Spartakist Nr. 213

Sommer 2016

 

Syrien und Irak: Imperialisten verstärken Intervention

USA/NATO/Bundeswehr raus aus dem Nahen Osten!

Wie die deutsche Linke den Imperialisten hilft

Im Mai eröffneten die Imperialisten und ihre Lakaien eine neue Front in Syrien. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) begannen mit Angriffen auf mehrheitlich arabische Dörfer am Stadtrand von Rakka, der aktuellen Hauptstadt vom Islamischen Staat (IS) in Syrien. Washingtons jüngste Kampfstrategie gegen den IS besteht darin, der bewaffneten Streitmacht SDF, die vorwiegend aus Kurden Nordsyriens besteht und von US-Luftangriffen unterstützt wird, US-Kommandoeinheiten zur Seite zu stellen. Die Stärke der US-Sondereinsatztruppen in Syrien wurde Ende April offiziell von 50 auf 300 erhöht. Die SDF stellen die Bodentruppen für die imperialistische Intervention im Land. US-Offizielle haben die Besetzung Rakkas zum Endziel erklärt, was zweifellos eine größere Eskalation des von den USA geführten Krieges gegen den IS verheißt. Diese jüngsten Entwicklungen können das unaussprechliche Leiden, das der syrischen und irakischen Bevölkerung zugefügt wird, nur noch vergrößern. Momentan hat der US-Imperialismus die Führung dabei, den Nahen Osten zu verwüsten. Aber auch der britische, französische und der deutsche Imperialismus sowie verschiedene kleinere Mächte sind dabei – unterschiedlich stark – involviert.

Die französische und britische Bourgeoisie tragen historische Verantwortung für die Ausplünderung und Niederwerfung der Völker des Nahen Ostens. Vor genau 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, wurde der Sykes-Picot-Vertrag ausgehandelt, der die Region zwischen Briten und Franzosen aufteilte. Ethnische Gruppen und Völkerschaften, die zusammengehörten, wurden getrennt und Völker, die getrennt lebten, in einen gemeinsamen Staat gezwungen. So wurden ethnische und religiöse Konflikte angeheizt und vertieft. Das ist dieselbe „Teile-und-herrsche“-Politik, mit der die Imperialisten noch heute versuchen sich die Welt untertan zu machen.

Es ist den Bolschewiki zu verdanken, dass der Vertrag von Sykes-Picot bekannt wurde. Nach der erfolgreichen proletarischen Oktoberrevolution 1917 veröffentlichten sie die geheimen Abkommen, in die auch die zaristische Regierung Russlands verwickelt war. Das löste willkommene Aufstände im Nahen Osten aus, die sich gegen die imperialistischen Herrscher richteten. Die künstlich gezogenen Grenzen von Sykes-Picot sind jetzt offensichtlich am Zerfallen. Allerdings nicht durch Revolutionen, auch wenn manche Linke – wie die Gruppe Arbeitermacht (GAM) – bezüglich Syriens fortlaufend davon schwätzen mögen. Die Imperialisten bestimmen die Lage und versuchen den Nahen Osten neu unter sich aufzuteilen.

Offiziell wurden die SDF im vergangenen Oktober vorgestellt, am Tag nachdem die USA ihren vergeblichen – 500 Millionen Dollar teuren – Versuch, eine Armee „gemäßigter“ sunnitisch-arabischer Aufständischer aufzubauen, offiziell aufgegeben hatten. Die SDF sind im Wesentlichen ein Ableger der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und umfassen einige kleinere nicht-kurdische Gruppen. Die YPG ist der militärische Flügel der in Syrien beheimateten kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), die mit der nationalistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Türkei verbunden ist. Die Aufstellung der SDF wurde durch ein Jahr gemeinsamer Operationen vorbereitet, bei denen die YPG als Erfüllungsgehilfe des US-Militärs fungierten. In dieser Zeit, als kurdische Streitkräfte mehrere vom IS kontrollierte Ortschaften überrannten, nahmen sie wiederholt kommunalistische Ausweisungen vor und vertrieben Araber und Turkmenen aus ihren Häusern.

Die Aufstellung der SDF markiert eine Korrektur in Washingtons militärischer Kampfstrategie gegen den IS. Diese Strategie, von Regierungsvertretern „Irak zuerst“ genannt, legt den Schwerpunkt auf die Bereitstellung von Bombenunterstützung für Washingtons Erfüllungsgehilfen im Irak, d. h. die Regierung in Bagdad, die schiitischen Milizen und die kurdischen Peschmerga im Norden des Landes. US-Luftwaffe und -Sondereinsatztruppen unterstützen diese irakischen Hilfstruppen weiterhin bei ihrem Vormarsch auf Mossul, die größte vom IS kontrollierte Stadt des Landes. Ende Juni haben irakische Regierungsstreitkräfte mit Hilfe imperialistischer Luftangriffe bereits Falludscha eingenommen, nach fünf Wochen andauernder Kämpfe. Mehr als 85 000 Zivilisten mussten aus der mehrheitlich sunnitischen Stadt flüchten und sind nun der sengenden Sonne schutzlos und ohne ausreichend Trinkwasser ausgeliefert. Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe.

Im März kündigte Russlands Präsident Wladimir Putin eine erhebliche Reduzierung der russischen Militärintervention in Syrien an. Zielsetzung dieser Intervention war, das mit Russland verbündete Regime des syrischen Präsidenten und Alawiten Baschar al-Assad zu stützen, dessen Streitkräfte Ende März die historische Stadt Palmyra vom IS zurückeroberten. Selbst während sie dem IS den Krieg erklärt, setzt die Obama-Regierung – oder zumindest bedeutende Teile von ihr – auf den Sturz des Assad-Regimes. Wie Jonathan Steele in der London Review of Books (21. April) feststellte, sind von den USA geführte Luftangriffe gegen den IS „außerordentlich selektiv. Sie halfen den syrisch-kurdischen Bodentruppen, der YPG, im vergangenen Jahr die Städte Kobanê und Tal Abyad, beide an der Grenze zur Türkei gelegen, vom IS zu befreien, taten aber nichts, um die syrische Armee zu schützen, als sie vom IS bedroht wurde. Als IS-Streitkräfte im vergangenen Mai Palmyra belagerten und in einer einwöchigen Schlacht Assads Armee verjagten, war kein einziges amerikanisches Flugzeug zu sehen.“

Wir beziehen in Syriens schmutzigem Bürgerkrieg zwischen dem Schlächter Assad und den diversen Rebellenkräften, die von verschiedenen Arten von Islamisten dominiert werden, keine Seite. Doch wir beziehen eine Seite gegen die USA und die anderen imperialistischen Mächte. So sind wir zwar unversöhnliche Gegner von allem, wofür die reaktionären IS-Mörderbanden stehen, aber militärisch auf der Seite vom IS, wenn er sein Feuer gegen die imperialistischen Streitkräfte und ihre Erfüllungsgehilfen in der Region, darunter die kurdisch-nationalistischen Kräfte im Irak und in Syrien, richtet. Während unsere Hauptgegnerschaft den Imperialisten gilt, treten wir auch gegen die anderen kapitalistischen Mächte wie Russland und die Türkei ein, die in Syrien engagiert sind, und fordern deren Rückzug.

Unsere politische Position ergibt sich aus dem marxistischen Verständnis, dass die Imperialisten der größte Feind der Arbeiter und Unterdrückten weltweit sind. Wenn wir für die militärische Verteidigung vom IS gegen die Schläge der Imperialisten eintreten, dann deshalb, weil wir begreifen, dass jeder Rückschlag für Washington, Berlin & Co. auch Opposition gegen den jeweiligen Imperialismus im eigenen Land entfachen kann. Die Bevölkerung der USA ist durch jahrelangen Lohn- und Arbeitsplatzabbau zermürbt. In Deutschland leiden die Massen seit Jahren unter Arbeitshetze, Sozialabbau und Lohnraub, massiv vorangetrieben durch die Agenda 2010, wofür nicht der IS die Schuld trägt, sondern die kapitalistische SPD/Grünen-Bundesregierung des damaligen Bundeskanzlers Schröder (sowie anschließend die diversen CDU-geführten Regierungskoalitionen und auch die Landesregierungen, die sie vollstrecken auch unter Mitwirken der Linkspartei, wo sie in der Regierung ist).

Wir wollen die Enttäuschung und die Wut der arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt in Klassenkampf gegen die kapitalistischen Herrscher im jeweils eigenen Land ummünzen. Durch solche Kämpfe kann das Proletariat Deutschlands dafür gewonnen werden, eine revolutionäre Arbeiterpartei aufzubauen, die den Kampf für eine sozialistische Revolution führt, um den raubgierigen deutschen Imperialismus von innen heraus zu stürzen.

Nieder mit dem deutschen Imperialismus!

Nachdem Barack Obama mit dem Versprechen an die Macht gekommen war, den Krieg in Afghanistan zu beenden und so gut wie alle Truppen aus dem Irak abzuziehen, beließ er etwa 9800 Soldaten in Afghanistan und mehr als 6400 Soldaten und Hilfspersonal im Irak. Der deutsche Imperialismus verfolgt seine eigenen Interessen im Nahen Osten und in Südasien und beteiligt sich mit bis zu 980 Soldaten an der Besetzung Afghanistans. Er liefert Waffen an die kurdischen Peschmerga-Truppen im Nordirak und bildet sie mit bis zu 150 Bundeswehrsoldaten vor Ort aus. Auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik hat die Bundeswehr seit Anfang des Jahres ihre Tornados stationiert, die der Aufklärung für die täglichen Luftangriffe der Anti-IS-Koalition dienen. Das Verteidigungsministerium plant nun, den Stützpunkt in Incirlik für einen dauerhaften Einsatz mit bis zu 400 Soldaten auszubauen.

Die CDU/SPD-Regierung hat die Anti-IS-Koalition weiter militärisch gestärkt, als Frankreich nach den mörderischen Terroranschlägen in Paris im November den Bündnisfall der EU erklärte. Sie will die imperialistische EU zusammenhalten, die zentral dem deutschen Kapital dient. Um die Franzosen zu entlasten, hat die Bundesregierung den bereits lange vorher geplanten Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Mali durchgedrückt. Der französische Imperialismus setzt jetzt ebenfalls Spezialeinheiten am Boden in Nordsyrien ein, um die SDF zu unterstützen. Die Eskalation der imperialistischen Intervention im Nahen Osten unterstreicht, dass sich überall klassenbewusste Arbeiter allen Kriegen, Besetzungen und Plünderungen der Imperialisten entgegenstellen müssen. NATO/Bundeswehr raus aus dem Nahen Osten! Stoppt Waffenlieferungen durch Gewerkschaftsaktionen! Nieder mit dem deutschen Imperialismus!

Die Bundesregierung benutzt die Gräueltaten des IS, um die Akzeptanz eines breiten Teils der arbeitenden Bevölkerung für den Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten zu gewinnen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Unterstützung, die sie von sogenannten Linken erfährt, die sich ihrem Kampf gegen den IS anschließen. Die Linkspartei spricht sich zwar zum Großteil gegen die direkte Intervention der Bundeswehr in Syrien und gegen Waffenlieferungen aus, appelliert aber an die Bundesregierung, sich besser im Kampf gegen den IS einzusetzen: „Bundesregierung stärkt IS, statt ihn zu schwächen“ (Wolfgang Gehrcke, MdB, Außenpolitischer Sprecher, 1. Dezember 2015), „Terror kann man nicht mit Krieg bekämpfen… Deutschland [sollte sich] intensiv für die Bekämpfung der Ursachen einsetzen, welche zum Erstarken des IS geführt haben“ (Alexander Neu, MdB, Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Friedenspolitik, 4. Mai 2016), und die Linksparteivorsitzende Katja Kipping forderte beispielsweise, die Geldhähne und Waffenexporte an die Türkei und Saudi-Arabien zuzudrehen, weil diese damit den IS unterstützen (Handelsblatt, 29. August 2014). Somit tut die Linkspartei zweierlei: Sie unterstützt und propagiert die Kriegsziele der Imperialisten, d. h. die Zerschlagung des IS, und schürt damit gerade bei den linkeren Arbeitern den Irrglauben an die Fortschrittlichkeit des Imperialismus, was es dem deutschen Imperialismus erleichtert, sich stärker in der Welt zu engagieren.

Derweil verstärkt die Bundesregierung ihr diplomatisches Gewicht unter den Imperialisten, die im Nahen Osten intervenieren, mit der Einberufung von diversen Syrien-Konferenzen. Sie nimmt eine Vermittlerrolle ein und tut so, als sei ihr am Frieden in der Welt gelegen, um die noch immer starken pazifistischen Gefühle der arbeitenden Massen für sich auszunutzen. Außenminister Steinmeier setzt darauf, die gegnerischen Staaten Saudi-Arabien und Iran auf eine Linie zu bringen und auch Russland zu integrieren. Für die deutsche Bourgeoisie ist der Iran ein wichtiges Land und sie setzte alles daran, den Atomdeal im letzten Jahr erfolgreich auszuhandeln, weil sie an verstärktem Kapital- und Warenexport interessiert ist.

Um bei der Neuaufteilung des Nahen Ostens mehr mitspielen zu können, baut die deutsche Bourgeoisie ihr Militär weiter aus. Zwei Tage vor der Brexit-Entscheidung erklärte Merkel auf dem Wirtschaftstag der CDU: „Ganz gewiss heißt dies auch, dass ein Land wie Deutschland, das heute 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung ausgibt, und die Vereinigten Staaten, die 3,4 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben, sich werden annähern müssen“ (Handelsblatt, 22. Juni). Kriegsministerin von der Leyen hat die geplanten Ausgaben für Neuanschaffungen in der Bundeswehr auf 130 Milliarden Euro verdoppelt und will die Armee um über 14 000 Soldaten aufstocken, gleichzeitig sollen Ausbildung und Niveau verbessert werden.

Imperialismus und kurdische Selbstbestimmung

Im Rahmen unseres Kampfes für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens erheben wir seit langem die Losung einer Sozialistischen Republik Vereinigtes Kurdistan. Doch hatten wir diese korrekte Forderung mit dem Argument verbunden, dass kurdische Selbstbestimmung nur durch den revolutionären Sturz der vier kapitalistischen Regime verwirklicht werden kann, unter denen das kurdische Volk aufgeteilt ist: der Türkei, Syriens, des Iraks und Irans. Mit diesem Argument, für das wir seit 1984 eintreten, wird in Wirklichkeit die zentrale Bedeutung abgeschwächt, die wir dem Kampf für die nationalen Rechte der Kurden immer beigemessen haben.

Das Proletariat der Türkei zum Beispiel könnte in diesem Land niemals die kapitalistische Herrschaft hinwegfegen, ohne den gerechten nationalen Kampf der kurdischen Massen aufzunehmen, deren Unterdrückung eine zentrale Stütze des türkischen Nationalismus und der Herrschaft der türkischen Bourgeoisie darstellt. Andererseits hat sich Irakisch-Kurdistan eine beträchtliche Autonomie vom Bagdader Regime verschafft, wenn auch dank der Schirmherrschaft des US-Imperialismus und einiger Unterstützung des deutschen Imperialismus. Diese faktische Unabhängigkeit könnte sehr wohl bedroht werden, sollten die Imperialisten ihre Streitkräfte abziehen und die Waffenlieferungen an die Peschmerga wieder einstellen.

Nach einer klärenden internen Diskussion rufen wir jetzt zu einem vereinigten unabhängigen Kurdistan auf, ohne den Sturz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in der Region als Bedingung zu stellen. Gleichzeitig bleibt unser Ziel die Errichtung einer Sozialistischen Republik Vereinigtes Kurdistan als Teil einer Sozialistischen Föderation des Nahen Ostens. Die Kurden haben zweifellos ihren Wunsch nach Selbstbestimmung bewiesen. Indem die Arbeiterklassen des Nahen Ostens für die kurdische Selbstbestimmung eintreten, würden sie die Fähigkeit des US- und auch des deutschen Imperialismus untergraben, sich der Misere der Kurden zu bedienen, um die Region weiterhin zu beherrschen.

Wir unterstützen auch die Unabhängigkeit der Kurden von den einzelnen kapitalistischen Staaten (z. B. das Recht der Kurden in der Türkei auf Lostrennung). Jedoch haben die kurdischen Nationalisten im Irak und in Syrien den gerechten Kampf für Selbstbestimmung gegenwärtig der Allianz mit den Imperialisten untergeordnet. Diese Nationalisten haben mit ihrer Beihilfe zu den räuberischen Plänen der Imperialisten ein Verbrechen begangen, wofür das seit langem unterdrückte kurdische Volk bezahlen wird, wenn sich seine imperialistischen Schutzherren von ihm abwenden, wie es in der Vergangenheit wiederholt geschehen ist.

Wie die deutsche Linke für die Imperialisten eintritt

Es sollte für Linke selbstverständlich sein, dass ein Sieg der USA, Deutschlands und ihrer Handlanger im Nahen Osten die Imperialisten in ihrem Beherrschungsdrang weiter ermutigen und ein Rückschlag für die Kämpfe aller Unterdrückten, einschließlich der Kurden, bedeuten würde. Doch dieses Verständnis, das für marxistische Gegner des Imperialismus grundlegend ist, wird von zahlreichen Reformisten mit Füßen getreten.

In Deutschland tritt der Großteil der reformistischen linken Gruppen für den Sieg der kurdischen Kräfte in Syrien ein, die jetzt als Bodentruppen der Imperialisten fungieren. Eine Seite mit der YPG nahmen sie bereits im syrischen Bürgerkrieg ein. Gerechtfertigt wird diese falsche Position zumeist mit einer angeblichen Revolution und Frauenbefreiung in Rojava (drei Kantone im Norden Syriens). Als die USA im Herbst 2014 entschieden, dass es für sie strategisch wichtig ist, Kobanê in Nordsyrien gegen den IS zu halten, und dafür die Allianz mit der dazu bereitstehenden PYD/YPG-Führung begannen, blieben die Reformisten auf der Seite der PYD/YPG. Kobanê wurde von den Imperialisten in Schutt und Asche gebombt. Auch der deutsche Imperialismus entschied sich, mit Waffenlieferungen an die Peschmerga einzugreifen.

Genau das war der Zeitpunkt, als wir die einzig richtige Position einnahmen, militärisch den IS zu verteidigen, wenn er die Imperialisten und ihre kurdischen Bodentruppen angreift. Die reformistischen Linken allerdings fingen an, den Verrat der kurdischen nationalistischen Führung, ein Bündnis mit den Imperialisten einzugehen, zu begrüßen. Dadurch begehen sie selbst Verrat und tragen dazu bei, die unterdrückten Völker an das imperialistische Joch zu ketten. Sie machen den Klassenfeind zum Freund und richten sich gegen die internationalistische Perspektive von Klassenkampf in den imperialistischen Ländern, der zum Beispiel dafür sorgen könnte, dass Waffenlieferungen gestoppt und NATO/Bundeswehr-Truppen abgezogen werden.

Ein Beispiel ist die reformistische DKP, die den Kampf gegen den IS und die „Solidarität-mit-Rojava“-Kampagne der deutschen Linken unterstützt. Sie vertritt im Kern die Linie der Linkspartei, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen: „Keine Waffen, keine Unterstützung für die IS-Helfer in der Türkei, Katar und Saudi-Arabien“ (8. Oktober 2014). Konsequent verfolgt Kerem Schamberger, ein Führer der DKP München, die Linie von „Solidarität mit Rojava“ weiter und wünscht in seiner Facebook-Erklärung vom 24. Mai dem imperialistisch geführten Vormarsch der SDF auf Rakka „Viel Erfolg!“. Gleichzeitig veröffentlichte die DKP in ihrer Zeitung uz im Juni einen Artikel von Toto Lyna, der die imperialistischen Bodentruppen und ihren Vormarsch auf Rakka ablehnt. Lyna vertritt die Linie der syrischen KP, die mit Assad zusammenarbeitet und jahrelang in der syrischen Regierung seine Verbrechen mitgetragen hat. Chauvinistisch spricht sich die KP Syriens gegen das Selbstbestimmungsrecht der Kurden aus. Assad hat die Kurden und andere Nationalitäten unterdrückt und diente den Imperialisten jahrelang als Folterknecht. Die Pro-Assad-Linie passt zu den pro-russischen Positionen der DKP, denn das kapitalistische Russland unterstützt Assad. Die DKP trabt dabei einem Teil der deutschen Bourgeoisie hinterher, der für die Zukunft eine unabhängige Strategie von den USA sucht und dabei auf ein Bündnis mit Russland setzt. Dass zwei so konträre Positionen zur imperialistischen Offensive im Nahen Osten in der DKP ihren Platz finden, zeigt, wie zerrissen sie ist zwischen ihrem eher orthodoxen stalinistischen Flügel und den Sozialdemokraten ihres Vereins „marxistische linke“, dem z. B. Schamberger anhängt. Gleichzeitig ist der DKP-Führung die Frage, ob das Programm die Interessen der internationalen Arbeiterklasse vertritt oder nicht (und beide Positionen tun es nicht), offensichtlich vollkommen egal.

Eine Reihe Linker wie die reformistische MLPD rechtfertigt ihr Einreihen hinter die Imperialisten im Namen der Unterstützung der PYD gegen den IS mit einer Analogie zum Kampf des republikanischen Spaniens gegen die Franco-Faschisten. Die Gruppe RIO verkauft eine pseudotrotzkistische Variante davon. Nicht untypisch für sie stellt RIO mit ihrem Artikel „Kobanê: Das Madrid unserer Tage?“ (Januar 2015) scheinbar kritisch fest, dass die PYD in Rojava am Privateigentum festhält und sich in einer imperialistischen Allianz gegen den IS befindet, um daraus aber zu folgern:

„Im Spanischen BürgerInnenkrieg kämpften die Bolschewiki-LeninistInnen in erster Reihe gegen die faschistischen Truppen. Doch dabei gaben sie der bürgerlichen Regierung keinerlei politische Unterstützung. Stattdessen traten sie für die Klassenunabhängigkeit ein, um die sozialistische Revolution durchzuführen und den Faschismus zu besiegen. Ähnlich unterstützen wir heute mit voller Kraft den Widerstand der KurdInnen gegen den IS. Doch statt des kleinbürgerlichen Paradigmas der PYD brauchen wir eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnen und Unterdrückten – in Rojava, im Nahen Osten und weltweit.“

Der Vergleich stimmt hinten und vorne nicht. Im Spanien der 30er-Jahre stand eine proletarische Revolution auf der Tagesordnung, die sich gegen die kapitalistische Herrschaft richtete – was im heutigen Syrien absolut nicht der Fall ist. Im Gegenteil, die unterdrückten Völker und das Proletariat des Nahen Ostens werden durch die vermehrte Intervention der Imperialisten mithilfe ihrer SDF noch weiter ins Elend getrieben. Die Kontrolle der PYD über Rojava ist entstanden, als sie das Machtvakuum füllte, das im Juli 2012 durch den vorübergehenden Abzug von Assads Truppen aufgrund des syrischen Bürgerkriegs entstand. Der syrische Bürgerkrieg ist ein Ergebnis imperialistischer Machenschaften, wodurch der US-Imperialismus in Syrien Assad durch einen Regimewechsel zu beseitigen sucht. Auch ist die Gleichsetzung von dem IS und Francos faschistischen Truppen falsch: So reaktionär das politische Programm des IS auch ist, er stützt sich auf die neokolonial unterdrückten Sunniten und steht momentan im Fadenkreuz der Imperialisten. Hinter Franco stand ein Großteil der spanischen Bourgeoisie, die von Hitlers Deutschland und Mussolinis Italien unterstützt wurde, beides imperialistische Mächte. Mit der PYD/YPG und jetzt den SDF eine Seite gegen den IS zu beziehen bedeutet Unterstützung der fortgesetzten neokolonialen Unterdrückung des Nahen Ostens durch den US-Imperialismus und seine Verbündeten.

Damit allerdings spuckt RIO auf die Lehren der Spanischen Revolution. RIO selber schreibt im Artikel, dass Spanien imperialistisch war und der Aufstand Francos gegen die Volksfrontregierung in Spanisch-Marokko begann. Francos Stoßtruppen bestanden neben der spanischen Fremdenlegion vor allem aus Marokkanern. Wie wir in „Trotzkismus kontra Volksfrontpolitik im Spanischen Bürgerkrieg“ (Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 27, Frühjahr 2009) schrieben, verkündeten die Trotzkisten damals: „Marokko den Marokkanern; in dem Augenblick, in dem diese Losung öffentlich verkündet wird, wird sie Aufruhr unter den unterdrückten Massen Marokkos entfachen und die Zersetzung der faschistischen Söldnerarmee bewirken“ („The Program of the Spanish Bolshevik-Leninists“ [Das Programm der spanischen Bolschewiki-Leninisten], Juli 1937, Revolutionary History Bd. 1, Nr. 2, Sommer 1988).

Abd-el-Krim, Führer des Rifkriegs von 1921–26 gegen die französischen und spanischen Kolonialisten in Marokko, von Frankreich ins Exil verbannt, wandte sich an Largo Caballero, um nach Marokko zurückkehren und einen Aufstand gegen Franco anführen zu können. Wie Felix Morrow in Revolution und Konterrevolution in Spanien schrieb: „Caballero [Premierminister der spanischen Volksfront] wollte nicht fragen, und Blum [Premierminister der französischen Volksfront] wollte nicht bewilligen. Spanisch-Marokko wachzurütteln könnte die imperialistische Herrschaft in ganz Afrika bedrohen.“ Unterstützung imperialistischer kolonialer Unterdrückung durch die spanische und französische bürgerliche Volksfront war also ein zentraler Aspekt, der für den Sieg der Franco-Faschisten verantwortlich war! Was man also aus den Lehren der Spanischen Revolution schließen kann: RIO befindet sich mit ihrer sozialchauvinistischen Linie, eine militärische Seite mit den kurdischen Bodentruppen der Imperialisten einzunehmen, ganz in der Tradition der konterrevolutionären spanischen Volksfrontregierung, die einem wirklichen Faschismus den Weg ebnete.

IG: Zentristische Wasserträger für imperialistische Intervention in Syrien

Eine pseudomarxistische Rechtfertigung für die erbärmliche Unterstützung der Bodentruppen des Imperialismus bietet auch die Internationalist Group (IG). Diese Zentristen bilden sich seit langem etwas darauf ein, leere, hochtrabende Losungen zur „Vertreibung“ der Imperialisten aufzustellen. Doch liest man ihre verschiedenen (schrecklich langen) Artikel zum syrischen Bürgerkrieg und zur US-Intervention in der Region, so ist es, als hätte man ein Sammelsurium des Konfusionismus zur Rechtfertigung einer einheitlichen Linie vor sich: die Weigerung der IG, militärisch für den IS gegen den US-Imperialismus und seine Erfüllungsgehilfen vor Ort Seite zu beziehen.

In einem Artikel vom Oktober 2015 auf internationalist.org schrieb die IG: „Jeder Schlag gegen die NATO-Marodeure, selbst von Seiten der primitiven Dschihadisten (Heilige Krieger) vom IS, liegt im Interesse der Ausgebeuteten und Unterdrückten“ („Flashpoint Syria: Russian Intervention and Imperialist Aggression“ [Pulverfass Syrien: russische Intervention und imperialistische Aggression]).

Doch eigentlich leugnet die IG, dass überhaupt solche Schläge vom IS ausgeteilt werden. In einem Artikel vom April 2015 verurteilt sie unsere einfache Erklärung, dass wir „gegen die US-geführte Koalition und ihre örtlichen Anhängsel militärisch mit dem IS Seite beziehen“, indem sie behauptet, wir würden „einen antiimperialistischen Kampf erfinden, wo er nicht existiert“.

Die Realität ist, dass heute im Irak und in Syrien die reaktionären Kräfte vom IS in einen Kampf mit den militärischen Streitkräften des amerikanischen Imperialismus und dessen Erfüllungsgehilfen am Boden verwickelt sind. Sich unter solchen Umständen zu weigern, für ihre militärische Verteidigung einzutreten, wie es die IG tut, ist nichts anderes als eine erbärmliche Kapitulation vor dem US-Imperialismus. Die IG beklagt sich sogar groteskerweise, dass der IS „nicht versucht, die unterdrückten Massen des Iraks und Syriens zu vereinigen, um das imperialistische Joch abzuschütteln“ (Internationalist, Oktober/November 2014). Kein Witz! Nur revolutionäre internationalistische Arbeiterparteien könnten die Massen des Iraks und Syriens vereinigen, um das imperialistische Joch abzuschütteln.

Doch die IG hat eine lange Geschichte, verschiedenen angeblich fortschrittlichen nationalistischen Kräften der Dritten Welt eine solche Fähigkeit zuzuschreiben. So rechtfertigt sie die kurdischen Nationalisten von der YPG/PYD. In ihrem Artikel vom April 2015 greift die IG unsere Feststellung an, dass die syrischen Kurden die Erfüllungsgehilfen der Imperialisten seien, und behauptet, die PYD hätte mit dem US-Imperialismus nur ein „vorübergehendes militärisches Bündnis“ (im Gegensatz zu einem ewig währenden?!) geschlossen. Im Oktober 2015 musste die IG zugeben, dass die YPG „sich mit US-Luftangriffen gegen den Islamischen Staat abstimmen“, und erklärte sie zu einem „Semi-Verbündeten“ des US-Imperialismus.

Nachdem die IG so das jahrelange Bündnis der nationalistischen PYD-Führung mit dem US-Imperialismus in zentristischer Manier weißgewaschen hat, versucht sie jetzt, ihre Kapitulation vor dem US-Imperialismus abzudecken. Am 31. Mai ist die IG mit dem Artikel „Verteidigt Rakka – Vertreibt US/Nato-Imperialisten aus Syrien und Irak!“ (internationalist.org) herausgekommen. Darin kann die IG wegen der imperialistischen Offensive auf Rakka und andere Städte des Nahen Ostens nicht mehr einfach leugnen, dass die kurdischen Milizen den USA als Bodentruppen dienen. Ihre angebliche Verteidigung Rakkas ist jedoch hohle Phrasendrescherei, denn sie weigert sich weiterhin, die leninistische Position zu vertreten: eine militärische Seite mit dem IS gegen den US-Imperialismus und seine kurdischen Bodentruppen zu beziehen.

Schon lange vor der jetzigen imperialistischen Offensive prahlten sowohl die YPG/PYD als auch Washington offen mit ihrer militärischen Allianz. So gab YPG-Sprecher Polat Can offen zu: „Wir unterhalten eine direkte und starke Beziehung zu den Vereinigten Staaten und wir arbeiten zusammen, um die Zielauswahl der Terroristen zu koordinieren“ (dckurd.org, 24. Juli 2015). Was die USA betrifft, so tauchten kurz nach dem Besuch von General Joseph Votel, dem Chef des Zentralkommandos, bei kurdischen Streitkräften in Syrien im Mai Bilder von US-Sondereinsatztruppen in Syrisch-Kurdistan auf, die YPG-Abzeichen trugen. Im März sagte Verteidigungsminister Ashton Carter dem Senate Armed Services Committee [Senatssausschuss für die Streitkräfte], dass sich die Kurden „für uns als hervorragende Partner vor Ort für die Bekämpfung von ISIL [eine andere Bezeichnung für den IS] erwiesen haben“.

Ungeachtet der Apologien der IG für die kurdischen Nationalisten ist dies nicht gerade das erste Mal, dass die Imperialisten die Streitkräfte unterdrückter Völker als ihre Erfüllungsgehilfen benutzen. So zum Beispiel als 1999 die US/NATO-Imperialisten unter der Parole „armes kleines Kosovo“ ihre Terrorbombardierung Serbiens im Namen der Verteidigung der Kosovo-Albaner zu rechtfertigen versuchten. SPD und Grüne standen damals an der Spitze des deutschen Imperialismus und haben mit dieser Begründung die Bundeswehr auf den Balkan geschickt. Schon frühzeitig während der US/NATO-Intervention fungierte die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) als Militäreinheit der imperialistischen Streitkräfte und diente als Aufklärer für die imperialistische Bombardierung serbischer Stellungen. Während wir seit langem für die Selbstbestimmung der Kosovo-Albaner eintreten, bestanden wir darauf, dass vor diesem Hintergrund eine Unterstützung der UÇK nur Unterstützung für den imperialistischen Angriff auf Serbien bedeuten konnte. Wir Marxisten traten für die militärische Verteidigung Serbiens und für die Niederlage der Imperialisten samt ihrer UÇK-Hilfstruppen ein.

Für die Niederlage des Imperialismus durch sozialistische Revolution

Die Arbeiterklasse in Deutschland muss für die Einsicht gewonnen werden, dass ihr Feind ihre „eigene“ herrschende Klasse ist und dass sie gegen imperialistische Aggressionen im Ausland Widerstand leisten muss. Viele arbeitende Menschen sind verständlicherweise von der mittelalterlichen Brutalität von Gruppen wie dem IS abgestoßen. Doch die grauenvollen Verbrechen vom IS verblassen vor jenen des US-Imperialismus, der verantwortlich ist für das Abschlachten von Zig-Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Genauso verblassen sie vor jenen des deutschen Imperialismus, dessen Versuche, die Welt zu beherrschen, bereits zweimal zu ihrer Verwüstung geführt haben und der heute statt der Wehrmacht den Euro und die EU einsetzt, um die südlichen und östlichen Länder Europas auszuplündern.

Der einzige Weg zur Überwindung kapitalistischer Unterdrückung ist der, der durch die Arbeiterrevolution vom Oktober 1917 unter der Führung von Lenins und Trotzkis Bolschewiki gebahnt wurde. Die Internationale Kommunistische Liga ist der Wiederschmiedung der Vierten Internationale – Weltpartei der sozialistischen Revolution – verpflichtet, durch den Kampf, dem internationalen Proletariat ein tiefgehendes Verständnis seiner historische Aufgabe zu vermitteln: Sturz der imperialistischen Ordnung und die Reorganisierung der Gesellschaft auf einer egalitären sozialistischen Grundlage auf der ganzen Welt.