefängnis und Lenin hielt sich versteckt — entschied das bolschewistische Zentralkomitee, in die Stadtverwaltung der Petrograder Duma einzutreten — der parlamentarische Fraktionschef der Bolschewiki Anatoli Lunatscharski sollte sogar einer der drei stellvertretenden Bürgermeister werden! Das bedeutete, dass die bolschewistische Fraktion in der Stadtverwaltung nicht nur mit Kerenskis Sozialrevolutionären und deren menschewistischen Partnern in der Provisorischen Regierung kollaborierte, sondern auch mit dem stellvertretenden Bürgermeister der bürgerlichen Kadetten, F. M. Knipowitsch, Seite an Seite saß! All das trotz des Spektakels der bolschewistischen Antrittsrede in der Duma, worin „jede Form der Kollaboration mit offensichtlichen Gegnern der Revolution [d.h. den Kadetten] in Exekutivorganen der Stadtverwaltung“ abgelehnt wurde (zitiert in: The Bolsheviks and the October Revolution, Minutes of the Central Committee of the Russian Social-Democratic Labour Party [Bolsheviks], August 1917–February 1918 [Die Bolschewiki und die Oktoberrevolution: Protokoll des Zentralkomitees der SDAPR (B), August 1917–Februar 1918], Pluto Press, London, 1974).

Die bolschewistischen Versöhnler beteiligten sich auch an der Legitimierung der „demokratischen“ Schwatzbuden der Provisorischen Regierung. Aus seinem Versteck heraus verurteilte Lenin nachträglich die bolschewistische Teilnahme an der Demokratischen Konferenz und lobte Trotzki, der für einen Boykott des Vorparlaments eingetreten war. Lenin brandmarkte das Vorparlament: „Der ganze Sinn … ist eine bonapartistische Fälschung“, und er warnte: „Es kann nicht daran gezweifelt werden, dass in den ,Spitzen‘ unserer Partei Schwankungen zu beobachten sind, die verhängnisvoll werden können“ für die Revolution („Aus dem Tagebuch eines Publizisten“, 22.–24. September 1917).

Am 11. Oktober solidarisierte sich Lunatscharski öffentlich mit Sinowjews und Kamenjews streikbrecherischer Denunzierung der Aufstandspläne und mit ihrer Erklärung: „Konstituierende Versammlung und Sowjets — das ist jener kombinierte Typ der Staatsinstitution, dem wir entgegengehen“ (zitiert in Geschichte der russischen Revolution). Lenin und Trotzki gewannen den Kampf gegen die schwankenden Bolschewiki und führten die Oktoberrevolution zum Sieg. Aber selbst nach dem Aufstand lieferten diejenigen, die vor der Revolution zurückgeschreckt waren, noch ein Nachhutgefecht. Am 4. November traten Lunatscharski, Sinowjew und Kamenjew von all ihren Posten zurück, nachdem sich Lenin und Trotzki geweigert hatten, ihre Forderung nach einer „ausschließlich aus Sozialisten zusammengesetzten“ Regierung, in der auch die Menschewiki und SR sitzen sollten, anzunehmen — eine Regierung, in der noch dazu Lenin und Trotzki keinen Platz haben sollten! So wie es Lenin schon nach dem Streikbruch von Sinowjew und Kamenjew getan hatte, forderte er erneut, die Kapitulanten auszuschließen, wenn sie an ihrem Kurs festhielten. Als sie keine Unterstützung innerhalb der Partei fanden und kein Menschewik sich für eine Koalitionsregierung meldete, ließen die Kapitulanten bald ihre Linie fallen, und Lenin empfahl, sie sollten wieder verantwortliche Posten bekommen.

Kritische Unterstützung kontra Ministerialismus

Die Hauptmerkmale der Oktoberrevolution waren nicht auf Russland beschränkt, und ebenso wenig war es ihre Wirkung. Sie polarisierte die Arbeiterbewegung weltweit, da revolutionäre Internationalisten sich der Sache des Oktobers anschlossen und den Kampf um die Schmiedung neuer revolutionärer Parteien führten, die auf den Lehren der Revolution basierten. Durch ihren Sieg gestärkt, unternahmen die Bolschewiki die ersten Schritte zur Schmiedung der neuen, Kommunistischen Internationale, die Lenin schon seit dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale gefordert hatte, als diese zum Sozialpatriotismus überlief.

Auf ihrem I. Weltkongress 1919 hatte die Komintern das Banner der Diktatur des Proletariats und der Lehren von Staat und Revolution erhoben. Ein Jahr später ging der II. Weltkongress u.a. die Fragen des Parlamentarismus und revolutionärer Wahltaktik an. Um die reformistischen Poseure und zufällig ins Gravitationsfeld der Komintern geratenen zentristischen Elemente fernzuhalten, stellte die KI eine Reihe von Bedingungen für alle Parteien auf, die Aufnahme in die neue Internationale suchten. Bedingung Nr. 11 bezieht sich auf den Parlamentarismus und lautet:

„Parteien, die der Kommunistischen Internationale angehören wollen, sind verpflichtet, den persönlichen Bestand ihrer Parlamentsfraktionen einer Revision zu unterwerfen, alle unzuverlässigen Elemente aus ihnen zu beseitigen, diese Fraktionen nicht nur in Worten, sondern in der Tat den Parteivorständen unterzuordnen, indem von jedem einzelnen kommunistischen Parlamentsmitglied gefordert wird, seine gesamte Tätigkeit den Interessen einer wirklich revolutionären Propaganda und Agitation zu unterwerfen.“

Protokoll des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, 1920

Lenins Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Trotzkis Terrorismus und Kommunismus und andere Polemiken zielten darauf ab, klare programmatische Trennlinien gegen die Sozialdemokratie zu ziehen, insbesondere gegen das kautskyanische Zentrum. Gleichzeitig wollte Lenin aber die anarchosyndikalistischen und ultralinken Elemente gewinnen, deren Ablehnung des sozialdemokratischen Parlamentarismus sie dazu gebracht hatte, jegliche Wahlbeteiligung oder parlamentarische Tätigkeit als reformistisch zu verwerfen. Im April/Mai 1920, am Vorabend des II. Weltkongresses, verfasste Lenin sein Handbuch über kommunistische Taktik, Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus. In diesem Werk besteht er darauf, dass Kommunisten z.B. gegenüber der Labour Party bei den bevorstehenden Wahlen in Britannien eine Haltung der kritischen Unterstützung annehmen. Lenin erklärt das folgendermaßen:

„Dass die [britischen Labour-Führer] Henderson, Clynes, MacDonald und Snowden hoffnungslos reaktionär sind, das stimmt. Ebenso stimmt es, dass sie in den Besitz der Macht kommen wollen (wobei sie, nebenbei bemerkt, eine Koalition mit der Bourgeoisie vorziehen), dass sie nach denselben althergebrachten bürgerlichen Regeln ,regieren‘ wollen, dass sie, einmal zur Macht gelangt, sich unweigerlich ebenso verhalten werden wie die Scheidemänner und Noske. Das alles stimmt. Aber daraus folgt keineswegs, dass eine Unterstützung dieser Leute Verrat an der Revolution ist, vielmehr folgt daraus, dass die Revolutionäre der Arbeiterklasse im Interesse der Revolution diesen Herrschaften eine gewisse parlamentarische Unterstützung gewähren müssen...

[A]us der Tatsache, dass die Mehrheit der Arbeiter in England noch den englischen Kerenskis oder Scheidemännern Gefolgschaft leistet, dass sie mit einer Regierung dieser Leute noch nicht die Erfahrungen gemacht hat, wie sie in Russland und in Deutschland nötig waren, damit die Arbeiter in Massen zum Kommunismus übergingen, aus dieser Tatsache folgt unzweifelhaft, dass sich die englischen Kommunisten am Parlamentarismus beteiligen müssen, dass sie von innerhalb des Parlaments der Arbeitermasse helfen müssen, die Ergebnisse der Regierung der Henderson und Snowden in der Praxis zu erkennen, dass sie den Henderson und Snowden helfen müssen, die vereinigten Lloyd George und Churchill zu besiegen. Anders handeln heißt die Sache der Revolution erschweren, denn ohne eine Änderung in den Anschauungen der Mehrheit der Arbeiterklasse ist die Revolution unmöglich; diese Änderung aber wird durch die politische Erfahrung der Massen, niemals durch Propaganda allein erreicht.“

Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus

Lenin bestand kategorisch darauf, die britischen Kommunisten müssten sich „die vollste Freiheit der Agitation, Propaganda und politischen Tätigkeit vor[behalten]. Ohne die letzte Bedingung darf man sich natürlich nicht auf einen Block einlassen, denn das wäre Verrat: Die vollste Freiheit der Entlarvung der Henderson und Snowden müssen die englischen Kommunisten ebenso unbedingt verfechten und durchsetzen, wie die russischen Bolschewiki sie (fünfzehn Jahre lang, von 1903 bis 1917) gegenüber den russischen Henderson und Snowden, d.h. gegenüber den Menschewiki, verfochten und durchgesetzt haben“ (ebd.).

Der springende Punkt bei der Taktik Lenins bestand offensichtlich nicht darin, dass die Kommunisten versuchen sollten, eine Labour-Mehrheit durch eine kommunistische Mehrheit zu ersetzen — im Gegenteil, Lenin betonte: „für uns ist keineswegs die Zahl der Parlamentssitze wichtig“ (ebd.). Eine solche Taktik sollte stattdessen dazu dienen, die Hindernisse sichtbar zu machen, die die Reformisten der Revolution in den Weg legen. Lenin drückte das so aus: „[I]ch [möchte] Henderson durch meine Stimmabgabe ebenso stützen..., wie der Strick den Gehängten stützt; dass in dem Maße, wie sich die Henderson einer eigenen Regierung nähern, ebenso die Richtigkeit meines Standpunkts bewiesen wird, ebenso die Massen auf meine Seite gebracht werden und ebenso der politische Tod der Henderson und Snowden beschleunigt wird“ (ebd.). Nirgendwo in Der „linke Radikalismus“ erwägt Lenin die Möglichkeit, dass ein Kommunist einen Posten in der Exekutive einer bürgerlichen Regierung einnimmt bzw. eine parlamentarische Mehrheit gewinnt — was die gleiche Funktion hätte. Diese Position hatte er schon in einer früheren Schrift klar gemacht:

„Nur Schufte oder Einfaltspinsel können glauben, das Proletariat müsse zuerst durch Abstimmungen, die unter dem Druck der Bourgeoisie, unter dem Joch der Lohnsklaverei vor sich gehen, die Mehrheit erobern und könne erst dann die Macht ergreifen. Das ist der Gipfel der Borniertheit oder der Heuchelei, das hieße den Klassenkampf und die Revolution durch Abstimmungen unter Beibehaltung der alten Gesellschaftsordnung, unter der alten Staatsmacht, ersetzen.“

—Lenin, „Gruß den italienischen, französischen und deutschen Kommunisten“, 10. Oktober 1919

Die von Lenin vorgeschlagenen Wahltaktiken decken sich völlig mit der Opposition gegen die Aufstellung von Kandidaten für Exekutivämter. In einem am Vorabend des II. Weltkongresses der KI verfassten Dokument stellte Lenin klar, dass revolutionärer Parlamentarismus sich lediglich auf „Abgeordnete in einer bürgerlichen Vertretungskörperschaft … (vor allem in gesamtstaatlichen, aber auch in lokalen, kommunalen usw. Vertretungen)“ bezog („Thesen über die Hauptaufgaben des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale“, 4. Juli 1920). Arbeiterabgeordnete nur in gesetzgebenden Körperschaften — Exekutivämter wie Präsident, Gouverneur, Bürgermeister oder Mitglied der Verwaltung werden von Lenin nirgendwo als Errungenschaften der Arbeiter im Lager des Feindes erwähnt.

Der II. Weltkongress, Munizipalismus und die bulgarischen Kommunisten

Der vom Exekutivkomitee der KI (EKKI) dem Weltkongress zur Diskussion vorgelegte Thesenentwurf „Die Kommunistischen Parteien und der Parlamentarismus“ entsprach der Linie von Lenins Dokumenten. In diesem Entwurf gab es ebenfalls keinerlei Hinweis darauf, dass man einen Posten in der Exekutive (auch auf lokaler Ebene) annehmen dürfe; ja, der Entwurf vertrat sogar die entgegengesetzte Meinung. Die Thesen, die die Parlamentskommission dann aber dem Plenum vorlegte und die anschließend angenommen wurden, waren in gewissen wichtigen Aspekten geändert worden. Trotzki, der zusammen mit Bucharin als Mitglied der russischen Delegation in die Kommission entsandt worden war, verfasste eine neue historische Einleitung, die den ersten Paragrafen des Originalentwurfs ersetzte. Den dritten Abschnitt der Leitsätze, ursprünglich von Sinowjew als getrenntes Dokument mit Richtlinien für parlamentarische Abgeordnete geschrieben, hatte das Politische Büro der russischen Partei vor der Einreichung überprüft; er wurde ohne bedeutende Änderungen angenommen. In dem zweiten Teil des Dokumentes aber, ursprünglich von Bucharin entworfen, wurde eine Reihe antimarxistischer Änderungen eingefügt, die die revolutionäre Stoßrichtung des Entwurfs verwässerten. Nunmehr verwarfen die (neu nummerierten) Absätze 4 und 6 nicht mehr kategorisch die Möglichkeit, dass Kommunisten bürgerliche Parlamente übernehmen, sondern erlaubten dies auf zeitweiliger Basis (diese Änderungen haben wir hier hervorgehoben):

„4. Die bürgerlichen Parlamente, einer der wichtigsten Apparate der bürgerlichen Staatsmaschine, können als solche nicht auf die Dauer erobert werden, wie das Proletariat überhaupt nicht den bürgerlichen Staat erobern kann. Die Aufgabe des Proletariats besteht darin, die Staatsmaschine der Bourgeoisie zu sprengen, sie zu zerstören, und zugleich mit ihr die Parlamentsinstitutionen, mögen es republikanische oder konstitutionell-monarchistische sein.

5. Nicht anders ist es mit den Kommunaleinrichtungen der Bourgeoisie, die den Staatsorganen gegenüber zu stellen theoretisch unrichtig ist. In Wirklichkeit sind sie ähnliche Apparate des Staatsmechanismus der Bourgeoisie, die von dem revolutionären Proletariat vernichtet und durch örtliche Sowjets der Arbeiterdeputierten ersetzt werden müssen.

6. Folglich verneint der Kommunismus den Parlamentarismus als Form der Zukunftsgesellschaft. Er verneint ihn als Form der Klassendiktatur des Proletariats. Er verneint die Möglichkeit, die Parlamente dauernd zu erobern; er setzt sich die Zerstörung des Parlamentarismus zum Ziel. Daher kann nur von der Ausnutzung der bürgerlichen Staatseinrichtungen zum Zweck ihrer Zerstörung die Rede sein. In diesem und nur in diesem Sinne kann die Frage gestellt werden.“

—„Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus“, in Protokoll des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

Am bedeutendsten war die Hinzufügung eines neuen 13. Absatzes, der praktisch in Widerspruch zum Absatz 5 steht:

„13. Falls die Kommunisten die Mehrheit in Kommunaleinrichtungen haben, so sollen sie a) revolutionäre Opposition gegen die bürgerliche Zentralgewalt treiben; b) alles tun, um der ärmeren Bevölkerung Dienste zu leisten (wirtschaftliche Maßnahmen, Durchführung oder Versuche zur Durchführung der bewaffneten Arbeitermiliz etc.); c) bei jeder Gelegenheit die Schranken zeigen, die die bürgerliche Staatsgewalt wirklich großen Veränderungen entgegensetzt; d) auf dieser Grundlage schärfste revolutionäre Propaganda entwickeln, ohne den Konflikt mit der Staatsgewalt zu fürchten; e) unter gewissen Bedingungen die Gemeindeverwaltungen etc. durch lokale Arbeiterräte ersetzen. — Die ganze Tätigkeit der Kommunisten in der Kommunalverwaltung muss also ein Bestandteil der allgemeinen Zersetzungsarbeit des kapitalistischen Systems sein.“

—ebd.

Das steht in scharfem Gegensatz zu den schon zitierten Argumenten Lenins gegen den Munizipalismus, wie aus dem Jahr 1907.

Bekanntermaßen sind die stenografischen Berichte über den II. Weltkongress und dessen Kommissionen lückenhaft und wir haben kein Protokoll der Tätigkeit der Parlamentskommission finden können. Alle uns zur Verfügung stehenden Materialien weisen jedoch auf die politische Bedeutung der diesbezüglichen Änderungen hin — ein Zugeständnis an die Praxis in den Gemeinden, die sich durch die Arbeit einiger Parteien zog. In diesem Zusammenhang ist auch auf Absatz 11 hinzuweisen, den die Kommission so geändert hatte, dass nunmehr in einer Auflistung exemplarischer revolutionärer parlamentarischer Arbeit dem Beispiel Karl Liebknechts und der Bolschewiki noch die Kommunistische Partei Bulgariens (KPB) hinzugefügt wurde. Wenige Monate vor Beginn des Kongresses hatte die KPB, die schon eine größere Parlamentsfraktion hatte, einen außerordentlichen Triumph bei den Gemeindewahlen in ganz Bulgarien gefeiert. Die französische Sozialistische Partei, über deren Aufnahme in die KI noch beraten wurde, kontrollierte zu jener Zeit ebenfalls zwischen 1500 und 1800 Gemeinderegierungen; auch die italienische Sozialistische Partei regierte eine ansehnliche Anzahl von Munizipalitäten.

Auf dem Weltkongress erwähnte Bucharin in seinem Hauptbericht über den Parlamentarismus mit keinem Wort die von der Kommission vorgenommenen Änderungen. Diese las danach die deutsche Delegierte Wolfstein (Rosi Frölich) den Delegierten in einem kurzen Nachtrag ohne jedweden Kommentar vor. Die folgende Diskussion wurde beherrscht von einer Debatte mit dem italienischen Ultralinken Amadeo Bordiga, der einen Minderheitsbericht gab, in dem er parlamentarische Tätigkeit überhaupt ablehnte und als Vertreter der „kommunistischen, abstentionistischen Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens“ entgegengesetzte Thesen präsentierte. Lenin beschäftigte sich in seiner Intervention — je drei Redner waren für bzw. gegen den Antrag der Mehrheit vorgesehen — ausschließlich mit den Argumenten Bordigas.

Nur einer der Redner für die Mehrheitsthesen, der Bulgare Nikolai Schablin (Iwan Nedelkow), ging auf die Frage des Munizipalismus ein. Schablin prahlte:

„In den Gemeindewahlen im Dezember 1919 und in den Provinzialwahlen im Januar 1920 hat die [bulgarische] Partei 140000 Stimmen erhalten und die Mehrheit in den Gemeinden, fast in allen Städten und in etwa hundert Dörfern erkämpft. In vielen anderen Stadt- und Dorfgemeinden ist die Partei durch starke Minderheiten vertreten. Für die Gemeinde- und Provinzialvertretung besitzt die Partei ein Programm für die Organisierung von Arbeiter- und Bauernsowjets in den Städten und Dörfern, deren besondere Sektionen sich im Moment der Revolution substituieren und die Funktionen der Gemeinde- und Provinzialvertretungen zu übernehmen haben...

Wir nutzen den in den kommunistischen Gemeinden geführten Kampf aus, um den Massen verständlich zu machen, dass sie allein durch ihre Organisationen der Zentralgewalt Achtung vor den durch die kommunistischen Kommunalvertretungen gefassten Beschlüssen in der Verpflegungs-, Wohnungs- und Teuerungsfrage, wie auch in allen übrigen unmittelbaren Nöten der Arbeiterbevölkerung einflößen können.“

Protokoll des II. Weltkongresses

Der einzige Delegierte, der auf Schablin antwortete, war der Schweizer Jakob Herzog, der der Meinung war, die KPB sei nicht das „Musterbeispiel für den revolutionären Parlamentarismus“, als das Schablin sie schilderte. Herzog berichtete:

„Wir hatten in der Kommission eine lange Diskussion darüber, wie die kommunistischen Vertreter in den Gemeinden sich verhalten sollen, was die kommunistischen Gemeindevertreter, wenn sie in der Mehrheit sind, tun müssen. Da hat Genosse Bucharin gesagt: ,Wenn sie die Mehrheit haben, dann müssen sie versuchen, die Lage der Arbeiter zu verbessern, um die Gegensätze zwischen der kommunistischen Gemeinde und dem Staat zuzuspitzen.‘ Das sagen uns ja gerade auch die Opportunisten, wenn sie in die Parlamente hineingehen.“

—ebd.

Herzog war aber ein Gegner jeder Form von parlamentarischer Tätigkeit und machte keinen Unterschied zwischen der Übernahme einer Kommunalvertretung — was die Verwaltung eines örtlichen Organs des bürgerlichen Staatsapparates bedeutet — und der Arbeit als kommunistischer Oppositioneller in einer bürgerlichen gesetzgebenden Körperschaft. Dieser Unterschied ist aber gerade wesentlich. Trotzkis Einleitung zu den Leitsätzen stellt fest, dass kommunistische Parlamentsabgeordnete als „Kundschafter in den parlamentarischen Einrichtungen der Bourgeoisie“ für die revolutionäre Arbeiterklasse handeln. Und Paragraf 8 im dritten Abschnitt der Resolution bekräftigt:

„Jeder kommunistische Abgeordnete des Parlaments muss dessen eingedenk sein, dass er kein Gesetzgeber ist, der mit anderen Gesetzgebern eine Verständigung sucht, sondern ein Agitator der Partei, der ins feindliche Lager entsandt ist, um dort Parteibeschlüssen nachzukommen.“

—„Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus“

Aber als kommunistische Mehrheit in einer örtlichen oder nationalen gesetzgebenden Körperschaft aktiv zu werden, ist im Grunde gleichbedeutend mit der Übernahme eines Exekutivamtes: Es bedeutet die Kontrolle von Budgets und Verwaltung zu übernehmen. Die Frage, ob man die Führung solcher Körperschaften übernehmen dürfte, hätte ausdrücklich aufgegriffen und bekämpft werden müssen.

In seinen Bemerkungen auf dem Kongress hatte Schablin selber implizit auf das Problem hingewiesen, das entsteht, wenn Kommunisten kommunale Regierungen führen. Er behauptete, das Programm der KPB bestehe darin, solche Körperschaften „im Moment der Revolution“ durch Sowjets zu ersetzen. Aber bis dahin saßen die bulgarischen Kommunisten in den örtlichen Verwaltungen, wo sie für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und die Zuteilung von kärglichen Ressourcen im Rahmen der kapitalistischen Klassenherrschaft verantwortlich waren. Darüber hinaus stellte Schablin die tatsächliche Tätigkeit der KPB falsch dar. Die bulgarische Partei organisierte nicht etwa Sowjets, um die bürgerlichen Gemeindeverwaltungen zu ersetzen, sondern zielte darauf ab, in Zeiten der Revolution diese Verwaltungen organisch in Sowjets zu verwandeln. KPB-Gründer Dimityr Blagoew machte das klar, als er 1919 schrieb, dass

„die Eroberung der Gemeindeverwaltungen den Anfang des sowjetischen Regierungssystems darstellen kann... Der Kampf um die Übernahme der Munizipalmacht, besonders der Kampf für die Verfestigung der Macht des Proletariats und der schwachen Klassen, den unsere Partei dort führen muss, wo wir die Munizipalmacht besitzen — dieser Kampf wird im Grunde ein Kampf für die Ausweitung der Sowjetmacht (KP) und des sowjetischen Regierungssystems allgemein sein.“

—zitiert in: G. Conev und A. Vladimirov, Sentjabr’skoe vosstanie v Bolgarii 1923 goda
[Der Septemberaufstand in Bulgarien 1923], Gosizdat, Moskau, 1934 (unsere Übersetzung)

Die bulgarischen Kommunisten waren keine Gemeindesozialisten à la Victor Berger in den USA. Die KPB war eine revolutionäre Partei, die mit großer Kraft in das Vakuum gesogen wurde, das nach dem Ersten Weltkrieg durch den Zusammenbruch Bulgariens entstanden war, und die dann in diese Ämter gestoßen wurde durch einen aufwallenden Enthusiasmus in der Bevölkerung für die Russische Revolution. Vorläufer der KPB waren die Tesnjaki, Blagoews bulgarische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Engherzige), die wegen ihrer Opposition zu den Balkankriegen 1912/13 und zum Ersten Weltkrieg unter scharfer Verfolgung gelitten hatten, und auch weil sie im Parlament gegen die Kriegskredite gestimmt hatten. Nicht um den Sozialismus zu verraten, war die KPB in die kommunalen Verwaltungen eingetreten, sondern in dem Versuch, ihn zu verwirklichen, in den besten Traditionen der Vorkriegssozialdemokratie und dem bisschen an Bolschewismus, das sie kannten. Die Widersprüche zwischen ihren Zielen und ihrer Position als Verwalter des bürgerlichen Staatsapparats auf lokaler Ebene konnten nicht von Dauer sein, und das waren sie auch nicht.

Trotz ihrer Identifizierung mit dem Bolschewismus hatte die KPB aus dem linken Flügel der Zweiten Internationale viel sozialdemokratisches Gepäck mitgeschleppt. Lenin äußerte seine tiefe Sorge über die abstentionistische Politik der Partei während des Radomir-Aufstands im September 1918, als bäuerliche Soldaten des bulgarischen Heeres in großer Zahl meuterten. Am Vorabend dieser Rebellion hatten Soldaten, die von der bolschewistischen Revolution begeistert waren, schon die ersten Sowjets gebildet. Einfache Mitglieder der Tesnjaki, entschlossen, den Zaren Ferdinand zu stürzen, kämpften zusammen mit etwa 15000 aufständischen Soldaten in einer dreitägigen Schlacht. Aber die Partei stellte sich gegen jegliche organisierte Intervention in den Aufstand, der zur späteren Machtübernahme des Führers des Bauernvolksbunds, Alexander Stambulijski, beitrug. Die KPB ignorierte Lenins Kritik und Blagoew rechtfertigte später die Weigerung seiner Partei, den Aufstand in Richtung proletarische Revolution zu lenken. Diese Weigerung der KPB, in den Radomir-Aufstand einzugreifen, spiegelte insbesondere ihre langjährige Feindschaft zum Bauerntum wider.

Während des Krieges und der anschliessenden Aufstände war die Partei erheblich gewachsen, was aber auch bedeutete, dass eine große Anzahl von Leuten mit niedrigerem Bewusstsein eintraten, die meist nicht in der Industrie arbeiteten. Gleichzeitig baute die KPB ein weitreichendes Netz von Verlagen, Genossenschaften und sonstigen Unternehmen auf und erzeugte auch einen riesigen Apparat für Parlaments- und Regierungsarbeit. 1922 saßen mehr als 3600 Kommunisten in Gemeindevertretungen, weitere 115 hatten Posten auf Provinzebene und fast 1500 saßen in Schulbehörden — ein ganz schön hoher Anteil der insgesamt 38000 Mitglieder der KPB.

Die bulgarischen Erfahrungen bewiesen erneut, dass die Kontrolle bürgerlicher kommunaler Regierungen dem Kampf für Sowjetmacht entgegengesetzt war. Als die Bourgeoisie im Juni 1923 imstande war, das Land mit Hilfe des blutigen Zankow-Putsches gegen die auf den Bauern basierende Stambulijski-Regierung neu zu „stabilisieren“, verjagte sie die KPB kurzerhand aus ihren „Kommunal-Kommunen“. Anstatt sich gegen den drohenden Rechtsputsch auf eine Einheitsfrontaktion mit den Kräften des Bauernvolksbunds vorzubereiten und sich dabei auf die eigene kommunistische unabhängige Mobilisierung der Arbeiter und Bauern zu stützen, schwankte die KPB zwischen Appellen an die Regierung nach Waffen und — als der Putsch stattfand — der Weigerung, sich diesem entgegenzustellen.

Danach initiierte die KPB eine Reihe von abenteuerlichen Militäraktionen, darunter ein fehlgeschlagener Aufstand im September 1923, die in noch stärkerer Unterdrückung durch die Bourgeoisie endeten. Die Partei, die bis dahin als Vorbild galt, wurde durch den Weißen Terror 1923–25 physisch zerschlagen. Schablin war einer von mehr als 5000 Kommunisten, die für die politischen Fehler der KPB mit ihrem Leben bezahlten. Der Zickzackkurs der KI-Führung unter Sinowjew drängte die bulgarische Partei auf diesen Kurs des Abenteurertums, während die KI gleichzeitig eine Rote Bauerninternationale, die Krestintern, gründete und weltweit die Bildung von bürgerlichen „Arbeiter- und Bauernparteien“ unterstützte. Zu dieser Zeit war die KI nicht mehr die revolutionäre internationale Partei der ersten vier Weltkongresse. Von 1923/24 an durchlief die sowjetische Partei und mit ihr die Komintern einen Prozess von qualitativer bürokratischer Entartung, die Ende 1924 von Stalin mit seinem anti-internationalistischen Dogma vom „Sozialismus in einem Land“ kodifiziert wurde.

Die Komintern über den Munizipalismus: ein problematisches Erbe

Ausgangspunkt des II. Weltkongresses war eine Reihe richtiger Einsichten über den Munizipalismus, aber daraus wurde im Kongressverlauf durch viele Umänderungen ein widersprüchlicher Mischmasch, der eine Politik absegnete, in der der Keim des Ministerialismus enthalten war. Wenn wir überlegen, warum der Weltkongress dieser Frage nicht eingehend nachging, so ist in Betracht zu ziehen, dass der II. Weltkongress der erste wirklich arbeitende Kongress der KI war und daher eine große Anzahl von anderen Themen behandeln musste, einschließlich der Bedingungen für die Aufnahme in die Komintern, der nationalen und kolonialen Frage, der Frage der Gewerkschaften usw. Hinzu kam, dass der Weltkongress auf dem Höhepunkt des Krieges gegen Polen stattfand, gerade als die Rote Armee ihre Gegenoffensive gegen Pilsudski und seine französischen imperialistischen Schirmherren führte. Wäre es den sowjetischen Kräften gelungen, Warschau einzunehmen, hätten sie einen direkten Brückenkopf zum mächtigen deutschen Proletariat geschaffen. Ein Sieg der Roten Armee in Warschau hätte die Grundlagen des auf den Versailler Frieden gestützten Europas erschüttert und vielleicht die revolutionären Flammen zu einer ganz Europa erfassenden Feuersbrunst angefacht. Somit hätte sich die Frage der Teilnahme an Gemeinderegierungen direkt in Zusammenhang mit dem proletarischen Machtkampf gestellt, so wie im Jahr 1917.

Das Problem der Exekutivämter hat der II. Weltkongress lediglich implizit angerührt. In der kommunistischen Bewegung der USA dagegen wurde diese Frage ausdrücklich ge–stellt. Im Gegensatz zum parlamentarischen System Europas zog das amerikanische Präsidialsystem eine klare Trennungslinie zwischen legislativen und exekutiven Posten. Diese Unterscheidung spielte bei den Diskussionen über den Parlamentarismus auf dem Plenum des II. Weltkongresses überhaupt keine Rolle, obwohl ein Mitglied der Communist Party of America (CPA), der in Russland geborene Alexander Stocklitzki, der Parlamentskommission zugeteilt worden war. Auf ihrer Gründungskonferenz 1919 hatte die CPA eine richtige Haltung gegen das Kandidieren für Exekutivämter eingenommen. Als sich im Mai 1920 ein Teil der Partei von ihr abspaltete, um mit der Communist Labor Party zur United Communist Party (UCP) zu fusionieren, wurde diese Position, die von C.E. Ruthenberg befürwortet wurde, in der neuen UCP beibehalten. Die Gründungskonferenz der UCP hielt fest: „Nominierungen für öffentliche Ämter und die Teilnahme an Wahlkampagnen sind auf gesetzgebende Körperschaften wie den US-Kongress, die bundesstaatlichen Parlamente und Gemeinderäte beschränkt“ (UCP-Programm, veröffentlicht in Revolutionary Radicalism, Bericht der Lusk-Kommission an den Senat des Bundesstaates New York, eingereicht am 24. April 1920).

Diese Position war auf der UCP-Konferenz kontrovers: Eine Tendenz befürwortete sie, während eine zweite gegen jede Wahltätigkeit war und eine dritte das Kandidieren für alle Ämter unterstützte. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: „Die Gegner von Exekutivwahlen argumentierten, dass es auf Kommunisten korrumpierend wirkt, wenn sie als Gouverneur, Bürgermeister und Sheriff gewählt werden, und es der Bewegung schaden wird; dass es unzulässig ist, diese Verantwortung für den bürgerlichen Staat zu übernehmen“ (The Communist, 1. September 1920). Diese korrekten Argumente waren im UCP-Programm aber mit der ultralinken Haltung verbunden, kommunistische Abgeordnete in legislativen Körperschaften „dürfen keine Reformmaßnahmen einbringen oder unterstützen“. Im Kielwasser des Kampfes gegen die Ultralinken auf dem II. Weltkongress ließ die amerikanische kommunistische Bewegung die Unterscheidung zwischen Kandidaturen für Exekutivämter und Kandidaturen für Parlamentssitze fallen. 1921 kandidierte der Kommunist Ben Gitlow für das Amt des New Yorker Bürgermeisters. Im folgenden Jahr bestand die KI in einem für die Konferenz der amerikanischen Kommunisten im August 1922 verfassten Dokument darauf: „Kommunisten müssen als Revolutionäre an allen allgemeinen Wahlkampagnen — ob städtisch, bundesstaatlich, für den [US-]Kongress oder auch für die Präsidentschaft — teilnehmen“ („Next Tasks of the Communist Party in America“ [Die nächsten Aufgaben der Kommunistischen Partei in Amerika], abgedruckt in: Reds in America [Die Roten in Amerika], Beckwith Press, New York City, 1924). 1924 stellte die amerikanische Partei William Z. Foster als Kandidaten für die US-Präsidentschaft auf.

Diese fehlende Klarheit über die miteinander verknüpften Fragen der Exekutivämter und der Gemeindeverwaltung sollte die Komintern und die ihr angeschlossenen Parteien weiterhin plagen, was auch aus Trotzkis Schriften hervorgeht. Es war Trotzki, der die auf dem IV. Weltkongress am 2. Dezember 1922 verabschiedete Resolution über Frankreich verfasste, in der er „Bürgermeister“ und ähnliche Leute mit „kommunistischen Parlamentarier[n], Gemeinde- und Generalräte[n]“ in einen Topf warf und behauptete, auch erstere könnten zu „Werkzeuge[n] des revolutionären Kampfes der Massen werden“ (Thesen und Resolutionen des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg, 1923 [Reprint von 1978]). In seiner Einleitung zu The First Five Years of the Communist International [Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale] (Monad Press, New York, 1972) vom Mai 1924 begrüßte es Trotzki, dass die französische KP an diese Posten gelangt war: „Die Tatsache, dass unsere Partei ungefähr 900000 Stimmen erhielt, stellt einen bedeutenden Erfolg dar, besonders wenn wir hier das schnelle Anwachsen unseres Einflusses in den Vororten von Paris in Betracht ziehen.“ Dieser „Einfluss“ der französischen KP in den Vororten hatte dazu geführt, dass sie eine große Anzahl von Munizipalitäten verwaltete.

Es muss auch festgestellt werden, dass Trotzki seine Ansichten in Bezug auf diese Frage nicht änderte. In einem Artikel aus dem Jahr 1939, der damals unveröffentlicht blieb, schrieb er:

„Die Teilnahme der Gewerkschaften an der Verwaltung der verstaatlichten Industrie lässt sich mit der Teilnahme von Sozialisten an Kommunalregierungen vergleichen, wo die Sozialisten ab und zu die Mehrheit gewinnen und dadurch gezwungen sind, eine wichtige kommunale Wirtschaft zu verwalten, während die Bourgeoisie noch im Staate herrscht und die bürgerlichen Eigentumsgesetze noch gelten. Reformisten in den Gemeinden passen sich an das bürgerliche Regime passiv an. Revolutionäre tun auf diesem Gebiet alles in ihrer Macht stehende im Interesse der Arbeiter und bringen gleichzeitig auf Schritt und Tritt den Arbeitern bei, dass die Kommunalpolitik machtlos ist ohne die Eroberung der Staatsmacht.

Der Unterschied besteht allerdings darin, dass auf dem Gebiet von kommunalen Regierungen die Arbeiter gewisse Positionen durch demokratische Wahlen gewinnen können, während auf dem Gebiet der verstaatlichten Industrie die Regierung selbst sie auffordert, gewisse Posten zu übernehmen. Aber dieser Unterschied hat lediglich einen formalen Charakter. In beiden Fällen sieht sich die Bourgeoisie gezwungen, den Arbeitern gewisse Aktionsspielräume abzutreten. Diese werden von den Arbeitern in ihrem eigenen Interesse benutzt.“

—„Nationalized Industry and Workers’ Management“ [Verstaatliche Industrie und Arbeiterverwaltung], 12. Mai 1939

Dass Trotzki 1924 die KPF im Kontext ihrer Verwaltung verschiedener Munizipalitäten als „frei von irgendwelchen politischen Verpflichtungen gegenüber dem bürgerlichen Regime“ schilderte oder dass er 1939 eine parallele Formulierung vorschlug — heißt nicht, dass er Anhänger eines reformistischen Munizipalismus war, sondern spiegelt eher die Tatsache wider, dass ein ungelöstes Problem kommunistischer Strategie an uns weitervererbt worden ist.

Unser Bericht über die Diskussion über Exekutivämter auf der V. Konferenz der IKL 2007 stellt fest:

„Die Position, dass Kommunisten unter keinen Umständen für Exekutivposten des bürgerlichen Staates kandidieren sollten, ist eine Weiterführung unserer langjährigen Kritik an dem von der Komintern unterstützten Eintritt der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in die Landesregierungen von Sachsen und Thüringen im Oktober 1923. Die KPD unterstützte diese von ,linken‘ Sozialdemokraten geführten bürgerlichen Regierungen zuerst von außen und dann durch direkte Regierungsbeteiligung — dies trug dazu bei, eine revolutionäre Situation aus der Bahn zu werfen (siehe ,Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern‘, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 22, Sommer 2001).“

Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 26, Frühjahr 2008

Vorbereitet wurde der Eintritt der KPD in diese Regierungen durch die fehlerhafte und verworrene Resolution über „Arbeiterregierungen“, die der IV. Weltkongress der KI weniger als ein Jahr zuvor angenommen hatte. Diese Resolution stiftete Verwirrung über den Aufruf zu einer Arbeiterregierung — für Revolutionäre nichts anderes als eine Formulierung für die Diktatur des Proletariats —, indem sie diesen Begriff für eine breite Palette sozialdemokratischer Regierungen anwandte, die den bürgerlichen Staatsapparat verwalten; dabei ließ sie die Möglichkeit offen, ob Kommunisten mittels einer Koalition mit den Sozialdemokraten an einer solchen Regierung teilnehmen. Obwohl Trotzki 1923 für eine revolutionäre Perspektive in Deutschland kämpfte und darauf bestand, dass die KPD konkrete Vorbereitungen unternehmen und ein Datum für den Aufstand setzen sollte — wie Lenin das im September/Oktober 1917 getan hatte —, unterstützte er fälschlicherweise die Politik der KPD, in die Regierungen von Sachsen und Thüringen einzutreten, mit dem Argument, dies würde einen „Exerzierplatz“ für die Revolution schaffen. Wären diese Regierungen in der Tat „Arbeiterregierungen“, wie es den Massen beigebracht worden war, dann wären der außerparlamentarische revolutionäre Kampf und die Bildung von Arbeiterräten und -milizen wohl ganz und gar überflüssig. Das Ergebnis war, dass die KPD und die KI-Führung unter Sinowjew eine revolutionäre Gelegenheit verstreichen ließen. Die darauf folgende Demoralisierung im sowjetischen Proletariat war dann ein entscheidender Faktor, mit dessen Hilfe die stalinistische Bürokratie die politische Macht usurpieren konnte.

Nach dem deutschen Debakel von 1923 arbeitete Trotzki an einer Einschätzung der politischen Ursachen dieses Versagens. In seiner implizit selbstkritischen Schrift Lehren des Oktober (1924) stellte Trotzki den erfolgreichen Kampf Lenins gegen Kamenjews, Sinowjews und Stalins Widerstand von 1917, als diese vor der Machtfrage zurückschreckten, der im Oktober 1923 in Deutschland vorherrschenden Kapitulationspolitik gegenüber. Später wies Trotzki darauf hin, dass eine systematischere, mehr ins Detail gehende Überprüfung der Intervention der KI und der KPD in den deutschen Ereignissen 1923 vonnöten sei. Den Eintritt der KPD in die Regierungen von Sachsen und Thüringen sowie die auf dem IV. Weltkongress angenommene fehlerhafte Resolution über Arbeiterregierungen hat er aber nie ausdrücklich kritisiert.

Eine logische Begleiterscheinung von Trotzkis Unterstützung für eine kommunistische Verwaltung von Gemeinderegierungen war seine Billigung der Praxis, kommunistische Kandidaten für Exekutivämter aufzustellen. Zusätzlich zu den vielen Kampagnen für Bürgermeisterposten kandidierte die französische KP 1924 auch für das Präsidentenamt. In Deutschland stellte die KPD 1925 und erneut 1932 Ernst Thälmann als Präsidentschaftskandidaten auf. Trotzki kämpfte dafür, dass die KPD Einheitsfronten mit den Sozialdemokraten eingehen und Arbeitermilizen mobilisieren sollte, um die Nazis zu zerschlagen, was den Weg freigemacht hätte für einen direkten Machtkampf der Arbeiter unter kommunistischer Führung. Das war die dringende Aufgabe des Tages. Aber durch ihre Wahlkampagne von 1932 und ihre schrille Charakterisierung der Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“ — typisch für die Dritte Periode — hat die KPD mit viel Getöse davon abgelenkt, dass sie diese Aufgabe überhaupt nicht angehen wollte. Trotzki griff die Stalinisten wegen des politischen Bankrotts dieser „Sozialfaschismus“-Linie immer wieder an, aber er erwähnte die Wahlkampagne nur nebenbei und kritisierte die KPD nicht wegen ihrer Kandidatur für die Präsidentschaft.

1940 brachte Trotzki ausdrücklich die Möglichkeit einer Präsidentschaftskampagne der Socialist Workers Party (SWP) in den USA gegen den Demokraten Franklin D. Roosevelt zur Sprache („Discussions with Trotsky“ [Diskussionen mit Trotzki], 12.–15. Juni 1940). Als die SWP-Führer diesen Vorschlag aus logistischen Gründen ausschlossen, schlug Trotzki vor, man könne vielleicht dafür kämpfen, dass die Arbeiterbewegung gegen Roosevelt einen unabhängigen Kandidaten aufstellt. Er warf auch die Frage auf, ob die SWP nicht vielleicht den Kandidaten der KP, Earl Browder, der damals gegen Roosevelt und den imperialistischen Krieg auftrat, kritisch unterstützen könne. In den Diskussionen zeigte sich, dass Trotzki darüber besorgt war, die SWP würde sich an die „progressive“ Gewerkschaftsbürokratie anpassen, die Roosevelt unterstützte. Wie aus diesen Diskussionen klar hervorgeht, betrachtete weder Trotzki noch die SWP die Frage einer Wahlkampagne für die US-Präsidentschaft als Streit über Prinzipien. 1948 stellte die SWP einen Kandidaten gegen die von den Stalinisten unterstützte bürgerliche Progressive Party von Henry Wallace auf — Wallace war Vizepräsident in der Roosevelt-Administration gewesen —, und danach kandidierte die SWP regelmäßig bei US-Präsidentschaftswahlen.

Trotzkis Vorschlag hinsichtlich der Browder-Kandidatur war durchaus angebracht. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 hatten die amerikanischen Stalinisten eine zeitweilige Linkswende gemacht: Zuvor eifrige Unterstützer von Franklin D. Roosevelts „New Deal“, posierten sie jetzt als Kämpfer gegen den US-Imperialismus. Nach Hitlers Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 unterstützten sie dann allerdings im Namen des „Kampfes gegen den Faschismus“ erneut Roosevelt. Trotzkis Argumente für eine kritische Unterstützung Browders zielten darauf ab, die vorübergehende antiimperialistische Haltung der KP auszunutzen, um die Partei vor ihrer Arbeiterbasis bloßzustellen.

Die IKL lehnt es ab, Kandidaten für Exekutivämter aufzustellen, schließt es aber nicht aus, anderen Arbeiterorganisationen in bestimmten Fällen kritische Unterstützung zu geben, sofern diese eine grobe Klassenlinie vertreten. Wenn eine leninistische Organisation einem Opponenten kritische Unterstützung gewährt, dann sicher nicht, weil wir meinen, diese Organisation werde die gleichen Prinzipien anwenden wie wir. Sonst könnte man einer reformistischen Massenpartei nie kritische Unterstützung geben, da sie nach gewonnenen Wahlen unweigerlich versuchen wird, eine Regierung zu bilden, d.h. den Kapitalismus zu verwalten. Und dieses Argument ist ja ein wesentlicher polemischer Aspekt unserer kritischen Unterstützung. In solchen Fällen gilt es zu beweisen, dass solche Parteien trotz ihrer Behauptungen, die Interessen der Arbeiter zu vertreten, diese Interessen in der Praxis immer verraten.

Ihr Erbe und unseres

Um unsere revolutionäre Kontinuität aufrechtzuerhalten, ist es unerlässlich, uns die Lehren vergangener Kämpfe innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung kritisch anzueignen. Bei unserem Kampf für die Wiederschmiedung von Trotzkis Vierter Internationale, die 1938 auf den politischen Leichnamen der Zweiten Internationale und der stalinisierten Komintern gegründet wurde, gehören die ersten vier Weltkongresse der KI zu unserem politischen Fundament. Aber wir sind nicht unkritisch gegenüber der frühen Komintern; schon seit den ersten Jahren unserer Tendenz äußerten wir Vorbehalte gegen die vom IV. Weltkongress beschlossenen Resolutionen über die „antiimperialistische Einheitsfront“ und die „Arbeiterregierung“.

Dagegen höhlen unsere politischen Gegner die Prinzipien der Oktoberrevolution und die programmatischen Grundsätze der Kommunistischen Internationale von Lenin und Trotzki aus bzw. verwerfen sie gänzlich; und sie greifen sich wählerisch einzelne „Traditionen“ heraus, die ihren opportunistischen Zielen eine gewisse Aura historischer Autorität verleihen. Das trifft auf die Internationalist Group und die Bolschewistische Tendenz zu, deren anwaltliche Plädoyers in Verteidigung von Kandidaturen für Exekutivposten im bürgerlichen Staat viel mehr mit dem Kautsky-Flügel der Zweiten Internationale gemein haben als mit dem Bolschewismus Lenins. Was die reformistischen großen Brüder von IG und BT betrifft: Deren Tradition ist und bleibt allen gelegentlichen Hinweisen auf den Trotzkismus zum Trotz die von Millerand und MacDonald.

Hinter den zur Schau gestellten Seelenqualen seitens IG und BT über das angebliche Dilemma, das sich stelle, wenn Kommunisten einen Posten in der Exekutive oder die Mehrheit in einem bürgerlichen Parlament gewinnen, steckt ein durch und durch opportunistischer Impuls. Die Historikerin Noreen Branson stellt in ihrer überaus positiven Darstellung des von Labour-Linken gestellten Gemeinderats [Borough Council] von Poplar im Britannien der 20er-Jahre eine fast identische Frage: „Was tut man, wenn man doch eine Mehrheit gewinnt? Wie weit kann man im bestehenden gesetzlichen und administrativen Rahmen wirklich die Veränderungen verwirklichen, für die man eintritt?“ (Branson, Poplarism, 1919–1925 [Der Poplarismus 1919–1925], Lawrence and Wishart, London, 1979). Die damals (1982) noch zentristische Gruppe Workers Power [in Deutschland die Gruppe Arbeitermacht] — inzwischen in zwei konkurrierende reformistische Vereine gespalten — beantwortet in einem Artikel über den Munizipalismus diese von Branson gestellte Frage, indem sie den Absatz 13 aus den „Leitsätzen über den Parlamentarismus“ vom II. Weltkongress der KI zitiert („The Struggle in Poplar 1919–21: Communism vs. Municipalism“ [Der Kampf in Poplar 1919–21: Kommunismus kontra Munizipalismus], Workers Power, Mai 1982)!

In diesem Artikel äußert sich WP begeistert über die Militanz dieses von der Labour Party geführten Gemeinderats im armen Londoner Arbeiterviertel East End, dem auch zwei Kommunisten, Edgar und Minnie Lansbury, angehörten; WP benutzt dies, um Werbung zu machen für die in ihren Worten „revolutionäre Haltung zum Kampf in den Gemeinden“. Die KI hatte es nicht geschafft, während und nach dem II. Weltkongress die zum Syndikalismus neigenden Elemente der britischen revolutionären Bewegung zu gewinnen; daher wurde der britische Kommunismus zu einer Fehlgeburt, geführt von Elementen, die sich im parlamentaristischen Labour-Milieu pudelwohl fühlten (siehe: „British Communism Aborted“ [Der britische Kommunismus: eine Fehlgeburt], Spartacist, englische Ausgabe Nr. 36/37, Winter 1985/86). Die beiden KP-Gemeinderäte ließen sich kaum von den Mitgliedern der Labour-Mehrheit des Rats unterscheiden, an deren Spitze Edgars Vater stand, der christliche Pazifist George Lansbury. Und das zu einer Zeit, als starke gesellschaftliche Unruhen Britannien erschütterten. Auf dem Höhepunkt der Aktivitäten des Poplar-Gemeinderats gab es 1920 im ganzen Land unzählige Streiks und Demonstrationen gegen die britischen Waffenlieferungen an das Polen von Pilsudki unter der Losung „Hände weg von Russland“. Die Aktionsräte, die in dieser Kampagne aus dem Boden schossen, waren ein Zeichen für das Entstehen von Organen der Doppelherrschaft.

Wo es die brennende Aufgabe ist, die Produktionsmittel unter der Macht des Proletariats zu enteignen und zu reorganisieren, da basteln die Reformisten lediglich am System der Verteilung herum. Zwar waren die Ratsmitglieder in Poplar sogar für die damalige Zeit militanter als die üblichen Labour-Politiker — für ihre Politik organisierten sie Massendemonstrationen und gingen ins Gefängnis —, doch ihre Macht und ihr politischer Horizont blieben darauf beschränkt, die dürftigen Ressourcen, auf die sie Zugriff hatten, zu rationieren und dafür eine Zeitlang die Sozialleistungen für Arme und Arbeitslose sowie die Niedriglöhne von städtischen Beschäftigten zu erhöhen. George Lansbury drückte das so aus: „Den Arbeitern muss ein konkreter Beweis gegeben werden, dass eine Labour-Verwaltung etwas anderes ist als eine kapitalistische Verwaltung; kurz gesagt bedeutet das, Gelder von wohlhabenden Steuerzahlern für die Armen abzuzweigen“ (zitiert in Branson, Poplarism). Labour-Kontrolle über Gemeinderäte in Arbeiterbezirken war tatsächlich von zentraler Bedeutung für Labours großen Sprung zu einer auf nationaler Ebene regierenden Partei, was 1924 zum ersten Mal geschah. Als der König 1921 Londons East End besuchte, begrüßten ihn die neugewählten Poplar-Gemeinderäte mit dem Transparent: „Gemeinderat von Poplar erwartet heute vom König, dass er seiner Pflicht nachkommt und die Regierung Seiner Majestät auffordert, Arbeit oder vollen Lebensunterhalt für die Arbeitslosen der Nation zu finden“ (zitiert ebd.).

Sechs Jahrzehnte später, als die pseudotrotzkistische Militant Tendency von Ted Grant und Peter Taaffe (die sich später spalteten und jeweils eine eigene Organisation gründeten) im runtergewirtschafteten Liverpool die Kontrolle über den Labour-Gemeinderat erlangten, konnten sie selbst dem christlichen Pazifisten Lansbury und seinen Leuten nicht im mindesten das Wasser reichen. Diese „trotzkistischen“ Verwalter der örtlichen kapitalistischen Regierung drohten einmal sogar damit, sämtliche 30000 städtischen Beschäftigten zu feuern — sie behaupteten, das sei eine „Taktik“ gegen die von der Tory-Regierung unter Margaret Thatcher auferlegten Haushaltskürzungen. Beweise dafür, dass sie sich mit einer Eingabe auch an Königin Elizabeth II. gewandt haben, liegen uns allerdings nicht vor.

Regierungsbeteiligungen auf kommunaler Ebene haben historisch dazu gedient, Arbeiterparteien in die bürgerliche Ordnung zu integrieren. Das war nicht bloß in Britannien der Fall, sondern auch in Frankreich, Italien und anderen Ländern. In einem Artikel über „The Italian Communists & the US“ [Die italienischen Kommunisten & die USA] wurde festgestellt: „Kommunistische Kontrolle über regionale und Stadtregierungen ... spielte tatsächlich eine bedeutende Rolle dabei, dass sich innerhalb der KPI die Neigung zu einem pragmatischen Reformismus verstärkte“ (New York Review of Books, 11. Mai 2006). Die Kandidatur für bzw. die Übernahme von Exekutivposten, egal auf welcher Ebene, ist kein Sprungbrett zur revolutionären Mobilisierung der werktätigen Massen, sondern stärkt vorherrschende Illusionen in die Reformierbarkeit des kapitalistischen Staates und verfestigt so die Ketten, die das Proletariat an den Klassenfeind binden.

Andererseits würde eine marxistische Arbeiterpartei tatsächlich versuchen, Sitze in bürgerlichen legislativen Körperschaften zu erringen, wo die Abgeordneten der Partei ihre Position dazu benutzen, exemplarische Gesetzentwürfe einzubringen — wie die Bolschewiki mit ihrer Verurteilung des Antisemitismus und Pogromismus in der zaristischen Duma —, „die nicht dazu bestimmt sind, von der bürgerlichen Mehrheit angenommen zu werden, sondern für die Zwecke der Propaganda, Agitation und Organisation“ („Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus“, a.a.O.). Dadurch — indem sie etwa in den USA oder Japan Gesetzentwürfe für die Aufhebung der Todesstrafe einbringen — oder indem „der kommunistische Abgeordnete“ bei Arbeiterdemonstrationen und Streikversammlungen „an der Spitze der Arbeitermassen an erster leitender Stelle“ steht, würde eine marxistische Partei ihre parlamentarischen Positionen zu „Hilfsstützpunkten ihrer revolutionären Tätigkeit“ machen (ebd.). Eine solche Perspektive steht eindeutig im Gegensatz zu einer Kandidatur für Exekutivposten oder deren Annahme.

Für Kommunisten bedeutet das Kandidieren für Exekutivämter keineswegs einfach eine Propagandaaktion oder den bei der Internationalist Group und ihresgleichen so beliebten politischen Fototermin. In Zeiten verhältnismäßiger Stabilität und wenn es keine sichtbare Gefährdung ihrer Klassenherrschaft gibt, dulden die Bourgeoisien der imperialistischen „Demokratien“ vielleicht die Kandidatur von Revolutionären, um dadurch die Illusion zu verstärken, die Regierung repräsentiere den „Volkswillen“. Oder vielleicht auch nicht: So wurden in der „Red Scare“ [antikommunistische Hysterie] nach dem Ersten Weltkrieg fünf Sozialisten, die von ihren Bezirken im November 1919 rechtmäßig gewählt worden waren, aus der New York State Assembly [Legislative des US-Bundesstaates New York] ausgeschlossen, allein weil sie der Sozialistischen Partei angehörten. In den halbkolonialen Ländern, wo demokratische Einrichtungen viel zerbrechlicher sind und die Massen die Peitsche imperialistischer Ausbeutung direkt zu spüren bekommen, bedeuten Wahlkampagnen oft ein tödliches Zusammenprallen mit den Kräften des bürgerlichen Staates und rechten Schlägern. Hier wäre es der reinste Hohn, die Zeit und das Blut der schon schrecklich unterdrückten und terrorisierten Werktätigen im Interesse eines Kandidaten einzufordern, der verspricht, sein Exekutivamt nicht anzunehmen, wenn er die Wahl gewinnt.

Das alles soll unterstreichen, dass die Staatsfrage für die revolutionäre Arbeiterpartei eine Frage von Leben und Tod ist. Es ist genau die Frage der Revolution. Wir haben die Position angenommen, dass wir dagegen sind, für Exekutivämter des bürgerlichen Staates zu kandidieren, und wir überprüfen kritisch diejenige Politik und Praxis, die das Erbe unserer Vorläufer ausmachen. Damit wollen wir die tiefe politische Kluft sichtbar machen, die die IKL von all den Opportunisten trennt, die fälschlicherweise vorgeben, Marxisten zu sein und die historischen Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten. Unsere Aufgabe ist klar gestellt: Organisierung, Ausbildung und Stählung proletarischer Avantgardeparteien, Sektionen einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale, die unentbehrlich ist für die Eroberung der Staatsmacht und die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter auf der ganzen Welt.

Spartacist (deutsche Ausgabe) Nr. 27

DSp Nr. 27

Frühjahr 2009

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Nieder mit Exekutivämtern des kapitalistischen Staates!

Marxistische Prinzipien und Wahltaktik

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Gegen die Apologeten des Verrats der POUM, damals und heute

Trotzkismus kontra Volksfrontpolitik im Spanischen Bürgerkrieg

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Arbeiterinnen und die Widersprüche im heutigen China

Verteidigt China gegen Imperialismus und Konterrevolution!

Für proletarisch-politische Revolution!

(Frauen und Revolution)

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Gérard Le Méteil, 1959–2007

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Korrektur