Spartakist Nr. 201 |
Januar 2014 |
Linke diskutieren revolutionäre Situation 1923 in Deutschland
Falsche Lehren aus der unterlassenen Revolution
Für eine leninistische revolutionäre Arbeiterpartei!
Zum 90. Jahrestag des deutschen Oktobers diskutiert die Linke über die Lehren aus dem Krisenjahr 1923. Nach seiner vernichtenden Niederlage im Ersten Weltkrieg war der deutsche Imperialismus 1922 den Reparationszahlungen des Versailler Raubfriedensvertrages nicht ausreichend nachgekommen, worauf im Januar 1923 französische Truppen das Ruhrgebiet besetzten. Gleichzeitig nahm eine Hyperinflation ihren Lauf. Das kapitalistische System stand kurz vor dem Kollaps und es ergab sich eine außergewöhnlich günstige revolutionäre Gelegenheit, die beste, die es in Deutschland bis heute gab. Aber die Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) unter Heinrich Brandler erwies sich, bestärkt von Stalin und anderen Führern der Kommunistischen Internationale, als unfähig, diese Situation zu nutzen und das kapitalistische System durch eine sozialistische Revolution zu stürzen.
Die Internationale Kommunistische Liga diskutierte die Ereignisse in Deutschland 1923 Ende der 1990er-Jahre anhand von Archivmaterialien. In Spartacist (deutsche Ausgabe) Nr. 22 im Sommer 2001 veröffentlichten wir den Artikel „Zur Wiederbewaffnung des Bolschewismus – Eine trotzkistische Kritik: Deutschland 1923 und die Komintern“ als Beitrag zur theoretischen Rekonstruktion des Geschehens, um künftige Generationen von Revolutionären politisch wieder zu bewaffnen. Die zentrale Lehre hatte der russische Revolutionär Leo Trotzki bereits 1924 in Lehren des Oktober gezogen, wo er die Erfahrungen aus der siegreichen russischen Oktoberrevolution 1917 auf die deutschen Ereignisse anwendete: „Ohne die Partei, unter Umgehung der Partei, durch ein Surrogat der Partei kann die proletarische Revolution nie siegen.“
Im Gegensatz zu Lenins Bolschewiki, die frühzeitig mit den sozialdemokratischen Menschewiki gebrochen hatten, kam es trotz des Verrats der SPD, die mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 offen auf die Seite der eigenen Kapitalistenklasse überging, nicht zu einer Abspaltung der revolutionären Teile der SPD. Die Führer des Spartakusbundes, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, hatten viel Autorität durch ihre revolutionäre Opposition zum imperialistischen Krieg gewonnen – Liebknecht: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ –, doch sie spalteten erst im Dezember 1918 von der im April 1917 gegründeten zentristischen USPD, zu deren Führern Reformisten wie Eduard Bernstein und Karl Kautsky gehörten. Sie waren immer noch Kautskys Konzeption der „Partei der Gesamtklasse“ verhaftet, wonach sich alle Tendenzen in der Arbeiterbewegung, die sich auf den Sozialismus berufen, in einer Partei organisieren sollen. Auch hatten sie mit dem Parlamentarismus der alten SPD nicht entscheidend gebrochen. In der revolutionären Krise nach Kriegsende gab es also keine revolutionäre Partei, die der Arbeiterklasse die notwendige Führung hätte geben können, und revolutionäre Arbeiter schauten noch immer auf die USPD als Führung.
Zum Jahreswechsel 1918/19 gründeten die Spartakisten die KPD, die sofort Zielscheibe des mörderischen Hasses der Bourgeoisie und ihrer SPD-Lakaien in der Regierung wurde. Zehntausende revolutionäre Arbeiter wurden von der von Gustav Noske (SPD) geführten Reichswehr und von konterrevolutionären Freikorps im Verlauf der Niederschlagung zahlreicher Aufstände in den folgenden Jahren niedergemetzelt, und mit der Ermordung von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Leo Jogiches und Eugen Leviné wurde die junge KPD Anfang 1919 geköpft. Die USPD spaltete sich erneut im Oktober 1920, als zwei Drittel ihrer aktiven Mitgliedschaft für den Anschluss an die Kommunistische Internationale stimmten und damit der KPD zum ersten Mal eine wirkliche Massenbasis im Proletariat verschafften. Aber die spätere Geschichte sollte zeigen, wie unvollständig der Bruch der KPD mit Kautskys Zentrismus war, was Programm und Theorie betrifft.
Dies trifft auch auf die Lehren zu, die die Linke heute, mehr als zwanzig Jahre nach der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion und der deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas zieht. Die aus dem stalinistischen Milieu stammende Linke setzt sich hauptsächlich mit dem Hamburger Aufstand Ende Oktober 1923 auseinander, der ausbrach, nachdem die KPD-Führung unter Heinrich Brandler den Aufstand schon abgesagt hatte. Dieser war daher ein zwar heldenhaftes, aber unglückliches Gefecht im revolutionären Jahr 1923. Einerseits wird der Hamburger Aufstand zum Mythos verklärt, um den späteren KPD-Führer Ernst Thälmann herauszuheben. Andererseits dient er den rechten Ideologen der Linkspartei dazu, einfach zu negieren, dass es überhaupt eine revolutionäre Situation in Deutschland gab, und damit auch zu sagen, dass Revolution unmöglich ist und man sich doch besser an die Reform des kapitalistischen Ausbeutersystems, das als die klassenlose „Demokratie“ verklärt wird, machen sollte.
Hoffrogge leugnet revolutionäre Möglichkeit 1923
In die zweite Kategorie gehörte der Vortrag von Ralf Hoffrogge am 28. Oktober in der zur Rosa-Luxemburg-Stiftung der Linkspartei gehörenden Helle Panke e.V. über „Die ausgefallene Revolution: Deutschland 1923“. Ein Team der Spartakisten nahm an dieser Veranstaltung teil. Ralf Hoffrogge ist ein junger linker Historiker, der 2011 dankenswerterweise mitgeholfen hat, dass Richard Müllers Geschichte der Novemberrevolution, ein sehr lesenswertes Buch vom Vorsitzenden der Revolutionären Obleute der Berliner Metallbetriebe, zu einem angemessenen Preis einer breiten Leserschaft wieder zugänglich wurde. Der Vortrag Hoffrogges begann mit der Schilderung des Hamburger Aufstands „von nur 300 Kommunisten“, die Polizeistationen stürmten und Barrikaden errichteten. Mit einer Mitgliedschaft von 14 000 in Hamburg hätte die KPD nicht einmal alle eigenen Mitglieder auf die Beine gebracht, ein gerade stattfindender Streik im Hafen wäre nicht im Mindesten vom Aufstand berührt worden. Als die Polizei einige Tage später zum Gegenschlag ausholte, fand sie verlassene Barrikaden vor, weil die Aufständischen selber die Aussichtslosigkeit ihrer Lage eingesehen hätten. Das wurde dann als negatives Beispiel des leninistischen Konzepts der Avantgarde dargestellt, die als Minderheit einen Aufstand führt, und es wäre „jedes Mal dasselbe“ gewesen: Januar 1919, März 1921 und Oktober 1923. Das ist übrigens haargenau die Karikatur, die Karl Kautsky von den Bolschewiki zeichnete.
Hoffrogge kam nicht umhin, Elemente der Krise von 1923 zu präsentieren, die dem mitdenkenden Zuhörer eigentlich zeigen mussten, wie explosiv die Lage damals war: Die Gewerkschaften hörten auf zu existieren, weil Tarifpolitik bei hundertprozentiger Inflation pro Tag sinnlos wurde und der Gewerkschaftsapparat nicht mehr bezahlt werden konnte. Auch erwähnte er die Kontrollausschüsse, die durch Festsetzung der Preise die Inflation eindämmen sollten, und die Arbeitermilizen, die proletarischen Hundertschaften. Doch immer bemühte sich Hoffrogge, die revolutionäre Bedeutung dieser Elemente zu leugnen oder herunterzuspielen. So umging er, dass mit der Auflösung des Gewerkschaftsapparates das zentrale Kontrollinstrument der SPD-Führung über die Arbeiterbewegung außer Kraft gesetzt war. Kontrollausschüsse und Betriebsräte – hier erwähnte er auch die rapide Zunahme des KPD-Einflusses – stellten Keimzellen für Arbeiterräte, also Doppelmacht dar, doch Hoffrogge redete lieber von der Chemnitzer Konferenz am 21. Oktober, wo die KPD-Führung schmählich vor der SPD kapitulierte. Die proletarischen Hundertschaften waren ein Schritt zur Arbeiterbewaffnung – Hoffrogge aber verwies darauf, dass SPD-Arbeiter mitmachten, die „nur“ gegen den rechten Terror der faschistoiden Schwarzen Reichswehr kämpfen wollten.
Gegen diese reformistische Verballhornung der Geschichte sprachen wir eindringlich und benannten 1923 als revolutionäre Möglichkeit, wo aufgrund der Hyperinflation die SPD in der Luft hing ohne Gewerkschaftsapparat und die KPD massiv an Einfluss gewann. Wenn 1923 keine Revolution möglich war, wird sie niemals möglich sein, denn günstiger geht es nicht. Man muss Deutschland 1923 mit Russland 1917 vergleichen, wie Trotzki es 1924 in den Lehren des Oktober tat. Wir erläuterten den Zusammenhang von Staatskonzeption, Doppelmacht und Aufstand, wo die KPD durch die verschiedenen Linien des Vierten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale zur Arbeiterregierung desorientiert wurde.
Nur wenn man klar versteht, dass der bürgerliche Staatsapparat nicht im Interesse der Arbeiterklasse übernommen werden kann, ist man in der Lage, in einer revolutionären Krise wie 1923 eine Doppelmacht zu entwickeln, wo neben dem bürgerlichen Staat Keime des künftigen proletarischen Staates in Form von Räten (z. B. Betriebsräte, Kontrollausschüsse) und Arbeitermilizen aufgebaut werden. Der Kampf auf Leben und Tod zwischen den Herrschaftsinstrumenten von Bourgeoisie und Proletariat kann und muss unter Führung der revolutionären Partei in einem sozialistischen Aufstand dahingehend gelöst werden, dass der bürgerliche Staat zerschlagen wird und die proletarischen Organe die Macht übernehmen. Das Konzept, bürgerliche parlamentarische Regierungen wie die SPD/KPD-Koalitionen in Sachsen und Thüringen als Schritt zur Arbeiterherrschaft zu preisen, ist dem völlig entgegengesetzt. Wir kämpfen für neue Oktoberrevolutionen weltweit, und daher ist für uns 1923 auch so wichtig.
Der Referent stimmte dem offensichtlich nicht zu und nannte den Vergleich mit 1917 „schematisch“ und unterstellte uns „Putschismus“, denn, so argumentierte er, anders als in Russland hätte es in Deutschland Konsumgenossenschaften und Sparkassen gegeben und damit sei es lächerlich, hier eine Revolution zu versuchen. Tja, die Sparkassen als große Errungenschaften der Sozialdemokratie in Zeiten von einer Hyperinflation, die eine Revolution überflüssig machen!! Absurder geht es nicht, wenn man versteht, dass die Niederlage der Deutschen Revolution ein wichtiger Schritt dahin war, das kapitalistische System aufrechtzuerhalten, das zum Zweiten Weltkrieg sowie zum Völkermord an den europäischen Juden und den Sinti und Roma führte. Die Niederlage bereitete Stalin den Weg für seine politische Konterrevolution 1923/24 in der Sowjetunion. Tief von der Ideologie vom angeblichen „Tod des Kommunismus“ durchdrungen verwunderte es dann auch nicht, dass der Referent der besser nach Karl Kautsky oder Eduard Bernstein benannten Linkspartei-Stiftung erklärte, dass er mit traditionellen Erklärungsmustern wie „Klassen usw.“ nichts zu tun hat.
Gruppe Arbeitermacht auf Kautskys Pfaden
Die pseudotrotzkistische Gruppe Arbeitermacht (GAM) tritt in einem Artikel in der Neuen Internationale vom Oktober 2013 im Vergleich dazu linker auf und geht davon aus, dass es eine revolutionäre Situation in Deutschland gab, und bemerkt kritisch, dass im „Unterschied zu Russland … es jedoch keine in politischer Strategie und Taktik geschulte kommunistische Kaderpartei“ gab. Doch zieht sie keine Lehren aus diesem Versäumnis, sondern sucht nach einem kleineren Übel: „Am ehesten war die zentristische USPD in der Lage, eine wirksame politische Alternative zur Mehrheits-SPD darzustellen. Doch ohne klare revolutionäre Perspektive wurde die führende Rolle der USPD in den Räten bald durch die Realpolitik der SPD untergraben.“
Das ist eine Beschönigung der Rolle der Führung der USPD, die alles andere war als eine halbrevolutionäre Kraft. Der USPD-Führer Hugo Haase hatte bereits beim Kieler Matrosenaufstand 1918 eine völlig versöhnlerische Rolle gespielt, als er dem SPD-„Genossen Noske“ die Führung des Soldatenrates überließ. Noske betrieb sofort die Unterordnung des Soldatenrates unter die verhassten Offiziere, um den Soldatenrat zu liquidieren und die Ordnung wiederherzustellen. Insgesamt richtete sich die Politik der USPD darauf aus, das Rätesystem mit der bürgerlichen Demokratie zu verbinden, was nur zur Unterordnung der Arbeiter- und Soldatenräte unter die bürgerliche Regierung führen konnte. Gerade von dieser Konzeption musste die in großen Teilen revolutionäre Basis der USPD gebrochen werden. Die USPD war das größte ideologische Hindernis auf dem Weg zur sozialistischen Revolution, weil sie gerade revolutionäre Arbeiter daran hinderte, Klarheit darüber zu bekommen, was notwendig ist, um den Kapitalismus zu stürzen.
KPD-Eintritt in Regierungen von Sachsen/Thüringen und die Konzeption der „Arbeiterregierung“
Die KPD-Führung unter Heinrich Brandler ging für lange Zeit nicht von einer revolutionären Situation in Deutschland 1923 aus und ging dann – zwischenzeitlich von der Kommunistischen Internationale vom Gegenteil überzeugt – dennoch nicht daran, den Kampf um die proletarische Macht zu organisieren. Brandler und Co. teilten die von der SPD ererbte falsche Auffassung, der Einfluss der Partei würde in linearer Weise zunehmen. In einer revolutionären Situation ist aber der richtige Zeitpunkt entscheidend, und wenn eine revolutionäre Partei nicht handelt, wird die Bourgeoisie die Kontrolle zurückgewinnen. In Spartacist Nr. 22 schrieben wir dazu:
„Im Wesentlichen setzte die KPD auf die Illusion, dass der linke Flügel der Sozialdemokratie dazu bewegt werden könnte, ein ,revolutionärer‘ Verbündeter zu werden. Kodifiziert wurde diese Strategie in dem Missbrauch der ,Arbeiterregierungs‘losung, die für die KPD schließlich eine andere Bedeutung als die Diktatur des Proletariats angenommen hatte – immer mehr die einer Koalitionsregierung mit der SPD auf bürgerlich-parlamentarischer Grundlage. Das war eine völlig unsinnige, opportunistische Revision des Verständnisses von Lenins und Trotzkis Bolschewiki, dass eine Arbeiterregierung durch den Sturz des bürgerlichen Staatsapparats und die Schmiedung einer neuen auf Arbeiterräten (Sowjets) basierenden Staatsmacht erreicht würde. Der Missbrauch der Arbeiterregierungslosung seitens der KPD wurde von der Komintern unter Sinowjews Führung gutgeheißen; im Oktober 1923 gipfelte dies im Eintritt der KPD in die Koalitionsregierungen mit der SPD in Sachsen und Thüringen. Letzten Endes schmolzen die ,roten Bastionen‘ in Sachsen und Thüringen einfach weg, als sie von der Reichswehr bedroht wurden; der Eintritt der KPD in diese bürgerlichen Landesregierungen war das Vorspiel zum Abblasen des Aufstands, zu dessen Planung die Komintern die Partei gedrängt hatte.“
Trotzki billigte den Eintritt der KPD in die Regierungen von Sachsen und Thüringen, ein offensichtlich opportunistischer Ausrutscher, um in diesen Ländern einen „Exerzierplatz“ für die Revolution zu schaffen. Während die GAM den Eintritt der KPD kritiklos notiert, fügt sie noch hinzu, was der angebliche Zweck dieser Regierungsbeteiligung sein sollte: „Dies sollte zur Bewaffnung der Arbeiter und zur Nutzung dieser Länder als ,Aufmarschgebiet‘ dienen – nicht, um Ministerposten zu ergattern oder Illusionen in ein ,sozialistisches‘ Programm der dortigen Regierungen zu schüren.“ Die Minister, unter ihnen Brandler, taten aber nichts dergleichen, und die „linke“ SPD in Sachsen und Thüringen tat alles, dass dies nicht geschah. Die Historikerin Evelyn Anderson hatte schon 1945 in ihrem Buch Hammer oder Amboss (auf Deutsch 1948 erschienen) die Widersprüchlichkeit der KPD- und KI-Politik aufgezeigt, und dass sie zwangsläufig ins Desaster führen musste:
„Die Position der Kommunisten war offensichtlich absurd. Die Politik, einerseits Regierungsverantwortung zu übernehmen, andererseits eine Revolution vorzubereiten, hob sich gegenseitig auf. Dennoch verfolgten die Kommunisten beide Wege zu gleicher Zeit; die unvermeidliche Folge war ein kompletter Versager.“
Die Reformisten der GAM sehen dies aber nicht so, weil ihre eigene Perspektive immer wieder daran geknüpft ist, die sozialdemokratischen Massenparteien nach „links“ zu drücken und angeblich zum Kämpfen zu bringen, was auch der ganze Sinn der Politik der KPD-Führung war. So schlussfolgert die GAM aus dem Desaster mit einem „weiter so“: „Ebenso hätte die Aufrechterhaltung der Einheitsfront-Orientierung bzw. des Regierungseintritts in Sachsen und Thüringen begleitet werden müssen mit der Warnung vor deren unvermeidlichem Verrat und der klaren Ankündigung, in diesem Fall mit der Einheitsfront zu brechen.“ Eine kapitalistische Regierung ist das Vollzugsorgan der Kapitalistenklasse, und ihr beizutreten hat überhaupt nichts mit einer Einheitsfront zu tun, wo die Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie in der Aktion vereinigt wird – getrennt marschieren, vereint schlagen.
Wie Lenin hervorhob, ist es notwendig, den kapitalistischen Staatsapparat zu zerschlagen durch eine sozialistische Revolution, und dafür kann man nicht ernsthaft argumentieren und die Arbeiterklasse gewinnen, wenn man selber die kapitalistischen Regierungen unterstützt oder gar in sie eintritt. Das Gerede von „der Warnung vor deren unvermeidlichem Verrat und der klaren Ankündigung, in diesem Fall mit der Einheitsfront zu brechen“, ist die Praxis der GAM, mit der sie ihre eigene opportunistische Politik rechtfertigt. Das Desaster der Koalitionspolitik der KPD mit der SPD war aber schon mit dem Eintritt überhaupt gegeben, und die KPD hatte ihre Unterstützung selbst dann nicht beendet, als die sächsische SPD-Regierung im Juni 1923 auf eine Arbeiterdemonstration in Leipzig schießen ließ.
Für eine leninistische revolutionäre Partei!
Es gibt vielerlei Aspekte der Situation im Jahr 1923, auf die wir hier nicht eingehen können, wie die Ruhrbesetzung durch französische Truppen und die revolutionäre Antwort der KPD und KI darauf; die Anpassung der KPD an deutschen Nationalismus; die früheren revolutionären Situationen in Deutschland und die falschen Lehren, die die KPD daraus zog; die Rolle der KI und Stalins, der die KPD zurückhalten wollte. Zu diesen vielfältigen Fragen verweisen wir auf den Spartacist-Artikel.
August Thalheimer, der zweite Mann der KPD-Führung unter Brandler, rechtfertigte die Politik der KPD-Führung in seinem Pamphlet „1923: Eine verpasste Revolution? Die deutsche Oktoberlegende und die wirkliche Geschichte von 1923“. Die Argumentation läuft so, dass es 1923 überhaupt keine revolutionäre Situation gegeben hätte und dies nur eine Fantasie der KI in Moskau gewesen sei. Dies ist die zentrale Rechtfertigung, die auch heutzutage von den Brandlerianern aufrechterhalten wird. So schrieb Harald Jentsch zum 80. Jahrestag von 1923 in Sozialismus über 1923: „Eine Legende wird 80“, und bezog sich dabei insbesondere auf den Hamburger Aufstand, wie es auch Ralf Hoffrogge bei der Veranstaltung der „Helle Panke“ getan hat.
Trotzki ging bei seiner Einschätzung der verhängnisvollen Schwankungen der KPD 1923 niemals davon aus, dass der Herbst den Höhepunkt der Revolution dargestellt habe. Im Herbst war es schon reichlich spät. 1924 schrieb Trotzki in der Einleitung zu The First Five Years of the Communist International [Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale]:
„Es ist wahr, im Monat Oktober kam es in der Politik der Partei zu einem scharfen Bruch. Aber es war bereits zu spät. Im Laufe des Jahres 1923 erkannten die arbeitenden Massen bzw. spürten sie, dass der Augenblick des Entscheidungskampfes näher kam. Sie sahen jedoch bei der Kommunistischen Partei nicht die notwendige Entschlossenheit und das nötige Selbstvertrauen. Und als die Partei mit ihren fieberhaften Vorbereitungen auf einen Aufstand begann, verlor sie sofort das Gleichgewicht und auch ihre Verbindungen zu den Massen.“
Der Bruch der KPD mit der Sozialdemokratie war unvollständig, und die Assimilierung der Lehren der ersten erfolgreichen Arbeiterrevolution, der russischen Oktoberrevolution, ist auch heute wieder verstärkt eine Notwendigkeit. Das ist insbesondere nötig in einer Zeit, wo sich die Linke mit ihren Konzeptionen vermehrt den Traditionen des sozialdemokratischen Klassenverrats zuwendet und den Leninismus als Vorläufer des Stalinismus denunziert.
Unser Kompass bleibt die Oktoberrevolution. Sie zeigte, wie eine revolutionäre, im Proletariat verwurzelte Partei die Arbeitermassen von den reformistischen Klassenverrätern brechen und an die Macht führen kann. Der entscheidende Faktor: die revolutionäre Partei. Das war der Unterschied zwischen Russland 1917 und Deutschland 1923.
Es ist die strategische Aufgabe für Revolutionäre, das Proletariat von der Sozialdemokratie wegzubrechen. Dies wäre 1923 möglich gewesen. Das Hindernis war weder die objektive Situation noch die „Allmacht“ der Sozialdemokratie; es war das Versagen, einen revolutionären Kurs zu verfolgen, besonders während der kritischen Zeitspanne vom Januar bis zum Oktober 1923. Daher stellten sich die programmatischen Schwächen der deutschen Partei – verstärkt statt korrigiert durch die Komintern, deren Degenerierung schon eingesetzt hatte – als entscheidend heraus. Deutschland 1923 ist der klare Beweis dafür, dass die Arbeiterklasse, um das kapitalistische Ausbeutungssystem zu zerschlagen, eine leninistische Avantgardepartei braucht, die in der Lage ist, die Mehrheit der Arbeiterklasse zu organisieren und in einer sozialistischen Revolution an die Macht zu führen.