Spartakist Nr. 208 |
Mai 2015 |
Reparationen und die Syriza-Regierung eine Korrektur
Für die Streichung von Griechenlands Schulden!
Im Artikel „Syriza-Regierung – kein Freund der Arbeiter: Solidarität mit den Arbeitern und Unterdrückten Griechenlands!“, Spartakist Nr. 207, März 2015, schrieben wir:
„Die Forderungen Griechenlands nach Entschädigung für die Plünderung Griechenlands unter der Nazi-Besatzung und für die Massenmorde durch den deutschen Imperialismus sind völlig berechtigt. Die Arbeiterklasse sollte diese Forderungen aufgreifen und die bluttriefende deutsche Bourgeoisie zwingen, dies aus ihrem angehäuften Reichtum zu bezahlen.“
Nach internen Diskussionen in unserer internationalen Organisation korrigieren wir hiermit diese falsche Position. Diese Stelle im Spartakist ist politisch ein Zugeständnis an die in der deutschen Gesellschaft vorherrschende Ideologie von der „Kollektivschuld“.
Die Kollektivschuldlüge dient dazu, die Arbeiterklasse an die Bourgeoisie von Auschwitz zu binden und diese Bourgeoisie von jeder Verantwortung für den Nazi-Völkermord freizusprechen, d. h. denjenigen eine Amnestie zu erteilen, die dafür wirklich verantwortlich sind. Wir bekämpfen die Lüge, das deutsche „Volk“ sei kollektiv verantwortlich für die Verbrechen der deutschen Imperialisten. Deutschland ist eine Klassengesellschaft, in der die kapitalistischen Herrscher ihre „eigene“ arbeitende Bevölkerung ausbeuten und unterdrücken, so wie das kapitalistische Herrscher überall tun. Die deutsche Bourgeoisie hat die Lüge von der Kollektivschuld immer wieder benutzt, um sich ideologisch wiederzubewaffnen und den Weg frei zu machen für bewaffnete Bundeswehreinsätze. Bundeskanzler Schröder (SPD) und sein Außenminister Fischer (Grüne) setzten 1999 mit der Parole „Nie wieder Auschwitz!“ die Beteiligung an der NATO-Bombardierung Serbiens durch.
Die offensichtliche und unverzichtbare Forderung von uns Marxisten ist die „Streichung aller Schulden!“, die Griechenland bei der „Troika“ von EU, EZB und IWF hat, statt die Forderung nach Reparationen zu unterstützen. Jahrelange Kahlschlagpolitik hat Griechenland und seinen arbeitenden Massen ungeheure Verarmung gebracht. Das Gesundheitssystem ist derart unzureichend, dass in größeren Städten wie Athen „Ärzte ohne Grenzen“ tätig sind. In der Hauptstadt haben 25 Prozent der Schüler Hunger, und die finanzielle Lage an den Universitäten ist so angespannt, dass sie nicht genug Geld haben, um selbst das einfache Funktionieren gewährleisten zu können.
In den deutschen Massenmedien gibt es kaum Berichte über diese verheerenden Auswirkungen der von Deutschland/EU verordneten Austerität. Massenarbeitslosigkeit unter Jugendlichen und allgemein hohe Arbeitslosigkeit werden kaum erwähnt. Werdende Mütter, die zu arm sind, um zur Entbindung ins Krankenhaus zu kommen, Kinder und Rentner, die Mülltonnen nach etwas Essbarem durchstöbern, werden in den Fernsehberichten nicht gezeigt, gehören aber zum Alltag unter dem EU-Diktat. Stattdessen verbreiten bürgerliche Medien die chauvinistische Lüge von den „faulen Griechen, die von deutschem Geld leben“, während tatsächlich Griechenland in den Jahren 2013/14 seinen Gläubigern, hauptsächlich der Troika, 15,3 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt hat.
Für die Streichung der Schulden muss die Arbeiterklasse hier in Deutschland den Kampf aufnehmen. Das würde auch sofort dem Klassenkampf in Griechenland einen neuen Rahmen geben: weg vom nationalistischen Populismus, für eine internationalistische Perspektive des gemeinsamen Kampfes der Arbeitenden. Wie Marx im Kommunistischen Manifest schrieb: „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!“
Es liegt im Interesse des machtvollen multiethnischen Proletariats Deutschlands, gegen die zunehmende Ausbeutung und Verarmung der europäischen Arbeiter und Unterdrückten zu kämpfen, auf welche die europäischen Bourgeoisien unter der Führung des deutschen Kapitals die Kosten der Krise abwälzen. Es sollte klar sein, dass der Kampf gegen die imperialistische EU und die von ihr diktierte Austerität auch eine Verteidigung der ureigensten Interessen der deutschen Arbeiterklasse ist.
Durch die von der SPD/Grünen-Regierung 2003 eingeführte Agenda 2010 hat der deutsche Imperialismus seine Profitabilität enorm erhöht. Im Namen des nationalistischen Programms vom „Standort Deutschland“ haben die Gewerkschaftsführungen jahrelang den Reallohnsenkungen zugestimmt. Die Agenda 2010 bedeutete die Kürzung von Sozialleistungen und eine massive Zunahme von Niedriglohn-Jobs und führte zu einer enorm erhöhten Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Imperialismus gegenüber seinen europäischen Konkurrenten. Seit Jahren schon setzt der deutsche Imperialismus im Zuge der Schuldenkrise die Kürzung von Löhnen, Sozialleistungen und Renten in anderen europäischen Ländern durch, besonders in Süd- und Osteuropa. Wenn er damit weiterhin Erfolg hat, wird dies zur nächsten Runde von Angriffen auf die Arbeiter in Deutschland führen.
Dass es bisher nur wenig Proteste gegen das massive Ausbluten der griechischen Arbeiterklasse und anderer gab, liegt an der nationalistischen Unterstützung für die EU, einem Instrument des deutschen Imperialismus und seiner Partner, durch die sozialdemokratischen Parteien SPD und Linkspartei und die Gewerkschaftsbürokratie, die mit ihnen organisch verbunden ist. Und die meisten Linken in Deutschland unterstützen die kapitalistische Syriza-Regierung, die sich dazu verpflichtet hat, dass Griechenland in der EU bleibt. Wir Trotzkisten sind gegen jede politische Unterstützung einer kapitalistischen Regierung. Die Syriza/ANEL-Regierung benutzt die Forderungen nach Reparationen und Entschädigungen von Deutschland hauptsächlich als nationalistisches Manöver, um von dem Bankrott ihrer Politik, mit Deutschland und den EU-Imperialisten einen Deal über einen Schuldenschnitt zu machen, abzulenken.
Keine Reparationen! Für proletarischen Internationalismus!
Die Ablehnung von Reparationszahlungen hat in der kommunistischen Bewegung eine lange Tradition. Im Mai 1919 nahm der I. Weltkongress der Kommunistischen Internationale gegen den Versailler Friedensvertrag und die darin enthaltenen Reparationsforderungen die Resolution „Nieder mit dem Frieden von Versailles! Es lebe die Kommunistische Revolution!“ an. Die Logik von Reparationen an sich ist nationalistisch und geht von „guten“ und „bösen“ Nationen aus, was wir ablehnen. Der deutsche Imperialismus hat ungeheure Verbrechen begangen, aber verbrecherisch waren auch die Bombardierungen Dresdens, der Arbeiterviertel Hamburgs usw., die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki durch den US-Imperialismus oder die vom britischen Imperialismus arrangierte Hungersnot in dem kolonial unterdrückten Indien während des II. Weltkriegs, durch die weit mehr als eine Million Menschen umkamen. Was die Barbarei des Nazi-Regimes einzigartig macht, war der industrielle Völkermord an den europäischen Juden und den Sinti und Roma.
Reparationsforderungen durch bürgerliche Regierungen haben nichts mit Gerechtigkeit für die Opfer imperialistischer Kriegsverbrechen zu tun, sondern bereiten neue Kriege vor. In Griechenland wurden Kriegsverbrechen begangen wie die Massaker in Distomo und Kalavryta. Die Opfer solcher Greueltaten sowie Überlebende der Konzentrationslager und Zwangsarbeiter sollten jede finanzielle Entschädigung erhalten, auf die sie Anspruch erheben. Im Gegensatz dazu steht die sogenannte Wiedergutmachung an Israel, die 1952 vereinbart wurde. Sie ging Hand in Hand mit dem Aufbau der Bundeswehr und dem Beitritt zur NATO im Jahr 1955 und der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1956, während überlebende Juden nur ein Almosen erhielten. In der Vergangenheit hat der deutsche Imperialismus ein paar Pfennige gegeben, um wieder ein „normales“ Land zu werden und sein Image aufzupolieren. Das ist nur ein winziger Teil dessen, was dieser Imperialismus aus der Ausbeutung der Arbeiterklassen in Deutschland, in Süd- und Osteuropa und anderen Ländern herausholt.
Proletarischer Internationalismus ist für die Arbeiterklasse in ganz Europa eine Frage von Leben und Tod. Gegen die Angriffe seiner jeweiligen nationalen Bourgeoisie und gegen die Räuberbarone der EU muss das Proletariat den Kampf aufnehmen. Nur eine Arbeiterrevolution in Deutschland wird alle Opfer der Bourgeoisie von Auschwitz rächen!