Spartakist Nr. 204 |
August 2014 |
US-Imperialisten erhöhen militärischen Druck auf China
Vietnamesische Stalinisten schüren antichinesische Hysterie
Für proletarisch-politische Revolution von Hanoi bis Beijing!
Der folgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard (Nr. 1048, 13. Juni), Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S.
Mitte Mai zogen mehr als 20 000 Fahnen schwingende und mit Eisenstangen bewaffnete Vietnamesen mehrere Tage lang randalierend durch Industrieparks in Zentral- und Südvietnam. Sie machten Jagd auf chinesische Arbeiter und setzten chinesische und andere in ausländischem Besitz befindliche Fabriken unter den Rufen „Wir sind Vietnamesen!“ in Brand. Dieser Ausbruch war der Höhepunkt einer Reihe antichinesischer Proteste in mindestens 22 der 63 Provinzen Vietnams, bei denen mehr als 20 Menschen getötet und fast 100 verletzt wurden. Beijing schickte eine kleine Flotte, um seine Staatsangehörigen zu evakuieren. Vietnams stalinistische Bürokratie, darum bemüht, einen Abzug ausländischer Investoren aus dem Lande zu verhindern, beeilte sich, die antichinesische Hysterie, die sie entfesselt hatte, im Zaum zu halten.
Der Grund für diesen blutigen nationalistischen Amoklauf war erklärtermaßen die eine Milliarde Dollar teure Tiefsee-Ölbohrinsel, die China in der Nähe der Paracel-Inseln errichtet hatte, die von der vietnamesischen und von der chinesischen Küste ungefähr gleich weit entfernt liegen. Vietnam brachte auch seine Flotte und seine Küstenwache zum Einsatz, um den ungefähr 80 chinesischen Schiffen, die die Bohrinsel begleiteten, entgegenzutreten, was immer wieder zu Zusammenstößen und Scharmützeln zwischen den beiden Ländern führte.
Der Hintergrund dieser Konfrontation ist, dass sich die vietnamesische Regierung der Kampagne der US-Imperialisten zur Einkreisung Chinas angeschlossen hat, des mächtigsten der verbliebenen Länder, in denen die kapitalistische/imperialistische Herrschaft gestürzt wurde. Chinas stalinistische Bürokratie versucht gegen Washingtons Bemühungen, das Südchinesische Meer zu beherrschen, anzukämpfen. Ein wichtiger Bestandteil der US-Strategie ist der Ausbau engerer Beziehungen zu Vietnam, das wie China ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat ist. Die vietnamesische Küstenwache wird heute teilweise von den USA finanziert und von den USA und Japan ausgebildet.
Das vietnamesische Vorgehen erfolgte nach Obamas jüngster Asienrundreise, bei der es, wie CNN betonte, vor allem um „China, China und noch mal China“ ging. Zwar gelang es Obama nicht, feste Beitrittszusagen zur Transpazifischen Partnerschaft zu bekommen – einem Versuch der USA, einen gegen China gerichteten asiatischen Wirtschaftsblock zu schaffen – doch an der militärischen Front war er erfolgreich. In Japan erweiterte er die Rahmenbedingungen des langjährigen japanisch-amerikanischen Sicherheitsabkommens, so dass es die Diaoyu/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer, ein strategisch wichtiges Bindeglied von Chinas militärischem Verteidigungsgürtel, mit einbezieht. Wir unterstützen Chinas Anspruch auf diese Inseln gegen das imperialistische Japan (siehe „USA, Japan: Provokationen im Ostchinesischen Meer“, Spartakist Nr. 203, Mai).
Auf den Philippinen, einer amerikanischen Neokolonie, unterzeichnete der US-Oberbefehlshaber ein neues zehnjähriges Verteidigungsabkommen, das den Truppen, Schiffen und Flugzeugen der USA erweiterten Zugang zu den dortigen Stützpunkten verschafft. Mit der malaysischen Regierung wurde eine neue „umfassende Partnerschaft“ unterzeichnet, die eine Verstärkung der „Sicherheit“ und eine Kooperation bei der „Verteidigung“ beinhaltet. Als Teil unseres Kampfes zur Mobilisierung der US-Arbeiterklasse gegen ihre eigenen Ausbeuter und deren räuberische Militärabenteuer fordern wir die Räumung aller amerikanischen Stützpunkte und den Abzug aller 80 000 Soldaten aus der asiatisch-pazifischen Region.
Vietnam schließt sich der US-„Achse“ gegen China an
Vor vier Jahrzehnten wurden die US-Imperialisten in einer siegreichen sozialen Revolution gegen die Herrschaft der Grundbesitzer und Kapitalisten von den heroischen vietnamesischen Arbeitern und Bauern auf dem Schlachtfeld gedemütigt. Der Preis war hoch: Fast drei Millionen Vietnamesen wurden getötet und viele weitere verstümmelt. Noch heute leidet Vietnam unter einer hohen Rate an Geburtsschäden, weil damals Millionen Tonnen des Entlaubungsmittels Agent Orange von amerikanischen Flugzeugen abgeworfen wurden. Die rachsüchtigen USA verhängten über Vietnam eine Hungerblockade, die erst Ende der 1990er-Jahre aufgehoben wurde.
Die heutige Zusammenarbeit Vietnams mit dem US-Imperialismus, die sich gegen China richtet, ist eine bittere Ironie. Die diplomatische Wiederannäherung der vietnamesischen Stalinisten an Washington ist eine Folge der Isolierung des Landes nach der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion, der anhaltenden Belastung durch Armut und der gegenseitigen historischen Feindseligkeit zwischen Vietnam und seinem größeren und stärkeren chinesischen Nachbarn. Diese Wiederannäherung begann im Jahre 2000 mit dem Besuch des Demokraten Bill Clinton in Vietnam, der ersten Visite eines US-Präsidenten seit der amerikanischen Niederlage. Zehn Jahre später erklärte Hillary Clinton, in den Fußstapfen ihres Ehemanns, bei einem Treffen von ASEAN-Mitgliedsstaaten in Hanoi, dass die USA ein „nationales Interesse“ am Südchinesischen Meer hätten. Seitdem haben sich die diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen der USA zu Vietnam verstärkt. Es wurde berichtet, dass bei den antichinesischen Ausschreitungen im Industriepark von Binh Duong außerhalb Ho-Chi-Minh-Stadts eine Elektronikfabrik verschont wurde, die US- und vietnamesische Flaggen gehisst hatte .
Der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung rief die USA dazu auf, in der Region energischer aufzutreten. Spitzenmilitärs beider Länder trafen sich und US-Kriegsschiffe haben jetzt die Erlaubnis, vietnamesische Häfen anzulaufen. Bei einem Washingtonbesuch im vergangenen Juli verkündeten der vietnamesische Präsident Truong Tan Sang und Obama eine umfassende Partnerschaft zwischen USA und Vietnam; diese gibt Vietnam laut East Asia Forum (6. August 2013) „mehr Selbstvertrauen – und tatsächlich mehr Optionen –, um China im Südchinesischen Meer entgegenzutreten“.
Um dieses Abkommen zu zementieren, versprach im Dezember John Kerry 18 Millionen Dollar neuer Beihilfen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Küstenpatrouillen, beginnend mit Trainingsprogrammen und der Bereitstellung von fünf Schnellbooten für die vietnamesische Küstenwache. Am 20. Mai trat Vietnam der von George W. Bush ins Leben gerufenen Proliferation Security Initiative [Sicherheitsinitiative gegen Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, PSI] bei, die es Mitgliedsländern erlaubt, Schiffe mit Fracht „für einen Empfänger, der diese möglicherweise zum Nachteil der USA oder eines anderen Landes benutzt“, zu stoppen.
Stalinistische Politik nützt dem Imperialismus
Wenn wir China und Vietnam als deformierte Arbeiterstaaten bezeichnen, drücken wir damit aus, dass in beiden Ländern die Wirtschaft auf kollektivierten Eigentumsformen beruht, was für den Lebensstandard und die sozialen Verhältnisse der arbeitenden Massen eine sprunghafte Verbesserung ermöglichte. Doch gleichzeitig übt die Arbeiterklasse nicht die politische Macht aus, kontrolliert nicht die Produktion und bestimmt nicht die internationale Politik. Wir treten für die bedingungslose militärische Verteidigung dieser Länder gegen Imperialismus und Konterrevolution ein und kämpfen gleichzeitig für eine proletarisch-politische Revolution zum Sturz der parasitären Bürokratenkasten.
Da die Bürokratien aller deformierten Arbeiterstaaten auf nationaler Grundlage gebildet und organisiert sind, streben sie danach, ihre wirtschaftlichen Privilegien und ihren politischen Eingriff auf die Gesellschaft maximal zu steigern. Der Politik aller stalinistischen Regime liegt das antimarxistische Dogma vom „Sozialismus in einem Lande“ zugrunde, das erstmals von Stalin 1924 als Ideologie der sich verfestigenden konservativen Bürokratie in der Sowjetunion propagiert wurde. In der Hoffnung, die imperialistischen Mächte zu beschwichtigen, sorgte Stalin immer mehr dafür, dass die Kommunistischen Parteien sich vom Kampf für den Sturz ihrer eigenen Herrscher abwendeten und eine Politik annahmen, diese Herrscher zu einer „friedlichen Koexistenz“ mit der UdSSR zu drängen. Dieselbe selbstmörderische Politik betreiben heute Beijing und Hanoi, was zu periodischen Anpassungen an imperialistische Mächte führt, wobei die Bürokraten versuchen, den „Sozialismus“ ihres eigenen Landes auf Kosten anderer Arbeiterstaaten zu verteidigen.
Ende der 1950er- und während der 1960er-Jahre entwickelten sich die Feindseligkeiten zwischen der Sowjetunion und Beijing zu einem vollständigen Bruch. Der für diesen Bruch typische wiederholte Verrat bestand unter anderem darin, dass der Kreml 1962 während des Grenzkriegs des kapitalistischen Indiens mit China MIG-Kampfflugzeuge an Indien lieferte und dass China während des Krieges zwischen den USA und Vietnam die sowjetischen Waffenlieferungen an Vietnam zeitweilig ernsthaft behinderte. Mao erklärte den „sowjetischen Sozialimperialismus“ zu seinem Hauptfeind. Das passte zu dem strategischen Ziel der amerikanischen Herrscher, den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion zu zerstören, der damals das Haupthindernis für eine US-Weltherrschaft war. Durch diese Haltung landete die Kommunistische Partei Chinas in einer Allianz mit dem US-Imperialismus gegen die Sowjetunion. Diese Allianz wurde 1972 durch den Besuch Richard Nixons in China besiegelt, wobei er mit Mao Champagner trank, während die USA ihre Bombardierung Vietnams erheblich verstärken und den Hafen von Haiphong verminten.
1979 marschierte China als Handlanger des US-Imperialismus in Vietnam ein, und zwar kurz nach dem USA-Besuch des chinesischen Führers Deng Xiaoping, dem es um Auslandsinvestitionen ging. In jüngster Zeit haben die chinesischen Stalinisten mit den Imperialisten beim Entwurf von Strafsanktionen gegen Nordkorea wegen dessen Atomwaffentests zusammengearbeitet. Mit einer solchen Politik untergraben die stalinistischen Bürokratien auf gefährliche Weise die Verteidigung der sozialen Errungenschaften der Revolutionen, die zum Sturz kapitalistischer Herrschaft geführt haben.
Ein Beispiel dafür, wie die vietnamesische Bürokratie reaktionären antichinesischen Chauvinismus unter den Arbeitern und Bauern verbreitet, war eine im Januar erstmals in Hanoi abgehaltene Zeremonie, auf der dagegen protestiert wurde, dass China 1974 die Kontrolle über die Paracel-Inseln übernommen hatte. Traditionell wird dieser Jahrestag von konterrevolutionären vietnamesischen Emigranten im Ausland begangen, die verbittert darüber sind, dass China der kapitalistischen Regierung von Südvietnam, einer US-Marionette, diese Inseln weggenommen hat. Doch dieses Jahr haben Demonstranten in Hanoi antichinesische Losungen skandiert und zu Füßen der Statue von Ly Thai To, einem Kaiser aus dem elften Jahrhundert, Blumen niedergelegt.
Bei dem Versuch, das Phänomen einer militärischen Konfrontation zwischen zwei „kommunistischen“ Ländern zu erklären, schrieb die US-amerikanische Workers World Party (WWP) am 22. Mai einen Leitartikel, der völlig übereinstimmt mit ihrer stalinoiden Tradition und ihrem ausgesprochen antimarxistischen Liberalismus. Angesichts der Tatsache, dass China „eine starke Macht“ und Vietnam „ein relativ kleines, unterentwickeltes Land“ ist, rufen sie China dazu auf, „den ersten Schritt zur Entschärfung dieser Krise zu unternehmen“. Die WWP behauptet zwar, beide Länder gegen Imperialismus und kapitalistische Konterrevolution zu verteidigen, doch sie gibt nicht zu, dass Vietnam tatsächlich den USA die Hand reicht, während diese die Schlinge um China enger ziehen. In einer Sprache, die von Neokonservativen über Obama bis hin zu antikommunistischen Sozialdemokraten kommen könnte, fordert die WWP, China solle „auf jede Großmachtdominanz verzichten“. Da die WWP keinen Unterschied macht zwischen den Arbeiterstaaten und ihren bürokratischen Herrschern, die dem Imperialismus gegenüber Beschwichtigungspolitik betreiben, ist ihr nichts anderes möglich, als die Bürokraten darum zu ersuchen, das Richtige zu tun.
Sollte es den Imperialisten gelingen, China durch eine kapitalistische Konterrevolution wieder in einen riesigen Ausbeutungsbetrieb zu verwandeln, würde dies dem gesamten im Niedergang begriffenen Profitsystem der Imperialisten einen Schuss Adrenalin geben. Zur Erreichung dieses Ziels greift man sowohl auf militärische Einkreisung als auch auf wirtschaftliche Durchdringung zurück. Beijings „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ bedeutet, profitorientierte Unternehmen zu fördern und imperialistische sowie auslandschinesische Investoren willkommen zu heißen. Derartige Maßnahmen haben die Ungleichheit enorm gesteigert und das Anwachsen kapitalistischer Kräfte innerhalb Chinas sehr begünstigt.
Doch die Auswirkungen imperialistischer Investitionen in China und Vietnam sind widersprüchlich: Wirtschaftliches Wachstum hat die Löhne steigen lassen und ein erhebliches Anwachsen eines jungen, verstädterten Proletariats mit sich gebracht. Die Bürokratien beider Länder wissen, dass sie auf einem Vulkan von Unzufriedenheit in der Gesellschaft sitzen. Auch wenn Vietnam nicht die Infrastruktur und die höher entwickelte Technologie von China hat, gibt es dort ein dynamisches, kämpferisches Proletariat, das gegen niedrige Löhne, Inflation, zunehmende Ungleichheit und die Korruption der Bürokratie kämpft, mit mehr als 800 Streiks allein im Jahr 2011. In vielen Fällen haben vietnamesische und chinesische Arbeiter dieselben Ausbeuter, wie zum Beispiel den taiwanesischen Sportschuhhersteller Yue Yuen, gegen den sich der seit Jahrzehnten größte Streik in China richtete und dessen Produkte zu einem Drittel in Vietnam gefertigt werden.
Wären in Beijing und Hanoi revolutionäre Arbeiterregierungen an der Macht, würde der Konflikt über die Paracel-Inseln leicht dadurch gelöst, dass beide Länder ihre Technologie gemeinsam nutzen und bei der Erschließung der Rohstoffquellen des Gebietes sowie bei der beiderseitigen Verteidigung gegen den Imperialismus zusammenarbeiten. Das trotzkistische Programm einer proletarisch-politischen Revolution – zum Sturz der stalinistischen Bürokratien und zur Errichtung von Regierungen auf der Grundlage von Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten – stellt die einzige wirklich effektive Verteidigung dieser Staaten dar und ist ein Teil der Strategie, durch proletarische Revolutionen weltweit mit der imperialistischen Ordnung Schluss zu machen.