Spartakist Nr. 197

März 2013

 

Sie half, das Komplott gegen Mumia Abu-Jamal aufzudecken

Die Memoiren von Veronica Jones

„Als ich Anfang 2007 zwei Monate lang im Koma lag, konnte ich die Stimmen um mich herum hören… Ich wusste nur, dass ich leben wollte. Ich wollte nicht sterben, nicht so. Es gab noch so vieles, was ich tun und sagen wollte und seit Jahren schon hatte sagen wollen.“

Veronica Jones lebte noch weitere drei Jahre, und bevor sie 2009 im Alter von 48 Jahren starb, kam sie in einer Autobiografie zu Wort, die sie ihrer Schwester Valerie erzählte und die Anfang 2012 posthum erschien. Veronica and the Case of Mumia Abu-Jamal (Veronica und der Fall Mumia Abu-Jamal) ist die fesselnde Geschichte einer zwanzigjährigen Gelegenheitsprostituierten und Mutter von drei Kindern, die am 9. Dezember 1982 Augenzeugin am Tatort des Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner in Philadelphia gewesen war. Dies war der Mord, für den Mumia Abu-Jamal, ein ehemaliger Sprecher der Black Panther Party, ein MOVE-Unterstützer und gefeierter Journalist, zu Unrecht angeklagt und zum Tode verurteilt wurde.

Jones’ persönliche Geschichte entkräftet einen Großteil des Kerns der abgekarteten rassistischen Anklage und des jahrzehntelangen Komplotts, Mumia, einen unschuldigen Mann, legal zu lynchen oder diesen Kämpfer für die Unterdrückten den Rest seines Lebens in der Hölle hinter Gittern zu halten. Einige Tage nach dem Mord an Faulkner sagte Jones vor der Polizei aus, sie habe zwei Schwarze vom Tatort flüchten sehen. Keiner der beiden konnte Mumia Abu-Jamal gewesen sein, den man auf dem Bürgersteig vorfand, zusammengebrochen mit einer heftig blutenden Schusswunde, die von einer Polizeiwaffe stammte. Jones’ Aussage über zwei flüchtende Männer wäre für die Darstellung des Tathergangs durch die Staatsanwaltschaft vernichtend gewesen, wonach Mumia derjenige „sein musste“, der Faulkner erschossen hat, weil sich außer Mumia und seinem Bruder William Cook an der Straßenecke bei Faulkner sonst niemand aufgehalten habe. Doch in Mumias Prozess 1982 widerrief Jones ihre Aussage nach heftiger Einschüchterung durch die Polizei von Philadelphia und versetzte so seiner Verteidigung einen Schlag. Obgleich mehrere Zeugen einen oder mehrere schwarze Männer vom Tatort hatten flüchten sehen, wurden Mumias Geschworenen fast alle diese Zeugenaussagen vorenthalten.

Doch 14 Jahre später trat Jones bei einer Wiederaufnahmeanhörung hervor und bot den Anklägern, den Bullen und dem „Henker-Richter“ Albert Sabo die Stirn, indem sie erklärte, wie sie von den Bullen dazu gezwungen worden war, bei dem Prozess von 1982 zu lügen. Zur Vergeltung ließen Sabo und die Ankläger sie aus dem Zeugenstand heraus verhaften und aufgrund eines mehr als zwei Jahre alten richterlichen Haftbefehls aus New Jersey (wegen angeblich versuchten Scheckbetrugs!) ins Gefängnis stecken. Furchtlos ließ Jones Sabos Gericht wissen: „Sie glauben wohl, dass mich das dazu bringt, meine Aussage zu ändern. Das tut es nicht!“ Als sie nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis zur Anhörung zurückkehrte, setzte sich Jones demonstrativ zu Mumias Unterstützern.

In ihrer Aussage bei der Wiederaufnahmeanhörung von 1996 enthüllte Jones, wie sie wenige Tage vor Mumias Prozess von zwei Kriminalbeamten im Gefängnis Besuch erhielt, wo sie aufgrund einer Raubanklage festgehalten wurde. In ihrem Buch beschreibt sie, wie sich die sadistischen Bullen über ihre Bitte, zur Toilette gehen zu dürfen, lustig machten und sie dazu zwangen, sich in die Hose zu machen. Die Bullen drohten Jones mit einer langen Gefängnisstrafe wegen Waffenbesitzes, wenn sie nicht mitspielen würde, und fügten hinzu, dass man ihr die drei Töchter wegnehmen und in ein Erziehungsheim stecken würde. Sie erinnert sich, wie ein „Kriminalbeamter bis auf wenige Zentimeter vor mein Gesicht herantrat, mir dabei, ohne den Blick von mir abzuwenden, die ganze Zeit direkt in die Augen starrte und mit unbewegter Miene sagte: ,Wir wollen, dass Sie vor Gericht aussagen, dass Mumia Abu-Jamal diejenige Person ist, die Officer Faulkner erschossen hat, und wir werden diese fünf bis fünfzehn Jahre Haft verschwinden lassen.‘ “

Im Prozess weigerte sich Jones, Mumia zu beschuldigen, zog aber ihre anfängliche Aussage zurück, sie habe nach der Schießerei zwei Männer flüchten sehen. Was sie aber sagte, war, dass die Bullen ihr dasselbe Geschäft angeboten hatten wie der Prostituierten Cynthia White – dass sie als Gegenleistung für ihre Aussage, dass Mumia den Polizisten Faulkner erschossen habe, ohne Schikanen durch die Bullen auf den Strich gehen könne. Diese Aussage hätte die abgekartete Anklage in Stücke reißen können, und aus diesem Grunde wurde sie von Richter Sabo als „nicht relevant“ unterdrückt.

Der Druck, der auf Jones ausgeübt wurde, damit sie Whites Falschaussagen bestätigte, unterstreicht, auf welch unsicheren Beinen die Anklage stand. Bullen und Staatsanwaltschaft ließen Beweise verschwinden, die Mumia entlasten, und fabrizierten gefälschte „Beweise“ wie ein angebliches Geständnis, das Mumia gemacht haben soll, als er kurz nach der Schießerei halbtot darniederlag – eine Geschichte, die von Staatsanwaltschaft und Bullen zwei Monate nach Faulkners Ermordung ausgeheckt worden war. White, die Hauptzeugin der Anklage, war die einzige, die bezeugte, Mumia mit der Waffe in der Hand gesehen zu haben. Kein anderer Zeuge erinnerte sich daran, sie damals überhaupt in der Gegend gesehen zu haben. In den Monaten vor dem Prozess änderte White ihren Augenzeugenbericht mehrfach. Ein Grund für die Bullen, auf Jones heftigen Druck auszuüben, war ihre Furcht, White könnte vor Gericht nicht bei ihrer erfundenen Geschichte bleiben. (Eine ausführlichere Darstellung und Dokumentation des Komplotts gegen Mumia enthält die Broschüre des Komitees für soziale Verteidigung vom Dezember 2006: Der Kampf für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal – Mumia ist unschuldig! Das KfsV ist die deutsche Schwesterorganisation des amerikanischen Partisan Defense Committee, PDC.)

Die spannendste neue Enthüllung in Jones’ Buch ist, dass sie vor der Schießerei eine Zeit lang mit Faulkner Sex hatte. In früheren Aussagen stellte Jones klar, dass sie Faulkner kannte und dass er ihr geholfen hatte. Jones erzählt in ihrem Buch, wie Faulkner ihr eines Nachts beistand, nachdem sie von zwei anderen Bullen aus Philadelphia brutal vergewaltigt und ausgeraubt worden war, und erinnert sich: „Er schien nicht erstaunt, als ich ihm erzählte, was in der Nacht geschehen war.“ Ihren Memoiren zufolge hatten sie auch in der Nacht Sex, in der Faulkner erschossen wurde, und er habe sich in einer merkwürdigen Stimmung befunden, als ob „dort draußen etwas sehr Geheimes im Gange“ wäre.

Jones’ Darstellung von Faulkners Gemütsverfassung passt zu der Zustandsbeschreibung im späteren Geständnis von Arnold Beverly, dass er und nicht Mumia Faulkner getötet habe. Beverlys eidesstattliche Erklärung von 1999 (eines der Dokumente in der KfsV-Broschüre) legt dar, wie er und ein anderer Mann für die Tat angeheuert wurden, weil Faulkner „ein Problem für den Mob [Mafia] und korrupte Polizisten“ sei, denn „er störte bei den Schmier- und Bestechungsgeldern, mit denen erkauft wurde, dass illegale Aktivitäten wie Prostitution, Glücksspiel und Drogen im Stadtzentrum nicht strafrechtlich verfolgt wurden“.

Veronica Jones blieb bis zu ihrem Tod eine sichtbare Unterstützerin des Kampfes für die Freiheit Mumia Abu-Jamals, und dafür zahlte sie einen hohen Preis. „Sie war entschlossen die ganze Geschichte zu erzählen“, schreibt Valerie Jones in der Einleitung des Buches, „für sich selbst, für ihre Familie und vor allem für einen unschuldigen Mann in der Todeszelle. Sie glaubte genauso wie ich, dass Mumia Abu-Jamal sich nichts hat zuschulden kommen lassen, außer diese Nacht überlebt zu haben, und was sie selbst erlebt hat, sagte ihr, dass dies ein absichtliches Polizeikomplott war.“ Das Buch schließt: „Die Entschlossenheit des Staates, Mumia hinzurichten, beeinflusste Veronicas gesamtes Erwachsenenleben.“ Das Buch enthält ein Vorwort von Mumia und ein juristisches Nachwort von Rachel Wolkenstein, einer ehemaligen PDC-Anwältin, die Ende der 1990er-Jahre zu Mumias Verteidigerteam gehörte und ihm weiterhin Rechtsbeistand leistet.

Im Jahre 2011, zehn Jahre nach der Entscheidung eines Bundesrichters, die Todesstrafe aufzuheben, gab die Staatsanwaltschaft von Philadelphia bekannt, sie würde keinen Versuch unternehmen, die Todesstrafe wieder in Kraft zu setzen. Mumia, der keinen einzigen Tag im Gefängnis hätte verbringen dürfen, ist nun lebendig im Knast begraben, ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung. Es gibt keine Gerechtigkeit vor den kapitalistischen Gerichten! Seit wir 1987 Mumias Fall erstmals aufgriffen, haben die Spartacist League und das PDC jede mögliche rechtliche Aktion gegen das Komplott befürwortet, gleichzeitig aber betont, dass Kämpfer für Mumias Freiheit auf die Macht von Massenprotesten setzen müssen, die sich auf die Gewerkschaften stützen. Es wird eine Arbeiterrevolution nötig sein, um das Großgefängnis zu zerschlagen, das der rassistische amerikanische Kapitalismus darstellt, und einer egalitären, sozialistischen Gesellschaft den Weg zu ebnen. Der zukünftige amerikanische Arbeiterstaat wird das Andenken von Veronica Jones für ihre mutige Unbeugsamkeit gegenüber den Henkern in schwarzen Roben in Ehren halten.

Übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 1014, 7. Dezember 2012