Spartakist Nr. 207

März 2015

 

Ukraine: Für das Recht von Donezk und Luhansk, sich selbst zu regieren!

Nieder mit den imperialistischen Sanktionen gegen Russland!

Als Anfang Februar offensichtlich wurde, dass die ukrainische Armee bei Debalzewe verlieren würde, schusterten die Imperialisten in Verhandlungen mit Russland einen sogenannten Friedensplan (Minsk II) zusammen, um den Rebellen Einhalt zu gebieten. Die Kämpfe zwischen der ukrainischen Regierung und den Streitkräften der abtrünnigen Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die von Russland unterstützt werden, hatten Anfang des Jahres dramatisch zugenommen. Der Bürgerkrieg in der Ostukraine, bei dem mehr als 5300 Menschen getötet und 1,5 Millionen vertrieben wurden, ist das unmittelbare Ergebnis imperialistischer Machenschaften. Mit der Errichtung eines Klientelstaats an Russlands Grenze beabsichtigen Washington und Berlin, jeweils aus eigenen Interessen heraus, den Einfluss des potenziellen Rivalen Moskau in Ländern der ehemaligen Sowjetunion zurückzudrängen.

Dazu hat das Pentagon auch die Operation Atlantic Resolve (Atlantische Entschlossenheit) in Gang gesetzt, mit der es die Präsenz seiner Luft-, Boden- und Seestreitkräfte in Osteuropa verstärkt und eine Reihe umfangreicher Truppenübungen in Polen und den baltischen Ländern Estland, Lettland und Litauen durchgeführt hat. Washington plant, weitere 100 gepanzerte Fahrzeuge und 3000 Soldaten nach Europa zu entsenden sowie Berater zur Ausbildung der faschistisch verseuchten ukrainischen Nationalgarde. Zusammen mit der ukrainischen Flotte patrouillieren Schiffe der US-Marine regelmäßig im Schwarzen Meer.

Der deutsche Imperialismus hat die militärische Führungsrolle der neuen, kurzfristig einsetzbaren NATO-Eingreiftruppe für Osteuropa übernommen. Außerdem wird das Hauptquartier des multinationalen Korps im polnischen Szczecin unter deutscher Führung ausgebaut, um der NATO gegen Russland eine weitere sichere Stellung zu verschaffen. Das geht einher mit der Aufrüstung der Bundeswehr, die jetzt unter anderem ihren Bestand an Panzern schneller einsatzbereit macht. Um ein Auseinanderbrechen der EU zu verhindern, nimmt die deutsche Bourgeoisie eine Vermittlerrolle zwischen rabiat anti-russischen Staaten (wie die baltischen Länder und Polen) und eher pro-russischen Staaten ein, die z.B. die Sanktionen gegen Russland ablehnen (wie Zypern, Ungarn und Italien). Die deutsche Bourgoisie sieht die Ukraine als ihren Hinterhof an. Unter anderem verhinderte Deutschland bereits bei einem NATO-Gipfeltreffen im April 2008, dass die Ukraine in die NATO aufgenommen wird (auch um die Beziehungen zu Russland nicht zu gefährden). Schließlich sind es die USA, die in der NATO das Sagen haben.

Während der verstärkten Kämpfe wurde alle paar Tage von dutzenden neuen Todesopfern durch Artillerie- und Raketenbeschuss berichtet, wobei an Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern in zahlreichen Städten und Ortschaften des gesamten Donbass (Donezbecken) Schäden angerichtet wurden. Im vergangenen Oktober berichteten Human Rights Watch und die New York Times, beides sicherlich proimperialistische Sprachrohre, dass die ukrainische Armee Streumunition auf zivile Ziele abgefeuert habe. Diese Waffen sind dazu da, in einem weiten Umkreis wahllos zu töten, und Kinder sammeln oft die nicht explodierten Munitionsteile auf. In dem von den Rebellen gehaltenen Territorium hat die Kiewer Regierung die Rentenzahlungen und praktisch alle Bankleistungen eingestellt. Die Bevölkerung des Donbass wurde nur durch eine Reihe humanitärer Hilfskonvois aus Russland vor dem Verhungern gerettet, die etwa 15 000 Tonnen Lebensmittel, Medizin und Baumaterial geliefert haben. In der ganzen Ukraine haben die wirtschaftlichen Erschütterungen durch den Krieg größeres Leid für die Werktätigen, Armen und Alten mit sich gebracht.

Die verstärkten Kampfhandlungen zu Jahresbeginn wurden tatsächlich von den Imperialisten der USA und EU angestiftet. Im Dezember unterzeichnete Präsident Barack Obama den Ukraine Freedom Support Act (Gesetz für die Freiheit der Ukraine) und genehmigte damit weitere 350 Millionen Dollar Militärhilfe für die Ukraine über die nächsten drei Jahre und weitere Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Und die EU verschärfte Anfang Dezember ihre Sanktionen gegen Russland zum wiederholten Mal. Die Sanktionen zielen nicht nur darauf ab, Russland zum Nachgeben bei der Ukraine zu zwingen, sondern auch darauf, die russische Unterstützung für die Separatisten in Georgien und Moldawien (sowie für die syrische Regierung) zu unterbinden. Durch das Gesetz, das im amerikanischen Kongress, wo sich sonst die Parteien bekanntermaßen gegenseitig blockieren, durchgewinkt wurde, werden auch Versuche unterstützt, das Regime von Wladimir Putin in Moskau unter dem Deckmantel der „Unterstützung für russische Demokratie“ zu unterminieren. Etwa 30 Millionen Dollar pro Jahr wurden bewilligt für zusätzliche Radiosendungen von Voice of America und anderen Relikten des Kalten Krieges sowie für die Mobilisierung der mit der CIA verbundenen U.S. Agency for International Development (US-Agentur für internationale Entwicklung) und National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie).

Derart ermutigt durch seine Herren und Meister in Washington und Berlin startete Kiew am 18. Januar eine Offensive gegen Donezk. Nachdem die Donbass-Milizen die Regierungstruppen zurückgeschlagen hatten, begannen sie mit einer Gegenoffensive, bei der sie den Flughafen von Donezk einnahmen, auf Mariupol vorrückten und tausende ukrainische Soldaten in Debalzewe, einer strategisch wichtigen Stadt an der Eisenbahnlinie Donezk-Luhansk, einkesselten. Nach Kiews Niederlagen auf dem Schlachtfeld erwogen das Weiße Haus und die NATO-Generäle die Lieferung zusätzlicher Waffen an die Ukraine. Waffenlieferungen an Kiew lehnte Bundeskanzlerin Merkel strikt ab und betonte auf der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz: „Militärisch ist diese Krise nicht zu lösen.“ Die Obama-Regierung akzeptierte daraufhin einen diplomatischen Marathon, der in den Vereinbarungen von Minsk am 12. Februar gipfelte. Tatsächlich ist der deutsche Imperialismus derzeit militärisch nicht stark genug, um einen Krieg mit Russland zu riskieren. Stattdessen sollen die Geschäfte mit Russland weiterlaufen und die EU mit aller Macht aufrechterhalten werden, um auch im Osten neue Märkte zu erobern. Merkel sprach in München auch von dem „langfristigen Ziel eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Wladiwostok über Lissabon bis Vancouver“. Die Regierung der deutschen Kapitalisten stellt sich daher gern als Friedensstifter dar, um die Massen zu täuschen und die Interessen der deutschen Bourgeoisie umzusetzen.

Die momentane Arbeitsteilung zwischen der von Deutschland dominierten EU und den USA gegenüber der Ukraine passt zur längerfristig vorgeschlagenen „Doppelstrategie“ von Wolfgang Ischinger (Leiter der Sicherheitskonferenz) „im Umgang mit Russland auf Eindämmung und Einbindung zu setzen“. Das heißt die NATO militärisch aufzurüsten und gleichzeitig zu versuchen, Russland ökonomisch einzubinden, aber nur wenn es sich den wirtschaftlichen Diktaten der USA und EU beugt. Die Imperialisten wollen mit ihrem Minsker Friedensplan verhindern, dass die Aufständischen weitere Siege erringen, und erreichen, dass Donezk und Luhansk unter allen Umständen Teile der Ukraine bleiben und der politische Einfluss auf diese Gebiete in die Hände der Kiewer Regierung zurückkehrt, die wiederum ein Marionettenregime der Imperialisten ist. Nieder mit den imperialistischen Sanktionen! Nieder mit der NATO, der EU und dem deutschen Imperialismus!

Gegenwärtig beziehen wir eine militärische Seite mit den Aufständischen gegen die Kiewer Regierung. Gleichzeitig geben wir weder den großrussisch-chauvinistischen Rebellenführern von Donezk und Luhansk politische Unterstützung noch Putins kapitalistischem Regime. Wir sind unversöhnliche Gegner nicht nur des ukrainischen, sondern auch des russischen Nationalismus. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir die Unabhängigkeit von Tschetschenien und haben das tschetschenische Volk gegen die brutalen russischen Militäreinsätze Putins und seines Vorgängers Boris Jelzin verteidigt.

Kiewer Regierung: Imperialistisches Marionettenregime

Im Februar letzten Jahres wurde der korrupte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch durch einen von Faschisten angeführten Putsch gestürzt, der aus den Maidan-Protesten hervorging, die von Washington arrangiert und von den EU-Imperialisten mit Rat und Tat unterstützt worden waren. Die nach dem Putsch gebildete Regierung, an der auch Faschisten der Swoboda-Partei beteiligt sind, machte sich sofort daran, Russisch als Amtssprache zu verbieten. (Der Verbotsentwurf wurde zurückgezogen, damit die Imperialisten an diesem allzu deutlich geäußerten reaktionären Nationalismus keinen Anstoß nehmen.) Diese und andere Maßnahmen der Kiewer Regierung riefen bei der russischsprachigen Bevölkerung berechtigte Ängste hervor, und im ganzen Land kam es daraufhin zu Protesten.

Als Putin Maßnahmen ergriff, die Krim zurückzuholen und die langjährige Basis der russischen Schwarzmeerflotte zu sichern, wurde das von der ethnisch russischen Mehrheit auf der Halbinsel, die historisch ein Teil Russlands war, überwiegend unterstützt. In den ethnisch gemischten, aber vorwiegend russischsprachigen Provinzen Donezk und Luhansk wehrten sich Militante mit der Waffe gegen Angriffe der Regierung und der Faschisten. Die ukrainische Regierung unternahm im letzten Frühjahr ihre ersten beiden Versuche, in der Ostukraine militärisch offensiv vorzugehen, unmittelbar nach dem Besuch des CIA-Chefs John Brennan und des Vizepräsidenten Joe Biden in Kiew. Damals dozierte Obama: „Die ukrainische Regierung hat die Berechtigung und Verantwortung, Recht und Ordnung auf ihrem Territorium aufrechtzuerhalten.“

Die Führer der Volksrepubliken Donezk und Luhansk führten im vergangenen Mai eine Volksabstimmung durch, die eine überwältigende Mehrheit für eine eigene Regierung ergab, was entweder Autonomie innerhalb einer föderierten Ukraine oder Vereinigung mit Russland oder Unabhängigkeit bedeuten konnte. Direkt nach der Abstimmung verteidigten wir das demokratische Recht der Bevölkerung in diesen Gegenden, das Referendum abzuhalten und entsprechend dem Abstimmungsergebnis zu handeln.

Wir treten für das demokratische Recht auf nationale Selbstbestimmung ein, d. h. für das Recht von Völkern, sich zu vereinigen oder zu trennen. Wie der bolschewistische Führer W. I. Lenin betonte, ist die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung entscheidend für den Kampf gegen nationale Gegensätze und für die Schaffung von Bedingungen, unter denen die Werktätigen verschiedener Nationen sich nicht gegenseitig als Feind betrachten, sondern den wirklichen Feind in ihren jeweils eigenen kapitalistischen Herrschern erkennen können.

Die Imperialisten faseln von „russischer Aggression“, um von ihren eigenen räuberischen Bestrebungen abzulenken. Die gefügigen kapitalistischen Medien tragen ihren Teil dazu bei und plappern Behauptungen nach, dass die russische Armee in der Ukraine in Kämpfe verwickelt sei, während sie die Anwesenheit amerikanischer Söldner und westeuropäischer Neonazis, die an der Seite der ukrainischen Armee kämpfen, so gut wie totschweigen. In Wirklichkeit verhält sich Putin angesichts der wiederholten Provokationen der Kiewer Regierung und ihrer imperialistischen Schutzherren ziemlich zurückhaltend. Es gibt kaum Hinweise darauf, dass Moskau es in den ostukrainischen Provinzen auf Gebietsgewinne abgesehen hat.

Diejenigen in Kiew, die den militärischen Konflikt anheizen, wünschen sich um jeden Preis imperialistische Unterstützung jeglicher Art. Die ukrainische Armee führte vor kurzem ihre vierte Einberufungskampagne seit März vorigen Jahres durch und plant zwei weitere Einberufungen, hauptsächlich aus der Arbeiterklasse und den armen Schichten. Gegen die Einberufungen gibt es bereits zahlreiche Proteste, die vor allem von Frauen angeführt werden, die darüber wütend sind, dass ihre Söhne und Ehemänner Kanonenfutter sein sollen. Viele Wehrfähige verstecken sich in Wäldern oder flüchten aus dem Land, um der Einberufung zu entgehen. Das ukrainische Verteidigungsministerium gab Ende Januar bekannt, dass fast 7500 Personen strafrechtlich verfolgt werden, weil sie ihren Wehrdienst nicht angetreten haben.

Die wirklichen Stoßtruppen der ukrainischen Armee sind die von Faschisten dominierten Freiwilligeneinheiten, denen man überall im Donbass Vergewaltigung, Menschenraub und Mord vorwirft. Dazu gehören die Bataillone Aidar und Asow, von denen das letztere Symbole nach dem Vorbild der Schwarzen Sonne und der Wolfsangel der Nazi-SS trägt. Als die Kiewer Regierung Ende Januar ankündigte, dem Aidar-Bataillon einen „Imagewechsel“ zu verpassen, versuchten die Faschisten aus Protest das Verteidigungsministerium zu stürmen. Dieser Abschaum, der politisch vom Rechten Sektor und von Swoboda repräsentiert wird, leitet seine Herkunft direkt von der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) unter Stepan Bandera ab, die im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis kollaborierte. Die UPA ist für ihre Massenmorde an Juden, Kommunisten, Sowjetsoldaten und Polen berüchtigt. Als Verbeugung vor den Faschisten erklärte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den 14. Oktober – Jahrestag der Gründung der UPA – zum Nationalfeiertag, zum Tag der Verteidiger der Ukraine.

In vielen Ländern gingen große Teile der reformistischen Linken mit ihren kapitalistischen Herrschern konform und unterstützten den Putsch in der Ukraine vom vergangenen Jahr. Wie auch andere verharmloste das „Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale“ (VS) – in Deutschland die internationale sozialistische linke (isl) und der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) – die Faschisten und jubelte die Maidan-Mobilisierungen als „eine machtvolle Mobilisierung der Bevölkerung“ hoch (Resolution des Exekutivbüros der IV. Internationale vom 8. Juni 2014). (Mehr darüber siehe zum Beispiel in: „Die Krim ist russisch – Ukraine nach dem rechten Putsch: EU/US-Imperialisten hysterisch über russische Intervention“, Spartakist-Extrablatt, 9. März 2014, sowie „Ukraine: Imperialisten verschärfen Kampagne gegen Russland – Für Selbstbestimmung von Donezk und Luhansk!“, Spartakist Nr. 204, August 2014.)

In seiner aktuellen Erklärung zur Ukraine vom 4. März schreibt das VS: „Aber es sind die letzten Erfahrungen von großrussischer Politik, die repressive Natur des Putin-Regimes, der Krieg im Donbass und die Annexion der Krim seitens Russlands, die die Rechtmäßigkeit der NATO in einem wachsenden Teil der ukrainischen Bevölkerung stärken“ (unsere Übersetzung). Klingt das nicht ganz nach den bürgerlichen Medien, die Russland verteufeln wollen? Das VS nimmt kaum verhüllt eine Seite mit den Imperialisten ein. Es kritisiert sogar das imperialistische Minsker Abkommen dafür, dass es die Zugehörigkeit der Krim zu Russland akzeptiere. Andere Gruppen, wie das Committee for a Workers’ International (CWI), deren deutsche Sektion die SAV ist, haben sich eher bemüht, eine neutrale Haltung einzunehmen zwischen den Imperialisten und den von Russland unterstützten Rebellen, geben aber de facto ebenfalls den Imperialisten linke Flankendeckung.

In einem Artikel auf der CWI-Website vom 21. Januar unter der Überschrift „Facing a turbulent 2015“ (socialistworld.net) geht Rob Jones ebenfalls mit der imperialistischen Lüge hausieren, Russland sei für die Kämpfe in der Ukraine verantwortlich. Jones schreibt: „Russland befürwortet in Worten eine Verhandlungslösung, unterstützt aber weiterhin die Rebellen“, sagt dabei aber so gut wie nichts über die Rolle der USA und der EU und stellt den angeblichen „russischen Imperialismus“ und die wirklichen Imperialisten der NATO auf eine Stufe. Das CWI hat sich wie alle Reformisten schon immer mit den Imperialisten arrangiert, was sich besonders zeigte, als es im degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion auf der Seite der Konterrevolution stand. CWI-Mitglieder standen in Moskau buchstäblich Schulter an Schulter mit Boris Jelzins Kräften der kapitalistischen Restauration auf den Barrikaden, als dieser im August 1991 die Macht an sich riss.

Sanktionen und unbeabsichtigte Folgen

Der von Öl- und Erdgasexporten stark abhängigen russischen Wirtschaft wurde nicht nur durch die imperialistischen Sanktionen, die den Zugang zu internationalem Kapital sperren, Schaden zugefügt, sondern noch zusätzlich durch den Preisverfall beim Erdöl. Der Ölpreis war noch vor einem Jahr mehr als doppelt so hoch wie heute, was nicht zuletzt an der gesteigerten Produktion in den USA und der unvermindert hohen Produktion in Saudi-Arabien liegt. Der Wert des Rubels fiel im vergangenen Jahr gegenüber dem Dollar um 46 Prozent und im Januar um weitere 17 Prozent, während die Inflation auf 13 Prozent angestiegen ist. Weil besonders die Kosten von Lebensmitteln und Medikamenten sprunghaft angestiegen sind, haben vor allem arbeitende Menschen und Rentner schwer damit zu kämpfen, über die Runden zu kommen.

Eine Fortsetzung der Sanktionen ist zunehmend umstritten, insbesondere innerhalb der EU. Anfang des Jahres äußerte der französische Präsident François Hollande den Wunsch, die Sanktionen zu lockern, falls es für einen Kompromiss irgendeine Grundlage gäbe. Daraufhin brachte unter anderem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Sorge zum Ausdruck, dass einige es darauf anlegen, dass die Sanktionen Russland „destabilisieren“. In solchen Erklärungen spiegelt sich die Besorgnis mancher kapitalistischer Herrscher Europas wider, dass die Sanktionen umso mehr ihre eigene angeschlagene Wirtschaft bedrohen könnten, je effektiver sie sind. Mehrere Länder in der EU, vor allem ihre dominierende Macht Deutschland, haben umfangreiche Handelsbeziehungen mit Russland und sind von fossilen Brennstoffimporten aus diesem Land abhängig. Darüberhinaus rückt der ständige Wertverfall des Rubels eine Schuldenkrise von Russland in den Bereich des Möglichen, was ein weiterer Schlag für die in Schwierigkeiten steckenden Banken Europas wäre.

Auch der jüngste Wahlsieg der kleinbürgerlichen Syriza-Partei in Griechenland nährte für kurze Zeit Spekulationen über ein Zurückfahren der EU-Sanktionen. Gewählt aufgrund von Versprechungen, die zermürbende von der EU verhängte Austerität rückgängig zu machen, durch die Griechenland massiv verarmte und die Arbeitslosigkeit auf über 25 Prozent (ungefähr 50 Prozent bei Jugendlichen) in die Höhe getrieben wurde, hat Syriza den gegen Russland gerichteten Sanktionen widersprochen. Doch nur drei Tage nach ihrem Amtsantritt stimmte die von Syriza geführte kapitalistische Regierung zusammen mit dem Rest der EU einstimmig dafür, die bestehenden Sanktionen um weitere sechs Monate zu verlängern und russische Einzelpersonen auf eine Liste zu setzen.

Syrizas Verurteilung der Austeritätsdiktate (und der Sanktionen gegen Russland) hat sich durch ihre Unterstützung für die imperialistische EU als lediglich heiße Luft erwiesen. Die EU, die ursprünglich als wirtschaftlicher Rammbock gegen die Sowjetunion gegründet wurde, ist heute weiterhin ein Werkzeug der europäischen Kapitalisten zur gemeinsamen Ausbeutung der europäischen Arbeiter. Ihre schwächeren Staaten wie Griechenland werden von ihren mächtigeren imperialistischen Mitgliedern herumkommandiert, die sich mit Hilfe des EU-Wirtschaftsblocks auch gegenüber ihren imperialistischen Rivalen USA und Japan einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Bei den griechischen Wahlen haben unsere Genossen von der Trotzkistischen Gruppe Griechenlands dazu aufgerufen, „keine Stimme für Syriza“ abzugeben, und der Kommunistischen Partei kritische Unterstützung gegeben, die in Opposition zur EU und allen Pro-EU-Parteien einschließlich Syrizas auftrat. (Siehe Wahlerklärung der TGG auf Seite 18.) Nieder mit der EU! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

Russland ist derzeit nicht imperialistisch, auch wenn es das Potenzial dazu hat (wie abwegig diese Perspektive heute auch erscheinen mag). Es ist eine Regionalmacht mit enormer militärischer Stärke, insbesondere durch sein Atomwaffenarsenal, was es den Imperialisten erschwert, sich über Russland einfach hinwegzusetzen. Aber Moskau spielt bei der Aufteilung der Welt auf globaler Ebene keine Rolle. Die Bemühungen der bestehenden Imperialisten unter der Führung der USA, Russland aus ihrem Klub herauszuhalten, haben dessen imperialistische Ansprüche abgeblockt. Washingtons zunehmendes Säbelrasseln gegenüber Russland steht im Zusammenhang mit seinem sogenannten Schwenk nach Asien: verstärkte Zusammenarbeit mit Indien und andere Manöver zur Einkreisung des deformierten Arbeiterstaates China. Darin zeigt sich das vorrangige Interesse der US-Imperialisten, in China, wo der Kapitalismus 1949 durch eine Revolution gestürzt wurde, eine kapitalistische Konterrevolution herbeizuführen, um das Land erneut ungehinderter imperialistischer Ausbeutung zugänglich zu machen.

Doch die Versuche, Russland zu isolieren, haben nur dazu geführt, das Land in die Arme Chinas zu treiben. Das zeigt die Schwierigkeiten der imperialistischen Herrscher, ihre strategischen Interessen überall auf der Welt durchzusetzen. Sowohl die fossilen Brennstoffe als auch die militärische Spitzentechnologie Russlands könnten dazu beitragen, den Bedarf von China zu decken, das seinerseits über enorme Devisenreserven verfügt. Russlands riesiges Territorium bietet China auch eine wichtige Verkehrsverbindung für sein Projekt einer „neuen Seidenstraße“ für den Handel mit Europa, die anders als die Seewege nicht durch die US-Marine bedroht werden kann.

Deutscher Imperialismus und Russland

Während die Regierungslinie pro-atlantisch ist, bevorzugt ein Teil der deutschen Bourgeoisie eine wirtschaftliche und politische Allianz mit Russland als Gegengewicht zur globalen US-Hegemonie. Inzwischen hat der Handel zwischen Deutschland und China in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Die Aussicht auf eine eurasische Allianz hat der linksliberale Journalist Pepe Escobar in dem Artikel „Go West, Young Han“ (Auf nach Westen, junger Han-Chinese) vom 16. Dezember bei tomdispatch.com thematisiert: „Da die deutschen Wirtschaftsführer und Industriellen einen Blick haben auf ihre potenziell lukrative wirtschaftliche Zukunft in einem neuen Eurasien, wird Deutschland eines Tages womöglich Teile von Europa dazu bringen, sich von der ,Logik‘ der NATO abzuwenden. Wie befremdlich dies heute auch klingen mag mitten im Krieg der Worte über die Ukraine, am Ende könnte doch eine Allianz Berlin-Moskau-Beijing herauskommen.“

Die Meinung, dass der deutsche Imperialismus enger mit Russland zusammenarbeiten soll, wurde ebenfalls vertreten in dem bürgerlichen Appell an die Bundesregierung zum Dialog mit Russland „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ (Dezember 2014), unterschrieben von Politikern wie Eckhard Cordes (Vorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft), Otto Schily (ehemaliger Innenminister der SPD) und Gerhard Schröder (Ex-Bundeskanzler der SPD). Politischen Widerhall fand dieser von deutschem Nationalismus und bürgerlichem Pazifismus triefende Appell in der Linkspartei, deren Führungsriege ebenfalls mit einer Alternativ-Strategie für die deutsche Bourgeoisie hausieren geht. SPD und Linkspartei sind bürgerliche Arbeiterparteien, die ein pro-kapitalistisches Programm haben, aber eine Basis, die zu großen Teilen aus der Arbeiterklasse kommt. Wir Spartakisten haben das langfristige Ziel, Arbeitermassen von dem bürgerlichen Programm ihrer Führung wegzubrechen und für das Verständnis zu gewinnen, dass die deutschen Kapitalisten durch eine Revolution hinweggefegt werden müssen. Mit anderen Worten: Ohne Spaltungskurs gegenüber SPD und Linkspartei wird es keine Revolution in diesem Land geben.

Während die Linkspartei-Mitglieder Wolfgang Gehrcke (Parteivorstand) und Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages) es wagten, einen Hilfskonvoi in die Ostukraine zu organisieren und den Aufständischen eher sympathisch gegenüber auftraten, beziehen sie keine militärische Seite mit der Bevölkerung der Ostukraine, weil sie sich ihrer eigenen Regierung verpflichtet fühlen und den Irrglauben verbreiten wollen, dass die Imperialisten Frieden schaffen könnten. Gehrcke fordert sogar „Minsk II jetzt konsequent umsetzen“ und setzt auf die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) – ein Instrument der Imperialisten, mit dem sie den Anschein von Menschenrechten und Demokratie verbreiten wollen. Er meint, die OSZE könne Russland in die Maßnahmen von Minsk einbinden. Tatsächlich hat der deutsche Imperialismus in der OSZE etwas mehr zu sagen als in der NATO. Gehrckes Unterstützung der imperialistischen Friedenspläne und der OSZE bezieht sich positiv auf den deutschen Imperialismus, dessen Einfluss auf die Ukraine – unter anderem durch das EU-Assoziierungsabkommen – Massenelend verursacht und zum Bürgerkrieg geführt hat.

Oskar Lafontaine (Die Linke) äußerte seine Gegnerschaft zur NATO, die nichts anderes ist als vehementer Antiamerikanismus im Sinne des deutschen Imperialismus, unter anderem bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10.  Januar mit dem passenden Titel „Frieden statt NATO“:

„Die NATO-Infrastruktur ist eben, wenn man so will, der Stein des Anstoßes, wenn darüber diskutiert wird, was sich hier verändern soll, damit dieses Vasallentum und diese Tributpflicht abgeschafft werden. Bei allen Kriegen wurde diskutiert, ob wir uns beteiligen. Die Bundesrepublik Deutschland war praktisch an jedem Krieg beteiligt, den die Vereinigten Staaten von Amerika geführt haben, weil alle Kriege, die sie geführt haben, auf US-Einrichtungen in Mitteleuropa zurückgegriffen haben. Wir waren niemals unbeteiligt. Und solange das so ist, sind wir kein souveränes Land.“

Ein unverhohlener Appell, dass der deutsche Imperialismus bitte eigenständig agieren soll! Mit „Wir“ meint Lafontaine ausschließlich die deutsche Nation, als gäbe es keine Klassen in dieser Gesellschaft. Mit „Vasallentum“ und „Tributpflicht“ bezieht er sich auf den ehemaligen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der die NATO als Instrument beschrieb, das die Staaten Mitteleuropas zu Vasallen und Tributpflichtigen gegenüber den USA mache.

Während wir „Nieder mit der NATO!“ fordern, lehnen wir jeglichen Antiamerikanismus ab, weil er deutschen Nationalismus anheizt und von notwendigem Klassenkampf gegen die deutschen Kapitalisten ablenkt. Unsere Genossen der Spartacist League/U.S. treten für eine sozialistische Revolution in den USA ein, geführt von der machtvollen amerikanischen Arbeiterklasse, die die NATO zum Auseinanderbrechen bringen und den weltweiten Kampf der Arbeiter zum Sturz ihrer eigenen Herrscher anspornen und erleichtern würde. In dem Artikel „Gegen den globalen Interventionismus von USA und NATO!“ (Oktober 2014), der Waffenlieferungen an Kurden im Irak und Syrien sowie auch an die ukrainische Armee ablehnt, bietet Lafontaine SPD und Grünen eine Regierungsbeteiligung an, wenn sie zur Außenpolitik Willy Brandts zurückkehren: „Eine solche Außenpolitik sucht im Geiste der Entspannungspolitik die Verständigung mit Russland, die im elementaren Interesse der Deutschen liegt. Gewaltverzicht, gute Nachbarschaft, Entspannung, gemeinsame Sicherheit sind allemal eher geeignet, den Frieden zu sichern, als Waffenexporte, Interventionskriege, Völkerrechtsbrüche oder Sanktionen.“

Die Politik der SPD in den 70er- und 80er-Jahren leistete tatsächlich einen entscheidenden Beitrag zur kapitalistischen Konterrevolution, die den bürokratisch degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion zerstört und sich auf die Wirtschaft und die Völker der ehemaligen Sowjetrepubliken verheerend ausgewirkt hat. Die Ereignisse in der Ukraine sind in jeder Hinsicht eine Folge der kapitalistischen Konterrevolution. Der ukrainischen Wirtschaft, die in die gesamtsowjetische wirtschaftliche Arbeitsteilung eingebunden war, wurde ein schwerer Schlag versetzt, und der Lebensstandard ging stark zurück. Wir von der Internationalen Kommunistischen Liga kämpften politisch mit allen Mitteln dafür, die Sowjetunion gegen die Konterrevolution zu verteidigen.

Als SPD-Linker hat Lafontaine die Friedensbewegung der 80er-Jahre mit angeführt, die sich nicht nur gegen die NATO, sondern genauso gegen die Sowjetunion und deren Atomwaffen richtete. Heute wird die Friedensbewegung der 80er-Jahre unter anderem von der DKP glorifiziert. Wie wir damals und im Artikel „SPD: Trojanisches Pferd der Konterrevolution“ (Spartakist Nr. 176, März 2009) klarmachten, „wäre die Sowjetunion ohne Atomwaffen schon lange zuvor von den Imperialisten in radioaktiv verseuchte Trümmerberge verwandelt worden. Diese linken Sozialdemokraten bedienten sich der Furcht von Millionen Menschen über das Gerede der US-Herrscher von einem ,gewinnbaren‘ Atomkrieg, um die Entwaffnung der Arbeiterstaaten und nationalistische Klassenkollaboration mit den eigenen Imperialisten zu predigen.“

Die UdSSR verkörperte trotz ihrer Degeneration unter der Misswirtschaft der stalinistischen Bürokratie, die 1923/24 die politische Macht an sich gerissen hatte, die sozialen Errungenschaften der von Lenins Bolschewiki geführten Oktoberrevolution von 1917. Die Machtergreifung des Proletariats in Russland war ein Leuchtfeuer, das den Weg in eine Zukunft ohne Ausbeutung und Unterdrückung aufzeigte. Alles, was das imperialistische System den Massen anzubieten hat, sind noch mehr Armut und Elend sowie zunehmende Konflikte zwischen Nationen und Völkern, die ihre Zukunftschancen auf Kosten der jeweils anderen zu verbessern versuchen. Um die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, dass sie gegen den Raubbau ihrer eigenen Bourgeoisie kämpfen muss, ist es unerlässlich, international revolutionäre Arbeiterparteien aufzubauen, Sektionen einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale. Diese Parteien werden das Proletariat in harten Kämpfen gegen alle Erscheinungsformen von nationalem und religiösem Fanatismus und Großmachtchauvinismus anführen, um die kapitalistische Herrschaft durch internationale sozialistische Revolution zu stürzen.