Spartakist Nr. 201 |
Januar 2014 |
Frauen und Revolution
Alice Schwarzer: „Polizeifeministin“
Keine Kriminalisierung von Prostitution!
Die Präsentation von Alice Schwarzers Sammelband mit dem reißerischen Titel: Prostitution – Ein deutscher Skandal. Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden? am 14. November 2013 in Berlin traf auf lautstarke Proteste, u. a. von Sexarbeiterinnen und der Deutschen Aids-Hilfe. Das Podium war nur mit Schwarzers Unterstützern besetzt, darunter ein Kriminalbeamter, der eine Rückkehr zur Registrierung von Prostituierten forderte! Schon im Vorfeld hatte Juanita Henning (Vorsitzende des Vereins Dona Carmen, der sich für Rechte der Prostituierten einsetzt) zutreffend gesagt, Schwarzer propagiere ein „lupenreines Polizeigesetz“ und sei eine „deutsche Polizeifeministin“ (zitiert in Schwarzers Buch). Schließlich erhielt eine Rednerin, die mehr Rechte für Sexarbeiterinnen forderte, so starken Applaus, dass das Podium geräumt wurde.
Alice Schwarzer, reaktionäre bürgerliche Feministin, und ihre Zeitschrift Emma betreiben seit dem Herbst mit ihrem „Appell gegen Prostitution“ eine Kampagne zu deren erneuter Kriminalisierung. Um das zu erreichen, setzt sie einfach Prostitution mit Sklaverei gleich und fordert: „Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier“. Die künftige große Koalition aus CDU und SPD verkündete schon, sie werde „Armuts- und Zwangsprostitution mit neuen Straftatbeständen härter … ahnden“ („Künftig Strafen für Freier von Zwangsprostituierten“, FAZ, 2. Dezember).
Wir Marxisten wenden uns eindeutig gegen diese Maßnahmen, die mittels der Kriminalisierung von Freiern ein entscheidender Schritt wären hin zur erneuten Kriminalisierung der Prostitution – und der Prostituierten. Für Sex Geld zu nehmen oder für Sex zu bezahlen ist kein Verbrechen, weder von Seiten der Prostituierten noch der ihrer Kunden! Die Behauptung, es gehe nur um Freier, die wissentlich die Dienste einer Frau kaufen, die dazu gezwungen wurde, ist vorgeschoben; es ist offensichtlich kaum zu beweisen und nur ein Vorwand, um die staatliche Repression auszubauen, vermehrt Razzien durchzuführen in Bordellen, auf der Straße und anderswo und Prostituierte, von denen viele Immigranten sind, zu terrorisieren.
In Britannien existiert seit Jahren ein ähnliches Gesetz. Unsere Genossen der Spartacist League/Britain erklärten: „Tatsächlich werden immigrierte Frauen, die von der Polizei bei Razzien gegen ,Sexhandel‘ ,gerettet‘ wurden, routinemäßig abgeschoben“ („Nieder mit den harten Angriffen der Labour-Regierung gegen Prostituierte“, Workers Hammer Nr. 205, Winter 2008/09). In Frankreich wurde gerade unter langen vielfältigen Protesten in erster Lesung ein Gesetz entsprechend dem „schwedischen Modell“ von 1999 angenommen, das den Kauf von Sexualität unter Strafe stellt.
Die Regierungspropaganda, hart gegen Prostitution durchzugreifen, geht einher mit rassistischen Beschwörungen der „Bandenkriminalität“, die besonders seit der Osterweiterung der EU das Land mit „Zwangsprostituierten“ überschwemme und noch anzusteigen drohe, wenn ab Januar 2014 rumänische und bulgarische Staatsbürger formal das Recht erhalten, hier zu arbeiten. In beiden Ländern leben recht große Minderheiten der Roma, meist unter ärmsten Verhältnissen. Im Kontext der andauernden Wirtschaftskrise gab es in ganz Europa in den letzten Monaten einen rasanten Anstieg von Angriffen gegen Roma, die eine verletzliche Minderheit sind und seit Jahrhunderten an den Rand gedrängt werden. Von den kapitalistischen Regierungen werden sie zu Sündenböcken gestempelt, inklusive einer Medienkampagne mit den Lügen aus dem Mittelalter, Roma würden Kinder stehlen und „Menschenhandel“ betreiben. Auch Schwarzer mischt fleißig mit, z. B. mit Artikeln ihres Buchs unter der Überschrift „Reise in die Heimat der Zwangsprostituierten“ (Osteuropa, v.a. Rumänien und Bulgarien) bzw. „Reise in das Land der Vampire“ (mit Zitaten aus Bram Stokers Dracula). Sie hetzt: „Drehscheibe des Frauenhandels in Europa ist heute Deutschland. Das liegt nicht nur an der zentralen geografischen Lage, sondern vor allem an der liberalen Gesetzgebung.“ Und ihr Appell fordert einen Schutz vor Abschiebung nur für „Zeuginnen“, d. h. Frauen, die mit dem bürgerlichen Staat zusammenarbeiten.
Die Internationale Kommunistische Liga war immer Gegner der EU, ein imperialistischer Handelsblock, in dem Deutschland, Frankreich und Britannien das Sagen haben und die übrigen Mitgliedsländer, wozu auch die ehemaligen Ostblockländer zählen, als Quelle billiger Arbeitskräfte und als Märkte herhalten. Die schlimme Situation von Roma in den Staaten des ehemaligen Ostblocks rührt unmittelbar von der kapitalistischen Konterrevolution in diesen ehemaligen deformierten Arbeiterstaaten her, nach der interethnische Massaker und völkermörderischer Nationalismus auf der Tagesordnung stehen. Wenn Roma emigrieren wollen, ist das oft der verzweifelte Versuch, rassistischer Verfolgung und bitterster Armut zu entkommen. Wenn Schlepperbanden ihre dreckigen Geschäfte machen können, dann deswegen, weil die kapitalistischen Regierungen versuchen, Arbeiter aus anderen Ländern draußen zu halten bzw. hart und mörderisch gegen Flüchtlinge vorzugehen. Wir fordern: Volle Staatsbürgerrechte für alle, die es hierher geschafft haben!
Erzwungene Prostitution etwa durch Schuldknechtschaft, Vergewaltigung oder brutale sexuelle Angriffe sind wirkliche Verbrechen! Aber wir stellen uns gegen den Versuch des Staates, „Sexsklaverei“ und „Zwangsprostitution“ mit Prostitution an sich gleichzusetzen und jeden Austausch von Geld für Sex als potenzielle Sklaverei hinzustellen. Prostitution ist sehr oft degradierend und ausbeuterisch, aber eine Kriminalisierung zwingt Prostituierte einfach in ein Lumpenmilieu, wo es kaum Zugang zu sozialen und medizinischen Leistungen gibt und wo sie oder er viel verwundbarer ist gegenüber Bandenkriminalität und Gewalt durch Zuhälter. Als Marxisten warnen wir davor, dass jegliche Intervention des kapitalistischen Staates unmittelbar das Elend für alle Beteiligten verstärken und als Vorwand herhalten wird, Bullen und Gerichte in einen Angriff gegen Immigranten, Frauen und Sex zu hetzen.
Was ist eigentlich Prostitution?
Die Stellung einer Prostituierten hängt von der allgemeinen Stellung der Frau in der jeweiligen Gesellschaft ab, die an sich ein Maßstab für den Fortschritt einer Gesellschaft ist. Deshalb sind die Verhältnisse, unter denen eine Prostituierte lebt, je nach Zeit, Ort und Klasse äußerst verschieden:
„Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen dem luxuriösen und bequemen Leben einer Chefin von Hollywood-Callgirls wie Heidi Fleiss (die aber trotzdem eingesperrt wurde) und einer HIV-infizierten, drogenabhängigen Straßenprosituierten in einem verarmten Ghetto, ohne Perspektiven und ohne Ausweg. Trotzdem werden alle Prostituierten der allgemeinen sozialen Schmach des bürgerlichen Moralismus und der Heuchelei ausgesetzt, was sie zu leichten Opfern von Missbrauch, Prügel, Vergewaltigung und Diebstahl macht.“ („US/UN-Kreuzzug gegen ,Sexhandel‘“, Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 24, Sommer 2004)
Das Hauptinstrument zur Unterdrückung der Frau in der Klassengesellschaft ist die Institution der Familie, wie Friedrich Engels 1884 in seinem mitreißenden Text Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats erklärte. In den alten Gesellschaften der Jäger und Sammler waren Mann und Frau gleichgestellt, und es galt das Mutterrecht bei der Abstammung, da nur die Mutter des Kindes bekannt war. Aber mit der Herausbildung einer besitzenden herrschenden Klasse war es notwendig, eine sichere Methode für die Vererbung von Eigentum zu haben, und das bedeutete die aufgezwungene Treue der Ehefrau, um die Vaterschaft der Kinder eindeutig feststellen zu können. So entwickelte sich die monogame Familie, in der die Heirat die Unterwerfung der Frauen durch die Männer bedeutet, in Engels’ Worten „die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“.
Es ist die Institution der Familie, die Geld in die sexuellen Beziehungen einführt. Ob es sich um die stundenweise Anheuerung einer Prostituierten oder die „Anschaffung“ einer Ehefrau handelt, die Familie und die Unterdrückung der Frau gründen sich immer auf das Privateigentum; im Grunde genommen sind es nur die religiösen Moralvorstellungen und die kapitalistischen Gesetze, die eine Ehefrau von einer Prostituierten unterscheiden. Die angesehenen Sexualwissenschaftler William H. Masters und Virginia E. Johnson, selbst keine Marxisten, kommen zum ähnlichen Schluss: „Es ist schwer, Prostitution genau zu definieren, da Sexualität schon immer dazu benutzt wurde, um in den Besitz von wünschenswert erscheinenden Dingen zu gelangen, ob es sich dabei um Nahrung, Geld, Wertgegenstände oder um Aufstieg und Macht handelt“ (Liebe und Sexualität, 1987).
Gleichzeitig lassen sich Menschen nicht auf die reaktionären religiösen Moralvorstellungen, die mit der Institution Familie Hand in Hand gehen, festlegen, setzen sich über das „korrekte“ sexuelle Benehmen hinweg, stehen im Konflikt zwischen den Zwängen der Klassengesellschaft und intimsten persönlichen Empfindungen und Wünschen. Bei Schwarzers Buchpräsentation wies ein querschnittsgelähmter Mann darauf hin, dass der Besuch von Prostituierten oft der einzige Weg sei, Sexualität zu erleben – worauf Schwarzer ihn zurechtwies, er solle sich doch eine Partnerin suchen! Diese Verachtung gegen jemanden, der in der kapitalistischen Gesellschaft drangsaliert und sozial ausgegrenzt wird, geht Hand in Hand mit Schwarzers Propagierung der glücklichen Kleinfamilie, in der Mann und Frau nur miteinander Sex haben sollen (siehe den Artikel „Hilfe, mein Mann geht ins Bordell“, Schwarzer, a.a.O.). Auch Menschen, die vielleicht „ausgefallenen“ Sex erleben wollen, der vor der Ehefrau, dem Ehemann, dem Umfeld geheim gehalten werden soll, weil er gegen geltende „gute Sitten“ verstößt, wenden sich oft an Prostituierte. Nein, es ist nicht die Prostitution, die „das Begehren brutalisiert“ oder „die Sexualität zerstört“ (Schwarzers „Appell“ bzw. ihr Buch). Es ist die repressive, menschenverachtende Klassengesellschaft.
Wir sind gegen die Kriminalisierung der Prostitution, aber wir sehen Prostitution als einen Bestandteil der Frauenunterdrückung analog der Institution der Familie. In einer klassenlosen Gesellschaft werden kommunale Kinderbetreuung und kommunale Hausarbeit die Rolle der Familie ersetzen und Frauen werden am gesellschaftlichen Leben vollständig teilnehmen können. Geburtenkontrolle und Abtreibung auf Wunsch werden kostenlos sein wie die gesamte Gesundheitsversorgung von hoher Qualität für alle. Erst in einer solchen Gesellschaft wird Sex wirklich frei und einvernehmlich sein können, ohne moralisierende Sittenwächter und brutale Bullenrepression. Der einzige Weg dorthin ist der Sturz des kapitalistischen Systems durch Arbeiterrevolution unter Führung einer leninistisch-trotzkistischen Partei, die Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln und deren Überführung in Gemeinschaftseigentum. Die Befreiung der Prostituierten ist untrennbar verbunden mit der Befreiung der Frau im Allgemeinen; Prostitution wird erst verschwinden, wenn die Institution der Familie ersetzt wird. Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!
Schwarzer, eine bürgerliche Feministin, die im Kapitalismus gut lebt, aber Männer als Feind postuliert (natürlich nicht Bullen, die einer Meinung mit ihr sind), initiierte 1971 die Titelgeschichte des Stern, in der Frauen gegen die Abtreibungsgesetze aufstanden und erklärten: „Wir haben abgetrieben!“. Das war eine gute Aktion; inzwischen ist Schwarzer aber viel mehr bekannt für reaktionäre Hetze gegen Muslime und Hetze gegen den internationalen Frauentag, weil der kommunistischen Ursprungs sei. Sie ist gegen das Prostitutionsgesetz von 2002, ein halbherziger Versuch der damaligen rot-grünen Regierung, das Gesetz zu modernisieren und den mittelalterlichen Begriff der „Sittenwidrigkeit“ loszuwerden. Prostituierte konnten demnach erstmals ihren Lohn einklagen, sind krankenversichert und haben Anspruch auf Sozialleistungen. Das Gesetz bedeutete aber keineswegs eine völlige Entkriminalisierung. Im Gegenteil, sagt der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (in dem z. B. auch Hydra mitarbeitet, Beratungsstelle für Prostituierte), der einen „Appell FÜR Prostitution“ gestartet hat. Darin heißt es: „An den Rechten der Polizei, Prostitutionsstätten jederzeit zu betreten, hat das Gesetz nichts geändert. Die Zahl der Razzien hat seitdem zugenommen“ (sexwork-deutschland.de). Die Gewerkschaft ver.di hat nach 2002 speziell im Fachbereich „besondere Dienstleistungen“ den Arbeitskreis Prostitution gegründet. Aber es ist nicht genug, Musterarbeitsverträge u.ä. vorzulegen. Ver.di ist auch eine der größten Frauenorganisationen in diesem Land, in ihr arbeiten deutsche und eingewanderte Arbeiter oft Hand in Hand. Die integrierten Gewerkschaften müssen sich gegen die Regierungskampagne stellen und an der Spitze der Immigranten und aller Unterdrückten ihre soziale Macht mobilisieren und für volle Staatbürgerrechte für alle kämpfen.
„Linke“ Sittenwächter
Von Schwarzer, deren „Appell“ neben vielen SPDlern auch die CDU- und CSU-Frauenunion unterzeichnete, erstaunt die jetzige Hetze gegen Prostitution nicht. Aber es gibt auch „linke“ Sittenwächter. Die SAV, vergraben in der Linkspartei, veröffentlichte in sozialismus.info (November 2013) einen Artikel von Laura Fitzgerald, Mitglied ihrer irischen Schwesterorganisation („Sexindustrie und Prostitution“). Dort wird zwar postuliert: „Es ist von größter Wichtigkeit, dass kein/e Prostituierte/r durch das Gesetz kriminalisiert wird.“ Aber die SAV ist für ein Gesetz, das jenes von 2002 aufhebt oder zumindest modifiziert: „Trotzdem sollten SozialistInnen gegen die volle Legalisierung der Prostitution sein.“ Nach ein paar Lippenbekenntnissen, dass sie sich über die Brutalität der Polizei als Durchsetzer staatlicher Interessen klar sei, kommt ihre Lösung: „Es ist notwendig, dass alle PolizistInnen verpflichtend an regelmäßigen Schulungstreffen teilnehmen, die sie darin schulen, verständnisvoll mit Opfern und Überlebenden von sexueller Gewalt umzugehen.“ Das ist einfach ein Skandal und eine Verhöhnung der Opfer tagtäglicher Polizeigewalt besonders gegen Immigranten! Die SAV und ihre internationale Organisation KAI sind seit langem bekannt für ihr Bestreben, die Polizei „reformieren“ zu wollen und „bessere Arbeitsbedingungen“ für Bullen zu schaffen (siehe z. B. die Spartakist-Broschüre „Voran/Militant Labour: Rührendes Vertrauen in den bürgerlichen Staat“, 1994). Ihr tiefgehender sozialdemokratischer Reformismus bedeutet eben auch, dass sie grundlegend damit einverstanden ist, dass bürgerliche Normen und „Familienwerte“ durch die Polizei, die bewaffneten Einheiten des bürgerlichen Staates, durchgesetzt werden. Wir stellten die SAV deswegen öfter zur Rede, so im Diskussionsbeitrag einer Genossin bei den SAV-„Sozialismustagen 2004“.
„Sie griff den prüden Moralismus der SAV an und stellte dem unsere marxistische Position entgegen, dass wir gegen staatliche Interventionen in einverständliche sexuelle und andere persönliche Beziehungen sind. Das schließt auch sogenannte Pädophile ein, die wegen Sex mit Minderjährigen, der auf tatsächlichem Einverständnis beruht, das Opfer staatlicher Verfolgung werden. Also Sex bei tatsächlichem Einverständnis im Gegensatz dazu, unter Zwang oder Druck etwas zu tun, was man nicht versteht oder nicht will. SAV-Kader flippten deswegen aus …“ („SAV: Kein Sex, kein Spaß, kein Spartakist!“, Spartakist Nr. 158, Frühjahr 2005).
Ein weiteres unappetitliches Beispiel liefert die MLPD („Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“). Sie posiert zwar immer nachdrücklich als Verteidiger der Frauenrechte, hat aber ebenso nachdrücklich ein reformistisches Programm, was sie dazu bringt, wie die SAV bürgerliche Normen und Moralvorstellungen nicht grundlegend in Frage zu stellen, sondern oft sogar zu propagieren. Sie begrüßt tatsächlich den Emma-Appell: „Zu Recht wird darin die von der Schröder/Fischer-Regierung 2002 beschlossene Legalisierung der Prostitution angeprangert, weil sie deren Verbreitung und dem damit verbundenen internationalen Frauenhandel Tür und Tor geöffnet hat“ („ ,Prostitution abschaffen‘ – brisantes Thema am Tag gegen Gewalt an Frauen“, Rote Fahne, 8. November). Als einen „Beweis“ zitieren sie einen Polizeikommissar! In den USA gibt es ein verwandtes Phänomen, die RCP [„Revolutionäre Kommunistische Partei“], die einen ähnlichen politischen Hintergrund im jeweilig nationalistisch geprägten, sexuell restriktiven stalinistisch/maoistischen Weltbild hat wie die MLPD. RCP-Kultführer Bob Avakian startete einen Kreuzzug gegen den Playboy, gegen Pornografie, gegen Sexshops, gegen den Bestseller 50 Shades of Grey etc. pp. („Church of Avakian Decrees: No Nudes Is Good Nudes“ [Avakians Kirche verkündet: Keine Nackten sind gute Nackte], Workers Vanguard Nr. 1020, 22. März 2013). Das Lachen bleibt hier wirklich im Halse stecken, denn all diese sogenannten „Sozialisten“ und „Kommunisten“ sind damit einverstanden, dass der Staat seine repressiven Werkzeuge noch ausweitet und Frauen, Minderheiten, Immigranten und Jugendliche noch mehr terrorisiert, als es die Bourgeoisie sowieso schon tut!
Aber es gibt auch ein weitverbreitetes gesellschaftliches Unbehagen vor noch mehr Polizeigesetzen. Selbst die konservative Frankfurter Allgemeine schreibt in ihrem Artikel „Tun Sexarbeiterinnen ihre Arbeit gern?“, (19. November): „Gibt es Menschen, die Prostitution wie einen normalen Beruf betrachten? Ja, es gibt sie. Tut ihnen das nicht trotzdem weh, hinterlässt das nicht Schäden? … An der Kasse sitzen, putzen, Leuten irgendwelchen Mist andrehen, bei Douglas oder so, auf stupideste Weise dieses menschenfeindliche kapitalistische Drecksrad am Laufen halten – ist das nicht auch total schädlich für den Kopf? Macht das irgendwer echt freiwillig?“
Wir Marxisten zählen Prostitution zu den „Verbrechen ohne Opfer“, wie etwa Drogeneinnahme, Glücksspiele, Pornografie und „Unzucht mit Minderjährigen“ – Aktivitäten, die unter dem kapitalistischen Recht im Allgemeinen verboten oder streng reguliert sind. In vielen Ländern schreiben „Mündigkeitsgesetze“ Teenagern ein Leben ohne Sex vor, und homosexueller Sex wird besonders verfolgt. Wir sind gegen jede Einmischung der Regierung in das sexuelle Privatleben. Wir sind dafür, dass allein gegenseitiges Einverständnis und beider- oder mehrseitige Zustimmung bei allen sexuellen Handlungen bestimmend sein sollen. Wir wissen aber auch, dass wirklich freie Beziehungen zwischen den Menschen in diesem Klassensystem nicht möglich sind. Erst in einer klassenlosen Gesellschaft existieren keine sozialen „moralischen“ und wirtschaftlichen Zwänge mehr in sexuellen Beziehungen, oder wie Engels es so treffend ausdrückte: „Dann bleibt eben kein andres Motiv mehr als die gegenseitige Zuneigung.“