Spartakist Nr. 209 |
August 2015 |
Charité-Streik für Verhandlungen ausgesetzt
Für gemeinsamen Klassenkampf von Charité- und CFM-Beschäftigten!
Keine Illusionen in SPD und Linkspartei!
Ende Juni haben bis zu 600 Pflegekräfte zwei Wochen lang an der Berliner Charité für mehr Personal gestreikt. Am 3. Juli wurde der Streik für Verhandlungen ausgesetzt. Während des Streiks blieben bis zu 1200 der 3000 Krankenhausbetten unbelegt und pro Streiktag fielen 200 Operationen aus. Der Streik war bei der Bevölkerung sehr populär und von vielen Gewerkschaften kamen Solidaritätserklärungen. Im Frühjahr fand eine ganze Reihe von ver.di-Streiks statt, wie der Streik der Kitaerzieher für bessere Bezahlung, der Streik der Postarbeiter gegen Auslagerungen oder der Streik bei Amazon für Tarifverträge. Die GDL hatte gerade gegen die Deutsche Bahn bedeutende Zugeständnisse errungen. Die Situation schrie danach, die Kämpfe miteinander zu verbinden, um vereint einen Sieg gegen die Kapitalisten zu erringen.
Ein Ansatz wäre die gemeinsame Demonstration von Charité-Streikenden mit den streikenden Postarbeitern gewesen. Bei der Post soll das vorangetrieben werden, was 2006 unter dem SPD/Linkspartei-Senat an der Charité mit der Auslagerung des technischen Personals in die CFM (Charité Facility Management) gemacht worden war. Die vorläufige Einigung auf die Eckpunkte bei der Charité und die damit verbundene Aussetzung des Streiks wurde zwei Tage vor der gemeinsamen Demo verkündet, was diesen Ansatzpunkt für eine machtvolle Verbindung von Klassenkämpfen auf eine symbolische Geste reduzierte. Kurz darauf wurde der Streik der Postarbeiter von der ver.di-Führung ausverkauft. Zwar werden die Post-Paketzusteller erst mal den Tarifvertrag behalten, aber die Auslagerungen in die Billigtöchter der Post werden zunehmen, bei denen 20 Prozent weniger gezahlt wird. Neu Eingestellte können sofort ausgegliedert werden und bekommen den ganzen Dreck von Zeitarbeit, befristeten Verträgen, miesen Arbeitsbedingungen usw. ab, wovon die CFM-Arbeiter ein bitteres Lied singen können. Die mit SPD und Linkspartei verbundene ver.di-Führung hält die stattfindenden Kämpfe voneinander getrennt und hat immer wieder ausverkauft. An den Krankenhäusern richtet sie ihre Hoffnungen auf ein Bundesgesetz, das den Personalmangel abstellen soll. Damit wird der Kampf in die Sackgasse des bürgerlichen Parlamentarismus kanalisiert, und es werden Illusionen in kapitalistische SPD/Linkspartei-Koalitionsregierungen auf Bundes- oder Landesebene geschürt.
Wir haben das nachfolgend abgedruckte Flugblatt „Sieg dem Charité-Streik“ vom 29. Juni an Streikende der Charité und der Post verteilt. Der Vorstand der Charité hat angegeben, dass 600 Neueinstellungen nötig sind, um den Streikforderungen gerecht zu werden, hat dies aber von Anfang bis Ende als nicht finanzierbar abgelehnt. 2014 wendete der Charité-Vorstand mit Zwangsschlichtung einen ver.di-Streik mit der Zusage ab, 80 Pflegekräfte einzustellen. In der Praxis wurden weitere Vollstellen abgebaut. Wie wir im Flugblatt ausführen, müssen alle, die an der Charité arbeiten – Krankenschwestern und -pfleger, Ärzte und nichtmedizinisches Personal, ob Charité, CFM oder Labore –, in den Streik einbezogen werden. Die Gewerkschaft muss die Kontrolle über die Notdienste übernehmen, damit diese vom Vorstand nicht als Mittel missbraucht werden, den Streik zu unterminieren. Es ist nötig, den Streik auf andere Krankenhäuser auszuweiten und mit den Kämpfen anderer Arbeiter zu verbinden. Die Krankenhäuser mit ausreichend Personal auszustatten – gut ausgebildet und zu anständigen Tariflöhnen – ist im Interesse aller. Verbunden damit muss der Kampf für die Vergesellschaftung der Krankenhäuser, der Krankenkassen und der Pharmaindustrie auf die Tagesordnung gesetzt werden.
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Seit dem 22. Juni streiken die Pflegekräfte der Berliner Charité gegen die katastrophalen Arbeitsbedingungen, die Krankenschwestern und -pfleger wie auch die Patienten gefährden. Um die chronische Unterbesetzung zu beenden, fordert ver.di, im Tarifvertrag Mindestquoten für die Betreuung von Patienten festzulegen. Statt wie bisher zwölf Patienten soll eine Schwester höchstens fünf Patienten zu betreuen haben, auf Intensivstationen zwei, und die Nachtschichten sollen nicht mehr von einer Schwester alleine, sondern mindestens von zweien betreut werden. Die Charité ist mit 3000 Betten, 16 800 Arbeitern und fast 7000 Studenten Europas größtes Universitätsklinikum und technisch hoch ausgerüstet. Doch für die Pflegekräfte bestimmen Überlastung, Dauerstress und zunehmende Angst vor Fehlern den Arbeitsalltag und allein in diesem Jahr wurden 800 Gefährdungsanzeigen von Pflegekräften an der Charité ausgefüllt. Die Forderungen von ver.di sind völlig berechtigt und im Interesse der gesamten arbeitenden Bevölkerung, deren Gesundheit und Leben von der Qualität der Versorgung in den öffentlichen Krankenhäusern abhängen. Sieg dem Charité-Streik!
Mindestens 600 zusätzliche Pflegekräfte müssten an der Charité eingestellt werden, um den Forderungen der Pflegekräfte gerecht zu werden. 36 Millionen Euro soll dies pro Jahr kosten. Ver.di hat errechnet, dass 162 000 Arbeitskräfte, darunter 70 000 im Pflegebereich, bundesweit an den Krankenhäusern fehlen, und am 24. Juni haben bundesweit Krankenhausmitarbeiter auf Kundgebungen mehr Einstellungen gefordert. Es geht also um mehr als die 600 Stellen an der Charité. Die Streikenden stemmen sich gegen den verbrecherischen Kürzungswahn, mit dem die Kapitalisten die Kosten für die Gesundheitsversorgung der arbeitenden und armen Bevölkerung immer mehr drücken möchten.
In ganz Europa finden in Folge der kapitalistischen Konterrevolution im bürokratisch deformierten Arbeiterstaat DDR (aka „die Wende“) und dem degenerierten Arbeiterstaat der Sowjetunion vor 25 Jahren brutale soziale Angriffe statt, weil die Kapitalisten nicht mehr mit den sozialen Errungenschaften der Planwirtschaft dieser Länder in Konkurrenz stehen, wie zum Beispiel Gesundheitsversorgung und Jobs für alle. Die von der „linken“ kapitalistischen SPD/Grünen-Regierung durchgepeitschte Agenda 2010 war zentral, die Leiharbeit und den Niedriglohnsektor enorm auszuweiten. Die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung hat sie weitgehend kampflos durchgehen lassen, weil sie der Wettbewerbsfähigkeit des „Standort Deutschland“ verpflichtet ist. Dieses nationalistische Programm der Klassenzusammenarbeit ergibt sich aus ihrer Unterstützung des Kapitalismus. Notwendig ist ein Kampf für eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung, die dem proletarischen Internationalismus verbunden ist.
In Griechenland peitscht der deutsche Imperialismus heute ein brutales Sparprogramm durch. Das Gesundheitsbudget wurde um fast 40 Prozent gekürzt, staatliche Ausgaben für Medikamente halbiert. In den Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten und einfachster Ausrüstung wie Watte oder Handschuhen. Die Lage ist so katastrophal, dass „Ärzte ohne Grenzen“ jetzt in Griechenland aktiv ist. Am 20. Mai gab es einen Generalstreik der Gewerkschaft für Krankenhausärzte, die erklärte, dass landesweit 4500 Planstellen momentan nicht besetzt sind und die Situation bald nicht mehr beherrschbar sei. Gewerkschafter in Deutschland müssen für die Streichung der Schulden Griechenlands kämpfen! Nieder mit der imperialistischen EU! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
Es bedarf eines harten Kampfes, um Charité-Vorstand und Senat in die Knie zu zwingen. Anfangs streikten nur 500 Pflegekräfte, weil der Vorstand unter dem Deckmantel der Notversorgung vor dem Streik noch viele Patienten aufgenommen hat, inzwischen streiken 600. Ver.di muss den Krankenhausbetrieb dicht machen und das erfordert die Ausdehnung des Streiks auf das gesamte Krankenhauspersonal der Charité: auf alle der über 4100 Pflegekräfte, auf die mehr als 3700 Ärzte und Wissenschaftler, auf die 2700 in die Charité Facility Management (CFM) ausgegliederten Angestellten des nichtmedizinischen Personals, auf die ganzen Befristeten und Leih- und Zeitarbeiter. Dem steht die vielfache Aufspaltung der Krankenhausbelegschaft im Wege, die genau zu diesem Zweck von Senat und Vorstand jahrelang betrieben worden ist und nur dank vielfältiger Ausverkäufe der sozialdemokratischen Spitzen von ver.di so weit getrieben werden konnte. 2011 wurde die Gelegenheit, die Auslagerung des nichtmedizinischen Personals in die CFM durch gemeinsame Streikaktion zu überwinden, durch die rasche Beendigung des Charité-Streiks durch die ver.di-Spitzen und Charité-Betriebsgruppenleitung verraten.
Notwendig ist, für einen Tarifvertrag zu kämpfen, der alle Krankenhausarbeiter umfasst. Die CFM-Arbeiter schuften ohne Tarifvertrag mit Zeitverträgen zu Hungerlöhnen und müssen wiedereingegliedert werden. Der Marburger Bund sollte seiner Solidaritätserklärung Taten folgen lassen, so dass mit den Ärzten ein Bündnis der gegenseitigen Unterstützung im Kampf geschaffen wird. Und man muss dafür kämpfen, dass sich auch die anderen Krankenhäuser Berlins und bundesweit dem Streik für mehr Personal anschließen.
Viele linke Gruppen haben Illusionen und setzen auf die Unterstützung der Linkspartei. Diese gibt sich solidarisch mit dem Streik und erklärt, „auch der Senat“ von SPD/CDU sei an der schlechten Lage der Pflegekräfte „schuld“. Das ist nicht überraschend: Die Linkspartei-Führung will ihre Basis und die Arbeiter wieder einseifen, um erneut gewählt zu werden und die Stadt wieder für die Kapitalisten verwalten zu können. Doch erinnern wir uns, wie der SPD/LINKE-Senat in den zehn Jahren von 2001 bis 2011 die sozialen Angriffe an den Krankenhäusern vorangetrieben hat: 2003 trat er aus dem Arbeitgeberverband des Öffentlichen Dienstes aus und kündigte die Tarifverträge einseitig. Mit Insolvenzerpressung würgte er den 14 000 Vivantes-Beschäftigten unter Komplizenschaft der ver.di-Spitzen Lohnkürzungen mittels eines „Nottarifvertrags“ rein. Den Charité-Beschäftigten wurde bis zum Streik 2006 jahrelang ein Tarifvertrag verweigert, der Abbau von Vollarbeitsplätzen fortgesetzt. 2006 wurde dann das nichtmedizinische Personal in die CFM gezwungen.
Zwar haben SPD und LINKE, die mit der Gewerkschaftsbürokratie verbunden sind, eine Basis in der Arbeiterklasse, aber ihr Programm ist prokapitalistisch. Notwendig ist der Aufbau einer revolutionären multiethnischen Arbeiterpartei, die darum kämpft, die Arbeiterbasis von SPD und Linkspartei zu brechen. Linke Gruppen wie die Sozialistische Alternative (SAV) sind dafür ein Hindernis. In ihrer Erklärung zum Streik vom 17. Juni macht sie Werbung für die LINKE, dass eine „Personalmindestbesetzung“ auch von „ver.di und der LINKEN per Gesetz für alle gefordert wird“. Sie verschweigen die Verantwortung der Linkspartei für die Angriffe an der Charité und haben 2011 den Verrat an den CFM-Arbeitern gerechtfertigt. Die SAV ist in der Linkspartei vergraben und fordert: „Für eine kämpferische und sozialistische LINKE“. Aber die Verwaltung des Kapitalismus – und das ist das Programm der Linkspartei – hat nichts mit Sozialismus zu tun und alles damit, Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu spielen und die Dreckjobs für die Bourgeoisie zu erledigen.
Es ist erfreulich und wichtig, aber nicht überraschend, dass die Forderungen der streikenden Pflegekräfte auf viel Solidarität stoßen und es viele Solidaritätserklärungen anderer Gewerkschaften gibt. Die letzten Jahre haben überall Lohndrückerei und eine enorme Zunahme der Arbeitshetze gebracht und es gibt weit verbreitete Wut. Ein Sieg der Arbeiter bei der Bahn, der Post und den Kitas sowie jetzt bei der Charité wäre die notwendige Antwort auf die allseitigen Angriffe und würde auch ein Zeichen setzen für die belagerten Arbeiterklassen der anderen Länder Europas.
Die Arbeiterklasse und die gesamte Bevölkerung brauchen eine kostenlose Gesundheitsversorgung auf höchstmöglichem Niveau. Das ist unvereinbar mit Profitstreben. Gemeinsam muss dafür gestritten werden, dass alle privaten und kirchlichen Krankenhäuser entschädigungslos enteignet werden und ausreichende Gelder für eine hochwertige Gesundheitsversorgung für alle zur Verfügung gestellt werden. Die Forderung nach mehr Pflegekräften birgt auch in sich die Antwort auf die chronische Massenarbeitslosigkeit: Die Arbeiter müssen für die Aufteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich kämpfen und so ein Band der gegenseitigen Solidarität zwischen Arbeitern und Arbeitslosen knüpfen. Wie das Übergangsprogramm der Vierten Internationale (1938) erklärte: „Kann der Kapitalismus die Ansprüche nicht befriedigen, die sich unvermeidlich aus den von ihm erzeugten Übeln ergeben, dann mag er zugrunde gehen. Ob jene Forderungen ‚realistisch‘ oder ‚unrealistisch‘ sind, ist hierbei eine Frage von Kräfteverhältnissen und kann nur durch den Kampf entschieden werden. Durch diesen Kampf, welche unmittelbaren praktischen Erfolge er auch erzielen mag, werden sich die Arbeiter am besten von der Notwendigkeit überzeugen, die kapitalistische Sklaverei zu beseitigen.“ Nötig ist, dieses verrottende kapitalistische System in einer sozialistischen Revolution zu stürzen, so dass die, die arbeiten, auch herrschen.