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Spartacist (deutsche Ausgabe) Nummer 22

Sommer 2001

Zur Wiederbewaffnung des Bolschewismus

Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern

„Ohne die Partei, unter Umgehung
der Partei, durch ein Surrogat der
Partei kann die proletarische
Revolution nie siegen.“

—Leo Trotzki, Lehren des Oktober

ÜBERSETZT AUS SPARTACIST, ENGLISCHE AUSGABE NR. 56, FRÜHJAHR 2001

Die unterlassene deutsche Revolution von 1923 stellte international ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte der Arbeiterbewegung nach der Russischen Oktoberrevolution von 1917 und dem Ende des Ersten Weltkriegs dar. Obwohl nach dem Krieg proletarische Unruhen und Aufstände durch ganz Europa gefegt waren, blieb die proletarische Staatsmacht auf das alte zaristische Reich (mit Ausnahme von Finnland, den baltischen Staaten und Polen) beschränkt. Die moderne Industrie, in der Vorkriegsperiode durch ausländische Investitionen in Russland aufgebaut, war durch den Ersten Weltkrieg und den darauf folgenden blutigen Bürgerkrieg verwüstet worden; der erste Arbeiterstaat der Welt hing in der Luft über einer hauptsächlich ländlichen, bäuerlichen Wirtschaft.

Die Bolschewiki gründeten 1919 die Dritte (Kommunistische) Internationale (Komintern oder KI) als das notwendige Instrument zur Erringung der sozialistischen Weltrevolution und kämpften mit allen nur möglichen Mitteln und voll Entschiedenheit dafür, die Revolution auf die entwickelten Industriestaaten Europas auszuweiten. Nachdem die Rote Armee im August 1920 den Einmarsch der polnischen Armee unter dem Nationalisten Jozef Pilsudski zurückgeschlagen hatte, verfolgte sie mit einem kühnen Feldzug die sich zurückziehenden polnischen Kräfte über die Grenze, um zu einer gemeinsamen Grenze mit Deutschland zu gelangen. Die Niederlage Sowjetrusslands am Stadtrand von Warschau markierte den weitesten Vormarsch des Bolschewismus Richtung Westen.

Deutschland, mit seinem riesigen, prosozialistischen Proletariat, schien die beste Möglichkeit für die Ausbreitung der Revolution zu bieten. Von der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) an intervenierte die bolschewistische Führung, angefangen mit Lenin selber, massiv in die KPD. Lenin war sich nur zu bewusst, dass die junge KPD sehr spät von der Sozialdemokratie gebrochen und sich die bolschewistische Politik nur teilweise angeeignet hatte.

Nach seiner vernichtenden Niederlage im ersten interimperialistischen Krieg befand sich Deutschland in einem Zustand der fortwährenden politischen und wirtschaftlichen Krise. Angefangen mit dem Aufruhr der Arbeiterklasse im November 1918, der zum Sturz von Kaiser Wilhelm II. führte, wurde das Land ununterbrochen von Protesten, Streiks und Erhebungen geschüttelt, die beinahe zum Aufstand führten. Die Sozialdemokratische Partei (SPD) von Scheidemann, Ebert und Noske, die Deutschland während des imperialistischen Gemetzels unterstützt hatte, wurde schließlich zum entscheidenden Bollwerk der Weimarer Republik, die die Monarchie ablöste. Die SPD entwaffnete das revolutionäre Proletariat politisch und demobilisierte es, dann leistete sie der bürgerlichen Konterrevolution bei der blutigen Unterdrückung Vorschub und Hilfe.

Der offenen Verratspolitik der SPD verschaffte die zentristische und äußerst heterogene Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) eine entscheidende linke Flankendeckung. Die USPD hatte sich im April 1917 von der SPD abgespalten — ihr gehörte ursprünglich auch die Spartakusgruppe von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an. Der rechte Flügel der USPD, zu dem Karl Kautsky, Rudolf Hilferding und Eduard Bernstein gehörten, war während des Krieges sozialpazifistisch. Besonders Kautsky war äußerst geschickt darin, marxistische Rhetorik einzusetzen zur Verschleierung ihrer festen Absicht, die bürgerliche Ordnung zu reformieren. Die Spartakisten spalteten sich erst im Dezember 1918 von der USPD ab. Die USPD spaltete sich erneut im Oktober 1920, als zwei Drittel ihrer aktiven Mitgliedschaft für den Anschluss an die Kommunistische Internationale stimmten und damit der KPD zum ersten Mal eine wirkliche Massenbasis im Proletariat verschafften. Aber die spätere Geschichte sollte zeigen, wie unvollständig der Bruch der KPD mit Kautskys Zentrismus war, was Programm und Theorie betrifft.

Die französische Besetzung des Ruhrgebiets im Januar 1923 rief eine politische und wirtschaftliche Krise hervor, in der das Potenzial für eine proletarische Revolution augenscheinlich war. Ein klares Anzeichen dafür war, dass die SPD — obwohl gestärkt durch ihre Wiedervereinigung mit Kautskys Rumpf-USPD 1922 — die Kontrolle über die Masse der deutschen Arbeiterklasse verlor. Der Hauptmechanismus, mit dem die Sozialdemokratie das Proletariat an die bürgerliche Ordnung kettete, war ihre Führung der Gewerkschaften. Inmitten der völlig aus den Fugen geratenen Wirtschaft und der Hyperinflation von 1923 waren die Gewerkschaften unfähig zu funktionieren und verfielen in einen Zustand der Lähmung. Die Arbeiter liefen ihnen und auch der SPD scharenweise davon. Aber die KPD-Führung versagte, als die Revolution sie auf die Probe stellte. Nachdem sie früher im Jahr 1923 die revolutionären Bestrebungen der arbeitenden Massen im Zaum gehalten hatte, wich sie im Oktober, am Vorabend eines geplanten Aufstands, kampflos zurück.

Anstatt den Kampf für die proletarische Macht zu organisieren, ging die KPD-Führung unter Heinrich Brandler von der falschen Auffassung aus, der Einfluss der Partei würde in linearer Weise zunehmen. In einer revolutionären Situation ist der richtige Zeitpunkt entscheidend. Für die Bourgeoisie gibt es keine „ausweglose“ Lage; wenn eine revolutionäre Partei nicht handelt, wird die Bourgeoisie die Kontrolle zurückgewinnen. Das war 1923 in Deutschland das Endergebnis.

Im Wesentlichen setzte die KPD auf die Illusion, dass der linke Flügel der Sozialdemokratie dazu bewegt werden könnte, ein „revolutionärer“ Verbündeter zu werden. Kodifiziert wurde diese Strategie in dem Missbrauch der „Arbeiterregierungs“losung, die für die KPD schließlich eine andere Bedeutung als die Diktatur des Proletariats angenommen hatte — immer mehr die einer Koalitionsregierung mit der SPD auf bürgerlich-parlamentarischer Grundlage. Das war eine völlig unsinnige, opportunistische Revision des Verständnisses von Lenins und Trotzkis Bolschewiki, dass eine Arbeiterregierung durch den Sturz des bürgerlichen Staatsapparats und die Schmiedung einer neuen auf Arbeiterräten (Sowjets) basierenden Staatsmacht erreicht würde. Der Missbrauch der Arbeiterregierungslosung seitens der KPD wurde von der Komintern unter Sinowjews Führung gutgeheißen; im Oktober 1923 gipfelte dies im Eintritt der KPD in die Koalitionsregierungen mit der SPD in Sachsen und Thüringen. Letzten Endes schmolzen die „roten Bastionen“ in Sachsen und Thüringen einfach weg, als sie von der Reichswehr bedroht wurden; der Eintritt der KPD in diese bürgerlichen Landesregierungen war das Vorspiel zum Abblasen des Aufstands, zu dessen Planung die Komintern die Partei gedrängt hatte.

Die Niederlage hatte enorme Auswirkungen, und nicht nur in Deutschland. Für die Imperialisten bedeutete sie eine Stabilisierung der bürgerlichen Ordnung. In Sowjetrussland hatten die Arbeiter gespannt die deutsche Arbeiterrevolution erwartet; das Debakel im Oktober löste eine Welle der Enttäuschung und Demoralisierung aus, die von der entstehenden sowjetischen Bürokratie aufgegriffen wurde, um im Januar 1924 die politische Macht vom Proletariat zu usurpieren. Gegen Ende dieses Jahres zog Stalin seine Bilanz der deutschen Ereignisse, als er das nationalistische Dogma vom Aufbau des „Sozialismus in einem Land“ verkündete. Wie Trotzki einige Jahre später feststellte: „Ab 1923 ändert sich die Situation radikal: Es geht nicht mehr allein um Niederlagen des Proletariats, sondern um Niederlagen der Politik der Kommunistischen Internationale“ (Die III. Internationale nach Lenin [1928]). Das Versagen der Komintern führte letztendlich 1933 zu Hitlers Machtübernahme, ohne dass ein Schuss abgegeben wurde.

Lenin war 1923 bei der Entwicklung der Ereignisse in Deutschland bereits schwer krank. Sinowjew, der damals die Komintern anführte, schwankte, während Stalin sagte, dass die KPD zurückgehalten werden müsse. Erst im August wurde es Trotzki klar, dass in Deutschland eine revolutionäre Situation herrschte, und er war es, der verlangte, dass KPD und Komintern einen Kampf um die Macht organisieren. Aber Trotzkis Herangehen war zu der Zeit weitgehend administrativ, darauf konzentriert, ein Datum für den Aufstand festzulegen. Er billigte den Eintritt der KPD in die Regierungen von Sachsen und Thüringen, von der Annahme ausgehend, dass dies der Revolution einen „Exerzierplatz“ verschaffen würde.

Erst später setzte sich Trotzki mit den politischen Ursachen auseinander, die dem Versagen zugrunde lagen. In einer Reihe von Schriften, deren erste einige Monate nach dem Oktober-Debakel entstanden, erarbeitete Trotzki eine kritische Bewertung der politischen Probleme bei den deutschen Ereignissen, was zu seinem Werk Die Lehren des Oktober von 1924 führte. Trotzki zog eine Analogie zwischen den deutschen Ereignissen und dem russischen Oktober, wo ein Teil der bolschewistischen Parteiführung, darunter Sinowjew und Kamenjew, sich 1917 der Organisierung der Machtübernahme entgegenstellte. Trotzki schilderte detailliert die Reihe der Kämpfe, die Lenin zur Wiederbewaffnung der Partei nach Ausbruch der Revolution im Februar 1917 führte. Diese Kämpfe waren es, die den Sieg im Oktober erst ermöglichten. Die Auseinandersetzung ging um die grundlegende Frage: „Soll man um die Macht kämpfen oder nicht?“. Trotzki bekräftigte:

„In größerem oder geringerem Umfange, mit diesen oder jenen Abweichungen werden diese Tendenzen in revolutionären Perioden in allen Ländern noch oft zum Vorschein kommen. Wenn man unter dem Bolschewismus im wesentlichen eine solche Erziehung, eine solche Stählung, eine solche Organisation der proletarischen Vorhut versteht, durch die sie fähig wird, die Macht durch die Gewalt der Waffen zu erobern, wenn man die sozialdemokratische Politik als eine reformistisch-oppositionelle Betätigung im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft und eine Anpassung an deren Gesetzlichkeit, d. h. als eine Erziehung der Massen im Geiste der Anerkennung der Unerschütterlichkeit des bürgerlichen Staates betrachtet, dann ist es ganz klar, daß selbst innerhalb der Kommunistischen Partei, die ja auch nicht sofort fertig aus dem Ofen der Geschichte hervorgeht, der Kampf zwischen den sozialdemokratischen Tendenzen und dem Bolschewismus am klarsten, am offensten und am unverhülltesten in der unmittelbar revolutionären Periode zum Ausdruck gelangen muß, wo die Frage der Machtergreifung scharf gestellt wird.“

— Trotzki, Die Lehren des Oktober

Die Ursprünge der Niederlage 1923 werden aufgedeckt

Die Lehren des Oktober waren Teil des Prozesses, in dem Trotzki den Marxismus wiederbewaffnete gegen die Pervertierung durch die stalinistische Bürokratie — ein Prozess, der mit der russischen Opposition von 1923 begann und grundlegend vertieft wurde durch seine Kritik an Stalins/ Bucharins „Programmentwurf der Kommunistischen Internationale“ 1928, die das Kernstück von Die III. Internationale nach Lenin bildete.

Trotzki beschäftigt sich allerdings in Die Lehren des Oktober nur in groben Zügen mit den tatsächlichen Ereignissen in Deutschland. Es war kein Ersatz für eine konkrete Analyse des Geschehens, wie Trotzki selber später feststellte:

„Sie [die Brandlerianer] beschuldigen uns, zur Lage in Deutschland 1923 noch keine konkrete Analyse vorgelegt zu haben... Das ist wahr. Ich habe die deutschen Genossen bereits des öfteren an die Notwendigkeit erinnert, eine solche Arbeit herauszubringen... Ich machte mir mein Bild von der deutschen Situation genau so, wie ich es bei der Situation in Russland 1905 und 1917 tat. Natürlich ist es jetzt, nach vollendeter Tatsache, vor allem um der jungen Generation willen notwendig, die Lage theoretisch zu rekonstruieren, mit den verfügbaren Fakten und Zahlen. Die Linke Opposition sollte diese Arbeit tun und wird sie tun.“

— Trotzki, „Principled and Practical Questions Facing the Left Opposition“ [Prinzipielle und praktische Fragen, die vor der Linken Opposition stehen],
5. Juni 1931 (Writings of Leon Trotsky, 1930/31)

Es hat wenige ernsthafte Versuche in dieser Richtung gegeben, beachtenswert ist ein Austausch zwischen Walter Held und Marc Loris (Jan van Heijenoort) in der amerikanischen trotzkistischen Presse 1942/43. Die wirklichen Urheber der Niederlage 1923 waren mit massiver Verschleierung beschäftigt. Sinowjew schob die gesamte Schuld auf den KPD-Führer Brandler, wogegen Brandler und seine Anhänger sich ein Alibi verschaffen wollten durch die Behauptung, es habe nie eine revolutionäre Situation gegeben. Brandlers Alibi wurde später von dem Historiker und Trotzki-Biografen Isaac Deutscher übernommen und danach von der Labour-nahen britischen Zeitschrift Revolutionary History und jeder anderen Spielart von faktischen Reformisten. Was Brandlers fraktionelle Gegner anbelangt — die KPD- „Linken“, die um Sinowjews Werkzeuge Ruth Fischer und Arkadi Maslow organisiert waren —, so waren sie 1923 genauso unfähig, einen revolutionären Kurs festzulegen. Fischers spätere Darstellung in Stalin und der deutsche Kommunismus (1948) dient genauso der eigenen Abdeckung wie Brandlers (und ist sogar noch verlogener).

Um Trotzkis offensichtlich opportunistischem Ausrutscher auf den Grund zu kommen — seine Unterstützung für den Eintritt in die Regierungen von Sachsen und Thüringen —, unternahm die Internationale Kommunistische Liga Forschungen und führte eine Diskussion über die Ereignisse in Deutschland durch. Höhepunkte dieser Diskussion waren ein Schulungsvortrag eines führenden Mitglieds unserer deutschen Sektion 1999 sowie auch die Diskussion bei zwei Sitzungen des Internationalen Exekutivkomitees der IKL; hinzu kam die Herausgabe von zwei internationalen Bulletins, in denen englische Übersetzungen deutschsprachiger Quellen enthalten waren.

Englischsprachige Quellen zum Studium der Ereignisse 1923 sind rar. Auf Deutsch ist Dokumentationsmaterial reichlich vorhanden, aber es ist keine einfache Aufgabe, das Nützliche von dem ganzen Haufen zu trennen, der nur der Verwischung von Spuren dient. Oft ist das wichtig, was nicht gesagt wird. So fand ein Genosse, der die Ausgaben der KPD-Zeitung Die Rote Fahne aus den ersten sechs Monaten von 1923 durchforstete, gerade mal einen Bezug auf die sozialistische Revolution, und das war in einer Resolution des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI); die Diktatur des Proletariats wurde gar nicht erwähnt!

Unser Studium der Ereignisse in Deutschland 1923 zeigte, dass das EKKI unter Sinowjew keineswegs als Korrektiv zu den parlamentarischen Gelüsten der KPD-Führung wirkte, sondern erheblich zu deren Kurs beitrug. Der von der KI unterstützte Eintritt in bürgerliche Koalitionsregierungen mit der SPD in Thüringen und Sachsen wurde theoretisch vorbereitet durch die Diskussion beim IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1922, wo solche Koalitionsregierungen als mögliche Varianten einer „Arbeiterregierung“ galten. Dieser Verwirrung stiftenden Resolution des IV. Weltkongresses stand die Spartacist-Tendenz schon immer kritisch gegenüber; von unserer Entstehung an haben wir darauf bestanden, dass eine Arbeiterregierung nichts anderes als die Diktatur des Proletariats sein kann. Unser jüngstes Studium zeigte, dass die Resolution des IV. Weltkongresses direkt inspiriert war von dem revisionistischen Impuls, der die Deutsche Revolution später zum Scheitern bringen würde; dieser Impuls wurde auf dem Kongress implizit kodifiziert.

Dieser Artikel ist als Beitrag zur theoretischen Rekonstruktion des Geschehens in Deutschland 1923 gedacht, die, wie Trotzki hervorhob, notwendig ist, um künftige Generationen von Revolutionären wieder zu bewaffnen. Natürlich sind nach mehr als 75 Jahren einige Ereignisse schwer zu rekonstruieren. Wir glauben zwar, das Wesentliche aufgedeckt zu haben, unterliegen aber nicht der Illusion, dass das Bild ganz vollständig ist.

Die unterlassene deutsche Revolution 1923

Ende 1922 stellte die Weimarer Republik die Reparationszahlungen an Frankreich ein, die in Form von Requisitionen von Kohle und anderen lebenswichtigen Gütern vom Versailler Vertrag im Juni 1919 diktiert worden waren. Dieser Vertrag war von den imperialistischen Siegermächten des Ersten Weltkriegs ausgeklügelt worden, um den besiegten Rivalen seiner ökonomischen und militärischen Stärke zu berauben. Die Folge war, dass die Regierung Poincaré im Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzte. Die deutsche Regierung, damals unter Reichskanzler Cuno, nahm eine Politik des „passiven Widerstandes“ an — ziviler Ungehorsam gegenüber den französischen und belgischen Besatzungsmächten. Rechte paramilitärische Gruppen, unterhalten von konservativen Industriellen mit privaten Geldern sowie mit vom Armeebudget abgezweigten Regierungsgeldern, infiltrierten rasch das Ruhrgebiet. Dort führten sie provokative, wenn auch größtenteils ineffektive Guerillakriege gegen die französischen Truppen.

Die Besetzung führte in Deutschland zu einem massiven finanziellen Chaos, das nicht nur zur Verelendung der Arbeiterklasse führte, sondern auch die unteren Mittelklassen ruinierte. Unter bewaffnetem Schutz presste die französische Bourgeoisie ihre blutsaugerischen Reparationen heraus und legte dadurch die übrig gebliebene deutsche Industrie lahm. Die Inflation schlug in einem Ausmaß zu, das kaum zu glauben ist. Der Wert der Mark fiel von 48 000 zum Dollar im Mai auf astronomische 4,6 Millionen im August! Die Arbeitslosigkeit stieg drastisch von 6 Prozent im August auf 23 Prozent im November.

Hugo Stinnes und andere Ruhr-Industrielle organisierten eine Protestwelle gegen die Besetzung und predigten die Notwendigkeit von nationaler Einheit gegen die Franzosen. Faktisch erstreckte sich eine nationale Front von den Faschisten auf der Rechten bis zur SPD. Die KPD, wenn auch anfänglich recht widersprüchlich, reihte sich allmählich ein. Die Sozialdemokraten gaben Solidaritätserklärungen für Geschäftsleute im Ruhrgebiet heraus, die von französischen Kräften verhaftet worden waren, dabei versuchte die SPD-Propaganda, die Wut über die französische Besetzung auszunutzen, um die kriminelle Unterstützung der SPD für den deutschen Imperialismus im Ersten Weltkrieg zu rechtfertigen. Aber es entging dem Proletariat nicht, dass Stinnes’ Appelle „jeder muss die gleichen Opfer bringen“ pure Heuchelei waren. Die wirtschaftliche Misere wurde von den Kapitalisten manipuliert, um die Gewerkschaften anzugreifen. Die rapide Abwertung der Mark machte deutsche Waren auf dem Weltmarkt spottbillig und verschaffte den Industriellen Riesenprofite, während die Gewerkschaften völlig unfähig waren, angesichts der rasenden Inflation den Lebensstandard der Arbeiter zu verteidigen. Die anfängliche Begeisterung der Arbeiter für die „nationale Einheit“ hielt nicht lange an.

Die Kommunistische Internationale reagierte schnell und mobilisierte ihre europäischen Sektionen, um im Geiste des proletarischen Internationalismus auf die französischen Provokationen zu antworten. Einige Tage vor der Besetzung des Ruhrgebiets nahm eine Delegiertenkonferenz westeuropäischer Kommunistischer Parteien in Essen eine Resolution an, die den Versailler Vertrag und die drohende Besetzung des Ruhrgebiets verurteilte.

An der Ruhr trug die Verbrüderung mit den französischen Truppen wesentlich dazu bei, eine politische Linie gegen die deutschen Nationalisten (und Sozialdemokraten) zu ziehen, und die KPD-Jugend erzielte bei dieser Arbeit einige Erfolge. Die französischen Kommunisten führten in Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Jugendinternationale eine energische Kampagne gegen die Besetzung durch; Propaganda wurde sowohl auf Französisch als auch auf Arabisch an Soldaten verteilt. In einem Fall versuchten französische Soldaten streikende deutsche Arbeiter vor deutschen Bullen zu schützen, und mehrere französische Soldaten wurden erschossen. Nach einem Massaker französischer Truppen an Arbeitern in Essen veröffentlichte Die Rote Fahne einen Solidaritätsbrief französischer Soldaten, die Geld für die Familien der ermordeten Arbeiter sammelten. Die KPD führte auch eine große Solidaritätskampagne durch, als französische Bergarbeiter in den Streik traten.

Die von der KI initiierte Kampagne bestärkte die deutsche Partei. Als Cuno am 13. Januar im Reichstag zu einem Vertrauensvotum für seine Politik des „passiven Widerstandes“ aufrief, demonstrierte die Parlamentsfraktion der KPD und stimmte gegen ihn. Die KPD veröffentlichte einen Aufruf unter der Überschrift: „Schlagt Poincaré und Cuno an der Ruhr und an der Spree“, eine prinzipienfeste Erklärung der Opposition gegen sowohl den französischen wie auch den deutschen Imperialismus.

Aber die KPD tat wenig, um unabhängigen Widerstand des Proletariats gegen den Raubzug des französischen Imperialismus zu organisieren. Streiks und Protestaktionen an der Ruhr, die an die proletarischen Klassenbrüder in Frankreich und besonders in der französischen Besatzungsarmee appellierten, hätten leicht in eine revolutionäre Richtung gelenkt werden und breitere internationale Arbeiterkämpfe hervorrufen können. Von solchen aufständischen Absichten war die KPD weit entfernt. Ein Manifest, herausgegeben vom 8. Parteitag der KPD Ende Januar/Anfang Februar 1923, zeigt, dass diese sich bereits der SPD anpasste bei der Verteidigung der von Versailles diktierten kapitalistischen Nachkriegsordnung in Europa. Die KPD rief im Wesentlichen zu einer „Arbeiterregierung“ auf, die die imperialistischen Schulden bezahlen sollte:

„Die Arbeiterregierung wird Frankreich Verhandlungen vorschlagen; sie wird ehrlich und offen das Maß dessen nennen, was das von den Schulden seiner Bourgeoisie belastete arbeitende Volk zahlen kann. Die Arbeiterregierung wird selbst Pfänder, die notwendig sind zur Bezahlung der Schulden, von den Kapitalisten in die Hand nehmen, und sie wird damit die Gewähr geben, daß ihre Worte einem ehrlichen Willen entsprechen. Die Arbeiterregierung wird so den deutschen Arbeitern helfen, die Last, die ihnen die bankerotte imperialistische Bourgeoisie aufgebürdet hat, zu tragen, bis das französische Proletariat ihnen hilft, die Fessel von Versailles zu brechen.“

— Manifest „Der Krieg an der Ruhr und die internationale Arbeiterklasse“, 8. Parteitag der KPD, 28. Januar bis 1. Februar 1923, Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Dietz Verlag 1966

Als die Wut gegenüber den französischen Besatzungskräften hochkochte, beugte sich die KPD dem nationalistischen Druck und beschrieb Deutschland praktisch als eine Kolonie und Frankreich als den „Hauptfeind“. Im Februar 1923 behauptete Brandlers rechte Hand Thalheimer, dass die deutsche Bourgeoisie „objektiv revolutionär ... wider Willen“ auftrete. Thalheimer rutschte in eine Haltung der Verteidigung der deutschen Bourgeoisie, als er bekräftigte: „Die Niederlage des französischen Imperialismus im Weltkrieg war kein kommunistisches Ziel, seine Niederlage im Ruhrkrieg ist ein kommunistisches Ziel.“ Es blieb internationalistisch gesinnten tschechischen Kommunisten wie Neurath und Sommer überlassen, Thalheimers patriotische Argumente zu widerlegen. In der KPD-Zeitschrift Die Internationale (1. April 1923) prangerte Sommer Thalheimers These als „die schönste nationalbolschewistische Sumpfblüte“ an und spielte damit auf das Banner an, unter dem einige deutsche Linke früher für einen „Krieg der nationalen Befreiung“ zusammen mit der deutschen Bourgeoisie gegen die Ententemächte eingetreten waren. Bei einer Rede auf der IX. Parteikonferenz in Moskau hatte Lenin den „Nationalbolschewismus“ scharf verurteilt als „einen widernatürlichen Block“ und gewarnt: „Wenn ihr einen Block mit den deutschen Kornilowisten [rechten Militaristen] bildet, werden sie euch reinlegen.“

Am 13. Mai 1923 fing an der Ruhr im wichtigen Industriezentrum Dortmund eine Streikwelle an. Der Streik begann als Lohnkampf von Bergarbeitern einer Grube und breitete sich schnell auf wahrscheinlich 300 000 Streikende aus, ungefähr die Hälfte aller Berg- und Metallarbeiter im Ruhrgebiet. Es kam zu regelrechten Schlachten mit den Bullen und zu Demonstrationen von über 50 000 Arbeitern. Arbeitermilizen, die so genannten Proletarischen Hundertschaften, übernahmen die Straßenmärkte und Geschäfte für die „Kontrollkommissionen“, die Preissenkungen erzwangen.

Die KPD, die wirklichen Einfluss im Proletariat in diesem Gebiet hatte, unternahm jedoch vier Tage lang nichts! Und als sie doch intervenierte, so war es mit dem Ratschlag an die Arbeiter, keine politischen Forderungen aufzustellen, sondern sich einfach mit einer Lohnerhöhung von 52 Prozent zu begnügen, die rasch von der in die Höhe schießenden Inflation aufgefressen wurde. Als Brandler auf einer Sitzung der russischen, deutschen, französischen und tschechoslowakischen KPen, die vom 21. bis 25. September in Moskau stattfand, einen Bericht zur Lage in Deutschland abgab, brüstete er sich buchstäblich damit, wie die KPD die Ruhrstreiks innerhalb der Grenzen wirtschaftlicher Forderungen gehalten hatte. Er behauptete, dass in den Proletarischen Hundertschaften faschistische Elemente arbeiten würden mit dem Ziel, die Lohnkämpfe in einen Kampf um die Macht zu verwandeln, angeblich als eine Provokation, um bürgerliche Repression herauszufordern. Zwar gab es einige Faschisten, die an der Ruhr aktiv waren, doch das Gebiet war eine proletarische Hochburg. Brandler bezeichnete eigentlich jeden Arbeiter, der für die Macht kämpfen wollte, als einen Agenten der Reaktion.

Gerade als das Proletariat begann, vom Nationalismus zu brechen, wurde ein offener Appell an die rückständigsten, offen faschistischen Elemente losgelassen. Am 29. Mai veröffentlichte Die Rote Fahne einen ungeschminkten Appell an den Nationalismus unter der Überschrift „Nieder mit der Regierung der nationalen Schmach und des Volksverrats!“ Im Juni hielt Karl Radek bei einer erweiterten EKKI-Sitzung in Moskau seine berüchtigte Lobesrede auf den deutschen Faschisten Schlageter, der von den Franzosen im Ruhrgebiet hingerichtet worden war. Schlageter hatte im Baltikum gegen die Bolschewiki gekämpft und dann gegen die Arbeiter an der Ruhr. Die Unterstützung der KPD für die „Schlageterlinie“, unterstützt von Sinowjew, führte zu einer Kampagne von Appellen an die deutschen Nationalisten, einschließlich gemeinsamer öffentlicher Veranstaltungen und „Debatten“ mit den Faschisten. Diese Kampagne hatte zweifellos eine abschreckende Wirkung auf die Initiativen für eine Verbrüderung mit den französischen Soldaten, obwohl Verbrüderungen offenbar das ganze Jahr 1923 hindurch weitergingen.

Die KPD passte sich sowohl der nationalistischen Rechten als auch der Sozialdemokratie an. An den Universitäten verbrüderten sich KPD-Führer mit Nazi-Studenten. Im Proletariat spielte die KPD allerdings die „antifaschistische“ Karte, deren wirkliche Stoßrichtung es war, auf die SPD für einen Block gegen den Faschismus zu zählen (so wurde später der Eintritt in die Regierungen von Sachsen und Thüringen begründet).

Die „Schlageterlinie“ erhielt eifrige Zustimmung der KPD-„Linken“ — Ruth Fischer war eine regelmäßige Rednerin bei diesen „Debatten“, die weitergingen, bis die Nazis sie abbrachen. Bei einer solchen Veranstaltung erklärte Fischer: „Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß“ (zitiert in Werner T. Angress, Die Kampfzeit der KPD 1921–1923). Trotz ihrer schrillen Verdammungen der Parteiführung hatten die „Linken“ um Fischer/Maslow genauso wenig wie Brandler den Kampf für die Macht im Sinn. Beide Fraktionen beschäftigten sich hauptsächlich mit cliquistischen Manövern, mit denen sie sich bei Sinowjew einschmeicheln wollten.

Trotz der Bemühungen der KPD-Führung, Wasser auf die Flammen des Klassenkampfes zu gießen, brachen die arbeitenden Massen zu Tausenden von der Sozialdemokratie und gingen zur KPD. Das wird 1936 in einem Bericht von Arthur Rosenberg bezeugt, der 1923 in der KPD war und 1924 als Anhänger der Fischer-Gruppe in die Zentrale gewählt wurde. Rosenberg bemerkte:

„Im Verlaufe des Jahres 1923 nahm die Kraft der SPD ständig ab. Die Partei durchlebte eine Krise, die an das Jahr 1919 erinnerte. Vor allem die freien Gewerkschaften, die stets die Hauptstütze des sozialdemokratischen Einflusses gewesen waren, befanden sich in voller Auflösung. Die Inflation vernichtete den Wert der Verbandsbeiträge. Die Gewerkschaften konnten ihre Angestellten nicht mehr besolden und den Mitgliedern keine Unterstützungen mehr leisten. Die Tarifverträge, wie die Gewerkschaften sie mit den Unternehmern abzuschließen pflegten, wurden gegenstandslos, wenn die Geldentwertung schon acht Tage später die ausgehandelten Löhne über den Haufen warf. So wurde die gewerkschaftliche Arbeit alten Stils zwecklos. Millionen von deutschen Arbeitern wollten von der alten Gewerkschaftstaktik nichts mehr wissen und verließen die Verbände. Die Zersetzung der Gewerkschaften war zugleich eine Lahmlegung der SPD...

Die KPD hatte zwar auch keine revolutionäre Politik, aber kritisierte wenigstens laut und heftig die Regierung Cuno und verwies auf das russische Vorbild. So strömten ihr die Massen zu. Noch gegen Ende 1922 hatte die neu vereinigte Sozialdemokratische Partei die große Mehrheit der deutschen Arbeiter umfaßt. Im nächsten Halbjahr verschob sich das Verhältnis vollkommen. Ohne Zweifel hatte im Sommer 1923 die KPD die Majorität des deutschen Proletariats hinter sich.“

— Arthur Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik

Das wahrscheinlich umfassendste auch auf Englisch erhältliche Buch über diese Periode ist Die Kampfzeit der KPD 1921–1923 von Angress. Sogar Angress, der ganz offenkundig nicht glaubt, dass 1923 eine Arbeiterrevolution möglich war, gibt zu, dass die KPD an Stärke gewann, und erwähnt, „daß die Sozialdemokratische Partei immer weniger in der Lage war, ihre Mitglieder bei der Stange zu halten“.

Wenn es je eine revolutionäre Situation gegeben hat, dann diese. Aber obwohl die Basis der KPD mehrere hunderttausend revolutionär gesinnte Arbeiter umfasste, fehlte der Führung der Appetit, das Proletariat zur Machtergreifung zu mobilisieren. Als die Lage am heißesten war, erklärte Brandler in Die Rote Fahne (2. August 1923): „Wir müssen die Schlachten schlagen, vor die uns die Geschichte stellt, aber wir müssen dabei noch immer im Auge behalten, daß wir momentan noch schwächer sind. Wir dürfen jetzt nicht nur noch keine Generalschlacht liefern, sondern wir müssen alles vermeiden, was dem Feinde ermöglichen würde, uns teilweise zu schlagen“ (zitiert in Angress).

Brandler hielt diese Position noch lange nach den Ereignissen von 1923 aufrecht. Diese gleiche „Einsicht“ ist heute die Summe und Substanz dessen, was die britischen Sozialdemokraten von Revolutionary History — eine „nicht parteigebundene“ Publikation, unterstützt von einem Spektrum pseudotrotzkistischer Individuen und Gruppen — über 1923 zu sagen haben. In einer Ausgabe von Revolutionary History (Frühjahr 1994), die „Deutschland 1918–1923“ gewidmet ist, behauptet Mike Jones, Trotzkis verhängnisvoller Fehler 1923 habe darin gelegen, dass er angeblich „den Einfluss der SPD auf Millionen Arbeiter [unterschätzte]. Er unterschätzte die materielle Stärke des Reformismus, der bürgerlichen Demokratie und so weiter unter den deutschen Arbeitern.“ Das ist natürlich die altbewährte Methode der Opportunisten, für Niederlagen immer die „Unreife der Massen“ verantwortlich zu machen und damit die Irreführer zu entschuldigen.

Während der Griff der SPD auf die Massen geschwächt war, tat die KPD wenig, um die Reformisten zu entlarven und dies energisch für ihre eigenen politischen Ziele zu nutzen. Ein besonders krasser Ausdruck dieser versöhnlerischen Politik erschien am 21. Januar 1923 in einem Artikel in Die Rote Fahne, der an die SPD appellierte: „Burgfrieden unter den Arbeitern“. Zum „Burgfrieden“ hatte 1914 der Kaiser aufgerufen, als er verlangte, dass es in Deutschland keinen Klassenkrieg geben darf, während die Bourgeoisie gegen ihre imperialistischen Rivalen in den Krieg zieht! In Sachsen gab die KPD indirekt der Regierung des linken SPDlers Erich Zeigner Unterstützung. Als im Juni in Leipzig Bullen in eine Demonstration von Arbeitern und Arbeitslosen hineinschossen und mehrere töteten, weigerte sich Brandler, irgendetwas zu unternehmen, und verlangte stattdessen ... eine Untersuchungskommission! Nicht weniger erbärmlich war von Seiten der KI Sinowjews und Radeks Forderung, die KPD solle ihre Unterstützung für Zeigner zurückziehen, bis ... er einen neuen Polizeikommissar bestimmt habe. Alle Seiten fürchteten klar einen politischen Zusammenstoß mit den „linken“ SPD-Führern, die Sachsen regierten.

Vom August zum Oktober

Die Regierung wurde im August durch den „Cuno-Streik“ gestürzt, der von Berliner Druckern begonnen wurde, die sich weigerten, weiter Geld zu drucken. Die von der KPD beeinflussten Betriebsräte trieben dies praktisch zu einem Generalstreik voran, gegen die Einwände der Gewerkschaftsführer. Aber die Partei hatte keinerlei Politik, in die Offensive zu gehen, nie ging sie über den Rahmen eines militanten Streiks hinaus. Die Streikenden hatten Cunos Rücktritt gefordert. Als das eintrat, strömten die Arbeiter zu ihren Arbeitsplätzen zurück, gegen den Wunsch der KPD. Die KPD rief zu einer „Arbeiterregierung“ auf, aber sie rief nicht dazu auf, Organe der Doppelherrschaft zu errichten, die als Brücke zur proletarischen Herrschaft dienen würden.

Die Cuno-Regierung wurde durch Gustav Stresemanns „Große Koalition“ ersetzt, an der vier SPD-Minister teilnahmen. Für Mike Jones und Revolutionary History setzte die Stresemann/SPD-Koalition jeglichen revolutionären Möglichkeiten ein Ende, die zuvor in diesem Jahr vielleicht „hätten“ existieren „können“. Aber die Regierung Stresemann führte keineswegs zu einer derartigen Stabilisierung der Lage, wie Jones uns das glauben machen möchte. Stresemann selber war bei seiner Amtsübernahme nicht so überzeugt; daher seine Bemerkung: „Wir sind die letzte bürgerlich parlamentarische Regierung.“ Im Oktober 1923 herrschte unter den Massen in Deutschland immer noch eine erwartungsvolle Stimmung, wie Victor Serge, der damals als Komintern-Journalist in Berlin arbeitete, später bezeugte:

„An der Schwelle ... Losschlagen! Losschlagen heißt den Schlag ausführen, den man zurück gehalten hat, in Aktion treten. Das Wort ist in jedermanns Munde, auf dieser Seite der Barrikade. Auf der anderen Seite vermutlich auch. In Thüringen, wo bei halbklandestinen Veranstaltungen ein kommunistischer Sprecher angesagt ist, bauen sich am Eingang Arbeiter vor ihm auf, die er nicht kennt. Ein Eisenbahner fragt und kommt dabei direkt zum Punkt: ,Wann werden wir losschlagen? Wann?‘

Dieser Arbeiter, der bei Nacht 50 Meilen gefahren ist, um diese Frage zu stellen, versteht nicht viel von Taktik und Zeitplanung: ,Meinen Leuten‘, sagt er, ,reichts jetzt. Beeilt euch!‘“

— Victor Serge, „A 50 Day Armed Vigil“
[Eine bewaffnete Wache, 50 Tage lang]
(Februar 1924), nachgedruckt in Witness to
the German Revolution
(2000)

Anfang Oktober trat die KPD als Koalitionspartner in die SPD-Regierungen von Sachsen und Thüringen ein, angeblich mit dem Ziel, ihre Ministerposten zur Beschaffung von Waffen zu nutzen. Es geschah natürlich nichts dergleichen. General Müller marschierte gegen Sachsen und forderte die Auflösung der Proletarischen Hundertschaften. Brandler, jetzt selber Minister, machte die Organisierung eines Aufstands von der Unterstützung der Sozialdemokraten bei einer Konferenz von sächsischen Arbeiterorganisationen in Chemnitz am 21. Oktober abhängig. Brandler brachte einen Antrag für einen Generalstreik ein, der der Funke für den Aufstand sein sollte. Als aber die SPD-Delegierten dagegen waren, machte Brandler einfach einen Rückzieher. Und das war das Ende der Deutschen Revolution, mit der Ausnahme von Kämpfen in Hamburg, wo einige hundert Kommunisten mehrere Polizeiwachen besetzten und sich gut hielten, bevor sie zum Rückzug gezwungen wurden.

Wer hat je von Kommunisten gehört, die eine Revolution organisieren und dabei den Sozialdemokraten Vetorecht geben? Die Historikerin Evelyn Anderson bemerkte scharfsinnig:

„Die Position der Kommunisten war offensichtlich absurd. Die Politik, einerseits Regierungsverantwortung zu übernehmen, andererseits eine Revolution vorzubereiten, hob sich gegenseitig auf. Dennoch verfolgten die Kommunisten beide Wege zu gleicher Zeit; die unvermeidliche Folge war ein kompletter Versager.“

— Evelyn Anderson, Hammer oder Amboss (1948)

Russland 1917 kontra Deutschland 1923

Bei seiner Einschätzung der verhängnisvollen Schwankungen der KPD 1923 ging Trotzki niemals davon aus, dass der Herbst den Höhepunkt der Revolution dargestellt habe. Im Herbst war es schon reichlich spät. 1924 schrieb Trotzki:

„Es ist wahr, im Monat Oktober kam es in der Politik der Partei zu einem scharfen Bruch. Aber es war bereits zu spät. Im Laufe des Jahres 1923 erkannten die arbeitenden Massen bzw. spürten sie, dass der Augenblick des Entscheidungskampfes näher kam. Sie sahen jedoch bei der Kommunistischen Partei nicht die notwendige Entschlossenheit und das nötige Selbstvertrauen. Und als die Partei mit ihren fieberhaften Vorbereitungen auf einen Aufstand begann, verlor sie sofort das Gleichgewicht und auch ihre Verbindungen zu den Massen.“

— Trotzki, Einleitung zu The First Five Years of the Communist International [Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale]

Innerhalb des russischen Politbüros war es Lenins Aufgabe gewesen, zu verfolgen, was in der deutschen Partei passierte; Trotzki war für die französische Partei verantwortlich. Im März 1923 erlitt Lenin einen schweren Schlaganfall. Trotzki erkannte erst im August, dass in Deutschland eine revolutionäre Situation eingetreten war. Am 23. August traf sich das russische Politbüro, um in Anwesenheit von Brandler die Perspektiven der deutschen Partei zu diskutieren. Sinowjew war schwankend und doppeldeutig, ebenso wie Radek. Stalin hatte, wie Trotzki erst einige Jahre später herausfinden sollte, darauf gedrungen, die Deutschen zurückzuhalten, und an Sinowjew und Bucharin geschrieben: „Natürlich schlafen die Faschisten nicht, aber es liegt in unserem Interesse, dass sie zuerst angreifen... Meiner Meinung nach müssen die Deutschen gezügelt und nicht angespornt werden“ (zitiert in Maurice Spectors Einleitung vom 11. Januar 1937 zu The Lessons of October [Lehren des Oktober]). Das PB richtete einen ständigen Ausschuss ein, der Unterstützung für die deutsche Revolution mobilisieren sollte, und startete eine Solidaritätskampagne, die auf die Rote Armee und die sowjetische Bevölkerung insgesamt elektrisierend wirkte. In den Städten wurden die ohnehin knappen Getreidevorräte gesammelt, um sie im entscheidenden Moment nach Deutschland zu schicken. Aber das Politbüro schwankte weiter hin und her, ob die KPD auf einen sofortigen Aufstand hinsteuern sollte. Fischer und Maslow wurden nach Moskau geholt und schließlich wurde im September entschieden, dass die KPD den Termin für die Eroberung der Macht festsetzen soll. Brandler gab ehrlich zu, dass er Zweifel an diesem Kurs und an seinen eigenen Fähigkeiten hatte — er sagte ausdrücklich, er sei kein Lenin, und bat darum, dass Trotzki nach Deutschland geschickt werde, um die Revolution zu führen. Offensichtlich hoffte Brandler, dass Trotzki Sowjets und eine Revolution aus dem Boden stampfen könnte.

Die deutsche Frage wurde immer mehr den Wirren des Fraktionskampfes in der russischen Partei untergeordnet. Zu dieser Zeit wurde Trotzki von der führenden Troika — Sinowjew, Kamenjew und Stalin — beiseite gedrängt. Doch die Troika konnte sich kaum offen gegen eine proletarische Revolution in Deutschland stellen und stimmte Trotzki zu, dass ein Termin festgelegt werden müsse. Sinowjew erfüllte auch halbwegs Trotzkis Forderung, Fischer und Maslow in Moskau zu behalten, um das zerstörerische Potenzial der deutschen „Linken“ während des Aufstands zu dämpfen (Maslow blieb in Moskau, während Fischer zurückkehren durfte). Aber die Troika konnte es nicht riskieren, Trotzki die Gelegenheit zu geben, die Deutsche Revolution zu führen; sie bestand darauf, dass Trotzkis Anwesenheit in Moskau nötig sei.

Hinter Stalin, Kamenjew und Sinowjew stand der wuchernde bürokratische Partei- und Staatsapparat in Russland. Wenige Monate später würde die Troika auf der Parteikonferenz im Januar 1924 die antibürokratische Opposition zerschlagen und die politische Macht für die Bürokratie erobern. Aber im Sommer und Frühherbst 1923 stand für Trotzki die Tür noch offen, für eine Intervention der Komintern zu kämpfen, die den entscheidenden Unterschied für die Ausnutzung der revolutionären Gelegenheit gemacht hätte: die politische Bewaffnung der KPD. Leider fehlten Trotzki sowohl politisches Verständnis als auch Informationen über die wirkliche Praxis der KPD in Deutschland. Seine Herangehensweise war damals weitgehend administrativ.

Was 1923 nötig war, war eine politische Wiederbewaffnung der deutschen Kommunisten, so wie Lenin das im April 1917 nach seiner Rückkehr aus der Schweiz in der bolschewistischen Partei durchgeführt hatte. In der ersten Zeit nach der Februarrevolution hatten Stalin, Kamenjew und andere Teile der aus der sibirischen Verbannung zurückgekehrten bolschewistischen Führung den ursprünglichen Beschluss des Büros des Zentralkomites gekippt und die Partei auf eine Politik der kritischen Unterstützung für die nach der Abdankung des Zaren gebildete bürgerlich-demokratische Provisorische Regierung ausgerichtet, „insofern sie gegen Reaktion und Konterrevolution kämpft“. In seinen Aprilthesen argumentierte Lenin entschieden gegen diese Kapitulationslinie, er lehnte jedwede Unterstützung der Provisorischen Regierung oder Annäherung an die sozialdemokratischen Menschewiki ab; seine Forderungen waren: Alle Macht den Sowjets und die Bewaffnung der Arbeiter. Ohne diesen entscheidenden Kampf — und weiterer Kämpfe gegen Leute wie Kamenjew und Sinowjew, die vor der Organisierung des Aufstands zurückschreckten — wäre es nie zur Oktoberrevolution gekommen.

Insbesondere betonte Lenin, dass über den Charakter des Staates völlige Klarheit herrschen muss. Selbst die „demokratischste“ bürgerliche Republik ist ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Herrschaft einer Minderheit von Ausbeutern über die Massen der Ausgebeuteten. Eine sozialistische Revolution bedeutet die Zerschlagung des bestehenden Staatsapparats — dessen Kern aus Armee, Polizei, Gerichten und Gefängnissen besteht — und seine Ersetzung durch einen neuen Staat, der sich auf proletarische Machtorgane, Sowjets, stützt. Dieser Staat wird die Kapitalistenklasse unterdrücken und somit die Diktatur des Proletariats darstellen. Diese Perspektive, gegen die selbst linke Menschewiki wie Martow kämpften, wurde in der Oktoberrevolution verwirklicht.

Nach der Oktoberrevolution ging der linke deutsche Sozialdemokrat Karl Kautsky in seiner Polemik Die Diktatur des Proletariats von 1918 die Bolschewiki an, weil sie die Konstituierende Versammlung aufgelöst hatten. Kautsky behauptete, dass diese bürgerlich-parlamentarische Körperschaft eine höhere Form der Demokratie sei als die Sowjets. Lenin, der die Arbeit an Staat und Revolution unterbrechen musste, um die Oktoberrevolution anzuleiten, verwendete das ungenutzte Material 1918 in seiner Antwort auf den „Renegat Kautsky“. Lenin erläuterte, dass Kautsky, trotz seiner „linken“ Positur und angeblichen Begeisterung für die Sowjets, wesensverwandt mit dem Menschewik Martow war, der das Grausen kriegte bei der Vorstellung von Sowjets als Trägern der proletarischen Staatsmacht:

„Der Kern der Frage ist ja gerade, ob die Sowjets danach streben sollen, zu Staatsorganisationen zu werden ... oder ob die Sowjets nicht danach streben sollen, ob sie nicht die Macht ergreifen, nicht zu Staatsorganisationen werden sollen, sondern ,Kampforganisationen‘ einer ,Klasse‘ zu bleiben haben (wie sich Martow ausdrückte, der mit seinem frommen Wunsch fein säuberlich die Tatsache beschönigt, daß die Sowjets unter der menschewistischen Führung ein Werkzeug zur Unterordnung der Arbeiter unter die Bourgeoisie waren)...

Also, die unterdrückte Klasse, die Vorhut aller Werktätigen und Ausgebeuteten in der heutigen Gesellschaft, soll [nach Kautsky] ,Entscheidungskämpfe zwischen Kapital und Arbeit‘ anstreben, aber die Maschine, mit deren Hilfe das Kapital die Arbeit knechtet, darf sie nicht antasten! — Sie darf diese Maschinerie nicht zerschlagen! — Sie darf ihre umfassende Organisation nicht zur Niederhaltung der Ausbeuter ausnutzen!...

Hier eben wird der völlige Bruch Kautskys sowohl mit dem Marxismus als auch mit dem Sozialismus offenbar. Das ist faktisch der Übergang auf die Seite der Bourgeoisie, die bereit ist, alles mögliche zuzulassen, nur nicht die Umwandlung der Organisationen der von ihr unterdrückten Klasse in Staatsorganisationen.“

— Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Oktober/November 1918 (Werke Bd. 28)

Diese Polemik zwischen Lenin und Kautsky über die Oktoberrevolution deutete schon an, was in Deutschland geschehen sollte. Als durch die Novemberrevolution 1918 Kaiser Wilhelm zum Abdanken gezwungen wurde, errichteten die arbeitenden Massen Arbeiter- und Soldatenräte bei ihrem Versuch, den gleichen Weg einzuschlagen wie das Proletariat von Russland. Die SPD wollte um jeden Preis diese Räte auflösen, um sie durch die Nationalversammlung — ein bürgerliches Parlament — zu ersetzen. Die neu gegründete KPD forderte: Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten! Die Unabhängigen — die USPD —, die von Leuten wie Kautsky und Rudolf Hilferding geführt wurden, behaupteten, sowohl für die Nationalversammlung als auch für die Arbeiterräte zu sein, und forderten, Letztere in der Weimarer Verfassung zu verankern. Die USPD erwies der SPD große Dienste, als sie das Image der Nationalversammlung aufpolierte; danach war es relativ leicht, die Räte aufzulösen.

Da noch keine kommunistische Organisation existierte, waren die durch den Krieg radikalisierten Arbeitermassen in die USPD geströmt. Obwohl in ihren Taten durch und durch reformistisch, war die USPD aufgrund ihres verbalen Marxismus noch gefährlicher als die SPD: Diese Phraseologie diente dazu, die fortgeschritteneren Arbeiter, die die SPD bereits durchschaut hatten, zu betrügen. Mitten in der sich entfaltenden Revolution trat der Spartakusbund von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht endlich aus der USPD aus und gründete gemeinsam mit einigen kleineren Gruppen unabhängiger Radikaler die KPD. Dass sie nicht früher mit Kautskys Zentrismus gebrochen hatten, brachte die Deutsche Revolution von 1918 zum Scheitern. Die deutschen Kommunisten haben nie wirklich verstanden, wie wichtig es war, dass die Bolschewiki politisch unnachgiebig von allen Spielarten des Reformismus und Zentrismus gespalten haben.

Da Kautskys Angriffe auf die Oktoberrevolution in Deutschland unbeantwortet geblieben waren, schrieb Lenin im September 1918 an die sowjetischen Gesandten in Westeuropa:

„Der schändliche Unsinn, das kindische Gestammel und der platteste Opportunismus Kautskys geben Anlaß zu der Frage: Warum tun wir nichts zum Kampf gegen die theoretische Verflachung des Marxismus durch Kautsky?

Darf man es dulden, daß sogar Menschen wie Mehring und Zetkin sich mehr ,moralisch‘ (wenn man sich so ausdrücken darf) als theoretisch von Kautsky abgrenzen?“

— Lenin, „An W. W. Worowski“, 20. September 1918 (Werke Bd. 35)

Lenin drängte darauf, dass die Gesandten „eingehend mit den Linken (den Spartakusleuten und anderen) sprechen und sie anregen, in der Presse mit einer prinzipiellen, theoretischen Erklärung aufzutreten, in der erläutert wird, daß Kautsky in der Frage der Diktatur nicht den Marxismus vertritt, sondern plattestes Bernsteinianertum an den Tag legt“. Es waren Lenin und Trotzki — und kein Einziger von den deutschen Führern —, die die Hauptpolemiken gegen Kautsky schrieben: von Lenins Staat und Revolution (1917), Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky und Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus bis zu Trotzkis Terrorismus und Kommunismus von 1920 und Zwischen Imperialismus und Revolution von 1922.

Die deutschen kommunistischen Führer konnten Kautsky, den herausragenden Führer des deutschen „Marxismus“ vor dem Krieg, nicht auseinander nehmen, weil sie mit seiner Konzeption der „Partei der Gesamtklasse“ und dem Parlamentarismus der alten SPD niemals entscheidend gebrochen hatten. Die Vorkriegssozialdemokratie hatte sich immer mehr an das Wilhelminische Reich mit seinem autokratischen Rechtssystem angepasst. Ein Ausdruck davon war, dass sich die SPD einem Gesetz unterwarf — das bis 1918 in Kraft blieb —, wonach eine offizielle Polizeipräsenz bei allen öffentlich angekündigten Treffen vorgeschrieben war, so auch bei Ortsgruppensitzungen und sogar Parteitagen. Wie Richard Reinhard in seinem Buch Crippled from Birth—German Social Democracy 1844-1870 dokumentiert [Von Geburt an verkrüppelt — Die deutsche Sozialdemokratie 1844–1870] (1969), bedeutete dies, dass die Bullen sofort jede SPD-Versammlung auflösen konnten, wenn sie etwas hörten, was ihnen nicht passte.

Marxistische Revolutionäre kämpfen im Kapitalismus für das Recht, ihre Aktivitäten legal durchführen zu können. Aber sich a priori an eine vom bürgerlichen Staat definierte „Legalität“ anzupassen heißt, den Kampf für die proletarische Revolution aufzugeben. Selbst in den „demokratischsten“ kapitalistischen Ländern brauchten die Marxisten eine illegale Parteiorganisation und Presse, um während des Ersten Weltkriegs die Wahrheit über ihre eigenen imperialistischen Regierungen sagen zu können. Doch für die Brandler-Führung der KPD waren die leninistische Konzeption einer Avantgardepartei und die ganze Erfahrung der Bolschewiki — einschließlich der Notwendigkeit, eine parallele illegale Organisation aufzubauen — für „zivilisierte“ Länder wie Deutschland nicht geeignet. Die KPD-Führung schwankte hin und her zwischen dem Opportunismus und Parlamentarismus von Brandler und dem idiotischen Ultimatismus von Fischer und Maslow und war damit unfähig, den Kampf um die Macht zu organisieren und den Einfluss der SPD in der Arbeiterklasse entscheidend zu brechen.

1923 verwischte die KPD die Linien, die Lenin klar zwischen einem bürgerlichen Staat und einem Arbeiterstaat gezogen hatte. Es fehlte jeder Aufruf zum Aufbau von Sowjets, Arbeiterräten, die die Organe der Arbeiterherrschaft gewesen wären. Stattdessen betonte die Propaganda der KPD den Aufbau einer „Arbeiterregierung“, die, wie es die Leitsätze des 8. Parteitags der KPD Ende Januar und Anfang Februar deutlich machten, „weder die Diktatur des Proletariats noch ein friedlicher, parlamentarischer Aufstieg zu ihr“ sein sollte, sondern ein „Versuch der Arbeiterklasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben“ (Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung). Im Mai wurde mit der Unterstützung von Fischers „Linken“ bei einem Treffen mit dem EKKI eine Resolution zurechtgebastelt, die im Prinzip auch nichts anderes darstellte und die Vorstellung verbreitete: „Die Arbeiterregierung kann ausgehen von den bestehenden demokratischen Institutionen.“

Das war der Kern des Problems: Die KPD-Führung erwartete — und zwar beide Flügel —, dass ihr die politische Macht durch den Mechanismus des bürgerlichen Staates zufallen würde. Es gab überhaupt kein Konzept von der Eroberung der Macht und von der Notwendigkeit von Organen proletarischer Herrschaft, die dieser Macht als Basis gedient hätten. Sowjets oder irgendeine entsprechende Körperschaft hätten die bestehende Staatsmacht in einem Prozess, der zwangsläufig einen militärischen Konflikt mit sich bringt, ersetzen müssen.

Als die Kommunisten im Oktober Ministerposten in Sachsen und Thüringen annahmen, verstärkte das nur noch die existierende Neigung zum Parlamentarismus. Wenn das tatsächlich schon eine Arbeiterregierung war, dann war ja wohl anzunehmen, dass ein außerparlamentarischer revolutionärer Kampf — die Bildung von Arbeiterräten und bewaffneten Arbeitermilizen — völlig überflüssig sei. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiter hatte keine Ahnung, dass ein bewaffneter Aufstand näher rückte. Natürlich wird keine Führung, die klar bei Verstand ist, im Voraus das Datum eines Aufstands in die Welt hinausposaunen. Aber 1917 in Russland verstand das Proletariat genau, dass es das Programm der Bolschewiki war, gestützt auf die Sowjets die Macht zu erobern.

In den Lehren des Oktober verteidigte Trotzki den Ratschlag der KI von 1923, nicht zu Sowjets aufzurufen, sondern sich stattdessen auf die Betriebsräte zu stützen. Trotzki argumentierte, dass „die Betriebsräte bereits in Wirklichkeit zu Konzentrationspunkten der revolutionären Masse geworden“ waren und dass Sowjets, die in dieser Phase des Kampfes gebildet würden, organisatorisch überflüssig wären. Außerdem war — wie Trotzki erklärte, als er in seinem Artikel „Über Arbeiterkontrolle der Produktion“ von 1931 auf diese Frage zurückkam — das Wort „Sowjet“ nach 1917/18 das „Synonym der bolschewistischen Diktatur, folglich ein Schreckgespenst der Sozialdemokratie... Für den bürgerlichen Staat und besonders für seine faschistische Leibwache wäre eine kommunistische Initiative zur Bildung von Räten gleichbedeutend mit der direkten Erklärung des Bürgerkriegs durch das Proletariat“ (Schriften über Deutschland [1971]).

Mit ihrem Betriebsrätegesetz vom Februar 1920 hatte die SPD-Regierung die Betriebsräte als Ersatz für die Arbeiter- und Soldatenräte eingeführt, die aufgelöst worden waren. Die SPD wollte die Betriebsräte — die in allen Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten gewählt werden sollten — unter der Fuchtel der Gewerkschaftsbürokratie halten, also wurden sie damit beauftragt, die Bedingungen der von den Gewerkschaften ausgehandelten Verträge durchzudrücken. In dem Monat vor der Verabschiedung dieses Gesetzes demonstrierten Zehntausende dagegen; die Berliner Polizei schoss auf die Demonstration und tötete 42 Menschen.

Aber in den folgenden Jahren wurden die Betriebsräte immer mehr zum Zentrum von militanten Kämpfen. So genannte „wilde“ (oder nicht genehmigte) Konferenzen von Betriebsräten fanden auf regionaler und sogar nationaler Ebene statt. Sie wurden von der KPD dominiert und im Allgemeinen von der SPD boykottiert. Unsere eigenen Nachforschungen über das Ausmaß, in dem die arbeitenden Massen die Betriebsräte unterstützten, führten zu keinem eindeutigen Ergebnis, auch wenn es erhebliche Beweise dafür gibt, dass sie ab 1923 eine viel größere Rolle zu spielen begannen. Trotzkis Argumente, dass die Betriebsräte zu Instrumenten eines proletarischen Aufstands werden konnten, war 1923 eine realistische revolutionäre Perspektive. Sie hatten das Potenzial, viel repräsentativer als lediglich auf die Fabrik gestützte Organisationen zu werden: Betriebsräte traten miteinander in Verbindung und arbeiteten auch mit den Proletarischen Hundertschaften zusammen sowie mit den Kontrollausschüssen, die die Verteilung und die Preise der Lebensmittel regulierten und im Ruhrgebiet besonders weit verbreitet waren.

Das Problem ist, dass die KPD nicht danach strebte, diesen Keimformen der proletarischen Doppelherrschaft einen revolutionären Inhalt zu verleihen. Selbst nachdem die Komintern die KPD-Führung dazu gedrängt hatte, der Organisierung des Aufstands zuzustimmen, blieben allen Anzeichen zufolge die Betriebsräte nichts anderes als militante Streikkomitees. Diese hätten ein Ausgangspunkt sein können — tatsächlich gingen die russischen Sowjets 1905 ursprünglich aus Streikkomitees hervor —, doch die KPD versuchte niemals, das Proletariat mit dem nötigen Bewusstsein zu erfüllen, um Organe der Arbeiterherrschaft zu schaffen. Losungen mit der Stoßrichtung: „Alle Macht den Betriebsräten!“ gab es nicht. Auch in den Proletarischen Hundertschaften sah die KPD-Führung keine Instrumente, durch die man den bürgerlichen Staat stürzen und ersetzen kann, sondern eher Anhängsel dieses Staates. In Gelsenkirchen, einer Stadt im Ruhrgebiet, die praktisch von der KPD kontrolliert wurde, baten die Kommunisten die Stadtverwaltung, einen Polizeibeamten mit der Ausbildung der Arbeitermilizen zu beauftragen! In Sachsen schlug die KPD vor, die SPD-Regierung solle die Arbeitermiliz in die Polizei integ-rieren. Ebenso bestand die Strategie der KPD gegenüber den Kontrollausschüssen in dem Versuch, diese durch die jeweilige Stadtverwaltung „legalisieren“ zu lassen.

Die militärische Frage

Es gibt ein Sprichwort: Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage ist immer ein Waisenkind. In Lehren des Oktober erläuterte Trotzki, was passiert wäre, wenn Lenin nicht an Ort und Stelle gewesen wäre, um die Russische Revolution zum Sieg voranzutreiben: „Die offiziösen Geschichtsschreiber würden die Sache natürlich so darstellen, dass der Aufstand im Oktober 1917 der purste Unsinn gewesen wäre, und sie würden dem Leser markerschütternde statistische Aufstellungen vorsetzen über die Kräfte der Junker, Kosaken, Stoßtruppen, über die fächerförmig aufgestellte Artillerie und über die Armeekorps, die von der Front heranrückten.“

Alle möglichen Schriftsteller, darunter einige mit linken Ansichten, behaupten beweisen zu können, dass die Revolution in Deutschland 1923 unmöglich war. Der Historiker Helmut Gruber argumentiert, dass „die Proletarischen Hundertschaften nicht dazu da waren, es mit der Armee oder Polizei aufnehmen zu können, sondern als Gegengewicht gegen rechte paramilitärische Einheiten“, und zieht daraus den Schluss, dass eine „Streitmacht von 250 000 gut ausgebildeten, schwer bewaffneten Männern einem Aufstand gewachsen war, selbst wenn dieser in der Bevölkerung eine breite Basis hatte. In diesem wie auch in anderen Fällen verschleierten die Russen die Gefahr, indem sie Parallelen zu ihrer Oktoberrevolution entdeckten“ (Gruber, International Communism in the Era of Lenin [Internationaler Kommunismus in der Ära von Lenin — 1967]).

Diese Geschichte geht also folgendermaßen: Die deutschen Arbeiter waren an Bewaffnung und Zahl hoffnungslos unterlegen; der nüchtern denkende KPD-Führer Brandler verstand das, er ließ sich aber von den Russen einschüchtern, deren Fehler es war, zu glauben, dass die Erfahrungen der Oktoberrevolution relevant seien. Und wenn die Revolution unmöglich war, dann bestand nach dem Diktat dieser Logik die einzige Alternative in Veränderungen durch parlamentarische Reformen, womit sich die Masse des deutschen Proletariats angeblich abgefunden hatte.

Doch 1923 war das deutsche Proletariat zu Tausenden mit der Waffe in der Hand mobilisiert, bereit die Macht zu erobern. Die Arbeiter hatten Zugang zu Zehntausenden von leichten Waffen, die sie nach dem Krieg auf den Feldern vergraben hatten, gleichzeitig setzten sich ihre Milizen aus Veteranen des Ersten Weltkriegs zusammen, die erfahrene Kämpfer waren. Aber die Vorstellung, dass ein Aufstand disziplinierte Einheiten von Menschen braucht, die nicht nur mit Gewehren, sondern auch mit Maschinengewehren und schweren Waffen bewaffnet sind, ging offensichtlich weit über den Horizont der KPD-Führung hinaus.

Die Reichswehr war eine ausschließlich aus Freiwilligen bestehende, hoch motivierte Truppe, in der viele aus den Reihen der Freikorps kamen — später beschönigend umbenannt in „Wehrvereine“: faschistoide paramilitärische Einheiten, die von Großindustriellen finanziert wurden und in konterrevolutionären Massakern erfahren waren. Die Armee sonderte Kommunisten, Sozialisten und Juden sorgfältig aus und zog es vor, aus ländlichen Gebieten zu rekrutieren. Die Armee konnte nicht leicht gespalten werden, aber aufgrund ihrer geringen Größe — unter den Bedingungen des Versailler Vertrages war sie auf 100 000 Mann begrenzt — stellte sie kaum mehr als eine ziemlich große Polizeitruppe dar. Sie hätte nicht ausgereicht, um einen entschlossenen proletarischen Aufstand im ganzen Reich niederzuschlagen.

1923 war der größte Teil der Freikorps dann in die reguläre Armee integriert. Es gab auch die „Schwarze Reichswehr“ — illegal rekrutierte Anhängsel zur Reichswehr, im Allgemeinen mit zweifelhafter Kampfkraft — und die faschistischen Banden. Wie Trotzki feststellte, wurden die Kräfte der Faschisten ungeheuer übertrieben und existierten zu einem Großteil nur auf dem Papier, was sich daran zeigte, mit welcher Leichtigkeit Hitlers „Bürgerbräu-Putsch“ im November in Bayern auseinander gejagt wurde. Stalin und Radek hatten die Stärke der Faschisten überbetont als Vorwand dafür, die Organisierung eines Aufstands zu vermeiden. Das heißt nicht, dass man die Faschisten nicht ernst nehmen musste, aber es war auch nicht 1931, als Hitler über hunderttausend SA-Leute verfügte.

Massenaufstände in der Weimarer Republik

Die Weimarer Republik hatte keine mythische, stabile parlamentarische Demokratie gebracht, sondern aufständische und halb aufständische Bewegungen über fünf Jahre hinweg, mit größeren Zusammenstößen zwischen bewaffneten Arbeitern und dem Staat. Im Januar 1919 und erneut im folgenden Frühjahr gab es massive Konfrontationen zwischen aufständischen Arbeitern und der SPD-Regierung, die im Interesse der Bourgeoisie vorging, um die Gefahr einer Revolution zu zerschlagen. Im ersten Monat nach der Abdankung des Kaisers spielte die USPD eine entscheidende Rolle: Mit ihrem Eintritt in die Regierung trug sie dazu bei, das Proletariat einzulullen, während die Konterrevolutionäre ihre Kräfte neu gruppierten. In diesen frühen Aufständen kämpften die Arbeiter mutig, aber es fehlte ihnen eine autoritative revolutionäre Partei, die den Kampf auf nationaler Ebene hätte koordinieren können. So war die Regierung imstande, diese Kämpfe auf lokaler Ebene zu isolieren, um sie sich nacheinander vorzuknöpfen.

Reichswehr- und Freikorpstruppen besetzten Berlin im Januar 1919 und erneut im Februar. Eine Strafexpedition wurde losgeschickt, um den Arbeiter- und Soldatenrat in Bremen abzusetzen, wo eine Arbeiterrepublik ausgerufen worden war. Dann kam Mitteldeutschland an die Reihe, wo Regierungstruppen eine Stadt nach der anderen besetzten, in vielen Fällen nach heftigen Kämpfen. Viele Tausende wurden bei Straßenkämpfen getötet. Als am 3. März in Berlin ein fünftägiger Streik ausbrach, gab SPD-Kriegsminister Noske der mit Flugzeugen und Artillerie ausgerüsteten Armee den Schießbefehl. Etwa 1200 Menschen wurden getötet. Auch nach Halle wurden in diesem Frühjahr Truppen geschickt, um einen Generalstreik zu brechen. Im Ruhrgebiet gab es militante Streiks in den Bergwerken, an deren Höhepunkt sich drei Viertel der Arbeiterschaft beteiligten, die nicht nur ökonomische Forderungen stellten, sondern auch die Anerkennung der Arbeiterräte, die Bewaffnung der Arbeiter gegen die Freikorps und die Anerkennung der Sowjetunion forderten. Der letzte große Kampf von 1919 war die Niederschlagung der Bayrischen Räterepublik, wo Tausende im Kampf getötet und weit über hundert Revolutionäre hingemetzelt wurden.

Die neue Kommunistische Partei hatte wenig Gespür dafür, wie man in einer explosiven Situation arbeitet, wo es ein schnelles Auf und Ab der revolutionären und konterrevolutionären Kräfte gibt. Die Bolschewiki hatten 1917 während der reaktionären Julitage die notwendigen Schritte unternommen und Lenin untertauchen lassen; die KPD dagegen traf keine ausreichenden Vorsichtsmaßnahmen, um ihre Führung zu schützen, als die SPD-Führung 1918/19 die Freikorps entfesselte. Innerhalb der ersten paar Monate nach der Gründung der KPD wurden Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogiches ermordet. Im Juni wurde Eugen Leviné von einem Hinrichtungskommando erschossen, weil er die Verteidigung der Bayrischen Räterepublik geleitet hatte.

Am 13. März 1920 marschierten Freikorps-Truppen des Generals von Lüttwitz in Berlin ein, wo sie versuchten, eine rechte Militärregierung unter dem preußischen Staatsbeamten Kapp einzusetzen. Die Armeeoffiziere hinter dem Kapp-Putsch gaben den Sozialdemokraten die Schuld an den nationalen Demütigungen durch den Versailler Vertrag, besonders an dessen Beschränkung der Größe der Armee. Die SPD-Regierung floh aus Berlin und bat die Reichswehr-Führung einzugreifen. Es war keine Überraschung, dass die Armee nichts tat, um gegen den Kapp-Putsch vorzugehen. Schließlich rief der konservative SPD-Gewerkschaftsvorsitzende Karl Legien zu einem Generalstreik auf.

Die machtvollen Aktionen des Proletariats zerschlugen den Putschversuch völlig. Nach zwei Tagen war die Kapp-Regierung machtlos und nach zwei weiteren Tagen war sie verschwunden. Legien versuchte den Generalstreik abzubrechen, aber die kämpferischeren Teile des Proletariats ließen sich nicht aufhalten. Arbeiter gruben die Waffen aus, die sie nach der Niederschlagung des Aufstands von 1919 versteckt hatten. Arbeitermilizen schossen aus dem Boden, oft unter der Führung der USPD-Linken oder der KPD, und im Ruhrgebiet wurde eine 50 000 Mann starke „Rote Armee“ aufgestellt. Trotz großer Dezentralisierung und viel Improvisation war sie in der Lage, Freikorps-Brigaden und sogar Reichswehr-Einheiten auseinander zu jagen. Hier zeigt sich ganz deutlich das Potenzial eines bewaffneten Proletariats, sich mit Waffen auszurüsten und über die Armee zu siegen. Ein Historiker schilderte das so:

„Inzwischen begrüßten Reichswehr-Einheiten in der Gegend (zum großen Teil unverändert übernommene Freikorps) demonstrativ die neue Regierung; und General von Watter, regionaler Kommandeur in Münster, der die Lage falsch einschätzte, setzte ein paar Einheiten in Bewegung und brachte sie dorthin, wo er eine aufständische Stimmung vermutete. Die bewaffneten Arbeiter antworteten aggressiv. In der Stadt Wetter wurde am 15. März eine Freikorps-Abteilung eingekesselt (hauptsächlich von Arbeitern aus Hagen) und nach mehreren Stunden des Kampfes gezwungen sich zu ergeben. In der gleichen Nacht umzingelten aufständische Kräfte eine weitere Abteilung desselben Freikorps in einer anderen Stadt, und diese ergab sich am nächsten Morgen. Durch solche Siege und durch die Entwaffnung der Bürgerwehren in Kleinstädten erwarben die Streitkräfte der Arbeiter schon bald ein ansehnliches Arsenal von leichten Waffen. Das Beispiel machte anderenorts Schule. Am 16. März wurde eine größere Freikorps-Einheit, die versuchte, aus dem Bezirk abzumarschieren, von einer Arbeiterarmee schlimm zugerichtet; zwei Tage später war der westfälische Teil des Ruhrgebiets vollständig frei von Reichswehrtruppen, alle waren von den Arbeitern entwaffnet worden oder waren aus der Gegend abgezogen. Es blieben noch Truppen im rheinländischen Teil des Ruhrgebiets und ein großer Verband der Sicherheitspolizei in Essen; aber als diese Stadt am 20. März nach einem dreitägigen Kampf fiel, waren in dem Bezirk keine regulären Streitkräfte mehr übrig.“

— David Morgan, The Socialist Left and the German Revolution [Die sozialistische Linke und die Deutsche Revolution] (1975)

Die Zurückschlagung des Kapp-Putsches durch die Arbeiter endete im Bielefelder Abkommen, das am 24. März 1920 von bürgerlichen Politikern, den Gewerkschaften, den zwei sozialdemokratischen Parteien und zwei Vertretern der KPD unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen enthielt einen Aufruf an den Staat, die konterrevolutionären Banden zu entwaffnen und aufzulösen und diejenigen Beamten zu bestrafen, die der Republik gegenüber „nicht loyal“ waren. Bis auf einige Arbeiter, die angeblich in die örtliche Polizei integriert werden sollten, musste die Rote Armee ihre Waffen abliefern. Als Gegenleistung sollte sich die Reichswehr aus dem Ruhrgebiet raushalten. Aber als die Arbeiter ihre Waffen abgeliefert hatten, marschierten Regierungstruppen ins Ruhrgebiet ein — zusammen mit den Freikorps-Einheiten, die aufgelöst worden waren ... und zwar in die Armee! Was folgte, war praktisch weißer Terror; in ganz Rheinland-Westfalen wurden Arbeiterviertel geplündert und niedergebrannt und ganze Familien wurden erschossen. Das war eine blutige Lektion darüber, was die Folge des Vertrauens in „Neutralität“ und „Gleichbehandlung“ seitens des bürgerlichen Staats ist.

Obwohl die KPD später behauptete, dass ihre beiden Vertreter kein Mandat hatten, dem Bielefelder Abkommen zuzustimmen, war die KPD-Propaganda Anfang der 20er-Jahre voll mit ähnlichen Appellen an den bürgerlichen Staat, er solle die Faschisten und monarchistische Gruppen verbieten, die Beamtenschaft von reaktionären Elementen säubern, eine Polizei aus „gewerkschaftlich organisierten Arbeitern“ aufbauen usw. Das war eine Demonstration rührenden Vertrauens in den bürgerlichen Staat. Das Gesetz zum Schutz der Republik — 1922 verabschiedet, nachdem ein rechtsextremes Killerkommando den Außenminister Walther Rathenau, einen prominenten jüdischen Politiker, ermordet hatte — wurde überwiegend gegen die Linke eingesetzt. Die falsche Vorstellung, der Staat könne irgendwie dazu gebracht werden, „neutral“ zu sein, indem man „fortschrittliche“ Gesetze verabschiedet, untergräbt in der Arbeiterklasse das notwendige Verständnis, dass sie ihre Verteidigung selber in die Hand nehmen muss und dass der Staat gerade durch das bewaffnete Proletariat zerschlagen werden muss.

Die Märzaktion und die „Offensivtheorie“

Als die Märzaktion 1921 ausbrach, war die KPD schon zu einer Massenpartei geworden. Im Oktober 1920 hatte sich die USPD auf ihrem Parteitag in Halle über die Annahme der berühmten 21 Bedingungen gespalten, mit denen die Komintern eine scharfe Linie gegen die Zentristen ziehen wollte und die ausdrücklich den Ausschluss von Kautsky und Hilferding forderten. Gegen eine KI-Mitgliedschaft sprachen Hilferding und Martow; auf Hilferding antwortete Sinowjew, dessen leidenschaftliche vierstündige Rede den Sieg davontrug. Brandler übrigens war gegen die Spaltung der USPD. Der linke Flügel der USPD, ungefähr zwei Drittel der aktiven Mitgliedschaft, fusionierte mit der KPD zur Vereinigten Kommunistischen Partei (VKPD), die allerdings nach mehreren Monaten zum Namen KPD zurückkehrte.

Im März 1921 rollte eine Welle von Streiks, Versammlungen während Arbeitsniederlegungen und Betriebsbesetzungen über das Mansfelder Kohlenrevier in Mitteldeutschland, eine Reaktion auf Polizeiprovokationen in den Bergwerken; die Bergarbeiter strömten zu den Bannern der VKPD. Am 16. März schickten die Sozialdemokraten Hörsing, Oberpräsident von Sachsen, und Severing, preußischer Innenminister, Truppen und Polizei, um die Arbeiter zu unterdrücken. Angebracht waren nun defensive Taktiken, deren erfolgreiche Anwendung es dem Proletariat möglicherweise dann erlaubt hätte, in die Offensive zu gehen. Aber die Führung der VKPD antwortete auf die Regierungsprovokation mit einem Aufruf zum bewaffneten Widerstand. In einigen Gegenden befolgten die Arbeiter den Aufruf und kämpften heroisch, doch selbst dann blieben die Kämpfe sporadisch und breiteten sich keineswegs aus. Anderswo fand der Aufruf keine Resonanz. Ein Aufruf zum Generalstreik eine Woche später hatte ebenso wenig Erfolg, stattdessen führte er vielerorts zu physischen Kämpfen zwischen einer kommunistischen Minderheit und Arbeitern unter dem Einfluss der Sozialdemokraten.

Die VKPD brach die Aktion schließlich ab. Es gab schwere Verluste und Tausende wurden verhaftet. In Die Kampfzeit der KPD schätzt Angress, dass die VKPD wahrscheinlich die Hälfte ihrer Mitgliedschaft einbüßte, und der offiziellen Parteistatistik zufolge hat sie diese Verluste nie völlig wettgemacht, selbst nicht mit den schnellen Rekrutierungen 1923. Am wichtigsten war, dass ihre Gewerkschaftsbasis erheblich geschwächt wurde.

Zur Zeit der Märzaktion stand an der Spitze der KPD Ernst Meyer, der Paul Levi im Februar ersetzt hatte. Levi, ein brillanter, aber opportunistischer Dilettant, war als Vorsitzender der VKPD zurückgetreten, nachdem die Zentrale sich geweigert hatte, seine Aktionen auf der Januar-Konferenz der Sozialistischen Partei Italiens zu billigen. Obwohl die italienische Führung unter Serrati sich der Komintern angeschlossen hatte, hatte sie sich geweigert, die 21. Bedingung für die Mitgliedschaft zu akzeptieren — die Notwendigkeit, mit den Reformisten zu brechen. Levi hatte sich auf die Seite von Serrati gestellt. Levi machte nun in seiner Streitschrift Unser Weg. Wider den Putschismus (3. April 1921) die verleumderische Behauptung, die Märzaktion sei ein „Putsch“ gewesen. In Wirklichkeit hatten die Arbeiter im Mansfeldischen massenhaft auf eine eindeutige Provokation des SPD-Bullen Hörsing reagiert. Viele von Levis weiteren Kritikpunkten an der Märzaktion stimmten zwar, aber er veröffentlichte seine Angriffe auf die VKPD-Führer — er verglich sie sogar mit Hitlers Kumpan General Ludendorff — und das zu einer Zeit, als die Partei unter Beschuss des Klassenfeindes stand. Levi zeigte kein Gefühl der Solidarität mit der Partei, was Lenin eine „grausame Zerfleischung der Partei“ nannte (Clara Zetkin, Erinnerungen an Lenin [1925]). Für diese feige und boshafte Disziplinlosigkeit wurde Levi zu Recht aus der Partei ausgeschlossen. Eine Zeit lang hatte er seine eigene Organisation, was aber nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg zurück zur SPD über die USPD darstellte.

Kurz vor der Märzaktion hatte die Komintern den ungarischen Kommunisten Béla Kun nach Deutschland geschickt. Erst zwei Jahre vorher hatte Kuns katastrophale Politik, die ungarischen Kommunisten in eine gemeinsame Partei mit den Sozialdemokraten zu liquidieren, zum Scheitern der Ungarischen Räterepublik beigetragen. Nunmehr ein prominenter Fürsprecher für die „Offensivtheorie“, bestand Kun darauf, dass eine Kommunistische Partei immer gegen die Bourgeoisie in der Offensive sein müsse. Diese so genannte Theorie wurde von der VKPD-Führung von Meyer, Brandler und Thalheimer und von den „Linken“ wie Fischer und Maslow unterstützt.

Das russische Politbüro war in der Diskussion über die Märzaktion mittendurch gespalten. Es entstand bei dieser Gelegenheit eine zunehmende politische Annäherung zwischen Lenin und Trotzki nach dem tiefen Riss, der sich zwischen ihnen während der Gewerkschaftsdebatte auf dem X. Parteitag 1921 entwickelt hatte. Sie überzeugten Kamenjew und gewannen damit die Mehrheit im Politbüro. Sinowjew und Bucharin, damals PB-Kandidat, unterstützten die Märzaktion, ebenso wie Radek, der KI-Vertreter in Deutschland war. Eine Zeit lang trafen sich die beiden Seiten in getrennten Sitzungen, was auf eine vorfraktionelle Situation hindeutete.

Schließlich erzielte die russische Delegation auf dem III. Weltkongress der Komintern 1921 eine Einigung über einen Kompromiss-Antrag. Auf dem Weltkongress siegten Lenin und Trotzki gegen Versuche seitens der deutschen Linken und anderer, den Antrag durch Änderungen auszuhöhlen, die jede Kritik an der Märzaktion aus der Resolution herausstreichen sollten. Die zentrale Parole des III. Weltkongresses lautete: „Heran an die Macht durch eine vorherige Eroberung der Massen!“ Damit erkannte die Komintern an, dass die politischen und organisatorischen Mittel der Kommunistischen Parteien noch nicht zur unmittelbaren Eroberung der Macht ausreichten. Lenin widmete viel Zeit und Aufmerksamkeit der Organisationsresolution, die das Wesentliche an der Funktionsweise der bolschewistischen Partei herauskristallisieren und den jungen Parteien der KI vermitteln sollte. Lenin ging es besonders darum, dass diese Punkte von der deutschen Partei begriffen werden, und er bestand darauf, dass der Bericht auf Deutsch geschrieben und ein deutscher Genosse beauftragt werde, die Präsentation auf dem Weltkongress zu halten.

Die ganze Absurdität der späteren Behauptungen, dass die KPD in die sächsische Regierung eintreten musste, um Waffen zu erhalten, wird in einem interessanten Bericht über diese Periode enthüllt: Vom Weißen Kreuz zur roten Fahne (1929) von Max Hoelz. Hoelz, ein Arbeiter und Autodidakt, organisierte während des Kapp-Putsches in dem an die Tschechoslowakei angrenzenden Vogtland eine Rote Armee und stellte während der Märzaktion in Mitteldeutschland eine Armee von 2500 Partisanen auf. Wenn auch nur im kleinen Maßstab, bewaffneten sich Hoelz und seine Miliz, indem sie Bullen und Soldaten kühn entwaffneten und Munition von dortigen Fabriken requirierten. Hoelz war ein impulsiver, primitiver Kommunist, der normalerweise nicht auf Instruktionen wartete, bevor er handelte; eine kluge Führung hätte aber versucht, seine offensichtliche Begabung als militärischer Führer zu nutzen.

Nach der Märzaktion wurde Hoelz zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt und verbrachte sieben Jahre im Gefängnis, bis er aufgrund eines Amnestiegesetzes freigelassen wurde. Die Komintern führte eine Kampagne für seine Freilassung und ehrte Hoelz als einen „mutigen Rebellen gegen die kapitalistische Gesellschaft“ in einer Resolution vom 25. Juni 1921; gleichzeitig wurde bemerkt: „Seine Taten waren nicht zweckentsprechend. Der weiße Terror kann nur durch den Aufstand der Arbeitermasse gebrochen werden, der allein imstande ist, den Sieg des Proletariats zu verwirklichen. Aber seine Taten entströmten der Liebe zum Proletariat, dem Haß gegen die Bourgeoisie.“

Bei seinem Prozess drehte Hoelz gegenüber seinen Anklägern den Spieß um mit der Erklärung, dass in Wirklichkeit die bürgerliche Gesellschaft auf der Anklagebank sitzt. Hoelz war nach vier Jahren in der Armee während des Krieges Pazifist geworden, aber seine Erfahrungen überzeugten ihn schnell davon, dass man durch Worte oder leere Appelle an die Bourgeoisie nach Gerechtigkeit nichts ändern kann. Natürlich habe er Gewalt angewendet, sagte er, aber das sei nichts im Vergleich zu der mutwilligen und grundlosen Orgie von Gewalttätigkeiten, die von den Tätern des weißen Terrors verübt wurde. Die Grausamkeiten, die von der Bourgeoisie begangen werden, würden die Arbeiter hart und weniger leichtgläubig machen. Hoelz spottete über die Behauptung des Staatsanwalts, dass es durch Wahlen zur Veränderung kommen könne, und erklärte: „Was 1918 in Deutschland vor sich ging, das war keine Revolution! Ich kenne nur zwei Revolutionen: die französische und die russische“ (Hoelz Anklagerede gegen die bürgerliche Gesellschaft [1921]).

Ein paar Wochen vor Hoelz wurde Brandler der Prozess gemacht. Der Gegensatz war auffallend: Mit verwerflicher Feigheit und einem sträflichen Mangel an Solidarität leugnete Brandler, auch nur irgendetwas mit den Aufrufen zum bewaffneten Aufstand zu tun zu haben — er versuchte, die eigene Haut zu retten, indem er Hoelz und Mitgliedern der ultralinken Kommunistischen Arbeiterpartei (KAPD) die Schuld an Gewalttätigkeiten anhängte. Brandler versicherte dem Staatsanwalt, dass die Herrschaft der Arbeiter mit der bürgerlichen Verfassung vereinbar sei: „Ich sage: Diktatur des Proletariats ist möglich sogar bei Bestehen der deutschen Verfassung!“ Er fügte hinzu: „Seit 1918 ist in Deutschland die Möglichkeit, durch bewaffnete Aufstände die Geschicke zu zwingen, immer mehr und mehr geschwunden.“ Brandler distanzierte sich völlig von anderen Opfern der staatlichen Repression und sagte dem Gericht: „In der K.A.P.D. meinen viele, diese langwierige Art der Machteroberung durch Sabotage und auch durch individuellen Terror erreichen zu können. Die haben wir 1919 aus der Partei ausgeschlossen“ (Der Hochverrats-Prozeß gegen Heinrich Brandler vor dem außerordentlichen Gericht am 6. Juni 1921 in Berlin [1921]).

Das wirft ein Licht auf die Geisteshaltung der KPD-Führung nach der Märzaktion. Nachdem die gestern noch begeisterten Anhänger der „permanenten Offensive“ wie Brandler, Thalheimer und Meyer sich die Finger verbrannt hatten, fielen sie jetzt vor dem bürgerlichen Legalismus und der bürgerlichen Respektabilität auf die Knie. Auf einer Sitzung des russischen Politbüros im August 1923 machte Trotzki über die deutsche Führung die scharfe Bemerkung: „Was sie da drüben haben, ist die Geisteshaltung eines geprügelten Hundes nach den Erfahrungen mit ihrem gescheiterten März“ (Abschrift der Diskussion „Über die internationale Situation“ auf der Sitzung des Politbüros des ZK der RKP(b) vom 21. August 1923, Istotschnik, Mai 1995 [unsere Übersetzung]).

1919 und 1920 gab es keine kommunistische Massenpartei, die die revolutionären Gelegenheiten ausnutzen konnte. 1921 verwechselten die Kommunisten einen sehr machtvollen Ausbruch von Klassenkampf, der aber auf einen Teil der Klasse begrenzt war, mit einer Aufstandssituation. Aber die weit verbreitete Radikalisierung, die durch die Ruhrbesetzung beschleunigt wurde, und die Existenz einer kommunistischen Massenpartei boten eine herausragende Gelegenheit für den Kampf um die Macht. Wie Anderson feststellte:

„Im Jahre 1923 hatte sich eine Situation in Deutschland ergeben, ,in der alles möglich war‘. Im Jahre 1923 war das Volk, und keineswegs nur die industrielle Arbeiterschaft, aufsässig geworden, die Zeit war wirklich gekommen für eine ,Offensiv-Strategie‘, die zwei Jahre vorher so miserabel versagt hatte. Die Lage hatte sich entschieden geändert.

Aber auch die Kommunistische Partei hatte sich geändert. Unglücklicherweise vollzog sich ihre Wendung gerade in umgekehrter Richtung. Aus Furcht, die ,ultralinken‘ Fehler des Jahres 1921 zu wiederholen, hatten die Kommunisten ihre Politik so drastisch ,gewendet‘, daß sie nun vollkommen unfähig waren, zur Aktion zu schreiten, als die Zeit für Aktionen endlich gekommen war.“

Hammer oder Amboss

Die Ursprünge der Losung für eine „Arbeiterregierung“

Das Verwischen der Linie zwischen der Diktatur des Proletariats und einer parlamentarischen Koalition aus Arbeiterparteien seitens der KPD reichte mindestens bis zur Zeit des Kapp-Putsches zurück, den Lenin als „deutsche Kornilowiade“ bezeichnete — das Äquivalent zum Versuch Kornilows im August 1917 in Russland, Kerenskis Provisorische Regierung militärisch zu stürzen. Die Bolschewiki gingen mit den Kräften Kerenskis einen militärischen Block ein, lehnten aber jede politische Unterstützung der Regierung ab. Nachdem Kornilow zurückgeschlagen war, forderte Lenin, wie schon vor den Julitagen, die Parteien der kleinbürgerlichen Demokratie heraus, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, sie sollten mit ihren liberalen Blockpartnern brechen und auf der Basis ihrer Mehrheit in den Sowjets die Macht übernehmen. Lenin erklärte:

„Der Kompromiß bestünde darin, daß die Bolschewiki, ohne Anspruch auf Beteiligung an der Regierung zu erheben (was für einen Internationalisten ohne tatsächliche Verwirklichung der Voraussetzungen zur Diktatur des Proletariats und der armen Bauernschaft unmöglich ist), darauf verzichten würden, unverzüglich den Übergang der Macht an das Proletariat und die armen Bauern zu fordern, daß sie darauf verzichten würden, diese Forderung mit revolutionären Methoden des Kampfes durchzusetzen.“

— Lenin, „Über Kompromisse“, September 1917 (Werke Bd. 25)

Lenins Punkt war: Da die Bolschewiki damals eine Minderheit im Proletariat waren, würden sie versprechen, keine revolutionäre Gewalt anzuwenden, um eine allein aus den reformistischen Parteien bestehende Regierung zu stürzen. Aber Lenin ging nicht davon aus, dass eine solche Regierung eine Arbeiterregierung wäre, und bot auch nicht an, ihr politische Unterstützung zu geben, und schon gar nicht, ihr beizutreten.

Die bolschewistische Taktik eines militärischen Blocks ohne jede politische Unterstützung war auch angebracht als Antwort auf den Kapp-Putsch. Jedoch weigerte sich die KPD anfangs, sich dem Generalstreik gegen den Putsch anzuschließen, und als sie einen Tag später ihre sektiererische Linie rückgängig machte, machte sie eine Kehrtwendung hin zu einer opportunistischen Haltung gegenüber den Reformisten. Als Legien nach dem Zusammenbruch des Putsches eine Regierung vorschlug, die aus dem Gewerkschaftsbund ADGB, der SPD und der USPD gebildet werden sollte, verkündete die KPD, dass sie eine „loyale Opposition“ zu einer solchen „sozialistischen Regierung“ sein würde, wenn „bürgerlich-kapitalistische Parteien“ von dieser ausgeschlossen wären. Sie behauptete:

„Für die weitere Eroberung der proletarischen Massen für den Kommunismus ist ein Zustand, wo die politische Freiheit unbegrenzt ausgenutzt werden, wo die bürgerliche Demokratie nicht als Diktatur des Kapitals auftreten könnte, von der größten Wichtigkeit für die Entwicklung in der Richtung zur proletarischen Diktatur...“

Lenin zitierte diese Passage in einem Anhang zu Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (April/Mai 1920), wobei er feststellte, dass die Taktik der „loyalen Opposition“ im Großen und Ganzen korrekt sei als ein Kompromiss, „das tatsächlich notwendig ist und darin bestehen muß, daß man für eine gewisse Zeit auf Versuche zum gewaltsamen Sturz einer Regierung verzichtet, der die Mehrheit der städtischen Arbeiter Vertrauen schenkt“. Aber Lenin stellte auch fest:

„So kann man doch nicht mit Schweigen darüber hinweggehen, daß (in der offiziellen Erklärung einer kommunistischen Partei) eine Regierung der Sozialverräter nicht als ,sozialistische‘ bezeichnet werden darf, daß nicht vom Ausschluß der ,bürgerlich-kapitalistischen Parteien‘ gesprochen werden darf, wo doch die Parteien sowohl der Scheidemänner wie auch der Herren Kautsky und Crispien kleinbürgerlich-demokratische Parteien sind.“

Lenin bestand darauf, dass es völlig falsch sei, so zu tun, als könnten reformistische Betrüger wie die Führer der SPD und der USPD „über den Rahmen der bürgerlichen Demokratie“ hinausgehen, „die ihrerseits nichts anderes sein kann als eine Diktatur des Kapitals“.

Diese Lehre haben die KPD-Führer niemals wirklich verstanden. Dem Vorschlag Legiens wurde sowieso der Boden entzogen durch die Opposition des linken Flügels der USPD (der sich schon der KPD annäherte). Aber es ist offensichtlich, dass die KPD-Führung eine andere Vorstellung von der Taktik einer „loyalen Opposition“ hatte als Lenin: Sie wies mehr Ähnlichkeit mit der Linie von Stalin und Kamenjew im März 1917 auf, der bürgerlichen Provisorischen Regierung politische Unterstützung zu geben, „insofern sie gegen Reaktion und Konterrevolution kämpft“.

Als der USPD-Führer Ernst Däumig (der später in die KPD eintrat) auf einer Massenversammlung der Berliner Betriebsräte am 23. März Legiens Vorschlag verurteilte und eine Zusammenarbeit mit der „kompromittierten rechtssozialistischen Partei“ SPD ablehnte, war es Wilhelm Pieck, ein Führer der KPD, der Däumig von rechts zurechtwies:

„Die gegenwärtige Situation ist nicht reif für eine Räterepublik, sondern für eine reine Arbeiterregierung. Als revolutionären Arbeitern ist uns eine reine Arbeiterregierung außerordentlich erwünscht. Sie kann allerdings nur eine Übergangsperiode bilden... Die USPD hat die Arbeiterregierung abgelehnt und damit in einem politisch günstigen Augenblick die Vorteile des Proletariats nicht wahrgenommen.“

— Arthur Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik [1955]

Es ist klar, dass zumindest einige KPD-Führer bereits im Frühjahr 1920 eine sozialdemokratische parlamentarische Regierung als ein Zwischending auf dem Weg zur Herrschaft der Arbeiter betrachteten.

Nach der Fusion mit dem linken Flügel der USPD war die VKPD in den Landtagen von Sachsen und Thüringen das Zünglein an der Waage zwischen einerseits SPD und USPD und andererseits den rechten bürgerlichen Parteien. Nach den Wahlen zum Sächsischen Landtag im November 1920 beschloss die KPD, die Bildung einer SPD/USPD-Regierung zu unterstützen, und stimmte für den Haushalt, zu dem natürlich auch die Finanzierung der Polizei, der Gerichte und der Gefängnisse gehörte. Die Zustimmung zum Haushalt stellte ein politisches Vertrauensvotum für diese kapitalistische Regierung dar.

Lenins „Linker Radikalismus“ ist von Pseudolinken jahrelang absichtlich falsch interpretiert und missbraucht worden, um ihre opportunistischen Manöver zu rechtfertigen. Aber mit dieser Schrift sowie seiner Intervention auf dem III. Weltkongress in der Diskussion über die Einheitsfront versuchte Lenin, den jungen Kommunistischen Parteien des Westens das Verständnis zu vermitteln, dass die Eroberung der Macht durch einen geduldigen und methodischen Kampf vorbereitet werden muss, um das Proletariat zum Programm des Kommunismus zu gewinnen, sowie durch die Anwendung intelligenter Taktiken, um die sozialdemokratischen Irreführer zu entlarven.

Trotz Lenins scharfer Kritik an der KPD im „Linken Radikalismus“ veröffentlichte Die Rote Fahne im November 1921 Thesen über „das Verhältnis der Kommunistischen Partei zu sogenannten sozialistischen Regierungen“. Diese Thesen behaupteten, solche „sozialistischen Regierungen“ könnten das „nächste Ergebnis“ der proletarischen Massenkämpfe sein „bei einer Stufe der Erkenntnis und der Macht des Proletariats, die noch nicht groß genug für die Aufrichtung seiner Diktatur ist“. Die KPD versprach, sie werde solche Regierungen ermöglichen und „gegen die bürgerliche Rechte aktiv unterstützen, wie sie die bürgerliche Republik gegen die Monarchie aktiv verteidigt“. Diese Erklärung einer „Politik des kleineren Übels“ verwischt jeden Unterschied zwischen einem militärischen Block mit bürgerlichen Demokraten gegen rechte Reaktionäre und der politischen Unterstützung bürgerlicher Demokraten in Gestalt der Sozialdemokratie. Die Thesen gingen allerdings nicht so weit, einen KPD-Eintritt in eine Landesregierung zu befürworten. Aber es gab hierbei eine unerbittliche Logik: Wenn man eine kapitalistische Regierung von außerhalb unterstützen konnte, warum sollte man ihr nicht beitreten, um sie „nach links zu drängen“? Es dauerte nicht lange, bis innerhalb der KPD Debatten über genau diese Frage ausbrachen.

Die Komintern, hauptsächlich Sinowjew und Radek, spielte eine Rolle dabei, indem sie nicht nur die Beschlüsse der KPD guthießen, sondern auch aktiv eine derartige Perspektive vorantrieben. In einem Brief vom 10. November 1921, in dem er seine „ernstesten Bedenken“ gegen die KPD-Thesen zum Ausdruck brachte, stellte Radek deutlich die Möglichkeit dar, in eine SPD-Regierung einzutreten:

„Die kommunistische Partei kann jeder Regierung angehören, die gewillt ist, mit dem Kapitalismus ernst zu kämpfen... Die kommunistische Partei ist kein prinzipieller Gegner der Teilnahme an einer Arbeiterregierung. Sie steht auf dem Boden der Räteregierung, aber das besagt mit keinem Wort, auf welchem Wege die Arbeiterklasse zur Räteregierung gelangt. Die Räteregierung kann erzwungen werden ebenso in einer Revolution gegen eine bürgerliche Regierung, wie sie entstehen kann im Kampf der Arbeiterschaft, der entfaltet wird zur Verteidigung einer auf demokratischem Wege entstandenen sozialistischen Regierung, wenn diese ehrlich die Interessen der Arbeiterklasse gegen das Kapital verteidigt.“

— zitiert von Arnold Reisberg, An den Quellen der Einheitsfrontpolitik: Der Kampf der KPD um die Aktionseinheit in Deutschland 1921–1922 (1971)

Diese Stoßrichtung wurde in KPD-Erklärungen entsprechend eingearbeitet. In einem Rundschreiben vom 8. Dezember 1921 hieß es: „Die KPD muß den Arbeitern sagen, daß sie bereit ist, das Zustandekommen einer sozialistischen Arbeiterregierung mit allen parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln zu fördern, und daß sie bereit ist, auch in solch eine Regierung einzutreten, wenn sie die Gewähr haben wird, daß diese Regierung im Kampfe gegen die Bourgeoisie die Interessen und Forderungen der Arbeiterschaft vertreten, die Sachwerte erfassen, die Kappverbrecher verfolgen, die revolutionären Arbeiter aus den Gefängnissen befreien wird usw.“ (Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung).

Im gleichen Monat billigte eine KI-Resolution, die später als Anhang zu den „Thesen über die Taktik der Komintern“ auf dem IV. Weltkongress 1922 angenommen wurde, einen Beschluss der KPD, „eine einheitliche Arbeiterregierung zu unterstützen, die geneigt ist, einigermaßen ernst den Kampf gegen die Macht der Kapitalisten aufzunehmen“ (Protokoll des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Verlag der Kommunistischen Internationale [1923]). Im Januar 1922 riet das EKKI der KPD, öffentlich ihre Bereitschaft zu erklären, in eine „Arbeiterregierung des Kampfes gegen die Bourgeoisie“ (Reisberg) einzutreten. Der Wechsel in der Terminologie von „sozialistischer Arbeiterregierung“ zu „Arbeiterregierung“ zielte darauf ab, die Möglichkeit offen zu lassen, die katholischen Gewerkschaften einzubeziehen!

Die KPD kaschierte ihre opportunistische Politik gegenüber SPD/USPD-Regierungen als eine Anwendung der „Einheitsfronttaktik“. Aber das wirkliche Problem bestand darin, dass die KPD-Führer nicht bereit waren, das Proletariat zur Machteroberung zu führen, zur Zerschlagung des bürgerlichen Staats und dessen Ersetzung durch Machtorgane der Arbeiter. Die KPD-Führer (wie auch Sinowjew/Radek) sahen in den reformistischen und zentristischen Führern keine Hindernisse — die letzte Verteidigungslinie der zerfallenden kapitalistischen Ordnung —, sondern potenzielle (wenn auch schwankende) revolutionäre Verbündete. Ihre Politik war im Wesentlichen: „Bringt die SPD-Linken zum Kämpfen!“ Das spiegelt sich in einem Artikel von August Kleine (Guralski) wider, einem Komintern-Vertreter bei der KPD, der als ein „Sinowjew-Mann“ bekannt war:

„Die Überwindung des rechten Flügels der SPD. und USPD., die Stärkung ihres linken Flügels und die Kontrolle der sozialistischen Regierung durch die organisierte Arbeiterschaft sind die Voraussetzungen für den Kampf der Massen um lebenswichtige Reformen.

Das sind gleichzeitig die Vorbedingungen, die wir für unsern Eintritt in eine sozialistische Regierung aufstellen. Die Durchführung dieser Forderungen bedeutet aber die Schaffung einer Arbeiterregierung.

— „Der Kampf um die Arbeiterregierung“, Die Internationale, 27. Juni 1922

Solche Ansichten blieben innerhalb der KPD nicht unwidersprochen. Ein Beispiel war Martha Heller, eine Korrespondentin aus Kiel, die in einem Artikel des rechten KPD-Führers Paul Böttcher wie folgt zitiert wird:

„Plötzlich ist alles, was wir bis dahin für ein Gemeingut aller Kommunisten hielten, verschwunden. Die Revolution, der Massenkampf um die Zertrümmerung des wirtschaftlichen und politischen Machtapparates der Bourgeoisie wird wegeskamotiert, und wir bekommen die Klassenregierung des Proletariats einfach durch Stimmzettelabgabe, durch unsere Annahme von Ministerposten.“

— „Falsche Schlußfolgerungen. Eine Replik zur sächsischen Frage“, Die Internationale,
18. Juni 1922

Im Sommer und Herbst 1922 tobte in der KPD eine wichtige Debatte über den sächsischen Landtag, wo die KPD das Zünglein an der Waage darstellte. Im Juli sprach sich die Zentrale für die Billigung des Landeshaushalts aus. Diese Position zog die Zentrale später zurück, als die SPD sich weigerte, ein Amnestiegesetz zu verabschieden, das der KPD das Gesicht gewahrt hätte; die KPD-Landtagsfraktion zog die Sache aber hinaus. Erst Ende August wurde die SPD-Landesregierung zu Fall gebracht.

Aber selbst als die KPD dafür stimmte, die Regierung zu Fall zu bringen, erwartete sie von den für November geplanten Neuwahlen potenziell eine Erhöhung der Zahl der KPD-Abgeordneten und „die Möglichkeit, die Basis der Regierung zu verbreitern durch den Eintritt der kommunistischen Partei in die Regierung“. Die KPD entwarf ein „10-Punkte-Programm“ von Bedingungen für den Eintritt in eine „Arbeiterregierung“ mit der SPD, das später die Basis für Verhandlungen wurde. Die November-Wahlen ergaben 10 Abgeordnete für die KPD, 42 für die SPD und 45 für die rechten Parteien. Kurz danach lud die SPD in einem Brief die KPD ein, „unter Anerkennung der Reichs- und Landesverfassung in die Regierung einzutreten“ (Vorwärts Nr. 535, 11. November 1922, zitiert von Reisberg). Dieser Vorschlag löste eine Spaltung in der KPD-Führung aus; die Frage wurde dann auf dem IV. Weltkongress 1922 der Komintern in den Schoß geworfen.

Während die scharfen Differenzen innerhalb der deutschen Partei auf dem III. Weltkongress offen ausgekämpft worden waren, war dies 1922 nicht der Fall. In der Zwischenzeit hatte Lenin seinen ersten Schlaganfall erlitten und Radek und Sinowjew wurden zu den Hauptakteuren der Komintern in Deutschland, sehr zum Schaden der KPD. Lenins schlechter Gesundheitszustand hinderte ihn daran, auf dem IV. Weltkongress mehr als eine nur begrenzte Rolle zu spielen. Es gab keinen Tagesordnungspunkt, der den Streit über Sachsen und allgemeiner die parlamentarischen Taktiken der KPD angesprochen hätte. Diese Angelegenheiten wurden nur beiläufig auf den Kongress-Sitzungen erwähnt.

Die Frage des Eintritts in den Landtag wurde bei einer Beratung zwischen deutschen und russischen Delegierten (zu denen anscheinend Lenin, Trotzki, Sinowjew, Bucharin und Radek gehörten) aufgegriffen. Dem ostdeutschen Historiker Arnold Reisberg zufolge sind keine dokumentarischen Aufzeichnungen über die Unterredung erhalten geblieben. Nach den Memoiren einiger der Teilnehmer und nach dem, was nach dem Debakel vom Oktober 1923 enthüllt wurde, scheint es jedoch erwiesen zu sein, dass die russische Delegation den von der Mehrheit der KPD-Führung favorisierten Eintritt in die sächsische Regierung torpediert hat. In einem Brief vom 5. April 1924 an Clara Zetkin schreibt Sinowjew, dass die russischen Genossen einstimmig gegen den Eintritt waren. Ähnliche Aussagen machten Sinowjew und andere im Januar 1924 bei der nachträglichen EKKI-Diskussion über die deutschen Ereignisse. Jedoch kennen wir nicht die politischen Parameter der russischen Intervention, auch wenn dadurch die KPD zweifellos davor bewahrt wurde, offen die Klassenlinie zu überschreiten. Über die Sitzung wurde auf dem IV. Weltkongress niemals berichtet. Es gab nie eine wirkliche Diskussion innerhalb der KPD (oder der KI), um das bedrohliche parlamentaristische Entgleisen der deutschen Partei zu korrigieren, und die KPD ging politisch unbewaffnet in die entscheidenden Ereignisse von 1923 hinein.

Der IV. Weltkongress der Komintern 1922

Die Enthauptung der deutschen Parteiführung 1919 brachte alle ihre Schwächen zum Vorschein. Die KPD tendierte zur Polarisation zwischen biederen, schwerfälligen Parlamentaristen wie Meyer, Zetkin, Brandler und Thalheimer auf der einen Seite und kleinbürgerlichen Demagogen wie Fischer und Maslow auf der anderen. Zetkins Erinnerungen an Lenin aus dieser Zeit sind besonders interessant, da ihre Memoiren (im Gegensatz zu denen der verlogenen Ruth Fischer) nicht so tun, als hätte Lenin in allem mit ihr übereingestimmt. Laut Zetkin hatte Lenin wenig übrig für die Fischers und Maslows: „Solche ,Linken‘ sind wie die Bourbonen, sie haben nichts gelernt und nichts vergessen. Soweit ich unterrichtet bin, steckt hinter der ,linken‘ Kritik an den Fehlern der Durchführung der Einheitsfronttaktik der Wunsch, die Einheitsfronttaktik selbst zum Teufel zu schicken.“ Er sagte Zetkin, dass er Fischer für eine „,persönliche Zufälligkeit‘, für politisch grundsätzlich steuerlos“ hielt. Aber wenn solche Leute bei revolutionären Arbeitern innerhalb der KPD Gehör fanden, sagte Lenin, so war die Parteiführung daran schuld:

„Aber ich sage es offen heraus, ebensowenig imponiert mir eure Zentrale, die es nicht versteht, die nicht die Energie aufbringt, mit derartigen Demagogen kleinen Formats fertigzuwerden. Es müßte doch ein leichtes sein, solche Leutchen zu erledigen, die revolutionär gestimmten Arbeiter von ihnen loszulösen und politisch zu erziehen. Gerade weil es revolutionär gestimmte Arbeiter sind, während Radikale der vorliegenden Art im Grunde schlimmste Opportunisten sind.“

— Zetkin, Erinnerungen an Lenin (1925)

In seiner einzigen Rede auf dem IV. Weltkongress betonte Lenin die Wichtigkeit der Organisationsresolution vom III. Weltkongress. Er machte sich Sorgen, dass die Resolution „zu russisch“ war, womit er nicht meinte (wie es oft falsch dargestellt wird), dass sie für Westeuropa irrelevant sei, sondern vielmehr, dass sie für die jungen Kommunistischen Parteien schwer zu begreifen war. Er forderte diese Parteien auf: „Sie müssen im speziellen Sinne lernen, um die Organisation, den Bau, die Methode, den Inhalt der revolutionären Arbeit wirklich zu verstehen.“ Lenin war davon überzeugt, dass die Kommunistischen Parteien — insbesondere die deutsche Partei — sich noch nicht die revolutionäre Erfahrung der Bolschewiki zu Eigen gemacht hätten. Tragischerweise hat er Recht behalten.

Die Diskussion über „Arbeiterregierungen“

Die Diskussion auf dem IV. Weltkongress über die Losung der „Arbeiterregierung“ fand hauptsächlich unter Sinowjews EKKI-Bericht statt. Weder Lenin noch Trotzki war anwesend. In seinem Eröffnungsreferat bekräftigte Sinowjew seine Aussage auf dem erweiterten EKKI-Plenum mehrere Monate zuvor, dass die Arbeiterregierung einfach eine populäre Bezeichnung für die Diktatur des Proletariats sei. Doch als Sinowjew bei Radek und Ernst Meyer auf Ablehnung stieß, machte er einen Rückzieher. Die anschließende Kodifizierung in den „Thesen über die Taktik der Komintern“ ist bewusst vernebelnd und stellenweise widersprüchlich, da sie unterschiedliche politische Stoßrichtungen in sich vereinigt. Die Thesen erkennen fünf mögliche Varianten von „Arbeiterregierungen“ an, die in zwei Kategorien gruppiert werden:

„I. Scheinbare Arbeiterregierungen:

1. Liberale Arbeiterregierung, eine solche gab es in Australien, eine solche Regierung wird auch in absehbarer Zeit in England möglich sein.

2. Sozialdemokratische Arbeiterregierung (Deutschland).

II. Wirkliche Arbeiterregierungen:

3. Regierung der Arbeiter und ärmeren Bauern. Eine solche Möglichkeit besteht auf dem Balkan, der Tschechoslowakei usw.

4. Arbeiterregierung mit Teilnahme der Kommunisten.

5. Wirkliche revolutionäre proletarische Arbeiterregierung, die in reiner Form nur durch die Kommunistische Partei verkörpert werden kann.“

Protokoll des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

Das Schema einer gleitenden Skala von „Arbeiterregierungen“, die von den nicht so guten bis zu den wirklich sehr guten reicht, wurde von der KPD-Führung als eine Billigung ihrer versöhnlerischen Haltung und Unterwürfigkeit gegenüber den linken Sozialdemokraten aufgefasst. Die Thesen erklären auch: „Die Kommunisten müssen sich unter Umständen bereit erklären, zusammen mit nichtkommunistischen Arbeiterparteien und Arbeiterorganisationen eine Arbeiterregierung zu bilden. Sie können das aber nur dann tun, wenn Garantien dafür vorhanden sind, daß die Arbeiterregierung wirklich einen Kampf gegen das Bürgertum im oben angegebenen Sinne führen wird.“

Sinowjew versuchte die Bedingungen abzugrenzen, unter denen eine Arbeiterregierung verwirklicht werden könnte: „Die Losung der Arbeiterregierung ... kann nur in solchen Ländern aufgenommen werden, wo das Machtverhältnis wirklich so ist, wo das Problem der Macht, das Problem der Regierung sowohl auf parlamentarischem, als auch außerparlamentarischem Gebiete im Vordergrund steht.“ Aber in einer Situation, wo auf den Straßen die Frage der Macht gestellt wird — d. h. in einer vorrevolutionären Situation —, ist es der verhängnisvollste Fehler überhaupt, die Arbeiter über den Klassencharakter des Staates zu verwirren.

Wirklich besorgt waren die Delegierten darüber, ob die Kommunisten in eine Koalitionsregierung mit der Sozialdemokratie eintreten könnten. Hier behauptete Sinowjew:

„Ein dritter Typus ist die sogenannte Koalitionsregierung, d. h. eine Regierung, in der Sozialdemokraten, Gewerkschaftsführer, Parteilose und vielleicht auch Kommunisten sitzen können. Man kann sich diese Möglichkeit vorstellen. Eine solche Regierung ist noch nicht die Diktatur des Proletariats. Sie ist vielleicht ein Ausgangspunkt für die Diktatur des Proletariats. Wenn alles gut geht, werden wir aus einer solchen Regierung einen Sozialdemokraten nach dem anderen hinausbugsieren, bis die Macht in den Händen der Kommunisten bleibt. Das ist also eine historische Eventualität.“

Protokoll des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

Dieser Unsinn ist eine krasse Leugnung der Lehren der Oktoberrevolution. Sinowjews ganze Konzeption geht davon aus, dass die andere Seite — die Sozialdemokraten und die Bourgeoisie — zum Denken nicht fähig ist. In der Praxis kam es ein Jahr später in Deutschland — zwangsläufig — ganz anders. Sobald die KPD im Oktober 1923 ihre Koalition mit der SPD bekannt gab, ergriff die Reichsregierung sofortige Maßnahmen, um sie militärisch zu unterdrücken. Entsprechend stellt die Vorstellung, es gäbe ein Zwischending zwischen der Diktatur des Proletariats und der Diktatur der Bourgeoisie, eine Revision des marxistisch-leninistischen Verständnisses vom Staat dar. Die Arbeiterklasse kann nicht die bestehende Staatsmaschine einfach „in Besitz nehmen“ und für ihre eigenen Klasseninteressen in Bewegung setzen. Der bürgerliche Staat muss durch eine Arbeiterrevolution gestürzt werden und ein neuer Staat — die Diktatur des Proletariats — muss an seiner Stelle errichtet werden.

Um die Gefahren einer Koalition mit den Sozialdemokraten zu demonstrieren, brauchte man nicht erst auf die deutschen Entwicklungen im Oktober 1923 zu warten; die Komintern hatte bereits mehrere derartige katastrophale Experimente durchgemacht. In Finnland proklamierte 1918 eine pro-bolschewistische Minderheit in der sozialdemokratischen Partei die Diktatur des Proletariats, bevor sie überhaupt ihre eigene kommunistische Organisation gebildet hatte. Was dann folgte, war ein riesiges Blutbad, das General Mannerheims Truppen im Bündnis mit dem deutschen Imperialismus unter dem finnischen Proletariat anrichteten. Im Frühjahr 1919 wurden in Ungarn und Bayern Räterepubliken ausgerufen. Die Ungarische Räterepublik wurde auf der Basis einer Wiedervereinigung von Bela Kuns geringen kommunistischen Kräften mit der Sozialdemokratie gegründet. In Bayern gehörten zur Regierung auch die Unabhängigen und sogar ein Teil der SPD, von denen einige Minister dann sogar eine Strafexpedition organisierten, um die revolutionäre Regierung zu zerschlagen. Eugen Leviné leitete heroisch die Verteidigung gegen den reaktionären Angriff. Aber sowohl die Bayrische als auch die Ungarische Räterepublik wurden bald in Blut ertränkt.

Ein Großteil der Diskussion auf dem IV. Weltkongress litt darunter, dass versucht wurde, programmatische Verallgemeinerungen auf historischen Spekulationen aufzubauen. Aber Taktiken sind konkret und hängen von besonderen Umständen ab. Zwei polnische Delegierte, Michalkowski und Domski (ein polnischer „Linker“, der mit Ruth Fischer verbunden war) sprachen besonders gut zu dieser Frage. Michalkowski sagte:

„Ich möchte noch ein paar Worte über die Losung der Arbeiterregierung sagen... Meiner Meinung nach ist über diese Frage zuviel spekuliert, und zwar zuviel ins Blaue hinein spekuliert worden (Sehr richtig! bei den Deutschen).

Die Kritik in dieser Frage richtet sich auf drei Punkte. Erstens: Entweder ist es eine Scheidemannregierung oder eine Koalitionsregierung der Kommunisten mit den Sozialverrätern. Zweitens: Entweder ist es eine Regierung, die sich auf den Parlamentarismus stützt oder auf die Arbeiterräte. Drittens: Es ist zugleich der Ausdruck der Diktatur des Proletariats, oder es ist es nicht. Nun, Genossen, ich meine, in dieser Beziehung brauchen wir gar nicht mit der Stange im Nebel herumzuhantieren, denn wir haben eine wirklich praktische historische Erfahrung. Ich frage Sie: Was taten die Bolschewiki im Jahre 1917 vor der Eroberung der Macht? Sie verlangten die Verwirklichung der Losung: Alle Macht den Sowjets! Damals bedeutete das: Die Regierungsgewalt in die Hände der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre geben, die die Mehrheit in den Sowjets innehatten. Es bedeutete also damals eine Arbeiterregierung, in der die Sozialverräter sitzen würden, die gegen die Diktatur waren... Aber im Grunde war die Arbeiterregierung doch eine Losung, die den Bolschewiki sehr vortreffliche Agitationsdienste geleistet hat.“

Domski bemerkte:

„Gen. Radek hat mich privat getröstet, daß diese Regierung für Polen nicht in Betracht komme (Radek: Das habe ich nicht gesagt!). Also, auch Polen wird mit dieser Regierung bestraft. Es ist offenbar ein internationales Problem.

Gen. Radek sagt, die Arbeiterregierung ist keine Notwendigkeit, aber eine Möglichkeit und es wäre Unsinn, diese Möglichkeit abzulehnen. Nun ist die Frage die, ob wir alle Möglichkeiten auf unsere Fahne schreiben, und ob wir dadurch ihre Verwirklichung beschleunigen. Ich glaube, daß es möglich ist, daß im letzten Moment eine sogenannte Arbeiterregierung, die noch keine proletarische Diktatur bedeutet, kommen kann. Aber ich glaube, wenn diese Regierung kommt, so wird sie ein Ergebnis verschiedener Strömungen sein: unseres Kampfes um die proletarische Diktatur, des Kampfes der Sozialdemokraten gegen sie usw. Ist es richtig, sich auf diese Resultate einzustellen? Ich glaube nicht, ich glaube, daß wir uns nach wie vor auf den Kampf um die proletarische Diktatur einstellen müssen.“

Protokoll des IV. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale

Wie ein altes Komintern-Sprichwort besagte: Die deutsche Partei war die größte, aber die polnische Partei war die beste.

Trotzki zog die Lehren

In einem Bericht über den IV. Weltkongress zog Trotzki im Dezember 1922 die folgende Analogie, als er zur sächsischen Frage kam:

„Unter gewissen Bedingungen kann in Europa die Losung einer Arbeiterregierung Wirklichkeit werden. Das heißt, es kommt vielleicht der Augenblick, wo die Kommunisten zusammen mit den linken Elementen der Sozialdemokratie eine Arbeiterregierung errichten werden, in gewisser Weise ähnlich wie wir das in Russland getan haben, als wir zusammen mit den linken Sozialrevolutionären eine Arbeiter- und Bauernregierung schufen. Eine solche Phase würde einen Übergang zur proletarischen Diktatur — der vollständigen und vollendeten — darstellen.“

The First Five Years of the Communist International [Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale], Bd. II

Diese Analogie ist ganz und gar unpassend. Die linken Sozialrevolutionäre traten nach der proletarischen Machtergreifung und auf der Basis der Sowjetmacht in die Regierung ein, wohingegen es in Deutschland um ein bürgerliches Landesparlament in einem kapitalistischen Staat ging! Trotzki erklärte, dass die KI damals gegen den Eintritt der KPD in die sächsische Landesregierung gewesen sei. Aber er fügte hinzu:

„In der Komintern gaben wir die folgende Antwort: Wenn ihr, unsere deutschen kommunistischen Genossen, der Meinung seid, dass in Deutschland eine Revolution in den nächsten paar Monaten möglich ist, dann würden wir euch raten, in Sachsen an einer Koalitionsregierung teilzunehmen und eure Ministerposten in Sachsen dafür zu benutzen, die politischen und organisatorischen Aufgaben voranzutreiben und Sachsen gewissermaßen in einen kommunistischen Exerzierplatz zu verwandeln, um in einer Zeit der Vorbereitung auf den kommenden Ausbruch der Revolution eine bereits befestigte revolutionäre Hochburg zu haben.“

Trotzkis „Exerzierplatz“-Konzeption ging davon aus, dass die großen Bataillone des deutschen Proletariats bereit waren, mit der bürgerlichen Ordnung entscheidend zu brechen und den Kurs des Aufstandes unter kommunistischer Führung einzuschlagen. Mit anderen Worten, er setzte genau das voraus, was erst noch geschmiedet, getestet und gefestigt werden musste. Als die KPD im Oktober 1923 doch in die Regierungen von Sachsen und Thüringen eintrat, verteidigte Trotzki dies in mehreren Reden, darunter in einem Bericht vom 19. Oktober an die Gesamtrussische Gewerkschaft der Metallarbeiter und erneut zwei Tage später auf der Konferenz der Politischen Arbeiter in der Roten Armee und der Roten Flotte (The Military Writings and Speeches of Leon Trotsky, How the Revolution Armed [Die militärischen Schriften und Reden von Leo Trotzki — Wie sich die Revolution bewaffnete], Bd. V [New Park Publications, 1981]). Trotzki war sich vielleicht nicht bewusst darüber, wie tief die KPD in Parlamentarismus versunken war, aber die Taktik, die er verteidigte, konnte solche Gelüste nur verstärken.

Die Gründe für die Niederlage begann Trotzki fast unmittelbar danach auszuwerten. Auch wenn die deutschen Ereignisse beim Kampf der Opposition von 1923 nicht als zentrale Frage auftauchten, gab Trotzki in einem Artikel vom Dezember eine vorläufige Erklärung:

„Hätte die Kommunistische Partei das Tempo ihrer Arbeit jäh geändert und die fünf bis sechs Monate, die ihr von der Geschichte zur Verfügung gestellt wurden, voll und ganz für die unmittelbare politische, organisatorische und technische Vorbereitung der Machteroberung genutzt, so hätten die Ereignisse vielleicht ein ganz anderes Resultat gezeitigt... Jetzt war eine Neuorientierung der Partei nötig, ein neuer Ton der Agitation, ein neuer Zugang zu den Massen, eine neue Interpretation und Anwendung der Einheitsfrontpolitik ... Der wichtigste Grund dafür, daß die deutsche Kommunistische Partei ganz außergewöhnliche historische Positionen widerstandslos preisgab, besteht darin, daß sie es nicht vermochte, in der neuen Periode (Mai–Juli 1923) aus der Routine ihrer gestrigen Politik, die für Jahre berechnet war, auszubrechen und das Problem der Machteroberung in aller Schärfe zu stellen — in der Agitation und in der Aktion, organisatorisch und technisch.“

— Trotzki, „Tradition und revolutionäre Politik“ (Dezember 1923, später als Teil von Der Neue Kurs veröffentlicht)

Trotzki zog eine Parallele zwischen dem Routinismus der KPD-Führung und dem Konservatismus der bürokratischen Schicht, die in der Sowjetunion gerade feste Formen annahm. Gebrandmarkt als „Neuling“ wegen seiner kurzen Zugehörigkeit zur bolschewistischen Partei, zog Trotzki über die „alten Bolschewiki“ (wie Kamenjew) her, die sich 1917 im Kampf gegen Lenins Aprilthesen an die Formel der „revolutionär-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ klammerten, die Lenin „veraltet“ genannt hatte.

Trotzkis Neubewertung der deutschen Ereignisse führte ihn zu einer impliziten Selbstkritik an seiner früheren, administrativen Betonung der Notwendigkeit, einen Termin für den Aufstand festzusetzen. Im Juli 1924 schrieb er, dass seit dem Moment der Ruhrbesetzung „eine scharfe taktische Wende notwendig war“:

„Die Frage der Festsetzung eines Termins für den Aufstand kann nur in diesem Zusammenhang und mit dieser Perspektive von Bedeutung sein. Der Aufstand ist eine Kunst. Eine Kunst setzt ein klares Ziel, einen genauen Plan und folglich eine Zeitplanung voraus.

Das Wichtigste war jedoch Folgendes: rechtzeitig die entscheidende taktische Wende zur Eroberung der Macht hin sicherzustellen. Und das wurde nicht getan. Das war das wichtigste und verhängnisvolle Versäumnis. Daraus ergab sich der grundlegende Widerspruch. Einerseits erwartete die Partei eine Revolution und andererseits, weil sie sich bei der Märzaktion die Finger verbrannt hatte, schreckte sie gleichzeitig, bis zu den letzten Monaten des Jahres 1923, vor der bloßen Vorstellung zurück, eine Revolution zu organisieren, d. h. einen Aufstand vorzubereiten.“

— Trotzki, „Through What Stage Are We Passing?“ [Welches Stadium durchlaufen wir?], 21. Juni 1924 (Challenge of the Left Opposition, 1923-25)

Die Bedeutung einer solchen Wende und die Notwendigkeit, den konservativen, menschewistischen Widerstand in der Partei gegen diese Wende politisch zu bekämpfen und zu überwinden, wird am vollständigsten in den Lehren des Oktober entwickelt.

Während Trotzki die eigentliche Ursache der deutschen Niederlage anzusprechen versuchte, war bei dem EKKI-Plenum, das im Januar 1924 zusammentrat, um das Oktober-Debakel zu diskutieren, für Sinowjew der Hauptpunkt, seine eigene Rolle zu amnestieren und Brandler zum Sündenbock zu stempeln. (Die polnischen Kommunisten übten in einem Brief scharfe Kritik daran, dass das EKKI keinerlei Verantwortung für die deutsche Katastrophe übernommen hatte.) In seiner Broschüre Probleme der deutschen Revolution (Hamburg, 1923) und noch einmal auf dem Plenum hatte der unendlich flexible Sinowjew wieder angefangen, zu behaupten, dass die Arbeiterregierung die Diktatur des Proletariats bedeutet, und griff zynisch die Brandlerianer dafür an, dass sie dies bestritten. Da Sinowjew persönlich die Anweisung an die KPD unterschrieben hatte, in die Regierungen von Sachsen und Thüringen einzutreten, konnte er dafür Brandler nicht gut kritisieren. Stattdessen betonte er, dass Brandler sich nicht so aufgeführt habe, wie man es von einem kommunistischen Minister erwartet ... in einer bürgerlichen Regierung! Die Führung der KPD wurde bald an Fischer und Maslow übergeben. Und die von Sinowjew durchgedrückte Mehrheitslinie im EKKI verstärkte die Oktober-Niederlage noch mit ihrer Behauptung, dass der revolutionäre Augenblick noch nicht vorbei sei, sondern vielmehr bevorstehe — eine Position, die nur für Verwirrung sorgen konnte.

Radek legte dem EKKI-Plenum vom Januar 1924 eine Reihe von Thesen vor, deren Zweck zum Teil darin bestand, der Brandler-Führung (und Radek selbst) für die Ereignisse von 1923 ein Alibi zu verschaffen. Trotzki war damals krank und nicht auf dem Plenum. Radek setzte sich mit ihm telefonisch in Verbindung, um seine Unterstützung zu bekommen. Obwohl Trotzki später zugab, dass er zu viel Vertrauen in Radek gesetzt hatte, als er zustimmte, seinen Namen unter ein nie gelesenes Dokument setzen zu lassen, erklärte er, er habe die Thesen auf die Zusicherung hin unterstützt, dass in ihnen anerkannt wird, dass die revolutionäre Situation vorbei sei. In einem Brief vom März 1926 an den italienischen Kommunisten Amadeo Bordiga betonte Trotzki: „Ich gab meine Unterschrift, weil die Thesen bekräftigten, dass die deutsche Partei die revolutionäre Situation hatte verstreichen lassen und dass für uns in Deutschland eine Phase beginne, die nicht günstig sei für eine sofortige Offensive, sondern für die Verteidigung und Vorbereitung. Das war für mich damals das entscheidende Element.“

Da Radek mit Brandler über Deutschland verbündet war und sowohl Trotzki wie Radek Mitglieder der Opposition von 1923 waren, machte es Trotzkis Unterschrift unter Radeks Thesen Sinowjew und später Stalin leicht, ihn als „Brandlerianer“ anzugreifen. Das war natürlich ein völlig zynisches Spiel. Trotzki war dagegen, Brandler zum Sündenbock zu machen, aber nicht aus politischer Solidarität, sondern weil er wusste, dass die Komintern-Führung auch darin verwickelt war und dass Fischer und Maslow nicht besser waren. Trotzkis Differenzen zu Brandler kamen in einer ganzen Anzahl von Reden und Schriften klar zum Ausdruck. Das war bei den Spitzen der russischen Partei sehr wohl bekannt, weniger aber bei den europäischen Kommunisten. Trotzki war mehrmals gezwungen, die Erklärung zu wiederholen, die er Bordiga gegeben hatte, unter anderem in einem Brief vom September 1931 an Albert Treint und in einem Brief vom Juni 1932 an den tschechischen Kommunisten Neurath.

Trotzkis spätere Schriften

In seinen späteren Schriften erkannte Trotzki voll und ganz an, dass die Losung der „Arbeiterregierung“ (bzw. „Arbeiter- und Bauernregierung“) in den Händen der degenerierenden Komintern eine theoretische Öffnung für den ungeheuerlichsten Opportunismus gewesen war. Im Übergangsprogramm (1938) schrieb Trotzki:

„Diese Formel ,Arbeiter- und Bauernregierung‘ tauchte 1917 zum ersten Mal in der Agitation der Bolschewiki auf und wurde nach der Oktoberrevolution endgültig als Losung angenommen. Letzten Endes bedeutete sie damals nicht mehr als einen populären Namen für die bereits errichtete Diktatur des Proletariats...

Die Hauptanklage der Vierten Internationale gegen die traditionellen Organisationen des Proletariats lautet, daß sie sich nicht von der politischen Halbleiche der Bourgeoisie losreißen wollen.

Unter diesen Umständen ist die systematisch an die alte Führung gerichtete Forderung: ,Brecht mit der Bourgeoisie, ergreift die Macht!‘ eine außerordentlich wichtige Waffe, um den verräterischen Charakter der Parteien und Organisationen der Zweiten, Dritten und der Amsterdamer Internationale zu entlarven.

Die Losung ,Arbeiter- und Bauernregierung‘ ist daher für uns nur in dem Sinn annehmbar, den sie 1917 bei den Bolschewiki hatte, d. h. als eine antibürgerliche und antikapitalistische Losung, aber in keinem Fall in dem ,demokratischen‘ Sinn, den ihr die Epigonen später gaben, wodurch sie sie aus einer Brücke zur sozialistischen Revolution in ein Haupthindernis auf ihrem Weg verwandelten.“

Jedoch hat Trotzki, so weit wir wissen, niemals explizit die Formulierungen des IV. Weltkongresses über die Losung der „Arbeiterregierung“ zurückgewiesen.

Diese Resolution wird seitdem als theoretisches Einfallstor für pseudotrotzkistischen Revisionismus jeder Machart benutzt. In einer Artikelreihe in Max Shachtmans Labor Action von Oktober/November 1953 zitierte Hal Draper die Diskussion auf dem IV. Weltkongress, um damit zu argumentieren, dass eine „Arbeiterregierung“ kein Arbeiterstaat zu sein brauche. Der Zweck war, die Labour-Regierung von Attlee, die 1945 in Britannien gewählt worden war, zu beschönigen. Ebenso stützte sich Joseph Hansen von der amerikanischen Socialist Workers Party (SWP) Anfang der 60er-Jahre auf die KI-Diskussion von 1922, um seine Behauptung zu untermauern, dass das Castro-Regime in Kuba eine „Arbeiter- und Bauernregierung“ sei. Das diente der unkritischen Begeisterung der SWP über die Castro-Führung des deformierten Arbeiterstaates Kuba. Hansen klebte dieses Etikett sogar der neokolonialen Regierung Algeriens unter Ben Bella auf, als theoretische Rechtfertigung für eine politische Unterstützung von populistischen und nationalistischen bürgerlichen Regimen.

Hansens revisionistische Apologien füllten ein ganzes Bulletin der Education for Socialists (April 1974) über die „Arbeiter- und Bauernregierung“. Zusätzlich zu den Thesen des IV. Weltkongresses griff Hansen auch auf Trotzkis vorsichtige Spekulation im Übergangsprogramm zurück:

„Man kann jedoch nicht im voraus kategorisch die theoretische Möglichkeit leugnen, daß unter dem Einfluß ganz außergewöhnlicher Umstände (Krieg, Niederlage, Finanzkrach, revolutionäre Offensive der Massen usw.) die kleinbürgerlichen Parteien einschließlich der Stalinisten auf dem Weg zu einem Bruch mit der Bourgeoisie weiter gehen könnten, als ihnen selbst lieb ist. Jedenfalls steht eines außer Zweifel: selbst wenn diese wenig wahrscheinliche Variante irgendwann irgendwo Wirklichkeit werden sollte, und eine ,Arbeiter- und Bauernregierung‘ im oben erwähnten Sinn tatsächlich errichtet würde, so wäre sie nur eine kurze Episode auf dem Weg zur wirklichen Diktatur des Proletariats.“

Genauso wie die Stalinisten (und andere Opportunisten) Lenins „linken Radikalismus“ missbraucht haben, um jeden grotesken, auf Klassenzusammenarbeit beruhenden Verrat zu rechtfertigen, versuchten geschickte Revisionisten wie Hansen, Trotzki ihre eigene reformistische Kapitulation vor nicht-proletarischen Kräften in die Schuhe zu schieben.

Die Revolutionary Tendency (RT) — Vorläufer der Spartacist League/U.S. — führte innerhalb der SWP einen scharfen Kampf gegen die Kapitulation der Führung vor Castro. In einem Dokument vom 11. Juni 1961 mit dem Titel „A Note on the Current Discussion — Labels and Purposes“ [Eine Bemerkung über die gegenwärtige Diskussion — Etiketten und Zwecke] (SWP Discussion Bulletin Bd. 22, Nr. 16 [Juni 1961]), wies James Robertson, einer der Führer der RT, auf die Verbindung zwischen Terminologie und politischem Appetit hin:

„Und bei der kubanischen Frage stellt sich die gleiche fundamentale Frage: Was wollt ihr, Genossen? Schaut euch an, wie die Übergangsforderung ,Arbeiter- und Bauernregierung’ verwendet wird. Sie ist übergangsmäßig, schon richtig, das heißt, sie ist eine Brücke, aber Brücken führen in zwei Richtungen. Entweder ist die Arbeiter- und Bauernregierung die zentrale Forderung der Trotzkisten, um die Arbeiter und Bauern aufzurufen, durch ihre Massenorganisationen die Macht in die eigenen Hände zu nehmen — d. h. der Kampf um die Sowjetmacht (in diesem Sinne wurde sie von den kubanischen Trotzkisten angewandt); oder sie ist ein Etikett, das man der bestehenden Regierung aus der Ferne verpasst und das somit, nicht zum ersten Mal, als orthodox klingende Formel dient, um die Durchführung der proletarischen Revolution zu umgehen und um eine Revolution ,von oben‘ zu rechtfertigen durch Führer, ,die unter anderem die größten Schwierigkeiten damit haben, die arbeitende Bevölkerung mit dem Bewusstsein für revolutionäre soziale Verantwortung zu erfüllen‘.

Kurz gesagt, soll die kubanische Revolution über diese Brücke zur Sowjetmacht vorwärts gehen oder soll die Mehrheit der amerikanischen SWP rückwärts gehen?“

Tatsächlich markierte die Anpassung der SWP an Castro ihren Abstieg zum Zentrismus und, ein paar Jahre später, zum Reformismus.

Im Verlauf der Fusionsdiskussionen 1971 mit den Genossen des Communist Working Collective (CWC), die mit dem Maoismus gebrochen hatten und sich nach links bewegten, entdeckten wir, dass sie ähnliche Bedenken über den IV. Weltkongress hatten (siehe Marxist Bulletin Nr. 10, „From Maoism to Trotskyism“ [Vom Maoismus zum Trotzkismus]). Die Genossen des CWC waren mit Lenins Schriften über den Staat gut vertraut. Sie wussten, dass es in der imperialistischen Epoche nur zwei Arten von Staaten gibt, die Diktatur des Proletariats und die Diktatur der Bourgeoisie, entsprechend den zwei Hauptklassen — was war dann diese vage „Arbeiterregierung“ dazwischen? Die Konvergenz unserer Ansichten hierüber war ein gutes Zeichen für eine solide revolutionäre Umgruppierung!

Anfang der 30er-Jahre schrieb Trotzki eine ganze Menge über die Dringlichkeit der Anwendung der Einheitsfronttaktik gegen die Hitler-Faschisten. Aber eine „Arbeiterregierung“ à la Sinowjew, d. h. eine KPD/SPD-Regierung, taucht nie als Teil von Trotzkis Propaganda auf. Seine Formulierungen über den Staat sind ebenfalls viel schärfer und klarer als 1923. Trotzki besteht zum Beispiel kategorisch darauf, dass die Bullen der Klassenfeind sind, auch wenn sie unter sozialdemokratischem Einfluss stehen:

„Der Umstand, daß die Polizisten in bedeutender Zahl unter sozialdemokratischen Arbeitern rekrutiert wurden, will ganz und gar nichts besagen. Auch hier wird das Denken vom Sein bestimmt. Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter.“

— „Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“, 27. Januar 1932 (Schriften über Deutschland, Bd. I)

Um ihre ständige Wahlunterstützung für die Sozialdemokratie zu rechtfertigen, feiern heutige Zentristen und Reformisten die „Arbeiterregierung“ als höchste Form der Einheitsfront. Im Gegensatz dazu schrieb Trotzki in „Was nun?“:

„Wie die Gewerkschaften Elementarform der Einheitsfront im wirtschaftlichen Kampf sind, so ist der Sowjet die höchste Form der Einheitsfront in der Phase des proletarischen Kampfes um die Macht.

Im Sowjet stecken an sich keine wunderbaren Kräfte. Er ist lediglich die Klassenvertretung des Proletariats mit all seinen starken und schwachen Seiten. Doch gerade dadurch und nur dadurch schafft der Sowjet die organisatorische Möglichkeit für die Arbeiter verschiedener politischer Richtungen, verschiedener Entwicklungsstufen, ihre Anstrengungen im revolutionären Machtkampf zu vereinigen.“

Aber gegen die Einheitsfront-Fetischisten betonte Trotzki, dass Sowjets „selber“ bei der Führung des Kampfes um die Macht kein Ersatz für die kommunistische Avantgarde sind:

„Die Einheitsfront kann überhaupt keine starke revolutionäre Partei ersetzen, sie kann ihr nur helfen, stärker zu werden...

Aber zu glauben, die Sowjets könnten ,selber‘ den Kampf des Proletariats um die Macht leiten, heißt groben Sowjetfetischismus säen. Alles hängt von der Partei ab, die den Sowjet führt.“

Der Kampf für neue Oktoberrevolutionen

Die letzte ernsthafte Untersuchung, die innerhalb der trotzkistischen Bewegung über die deutschen Ereignisse stattfand, war ein Austausch 1942/43 in der Fourth International der amerikanischen SWP zwischen dem deutschen Trotzkisten Walter Held („Why the German Revolution Failed“ [Warum die deutsche Revolution scheiterte], Dezember 1942 und Januar 1943) und Jean van Heijenoort, der das Pseudonym Marc Loris benutzte („The German Revolution in the Leninist Period“ [Die deutsche Revolution in der leninistischen Periode], März 1943). Der Verdienst dieses Meinungsaustauschs liegt in dem Versuch, die Probleme der KPD 1923 in den politischen Schwächen zu orten, die die deutsche Partei von Anfang an plagten. Held sah den völlig gerechtfertigten Ausschluss von Paul Levi 1921 als den entscheidenden Fehler an, der die Deutsche Revolution von 1923 zum Scheitern verdammte, und er sah in Levis Ausschluss sogar die Ursprünge der stalinistischen bürokratischen Degeneration der Komintern. Van Heijenoort drehte Held für seine Unterstützung von Levi gehörig durch die Mangel. Gleichzeitig verspottete van Heijenoort fälschlicherweise Helds richtige Kritik an Trotzki, der auf dem russischen XII. Parteitag 1923 entgegen Lenins Anweisungen keinen Kampf gegen Stalin geführt hatte. Held glaubte wirklich, dass es 1923 revolutionäre Möglichkeiten gegeben hatte, und er verachtete Brandler. Held verurteilte auch zu Recht den Eintritt der KPD in die Regierungen von Sachsen und Thüringen — obwohl er nicht erwähnte, dass Trotzki selbst dies unterstützt hatte.

Wie man die Geschichte der Arbeiterbewegung einschätzt, hängt sehr stark von der programmatischen Perspektive ab. Die gesamte Palette von Pseudotrotzkisten sieht die Ereignisse von 1923 durch das verzerrte Prisma der Sozialdemokratie. Pierre Broués Révolution en Allemagne 1917-1923 [Revolution in Deutschland 1917–1923] (1971) unterstützt unkritisch die Linie des IV. Weltkongresses der Komintern über die „Arbeiterregierung“. Eine Broschüre der Gruppe Arbeitermacht (Ableger von Workers Power) über die Novemberrevolution behauptet, dass das Ebert-Scheidemann-Regime — die Schlächter von Liebknecht und Luxemburg — eine „Arbeiterregierung“ gewesen sei, wenn auch eine „unechte“. Pierre Frank, ein langjähriger Führer des Vereinigten Sekretariats (VS), denunzierte Sinowjew in einer Polemik, weil dieser (gelegentlich) zu Recht bekräftigt hatte, dass eine Arbeiterregierung die Diktatur des Proletariats bedeutet.

Diese Gruppen verbreiten das Märchen, dass eine parlamentarische Regierung, die von einer sozialdemokratischen Partei angeführt wird, eine „Arbeiterregierung“ oder „reformistische Regierung“ sei; sie ist aber eine kapitalistische Regierung. Die Linie dieser Gruppen entspricht ihrer Politik, durch Druck auf die reformistischen Massenparteien zu operieren. Perfektes Beispiel einer solchen sozialdemokratischen Perspektive war Allendes Regierung der Unidad Popular in Chile Anfang der 70er-Jahre — eine bürgerliche Koalition aus Allendes Sozialisten, den Kommunisten und einigen kleineren kapitalistischen Parteien —, die die arbeitenden Massen mit selbstmörderischen Illusionen in das „verfassungstreue“ Militär einlullte und Pinochets blutigem Putsch den Weg bahnte.

Brandler selbst bewegte sich rasch weg vom Leninismus, er wurde zu einem Führer der Kommunistischen Rechten Opposition und später zu einem verhärteten Sozialdemokraten. In einem Austausch mit Isaac Deutscher triefte Brandler vor selbstgefälliger Zufriedenheit eines deutschen Provinz-Sozialdemokraten, der absolut nichts von den Bolschewiki zu lernen hat:

„Erst jetzt erkenne ich, wie gewaltig der Ideenschatz war, den die deutsche Arbeiterbewegung durch ihre eigenen Anstrengungen und ganz unabhängig erlangte. Wir waren durch die Errungenschaften der Bolschewiki so beeindruckt, dass wir unsere eigenen vergaßen. Man nehme Lenins Imperialismus, das ganz zu Recht als ein Standardwerk angesehen wird. Die meisten Ideen, die Lenin in seinem Imperialismus entwickelt hat, wurden bereits auf dem Internationalen Sozialisten-Kongress 1907 in Stuttgart und auf anderen Konferenzen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts debattiert, hauptsächlich von Kautsky.“

New Left Review Nr. 105, September-Oktober 1977

Lenins Imperialismus war eine Polemik gegen Kautsky, dessen Theorie des „Ultraimperialismus“ — heute wieder belebt durch die „Anti-Globalisierungs“-Typen — auf der Lüge fußt, dass nationale Antagonismen innerhalb des Rahmens des Kapitalismus überwunden werden können und deshalb interimperialistischer Krieg kein untrennbarer Bestandteil des kapitalistischen System sei. Genau gegen solchen Sozialpazifismus und Sozialchauvinismus hat Lenin den Kampf für die Dritte Internationale begonnen!

Die britische Labour-freundliche Zeitschrift Revolutionary History kleidet im Leitartikel ihrer Ausgabe von 1994 über Deutschland ihre antirevolutionäre These in eine Reihe von Fragen:

„War diese Reihe von Ereignissen eine gescheiterte revolutionäre Gelegenheit? War der Abbruch des Aufstands und seine Entwicklung zu einer bürgerlichen Republik Ergebnis des Verrats der Sozialdemokratie und des Versagens der revolutionären Linken? War eine liberale bürgerliche Republik eine Möglichkeit? Waren die krassen Fehler der Kommunisten das Resultat ihrer eigenen Unzulänglichkeit oder war es wegen der Einmischung der Kommunistischen Internationale? In wie weit war die Politik der deutschen Kommunistischen Partei davon beeinflusst, dass die Sowjets eine Vorliebe für ein Bündnis mit rechten deutschen Militaristen hatten, eine Koalition der zwei Außenseiter, ausgeschlossen vom Versailler System? Hätte in der Situation mehr erreicht werden können als das, was letztendlich herauskam? Wurde der spätere Triumph Hitlers durch die Ereignisse dieser Zeit unvermeidlich? Hätte Hitlers Sieg verhindert werden können, wenn die Kommunistische Partei Deutschlands nicht entstanden wäre und die Arbeiterklasse ihre organisatorische Einheit behalten hätte?“

Wohin die Gedankengänge von Revolutionary History führen, ist klar, auch wenn es nötig ist, zwischen den Zeilen zu lesen, wie das bei dieser „nicht parteigebundenen“ Zeitschrift meist der Fall ist. Die Linie ist ungefähr so: Die proletarische Revolution hat in Deutschland 1918–23 nicht gesiegt und nur Sektierer und Verrückte können denken, dass sie bevorstand; in der Sowjetunion, wo die Revolution 1917 tatsächlich gesiegt hatte, zeigte sich bald, dass die bolschewistische Führung hauptsächlich aus fehlgeleiteten Fanatikern und Schwindlern bestand. Was bleibt RH da anderes übrig, als die Abspaltung der proletarischen revolutionären Kräfte von der Zweiten Internationale zu beklagen? Um jeden Preis versuchen sie zu leugnen, dass Hitlers Aufstieg zur Macht aus der unterwürfigen Ergebenheit der SPD zur Weimarer Republik resultierte, verbunden mit der Unfähigkeit der Kommunistischen Partei, ihr 1923 definitiv den Garaus zu machen. Faschismus, die brutale Unterdrückung, die die Imperialisten den kolonialen Massen aufzwingen, interimperialistischer Krieg, Rassismus — in den Augen eines Sozialdemokraten sind dies nicht unausweichliche Folgen der verrottenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung, sondern unglückliche Anomalien, die episodisch die ordentlichen demokratischen bürgerlichen Normen trüben.

Bei ihnen allen steckt dahinter, dass sie die Gültigkeit der Oktoberrevolution in Frage stellen wie auch den Versuch der Bolschewiki, diese Revolution international auszudehnen. Brandler vertrat immer eine Linie des „russischen Exzeptionalismus“, was heißen sollte: Vielleicht funktionierte Lenins Programm in Russland, aber auf Deutschland, mit seiner angeblich so „kultivierten“ Arbeiterklasse, vermeintlich untrennbar verbunden mit dem System der parlamentarischen Demokratie, konnte es nicht angewendet werden. Mit der Zerstörung der Sowjetunion „entdeckten“ nun die Revisionisten, dass Lenins Programm auch in Russland nicht funktioniert habe, dass der sowjetische Arbeiterstaat ein „misslungenes Experiment“ gewesen sei. Deswegen landen alle Reformisten heute im Lager der „Antiglobalisierungs-Kampagne“ und beschwören die Imperialisten, „verantwortungsbewusst“ und „human“ zu sein.

Vorgebliche Linke wie Gruppe Arbeitermacht/Workers Power und das Vereinigte Sekretariat sind weit nach rechts gegangen aufgrund ihrer Unterstützung der konterrevolutionären Kräfte, die die Sowjetunion und die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas 1989–1992 zerstört haben. Als Verfechter der „demokratischen“ Glaubwürdigkeit der Imperialisten und ihrer auserwählten konterrevolutionären Handlanger trugen sie dazu bei, den ersten Arbeiterstaat der Welt zu zerstören; damit verurteilten sie das Proletariat Osteuropas und der ehemaligen UdSSR zu der vom imperialistischen Würgegriff über den Weltmarkt diktierten Armut. Dies steckt hinter der Praxis dieser vorgeblichen Marxisten, für die nur der parlamentarisch-reformistische Sandkasten der bürgerlichen „Demokratie“ zählt, wenn sie den rechten Sozialdemokraten wie Labours Tony Blair in Britannien oder in Ländern wie Italien oder Frankreich Volksfront-Koalitionen von reformistischen Arbeiterparteien und offen bürgerlichen Parteien hinterherlaufen.

Unser Kompass bleibt die Oktoberrevolution. Sie zeigte, wie eine revolutionäre, im Proletariat verwurzelte Partei die Arbeitermassen von den reformistischen Klassenverrätern brechen und sie an die Macht führen kann. Der entscheidende Faktor war das subjektive Element — die revolutionäre Partei. Das war der Unterschied zwischen Russland 1917 und Deutschland 1923.

Es ist die strategische Aufgabe für deutsche Kommunisten, das Proletariat von der Sozialdemokratie zu brechen. Dies wäre 1923 möglich gewesen, wie Trotzki zu Recht erkannte. Das Hindernis war weder die objektive Situation noch die „Allmacht“ der Sozialdemokratie; es war das Versagen, eine revolutionäre Linie zu verfolgen, besonders während der kritischen Zeitspanne. Daher stellten sich die programmatischen Schwächen der deutschen Partei — verstärkt statt korrigiert durch die Komintern, deren Degenerierung schon eingesetzt hatte — als entscheidend heraus. Wir wollen uns die Lehren von 1923 kritisch aneignen, damit wir unsere internationale Partei stärken können für die revolutionären Kämpfe, die vor uns liegen.

Spartacist (deutsche Ausgabe) Nr. 22

DSp Nr. 22

Sommer 2001

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Zur Wiederbewaffnung des Bolschewismus

Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern

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Eine Kritische Bilanz

Trotzki und die russische Linke Opposition

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Fraunen und die Französische Revolution

(Frauen und Revolution)