Spartakist Nr. 197 |
März 2013 |
Nicht Kompromiss, sondern Bürgerkrieg zerschlug die Sklaverei
Lincoln
Filmrezension von Jacob Zorn
Der nachfolgende Artikel ist übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 1015, 11. Januar, Zeitung unserer Genossen der Spartacist League/U.S.
Lincoln, der neue Film von Steven Spielberg nach einem Drehbuch von Tony Kushner, beginnt mit einer Schlachtszene, die den Mut der schwarzen Soldaten hervorhebt, von denen 200 000 im Amerikanischen Bürgerkrieg kämpften. Man sieht zwei von ihnen, wie sie mit Präsident Lincoln sprechen und die rassistischen Regelungen der Nordstaaten-Armee (Unionsarmee) kritisieren, Schwarzen weniger zu bezahlen als Weißen und ihnen die Offizierslaufbahn zu verweigern. Einer der Soldaten fragt sich, ob Schwarze in hundert Jahren das Wahlrecht haben werden. In dieser Sequenz deutet sich die entscheidende Rolle an, die schwarze Soldaten in dem bewaffneten Kampf spielten, durch den die Macht der Sklavenhalterherrschaft im Süden gebrochen wurde; doch dann schlägt der Film einen ganz anderen Weg ein.
Es wird vermittelt, die Abschaffung der Sklaverei sei einfach das Ergebnis einer ganzen Reihe parlamentarischer Manöver des weisen und cleveren Lincoln, der das Repräsentantenhaus Anfang 1865 zur Annahme des Dreizehnten Zusatzartikels der US-Verfassung bewog, mit dem die Sklaverei abgeschafft wurde. Dabei zeichnet der Film ein verzerrtes Bild sowohl von der Bedeutung des Zusatzartikels als auch von der Rolle der Abolitionisten [Gegner der Sklaverei, „abolish“ bedeutet „abschaffen“], die damals und schon Jahrzehnte vorher die wesentliche Kraft waren, die auf ein Ende der Sklaverei drängte.
Man muss dem Film zugutehalten, dass er ohne Umschweife zeigt, dass es beim Bürgerkrieg um Sklaverei ging und dass es Lincoln mit all seinen Widersprüchen und Stärken nicht nur darum ging, den Krieg zu gewinnen, sondern die Herrschaft der Sklavenhalter in den Südstaaten zu zerschlagen. Zum Teil basiert der Film auf einem Kapitel aus Team of Rivals, The Political Genius of Abraham Lincoln (2005) von Doris Kearns Goodwin. Während andere Historiker – insbesondere James McPherson, Autor des Klassikers Für die Freiheit sterben. Die Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges (englische Originalausgabe 1988), und Eric Foner – ein tiefergehendes Verständnis der sozialen und politischen Kräfte bieten, die im Bürgerkrieg operierten, hebt Goodwins Buch hervor, welche Rolle Lincolns politisches Genie und seine geschickte Führung dabei spielten, den Norden zum Sieg zu führen.
Die Eröffnungsszene ist so inszeniert, dass man den falschen Eindruck bekommt, Rassenunterdrückung sei ein längst überwundenes Relikt der Vergangenheit. Das kaum versteckte Ziel des Films ist es, Präsident Obama zu preisen und zu betonen, dass er, angeblich wie Lincoln, „von beiden Parteien getragene“ Kompromisse mit seinen Gegnern finden sollte. Weitergedacht heißt das, die linken Kritiker des Präsidenten sollen ihn doch bitte in Ruhe lassen. In einem Interview beim Radiosender NPR schwärmte Kushner, was für ein toller Präsident Barack Obama doch sei und was für ein „Segen“ es sei, die „Obama-Jahre durch eine Lincoln-Brille“ zu sehen. Anschließend ließ sich Kushner über die Vorzüge von Kompromiss und Kuhhandel aus. Den meisten bürgerlichen Kommentatoren des Films ist diese Botschaft nicht entgangen, wie eine Überschrift der L. A. Times (28. November 2012) zeigt: „Gouverneur Jerry Brown kann sich von ,Lincoln‘ eine Scheibe abschneiden“.
Lincoln hat schon einigen Unterhaltungswert, gerade angesichts der hervorragenden Schauspielerleistung von Daniel Day-Lewis (als Lincoln) und Tommy Lee Jones (als Thaddeus Stevens, republikanischer Kongressabgeordneter Philadelphias und Abolitionist). Wenn der enge Blickwinkel der Handlung das einzige Problem des Films wäre, könnte das teilweise ausgeglichen werden, indem man dazu den großartigen Film Glory anschaut. Glory, ein inspirierendes Porträt der schwarzen Soldaten des 54. Regiments von Massachusetts, vermittelt auf eine Weise, wie man sie bei Lincoln nicht zu sehen bekommt, einen Eindruck davon, was für den Sieg der Union notwendig war.
Die Hauptschwäche von Lincoln ist aber, dass der Film beim Versuch, die Lincoln-Jahre durch die Obama-Brille zu betrachten, die Geschichte verfälscht. Barack Obama ist der Oberkommandierende eines kapitalistischen Systems, das sich längst in seiner Epoche des imperialistischen Verfalls befindet. Der Bürgerkrieg war die letzte große fortschrittliche Tat der amerikanischen Bourgeoisie. Um die Festigung des industriellen Kapitalismus voranzutreiben in einer Zeit, als die Ausbeutung freier Arbeit einen historischen Fortschritt darstellte, war der Norden gezwungen, das System der Sklaverei im Süden zu zerstören. Heute hat der rassistische US-Imperialismus schon eine mehr als hundertjährige Geschichte von Plünderei und Krieg in der ganzen Welt hinter sich, beutet im In- und Ausland brutal Arbeiter aus und hemmt gleichzeitig qualitativ weitergehende soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Die kapitalistischen Herrscher Amerikas sind der Hauptfeind der arbeitenden und unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt.
Es wäre eine gute Sache, wenn Lincoln bei seinen Zuschauern Interesse am Bürgerkrieg hervorruft. Doch muss klar sein, dass der Film die Tatsache verschleiert, dass nur eine soziale Revolution die Sklaverei ausmerzen konnte, indem sie alle Hindernisse zerschlug. Aus dem gleichen Grund wird eine vom Proletariat und seinen Verbündeten erkämpfte sozialistische Revolution nötig sein, um die kapitalistische Lohnsklaverei zu beseitigen.
Der Dreizehnte Zusatzartikel
Ursprung des Dreizehnten Zusatzartikels zur US-Verfassung ist eine Petitionskampagne von Suffragetten (Frauenrechts-Aktivistinnen), die gegen Sklaverei waren, Anfang 1864. Er besagt: „Weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit darf, außer als Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist, in den Vereinigten Staaten oder in irgendeinem Gebiet unter ihrer Gesetzeshoheit bestehen.“ Der Dreizehnte Zusatzartikel schrieb das Ende der Sklaverei fest. Lincoln bestand darauf, dass seine Generäle die gegnerischen Konföderiertenarmeen zerschlagen sollten – dies und nicht sein Streben nach einer „beidseitig getragenen Lösung“ bereitete den Weg zur Verabschiedung des Zusatzartikels.
Im Juli 1862, als Sklaven von den Südstaaten-Plantagen flohen und hinter den Linien der Unionsarmee die Freiheit suchten, genehmigte der Kongress die „Beschlagnahme“ – d. h. Befreiung – der Sklaven der Konföderierten. Im Januar 1863 veröffentlichte Lincoln die Emanzipations-Proklamation, die er im vorangegangenen September entworfen hatte. Sie verkündete, dass Sklaven in den von Konföderierten kontrollierten Gebieten „dann, fortan, und für immer frei“ sein sollten. Mit der Proklamation wurde der Krieg offen zu einer sozialen Revolution zur Befreiung einer unterdrückten Klasse, der Sklaven, und zur Zerstörung einer Unterdrückerklasse, der Sklavenhalter. Mit der Emanzipations-Proklamation wurde auch die Rekrutierung schwarzer Soldaten wie jener, die Lincoln in der ersten Szene des Films besucht, genehmigt.
Viele Nordstaatler, vor allem in der Demokratischen Partei, die den Sklavenhalter-Süden führte, widersetzten sich dem revolutionären Aspekt des Krieges. Diese Nordstaaten-Demokraten – die sogenannten „Copperheads“ [benannt nach der giftigen nordamerikanischen Kupferkopfschlange] – waren gegen den Krieg und gegen die Abschaffung der Sklaverei. Im Film ist ihr Hauptrepräsentant der Kongressabgeordnete der Demokraten und ehemalige Bürgermeister New Yorks Fernando Wood. Der Konflikt zwischen den beiden Parteien spitzte sich bei den Wahlen 1864 zu, als die Demokraten General George B. McClellan ins Rennen schickten – Lincoln hatte ihn als kommandierenden General der Unionsarmee gefeuert, weil er sich weigerte, bis zum Sieg zu kämpfen. Inzwischen hatte sich der Kriegsverlauf unter Führung von Ulysses S. Grant entscheidend gewendet, und die Unionsarmee führte im Süden eine Offensive durch.
Die Losung der Demokraten bei den Wahlen war: „Die Verfassung, wie sie ist, und die Union, wie sie war.“ Mit anderen Worten: Schluss mit dem Krieg, aber nicht mit der Sklaverei. McClellan wurde haushoch geschlagen, er gewann nur New Jersey und die Randstaaten Delaware und Kentucky. Lincolns Sieg bedeutete Unterstützung für die Fortführung des Krieges bis zur Niederlage der Sklavenhalterei; die Republikaner bekamen genug Kongresssitze, um die Verabschiedung des Dreizehnten Zusatzartikels sicherzustellen.
Aus Lincolns Sicht ging es nicht darum, ob die Sklaverei abgeschafft würde, sondern ob der Zusatzartikel vom scheidenden Kongress Anfang 1865 angenommen würde oder vom neuen Kongress später im Frühjahr. Diese Überlegung war nicht unbedeutend. Statt auf das Zusammentreten des neuen, republikanisch beherrschten Kongresses zu warten, wollte Lincoln den Zusatz lieber mit etwas Unterstützung seitens der Demokraten durchbringen. Das wäre eine Demonstration landesweiter Unterstützung für die Abschaffung der Sklaverei und würde den Copperheads entgegenwirken, so dass es unmöglich wäre, auf irgendeiner anderen Grundlage als der Abschaffung der Sklaverei Frieden zu schließen.
Der Film zeigt detailliert, wie Lincoln – hauptsächlich über seinen Staatssekretär William H. Seward – mehrere Demokraten manipulierte, ihnen zuredete, sie umschmeichelte und bestach, damit sie den Zusatzartikel unterstützten. Schließlich bekam er genug Unterstützung von „Hinterbänklern“ der Demokraten, damit die Sache durchging. Das Drama im Kongress war nicht der Höhepunkt des Bürgerkrieges, sondern ein – wenn auch wichtiger – Nebenschauplatz bei der Abschaffung der Sklaverei. In einem Brief an die New York Times (26. November 2012) betont Eric Foner in Bezug auf den Film: „Sogar während im Kongress debattiert wurde, marschierte [Nordstaaten-General] Shermans Armee in South Carolina ein, und Sklaven plünderten Plantagenhäuser und nahmen Land in Besitz. Die Sklaverei bekam ihren Todesstoß auf dem Feld, nicht nur im Weißen Haus und dem Repräsentantenhaus.“
Im Film erfahren die Zuschauer nicht, dass Zusatzartikel von drei Vierteln der Staaten ratifiziert werden müssen, um Gesetz zu werden. Das geschah im Dezember 1865, weil der Norden die Konföderation militärisch besiegt hatte. Mehrere der Staaten, die den Dreizehnten Zusatzartikel ratifizierten, lagen im Süden. James McPherson erfasste die wahre Lehre aus der Verabschiedung des Zusatzes, als er schrieb: „Ohne den Bürgerkrieg hätte es kein Gesetz über die Beschlagnahme der Sklaven, keine Emanzipations-Proklamation, keinen Dreizehnten Zusatzartikel (ganz zu schweigen vom Vierzehnten und Fünfzehnten), mit Sicherheit keine Selbstbefreiung und fast mit Sicherheit kein Ende der Sklaverei für mindestens einige Jahrzehnte gegeben“ (Drawn with the Sword, 1997).
Die Abolitionisten und die radikalen Republikaner
Bereits Jahrzehnte vor dem Bürgerkrieg hatten die radikalen Abolitionisten, die erste rassenübergreifende politische Bewegung der Vereinigten Staaten, darauf hingewiesen, dass das System der Sklaverei nicht reformiert werden konnte, sondern zerstört werden musste. Damalige Mainstream-Politiker haben die Sklaverei entweder ignoriert (wie die Whig-Partei) oder unterstützt (wie die Demokraten). Die Sklavereigegner wurden für ihren Mut angegriffen, angeprangert und heruntergemacht.
Die weiterblickenden Teile der Kapitalistenklasse im Norden schlossen sich schließlich in der Republikanischen Partei zusammen. Zur Zeit der Präsidentschaftswahlen von 1860 war die Republikanische Partei keine Partei der Abolitionisten, und ihr Kandidat Lincoln wollte die Sklaverei nur eingrenzen, damit sie sich nicht nach Westen ausdehnte. Doch sowohl die Sklavenhalter als auch die Republikaner verstanden, dass die Sklaverei nicht überleben konnte, wenn sie an der Ausweitung gehindert würde, vor allem weil ihre landwirtschaftlichen Methoden immer mehr neues Land verlangten. Lincolns Sieg veranlasste die Südstaaten zur Abtrennung, was den Bürgerkrieg auslöste. Die Abolitionisten verstanden sofort, dass Sklaverei die Hauptfrage war. Frederick Douglass, ehemaliger Sklave und ein Führer der Abolitionisten, bestand darauf, dass es zwecklos wäre, „die Freiheit des Sklaven vom Sieg der Regierung zu trennen“. Er erklärte: „Die Antwort auf Krieg für die Zerstörung der Freiheit muss Krieg für die Zerstörung der Sklaverei sein.“
Das wurde auch von Karl Marx, der aus London die britischen Arbeiter zur Unterstützung des Nordens aufrief, hervorgehoben. In „Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten“ (Oktober 1861) betonte Marx: „Der gegenwärtige Kampf zwischen Süd und Nord ist also nichts als ein Kampf zweier sozialer Systeme, des Systems der Sklaverei und des Systems der freien Arbeit. Weil beide Systeme nicht länger friedlich auf dem nordamerikanischen Kontinent nebeneinander hausen können, ist der Kampf ausgebrochen. Er kann nur beendet werden durch den Sieg des einen oder des andern Systems.“ Marx kritisierte Lincolns anfängliches Schwanken in Bezug auf die Emanzipation und erklärte: „Die Ereignisse selbst drängen zur Verkündigung der entscheidenden Parole – der Sklavenemanzipation.“
In den Anfangsphasen des Krieges war Lincoln besorgt, wie die vier an der Nord-Süd-Grenze gelegenen Sklavenstaaten, die die Union unterstützten, und auch die Copperheads reagieren würden. Die Abolitionisten und Radikalen drängten Lincoln zu verstehen, dass die Sklaverei zerschlagen werden muss, um den Krieg zu gewinnen. Thaddeus Stevens erklärte: „Es ist offensichtlich, dass so etwas wie die gegenwärtige Politik die Rebellen nicht niederwerfen wird.“
In unserem Artikel „Honor Abraham Lincoln!“ [Ehrt Abraham Lincoln!] (Workers Vanguard Nr. 938, 5. Juni 2009), in dem wir auf die Entwicklung seiner Ansichten zur Rassenfrage im Verlauf des Bürgerkriegs eingehen, stellten wir fest:
„Der Amerikanische Bürgerkrieg war eine bürgerliche Revolution, und Lincoln war gleichzeitig bürgerlich und revolutionär – mit allen Widersprüchen, die damit einhergehen… Bedient man sich heutiger Terminologie, könnte man sagen, dass Lincoln als Reformist anfing, der glaubte, dass das reaktionäre Gesellschaftssystem im Süden zur Veränderung gedrängt werden könnte und dass die Institution der Sklaverei schließlich langsam vor sich hin welken würde. Doch er machte einen radikalen Wandel durch, als die blutige Erfahrung in der Feuerprobe des Krieges – verbunden mit der massenhaften Flucht von Sklaven auf die Seite der Union – ihn lehrte, dass die Nation nur mittels einer sozialen Revolution erhalten werden konnte.“
Es ist schwer zu sagen, wem der Film weniger gerecht wird: Lincoln oder den Abolitionisten. Lincoln wird zu einem Zentristen mit Obama-Zügen, und die Abolitionisten zu wohlmeinenden Leuten, die es einfach nicht gebacken kriegen. In seinem Interview mit dem Sender NPR missbilligt Kushner „Ungeduld seitens sehr guter, sehr fortschrittlicher Menschen“ als eines der Haupthindernisse, mit denen Obama heute zu tun habe. Mit anderen Worten: Es sei Lincolns Stärke gewesen, wie Obama zu wissen, dass er sowohl geben als auch nehmen muss, um zu bekommen, was wichtig ist.
Einer der ungeheuerlichsten Aspekte des Films ist, dass Frederick Douglass noch nicht mal erwähnt wird, ein machtvoller Verfechter der Abschaffung der Sklaverei und der Rechte der Schwarzen. Douglass war es, der Lincoln nicht nur drängte, schwarze Soldaten zu rekrutieren, sondern auch dafür eintrat, dass sie gerecht behandelt und genauso bezahlt werden wie Weiße. Goodwin berichtet in ihrem Buch im Kapitel über den Dreizehnten Zusatzartikel, dass Douglass Lincoln bei mehreren Gelegenheiten getroffen und mit ihm diskutiert hat, auch bei dem Staatsempfang nach Lincolns zweiter Amtsantrittsrede.
Der einzige Abolitionist, der im Film eine prominente Rolle spielt, ist Thaddeus Stevens. Wie so viele Radikale wird Stevens seit langem als rachsüchtiger, wahrscheinlich verrückter Fanatiker verunglimpft. Der Film stellt Stevens sympathisch dar und wird so hoffentlich Leute dazu anregen, mehr über ihn und die anderen radikalen Gegner der Sklaverei in Erfahrung zu bringen.
Allerdings ist die Darstellung von Stevens im Film einseitig. An einer Stelle belehrt Lincoln Stevens während einer privaten Unterhaltung, dass die Emanzipation gescheitert wäre, wenn die Dinge den Radikalen überlassen worden wären: „Wenn ich aber auf euch gehört hätte, hätte ich in dem Moment, wo die erste Granate in Fort Sumter einschlug, jeden Sklaven für frei erklärt; dann wären die Grenzstaaten zur Konföderation übergelaufen, der Krieg und mit ihm die Union wäre verloren gewesen, und anstatt die Sklaverei abzuschaffen, wie wir es in zwei Wochen zu tun hoffen, würden wir hilflos wie Kinder zusehen, wie sie sich vom amerikanischen Süden nach Südamerika ausbreitet.“
Darin liegt ein Körnchen Wahrheit, denn Lincoln achtete als Politiker aufmerksam auf die öffentliche Meinung und versuchte ihr nicht zu weit vorauszueilen. Aber diese Darstellung lässt unter den Tisch fallen, wie entscheidend Abolitionisten wie Stevens im Kampf gegen die Sklaverei waren. Stevens’ Biografin formulierte es so: „Thaddeus Stevens im Repräsentantenhaus und Charles Sumner im Senat führten den Kampf gegen die weitverbreitete Apathie und Angst, sie setzten die begrenzten Emanzipationsmaßnahmen durch, die die Nation auf die allgemeine Emanzipation und den Dreizehnten Zusatzartikel vorbereiteten“ (Fawn M. Brodie, Thaddeus Stevens: Scourge of the South, 1959) [„Plage des Südens“].
Ein aufschlussreiches Beispiel davon, wie der Film die Abschaffung der Sklaverei ins Schema von Kompromissen und allseitiger Zusammenarbeit zu zwängen versucht, ist der dramatische Spannungsaufbau über die Frage, was Stevens in der Debatte zum Dreizehnten Zusatzartikel im Repräsentantenhaus sagen würde. Stevens war für seinen messerscharfen Sarkasmus bekannt. Im Film fleht James Ashley, Kongressabgeordneter aus Ohio, der den Zusatzartikel unterstützte, Stevens an, bei seinem Eintreten für Rassengleichheit „einen Kompromiss einzugehen“, „oder Sie riskieren alles“. Dann zeigt der Film, wie Stevens am 27. Januar, also kurz vor der endgültigen Abstimmung, mit Fernando Wood diskutiert. Stevens reagiert auf Woods Hetze mit der Feststellung, er glaube nicht, dass alle Menschen gleich seien, sondern nur, dass sie vor dem Gesetz gleich behandelt werden sollten.
Die Dramaturgie der Szene ist falsch und erfunden, um die Botschaft des Films – politisches Versöhnlertum – zu bekräftigen. Tatsächlich sagte Stevens schon mehr als drei Wochen vor der Abstimmung, dass er nur „Gleichheit vor dem Gesetz“ vertrete, und er tat das in seiner Antwort auf den Vertreter Ohios, Samuel Cox, einen Demokraten, der letztlich für den Zusatzartikel stimmte. In jedem Fall ging Stevens’ angeblicher „Kompromiss“ – Bürgerrechte für Schwarze – nicht nur weit über die Positionen der meisten anderen Politiker, sondern auch über den Dreizehnten Zusatzartikel selbst hinaus.
Rekonstruktion
Lincoln erklärt im Film mehrmals, dass er sich nur auf die anstehende Aufgabe konzentriere – den Krieg zu gewinnen und die Sklaverei abzuschaffen. Er lässt Stevens wissen, dass er sich weigert, den Wiederaufbau [Rekonstruktion] nach dem Krieg zu diskutieren: „Im Laufe der Zeit werden wir uns als Gegner gegenüberstehen. Jetzt aber arbeiten wir zusammen.“ Nun gut: Man kann einem Film über Lincoln nicht vorhalten, dass er nicht detailliert darauf eingeht, was nach der Ermordung des Präsidenten geschah. Doch dass im Film die Geschehnisse nach dem Krieg vollkommen ausgeblendet werden, dient einem bestimmten Zweck. Der Unfug über Mäßigung und Kompromisse mit den Kräften der Sklaverei würde nämlich sonst auffliegen.
Nachdem Vizepräsident Andrew Johnson, ein Demokrat aus den Bergen von Tennessee, nach Lincolns Tod die Präsidentschaft antrat, ließen Überreste der besiegten Konföderation keinen Zweifel daran, dass sie wegen ihrer militärischen Niederlage zwar gezwungen waren, das Ende der Sklaverei hinzunehmen, sie aber nicht vorhatten, Schwarze als wirklich freie Menschen zu akzeptieren. Südstaaten entsandten ehemalige Konföderierte in den Kongress und verabschiedeten „Richtlinien über Schwarze“ (black codes), mit denen Schwarze fast erneut versklavt wurden. Unterdessen betrieb Johnson gegenüber dem Süden eine Versöhnungspolitik und behandelte Schwarze mit unverhohlener Verachtung.
Stevens und andere radikale Republikaner widersetzten sich Johnsons dubioser Rekonstruktions-Strategie und setzten um, was als radikale Rekonstruktion bekannt wurde. Sie verweigerten den Südstaaten-Vertretern Sitze im Kongress und verabschiedeten so – gegen Johnsons wiederholtes Veto – Gesetze zum Schutz der Rechte ehemaliger Sklaven, sie ließen das Freedmen’s Bureau [ein Amt, das sich um Belange befreiter Schwarzer kümmerte] weiterbestehen und nahmen den ehemaligen Sklavenbesitzern ihre politischen Rechte. Um diese Gesetze durchzusetzen, wurde die Unionsarmee im Süden stationiert. Unterdessen machten Schwarze ihre Grundrechte geltend, indem sie zur Wahl gingen, für öffentliche Posten kandidierten und Schulen errichteten. Die radikale Rekonstruktion war der demokratischste Abschnitt der amerikanischen Geschichte und brachte auch armen Weißen Verbesserungen wie etwa öffentliche Bildung.
Von den Radikalen im Kongress drängte Stevens auf die weitestgehenden Rekonstruktions-Maßnahmen. Er trat für das Wahlrecht der Schwarzen ein, für die Entrechtung ehemaliger Konföderierter und, am radikalsten, für die Beschlagnahmung der Sklavenhalterplantagen und deren Verteilung an die Freigelassenen. Stevens formuliert diese Vision im Film, indem er Lincoln sagt: „Wir werden dort unten ein Land von freien Männern und freien Frauen und freien Kindern und von Freiheit aufbauen.“ Da Johnson die Rekonstruktion auf Schritt und Tritt zu untergraben versuchte, half Stevens ein Amtsenthebungsverfahren gegen Johnson anzuführen, das im Frühjahr 1868 an einer Stimme scheiterte.
Zu Stevens’ letzten Taten gehörte eine Kampagne für die Ratifizierung des Vierzehnten Zusatzartikels. Dieser Zusatz weitete die Staatsbürgerrechte auf alle aus, die in den Vereinigten Staaten geboren waren, egal welcher Rasse. Lincoln erweckt den Eindruck, dass Stevens beim Dreizehnten Zusatzartikel einen Kompromiss einging, doch tat er es tatsächlich beim Vierzehnten. Er hatte darauf gedrängt, schwarzen Männern das Wahlrecht zu geben, doch der Zusatzartikel verringerte nur die Anzahl der Repräsentanten für Staaten, die Schwarzen das Wahlrecht verweigerten. Stevens erklärte vor dem Kongress, er werde dafür stimmen, „weil ich unter Menschen und nicht unter Engeln lebe“. Erst mit dem Fünfzehnten Zusatzartikel erlangten schwarze Männer 1870 das Wahlrecht.
In unserem Dokument „Black and Red – Class Struggle Road to Negro Freedom“ von 1966 ([Schwarz und Rot – Der Weg des Klassenkampfs zur Freiheit der Schwarzen], nachgedruckt in Marxist Bulletin Nr. 9, „Basic Documents of the Spartacist League“) heißt es: „Sowohl Kapitalisten als auch Sklaven hatten von der Unterdrückung der Plantagen-Aristokratie etwas zu gewinnen, aber darüber hinaus hatten sie keine gemeinsamen Interessen.“ Anders gesagt: Obwohl ein Teil der Bourgeoisie darauf drängte, die Rekonstruktion tiefgehender durchzuführen, hatte die herrschende Klasse als Ganzes daran kein Interesse.
Um die Rekonstruktion erfolgreich durchzuführen, wäre das nötig gewesen, wofür Stevens eintrat: Die großen Ländereien hätten aufgeteilt und Schwarze wirklich „40 Morgen und ein Maultier“ bekommen müssen. Doch das Versprechen der Freiheit der Schwarzen wurde verraten, als die Nordstaaten-Kapitalisten mit den Überresten der Sklavenhalterherrschaft ein Bündnis schlossen, um die Rohstoffe und die befreiten Schwarzen im Süden auszubeuten. Insbesondere nach der Pariser Kommune von 1871, als das Proletariat dort für zwei Monate die Macht in der Stadt übernahm, sah die amerikanische Bourgeoisie die Enteignung und Umverteilung von Privateigentum auf dem Land als potenzielle Bedrohung ihrer selbst an.
Nach den Wahlen von 1876 wurden die letzten Bundestruppen im Rahmen eines Kompromisses zwischen Republikanern und Demokraten aus dem Süden abgezogen. Freie Schwarze und arme weiße Farmpächter hatten nicht genug soziales Gewicht, um ihre Errungenschaften zu verteidigen. Nachdem die rassistischen Demokraten im Süden wieder an der Macht waren, demontierten sie Stück für Stück die Rechte, die die Schwarzen errungen hatten. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatten die Südstaaten die Schwarzen entrechtet und das Jim-Crow-System der Rassentrennung formell etabliert. Der Vierzehnte und Fünfzehnte Zusatzartikel sollten bis zur Bürgerrechtsbewegung der 1950er- und 1960er-Jahre totes Recht, leere Worte sein.
Das Scheitern der Rekonstruktion bedeutete einen Verrat am Versprechen der Gleichheit der Schwarzen. Bis heute wurde der Bürgerkrieg nicht vollendet, und Schwarze bilden eine unterdrückte, durch Rasse und Hautfarbe definierte Kaste. Sie sind ein Kernbestandteil der amerikanischen Gesellschaft, aber gleichzeitig überwiegend an deren unterstem Rand ausgegrenzt. Die Demokraten sind zwar nicht mehr die Sklavenhalter-Partei von einst, aber sie sind heute, wo sie gemeinsam mit den Republikanern das kapitalistische System in seinem Todeskampf verwalten, immer noch Feinde der Befreiung der Schwarzen. Die Aufgaben des Bürgerkriegs können nur durch die Zerschlagung des amerikanischen Kapitalismus durch sozialistische Revolution vollendet werden.