Spartakist Nr. 198 |
Mai 2013 |
Spartakist-Jugend
Für eine klassenkämpferische Perspektive gegen Bildungsabbau!
FU Berlin: Neue RSPO verschärft Studienbedingungen
Weg mit der kapitalistischen Uni-Administration! Unis unter die Kontrolle von allen, die dort arbeiten und studieren!
Das nachfolgende Flugblatt wurde am 13. April von der Spartakist-Jugend veröffentlicht.
Am 20. März hat der Akademische Senat (AS) der Freien Universität Berlin mit großer Mehrheit die Einführung einer neuen „Rahmenstudien- und -prüfungsordnung“ (RSPO) beschlossen, gegen die rund ein Jahr lang studentische Proteste organisiert wurden. Sie soll diverse landesweite Gesetzesänderungen auch an der FU umsetzen, die noch vom mittlerweile abgewählten SPD/Linkspartei-Senat stammen. Die neue RSPO bedeutet eine weitere Verschärfung der Studienbedingungen: Beispielsweise gibt es an der FU (im Gegensatz zu TU und HU) bisher kein Limit für Prüfungswiederholungen. In Zukunft sollen auch FU-Studenten nach 2–3 Wiederholungen exmatrikuliert werden, statt wie bisher einfach den Kurs nochmal belegen zu müssen. Danach wären ihnen alle Studiengänge, die das entsprechende Modul auch enthalten, deutschlandweit versperrt. Außerdem soll die Anwesenheitspflicht restriktiver und das Studium weiter verdichtet werden. Dies ist eine Fortsetzung des sogenannten Bologna-Prozesses, der offiziell einen einheitlichen europäischen Hochschulraum schaffen sollte, sich in der Realität aber hauptsächlich durch Verschulung des Studiums bemerkbar gemacht hat. Um den Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat das Präsidium lange Übergangsfristen in den RSPO-Entwurf eingebaut, so dass aktuelle Studierende wohl nicht mehr von den neuen Regelungen betroffen sein werden – frei nach dem Motto „teile und herrsche“.
Allein auf Tricks wollten sich Präsidium und AS-Mehrheit dann doch nicht verlassen und sie beantworteten die Proteste mit Repression: Bei der AS-Sitzung am 23. Januar ließ das Präsidium den Henry-Ford-Bau vom FU-Sicherheitsdienst verbarrikadieren und zog etwa 50 Bullen dazu, um den Studierenden den Zutritt zur eigentlich öffentlichen AS-Sitzung zu verwehren und so endlich „in Ruhe“ einen Teil der RSPO abstimmen zu können. Zwei Studierende wurden festgenommen, u. a. wegen angeblicher „Vermummung“ – für das Tragen eines Schals angesichts von Minustemperaturen! Am 13. Februar wurde die Sitzung an einen – zunächst – geheimen Ort außerhalb Berlins verlegt, um größere Proteste unmöglich zu machen. Als einige Studierende es doch bis nach Teltow schafften, um zur (eigentlich öffentlichen) Sitzung vorzudringen, wurden sie vom eigens aufgestockten Sicherheitsdienst der FU physisch angegriffen und mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs überzogen. Bei der Sondersitzung am 20. März – mitten in der vorlesungsfreien Zeit – wurde die RSPO dann letztlich beschlossen, unter dem Schutz von etwa 20 schwarzgekleideten Sicherheitsleuten. Weg mit allen Verfahren gegen protestierende Studenten! Polizei und Sicherheitsleute runter vom Campus!
Die Spartakist-Jugend beteiligte sich an den Protesten gegen die neue RSPO, genauso wie wir uns an anderen Kämpfen gegen Bildungsabbau und Sozialkahlschlag beteiligen – z. B. die Streiks der Lehrer und des öffentlichen Dienstes Anfang des Jahres –, und trat für deren Ausweitung ein. Jedwede Verbesserung, die innerhalb des gegenwärtigen Systems erkämpft wird, kann auch wieder rückgängig gemacht werden, solange der Kapitalismus bestehen bleibt. Deshalb intervenieren wir in soziale Kämpfe mit unserem vollen kommunistischen Programm und lehnen „Ein-Punkt-Politik“ ab. So streben wir danach, das politische Bewusstsein der Beteiligten zu erhöhen und sie zu der Perspektive zu gewinnen, das ganze kapitalistische System zu überwinden.
Ein Blick nach Südeuropa zeigt ganz deutlich, dass das kapitalistische System einzig und allein den Interessen der Herrschenden dient: Die Banken werden gerettet, während die imperialistische EU die Kosten der Krise auf die Arbeiter und Armen abwälzt. So ist die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien offiziell auf über 55 Prozent gestiegen, während das Spardiktat der Troika in Griechenland inzwischen dazu geführt hat, dass 60 Prozent der Jugendlichen ohne Job sind. Viele müssen deshalb ihre Heimat verlassen. Die EU ist ein Bündnis der europäischen Imperialisten (zentral Deutschland und Frankreich), damit sie einerseits die europäische Peripherie effektiver ausbeuten und andererseits mit ihren internationalen Rivalen (v. a. USA und Japan) besser konkurrieren können. Die konterrevolutionäre Zerstörung des deformierten Arbeiterstaats DDR 1990 und vor allem des degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion 1991/92 hat die Rivalitäten zwischen den einzelnen imperialistischen Mächten, die zeitweilig dem gemeinsamen Antisowjetismus untergeordnet waren, wieder auflodern lassen. In diesem Zusammenhang sind auch die immer weiter fortschreitenden Verschlechterungen im Bildungssystem und die allgegenwärtigen Angriffe auf Sozialleistungen zu verstehen – der „Sozialstaat“ hat seine Schuldigkeit getan: Das Gegengewicht zu den Errungenschaften des Sowjetblocks (in der DDR z.B. Vollbeschäftigung, keine Obdachlosigkeit, Ausbildungsplätze für alle Schulabgänger, weitgehende Frauenrechte…) ist heute in den Augen der Kapitalisten nichts als überflüssige Unkosten. Nieder mit der imperialistischen EU!
Studentische Kämpfe haben in der Vergangenheit immer wieder größere soziale Kämpfe entfacht. Aber um die kapitalistischen Angriffe zurückzuschlagen, ist soziale Macht notwendig. Studierende haben keine unmittelbare Beziehung zu den Produktionsmitteln und es fehlt ihnen daher die soziale Macht, die nur die Arbeiterklasse entfalten kann, indem sie ihre Arbeitskraft verweigert. So kann sie das ganze kapitalistische System lahm legen und letztlich auch stürzen – eine potenzielle Macht, die auch den Kämpfen gegen Bildungsabbau zum Sieg verhelfen kann. Dies ist im ureigenen Interesse der Arbeiter: Es sind vor allem ihre Kinder, die als erste vom Bildungskahlschlag betroffen sind. Im Kapitalismus ist das Bildungssystem ein Instrument zur Herrschaftssicherung: Es soll einerseits eine Masse gefügiger Arbeiter schaffen. Andererseits dienen die Unis im Kapitalismus als Kaderschmiede der Bourgeoisie – um die künftigen Eliten hervorzubringen, die Staat und Unternehmen verwalten. Die soziale Selektion ist im deutschen Bildungswesen besonders eklatant: Kindern aus Arbeiterfamilien und ethnischen Minderheiten wird der Zugang zu höherer Bildung durch diskriminierende Mechanismen wie das mehrgliedrige Schulsystem (ganz zu schweigen vom Notensystem) und Numerus Clausus systematisch erschwert. Für offenen Zugang zur Universität mit einem staatlich bezahlten Stipendium für alle!
Keine Illusionen in einen „Dialog“ mit der Uni-Administration!
Die Proteste gegen die neue RSPO waren geprägt von vagen Forderungen nach Demokratisierung, mehr Mitbestimmung für die Studierenden und einer wirklich „freien“ Freien Universität. Bis zum Schluss appellierten Beteiligte des Bildungsprotest-Plenums an Präsidium und AS, Kompromissbereitschaft zu zeigen und in einen „Dialog“ einzusteigen. Es wurde sogar ein detaillierter Alternativentwurf zur RSPO geschrieben. Ohne eine breitere, revolutionäre Perspektive mussten sich die Proteste darauf beschränken, eine Lösung innerhalb des kapitalistischen Systems zu suchen. So hieß es beispielsweise im „Gesprächsangebot“ des Bildungsprotest-Plenums vom 12. Februar an den AS:
„Wir gehen aber davon aus, dass ein ernsthafter und ehrlicher Veränderungsprozess möglich ist. Wir gehen davon aus, dass Ihnen [der AS-Mehrheit], ebenso wie uns, nicht an einer unbegrenzten Fortsetzung des aktuellen Konflikts gelegen ist. Verstehen Sie daher unser Angebot als Chance, die verhärteten Fronten zu durchbrechen und eine Lösung für diese verfahrene Situation zu suchen.“
Dieses „Gesprächsangebot“ war eine Aufforderung, die Proteste zu Tode zu kuscheln, denn „Demokratisierung“ ist durchaus eine von vielen möglichen Strategien der Herrschenden, mit Opposition umzugehen. So gibt es deutsche Hochschulen, wo es vergleichsweise mehr Mitbestimmung für die Studierenden gibt. Ihr Zweck bleibt, Menschen für den Kapitalismus abzurichten. Der Ruf nach „Mitbestimmung“ bedeutete in diesem Fall, sich ganz „selbstbestimmt“ die eigenen RSPO-Fesseln zu schmieden. Es ist auch überhaupt keine Neuigkeit, dass die Uni-Administration kein Freund der Studierenden ist: Wir möchten daran erinnern, wie bereitwillig das Präsidialamt Ende 2001 die Daten von Kommilitonen aus 28 überwiegend muslimischen Ländern dem Landeskriminalamt übergeben hatte, um den rassistischen „Krieg gegen Terror“ der damaligen SPD/Grünen-Regierung zu unterstützen.
Die Aktivisten von „Waffen der Kritik“, einer Uni-Frontgruppe der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO), bemühten sich, als der linke Flügel des Möglichen aufzutreten. In Waffen der Kritik (27. Januar) wird korrekt argumentiert: „Deshalb kann die einzig logische Konsequenz für die Studierenden darin bestehen, jegliches Vertrauen in eine ,Verhandlungslösung‘ zu begraben und stattdessen die Machtstrukturen an der Universität offensiv zu konfrontieren: Nieder mit dem Präsidium!“ Das hinderte die RIO-Unterstützer aber nicht daran, die völlig liberalen Flyer des Bildungsprotest-Plenums zu verteilen, in denen das Präsidium dafür kritisiert wurde, sich dem „Minimalkompromiss“ der Einrichtung eines „RSPO-Vermittlungsausschusses“ zu verweigern, und in denen außerdem „wirklich demokratische Strukturen an der ,F‘U“ sowie der „Rücktritt dieses Präsidiums, mit dem solche Reformen ausgeschlossen scheinen“, gefordert wurden („Strg +Alt+Entfernen“, undatiert). So halfen sie, Illusionen in bürgerliche Demokratie zu verbreiten.
Ganz im Sinne des „Mehr-Demokratie“-Tenors bezog sich die Hauptkritik von RIO an den Protesten nicht auf deren kleinbürgerliche Politik, sondern auf einen Mangel an demokratischer Legitimation. So drängten sie darauf, eine studentische Vollversammlung zu organisieren, „die eine breite Masse an Studierenden in den Protest einbezieht und ein konkretes Mandat für die Blockade des Senats“ entwickeln sollte (Waffen der Kritik, 27. Januar). Bei einer dann im Wesentlichen von RIO organisierten „Voll“versammlung (es kamen knapp 30 Leute) am 13. Februar führte ein RIO-Sprecher dann aus, was sie mit „Demokratisierung“ konkret meinen: An der FU müsse es eine „Massendemokratie“ nach dem Prinzip „ein Mensch, eine Stimme“ geben. Allen schönen Worten wie „Studierende und Beschäftigte gemeinsam“ zum Trotz würde das lediglich bedeuten, wenige Tausend FU-Beschäftigte in einem Meer von 35 000 kleinbürgerlichen Studierenden untergehen zu lassen. Das würde die Marginalisierung der Uniarbeiter bedeuten und ist der Perspektive entgegengesetzt, ein Bündnis von Studierenden mit der sozialen Macht der Arbeiterklasse zu schmieden.
Die Illusionen, das bestehende System reformieren zu können, beschränken sich nicht auf den Hochschulbetrieb. In Berlin hat die Linkspartei, trotz der noch frischen Erinnerungen an die Kahlschlagpolitik des SPD/LINKE-Senats, einen gewissen Ruf als Freund der Studierenden, weil die Berliner PDS-Basis auf dem Landesparteitag 2004 die „Studienkonten“ (de facto Studiengebühren) kippte. Allerdings nutzten SPD und PDS den darauf folgenden Abbruch der Proteste, um die geplanten Sparmaßnahmen durch Kürzungen in Höhe von 90 Millionen Euro bei Hochschulen ohne nennenswerten Widerstand durchzusetzen. SPD und Linkspartei sind bürgerliche Arbeiterparteien – mit einer Basis in der Arbeiterklasse durch ihren Einfluss in den Gewerkschaften, aber einer Führung, die dem Kapitalismus verpflichtet ist. Somit sind sie manchmal besser geeignet für die Bourgeoisie, unpopuläre Maßnahmen umzusetzen. Gruppen wie RIO rufen immer wieder zur Wahl der Linkspartei auf, obwohl diese zehn Jahre lang als Teil des Berliner Senats (genau wie in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg) die bundesweite Speerspitze von Sozialkahlschlag gebildet hat. So helfen sie, die Risse zu kitten, die zwischen Linksparteiführung und -basis entstehen. Marxisten streben hingegen danach, diese Risse zu vertiefen und die Arbeiterbasis von ihrer sozialdemokratischen Führung zu spalten, um sie für den Aufbau einer revolutionären, multiethnischen Arbeiterpartei zu gewinnen, die gegen jede Unterdrückung kämpft.
Wenn selbst die grundlegendsten Forderungen wie „kostenlose Bildung für alle auf höchstem Niveau“ bereits an die engen Grenzen des Profitsystems stoßen, wird klar, dass der Kapitalismus die Bedürfnisse der Menschheit nach wie vor nicht befriedigen kann. Deshalb sind wir der Meinung, dass der Kapitalismus weltweit durch sozialistische Revolution gestürzt werden muss – dass Wirtschaft und Gesellschaft unter der Kontrolle von Arbeiterräten planmäßig reorganisiert werden müssen. In diesem Sinne fordern wir auch, die Unis unter die Kontrolle von all jenen zu stellen, die dort arbeiten, lehren und studieren. Nur auf dieser Grundlage kann es auch gute und freie Bildung für alle geben. Für eine klassenkämpferische Perspektive gegen Bildungsabbau und Sozialraub!