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Spartakist Nummer 222

Herbst 2018

Ligue trotskyste/Trotskyist League in Québec und Kanada

Wir erheben das Banner des Leninismus!

Für Québecs Unabhängigkeit und Sozialismus!

Nachstehender Artikel erschien zuerst in République ouvrière Nr. 2 (Frühjahr/Sommer 2018) und danach leicht redigiert in Workers Tribune Nr. 1 (Sommer/Herbst 2018), woraus wir ihn übersetzt haben. Dokumente und Anträge rund um diesen Artikel sind in Workers Tribune abgedruckt.

Nachdem im letzten Sommer erstmals République ouvrière erschien, bringt jetzt die Trotskyist League in Québec und Kanada eine neue englischsprachige Publikation heraus, Workers Tribune. Diese zwei Zeitungen sind das direkte Ergebnis unseres internationalen Kampfes gegen eine langjährige Pervertierung des Leninismus in der nationalen Frage, was bestimmte Aspekte des revolutionären Programms der Internationalen Kommunistischen Liga unterminierte (siehe Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 31, Herbst 2017). Diese Pervertierung zeigte sich besonders deutlich in Kanada, einem Land, dessen bestimmendes Merkmal die Unterdrückung einer Nation durch eine andere ist und wo unsere in Englisch-Kanada aufgebaute Sektion schon seit langer Zeit vor dem Chauvinismus ihrer eigenen Bourgeoisie gegenüber den Québécois kapituliert hatte.

Wir haben grundlegend mit dieser Politik gebrochen und damit die Grundlage geschaffen für den Aufbau einer wirklich leninistischen Partei, die den Kampf gegen nationale Unterdrückung ins Zentrum ihres Programms stellt. Eine solche Perspektive war von keiner der Gruppen, die in Kanada den Anspruch erheben, marxistisch zu sein, jemals richtig umgesetzt worden. Die Geschichte der kanadischen Linken ist übersät mit den Trümmern von Organisationen, die an der Klippe der nationalen Frage zerschellten. Wir wollen aus der Vergangenheit lernen und die Lehren der Russischen Revolution vom Oktober 1917 richtig anwenden auf die Situation in Québec und Kanada. Unsere zwei Zeitungen werden dafür unser Werkzeug sein, und durch sie verfolgen wir das Ziel, unser revolutionäres Programm in der Realität anzuwenden. In dieser Ausgabe von WT drucken wir einige Schlüsseldokumente unseres internen Kampfes ab, zur Veröffentlichung redigiert, um den Prozess zu zeigen, den wir durchgemacht haben, um unsere marxistische Kontinuität in der nationalen Frage zurückzugewinnen.

Die Herausgabe von zwei eigenständigen Zeitungen, die eine für das englischsprachige Kanada und die andere für Québec, ergibt sich aus unserem Verständnis, dass die leninistische Avantgarde in der Unterdrückernation und der unterdrückten Nation jeweils bestimmte Aufgaben hat. Québec wurde 1759/60 vom britischen Empire gewaltsam erobert und militärisch besetzt. Die Unterdrückung der französischen Kanadier als einer nationalen Minderheit wurde später durch die blutige Niederschlagung der demokratischen Revolution der Patrioten 1837/38 zementiert. Das Blut der Patrioten und die Unterdrückung der französischsprachigen Bevölkerung sind die Elemente, mit denen der moderne kanadische Staat errichtet wurde. Von diesem Verständnis muss jede revolutionäre Perspektive in diesem reaktionären Staat ausgehen, der zusammengehalten wird durch die Unterdrückung von Québec und durch die britische Monarchie.

Unsere zwei Zeitungen repräsentieren unsere Perspektive vom Aufbau zweier eigenständiger Parteien in zwei getrennten Staaten. Solange es noch kein unabhängiges Québec gibt, ist unsere gegenwärtige Aufgabe der Aufbau einer binationalen revolutionären Partei, die für die nationale Befreiung Québecs und für den Sozialismus kämpft. Der Aufbau einer solchen Partei ist ein integraler Bestandteil des Kampfes der IKL für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale. Die kommunistische Bewegung ist laut Definition internationalistisch, und es ist wichtig, dass das Proletariat eine internationale Partei hat, die die Arbeiter über nationale Spaltungen hinweg vereint und die miteinander verbundenen Kämpfe der Arbeiter aller Länder koordiniert.

Für eine Arbeiterrepublik Québec!

Den Namen République ouvrière (Arbeiterrepublik) haben wir übernommen von der Zeitung des berühmten irischen Revolutionärs James Connolly, weil unsere Zeitung die Stimme des Leninismus in Québec sein soll. Die Unabhängigkeit Québecs ist eine gerechte Sache, die wir ohne Vorbedingung unterstützen, sei es unter dem Kapitalismus oder in einem Arbeiterstaat. Wie der links-nationalistische Intellektuelle Pierre Falardeau in einem Interview sagte:

„Freiheit hat einen Wert an sich, die Frauenbefreiung dient nicht irgendeinem Zweck, sie ist positiv an sich. Das gilt ebenso für die Freiheit von Völkern, wir sollten da nicht… Für mich ist jemand, der da Vorbedingungen stellt, nicht fortschrittlich, sondern ein Arschloch.“

Anders als die Nationalisten denken wir nicht, dass das Proletariat und die Bourgeoisie einer bestimmten Nation gemeinsame Interessen haben, und unser Ziel ist es, den Kampf gegen nationale Unterdrückung entlang von Klassenlinien zu führen. Seit den 1970er-Jahren hat das Proletariat von Québec harte Kämpfe geführt, die von der Gewerkschaftsbürokratie andauernd in die Unterstützung für die Parti Québécois [PQ] umgemünzt wurden. Die Interessen der Arbeiter Québecs sind denen der Parteien der Bourgeoisie von Québec direkt entgegengesetzt, ob es die PQ ist, die Liberale Partei oder die rechte Coalition Avenir Québec. Auf den Seiten von RO werden wir einen erbitterten Kampf darum führen, die Ketten zu zerbrechen, die die Arbeiter weiterhin an die nationalistische Bourgeoisie binden und in unzählige Niederlagen geführt haben.

Im Gegensatz zu den meisten Linken in Québec wissen wir, dass von den Populisten der Québec Solidaire nichts Gutes zu erwarten ist. QS ist kein „kleineres“ Übel im Vergleich zu den Parteien der Bourgeoisie und teilt grundlegend das gleiche Programm, sie will nur das verrottende kapitalistische System mit ein bisschen Kosmetik übertünchen. Wir müssen aufzeigen, was für eine Sackgasse QS samt ihrer pseudomarxistischen Wasserträger ist. Québécois-Arbeiter können in einem „linken“ kapitalistischen Québec nicht wirklich frei sein. Nötig ist eine Republik, in der die Arbeiter die Macht haben. Diese Perspektive kommt in unserer Losung zum Ausdruck: Für Unabhängigkeit und Sozialismus!

Workers Tribune: marxistisch, englischsprachig, für die Verteidigung von Québec

Abgesehen von Spartacist, unserer internationalen Zeitung, war seit 1975 der Spartacist Canada (SC) die wichtigste Zeitung unserer Tendenz in Kanada. Damit war er ein wichtiges Bindeglied zur revolutionären Kontinuität in einer Reihe von entscheidenden Fragen für das internationale Proletariat. Mit seinem Kampf gegen die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR und für die Verteidigung der Errungenschaften der weiterhin existierenden deformierten Arbeiterstaaten (China, Kuba, Nordkorea, Vietnam und Laos) war SC einzigartig in Kanada. SC kämpfte gegen Illusionen in die sozialdemokratische NDP [Neue Demokratische Partei], deckte den Rassismus der kanadischen Bourgeoisie und ihre Heuchelei gegenüber Immigranten auf und prangerte ihre militärischen Interventionen in anderen Ländern an. Diesen Aspekt unseres Erbes verteidigen wir mit Stolz und wir erheben Anspruch auf ihn. Jedoch können wir nicht weiterhin eine Zeitung herausgeben, die während ihrer gesamten Existenz unfähig war, eine konsequent leninistische Herangehensweise zustande zu bringen in der strategischen Frage Kanadas: die nationale Frage von Québec. Bis 1995 kapitulierten wir in unseren Artikeln über Québec offen vor dem Chauvinismus der englischsprachigen Bourgeoisie und propagierten eine Position der Assimilierung, durch die wir die Unterdrückung Québecs verteidigten.

Schließlich übernahmen wir 1995 die Position für die Unabhängigkeit, nach einem Kampf, den Genosse Robertson, der Gründer unserer internationalen Tendenz, geführt hatte. Dieser Wechsel bedeutete zwar eine qualitative Verbesserung unseres Programms, aber die Schlussfolgerungen dieses Kampfes wurden nie wirklich umgesetzt und die Sektion hatte noch nicht endgültig Schluss gemacht mit ihrer anglo-chauvinistischen Herangehensweise. Außerdem ist Spartacist Canada kein geeigneter Name für eine Zeitung, deren Perspektive es ist, die Einheit Kanadas durch die Unabhängigkeit Québecs zu demontieren. Deshalb bringen wir ab jetzt Workers Tribune heraus, um mit dieser anglo-chauvinistischen Vergangenheit entscheidend zu brechen und den Leninismus zurückzugewinnen. Diese Zeitung geht von dem Grundsatz aus: „Eine Nation kann nicht frei werden und zugleich fortfahren, andre Nationen zu unterdrücken“ – ein Zitat aus einer Rede von Friedrich Engels 1847 gegen die Unterdrückung Polens, das wir in den Zeitungskopf von WT einbeziehen, worauf wir stolz sind.

Mit der Unantastbarkeit der kanadisch-chauvinistischen Einheit sichert sich die kanadische Bourgeoisie ihren ideologischen Einfluss auf die Arbeiter Englisch-Kanadas. Dieses Gift wird von den Sozialdemokraten der NDP und von der Gewerkschaftsbürokratie, die loyal zur Bourgeoisie sind, in die Arbeiterklasse hineingetragen. Das englisch-kanadische Proletariat muss um jeden Preis die Rechte von Québec verteidigen und für die Unabhängigkeit von Québec eintreten, wenn es politisch unabhängig von seiner eigenen Bourgeoisie werden will und einen erfolgreichen Kampf für seine eigene Befreiung führen will. Wie Lenin sagte:

„Das Proletariat der unterdrückenden Nationen kann sich mit den allgemeinen, schablonenhaften, von jedem Pazifisten wiederholten Phrasen gegen Annexionen und für die Gleichberechtigung der Nationen überhaupt nicht begnügen… Das Proletariat muss die Freiheit der politischen Abtrennung der von ,seiner‘ Nation unterdrückten Kolonien und Nationen fordern. Andernfalls wird der Internationalismus des Proletariats zu leeren Worten…“ („Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, 1916)

Die Frage von Québecs nationaler Unterdrückung geht Hand in Hand mit der britischen Monarchie: das sind die beiden Elemente, die Kanada zu dem machen, was es heute ist, und ohne die es tatsächlich kaum einen Grund für seine Existenz gäbe. Das hält die reformistische Linke nicht davon ab, die Lüge eines „progressiven“ Kanadas wiederzukäuen und die Tatsache unter den Teppich zu kehren, dass der offizielle Titel des Staatsoberhaupts lautet: „Elisabeth die Zweite, von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreichs, Kanadas und ihrer weiteren Reiche und Hoheitsgebiete, Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens“ (loyal repräsentiert durch den Generalgouverneur). Wir sehen es als unsere Pflicht an, durch WT die reaktionäre Rolle der Institutionen der Monarchie deutlich zu machen, und werden unaufhörlich dafür arbeiten, die Kämpfe der Arbeiterklasse dahin zu führen, dass diese Relikte des Mittelalters abgeschafft werden. Die Macht der Monarchie ist alles andere als rein symbolisch, und sie hat ein ganzes Arsenal antidemokratischer Maßnahmen zu ihrer Verfügung. Insbesondere hat der Generalgouverneur die Macht, eine gewählte Regierung abzusetzen und das Parlament aufzulösen, und ebenso hat er die Macht, Notstandsmaßnahmen auszurufen, um demokratische Freiheiten auszusetzen. Auf diese Machtbefugnisse griff man während der Krise im Oktober 1970 zurück, um die Arbeiterbewegung von Québec, die Unterstützer der Unabhängigkeit und die mutigen Aktivisten der Front de Libération du Québec zu unterdrücken. Nieder mit der Monarchie!

In WT werden wir auch die Lüge der Trudeau-Anhänger über Multikulturalismus entlarven, die besagt, das Land sei ein großartiges, angeblich offenes und integratives Mosaik, die aber tatsächlich darauf abzielt, Québec zu assimilieren und gleichzeitig die brutale Unterdrückung von Immigranten in diesem Land zu verschleiern. Die englischsprachigen bürgerlichen Medien versuchen ständig, die Bewegung für Québecs Unabhängigkeit und nationale Rechte als im Wesentlichen rassistisch hinzustellen. In unseren Zeitungen werden wir diese Hetze gegen Québec anprangern und gleichzeitig gegen die sehr reale rassistische Rückständigkeit ankämpfen, die in Québec und in Kanada wie in allen kapitalistischen Gesellschaften existiert. Mit unseren Artikeln werden wir uns an die Spitze des Kampfes stellen, die Arbeiterbewegung zur Verteidigung ethnischer Minderheiten zu mobilisieren. Volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!

So verkörpern Workers Tribune und République ouvrière die Vorstellung, dass Kommunisten als Volkstribun kämpfen müssen. Lenin führte aus,

„dass das Ideal eines Sozialdemokraten nicht der Sekretär einer Trade-Union, sondern der Volkstribun sein muss, der es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen, der es versteht, jede Kleinigkeit zu benutzen, um vor aller Welt seine sozialistischen Überzeugungen und seine demokratischen Forderungen darzulegen, um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen.“ („Was tun?“, 1902)

Der kanadische Kapitalismus beruht auf der brutalen Unterdrückung der gesamten Arbeiterklasse, ist aber auch gekennzeichnet durch die besondere Unterdrückung der Nation von Québec, der Ureinwohner, von Immigranten und Frauen. So wird unsere zwischenzeitliche Aufgabe, eine binationale Partei aufzubauen, Hand in Hand gehen mit der Aufgabe, eine Führung auszubilden, die zu 70 Prozent aus Québécois und Angehörigen unterdrückter Minderheiten besteht.

Der Kampf gegen Anglo-Chauvinismus

Der Grund dafür, dass wir unsere programmatischen Unzulänglichkeiten korrigieren konnten und jetzt die Basis dafür haben, eine binationale Organisation aufzubauen, ist der, dass wir zum ersten Mal in Québec präsent sind. Nach dem Studentenstreik 2012 rekrutierte die Trotskyist League eine Gruppe studentischer Aktivisten zum revolutionären Programm der IKL. Unsere Genossen in Montréal wurden zu unserem Programm mit den Defiziten in der nationalen Frage rekrutiert, aber ihnen wurde vorenthalten, was die Sektion vor unserer Linienänderung 1995 über Québec geschrieben hatte. Im Sommer und Herbst 2016 wurde die kanadische Sektion durch einen wichtigen internen Kampf erschüttert. Mit Unterstützung aus der Internationale sahen unsere Genossen aus Montréal zum ersten Mal einige in der Zeit vor 1995 geschriebene Artikel, insbesondere den Artikel „Bilingual Air Traffic Control Dispute Rocks Canada“ ([Streit um zweisprachige Luftverkehrskontrolle erschüttert Kanada], SC Nr. 8, September 1976). Dieser Artikel war innerhalb der IKL wohlbekannt und wurde lange Zeit als beispielhaft dafür angesehen, wie die nationale Frage von Québec behandelt werden sollte.

1976 hatten die englischsprachigen Fluglotsen und Piloten von CATCA und CALPA (Canadian Air Traffic Control Association und Canadian Air Line Pilots Association) zu einem Streik gegen die Einführung von Zweisprachigkeit in der Luftverkehrskommunikation aufgerufen. Die französischsprachigen Arbeiter (organisiert in der Association des Gens de l’Air) weigerten sich mitzustreiken und kämpften für Zweisprachigkeit bei der Luftverkehrskontrolle. Damit stellten sich zwei Fragen: die Frage der Sicherheit und die Frage der sprachlichen Unterdrückung französischsprachiger Menschen. Der Kampf für das Recht, bei der Arbeit Französisch zu sprechen, war eine der Triebkräfte der Révolution tranquille [Stille Revolution, in den 1960er-Jahren], und es ist ein elementares Recht von Fluglotsen, mit Kollegen Französisch zu sprechen (außerhalb von Kommunikation im Luftverkehr). Aber in diesem speziellen Fall berührte dieser berechtigte Kampf auch eine Frage der Sicherheit, denn es ist in der Tat sicherer und rationaler, bei der Luftverkehrskontrolle nur eine Sprache zu haben. Statt dieses Problem so zu erklären, dass wir von unserer Opposition gegen nationale Unterdrückung ausgehen, kam in dem Artikel die völlige Verachtung für die sprachlichen Bestrebungen der Québécois zum Ausdruck und eine Kapitulation vor dem Anglochauvinismus:

„Die Forderung der Québec-Nationalisten nach französischer Einsprachigkeit in Québec zeigt ihre Bereitwilligkeit, den Kampf gegen die Unterdrückung der französischsprachigen Bevölkerung in ganz Kanada zu opfern für das ,Recht‘, in einer einzigen Provinz die französische Sprache durchzusetzen. Diese Position hat zutiefst reaktionäre Konsequenzen, weil dadurch tatsächlich Québec zu einem sprachlichen Ghetto wird und der französischsprachigen Bevölkerung in dieser Provinz jeglicher Zugang zum Englischen, der vorherrschenden Sprache in Nordamerikas politischer Ökonomie, vorenthalten wird.“

Nach der Lektüre dieses Artikels waren die Québecois-Genossen empört und schrieben ein Dokument, das den Anglo-Chauvinismus darin anprangerte, sie verteidigten aber auch die Zweisprachigkeit in der Luftverkehrskontrolle. Auch wenn sie in der zentralen Frage, der völligen Unsensibilität in der nationalen Frage, Recht hatten, machten sie keinen Unterschied zwischen der Frage der Sprache und der Frage von Sicherheit. Die internationalen Genossen Coelho und Robertson erkannten den Chauvinismus im Artikel und konnten die Genossen von der Notwendigkeit einer Sprache zur Kontrolle des Luftverkehrs überzeugen. Das Zusammentreffen beider Faktoren und auch die Unterstützung durch einige englischsprachige Kader ermöglichten es uns, die Grundlage zur Wiederschmiedung einer wirklich binationalen Sektion in Québec und Kanada zu schaffen. Diese prinzipienfeste Fusion war der Hebel dafür, den Kampf über die nationale Frage später in die ganze Internationale zu tragen.

Ein großer Streitpunkt war, dass die IKL, selbst wenn sie vor 1995 nicht für die Unabhängigkeit eingetreten war, dennoch immer das Recht Québecs auf Selbstbestimmung verteidigt hätte, eine Auffassung, die von vielen langjährigen Kadern der Internationale verteidigt wurde. In Wirklichkeit waren wir zu jedem wichtigen Zeitpunkt gegen die Ausübung dieses Rechts. Das erste Mal hatte sich Genosse Robertson 1976 dafür ausgesprochen, dass es notwendig ist, für die Unabhängigkeit Québecs einzutreten, aber dies wurde vom Rest der internationalen Führung einstimmig abgelehnt. 1977 veröffentlichten wir die Schlussfolgerungen aus dieser Diskussion und bekräftigten unsere Linie gegen Unabhängigkeit. Als sich dann bei dem Referendum 1980 [über Québecs Unabhängigkeit] die Frage konkret stellte, rief die Trotskyist League zu einem Boykott auf. Für Marxisten ist ein Boykott eine aktive Taktik, die darauf abzielt, das Ergebnis der Abstimmung in Frage zu stellen. 1907 erklärte Lenin:

„… der Boykott ist das entschiedenste Kampfmittel, das nicht gegen die Organisationsformen der betreffenden Institution, sondern gegen deren Bestehen selbst gerichtet ist. Der Boykott ist eine direkte Kriegserklärung an die alte Macht, ein direkter Angriff auf sie.“ („Gegen den Boykott“)

Unsere damalige Linie bedeutete, dass wir nicht nur die fortgesetzte Unterdrückung Québecs innerhalb von Kanada verteidigten, sondern dass wir auch zur Mobilisierung der anglo-kanadischen Arbeiterklasse aufriefen, sich hinter ihre eigene Bourgeoisie zu stellen, um das Québec-Referendum zum Scheitern zu bringen. Die Trotskyist League verteidigte die Selbstbestimmung genauso wenig wie Trudeau. Seit der Eroberung von Québec war die einzig prinzipienfeste Position für Revolutionäre, zur Unabhängigkeit von Québec aufzurufen. Bei dem Referendum von 1980 war es unbedingt notwendig, zur Stimmabgabe für „Ja“ aufzurufen.

Diese Weigerung, das Recht der Nation Québec auf ihre Existenz zu verteidigen, drückte sich sehr klar in unseren früheren Artikeln zur Sprachenfrage aus, wo wir uns vehement gegen das Gesetz 101 stellten. Durch die Verteidigung der „Zweisprachigkeit“ in SC verteidigten wir in Wirklichkeit die Bevorzugung der englischen Sprache und akzeptierten wir die Unvermeidbarkeit von Zwangsassimilierung der Québécois. Diese politische Position blieb, auch nachdem wir 1995 unsere Linie zugunsten der Unabhängigkeit geändert hatten, dennoch unangetastet; erst im Laufe unseres internationalen Kampfes haben wir mit diesem Programm entscheidend gebrochen.

In den Augen der englischsprachigen herrschenden Klasse ist Französisch immer eine Gossensprache gewesen. Lange Zeit kam es nicht in Frage, in der Regierung oder im Geschäftsleben Französisch zu sprechen. Es galt: „Sprich wie die Weißen!“ Die englischsprachige Elite verfolgte gegenüber Québec ausdrücklich eine Politik der Assimilierung und versuchte den relativen Anteil der französischsprachigen Bevölkerung durch einen Zustrom von Immigranten zu reduzieren, die als Englischsprachige integriert werden sollten. Bei einer Minderheit von Französischsprachigen: keine Gefahr der Abtrennung. Das von der Regierung Québecs angenommene Gesetz 101 sieht vor, dass es bei einer französischsprachigen Mehrheit bleibt, allerdings weiterhin im Rahmen der Kanadischen Konföderation. Als Leninisten wissen wir, dass die Gleichberechtigung von Sprachen einen Kampf gegen eine Bevorzugung der vorherrschenden Sprache erfordert.

Bis heute hat Englisch in Québec nie seinen Status als Sprache der Unterdrücker verloren. Also verteidigen wir das Gesetz 101 und wir sind dafür, dass Immigranten in Québec durch das Erlernen der französischen Sprache integriert werden, und fordern dabei kostenlosen Sprachunterricht von hoher Qualität. Trotzdem ist das Gesetz 101 nur ein unvollständiger Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung. Die einzige brauchbare Lösung bleibt die Unabhängigkeit.

Wir erobern unsere leninistische Kontinuität zurück

Québec ist ein Tropfen französischsprachigen Wassers in einem englischsprachigen Meer. Doch die Arbeiterklasse von Québec ist eine der kämpferischsten auf dem gesamten Kontinent. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt in den USA bei etwa 10 Prozent und in Englisch-Kanada bei knapp 30 Prozent – in Québec sind es fast 40 Prozent. Die Geschichte des Klassenkampfs zeigt, dass Québec sehr wohl das schwache Glied des Kapitalismus in Nordamerika sein könnte. Doch ohne eine Avantgardepartei kann das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse nicht wirksam genutzt werden. Der Kampf der IKL gegen die chauvinistische Hydra sowie die Herausgabe unserer neuen Zeitungen legen die programmatische Basis für den Aufbau einer solchen revolutionären Partei sowohl in Québec als auch in Kanada. Die Aufgaben, vor denen wir mit unseren bescheidenen Kräften stehen, sind enorm. Wir müssen die Arbeit in Angriff nehmen, die in den 40 Jahren, in denen unsere Sektion besteht, schon längst hätte geleistet werden müssen, nämlich die marxistischen Grundsätze in wesentlichen Fragen wie Arbeiterpartei, Frauenunterdrückung und Charakter des kanadischen Staates zu studieren und auf Québec anzuwenden.

Die erste Ausgabe der Iskra (1900) brachte klar zum Ausdruck, warum Lenins Gruppe existierte: warum eine gefestigte marxistische Partei aus Berufsrevolutionären notwendig ist, die sich von revisionistischen und reformistischen Vorstellungen abgrenzt, besonders von dem damals weit verbreiteten Ökonomismus. Die erste Ausgabe des Militant (1928) kam heraus mit einer politisch scharfen Verteidigung des Programms von Trotzkis Linker Opposition, gegen Opportunismus und stalinistischen Bürokratismus und für eine leninistische Partei. Praktisch die gesamte erste Ausgabe des [englischsprachigen] Spartacist (1964) beinhaltete eine Verteidigung des Marxismus gegen die schnell degenerierende Socialist Workers Party in den USA, deren Führung uns gerade ausgeschlossen hatte wegen unseres prinzipienfesten Kampfes, am leninistischen Programm festzuhalten, und zwar in der Frage von Kuba, der Schwarzenfrage und, ganz grundsätzlich, der Notwendigkeit einer authentisch trotzkistischen Führung. Bei jeder dieser Zeitungen ging es um die Verpflichtung, die Kontinuität des echten Marxismus zu verteidigen.

Auf dieses Erbe berufen wir uns mit RO und WT. Jedoch wurde in RO Nr. 1 der Tatsache, dass hier unsere neue Zeitung erscheint, eine geringere Bedeutung beigemessen als anderen Artikeln – die an sich programmatisch korrekt waren –, weil wir diese damals für relevanter hielten. Diese Entscheidung zeigte, dass wir die zentrale Bedeutung einer leninistischen Avantgardepartei nicht richtig verstanden hatten: Für Marxisten in Kanada gibt es nichts Wichtigeres als die Herausgabe französischsprachiger trotzkistischer Publikationen, mit denen wir dafür kämpfen, den Kampf für die nationale Befreiung Québecs zu einer treibenden Kraft der Arbeiterrevolution zu machen. Mit der zweiten Ausgabe von RO und jetzt mit der Erstausgabe von WT haben wir diesen Fehler korrigiert. Wie unsere Vorgänger stellen wir uns die Aufgabe, auf Basis unseres Programms einen Kern von Kadern zusammenzuschweißen, die der nationalen Befreiung, der sozialistischen Revolution und dem Kampf zur Wiederschmiedung der Vierten Internationale verpflichtet sind.

 

Spartakist Nr. 222

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