Spartakist Nr. 204

August 2014

 

Gewerkschaften müssen Flüchtlinge verteidigen! Für eine revolutionäre multiethnische Arbeiterpartei!

Berlin: Grüne vertreiben Flüchtlinge

In Berlin-Kreuzberg wurde im April nach eineinhalb Jahren das Flüchtlings-Protestcamp auf dem Oranienplatz trotz Protesten von Flüchtlingen und linken Aktivisten geräumt. Begleitet wurde der Polizeiterror von leeren Versprechungen wie „wohlwollende Prüfung“ von Asylanträgen. Die ersten 30 Aufenthaltsanträge der ehemaligen Bewohner des Oranienplatzes wurden alle abgelehnt, mehr als zehn Abschiebebescheide wurden bereits ausgestellt, viele weitere Flüchtlinge sind von Abschiebung bedroht.

Als öffentliches Symbol des Protests blieb nur die von 300 Flüchtlingen und Unterstützern besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule, ebenfalls in Kreuzberg. Ende Juni begann eine Armee von 900 Polizisten im Auftrag des Bezirksamts auch hier mit der Räumung, zynisch „freiwilliger Umzug“ genannt. 200 Flüchtlinge wurden in Heime in Außenbezirken verfrachtet, bis zu 100 wurden obdachlos. Rund 40 Flüchtlinge besetzten daraufhin das Dach der Schule, um sich weiter gegen Lagerisolation und Abschiebung zu wehren. In ihrer Verzweiflung drohten sie damit, sich bei einer Räumung vom Dach zu stürzen oder anzuzünden. In den folgenden Wochen demonstrierten tausende Unterstützer wiederholt ihre Solidarität, während bis zu 900 teilweise mit Maschinenpistolen bewaffnete Bullen das ganze Stadtviertel mit Gittern absperrten und tagelang in Belagerungszustand versetzten, etliche Personenkontrollen durchführten und brutal mit Knüppeln und Pfefferspray gegen Protestierende vorgingen. Die Besetzer mussten schließlich einwilligen, sich in einen Seitenflügel des Gebäudes zurückzuziehen; die Abriegelung der Schule übernahmen Privatbullen. Daraufhin besetzten Flüchtlinge kurzzeitig den Fernsehturm und Checkpoint Charlie, etwa 40 traten am Brandenburger Tor in einen Hungerstreik.

Unter den aus der Schule Vertriebenen waren auch drei Roma-Familien, die zuerst in einen Außenbezirk geschickt wurden und nun mit 30 weiteren Roma-Familien im Görlitzer Park leben, damit ihre Kinder überhaupt wieder zur Schule oder zum Arzt gehen können. Beim Protest vor der besetzten Schule nahmen viele der Roma mit großem Interesse unseren Artikel „Russische Revolution ermöglichte soziale Emanzipation der Roma“ (Spartakist Nr. 202, März 2014) über die staatliche Verfolgung und den faschistischen Terror gegen Roma in der kapitalistischen EU auf. Die Bundesregierung verschärft ihre Angriffe auf Roma und will nun Serbien, Montenegro und Bosnien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklären, um Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Ländern pauschal als „offensichtlich unbegründet“ ablehnen zu können. Weg mit den zynischen Regeln über „sichere Herkunftsstaaten“!

Wir beteiligten uns an mehreren Protesten und argumentierten dafür, die soziale Macht der Arbeiterklasse für den Kampf der Flüchtlinge zu mobilisieren. Die Spartakist-Jugend zog am 1. Juni mit den Teilnehmern ihres Seminars „Was tun? Lenins Kampf für eine Avantgardepartei“ spontan zu den Protesten vor der Gerhart-Hauptmann-Schule, um in der Praxis zu zeigen, warum wir für eine leninistische Partei kämpfen, die als Volkstribun gegen jegliche Unterdrückung vorgeht. Auf Plakaten forderten wir „Gewerkschaften müssen die Flüchtlinge verteidigen!“ und „Nieder mit der imperialistischen EU!“. Es ist die Arbeiterklasse, die durch ihre Arbeit den Profit produziert, von dem der Kapitalismus sich nährt; daher hat sie potenziell die Macht, dieses System zum Stillstand zu bringen und letztlich durch eine sozialistische Revolution zu stürzen. Wir fordern: Stoppt Abschiebungen durch Gewerkschaftsaktionen! Volle Staatsbürgerrechte für alle, die hier leben!

Die Grünen, die seit acht Jahren in Kreuzberg regieren, posieren gern als liberale Freunde der Flüchtlinge. Die brutalen Räumungen haben ihnen diese Maske jetzt in den Augen vieler Teilnehmer der Proteste heruntergerissen. Was ihre Heuchelei bisher am offensten enthüllte, waren die Taten der SPD/Grünen-Regierung von Schröder und Fischer, die sich verlogen auf „Menschenrechte“ berief, um 1999 gegen Serbien den ersten deutschen Kriegseinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg durchzusetzen. Ebenso zynisch rechtfertigt der grüne Baustadtrat Panhoff die Vertreibung der Flüchtlinge nun damit, dass er in der Schule ein „internationales Flüchtlingszentrum“ einrichten will. Rückendeckung kommt von den beiden Berliner Parteivorsitzenden:

„Zu den Fehlern, die [im Umgang mit den Flüchtlingen] gemacht wurden, müssen wir Grüne uns offensiv bekennen: So hat der Bezirk durch die rechtliche Tolerierung viel zu spät der Öffentlichkeit vermitteln können, dass er selbst die zentrale Forderung der Flüchtlinge nach einem Bleiberecht nicht erfüllen kann. Für die menschenunwürdigen Zustände in dem besetzten Gebäude hatte der Bezirk keine Lösung, solange dort knapp 300 Menschen lebten.“

Ihr Fehler war also, die Flüchtlinge nicht schon viel früher räumen zu lassen – „menschenwürdig“, versteht sich! Tatsächlich können die Grünen die Probleme der Flüchtlinge nicht lösen, weil sie eine bürgerliche Partei sind, die diesen kapitalistischen Staat mitregiert, von dem tagtägliche rassistische Repression ausgeht.

Der staatliche Rassismus entspringt dem System der Ausbeutung von Lohnarbeit für die Profite einer winzigen Minderheit. Die Flüchtlinge – aus Ländern Afrikas, aus Syrien, Osteuropa – machen sich unter Lebensgefahr auf den Weg in die Zentren der imperialistischen Festung EU, weil die kapitalistische Ausplünderung ihrer Heimatländer und die Zerstörung durch neokoloniale Kriege und imperialistisch angefachte Bürgerkriege ihnen dort jede Lebensperspektive nimmt. Hier angekommen sind sie gerade in der Wirtschaftskrise für die Kapitalisten als Ausbeutungsobjekte überflüssig. Gleichzeitig benutzen die Kapitalisten über ihren Staat und ihre Medien den Rassismus, um vor allem die Arbeiterklasse entlang ethnischer/religiöser Linien zu spalten, um sie besser beherrschen zu können. Wir sind unversöhnliche Gegner des ganzen kapitalistischen Systems und unterstützen in diesem Rahmen die berechtigten Kämpfe der Flüchtlinge. Weg mit Residenzpflicht, Lagern, Arbeitsverbot, Hungerrationen nach Asylbewerberleistungsgesetz!

Trotz des rücksichtslosen Vorgehens des Staates – dessen Kern die Polizei, Gerichte, Gefängnisse und die Armee sind – sind Illusionen in die „demokratische“ Fassade dieser Unterdrückungsmaschine noch weit verbreitet. Einige Protestierende forderten die Polizisten auf, ihre Befehle zu verweigern, oder erhofften sich mit „Helm ab, Hirn rein!“ eine Besserung dieser bezahlten Schläger des Kapitals. Dahinter steckt der Irrglaube, dass der kapitalistische Staat neutral sein oder dauerhaft zum Wohl der Unterdrückten reformiert werden kann. Genau das verspricht die Linkspartei, wenn sie in der Opposition Proteste gegen einzelne Übel des Kapitalismus unterstützt und sich als nächste, „linke“ Regierungspartei anbietet. Linkspartei und SPD sind bürgerliche Arbeiterparteien. Das heißt, sie basieren zwar durch ihre Verbindungen zu den Gewerkschaften auf der Arbeiterklasse – anders als die Grünen, die sich vor allem aufs Kleinbürgertum stützen –, bleiben mit ihrem Programm aber völlig im Rahmen des Kapitalismus. An der Regierung sind sie oft besser als rein bürgerliche Parteien wie CDU und Grüne in der Lage, Widerstand zu verhindern und ungestört Kürzungen, Angriffe auf Löhne und eben auch rassistische Unterdrückung durchzuführen. Während Linkspartei-Unterstützer in Berlin jetzt gegen den SPD/CDU-Senat protestieren, gab es im Abschiebeknast im brandenburgischen Eisenhüttenstadt 2013 und 2014 mehrere Hungerstreiks, Selbstmordversuche und mindestens einen Selbstmord. Die Antwort der Linkspartei, die in Brandenburg mitregiert, beschränkt sich darauf, dieses Isolationslager „humaner“ zu gestalten … und weiter ausbauen zu wollen! Weil die Sozialdemokratie – ob SPD oder Linkspartei – hier alle Kämpfe der Arbeiterklasse im Rahmen des Kapitalismus halten will, ist es für revolutionäre Marxisten in Deutschland eine zentrale Aufgabe, Arbeiter und linke Aktivisten von der politischen Kontrolle der Sozialdemokratie zu brechen.

Die Sozialistische Alternative (SAV) aber versucht die Linkspartei aktiv aufzubauen. Der Verband „Berlin-Kreuzkölln“ der Linksjugend solid (in dem auch die SAV arbeitet) kritisiert in dem Flugblatt „Wir lassen uns nicht spalten!“ zwar Teile der Gewerkschaftsführung wegen mangelnder Solidarität mit den Flüchtlingsprotesten und ihrer Unterstützung der SPD, verliert aber kein einziges kritisches Wort zur Regierungspolitik der Linkspartei! Damit positionieren sie sich noch rechts von einem „Strategiepapier“ führender Mitglieder der Berliner Linkspartei vom 19. Juni, die zugeben müssen: „Auch unter Rot-Rot gab es in Berlin Abschiebungen“, nur um die Verantwortung sofort abzuwälzen und sich den „Sachzwängen“ von Bundesgesetzen zu unterwerfen: „Die restriktiven flüchtlingspolitischen Vorgaben und die diskriminierenden Aufenthaltsbestimmungen …, die der Bund beschlossen hat, konnten nicht prinzipiell ignoriert oder umgangen werden.“ Die Forderung der Linksjugend Kreuzkölln nach einer „sozialistischen Welt ohne Klassenunterdrückung, Diskriminierung, Ausbeutung und Krieg“ ist dann nur hohles Geschwätz und soll wohl über eine „linke“ Bundesregierung erreicht werden. Als Marxisten verstehen wir jedoch, dass dafür eine Arbeiterrevolution notwendig ist, die den bürgerlichen Staat zerschlägt.

Wir arbeiten konsequent dafür, antirassistische Jugendliche und fortgeschrittene Arbeiter vom Einfluss der sozialdemokratischen, grünen und sonstigen Irrlichter wegzubrechen und für den Aufbau einer internationalen revolutionären multiethnischen Avantgardepartei zu gewinnen, die nach dem Vorbild von Lenins und Trotzkis Bolschewiki die Arbeiterklasse zu neuen Oktoberrevolutionen führen kann, um die vergesellschaftete Wirtschaft planmäßig auf die Erfüllung der Bedürfnisse der Mehrheit statt auf die Profite einer Minderheit auszurichten.