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Spartakist Nummer 187 |
März 2011 |
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Leserbrief:
„Stuttgart 21, Polizeiterror und die Linke“
Liebe Genossen!
Euren Artikel „Stuttgart 21, Polizeiterror und die Linke“ [Spartakist Nr. 186, Januar 2011] finde ich z. T. falsch und zu wenig solidarisch. So schreibt ihr, die GAM würde versuchen, die Arbeiterklasse der in der Tat kleinbürgerlich geführten Bewegung unterzuordnen. Aber schon die Zitate, die ihr gegen sie anführt, machen auf mich einen anderen Eindruck. Der Versuch, die Arbeiterbewegung gegen S21 zu mobilisieren, und die geforderte direkte Demokratie richtet sich doch gerade gegen die kleinbürgerliche systemimmanente Führung. Die GAM hat auch vor Illusionen in die „Schlichtungsgespräche“ gewarnt und stattdessen gefordert mit Massenaktionen gegen S21 und den Kapitalismus zu kämpfen. In der Neuen Internationale steht außerdem eindeutig: „Unser Ziel ist der Sturz des Kapitalismus und die Schaffung einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft. (…) Dafür sind sozialistische Revolutionen und die Machtergreifung der Arbeiterklasse notwendig. Der bürgerliche Staatsapparat muss zerschlagen und durch proletarische Machtorgane – Räte, Fabrikkomitees, Milizen, Kontrollkomitees – ersetzt werden. Diese Organe werden direkt gewählt und kontrolliert, ihre VertreterInnen haben keine sozialen Privilegien und sind jederzeit abwählbar.“ Warum sollen revolutionäre Linke nicht versuchen solche Positionen in die Bewegung gegen S21 hineinzutragen? (Von den Reformisten wie der SAV erwarte ich dies jedenfalls nicht!)
Ihr dagegen schreibt: „Generell sind wir für technischen Fortschritt, (…) gut ausgebaute Verkehrswege…“ usw. Außerdem: „Generell können wir uns vorstellen, dass Arbeiterräte sich für unterirdische Gleisanlagen entscheiden…“ (scheinbar nach dem Motto: Verkehr und Technik sind immer gut, egal in welchem System, und im Sozialismus bauen wir dann „sozialistische AKWs“, die dann wirklich sicher sind). Verkehr und Technik sind aber nicht unabhängig von gesellschaftlichen Bedingungen. Unter kapitalistischen Bedingungen entwickelte Technik ist fast immer eine extrem gefährliche Sackgassentechnologie, die niemals im Interesse der Arbeiterklasse weiterentwickelt und angewendet werden kann, und die im Sozialismus durch bessere Konzepte und Technik (wie Solarzellen) ersetzt werden muss. Das Gesetz der Profitmaximierung sorgt dafür, dass es keinen ökologischen Kapitalismus geben wird. Neben der sozialen Frage, dem revolutionären Klassenkampf, dem Antifaschismus und dem Kampf gegen imperialistische Kriege ist die Umweltfrage eines der dringendsten Probleme geworden. Sie ist kein Nebenwiderspruch des Kapitalismus mehr, sondern für die Arbeiterklasse und die kleinen Bauern weltweit ein existenzielles Problem geworden. Aber indem ihr der Ökologie, wie auch der Bewegung gegen S21 jede kritische Unterstützung verweigert, überlasst ihr doch gerade der kleinbürgerlichen Führung kampflos das Feld.
Natürlich darf man sich als noch sehr kleine Partei nicht in tausend Problemen verzetteln und die entscheidende Klassenfrage vernachlässigen, aber das verlange ich ja auch nicht. Die Gewerkschaften z. B. unterstützt ihr doch auch, obwohl sie von SPD und Linkspartei dominiert werden.
Mit revolutionären Grüßen
J. aus Halle/S.
Spartakist antwortet:
Niemand bestreitet, dass die GAM gerne ach so revolutionäre Rhetorik von sich gibt. Was aber zählt, ist ihr Programm und die Umsetzung davon, das heißt, was sie tatsächlich tun. Als Ersatz für eine revolutionäre Politik hängt sich die GAM gerne an alle möglichen „Bewegungen“ an. Im Falle von „Stuttgart 21“ fördern sie nun (nicht zum ersten Mal) eine kleinbürgerliche, in ihrer Weltsicht recht rückwärtsgewandte Bewegung, die zentral von den bürgerlichen Grünen angeführt wird. Sieben Jahre lang waren die Grünen in der Bundesregierung zusammen mit der SPD und zentral daran beteiligt, 1999 den imperialistischen Krieg gegen Serbien zu führen und zu Hause die Hartz-Gesetze durchzupeitschen. Jetzt brauchen sie wieder ein bisschen „Protest“, um Leute einzuseifen und wieder in Regierungsfunktionen des bürgerlichen Staats zu gelangen.
Die Proteste gegen Stuttgart 21 waren und sind klassenübergreifend, und für Kommunisten ist das, im Gegensatz zur GAM, nichts Positives: Sofern sich Teile der Arbeiterklasse daran beteiligt haben, waren sie dem bürgerlichen Programm von Grünen und selbst Teilen der CDU völlig untergeordnet. Am Ende deines Briefes machst du einen Vergleich mit Gewerkschaften. Gewerkschaften sind Organisationen der Arbeiterbewegung und damit Einheitsfrontorganisationen der Arbeiterklasse – die diversen Bündnisse gegen S21 sind das nicht. Diese Bündnisse werden von kleinbürgerlichen/bürgerlichen Kräften geführt. Wie aus unserem Artikel sehr klar wird, verteidigen wir allerdings vehement das Recht der Gegner von S21, gegen den repressiven bürgerlichen Staat zu protestieren und zu demonstrieren.
Wenn, wie du schreibst, die GAM „direkte Demokratie“ fordert, so kann das nur eine Variante bürgerlicher Demokratie sein, denn was haben „Baumschützer“ und Frauen-Union, um nur einige Beispiele der bürgerlichen Blockpartner zu nennen, mit der Arbeiterbewegung zu tun? Die GAM verballhornt die Idee von Arbeiterräten und zieht sie ins Lächerliche, indem sie daraus eine Spielwiese für bürgerliche Demokratie macht. Trotzki beschrieb die Funktion von Arbeiterräten im Übergangsprogramm wie folgt:
„Alle politischen Richtungen des Proletariats können auf der Grundlage der breitesten Demokratie um die Führung der Räte kämpfen. Die Losung der Räte ist darum die Krönung des Programms der Übergangsforderungen.
Die Räte können nur dann entstehen, wenn die Massenbewegung in ein offen revolutionäres Stadium eintritt. Als Angelpunkt, um den herum sich dutzende Millionen Werktätiger in ihrem Kampf gegen die Ausbeuter sammeln, werden die Räte vom Augenblick ihrer Entstehung an zu Rivalen und Widersachern zuerst der örtlichen Behörden und dann auch der Zentralregierung. Schafft der Fabrikausschuss Ansätze zur Doppelherrschaft in den Fabriken, so eröffnen die Räte die Periode der Doppelherrschaft im ganzen Land.“ [Hervorhebungen von uns]
Rätedemokratie ist direkt mit den Betrieben verbunden, wo Arbeiter im Kollektiv miteinander arbeiten. Wenn man versucht, dies auf lose „Bewegungen“ oder bürgerliche Parteien zu übertragen, dann kommt dabei bestenfalls eine Farce heraus. Bei den Protesten gegen Stuttgart 21 wird die Arbeiterbewegung, soweit sie sich an den Protesten beteiligt, dem bürgerlichen Programm von Grünen und anderen Liberalen untergeordnet, und die GAM segnet das Ganze mit „linker“ Rhetorik ab.
Zu einem weiteren Punkt deines Briefs: Generell können wir uns unterschiedlichste Technologien vorstellen, mit denen die Energieprobleme der Zukunft gelöst werden können, und ein Arbeiterstaat mit einer geplanten Wirtschaft würde sehr viel in Forschung investieren, um sichere und saubere Formen zu finden. In deiner Argumentation widersprichst du dir selbst, wenn du schreibst: „Unter kapitalistischen Bedingungen entwickelte Technik ist fast immer eine extrem gefährliche Sackgassentechnologie, die niemals im Interesse der Arbeiterklasse weiterentwickelt und angewendet werden kann, und die im Sozialismus durch bessere Konzepte und Technik (wie Solarzellen) ersetzt werden muss.“ Dies halten wir für falsch, denn es würde bedeuten, den gesamten wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, der unter dem Kapitalismus erzielt wurde, abzuschreiben. Waschmaschinen, Computer, Flugzeuge, Kläranlagen, medizinische Forschung usw.: Sind das an sich „Sackgassentechnologien“? Und: Wurden Solarzellen nicht auch im Kapitalismus entwickelt (und gelten nebenbei als profitable kapitalistische Sparte)?
Tatsächlich sind nicht die Technologien, die im Kapitalismus entwickelt wurden, an sich schlecht: Das Problem ist, dass der Kapitalismus/Imperialismus längst zu einem Hindernis für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte geworden ist, weil nur das produziert und entwickelt wird, was Profit bringt bzw. verspricht. Dieses Hindernis muss beseitigt werden, und das bedeutet, durch internationale sozialistische Revolution den Kapitalismus zu stürzen. Dann kann sich der internationale Sowjet tatsächlich den Problemen der Ökologie widmen. Bis dahin braucht es den entschiedenen politischen Kampf gegen pseudorevolutionäre Irreführer wie die GAM, ein Hindernis für die sozialistische Revolution.
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