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Spartakist Nummer 211

Winter 2015/16

Nach Anschlägen in Frankreich: Nieder mit antimuslimischer Repression!

Imperialisten raus aus dem Nahen Osten!

Die Anschläge vom 13. November in Paris, für die der Islamische Staat (IS) die Verantwortung übernommen hat, waren ein krimineller Akt wahllosen Terrors, bei dem 130 unschuldige Zivilisten ermordet wurden. Die kapitalistischen Herrscher benutzen die Abscheu vor solchen Anschlägen dazu, nationale Einheit und Chauvinismus zu verstärken und so die arbeitenden Massen noch mehr an ihre Ausbeuter und Unterdrücker zu binden. Genau wie nach den Anschlägen vom 11. September benutzen die Imperialisten diese Gräueltat dazu, um für mehr Kriege im Ausland und für mehr staatliche Repression im eigenen Land zu trommeln.

Die staatliche Repression trifft zuallererst Muslime, die alle für die Verbrechen reaktionärer Fanatiker verantwortlich gemacht werden. Doch letztendlich zielt diese Repression auf das Proletariat ab, die einzige Klasse, die sowohl die soziale Macht als auch das objektive Interesse besitzt, mit diesem barbarischen kapitalistischen System durch eine sozialistische Revolution Schluss zu machen. Für die arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt, nicht nur in Deutschland und Frankreich, ist es von entscheidender Bedeutung, sich jeglichem Versuch der herrschenden kapitalistischen Mächte zu widersetzen, solche Gräueltaten, wie sie sich in Paris abspielten, dazu zu benutzen, die repressiven Befugnisse des kapitalistischen Staates im eigenen Land auszubauen und noch mehr imperialistische Schlächtereien im Ausland zu begehen. Nach 9/11 führte die militärische Aggression der USA zur Invasion Afghanistans – unterstützt u. a. von Deutschland – und des Irak, zur Verwüstung der Region und zum Aufstieg mörderischer Gruppen wie IS. Zunehmende Luftangriffe im Nahen Osten werden die ständig steigende Opferzahl nur noch erhöhen. Die Namen, Gesichter und Geschichten dieser Opfer des imperialistischen Terrors erfährt man im Gegensatz zu denen der bei den Pariser Anschlägen Ermordeten fast niemals.

Am 4. Dezember stimmte der Bundestag mehrheitlich für den Einsatz von Aufklärungsflugzeugen (einschließlich Tankflugzeug) zur Unterstützung der von Frankreichs Präsident Hollande initiierten Anti-IS-Koalition, in deren Namen die Imperialisten Syrien mit ihrem Krieg überziehen. Deutschland beteiligt sich darüber hinaus mit der Entsendung eines Kriegsschiffes zum Schutz des französischen Flugzeugträgers Charles de Gaulle, von dem aus das französische Militär seine Bombardierungen gegen Syrien startet, sowie der Bereitstellung von Satellitendaten. Die Bundeswehr setzt 1200 Soldaten ein. Damit folgte die deutsche kapitalistische Regierung einer Aufforderung ihres Verbündeten Frankreich, stärkeres militärisches Engagement zu zeigen – ein durchaus willkommener Anlass für die deutsche Bourgeoisie, ihre Armee weiter aufzurüsten. Der bereits Anfang des Jahres beschlossene Einsatz der Bundeswehr in Mali wurde durchgesetzt und die seit September 2014 laufende Ausbildung und Ausrüstung der kurdischen Peschmerga im Irak verstärkt. Deutscher, französischer, britischer und US-Imperialismus: Raus aus dem Nahen Osten! Nieder mit den Waffenlieferungen des deutschen Imperialismus! Bundeswehr raus aus Afrika, dem Balkan, Afghanistan!

Um ein Auseinanderbrechen der EU zu verhindern, kam es für die deutsche Regierung nicht in Frage, Hollandes Bitte nach militärischem Beistand abzuschlagen. Ein Kommentator der bürgerlichen Zeit erklärt dazu:

„Im Jahr der großen Krisen hat der Zusammenhalt der EU von Mal zu Mal abgenommen. Bei der Ukraine hat man es noch einigermaßen hingekriegt, allerdings mit einem etwas hinterhertrottenden Frankreich und einem hochgradig genervten Italien.

In der Griechenland-Krise wäre es dann schon um ein Haar zur Kernspaltung gekommen, also zum Bruch zwischen den beiden Ländern, ohne die nichts geht: Deutschland und Frankreich.

Und seit nun Hunderttausende Flüchtlinge aus Arabien nach Norden aufbrechen, hat sich die europäische Solidarität fast völlig aufgelöst…

Und nun der Terror in Paris. Das wäre die eine Krise zu viel geworden, also musste Deutschland mit in diesen Krieg.“ („Die Stille vor dem Krieg“, Bernd Ulrich, 3. Dezember)

Die deutsche Bourgeoisie will unbedingt weiteren Schaden von der EU, die sie dominiert, abwenden. Die Spannungen in der EU wegen der drakonischen Spar- und Privatisierungsmaßnahmen, die den südeuropäischen Ländern mit Hilfe des Euro aufgezwungen wurden und besonders dem deutschen Imperialismus zu Gute kommen, erhöhen sich von Jahr zu Jahr. Tiefgehende Risse zeigen sich zwischen den Staaten der EU insbesondere wegen der Verteilung ankommender Flüchtlinge. Jetzt planen die EU-Herrscher die EU-Grenzschutztruppe Frontex aufzurüsten und ihr erweiterte Rechte zu geben, um die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen brutal zu stoppen. Der Grenztruppe soll erlaubt werden, auch gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten wie Griechenland und Italien zu handeln, was zusätzlichen Zündstoff an die EU legt. Die EU ist ein Zusammenschluss kapitalistischer Ausbeuter gegen die Arbeiter mit dem Zweck, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den imperialistischen Rivalen wie USA und Japan zu erlangen. Sie ist ein instabiles Gefüge, das früher oder später an den widersprüchlichen Interessen der einzelnen Nationalstaaten zerbrechen muss. Wir sind dafür, dass die Arbeiter Europas internationalen Klassenkampf aufnehmen, um die EU zu zerbrechen und die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas aufzubauen. Nieder mit der imperialistischen EU!

Die Entsendung von Bundeswehrtruppen als Teil der Anti-IS-Allianz ist Ausdruck der noch bestehenden pro-atlantischen Politik des deutschen Imperialismus. Außerdem zieht er so seine Lehre aus seiner Enthaltung beim Bombenterror gegen Libyen 2011, die ihn vom NATO-Bündnis zu sehr isolierte. Gleichzeitig versucht der deutsche Imperialismus zunehmend seine eigenen Interessen durchzusetzen, was durch seine verstärkte diplomatische Rolle in der Welt (auch vermittels der EU) deutlich wird, die der US-Imperialismus zunächst akzeptiert. Außenminister Steinmeier tat sich in den letzten Monaten hervor mit der Organisierung von Konferenzen (z. B. in Wien), um den syrischen Bürgerkrieg unter Kontrolle zu bringen, vor allem, damit weniger Flüchtlinge von dort aufbrechen. Er sieht sich in einer Vermittlerrolle zwischen Staaten, die Assad stürzen wollen (wie USA, Türkei, Saudi-Arabien) und Staaten, die Assad als ihren Verbündeten sehen (wie Russland und Iran). Der Versuch, Russland und Iran durch diplomatische Deals einzubinden, ist für die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals sehr wichtig. Deutschen Unternehmen sind beispielsweise im vergangenen Jahr durch die Sanktionen der EU gegen Russland Exporte im Wert von 6,5 Milliarden Euro durch die Lappen gegangen und die Stimmen der Kapitalisten mehren sich, die ein Ende der Sanktionen fordern. Der deutsche Imperialismus will sich politische Optionen Richtung Russland und auch China offen halten, sollte das atlantische Bündnis und die EU zerbrechen.

Nieder mit rassistischem Staatsterror und antimuslimischer Reaktion!

Seit den Anschlägen benutzt die französische Regierung diese als Vorwand, bürgerliche Freiheiten außer Kraft zu setzen, einschließlich der Verhängung des Ausnahmezustands, der um drei Monate verlängert wurde. Am härtesten wird davon die muslimische Minderheit getroffen, die der französische Staat mit seinem seit langem bestehenden Vigipirate-Programm, einer polizeilichen/militärischen „Anti-​Terror“-Mobilmachung, ohnehin schon im Visier hat. Muslimische Viertel wimmeln vor Bullen, die die Wohnungen der Leute durchsuchen. Öffentliche Orte können durch einfache Verwaltungsentscheidung gesperrt und jede Versammlung zu religiösen, sozialen, nationalen oder politischen Zwecken kann willkürlich verboten werden. Jede Person, die von der Polizei als „Bedrohung für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung“ angesehen wird, kann unter Hausarrest gestellt oder an einem von der Polizei festgelegten Ort interniert werden. Jetzt möchte Hollande das Recht ausweiten, Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft ihre französische Staatsangehörigkeit zu entziehen, wenn sie sich „der Verletzung wichtiger nationaler Interessen“ schuldig gemacht haben, eine so weit gefasste Beschreibung, dass sie potenziell auf jeden Gegner der Regierungspolitik zutreffen kann. Schon vor den Pariser Anschlägen wurde unter seinem Regime sechs Personen die Staatsbürgerschaft entzogen. Nach dem Verbot öffentlicher Demonstrationen wurde eine für den 19. November geplante Protestveranstaltung zur Verteidigung der bedrängten Air-France-Arbeiter abgesagt. Gleichzeitig ging ein Streik der Pariser Busfahrer am 18. November weiter, ein ermutigendes Zeichen, dass die Arbeiter nicht willens sind, eine neue Runde von Angriffen der Regierung und der Bosse einfach hinzunehmen.

Die deutsche Regierung hat direkt nach den Anschlägen die bereits Anfang des Jahres geplante Verlängerung ihrer Anti-Terror-Gesetze und die Einführung ihrer neuen Anti-​Terror-Spezial-Polizeitruppe durchgedrückt. In Berlin und anderen Städten ist es zu zahlreichen willkürlichen Hausdurchsuchungen, Razzien in Moscheen und Verhaftungen gekommen. Durch die dauerhafte Präsenz von bis an die Zähne bewaffneten Polizisten auf öffentlichen Plätzen soll die Hysterie über die angebliche Terrorgefahr befeuert und die Akzeptanz für Bürgerkriegsmanöver verstärkt werden. Polizei und Verfassungsschutz verdächtigen auch Flüchtlinge, für den IS gekämpft oder nur mit ihm in Verbindung gestanden zu haben. Bis Ende November sind vom Bundeskriminalamt in 20 Fällen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Ein Flüchtling ist als Terrorverdächtiger kurzzeitig verhaftet worden. Die Polizei nutzt aber auch jeden anderen Vorwand, wie einen Verdacht auf Waffenbesitz, um Flüchtlingsheime zu durchsuchen und die Bewohner zu drangsalieren und einzuschüchtern. Die Schikane der Behörden bekommen in Berlin tausende Flüchtlinge täglich zu spüren, die obdachlos und ohne wenigstens das Lebensnotwendigste, wie Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung, unter freiem Himmel auf ihre Registrierung beim Landesamt für Gesundheit und Soziales warten. Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben! Stoppt die rassistischen Abschiebungen! Schließung der Internierungslager!

Mitte Dezember ist Sven Lau, ein deutscher Prediger des Salafismus (eine reaktionäre, fundamentalistische Richtung des Islam), allein auf den Verdacht hin, dem IS geholfen zu haben, verhaftet worden. Während Hunderte sogenannte islamische „Gefährder“ bisher unter Beobachtung standen, nutzt der bürgerliche Staat die Gunst der Stunde, um härter gegen sie vorzugehen, ohne Beweise für tatsächliche Straftaten. Der Staat richtet sich damit potenziell gegen alle, die irgendwie in Opposition zu ihm stehen. Die bürgerlichen Gerichte nutzen die Paragrafen 129a/b (Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung), um Verurteilungen aufgrund der Gesinnung durchzupeitschen. Im August wurde so der linke kurdische Politiker Mehmed D. zu drei Jahren Haft verurteilt. Weg mit den Gesinnungsparagrafen 129a/b! Freiheit für Mehmed D.! Weg mit dem Verbot von PKK, kurdischen Vereinen und DHKP-C!

Arbeiter sollten sich klar sein: Die Knute, die der Staat jetzt angeblich zum Schutz vor dem „Islamismus“ gegen so viele vorwiegend junge Männer einsetzt, richtet sich morgen gegen alle Linke und übermorgen gegen die Arbeiterklasse als Ganzes. Wie Staatsterror gegen Linke funktioniert, konnte man in Leipzig sehen, als 2500 linke Demonstranten, die am 12. Dezember gegen Naziaufmärsche protestierten, brutal von der Polizei angegriffen und mehrere Demonstranten verletzt wurden. Mit einem Großaufgebot setzte die Polizei auch Wasserwerfer und Tränengasgranaten ein. Der SPD-Oberbürgermeister sprach daraufhin von „Straßenterror“ der Linken und diffamierte sie als Kriminelle. Die Staatsanwaltschaft hat sodann zahlreiche Verfahren wegen Landfriedensbruch gegen Linke eingeleitet. Bereits im September wurden linke Demonstranten, unter ihnen Gewerkschafter des ver.di-Bundeskongresses, in Leipzig angegriffen, die gegen rechte „Legida“-​Anhänger protestierten. Für mehrere Stunden wurden 200 Linke und Gewerkschafter von der Polizei festgehalten und drangsaliert. Sofortige Einstellung aller Verfahren gegen die linken Leipziger Demonstranten!

In ganz Europa wachsen Faschisten (wie beim Front National in Frankreich und Chrysi Avgi in Griechenland) und rassistische Bewegungen (wie Pegida) und rechtspopulistische Parteien (wie AfD), die von Faschisten durchsetzt sind, werden größer – Ergebnis der zunehmenden Armut in der Mittelschicht seit dem Beginn der Finanzkrise. Die Zahl der grausamen Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Die Verantwortung für den Zuwachs der Faschisten fällt besonders schwer zurück auf die bürgerlichen Arbeiterparteien wie die SP Hollandes in Frankreich und die SPD und die Linkspartei in Deutschland. Die Basis von Linkspartei und SPD ist die Arbeiterklasse, aber ihr Programm ist bürgerlich. Durch ihre Rolle als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus verlängert die Führung dieser Parteien dessen Existenz samt der mit ihm einhergehenden Kriege und Krisen.

SPD, Linkspartei und ihre linken Anhängsel verteidigen seit Jahren die imperialistische EU und verbreiten den Mythos, dass sie sozialer gemacht werden könne. Sie stehen nicht in Opposition zur EU und überlassen so den rechten Rattenfängern das Feld. Zudem schüren sozialdemokratische Führer tödliches Vertrauen in den bürgerlichen Staat bei ihrer Arbeiterbasis, z. B. durch Appelle, die Nazis zu verbieten. Das verhindert, dass Arbeiter zu dem Verständnis kommen, dass der bürgerliche Staat mit seiner Polizei, seinen Gerichten und Gefängnissen der militärische Arm zur Sicherung der Herrschaft der Kapitalisten ist und nicht in ein Instrument zur Sicherung der Interessen der Arbeiter verwandelt werden kann. Nötig ist eine proletarische Revolution, um ihn zu zerbrechen.

Die Faschisten auf der Straße sind nicht nur für Muslime und Flüchtlinge, sondern für alle arbeitenden Menschen eine tödliche Gefahr. Diese Gefahr unterstreicht, wie dringend notwendig es ist, dass die internationale Arbeiterklasse sich der antimuslimischen Hexenjagd und allen Versuchen zur Verschärfung bürgerlicher Repression entgegenstellt. Ein solcher Kampf ist unabdingbar für die Einheit und die Geschlossenheit der Arbeiterklasse, die sowohl in Frankreich als auch in Deutschland zu einem wichtigen Teil aus Arbeitern mit Immigrationshintergrund besteht. Für Arbeiter-/Immigrantenmobilisierungen, um die Nazis zu stoppen!

Für die Niederlage der Imperialisten durch Arbeiterrevolution

Anders als uns die bürgerlichen Medien weismachen wollen, hat der fundamentalistische Islam kein Monopol auf Terrorismus. Über 180 Menschen sind seit 1990 in Deutschland von Nazis ermordet worden. Der bürgerliche Staat ist tief verstrickt in die Terrormorde, die Faschisten des NSU an zahlreichen Immigranten verübt haben. Der Staat deckte die Morde und behindert bis heute ihre Aufklärung mit Zähnen und Klauen. In den USA wurden zahllose Sprengstoffattentate, Brandanschläge und Anschläge auf Abtreibungskliniken, darunter die Ermordung von elf Menschen seit Anfang der 1990er-Jahre, im Namen biblischer Vorschriften begangen. Aber in einem Land, in dem christliche Fundamentalisten über beträchtlichen politischen Einfluss verfügen, wird diese frauenfeindliche Gewalt selten als Terrorismus benannt.

An den Händen der Imperialisten klebt das Blut von Abermillionen Menschen auf der ganzen Welt. Die vielen grausamen Verbrechen von Gruppen wie dem IS, sei es in einer europäischen Großstadt oder weit öfter im Nahen Osten oder in Afrika, verblassen im Vergleich zu der täglichen und historischen Zerstörung, die die imperialistischen „Großmächte“ über die Massen der halbkolonialen Welt gebracht haben. Massaker wie das in Paris sind in den Straßen des Irak, Syriens und anderswo alltägliche Ereignisse – ausgeführt von den Imperialisten, örtlichen kapitalistischen Herrschern, islamischen Fanatikern und allerlei anderen reaktionären Kräften.

Die Schaffung von vornherein instabiler Staaten im Nahen Osten – wie Irak und Syrien – nach dem Zusammenbruch des türkisch dominierten Osmanischen Reichs am Ende des Ersten Weltkriegs war das Ergebnis der Aufteilung der Region, vor allem unter dem Sykes-Picot-Abkommen von 1916 zwischen Britannien und Frankreich. Wenn es ihren Interessen diente, zwangen die Imperialisten einander feindliche Bevölkerungsgruppen zusammen zu leben, oder trennten diejenigen voneinander, die zusammenleben wollten.

Die Existenz des IS heutzutage ist ein direktes Ergebnis der Politik der USA und anderer Imperialisten im Nahen Osten. Wie der amerikanische Journalist John Pilger bemerkte: „ISIS ist die Brut jener Leute in Washington, London und Paris, die mit ihrer Verschwörung zur Zerstörung des Irak, Syriens und Libyens ein unglaubliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben“ (counterpunch.org, 17. November). Die US-Invasion des Irak von 2003 pulverisierte diese Gesellschaft, tötete fast eine Million Menschen und entfachte einen brutalen Bürgerkrieg vor allem zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Seit 2011 nähren die USA, Frankreich und ihre regionalen Verbündeten – wie die Türkei, Saudi-Arabien und die Golfemirate – das Feuer des syrischen Bürgerkriegs, indem sie die sunnitische Mehrheit gegen die herrschende, vom Assad-Regime repräsentierte, alawitische Minderheit hetzen, auch durch direkte Finanzierung und Bewaffnung sunnitisch-fundamentalistischer Gruppen. Vor dem Hintergrund solcher vom Imperialismus geschaffener und geschürter Verwüstungen konnte der IS wachsen, er nährte sich vom Groll der Sunniten.

Die multiethnische Arbeiterklasse in Deutschland, ebenso wie die in Frankreich und in den anderen imperialistischen Zentren, muss für das Verständnis gewonnen werden, dass ihr Feind ihre „eigene“ herrschende Klasse ist und dass sie sich imperialistischer Aggression im Ausland entgegenstellen muss. Nicht der IS, Al-Qaida oder irgendeine andere reaktionäre islamische Kraft haben die Einkommensungleichheit in diesem Land verschärft. Es sind die deutschen kapitalistischen Herrscher, die die arbeitenden Menschen Deutschlands auspressen und ihre Lebensgrundlagen zerstören. Ebenso sind es die französischen kapitalistischen Herrscher, die das Proletariat und die Unterdrückten Frankreichs zugrunde richten. Muslimische Jugendliche haben in Europa so schlechte Zukunftsperspektiven, dass einige von ihnen in die Arme der islamischen Reaktion getrieben werden.

Jeder Sieg, den der Imperialismus im Ausland erringt, bedeutet mehr Elend für die arbeitenden Massen und Unterdrückten im eigenen Land. Umgekehrt ist jeder Rückschlag, den die imperialistischen Streitkräfte erleiden, im Interesse der internationalen Arbeiterklasse. Wir stehen im syrischen Bürgerkrieg, der auf allen Seiten reaktionär ist, auf keiner Seite. Aber wir beziehen Stellung gegen die eigenen, die französischen, US- und anderen Imperialisten. Während die Imperialisten ihren militärischen Kreuzzug gegen den IS intensivieren, bekräftigen wir unsere militärische Unterstützung für den IS, wenn er seine Angriffe gegen die Imperialisten und die Kräfte richtet, die als deren Erfüllungsgehilfen fungieren – d. h. die irakische Regierung, die schiitischen Milizen und die kurdischen nationalistischen Streitkräfte in Syrien und im Irak. Gleichzeitig sind wir unversöhnliche Gegner von allem, wofür die reaktionären Killer des IS stehen.

Linksparteiführung versucht, deutschen Imperialismus reinzuwaschen

Eine Mehrheit der deutschen Linken erklärt den IS zum Hauptfeind und stellt sich so hinter die eigene Regierung, die versucht linke Kräfte für den Imperialismus mit der Lüge über die nationale Einheit einzubinden. Sevim Dagdelen von der Linkspartei fordert die Bundesregierung auf, gegen Saudi-Arabien, Katar und die Türkei mobil zu machen, um „den Weg des Geldes, der Waffen und auch des Öles zum IS“ zu kappen (Plenarrede am 3. Dezember 2015 im Bundestag). Die Verbrechen des deutschen Imperialismus werden verschwiegen, weil sie ihn grundsätzlich als Verbündeten ansieht, den sie drängt, eine richtige Seite einzunehmen. Für Dagdelen sind das die Kurden, die sie als effektivste Kraft im Kampf gegen den IS bezeichnet. Der deutsche Imperialismus ist derselben Meinung und bewaffnet schon seit über einem Jahr die Peschmerga. Im Kampf um Kobane in Nordsyrien im Herbst 2014 haben die meisten Linken eine Seite mit den von der PYD (Partei der Demokratischen Union – Ableger der PKK in Syrien) geführten Kurden eingenommen, deren Truppen zu dieser Zeit dem Kommando der Imperialisten untergeordnet wurden. Seitdem dienen die kurdischen YPG-Truppen (Militäreinheiten der PYD) den Imperialisten als Bodentruppen. Dies ist ein weiterer Verrat der nationalistischen kurdischen Führung am Befreiungskampf der Kurden. Notwendig ist ein politischer Kampf, Kurden davon zu überzeugen, vom nationalistischen Programm ihrer verräterischen Führung wegzubrechen hin zur Perspektive internationaler proletarischer Revolution, dem einzigen Weg zur nationalen Selbstbestimmung für die Kurden.

Die Linkspartei stimmte im Bundestag geschlossen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Syrien und appellierte an die Bundesregierung, ihren diplomatischen Weg weiterzuverfolgen, um den IS handlungsunfähig zu machen. Sahra Wagenknecht lobte die Strategie der Wiener Konferenzen: „Dieser Weg in Richtung einer Friedenslösung muss weitergegangen werden“ (Spiegel-Interview, 7. Dezember). Ein Blick auf den Abschluss des Vertrages zum Atomabkommen mit dem Iran diesen Sommer macht klar, wie die Imperialisten von solcher Art „Friedenslösung“ profitieren: Nach mehr als 9 Jahren, in denen die Bevölkerung des Irans durch Handelsembargos der USA und Europas zermürbt wurde, stimmte die Regierung von Präsident Rohani einem drakonischen Vertrag zu, der sicherstellt, dass der Iran sich weitgehend für die Kontrollen der Internationalen Atombehörde im Auftrag der Imperialisten öffnet. Dies soll verhindern, dass der Iran Atomwaffen entwickeln kann, die einen Schutz vor imperialistischen Überfällen bieten könnten. Tatsächlich ist die Diplomatie der zurzeit bevorzugte Weg des deutschen Imperialismus, seine Interessen im Gegensatz zu anderen imperialistischen und kapitalistischen Staaten durchzusetzen.

Während unsere Hauptgegnerschaft den Imperialisten gilt, sind wir auch Gegner der anderen kapitalistischen Mächte, die in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt sind – darunter der Iran, Russland, Saudi-Arabien und die Türkei –, und fordern ihren Abzug. Russland hat seine Luftangriffe in Syrien verstärkt, nachdem der IS für den kriminellen Abschuss eines russischen Passagierjets über Ägyptens Sinai-Halbinsel die Verantwortung übernommen hatte, bei dem alle 224 Passagiere getötet wurden.

Unter den Vorgängern des IS sind Kräfte, die in den 1980er-Jahren im von der CIA unterstützten Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan als Mudschaheddin Erfahrung sammelten. Allem Gerede bürgerlicher Politiker, wie man den IS „besiegen“ könne, zum Trotz: Es waren die Imperialisten, die diese Islamisten bewaffneten und finanzierten und sie als „Freiheitskämpfer“ hochjubelten, während sie sowjetische Soldaten und Menschen, die afghanischen Mädchen Lesen und Schreiben beibrachten, abschlachteten. Die Sowjetunion intervenierte 1979 in Afghanistan auf Drängen des dortigen modernisierenden nationalistischen Regimes. Der Einmarsch rückte für die zurückgebliebenen afghanischen Völker die Möglichkeit einer radikalen gesellschaftlichen Umwandlung in den Bereich des Möglichen. Wir Trotzkisten erklärten als einzige: „Hoch die Rote Armee in Afghanistan! Für die Ausweitung der sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution auf die afghanischen Völker!“

Die UdSSR hätte die islamischen Reaktionäre besiegen können. Stattdessen machten die stalinistischen Verräter einen Rückzieher und zogen 1989 ihre Streitkräfte in einem vergeblichen Versuch, die Imperialisten zu beschwichtigen, ab. Dieser Verrat öffnete der kapitalistischen Konterrevolution 1991/92 im sowjetischen degenerierten Arbeiterstaat selbst die Tür. Islamisch-fundamentalistische Kräfte, von den USA, den Saudis und anderen genährt und finanziert, sind seitdem massiv angewachsen.

Die immer wiederkehrenden imperialistischen Kriege und Besetzungen sind ein durchschlagender Beweis für die Barbarei der im Niedergang begriffenen kapitalistischen Weltordnung. Das Ziel von Marxisten ist es, dem Proletariat das Verständnis beizubringen, dass es die soziale Macht und das historische Interesse besitzt, die kapitalistisch-imperialistische Herrschaft durch eine sozialistische Revolution von innen heraus zu zerstören. Zur Verwirklichung dieser Aufgabe ist es nötig, mit den sozialdemokratischen Irreführern zu brechen und eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen, Sektion einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale, die dem Kampf für Arbeiterrevolution auf dem gesamten Planeten verpflichtet ist.

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