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Spartakist Nummer 175

Januar 2009

Vor 70 Jahren: Gründung von Trotzkis Vierter Internationale

Am 3. September 2008 war der 70. Jahrestag der Gründung der Vierten Internationale, Weltpartei der sozialistischen Revolution. Die Gründung der Vierten Internationale war der Höhepunkt des von Leo Trotzki geführten Kampfes, das Programm des Bolschewismus (d. h. des wirklichen Marxismus) zu verteidigen. Nachfolgend veröffentlichen wir den Artikel „Ein großer Erfolg“ von Trotzki, neben W. I. Lenin Führer der bolschewistischen Revolution von 1917, in dem er die Gründung der Vierten Internationale verkündet. Der Text erschien zuerst in englischer Sprache in der Ausgabe der New International vom Oktober 1938. Die deutsche Fassung, die hier nachgedruckt wird, erschien in der Ausgabe von Unser Wort von Mitte Dezember 1938. Einige Auslassungen wurden von uns anhand der englischen Version in eckigen Klammern ergänzt.

Trotzki spielte neben Lenin und anderen bolschewistischen Führern eine wesentliche Rolle bei der Gründung der Dritten (Kommunistischen) Internationale. Der Erste Weltkrieg legte den kompletten Bankrott der Zweiten Internationale bloß, deren Sektionen – mit solch bemerkenswerten Ausnahmen wie der russischen, serbischen und bulgarischen – den Marxismus verrieten, indem sie ihre eigenen Bourgeoisien im Krieg unterstützten. Der Oktoberrevolution wurde mit einem blutigen Bürgerkrieg begegnet, in dem die Kräfte der Konterrevolution mit 14 kapitalistischen Invasionsmächten verbündet waren. Trotzki führte die Rote Armee im Bürgerkrieg zum Sieg. Doch der sowjetische Arbeiterstaat wurde ausgeblutet; viele seiner besten proletarischen Kämpfer fielen im Kampf zur Verteidigung der Revolution. Ende 1923 waren die Bolschewiki mit dem Scheitern der sozialistischen Revolutionen im Westen, besonders in Deutschland, konfrontiert. Unter diesen düsteren Umständen entstand eine konservative, nationalistische bürokratische Kaste, die 1923/24 in der Sowjetunion eine politische Konterrevolution bewirkte und ihre Macht konsolidierte.

Entgegen dem Ende 1924 verkündeten stalinistischen Dogma vom „Sozialismus in einem Lande“, welches das Programm des revolutionären Kampfes des Proletariats vernichtete, kämpften Trotzki und die Linke Opposition für leninistischen Internationalismus. Als Vergeltung sollte eine Reihe stalinistischer bürokratischer Maßnahmen 1928 zu Trotzkis Exil in Alma-Ata (heute Almaty) und 1929 zu seiner Verbannung aus der Sowjetunion führen.

Während des Sechsten Weltkongresses der Komintern 1928 in Moskau jedoch lasen der US-amerikanische Delegierte James P. Cannon und der kanadische Delegierte Maurice Spector Kopien von Trotzkis Kritik des für diesen Kongress geschriebenen Programmentwurfes. Diese Kritik erschien später als Die Kommunistische Internationale nach Lenin. Sie war eine scharfe Verurteilung nicht nur der Politik der stalinistischen Bürokratie innerhalb der UdSSR, sondern auch ihrer desaströsen internationalen Politik. Insbesondere behandelte sie die Lehren der Chinesischen Revolution von 1925–27, wo die Strategie von Stalin & Co. darin bestand, die Kommunistische Partei Chinas in die bürgerlich-nationalistische Guomindang zu liquidieren, was wiederum zum Abschlachten tausender Kommunisten und Gewerkschafter führte.

Trotzkis Kritik überzeugte Cannon und seine Verbündeten, sich der Linken Opposition anzuschließen. Dafür wurden sie im Oktober 1928 aus der Kommunistischen Partei der USA ausgeschlossen. Die direkte Folge von „Sozialismus in einem Lande“ war die Umwandlung der Komintern von einem Instrument der Weltrevolution in ein Instrument der nationalistischen Politik der stalinistischen Bürokratie im Kreml. Die Internationale Linke Opposition wurde 1930 gegründet, um der Dritten Internationale durch einen Fraktionskampf wieder ihren revolutionären Zweck zurückzugeben. Doch 1933 konnte Stalins Komintern selbst vom „Donnerschlag des Faschismus“, wie Trotzki es nannte, nicht wiedererweckt werden – dem Sieg von Hitlers Nazis, ohne dass von der mächtigen prosozialistischen deutschen Arbeiterbewegung auch nur ein Schuss abgefeuert worden wäre.

Als diese Katastrophe in den Reihen der Dritten Internationale keinen Sturm der Empörung oder zumindest erheblichen Widerspruch auslöste, schloss Trotzki daraus, dass sich dieses Gebilde als Kraft der Revolution als vollkommen tot erwiesen hatte. Er rief zur Gründung einer neuen, Vierten Internationale auf. Die Dritte Internationale schrieb 1935 auf ihrem VII. Kongress mit der „Volksfront“-Strategie explizit ein Programm der Klassenzusammenarbeit fest. Die stalinisierte Komintern spielte in der Folge eine aggressive konterrevolutionäre Rolle im Spanischen Bürgerkrieg, wo sie revolutionäre Kämpfer abschlachtete, um die „demokratischen“ Imperialisten zu beschwichtigen und eine proletarische Revolution in Spanien abzuwenden.

Die Gründungskonferenz der Vierten Internationale wurde am Vorabend des Zweiten Weltkriegs im französischen Périgny abgehalten, als die trotzkistische Bewegung weltweit mörderischer Unterdrückung ausgesetzt war – durch jede Art von kapitalistischen Regimen (faschistisch bis bürgerlich-demokratisch) und durch die Stalinisten. Die Konferenz nahm als grundlegendes programmatisches Dokument Trotzkis „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale“ an, das allgemein als das „Übergangsprogramm“ bekannt ist. Trotzki hielt die Gründung der Vierten Internationale für das wichtigste Werk seines politischen Lebens. 1935 schrieb er (abgedruckt in Trotzki, Tagebuch im Exil):

„Wäre ich 1917 nicht in Petersburg gewesen, so würde die Oktoberrevolution dennoch ausgebrochen sein – unter der Voraussetzung, dass Lenin anwesend gewesen wäre und die Führung übernommen hätte… Dasselbe lässt sich im großen und ganzen vom Bürgerkrieg behaupten… Dagegen ist meine gegenwärtige Arbeit im wahren Sinne des Wortes ,unersetzlich‘. Dieser Gedanke enthält auch nicht die Spur von Hochmut: Der Zusammenbruch zweier Internationalen hat ein Problem entstehen lassen, zu dessen Lösung kein einziger Führer dieser Internationalen auch nur im Geringsten geeignet ist.“

Die schmutzige Tat eines stalinistischen Attentäters sollte 1940 diesen großen Revolutionär endgültig zum Schweigen bringen. Doch sie konnte nicht die gewaltige Leistung seiner revolutionären Arbeit, einschließlich der Gründung der Vierten Internationale, ausmerzen. In der Tat führte Trotzki seinen letzten Kampf gegen eine kleinbürgerliche Minderheit in der damals trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP – Sozialistische Arbeiterpartei in den USA), die bei Anbruch des Zweiten Weltkriegs das Programm der bedingungslosen militärischen Verteidigung des degenerierten Arbeiterstaates Sowjetunion über Bord werfen wollte.

Im Gegensatz zur Zweiten und Dritten Internationale beging die Vierte Internationale niemals Verrat; sie wurde in den frühen 50er-Jahren von den liquidatorischen Kräften unter der Führung von Michel Pablo zerstört. Konfrontiert mit dem aufkommenden imperialistischen Kalten Krieg und der Entstehung von deformierten Arbeiterstaaten unter stalinistischer Herrschaft in Ost- und Mitteleuropa verneinten die Pabloisten die Notwendigkeit einer trotzkistischen Avantgarde. Die Pabloisten wandten sich den Stalinisten, den Sozialdemokraten und letztlich den Dritte-Welt-Nationalisten zu und argumentierten, diese könnten dazu gedrängt werden, einen „annähernd“ revolutionären Kurs zu fahren. Der Kampf gegen den Pabloismus in der Vierten Internationale wurde von Cannon geführt, wenn auch nur teilweise, verspätet und auf dem eigenen nationalen Terrain der SWP. Die SWP sollte später einen ganz anderen Kurs einschlagen, nämlich das Streben nach „Annäherung“ mit den Pabloisten in der „Wiedervereinigung“ von 1963, die zur Bildung des „Vereinigten Sekretariats“ (VS) führte. Auf stichhaltige und gründliche Weise mit der pabloistischen Degeneration der Vierten Internationale nach dem Zweiten Weltkrieg umzugehen übersteigt den Rahmen dieser Einleitung. Wir verweisen unsere Leser auf „Ursprünge des Pabloismus“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 3, März 1975) und Prometheus Research Series Nr. 4, „Yugoslavia, East Europe and the Fourth International: The Evolution of Pabloist Liquidationism“ [Jugoslawien, Osteuropa und die Vierte Internationale: Die Entwicklung des pabloistischen Liquidatorentums], März 1993.

Der Vorläufer der Spartacist League/U.S. – die amerikanische Sektion der IKL –, die Revolutionary Tendency (RT – Revolutionäre Tendenz), führte innerhalb der SWP einen Kampf unter anderem gegen deren Verfälschung des revolutionären Trotzkismus zugunsten der Vereinigung mit Pablo und seinesgleichen. Dafür wurde die RT auf bürokratische Weise aus der SWP ausgeschlossen, die schnell vom Zentrismus zum offenen Reformismus entartete (siehe auch die SL/U.S.-Broschüre The Socialist Workers Party: An Obituary von 1984 [Die Socialist Workers Party: Ein Nachruf]).

Genosse Trotzki beharrte darauf, dass Revolutionäre gegen den Strom schwimmen müssen, so wie er es tat und wir es tun wollen, um eine Vierte Internationale wiederzuschmieden, die Trotzki als seine eigene erkennen würde.

* * * * *

Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, hat die Konferenz der 4. Internationale ihre Arbeiten wahrscheinlich schon beendet. Die Abhaltung dieser Konferenz repräsentiert einen großen Erfolg. Eine intransigente revolutionäre Richtung, die Verfolgungen ausgesetzt ist, wie sie zweifellos keine andere politische Richtung in der Weltgeschichte je erduldet hat, hat von neuem ihre Kraft gezeigt: Alle Hindernisse überwindend, hat sie unter den Schlägen mächtiger Feinde ihre internationale Versammlung abgehalten. Diese Tatsache ist ein untrügliches Zeugnis der tiefen Vitalität und der unerschütterlichen Hartnäckigkeit der Bolschewiki-Leninisten aller Länder. Die Möglichkeit des Erfolgs der Konferenz wurde vor allem durch den Geist des revolutionären Internationalismus gesichert, der alle unsere Sektionen nährt. Man muss in der Tat der internationalen Verbindung der proletarischen Avantgarde einen sehr hohen Wert beimessen, um einen revolutionären Generalstab der Welt zu versammeln, während Europa und die ganze Welt in Erwartung des herannahenden Krieges leben. Die Ausdünstungen des Nationalhasses und der Rassenverfolgungen bilden gegenwärtig die Atmosphäre unseres Planeten. Faschismus und Rassismus sind nur der extremste Ausdruck dieses chauvinistischen Bacchanals, dessen Ziel es ist, die unerträglichen Klassengegensätze zu verwischen oder zu ersticken. Das Wiederaufleben des Sozialpatriotismus in Frankreich und anderen Ländern, genauer dessen neue offene und unverschämte Offenbarung, gehört in dieselbe Kategorie wie der Faschismus und ist nur der demokratischen Ideologie oder ihren Trümmern angepasst.

Zur selben Gruppe von Erscheinungen gehört die Tatsache, dass in der S.U. der Nationalismus offen kultiviert wird: in den Versammlungen, in der Presse, in den Schulen. Es handelt sich keineswegs um den sogenannten „sozialistischen Patriotismus“, d. h. um die Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution gegen den Imperialismus. Nein, es handelt sich nur darum, die patriotischen Traditionen des alten Russland zu erneuern. Die Aufgabe besteht auch hier darin, übersoziale, über den Klassen stehende Werte zu schaffen, mit deren Hilfe man die Arbeiter um so besser disziplinieren und den gierigen bürokratischen Kanaillen unterwerfen kann. Die offizielle Ideologie des heutigen Kreml beruft sich auf die Heldentaten des Prinzen Alexander Newski, auf den Heroismus der Armee von Suworow-Rymnikski oder Kutusow-Smolenski, und schließt die Augen vor der Tatsache, dass dieser „Heroismus“ auf der Leibeigenschaft und Unwissenheit der Volksmassen beruhte, und dass aus eben diesem Grunde die alte russische Armee nur in den Kämpfen gegen noch zurückgebliebenere asiatische Völker oder schwache und zerfallende Nachbarstaaten siegreich war. In Konflikten mit den vorgeschrittenen Ländern Europas hat sich die tapfere zaristische Armee immer als ratlos erwiesen. Es ist klar, dass man im Kreml die Erfahrung des imperialistischen Krieges schon begraben hat, genau so wie man die nicht unwichtige Tatsache vergaß, dass die Oktoberrevolution direkt aus der Niederlage hervorgegangen ist. Was bedeutet das alles für die Thermidorianer und Bonapartisten? Sie brauchen nationale Fetische. Alexander Newski muss Nikolaus Jeshow zu Hilfe kommen.

Die Theorie des Sozialismus in einem Lande, die das Programm des proletarischen internationalen revolutionären Kampfes liquidiert, konnte nicht verfehlen, mit einer nationalen Flut in der S.U. zu enden und eine entsprechende Flut in den „kommunistischen“ Parteien der anderen Länder hervorzurufen. Noch vor zwei oder drei Jahren behauptete man, dass die Sektionen der Komintern ihre Regierungen einzig in den sogenannten „demokratischen“ Ländern unterstützen sollten, die bereit waren, der S.U. Beistand [im Kampf gegen den Faschismus] anzubieten. Die Aufgabe, den Arbeiterstaat zu verteidigen, sollte die Rechtfertigung des Sozialpatriotismus sein. Nun hat Browder, der nicht mehr und nicht weniger prostituiert als die übrigen Häupter der Stalintern ist, vor der Senats-Untersuchungskommission soeben erklärt, dass er, Browder, und seine Partei sich im Falle eines Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und der S.U. auf der Seite ihres demokratischen Vaterlandes befinden würden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Antwort von Stalin zugeflüstert war. Aber das ändert nichts an der Sache. Der Verrat hat seine Logik. Nachdem sie sich auf den Weg des Sozialpatriotismus begeben hat, entgleitet die 3. Internationale jetzt offenbar den Händen der Kremlclique. Die „Kommunisten“ sind Sozialpatrioten geworden und unterscheiden sich von ihren sozialdemokratischen Verbündeten und Konkurrenten nur durch größeren Zynismus.

Der Verrat hat seine Logik. Die 3. Internationale ist, nach der 2., als Internationale endgültig gestorben. Sie ist nicht mehr fähig, irgend eine Initiative auf dem Gebiet der internationalen Politik des Proletariats zu übernehmen. Die Tatsache ist gewiss nicht zufällig, dass die Komintern nach 15 Jahren fortschreitender Demoralisierung ihre endgültige innere Fäulnis gerade in dem Augenblick enthüllt, in dem sich der Weltkrieg nähert, d. h. gerade wenn das Proletariat mehr als je seines internationalen revolutionären Zusammenhangs bedarf.

Die Geschichte hat vor der 4. Internationale ungeheure Schwierigkeiten aufgehäuft. Die tote Tradition erhebt sich gegen die lebende Revolution. Nach 1 1/2 Jahrhunderten dient die Ausstrahlung der großen französischen Revolution der Bourgeoisie und ihrer kleinbürgerlichen Agentur – der 2. Internationale – noch immer dazu, den revolutionären Willen des Proletariats einzuengen und zu paralysieren. Die 3. Internationale beutet jetzt mit demselben Ziel die unvergleichlich frischeren und mächtigeren Traditionen der Oktoberrevolution aus. Die Erinnerung an die erste siegreiche Erhebung des Proletariats gegen die bürgerliche Demokratie dient jetzt in den Händen der Usurpatoren dazu, die bürgerliche Demokratie vor der Erhebung des Proletariats zu retten.

Angesichts des herannahenden neuen imperialistischen Krieges haben die sozialpatriotischen Organisationen ihre Kräfte mit denen des linken Flügels der Bourgeoisie unter dem Namen der Volksfront vereinigt, die nichts anderes als einen Versuch darstellt, sich das Proletariat von neuem unterzuordnen, wie es die revolutionäre Bourgeoisie zu Beginn des Kapitalismus getan hatte. Was einst eine fortschrittliche historische Erscheinung war, erscheint heute vor uns als eine schändliche reaktionäre Farce. Aber wenn die „Volksfronten“ ohnmächtig sind, [den bis in den Kern verrotteten Kapitalismus zu heilen, wenn sie unfähig sind,] selbst die militärische Offensive des Faschismus im Zaume zu halten, – das Beispiel Spaniens ist voll symbolischer Bedeutung! – so sind sie trotz allem mächtig genug, in den Reihen der Arbeiter Illusionen zu säen, ihren Kampfwillen zu paralysieren und zu zerstören, und gerade dadurch der 4. Internationale die größten Schwierigkeiten in den Weg zu legen.

Die Arbeiterklasse befindet sich, besonders in Europa, noch immer im Zustand des Rückzugs oder bestenfalls des Abwartens. Die Niederlagen sind noch zu frisch und ihre Serie hat sich noch nicht erschöpft. Ihre schärfste Form haben sie in Spanien angenommen. Unter diesen Bedingungen entwickelt sich die 4. Internationale. Ist es da erstaunlich, dass ihr Wachstum langsamer fortschreitet als wir es möchten? Dilettanten, Scharlatane und Schwachköpfe, die nicht fähig sind, in die Dialektik der historischen Ebben und Fluten einzudringen, haben mehr als einmal versucht, ihr Urteil zu fällen: „Die Ideen der Bolschewiki-Leninisten sind vielleicht richtig, aber sie sind unfähig, eine Massenorganisation aufzubauen“. Als ob eine Massenorganisation unter beliebigen Bedingungen entstehen könnte! Als ob ein revolutionäres Programm in einer Reaktionsepoche nicht verpflichtete, in der Minderheit zu bleiben und gegen den Strom zu schwimmen! Nichts wert ist der Revolutionär, der die Rhythmen seiner Epoche an seiner eigenen Ungeduld misst. Noch niemals war der Weg der internationalen revolutionären Bewegung durch so ungeheure Hindernisse verrammelt wie gegenwärtig, am Vorabend einer neuen Epoche furchtbarer revolutionärer Erschütterungen. Doch zwingt eine genaue marxistische Einschätzung der Situation den Schluss auf, dass wir trotz allem in den letzten Jahren unschätzbare Erfolge errungen haben.

Die russische „Linksopposition“ ist vor 15 Jahren entstanden. Die wirkliche Arbeit in der internationalen Arena ist noch nicht 10 Jahre alt. Die Vorgeschichte der 4. Internationale teilt sich auf natürliche Weise in drei Etappen ein. Während der ersten Etappe rechnete die „Linksopposition“ noch mit der Möglichkeit einer Regenerierung der Komintern und betrachtete sich als ihre marxistische Fraktion. Die schändliche Kapitulation der Komintern in Deutschland, stillschweigend akzeptiert von allen Sektionen, stellte offen die Frage der Notwendigkeit, die 4. Internationale aufzubauen. Jedoch unsere Organisationen, zahlenmäßig schwach, durch individuelle Auslese im Prozess der theoretischen Kritik entstanden, fast außerhalb der wirklichen Arbeiterbewegung stehend, waren noch nicht vorbereitet, um selbständig handeln zu können. Die zweite Periode ist charakterisiert durch die Bemühungen, für diese isolierten Propagandagruppen ein reales politisches Milieu zu finden, sei es selbst um den Preis eines zeitweiligen Verzichts auf die formelle Unabhängigkeit. Der Eintritt in die sozialistischen Parteien hat mit einem Schlag unsere Reihen verstärkt, wenn er auch trotz allem unter dem Gesichtspunkt der Quantität weniger ergeben hat, als man erwarten konnte. Aber dieser Eintritt hat einen außerordentlich wichtigen Abschnitt für die politische Erziehung unserer Sektionen bedeutet, die sich zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht mit den Realitäten des politischen Kampfes und seinen Erfordernissen gemessen und dabei ihre Ideen überprüft haben. Das Resultat der gemachten Erfahrung war, dass unsere Kader um einen ganzen Kopf gewachsen sind. Auch das ist keineswegs eine unwichtige Errungenschaft, dass sich die unverbesserlichen Sektierer, die Konfusionisten und Taschenspieler von uns getrennt haben, die sich gewöhnlich zu Beginn an jede neue Bewegung anschließen, um sie nach Maßgabe ihrer Kräfte zu diskreditieren und zu paralysieren.

Wohlverstanden, die Entwicklungsetappen unserer Sektionen in den verschiedenen Ländern können chronologisch nicht übereinstimmen. Aber man kann trotzdem die Gründung der amerikanischen sozialistischen Arbeiterpartei [SWP] als das Ende der 2. Periode betrachten. Von jetzt an steht die 4. Internationale den Aufgaben einer Massenbewegung gegenüber. Der Reflex dieser wichtigen Wendung ist das Übergangsprogramm, dessen Bedeutung darin besteht, nicht einen theoretischen Plan a priori zu geben, sondern die Bilanz der schon gesammelten Erfahrungen der nationalen Sektionen zu ziehen und auf der Basis dieser Erfahrungen eine breite internationale Perspektive zu eröffnen.

Die Annahme dieses Programms, vorbereitet und gesichert durch eine lange vorhergehende Diskussion – oder genauer durch eine ganze Reihe von Diskussionen –, stellt unsere Haupterrungenschaft dar. Die 4. Internationale ist heute die einzige internationale Organisation, die sich nicht nur klare Rechenschaft über die treibenden Kräfte der imperialistischen Epoche ablegt, sondern auch mit einem System von Übergangsforderungen ausgerüstet ist, die geeignet sind, die Massen für den revolutionären Kampf um die Macht zu sammeln. Wir sind weit entfernt davon, uns selbst zu täuschen. Das Missverhältnis zwischen unseren gegenwärtigen Kräften und den morgigen Aufgaben ist uns viel klarer als unseren Kritikern. [Aber die raue und tragische Dialektik unserer Epoche arbeitet zu unseren Gunsten.] Indessen werden die bis zum äußersten Grad der Erbitterung und Empörung getriebenen Massen keinen anderen Weg finden als den, welchen ihnen die 4. Internationale vorschlägt.

Coyoacan, D.F., 30. August 1938

 

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