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Spartakist Nummer 164

Herbst 2006

Briefwechsel zwischen akj-Berlin und Spartakist-Jugend

Keine Illusionen in die bürgerlichen Gerichte!

Für Massenmobilisierungen um Mumia zu befreien!

Spartakist-Jugend

Die Spartakist-Jugend hat den „arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin“ (akj-berlin) angesprochen, unsere Kampagne „Freiheit für Mumia Abu-Jamal, sofort!“ zu unterstützen. Der akj-Berlin bezeichnet sich als „offenes Forum für rechts- und allgemeinpolitische Diskussionen“.

6. August 2006

Betreff: akj: Mumia-Unterstützungserklärung

Lieber Daniel,

zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass das so lange gedauert hat, aber zum Ende der Semesterferien hin ist es nicht so einfach eine mehrheitsfähige Runde zusammenzukriegen.

Leider müssen wir euch eine Absage erteilen, da wir nach genauerer Diskussion zum Ergebnis gekommen sind, dass wir eine weitere Erklärung nicht unterzeichnen werden.

Aus folgenden Gründen:

Der akj würde sich durch die Unterzeichnung dieser Erklärung selbst unglaubwürdig machen. Da wir bereits vor einigen Wochen die Erklärung des Internationalen Komitees zur Abschaffung der Todesstrafe unterzeichneten, in der Angela Davis nicht nur eine neue Verhandlung und die sofortige Freilassung von Mumia fordert, sondern auch die bundesweite Abschaffung der Todesstrafe in den USA, wäre es nun aus unserer Sicht nicht richtig eure Erklärung zu unterzeichnen, da ihr zudem diese Erklärung als Hindernis im Kampf um Mumias Freiheit seht. In diesem Punkt sind wir leider verschiedener Meinung. Während ihr als oberstes Ziel die Freilassung Mumias fordert, haben wir als oberstes Ziel die Abschaffung der Todesstrafe, was die Freilassung Mumias durch eine Neuverhandlung einschließen würde. Würden wir nun eure Erklärung unterzeichnen, würde dies bedeuten, dass wir uns gegen unsere erste Erklärung stellen, hinter der wir allerdings immer noch geschlossen stehen. Die Tatsache, dass Mumia ein politischer Gefangener ist, wird unserer Meinung nach nicht unter den Teppich gekehrt, nur ist es eben nicht das Hauptargument, mit dem seine Freilassung in diesem „Rechtsstaat“ so wie er besteht, am besten gefordert werden kann. Das ist nunmal die juristisch argumentativere Sicht der Dinge. Ich hoffe ihr versteht und respektiert das...

Zum anderen haben wir den Spartakist, den ihr uns zu lesen mitgegeben habt studiert und sind zwar über einige Dinge, die da so geschrieben werden nicht glücklich, allerdings waren wir von einer Sache sehr geschockt. In einem Artikel sprecht ihr von der „multirassischen Arbeiterklasse“! Verzeiht bitte, aber unserer Ansicht nach ist das eine Formulierung, die vielleicht zwei Jahrhunderte früher ohne weiteres benutzt werden konnte, heute allerdings unzweideutig als „Nazisprech“ genauso in der Presse der Ewiggestrigen abgedruckt werden könnte. Wir hoffen, dass dies ein Versehen war und die Redaktion gepennt hat, wobei ein Autor von sich aus, die Verwendung solcher Redewendungen unterlassen, und sich über die heutige Bedeutung dieser Wörter im Klaren sein sollte.

Wir wünschen euch weiterhin trotzdem viel Erfolg in der Sache,

Micha o.H.

für den akj-Berlin

Berlin, 27. September 2006

An den
arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen Berlin:

Wir bedauern sehr, dass Ihr es ablehnt, unsere Kampagne mit den zentralen Losungen „Sofortige Freiheit für Mumia Abu-Jamal!“ und „Weg mit der rassistischen Todesstrafe!“ zu unterstützen. Ihr meint zwar, für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal durch Eure Unterstützung der ersten Erklärung des Internationalen Komitees (IK) zur Abschaffung der Todesstrafe einzutreten, das Gegenteil ist jedoch der Fall. In der Erklärung von Angela Davis wird ein „neues und faires Verfahren und seine sofortige Freilassung aus dem Todestrakt“ gefordert. Die „sofortige Freilassung aus dem Todestrakt“ – im Zusammenhang mit der Forderung nach einem neuen, fairen Verfahren – würde bedeuten, dass Mumia aus der Todeszelle in einen Normalknast verlegt wird, um erneut auf einen Prozess zu warten und wieder vor Gericht gezerrt zu werden. Mumia ist unschuldig, und er muss raus aus dem Gefängnis, sofort. Der Text des IK vermeidet es, für die Freiheit von Mumia zu argumentieren oder seine Unschuld hervorzuheben – lediglich in einer Zwischenüberschrift ist überhaupt die Rede von Mumias Freiheit.

Laut Eurem Brief kann die Tatsache, dass Mumia ein politischer Gefangener ist, nicht das Hauptargument sein, „mit dem seine Freilassung in diesem ,Rechtsstaat‘ so wie er besteht, am besten gefordert werden kann. Das ist nunmal die juristisch argumentativere Sicht der Dinge.“ Ihr wollt oder könnt Euch wohl gar nicht vorstellen, dass ein demokratischer Staat wissentlich einem unschuldigen Menschen einen Mord anhängt, um ihn zu töten. Der kapitalistische Staat – wovon die bürgerlichen Gerichte ein Teil sind – weiß wie wir ganz genau, dass Mumia unschuldig ist.

Ethel und Julius Rosenberg, die 1953 von der Regierung der Vereinigten Staaten hingerichtet wurden, waren politische Gefangene. Eine Erklärung ihrer Söhne, Michael und Robert Meeropol, wurde bei einem Forum des Partisan Defense Committee (PDC) zum Fall von Mumia 1995 in Boston verlesen. Sie sagten, dass „zum ersten Mal seit der Hinrichtung unserer Eltern wieder ein politischer Gefangener in der Todeszelle sitzt. Lasst euch nichts vormachen. Die Todesstrafe wurde in diesem Fall verhängt wegen der Politik von Mumia Abu-Jamal. Lasst euch nichts vormachen, das Rechtssystem fegt alle Beweise für das Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft und für andere Verweigerungen eines ordentlichen Verfahrens zur Seite wegen der Politik von Mumia Abu-Jamal.“

Mumias Freilassung durch eine Neuverhandlung zu erreichen ist eine krasse Illusion in die „Gerechtigkeit“ der bürgerlichen Gerichte, die Ihr verbreitet. Seit 25 Jahren trampelt ein Gericht nach dem anderen auf Mumias Rechten herum und der Berg von Beweisen seiner Unschuld wird ignoriert. Der Grund dafür liegt in der Entschlossenheit der Regierung, Mumia umzubringen, da sie in ihm das Gespenst einer schwarzen Revolution sieht. Er ist einer der machtvollsten Sprecher für die Befreiung der Schwarzen in den USA und der Unterdrückten und Entrechteten weltweit. Mumia war in der Black Panther Party, ist Unterstützer von MOVE und wurde für seine scharfen Kommentare über Rassismus, Armut und Repression als „Stimme der Entrechteten“ bekannt. Durch seine Schriften aus der Todeszelle spielt er diese Rolle immer noch.

Während wir dafür sind, jeden möglichen Rechtsweg für Mumia auszuschöpfen, setzen wir all unser Vertrauen in eine internationale Massenbewegung, um Mumia freizukriegen und damit der rassistischen Todesstrafe die schwersten Schläge zu versetzen. Angela Davis selbst wurde mit dem Ruf nach ihrer Freiheit durch Massenmobilisierungen freigekämpft. Die Gerichte werden Mumia nur dann Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn sie mit der Unnachgiebigkeit einer solchen Massenbewegung und der Macht der Arbeiter konfrontiert werden, die darauf beruht, dass sie die Produktion lahm legen können. Um Massen auf die Strasse zu kriegen, müssen die linken Aktivisten, Arbeiter und Unterdrückten weltweit wissen, dass Mumia ein unschuldiger Mann ist und dass das Komplott gegen ihn rassistisch und politisch ist.

Einige liberale und sozialdemokratische Unterstützer Mumias weigern sich, das Geständnis von Arnold Beverly zu benutzen, dass er und nicht Mumia den Polizisten Faulkner erschossen hat. Denn es legt den Charakter des Staates und seine Machenschaften schonungslos offen. In einer eidesstattlichen Erklärung, abgedruckt in der Broschüre des PDC „The Fight to Free Mumia Abu-Jamal – Mumia is innocent!“ [Der Kampf für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal – Mumia ist unschuldig!] sagt Beverly, dass er angeheuert wurde, um Faulkner zu töten, weil dieser ein Problem für die Mafia und die korrupte Polizei darstellte, da er sich in ihre illegalen Geschäfte einmischte. Beverly gibt weiter an: „Jamal hatte mit der Erschießung nichts zu tun.“

Das Beverly-Geständnis passt in eine ganze Reihe von anderen Beweisen für Mumias Unschuld. Es beweist, dass die ganze abgekartete Anklage gegen Mumia auf Lügen basiert und nur dem Zweck dient, ihn „legal“ ermorden zu lassen. In Dan Williams’ – einer von Mumias früheren Anwälten – verlogenem Buch mit dem Titel Executing Justice beschimpft er Beverlys Geständnis als „verrückt“ und schmettert jede Vorstellung ab, dass die Bullen Mumia zu Unrecht anklagten. Für diesen Verrat hat Mumia Williams und auch Weinglass zum Glück gefeuert. Zitate aus Williams’ Buch wurden zur alleinigen Grundlage der Staatsanwaltschaft.

Mumias Fall zeigt glasklar auf, wie der kapitalistische Staat funktioniert, dessen Funktionsweise und Rahmen Ihr akzeptiert, um „juristisch zu argumentieren“. Die abgekartete Anklage gegen ihn ist nicht die Tat eines „unehrlichen“ Bullen, Staatsanwalts oder Richters, sondern die des gesamten Systems, das nicht reformiert werden kann. Die Methoden des US-Imperialismus sind gegenüber denen der europäischen Imperialisten auch nicht einzigartig. In Deutschland gibt es heute zwar keine offizielle Todesstrafe. Aber wir denken an die Gefangenen der RAF und an Wolfgang Grams. Und wir werden das Schicksal von Oury Jalloh nicht vergessen, der im Januar 2005 in einer Gefängniszelle in Dessau bei lebendigem Leib verbrannte.

In Mumias Fall dreht sich alles um die Todesstrafe, und ihre Abschaffung ist für uns – entgegen Eurer Behauptung – kein untergeordnetes Ziel. Mumias Anwalt Robert R. Bryan musste feststellen: „Ich habe über drei Jahrzehnte lang Prozesse geführt, bei denen es um die Todesstrafe ging, aber in keinem dieser Prozesse war der Staat so sehr versessen darauf, einen Mandanten zu töten“ (19. Juli). Der kapitalistische Staat will seine Feinde umbringen, und Mumia ist ein Opfer seiner Rassen- und Klassenjustiz. 1968 hatte FBI-Chef J. Edgar Hoover erklärt: „Den jungen Negern und den Gemäßigten muss klar gemacht werden, dass sie, wenn sie sich revolutionären Lehren verschreiben, tote Revolutionäre sein werden.“ Die IK-Erklärung versucht, Mumia als einen von vielen unschuldig in der Todeszelle Gefangenen hinzustellen und leugnet damit wie Ihr die Zentralität, die der Kampf für Mumias Freiheit für die Abschaffung der rassistischen Todesstrafe in den USA hat.

Es ist Unsinn, „multirassische Arbeiterklasse“ als „Nazisprech“ zu bezeichnen, wie Ihr es tut. Die multirassische Arbeiterklasse steht für all das, wovor die Nazis den größten Horror haben. Schließlich bestehen sie auf Rassentrennung, und ihr völkermörderisches Programm basiert auf der Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung. „Rasse“ ist keine biologische Kategorie, wie es die Nazis in ihrer Völkermord-Propaganda verbreiten. Im Gegensatz zum Nazi-Hirngespinst einer jüdischen Rasse ist die schwarze Rasse in den USA eine Realität. Sie ist eine soziale Kategorie, deren Wurzel im System der Sklaverei liegt. Wie Richard Fraser, trotzkistischer Veteran und unnachgiebiger Kämpfer für die Befreiung der Schwarzen, treffend bemerkte: „Das Phänomen Rasse existiert. Beweis: Versucht, schwarzen Menschen zu erzählen, dass es so etwas nicht gibt... Die Rasse wird dadurch Realität, dass sie die Form sozialer Diskriminierung darstellt... Deshalb ist Rasse, sehr ähnlich wie Wert [einer Ware], ein soziales Verhältnis.“

Die schwarze Bevölkerung in den USA stellt eine doppelt unterdrückte, durch ihre Hautfarbe definierte Kaste dar, die im amerikanischen Proletariat integriert und am Boden der Gesellschaft sozial abgetrennt ist. In „Die Russische Revolution und die amerikanische Bewegung der Schwarzen“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 18, Frühjahr 1997) schrieben wir: „Der Kampf der Schwarzen für Freiheit und Gleichheit ist strategisch wichtig für die amerikanische proletarische Revolution. Der Kampf der gesamten Arbeiterklasse für die Rechte der Schwarzen ist nicht nur ein elementares Erfordernis für die Klasseneinheit der Proletarier aller Hautfarben gegen die Kapitalistenklasse. Der Rassismus gegen Schwarze, ein Baustein im Gefüge der amerikanischen Gesellschaft, ist in jeder sozialen Periode immer wieder der Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Reaktion.“

Die mörderische Brutalität des rassistischen Systems war für jeden sichtbar, als Tausende Menschen, überwiegend Schwarze und Arme, in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina dem Tod überlassen wurden. Mumia verfasste während dieser rassistischen Grausamkeit mehrere Artikel, von denen einer die sozialen Kategorien „Rasse“ und „Klasse“ klar zur Sprache bringt: „Die Verwüstungen durch Katrina enthüllten im amerikanischen Zusammenhang die tiefe Kluft, die zwischen Amerikanern auf der Grundlage der Rasse und Klasse weiterhin besteht.“

Das Wort Rasse zu zensieren bedeutet, Mumia selbst zu zensieren. Die Erklärung von Angela Davis spricht im englischen Original übrigens selbst von „race“, also Rasse. Linke und Liberale, die meinen, in Deutschland dürfe man dieses Wort nicht benutzen, akzeptieren damit implizit die rassistische, „biologische“ Definition der Nazis. Sie verbreiten die Vorstellung, Faschismus sei eine Frage von „schlechten Ideen“ – die man dadurch bekämpfen könne, dass man bestimmte Worte nicht benutzt. Eine solche metaphysische und klassen„neutrale“ Vorstellung geht meist zusammen mit der Anerkennung einer „Kollektivschuld“, mit der die Arbeiterklasse für die Verbrechen der deutschen Bourgeoisie verantwortlich gemacht wird und so die Bourgeoisie amnestiert wird.

Die Spartakist-Jugend und die SpAD (Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands) arbeiten zusammen mit dem KfsV (Komitee für soziale Verteidigung) und ihrer Schwesterorganisation – dem PDC – daran, die weltweite Bewegung für Mumias Freiheit wieder zu beleben, die 1995 den Aufschub seiner Hinrichtung erreicht hat. Diese Bewegung wurde von reformistischen Organisationen systematisch demobilisiert, indem sie Illusionen in die bürgerlichen Gerichte schürten mit der Forderung nach einem neuen fairen Prozess. Diese Forderung diente dazu, bürgerliche Liberale mit ins Boot zu holen, die Zweifel an Mumias Unschuld haben. An Liberale zu appellieren bedeutet, die Gründe zurückzuweisen, die Millionen auf der ganzen Welt hatten, Mumias Kampf als ihren eigenen zu begreifen: Ablehnung der Ungerechtigkeiten im Kapitalismus – Armut, rassistische Unterdrückung, Krieg. Es gab eine starke Identifikation mit Mumias Kampf gegen das „System“ und für Gerechtigkeit für alle Menschen. Es muss jetzt entgegen der liberalen Vorstellung, man könne sich auf die Gerichte verlassen, mobilisiert werden, damit Mumias Fall wieder weltweit bekannt wird und erneut Massen für seine Freiheit eintreten.

Freiheit für Mumia Abu-Jamal! Weg mit der rassistischen Todesstrafe!

Daniel,

für die Spartakist-Jugend

 

Spartakist Nr. 164

Spartakist Nr. 164

Herbst 2006

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