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Spartakist Nummer 215 |
Winter 2016/2017 |
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Fidel Castro 1926-2016
Verteidigt die Errungenschaften der Kubanischen Revolution!
Für proletarisch-politische Revolution gegen die stalinistische Bürokratie!
Folgender Artikel erschien zuerst in Workers Vanguard, Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S. (Nr. 1101, 2. Dezember).
Fidel Castro überlebte Hunderte von Attentatsversuchen der USA und ihrer konterrevolutionären Gusanos (Würmer); nun starb der historische Führer der Kubanischen Revolution am 25. November im Alter von 90 Jahren im Bett. Kubanische Reaktionäre auf den Straßen Miamis feierten seinen Tod, und der designierte Präsident Donald Trump bezeichnete Castro als „brutalen Diktator“, dessen Vermächtnis „die Verweigerung von fundamentalen Menschenrechten“ beinhalte. Dies von einem Mann, der demnächst Geschäftsführer des US-Imperialismus sein wird, der Dutzende Gefangene in seinen Folterkammern von Guantánamo Bay, einem wichtigen US-Militärstützpunkt auf einem von Kuba gestohlenen Landstrich, festhält.
Seit dem Tag, an dem die Regierung Fidel Castros 1960 die Kapitalistenklasse in Kuba enteignete und einen bürokratisch deformierten Arbeiterstaat errichtete, arbeitet die herrschende Klasse der USA ohne Unterlass daran, die Kubanische Revolution zu stürzen und die Diktatur der Bourgeoisie in diesem Land wiederherzustellen. Diese Angriffe beinhalteten die Playa-Girón(Schweinebucht)-Invasion von 1961 unter dem demokratischen Präsidenten John F. Kennedy, die finanzielle Unterstützung konterrevolutionärer Terroristen in Miami und auf der Insel selbst wie auch das Wirtschafts-Hungerembargo.
Die Abschaffung kapitalistischer Klassenherrschaft in Kuba führte zu enormen Errungenschaften für die arbeitende Bevölkerung. Mit Hilfe der Sowjetunion wurde eine zentralisierte Planwirtschaft aufgebaut, die Arbeitsplätze, Wohnungen, Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung und Ausbildung garantierte. Die Revolution kam vor allem Frauen und Schwarzen zugute, weil sie Rassen- und Geschlechterbarrieren niederriss. Trotz eines jahrzehntelangen US-Embargos ist Kubas Gesundheitssystem, in dem auch Abtreibung kostenlos erhältlich ist, noch immer das Beste von allen wirtschaftlich unterentwickelten Ländern. Die Kindersterblichkeit ist niedriger als in den USA. Kuba hat mehr Ärzte und Lehrer pro Kopf als so ziemlich jedes andere Land, und kubanische Ärzte haben vielen anderen Ländern medizinische Hilfe zukommen lassen (zum Beispiel wurden Hunderte Ärzte entsendet, um bei dem Ebola-Ausbruch von 2014 in Westafrika zu helfen).
Die konterrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 hatte verheerende Folgen für Kuba. Die kubanische Wirtschaft wurde von der UdSSR kräftig subventioniert; in den 1980er-Jahren machte das bis zu 36 Prozent des kubanischen Nationaleinkommens aus. Bis 1993 war dann die Wirtschaftsleistung pro Kopf um 40 Prozent gefallen, was Stromausfälle, Mangel an Waren des täglichen Bedarfs und eine straffe Nahrungsmittelrationierung zur Folge hatte. Als Reaktion darauf führte die Regierung eine Reihe von „Marktreformen“ ein, die zu größerer Ungleichheit führten und Frauen und schwarze Kubaner am härtesten traf. Diese Ungleichheit besteht wegen des materiellen Mangels fort und wird durch die technologische Rückständigkeit und die nationale Isolation verstärkt und durch die Misswirtschaft der stalinistischen Bürokratie von Havanna verschlimmert.
Als Trotzkisten, die für die sozialistische Weltrevolution kämpfen, treten wir für die bedingungslose militärische Verteidigung des kubanischen deformierten Arbeiterstaats gegen imperialistischen Angriff und kapitalistische Konterrevolution ein – genauso wie bei den anderen verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten China, Nordkorea, Vietnam und Laos. Gleichzeitig sind wir politische Gegner des Machtmissbrauchs und der Misswirtschaft der stalinistischen Bürokratie – einer parasitären Schicht, die auf den proletarischen Eigentumsformen thront –, deren nationalistisches Dogma vom „Sozialismus in einem Land“ und der dazugehörenden Ideologie der „friedlichen Koexistenz“ mit dem Weltimperialismus Hindernisse für die Verteidigung der Arbeiterstaaten sind. Der Kampf zur Verteidigung und Ausweitung der Kubanischen Revolution erfordert eine weitere Revolution, eine proletarisch-politische Revolution, um die herrschende Castro-Bürokratie hinwegzufegen und ein Regime auf der Grundlage von Arbeiterdemokratie und revolutionärem Internationalismus zu errichten.
Wir sind Gegner des US-Embargos – das gelockert wurde, aber dennoch weiter besteht – und fordern die sofortige Rückgabe von Guantánamo Bay an Kuba. Wir verteidigen Kubas Recht auf Handel und diplomatische Beziehungen mit kapitalistischen Staaten, auch mit den USA. Die Zunahme privater Kleinbetriebe und geschäftlicher und finanzieller Verbindungen mit den USA und anderen Imperialisten läuft zwar nicht an sich auf eine schleichende Restauration des Kapitalismus hinaus, aber sie birgt die Gefahr der Unterminierung der Kollektivwirtschaft in sich. Dies stärkt auch konterrevolutionäre Kräfte im Inneren, die zweifellos aus der jüngst eröffneten US-Botschaft in Havanna heraus agieren werden.
Fidel Castro war für viele eine überlebensgroße Gestalt, ein David, der dem amerikanischen Goliath die Stirn bot. Als er seine Stimme gegen den amerikanischen Rassismus erhob, wurde er während der Bürgerrechtsbewegung und danach von vielen schwarzen Aktivisten bewundert. Als er 1960 New York besuchte, um vor den Vereinten Nationen zu sprechen, legte er Wert darauf, im Hotel Theresa in Harlem abzusteigen. Eine Reihe schwarzer Aktivisten fand in Kuba Zuflucht, darunter Robert F. Williams, der aus den USA vertrieben wurde, weil er für die bewaffnete Selbstverteidigung der Schwarzen eintrat. Er konnte 1961 nach Kuba entkommen, wo er „Radio Free Dixie“ ausstrahlte, bis es geschlossen wurde, nachdem es zu politischen Differenzen zwischen Williams und dem Castro-Regime gekommen war. Bis heute lebt die schwarze Aktivistin Assata Shakur in Kuba, sie konnte dem Zugriff der US-Behörden entkommen, die aber immer noch hinter ihr her sind. Viele Menschen im südlichen Afrika erinnern sich an die Rolle, die Kuba im Anti-Apartheid-Kampf spielte, zum Beispiel an die mutigen kubanischen Soldaten, die in den 1970er- und 80er-Jahren mit Unterstützung der Sowjets in Angola gegen die von der CIA unterstützten Kräfte und Invasionstruppen von Apartheid-Südafrika kämpften.
All das und mehr haben wir nicht vergessen. Doch wir wissen auch, dass das kubanische Regime unter der Führung Fidel Castros und seit 2006 unter der Federführung seines Bruders, Präsident Raúl Castro, im Grunde nationalistisch ist und eine internationale proletarische Revolution ablehnt. Immer wieder ermahnte das Castro-Regime linksgerichtete Aufständische in Lateinamerika, nicht den „kubanischen Weg“ einzuschlagen – d. h. nicht die kapitalistische Herrschaft zu stürzen. Als 1979 die nicaraguanischen Massen die Somoza-Diktatur zerschlugen, riet Fidel Castro der Sandinista-Regierung, „die anfänglichen Fehler zu vermeiden, die wir in Kuba gemacht haben: die politische Ablehnung durch den Westen, voreilige Frontalangriffe auf die Bourgeoisie, wirtschaftliche Isolierung“. In ihrem eigenen Land verhielt sich die kubanische Regierung freundlich gegenüber der wachsenden Macht der reaktionären katholischen Kirche, indem sie zum Beispiel 1998 Karol Wojtyla (Johannes Paul II.), dem Papst der Konterrevolution, einen herzlichen Empfang bereitete und ebenso jüngst dem gegenwärtigen Papst, der bei den Verhandlungen zwischen dem Regime und der Obama-Regierung eine Schlüsselrolle spielte.
Wir haben die heroischen Schlachten, die kubanische Truppen in Angola geschlagen haben, nicht vergessen, dennoch wissen wir, dass der Sturz kapitalistischer Herrschaft in Afrika nie das Ziel der kubanischen und sowjetischen Stalinisten war. Diesem Krieg folgte 1989 die Hinrichtung des kubanischen Generals Arnaldo Ochoa Sánchez, eines Kriegshelden in Angola, nach einem von Castro inszenierten stalinistischen Schauprozess, der an die Moskauer Säuberungen der 1930er-Jahre erinnerte.
Die Ursprünge des
kubanischen deformierten Arbeiterstaats
Unter dem Diktator Fulgencio Batista war Kuba im Wesentlichen eine Filiale der amerikanischen Mafia und der United Fruit Company (ein Punkt, der im Film Der Pate: Teil II gut erfasst wird). Als Fidel Castros kleinbürgerliche Guerillakräfte der Bewegung des 26. Juli am Neujahrstag 1959 in Havanna einmarschierten, lösten sich die bürgerliche Armee und der Rest des kapitalistischen Staatsapparates, die Stützen der verhassten Batista-Diktatur, auf. Die ersten Maßnahmen der kleinbürgerlichen Castro-Regierung waren Verbot des Glücksspiels, Unterdrückung der Prostitution und Beschlagnahmung des Besitzes von Batista und seinen Kumpanen. Darauf folgten bescheidene Bodenreformen im Rahmen der bürgerlichen Verfassung von 1940.
Fidel Castros Kräfte hatten sich vorläufig der Bourgeoisie entfremdet und waren vom Proletariat unabhängig. Unter normalen Bedingungen wären diese Rebellen, einmal an der Macht, in die Fußstapfen ähnlicher Bewegungen in Lateinamerika getreten und hätten mit radikaldemokratischer Rhetorik um sich geworfen, um die bürgerliche Herrschaft erneut zu besiegeln. Da aber der kapitalistische Staatsapparat zerschlagen war und Kuba sich unter unerbittlichem Druck des feindseligen US-Imperialismus befand, verstaatlichte das Castro-Regime das kapitalistische US- und einheimische Eigentum und schuf einen deformierten Arbeiterstaat.
Die Existenz der Sowjetunion war für diese Entwicklung entscheidend, sie diente dem Castro-Regime nicht nur als Vorbild, sondern stellte, was noch wichtiger war, wirtschaftliche Unterstützung bereit sowie einen militärischen Schutzschild, der der etwa 150 Kilometer entfernten US-imperialistischen Bestie Einhalt gebot. Es war nur den außerordentlichen Umständen zu verdanken – die Arbeiterklasse trat nicht als eigenständiger Anwärter auf die Macht in Erscheinung, es existierte eine feindliche imperialistische Umzingelung, die nationale Bourgeoisie suchte das Weite und die Sowjetunion warf eine Rettungsleine –, dass Castros kleinbürgerliche Regierung die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zerschlug (siehe „Cuba and Marxist Theory“ [Kuba und marxistische Theorie], Marxist Bulletin Nr. 8).
Dieses trotzkistische Verständnis der Kubanischen Revolution war eine programmatische Schlüsselfrage bei der Gründung unserer Organisation als Revolutionäre Tendenz (RT) innerhalb der Socialist Workers Party (SWP) Anfang der 1960er-Jahre. Die SWP-Mehrheit bejubelte nach dem Sieg von Castros Rebellen 1959 die von Fidel Castro und Che Guevara geführten Kräfte und verglich das Castro-Regime fälschlicherweise mit der revolutionären bolschewistischen Regierung Lenins und Trotzkis, die aus der Oktoberrevolution 1917 in Russland hervorgegangen war. Diese politische Kapitulation der SWP ging Hand in Hand mit ihrer zunehmenden Preisgabe des Kampfes für Arbeiterrevolution in den USA.
In Wirklichkeit ähnelt das kubanische Regime qualitativ dem Regime, das in der Sowjetunion entstanden war, nachdem die stalinistische Bürokratie in einer 1923/24 beginnenden und in den folgenden Jahren sich verfestigenden politischen Konterrevolution der Arbeiterklasse die politische Macht entrissen hatte. Während sich die Kubanische Revolution entwickelte, behauptete und erwartete die SWP, dass bäuerlicher Guerillakrieg der Trend der Zukunft und das Mittel zum Sturz des Kapitalismus sein würde. Die RT bekräftigte in ihrem programmatischen Dokument „Vorwärts zur Wiedergeburt der Vierten Internationale, Resolutionsantrag über die Weltbewegung“, das der SWP-Konferenz 1963 vorgelegt wurde, ihre Gegenposition:
„Die Ereignisse seit dem Zweiten Weltkrieg haben bewiesen, dass ein Guerillakrieg mit bäuerlicher Basis und unter kleinbürgerlicher Führung bestenfalls ein antiproletarisches, bürokratisches Regime hervorbringen kann. Solche Regime entstanden unter den Bedingungen des Niedergangs des Imperialismus, der Demoralisierung und Desorientierung durch den wiederholten Verrat der Stalinisten und des Fehlens einer revolutionär-marxistischen Führung der Arbeiterklasse. Die koloniale Revolution bekommt erst unter einer solchen Führung des revolutionären Proletariats einen eindeutig progressiven Charakter. Wenn Trotzkisten also Revisionismus in Bezug auf die proletarische Führung der Revolution in ihre Strategie einführen, dann ist das eine fundamentale Leugnung des Marxismus-Leninismus, egal wie viele noch so fromme Wünsche dabei über den ,Aufbau revolutionär-marxistischer Parteien in Kolonialländern‘ geäußert werden. Marxisten müssen sich der abenteuerlichen Bejahung des bäuerlichen Guerilla-Wegs zum Sozialismus – historisch verwandt mit dem von Lenin bekämpften taktischen Programm der Sozialrevolutionäre – entschlossen entgegenstellen. Diese Alternative wäre selbstmörderisch für die sozialistischen Ziele der Bewegung und unter Umständen auch für die Abenteurer selbst.“ (aus neuer Übersetzung in Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 24, Sommer 2004)
In Kuba existierten unter Castro nie demokratische Organe der Arbeiterherrschaft – Sowjets (Arbeiterräte) –, aber da sich die herrschende Bürokratie in den ersten Monaten und Jahren nach der Machtübernahme 1959 erst im Prozess ihrer Herausbildung befand, war Kuba anfangs offen für die Intervention von Trotzkisten. Das war eine kurzlebige Öffnung, aber sie musste ausgelotet werden. Die RT gab daher dem Programm der politischen Revolution für Kuba eine Übergangsformulierung und forderte: „Macht die Regierungsminister verantwortlich gegenüber und abwählbar von den demokratischen Organisationen der Arbeiter und Bauern.“ Doch wenig später festigte die Bürokratie ihre Herrschaft über die arbeitenden Massen.
Ein Beispiel dafür war die Unterdrückung der kubanischen trotzkistischen Organisation, der Revolutionären Arbeiterpartei (POR, Ableger einer von Juan Posadas geführten internationalen Tendenz). Im Mai 1961 beschlagnahmte die Regierung in Havanna die POR-Zeitung und zertrümmerte die Druckplatten für eine Ausgabe von Trotzkis Die permanente Revolution. Führende Mitglieder der POR wurden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Trotz unserer politischen Differenzen mit der POR verteidigten wir sie energisch gegen stalinistische Repression (siehe: „Freedom for Cuban Trotskyists!“ [Freiheit für kubanische Trotzkisten!], Spartacist, englische Ausgabe Nr. 3, Januar/Februar 1965).
Heute nach Castros Tod verschärfen viele „demokratische“ imperialistische Führer ihre Anprangerung der Repression in Kuba und fordern verstärkt „freie Wahlen“. Letzteres, d. h. parlamentarische Demokratie, ist nichts anderes als ein Aufruf zur „demokratischen“ Konterrevolution: die Machtübernahme durch die Kräfte der kapitalistischen Restauration mittels Wahlen. Das steht in scharfem Gegensatz zur Sowjetdemokratie, an der die von den Arbeitern und ihrem kleinbürgerlichen Verbündeten gewählten Parteien mitwirken, die für die sozialistische Ordnung eintreten und sie verteidigen. Wir verteidigen die Inhaftierung aktiver Kollaborateure des US-Imperialismus durch das Regime in Havanna. Gleichzeitig verurteilen wir die Repression gegen Kritiker oder politische Gegner, die nicht aktiv für die Konterrevolution arbeiten.
Die Kubanische Revolution steht trotz ihrer vielen Errungenschaften und ihres fast 60-jährigen Überlebens weiterhin im Fadenkreuz der imperialistischen Weltordnung. Ziel der USA und anderer Imperialisten ist nichts Geringeres als die Wiederversklavung der Insel und ihrer Einwohner und ihre Umwandlung in eine Neokolonie, aus Armut, Rassen- und Frauenunterdrückung und brutaler Ausbeutung.
Revolutionäre in den USA, dem Bollwerk des Weltimperialismus, haben eine besondere Pflicht, Kuba gegen die kapitalistische Restauration und den US-Imperialismus zu verteidigen. Der isolierte kubanische deformierte Arbeiterstaat wird dem ungeheuren wirtschaftlichen und militärischen Druck, den die USA und der kapitalistische Weltmarkt ausüben, nicht ewig standhalten können. Eine wirkliche Verteidigung der Kubanischen Revolution erfordert eine revolutionäre internationalistische Perspektive, die den Kampf gegen stalinistische politische Misswirtschaft mit dem Kampf zur Zerstörung des US-Imperialismus von innen heraus durch eine sozialistische Revolution verbindet. Die entscheidende Voraussetzung für den Sieg ist der Aufbau revolutionärer Arbeiterparteien als Sektionen einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale, die Trotzki als seine eigene anerkennen würde.
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