Spartakist Nr. 215 |
Winter 2016/2017 |
Verteidigt China gegen Imperialismus und Konterrevolution!
Chauvinistischer Aufschrei über chinesischen Stahl
Während in der Stahlindustrie weltweit Entlassungen und Fabrikschließungen grassieren, entfachen Regierungen, Medien, Stahlunternehmen und Gewerkschaftsfunktionäre in den USA und Europa üble chauvinistische Hetze gegen den Import von chinesischem Stahl. Im Präsidentschaftswahlkampf haben sich der Republikaner Donald Trump und die Demokratin Hillary Clinton (wie auch zuvor Bernie Sanders) für einen Handelskrieg gegen China stark gemacht, wobei die Stahlindustrie als Paradebeispiel dient. Im Mai verhängte die Obama-Regierung astronomische Zölle von über 500 Prozent auf Importe chinesischen kaltgewalzten Flachstahls (der für Autokarosserien, Geräte und auf dem Bau verwendet wird) und 451 Prozent auf chinesischen Edelstahl. Kurz darauf sagte die US-Außenhandelsbehörde USITC zu, sich mit der Forderung von U.S. Steel nach einem vollständigen Verbot von Stahlimporten aus China zu befassen. Eine Entscheidung wird zu Beginn der Amtszeit des nächsten Präsidenten, Donald Trump, erwartet.
Komplizen der Stahlbosse sind die verräterischen Gewerkschaftsführer, die in den USA schon lange die Flagge des „Amerika-zuerst“-Protektionismus schwenken. Unter diesem Banner geben die Arbeiterverräter ständig Errungenschaften preis, die durch die militanten Schlachten der Arbeiterklasse – Schwarze, Weiße und Immigranten – errungen wurden. Leo Gerard, der Präsident der United Steelworkers Union (USW – Stahlarbeitergewerkschaft), rief im vergangenen Frühjahr Washington dazu auf, chinesischen Stahl zu „verbieten“. Derweil gaben sich die USW-Oberen mit neuen Tarifverträgen zufrieden, die Nullrunden, Kürzungen bei Versorgungsleistungen und einen Streikverzicht beinhalten, während Fabriken geschlossen und Hunderte von Arbeitern entlassen werden.
In Europa beteiligten sich am 15. Februar 2016 mehrere Gewerkschaften an einer Kundgebung in Brüssel, zu der der Verband der Stahlbosse Eurofer aufgerufen hatte, um von der Europäischen Union ihrerseits protektionistische Maßnahmen zu fordern. Am 11. April taten sich die deutsche Gewerkschaft IG Metall (IGM) und die deutschen Stahlbosse zusammen und mobilisierten Zehntausende von Stahlarbeitern zu ähnlich chauvinistischen Protesten. Für eine Demonstration in Brüssel am 9. November mobilisierte die IGM mit einem Video, in dem der ehemalige Fußball-Manager Reiner Calmund auftrat und gegen China mit der Forderung hetzte: „Man soll nicht jedes Mal direkt vor den Chinesen in die Hose scheißen. Da muss man mal dagegen kämpfen, und zwar alle zusammen.“
Die kapitalistischen Eigentümer von Stahlgiganten wie ArcelorMittal, U.S. Steel, Nucor, ThyssenKrupp, Nippon Steel, Tata Steel, Posco usw. haben den Stahlarbeitern jahrzehntelang auf Kosten von Arbeitsplätzen, Löhnen und Versorgungsleistungen riesige Profite abgerungen. Dazu haben sie Streiks gebrochen und Arbeiter ausgesperrt.
Genau wie die amerikanische Gewerkschaftsbürokratie dem massenhaften Schrumpfen der Gewerkschaften in den USA zuschaute, haben ihre europäischen Pendants den Kampf gegen Austerität untergraben. Es stinkt zum Himmel, dass die Spitzen potenziell mächtiger Gewerkschaften wie USW, IGM, die britischen Gewerkschaften UNITE und GMB und die französischen Gewerkschaftsverbände (CGT, CFDT, FO) mit dem Klassenfeind zusammenarbeiten und fordern, die kapitalistischen Staaten sollten wirtschaftliche Maßnahmen gegen China ergreifen. In der globalen Wirtschaft, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, ist das Proletariat eine internationale Klasse. Nötig ist Arbeitereinheit gegen die kapitalistischen Herrscher, im eigenen Land und international.
Die Gewerkschaftsbürokraten, die zu einem reaktionären Handelskrieg gegen China aufrufen, behaupten, das Auskommen der Arbeiter gegenüber „unfairem Wettbewerb“ und „Dumping“ zu schützen. Die chauvinistischen Bürokraten in diesem Land, die mit der „Rettung der europäischen Stahlindustrie“ hausieren gehen, verbreiten die Lüge, dass die Arbeiter mit ihren Ausbeutern ein gemeinsames „nationales Interesse“ teilen. Eine derartige Politik der Klassenzusammenarbeit untergräbt die Möglichkeit von Klassenkampf, der notwendig ist, um Arbeitsplätze, Löhne und Versorgungsleistungen zu erhalten und zu vermehren. Indem der Protektionismus Arbeitern im Ausland die Schuld für vernichtete Arbeitsplätze in Deutschland und für die Gefahr weiterer Werksschließungen zuschiebt, trägt er dazu bei, Vorurteile gegenüber Arbeitern aus anderen Ländern hier anzufachen, und ist Gift für eine notwendige internationale Arbeitersolidarität.
Was die Stahlbarone vor allem „schützen“, ist ihre monopolistische Profitrate. Die Anti-China-Kampagne der Imperialisten hat aber noch weitergehende politische Ziele. Vor allem soll sie China zum Sündenbock für die anhaltende Stagnation und den Niedergang der kapitalistischen Weltwirtschaft machen. Wir widerlegten solche Behauptungen bereits vor einem Jahr in dem Artikel „China und die Weltwirtschaft: Fakten kontra Fiktion“ (Spartakist Nr. 211, Winter 2015/16).
Der aufkeimende Handelskrieg mit China ist nur ein Teil der umfassenderen Offensive, die vor allem aus militärischem Druck in Verbindung mit kapitalistischer wirtschaftlicher Durchdringung besteht und letztlich darauf abzielt, den Kapitalismus in China zu restaurieren und dieses Land erneut ungehinderter imperialistischer Ausbeutung zu öffnen. Die auf die Bauernschaft gestützte Revolution von 1949 stürzte die Herrschaft der Kapitalisten und Großgrundbesitzer in China und führte zur Errichtung der wirtschaftlichen Grundlagen der Arbeiterherrschaft – Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln und Wirtschaftsplanung. Doch der Arbeiterstaat, der entstand, war von Geburt an durch die Herrschaft einer parasitären Bürokratenkaste deformiert, die die Arbeiterklasse von der politischen Macht ausschloss. Dennoch ermöglichte es die kollektivierte Wirtschaft, China von imperialistischer Oberherrschaft zu befreien, Hunderte Millionen Menschen der Armut zu entreißen, eine Massenalphabetisierung durchzuführen und den chinesischen Frauen, die in vorrevolutionärer Zeit kaum als Menschen angesehen wurden, bis dahin ungeahnte Möglichkeiten zu eröffnen.
Für das rationale Funktionieren einer kollektivierten Wirtschaft ist proletarische Demokratie wesentlich. Doch das verträgt sich nicht mit dem bürokratischen Regime der chinesischen Stalinisten. Stattdessen haben die Beijinger Stalinisten in den vergangenen Jahrzehnten versucht, die Verschwendung und Ineffektivität der bürokratischen zentralen Planung durch die Disziplin des Marktes zu korrigieren. Die „Marktreformen“ haben durch ihre Förderung einer einheimischen Kapitalistenklasse und ihre starke Bindung an ausländische Kapitalinvestitionen die Bedrohung durch innere Konterrevolution außerordentlich gesteigert. Sie haben neben der wirtschaftlichen Expansion, die den Lebensstandard eines großen Teils der Bevölkerung verbesserte, ein enormes Anwachsen sozialer Ungleichheit bewirkt. Dennoch bleiben die Kernbestandteile der chinesischen Wirtschaft kollektiviert.
Genau wie in kapitalistischen Ländern die Arbeiter ihre Gewerkschaften trotz der gegenwärtigen verräterischen Führung gegen die Bosse verteidigen müssen, so müssen sie den chinesischen Arbeiterstaat trotz der herrschenden stalinistischen Bürokratie gegen kapitalistische Konterrevolution verteidigen. Die Gewerkschaftsbürokraten sind dem kapitalistischen Profitsystem verpflichtet und binden in Deutschland die Arbeiter durch Loyalität gegenüber der SPD und der Linkspartei politisch an den Klassenfeind. Sie müssen von ihren Positionen an der Spitze der Gewerkschaften durch politischen Kampf entfernt und durch eine klassenkämpferische Führung ersetzt werden, die dem Sturz der kapitalistischen Ordnung verpflichtet ist. In China muss die Bürokratenkaste durch eine proletarisch-politische Revolution entmachtet werden, um die durch die Revolution von 1949 errichteten proletarischen Eigentumsformen zu erhalten und auszuweiten.
Stahl: Lügen und Tatsachen
Die Stahlproduktion ist die Grundlage einer modernen industriellen Wirtschaft und für die militärische Verteidigung unerlässlich. China hat ein Recht darauf, seine Industrie vor kapitalistischer Konkurrenz zu schützen und Stahl für den Weltmarkt zu exportieren, auch unterhalb des Produktionskostenpreises. Die Forderung der Imperialisten, China solle mit der „staatlichen Subventionierung“ seiner Stahlindustrie aufhören, ist gleichbedeutend mit der Forderung nach vollständiger Privatisierung, d. h. Sturz der kollektivierten Eigentumsformen.
Die Hetzer gegen China beschwören die Vorstellung herauf, wie der Stahl aus chinesischen Stahlwerken strömt und den Weltmarkt „überschwemmt“ und dabei die Preise drückt und andere Produzenten aus dem Geschäft drängt. Das Wall Street Journal (25. April 2016) sprach von der „Flut chinesischen Stahls, die auf der amerikanischen Industrie lastet“, und Dave Hulse, nationaler Vorsitzender der britischen Gewerkschaft GMB, erklärte: „Diese Preisdrückerei muss ein Ende haben, andernfalls werden britische Arbeitsplätze in der Stahlindustrie einfach wegschmelzen.“ China wird dafür verantwortlich gemacht, „Warum die Welt zu viel Stahl hat“, so eine Titelzeile des Economist (4. Mai 2016).
In Wirklichkeit benötigt die Welt viel mehr Stahl, wie ein Blick auf die verfallende Infrastruktur in den USA oder die erzwungene wirtschaftliche Rückständigkeit der neokolonialen Welt zeigt. Eine Stahl-„Schwemme“ gibt es auf dem Weltmarkt nur in Hinblick auf die Stagnation und den Niedergang der kapitalistischen Wirtschaft im Gefolge der globalen Finanzkrise von 2008.
Dieser Zusammenbruch und die darauffolgende Rezession waren das Ergebnis des anarchischen kapitalistischen Profitsystems, wie auch die Entlassungen und Fabrikschließungen in der Stahlindustrie heute. Einer Messgröße zufolge (dem sogenannten True Steel Use, TSU) sank der Verbrauch von Stahl in den USA zwischen 2007 und 2014 um drei Prozent. In Japan sank er um elf Prozent und in der EU um sage und schreibe 30 Prozent. Wie ein Sprecher des chinesischen Handelsministeriums im April 2016 sagte: „Stahl ist die Nahrung der Industrie, die Nahrung für wirtschaftliche Entwicklung. Gegenwärtig besteht das Hauptproblem darin, dass Länder, die Nahrung benötigen, nur einen geringen Appetit haben. Deshalb sieht es so aus, als gebe es zu viel Nahrung.“
Im selben Zeitraum stieg der TSU in China um 175 Prozent, als Beijing einen anspruchsvollen Infrastrukturausbau in die Wege leitete. Heute produziert China ungefähr die Hälfte des weltweiten Stahls, ausgehend von 15 Prozent im Jahr 2000. Die chinesische Wirtschaft wächst zurzeit jährlich um mehr als sechs Prozent, während fortgeschrittene Industrieländer froh sind, wenn sie über die 2-Prozent-Marke kommen, und ständig von Krisen und wirtschaftlicher Schrumpfung bedroht sind. Der Forderung des US-Handelsministers, China solle seine Stahlkapazitäten drastisch zurückfahren, hielt der chinesische Finanzminister Lou Jiwei auf einer Pressekonferenz am 6. Juni 2016 entgegen, dass Chinas überschüssige Kapazitäten Ergebnis der Infrastrukturinvestitionen während der globalen Wirtschaftskrise von 2009–2011 seien, als China für mehr als die Hälfte des weltweiten Wirtschaftswachstums verantwortlich war. Weiter stellte er fest: „Damals applaudierte und dankte die Welt China, doch jetzt heißt es, Chinas Produktionsüberkapazitäten würden die Welt belasten. Wie hieß es noch damals?“ (cctvplus.tv).
Bis vor kurzem wurde fast der gesamte von China produzierte Stahl in China selbst verbraucht. Seit ein paar Jahren versucht Beijing die Wirtschaft neu auf den heimischen Verbrauchermarkt auszurichten. Dies hatte eine Reduzierung von Exporten und Infrastrukturprojekten zufolge, was eine geringere einheimische Nachfrage nach Stahl bedeutet. Wäre China ein kapitalistisches Land, wäre die Lösung einfach und brutal: Massenentlassungen von Stahlarbeitern. Doch die chinesische Regierung, die zwar angekündigt hat, die Produktionskapazitäten für Stahl reduzieren und einige Kohlenbergwerke schließen zu wollen, fürchtet Arbeitermassenproteste und -streiks, die durch größere Entlassungen entfacht werden würden. Deshalb zögert die Regierung, die Produktion zu abrupt herunterzufahren, und verkauft überschüssigen Stahl auf dem Weltmarkt. Sogenannte „Zombiefabriken“, größtenteils staatliche Unternehmen des Stahlsektors und anderer betroffener Industrien wie der Zementbranche, behalten ihre Arbeiter auf der Gehaltsliste und häufen weiter Verluste und Schulden an – etwas, das in der kapitalistischen Welt unvorstellbar wäre.
Diejenigen, die für „Anti-Dumping“-Zölle eintreten, behaupten oft, ausländische Produzenten würden unter dem Selbstkostenpreis verkaufen – egal ob das wahr ist oder nicht. Die Grundlage, auf der die Imperialisten Chinas Produktionskosten für Stahl schätzen, ist ein sogenanntes „Stellvertreter-Verfahren“: Sie berechnen die Produktionskosten eines Landes mit ähnlichem Durchschnittseinkommen (wie Polen, Thailand oder Südafrika) und erklären diese für gleichwertig mit den chinesischen. Selbst ein imperialistisches Sprachrohr wie die New York Times (3. Mai 2016) gab zu: „Die Stellvertreter-Länder haben oft höhere Kosten als China, das größere Skalenvorteile [sinkende Stückkosten bei steigender Produktionsmenge] besitzt.“
Angesichts seines riesigen Produktionsvolumens exportiert China jetzt etwa genauso viel Stahl im Jahr wie die gesamte Produktionsleistung des weltweit zweitgrößten Produzenten Japan. Doch Chinas Stahlexporte belaufen sich auf nur etwa zwölf Prozent seiner gesamten Produktion. Das ist ein wesentlich geringerer Anteil als bei Japan und Südkorea (von denen jeder 40 Prozent seiner Produktionsleistung exportiert) oder sogar bei Brasilien, der Türkei und Russland.
Die angebliche „Flut“ chinesischen Stahls in die USA und nach Europa ist in Wirklichkeit ein relativ bescheidenes Flüsschen. Der Hauptexporteur von Stahl in die USA ist Kanada (19 Prozent der Gesamtmenge) gefolgt von Brasilien, Südkorea, Mexiko, der Türkei und Japan. China liefert weniger als drei Prozent der US-Stahlimporte, was weniger als ein Prozent des gesamten US-Stahlmarkts ausmacht. Was die EU betrifft, so sind die Importe chinesischen Stahls zwar größer als in den USA, betragen aber immer noch nur etwa vier Prozent der Gesamtnachfrage. Dennoch belegt die EU seit August 2016 eine Reihe chinesischer Stahlprodukte mit Zöllen von bis zu 73 Prozent.
Besonders absurd ist es, chinesischen Importen den Niedergang der britischen Stahlindustrie in die Schuhe zu schieben. Als die British Steel Corporation 1967 von der Labour-Regierung durch die Verstaatlichung der Industrie ins Leben gerufen wurde, beschäftigte sie 268 500 Arbeiter. Zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Margret Thatcher als Premierministerin 1979 wurde die Belegschaft auf nur noch 88 200 reduziert. Thatcher machte sich 1988 an den Verkauf des Unternehmens, und die Belegschaft schrumpfte weiter. Da durch die Austeritätspolitik aufeinanderfolgender Regierungen die Nachfrage nach Stahl einbrach, hat Tata Steel, der Eigentümer der Überbleibsel von British Steel, damit gedroht, den Großteil seiner britischen Betriebe zu schließen.
In Deutschland wurden seit den 1980er-Jahren die Stahlarbeitsplätze reduziert, und die Produktivität stieg an, was zu einer Gesamtsteigerung der Produktionsleistung führte. Im Westen wurde das industrielle Ruhrgebiet durch Fabrikschließungen und Umstrukturierung zugrunde gerichtet. Diese Arbeitsplatzverluste erfolgten ohne irgendwelchen ernsthaften Kampf von Seiten der verräterischen Gewerkschaftsführer. Als der deformierte Arbeiterstaat DDR 1990 der Konterrevolution zum Opfer fiel, setzten die neuen kapitalistischen Herren auch im Osten Massenentlassungen und Fabrikschließungen durch. Keineswegs ist China die Ursache für wirtschaftliche Probleme Deutschlands, sondern die allgemeinen Exporte nach China sind ein wesentlicher Faktor für Deutschlands wirtschaftlichen Erfolg im Vergleich zu konkurrierenden kapitalistischen Mächten. Weil viele Firmen auf chinesische Zulieferer angewiesen sind, hat ein beträchtlicher Teil der deutschen Bourgeoisie – wie auch die Arbeiterklasse – durch einen Handelskrieg mit China viel zu verlieren.
Der Löwenanteil von Chinas Stahlexporten geht nach Asien. Dies resultiert größtenteils aus der Politik der chinesischen Regierung, im Rahmen ihres Projekts „One Belt, One Road“ („Ein Gürtel, eine Straße“) die Infrastruktur in der Region aufzubauen. China, das den Eindämmungsversuchen des US- (und japanischen) Imperialismus entgegentreten möchte, sagt, es werde vier Billionen Dollar in dieses Projekt (auch als Neue Seidenstraße bekannt) investieren, das vielfältige Handelsnetzwerke umfasst, die Asien mit Westeuropa verbinden, darunter Pipelines, Eisenbahnlinien und Fernstraßen.
Dumping und Monopolkapital
Die chinesische Stahlindustrie, wie die chinesische Wirtschaft insgesamt, funktioniert grundlegend anders als der Kapitalismus. Der Hauptzweck der Produktion in China ist nicht die Maximierung von Profit oder die Eroberung eines größeren Teils des Weltmarktes. Die „unfairen Handelspraktiken“, deren China beschuldigt wird, sind in Wirklichkeit kennzeichnend für die Monopolpraktiken der Truste und Kartelle, die die Industrie in den kapitalistischen Ländern beherrschen. Räuberbarone wie der US-Stahlmagnat Andrew Carnegie waren Meister solcher Methoden wie des Verkaufs unter Selbstkostenpreis, um ihre Konkurrenten zu verdrängen – die sie zur selben Zeit anwandten, wie sie streikende Arbeiter massakrierten. Die heutigen Stahlbarone sind aus demselben Holz geschnitzt. Wenn sie darauf hoffen, durch billige Verkäufe im Ausland größere Marktanteile zu erobern, fordern sie „Freihandel“. Wenn sie sich selbst von Billigkonkurrenten unterboten sehen, rufen sie nach dem starken Arm ihrer Regierung, damit sie ihnen mit Handelsschranken und Subventionen einen Vorteil verschafft.
Die Zeit, in der freier Wettbewerb vorherrschte, ist spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts Vergangenheit, als der Kapitalismus in die Epoche seines imperialistischen Niedergangs eintrat. Jahrzehnte zuvor hatte Karl Marx gezeigt, dass freier Wettbewerb zur Konzentration der Produktion führt, die wiederum auf einer bestimmten Entwicklungsstufe das Monopol hervorbringt. Einer Handvoll riesiger Unternehmen gelingt es, Produktion und Preise zu manipulieren, um während der kapitalistischen Konjunktur- und Krisenzyklen die Profite zu maximieren. In seinem Buch Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus von 1916 zeigte der russische Revolutionsführer W. I. Lenin, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Monopol- und Finanzkapital in den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern beherrschend geworden war.
Die großen Konzerne konkurrieren miteinander um die Beherrschung des Marktes. Wer nicht konkurrenzfähig ist, wird gnadenlos aus dem Geschäft gedrängt. Wie Lenin feststellte: „Das Monopol bricht sich überall und mit jeglichen Mitteln Bahn, angefangen von ,bescheidenen‘ Abstandszahlungen bis zur amerikanischen ,Anwendung‘ von Dynamit gegen den Konkurrenten.“ Dasselbe heute: 2014 waren U.S. Steel, ArcelorMittal und andere Firmen gezwungen, einen Rechtsstreit beizulegen, weil sie in guter Räuberbarontradition gemeinsam die Produktion gedrosselt hatten, um die Preise in die Höhe zu treiben.
Mit Anbruch des Imperialismus konzentrierte sich das Geldkapital in den Händen weniger riesiger Banken, die einen enormen Einfluss auf die Industrie haben. Das globale Finanzkapital wird von den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern dominiert, die Bodenschätze, Märkte und Quellen billiger Arbeitskräfte weltweit zu kontrollieren versuchen. Dies führt zu dem nicht enden wollenden Kreislauf neokolonialer Kriege sowie zu permanenten Versuchen, den Kapitalismus in China und den anderen deformierten Arbeiterstaaten – Kuba, Laos, Nordkorea und Vietnam – zu restaurieren. Letztlich, wenn die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten nicht mehr mit friedlichen Mitteln geregelt werden kann, wird die Welt in einen interimperialistischen Krieg gestürzt, wie es im vergangenen Jahrhundert zweimal geschah.
Es gibt kein treffenderes Beispiel für imperialistischen Monopolkapitalismus als die Stahlindustrie. Die United States Steel Corporation wurde 1901 gegründet, als der Bankmagnat J.P. Morgan Carnegie Steel aufkaufte als Krönung einer Kampagne zur Errichtung eines landesweiten Stahltrusts, der den gesamten Produktionsprozess von den Bergwerken bis zu den Endprodukten umfasste. Von Beginn an produzierte dieses Monopol zwei Drittel des Stahls im Land. Die deutsche Stahlindustrie wurde damals von den Imperien Krupp und Thyssen beherrscht, aus denen mittlerweile ThyssenKrupp hervorging. Japans Stahlindustrie war mit den Zaibatsu verflochten, großen staatlich subventionierten Monopolen, deren moderne Abkömmlinge als Keiretsu bekannt sind. Die jüngsten Zusammenschlüsse reduzierten die großen japanischen Stahlproduzenten auf drei, von denen der größte Nippon Steel ist, 2015 der drittgrößte Stahlproduzent der Welt. ArcelorMittal, das größte Stahlunternehmen der Welt, ging aus einer Reihe von Unternehmensfusionen mit Betrieben in Nordamerika, Europa und Asien hervor.
1920 produzierten die USA die Hälfte des weltweiten Stahls und sie gingen aus dem Gemetzel des Zweiten Weltkriegs als die alles beherrschende imperialistische Macht hervor. In den 1950er-Jahren bauten ihre besiegten Gegner Deutschland und Japan ihre zerstörten Industrien mit neuen, produktiveren Technologien wie dem Stranggieß- und dem Sauerstoffblasverfahren wieder auf. Derweil investierte das US-Stahlkartell kaum in Modernisierung. In den 1970er-Jahren waren die führenden US-Firmen auf dem Weltmarkt aus dem Feld geschlagen worden und nicht mehr in der Lage, genügend Profite zu erwirtschaften, um ihre kapitalistischen Investoren zufriedenzustellen. Stillgelegte Stahlwerke begannen den Rust Belt (Rostgürtel) des Mittleren Westens zu überziehen. Heute beträgt der US-Anteil an der globalen Stahlproduktion weniger als fünf Prozent.
Ein Großteil der US-Stahlproduktion verlagerte sich in kleinere, größtenteils gewerkschaftsfreie kostengünstige Kleinstahlwerke, die effizientere Elektrolichtbogenöfen zur Stahlerzeugung, vor allem aus Schrott, verwenden. 2005 produzierte die Industrie genauso viel Stahl wie Anfang der 1960er-Jahre, doch mit nur einem Fünftel der Belegschaft. Die den Stahlarbeitern abgerungenen riesigen Profite gingen in die Taschen von reichen kapitalistischen Aktienbesitzern, während die Renten gekürzt wurden und die Reallöhne und Versorgungsleistungen stagnierten oder zurückgingen. Ganz ähnlich war die Entwicklung in Deutschland. Während die Produktion von Rohstahl von 43,8 Mill. Tonnen in Westdeutschland 1980 auf 42,7 Mill. Tonnen im Jahr 2015 leicht fiel, stieg aber die Produktion von Walzstahl von 35,8 Mill. Tonnen um 13 Prozent auf 40,4 Mill. Tonnen. Waren es 1980 noch 288 000 Arbeiter, die den Stahl produzierten, ging die Zahl der Arbeiter um 70 Prozent auf nur noch 86 000 zurück. Auch in Deutschland gingen die Riesengewinne an die Aktienbesitzer, während die Renten gekürzt und das Rentenalter der Arbeiter erhöht wurde. Seit Jahren gehen die Reallöhne zurück. Mit Leiharbeit, Werkverträgen und den Hartz-Gesetzen hat Schröders SPD, zusammen mit den liberalen Grünen, die Grundlage geschaffen für die Verelendung großer Teile der Arbeiterklasse. Jetzt bereitet die IGM-Bürokratie Schröders Ziehsohn und SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel die große Bühne vor den Stahlarbeitern, um die Einheit mit Bossen und Regierung zu predigen gegen die chinesischen Stahlarbeiter. Es ist höchste Zeit, mit den Arbeiterverrätern von SPD und Linkspartei und ihrer Lüge von „Sozialpartnerschaft“ zu brechen. Klassenkampf gegen die immer stärker zunehmende Ausbeutung durch die eigene herrschende Klasse ist notwendig.
In den USA unternahmen die USW-Gewerkschaftsspitzen keinerlei ernsthafte Anstrengungen, in den gewerkschaftsfreien Fabriken zu organisieren. Heute, mehrere Wirtschaftsabschwünge später, kam es durch Pleiten und Fusionen zu einer weiteren Konzentration der Industrie. Die fünf wichtigsten Firmen – von denen die größte der übel gewerkschaftsfeindliche Kleinstahlwerkebetreiber Nucor ist – erzeugen jetzt mehr als zwei Drittel der nationalen Stahlproduktion.
Die Zerstörung der Lebensgrundlage der Stahlarbeiter hat ihre Wurzeln im kapitalistischen System der Profitproduktion. Angesichts der anhaltenden Verelendung des Proletariats muss die Macht der organisierten Arbeiterschaft im Klassenkampf für eine Reihe von Übergangsforderungen mobilisiert werden, einem Kampf, der die Eigentumsrechte der kapitalistischen Herrscher infrage stellt. Solche Forderungen beinhalten eine gleitende Skala der Löhne und Arbeitszeiten – Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich zur Beendigung der Entlassungen; ein massives Programm öffentlicher Arbeiten zur Wiederherstellung und Erweiterung der verfallenden Infrastruktur und zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen für alle zu Tariflöhnen; und nötigenfalls Umschulung von Arbeitern bei vollem Lohn und auf Kosten der Kapitalisten. Dieser Kampf wirft die Notwendigkeit auf, dass die Arbeiterklasse Industrie und Transportwesen der Kapitalisten enteignet und eine Arbeiterregierung errichtet, die die Gesellschaft auf der Grundlage einer sozialistischen Planwirtschaft wieder aufbaut.
Für proletarischen Internationalismus
Die chinesische Stahlindustrie umfasst sowohl gewaltige relativ moderne Staatsbetriebe (SOEs), die von der Zentralregierung kontrolliert werden, als auch eine Fülle verstreuter, im Allgemeinen rückständigerer Kleinbetriebe in privatem oder kommunalem Besitz. Unternehmen, die sich nominell in Privatbesitz befinden, produzieren mehr als die Hälfte von Chinas Stahl – ausgehend von fünf Prozent im Jahr 2003. Beijing übt über die Stahlindustrie eine effektive Kontrolle aus, nicht nur durch große „nationale Champions“ in Staatsbesitz wie Baosteel und Hebei Steel (beide unter den fünf weltgrößten Produzenten), sondern auch indirekt durch Kontrolle des Finanzsystems und andere Hebel der zentralen Regierungsmacht. Sowohl die kleinen Firmen, die von Beijings Infrastrukturvorstoß profitieren wollten, als auch die marktgestützten Betriebe der großen SOEs haben Chinas Stahlkapazitätsüberschuss verschärft, als die Infrastrukturausgaben zurückgingen.
Beijing kündigte an, in den nächsten Jahren die Stahl- und Kohlekapazitäten um mindestens zehn Prozent reduzieren zu wollen, was mindestens 1,8 Millionen Arbeitsplätze vernichten würde. Viele private Unternehmen haben einfach zugemacht, oft nachdem sie monatelang ihre Arbeiter nicht bezahlt hatten. Diese Maßnahmen wie auch Kürzungen bei den SOEs führten zu einem Anstieg von Streiks und anderen Arbeiterprotesten, die sich Berichten zufolge 2015 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt hatten. Allein in der Provinz Hebei, wo ein Viertel des chinesischen Stahls hergestellt wird, gab es 300 Streiks zwischen Januar 2015 und März 2 016. Während das Xi-Jinping-Regime häufig Proteste unterdrückt, sicherte es 100 Milliarden Yuan über zwei Jahre (fast 4000 Euro pro Arbeiter im Jahr) zu, um entlassenen Arbeitern zu helfen. Es hat auch umgerechnet Milliarden von Euro für Sozialhilfe und Umschulung zurückgelegt.
Trotz seiner spektakulären wirtschaftlichen Fortschritte während der vergangenen Generation bleibt China im Vergleich zu den imperialistischen Mächten arm. Die Perspektive von Chinas Bürokratie, von einer auf exportorientierter Fertigung basierenden zu einer auf Binnennachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen ausgerichteten Wirtschaft überzugehen, würde letztendlich erfordern, Chinas riesige ländliche Bevölkerung in moderne Konsumenten zu verwandeln. Ein solcher Plan unterstreicht die grundlegende langfristige Herausforderung, die wirtschaftliche Kluft zwischen den städtischen und den rückständigeren und ärmeren ländlichen Gebieten Chinas zu schließen.
Um diese Kluft zu verringern, wird eine massive Neuverteilung und Neuzuweisung von wirtschaftlichen Ressourcen notwendig sein. Chinas landwirtschaftliche Betriebe, die mehr als 200 Millionen kleinbäuerliche Anwesen von weniger als einem halben Hektar umfassen, werfen kaum ein zum Leben ausreichendes Einkommen ab, geschweige denn Ersparnisse, die in landwirtschaftliche Modernisierung investiert werden könnten. Soziale und wirtschaftliche Modernisierung erfordert es, dass China von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zur mechanisierten Agrarwirtschaft in großem Stil übergeht, was die freiwillige Rekollektivierung der Landwirtschaft einschließt.
Die Einführung moderner Technologie auf dem Lande erfordert eine qualitativ höhere industrielle Basis, als sie zurzeit existiert. Eine Zunahme der landwirtschaftlichen Produktivität wiederum würde eine ungeheure Ausweitung der Industriearbeitsplätze in städtischen Gegenden noch notwendiger machen, um den enormen Überschuss auf dem Lande nicht mehr benötigter Arbeitskräfte zu absorbieren. Letztlich hängt die Verwirklichung dieser Perspektive notwendigerweise von der Hilfe ab, die China von einem sozialistischen Japan oder einem sozialistischen Amerika erhält.
Diese Tatsachen unterstreichen die Notwendigkeit einer internationalen proletarischen Revolution. Die Führer der herrschenden Kommunistischen Partei sind der irrigen Meinung, sie könnten China trotz der viel mächtigeren Armeen und viel fortschrittlicheren Technologie der Imperialisten modernisieren und es in eine Weltmacht – ja die globale Supermacht des 21. Jahrhunderts – verwandeln. Diese Politik ist Ausdruck des stalinistischen nationalistischen Dogmas vom „Sozialismus in einem Land“, das einhergeht mit dem vergeblichen Bemühen um „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus. Diese antimarxistische Fantasie hat die Verteidigung der Arbeiterstaaten schon immer untergraben, nicht zuletzt durch den Verrat von proletarischen Revolutionen weltweit.
Der Aufstieg des Imperialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts leitete die Epoche des kapitalistischen Niedergangs, von Kriegen und Revolutionen ein, in der wir noch immer leben. Dieses im Verfall begriffene System muss durch internationale sozialistische Revolution weggefegt werden. Nur die Errichtung einer internationalen Planwirtschaft kann die Produktivkräfte entfesseln, die notwendig sind, um den Mangel weltweit zu beseitigen und die Grundlage für eine sozialistische Gesellschaft zu legen, in der Klassenspaltung und Ausbeutung der Vergangenheit angehören.
Um dem Proletariat dieses Bewusstsein beizubringen und ihm eine Führung im Kampf zu verschaffen, bedarf es einer internationalen revolutionären Partei mit Sektionen in Ländern auf der ganzen Welt. Eine solche Partei muss auf den Lehren der siegreichen Russischen Revolution von 1917 aufbauen, die von Lenins und Trotzkis Bolschewiki geführt wurde. Die Internationale Kommunistische Liga, deren US-Sektion die Spartacist League ist, hat sich dem Kampf zur Wiederschmiedung der Vierten Internationale, Weltpartei der sozialistischen Revolution, verpflichtet.
Nach Workers Vanguard Nr. 1098, 21. Oktober 2016