Spartakist Nr. 197 |
März 2013 |
Nach Spanien ausgeliefert, weil sie Rechte der Basken verteidigt
Nieder mit dem EU-Haftbefehl gegen Aurore Martin!
Für die sofortige Einstellung aller Verfahren!
Das nachfolgende Flugblatt wurde am 2. November 2012 vom Comité de défense sociale (CDDS) veröffentlicht – eine klassenkämpferische, nichtsektiererische Organisation zur rechtlichen und sozialen Verteidigung, die mit der Ligue trotskyste de France verbunden ist, Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga. Das Flugblatt wurde auf Französisch und Spanisch am 10. November bei einer Demonstration in Bayonne, im französischen Teil des Baskenlands, verteilt, wo 15 000 gegen die Auslieferung von Aurore Martin nach Spanien protestierten.
Martin wurde dafür verhaftet, dass sie mehrere Veranstaltungen von Batasuna besucht hatte – eine Organisation, die für die Unabhängigkeit des Baskenlands eintritt – obwohl diese Organisation in Frankreich nicht verboten ist. Ihre Verhaftung wurde ermöglicht durch ein EU-Abkommen über den sogenannten Europäischen Haftbefehl. Auf Basis dieses Abkommens muss jeder EU-Mitgliedsstaat jede Person verhaften, die ein anderer EU-Staat als mutmaßlich kriminell bezeichnet, und sie an den entsprechenden Staat ausliefern. Aurore Martin wurde Ende November auf Kaution aus dem spanischen Gefängnis freigelassen, muss sich aber jeden Monat bei den Behörden melden. Aurore erklärte nach ihrer vorläufigen Freilassung am 17. Januar gegenüber der Zeitung Tout est à nous!: „Es waren die starken Mobilisierungen und der Druck der Bevölkerung, die meine Freilassung erreicht haben.“ Es heißt nun nicht nachlassen, denn nach wie vor drohen ihr viele Jahre Gefängnis in Spanien.
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Das CDDS verurteilt scharf, dass Aurore Martin durch den französischen Staat an Spanien ausgeliefert wurde, wo ihr bis zu 12 Jahre Gefängnis drohen. Nur wenige Tage bevor Martin gestern verhaftet wurde, wurden zwei andere baskische Aktivisten, Izaskun Lesaka und Joseba Iturbe, bei einer gemeinsamen Aktion von RAID (französische Elite-Bullen) und der spanischen Guardia Civil nahe Lyon verhaftet. Sowohl Lesaka als auch Iturbe werden verdächtigt, der ETA anzugehören, die für baskische Unabhängigkeit eintritt, und es heißt, Lesaka sei einer von drei Aktivisten, die im Oktober 2011 die Erklärung verlasen, mit der die ETA dem bewaffneten Kampf definitiv entsagte.
Die kapitalistischen Staaten Frankreich und Spanien haben nicht die Absicht, ihre blutige Vendetta gegen die baskischen Nationalisten fallenzulassen, selbst wenn die ETA den bewaffneten Kampf aufgibt. Die Basken werden ebenso wie andere nationale Minderheiten, etwa die Katalanen und die Korsen, und ebenso wie die muslimische Bevölkerung von den Bourgeoisien Frankreichs und Spaniens bei jedem nur möglichen Anlass als Sündenbock benutzt. Jetzt, wo die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten tobt, soll dies die Arbeiterklasse spalten und schwächen, um die erneuten Austeritätsangriffe der Bosse durchzupeitschen und ebenso die ganze Palette neuer Gesetze zu rechtfertigen, die die staatliche Repression verschärfen. Diese Gesetze nehmen letztendlich Arbeiterkämpfe gegen die kapitalistische Unterdrückung ins Visier. Und dann gibt es da noch all die undurchsichtigen Manöver und Rivalitäten innerhalb der Europäischen Union, wo das Leben von Aktivisten zynisch als Verhandlungsmasse für imperialistische Interessen eingesetzt wird. Der Fall von Aurore Martin und der Europäische Haftbefehl werfen ein Schlaglicht darauf, dass die EU, insoweit sie überhaupt als „Union“ handelt, eine Union für die Unterdrückung von Minderheiten und der Arbeiterbewegung ist. Nieder mit der EU!
In diesem Jahr [2012] wurden bereits 24 angebliche ETA-Mitglieder verhaftet. Sechzehn dieser Verhaftungen fanden in Frankreich statt, drei in Spanien und fünf in anderen Ländern. Wir fordern, dass sofort alle Anklagen gegen Aurore Martin, Izaskun Lesaka und Joseba Iturbe fallengelassen werden und dass sie sofort aus den Fängen des französischen und des spanischen Staats freigelassen werden. Wir fordern auch die Freilassung der Hunderten weiteren baskischen nationalistischen Aktivisten, die in Frankreich und Spanien im Gefängnis sitzen!
Auslieferung von Aurore Martin: Valls beendet den Job von Sarkozy und Guéant
Im Oktober 2010 erließ die spanische Regierung einen Europäischen Haftbefehl gegen die französische baskische Aktivistin Aurore Martin und verlangte ihre Auslieferung wegen angeblicher „Beteiligung an einer terroristischen Organisation“. Vorgelegter „Beweis“ ist, dass sie 2006 und 2007 sechs öffentliche Veranstaltungen von Batasuna besuchte – vier in Spanien und zwei in Frankreich. Batasuna, in Spanien verboten, ist in Frankreich eine völlig legale Partei. Aurore wird auch beschuldigt, einen Artikel für die (legale) baskische Zeitung Gara geschrieben und mit der Kommunistischen Partei der Baskischen Territorien (EHAK) zu tun zu haben, die in Spanien 2008 verboten wurde. Die französische und die spanische Regierung versuchten gar nicht erst irgendwelche Beweise vorzulegen, die Aurore Martin mit irgendeiner bewaffneten Aktivität in Zusammenhang brächten. Sie ist französische Staatsangehörige, wurde von Frankreichs oberstem Bullen Manuel Valls ausgeliefert und sitzt heute in einem spanischen Gefängnis – einzig wegen ihrer Anschauungen und ihrer politischen Solidarität mit der Sache der baskischen Unabhängigkeit. Praktisch alle aus dem Baskenland stammenden Mitglieder der Nationalversammlung, selbst die am „republikanischsten“ gesinnten, protestierten wütend gegen Valls wegen dieser Auslieferung ohne jegliche konkrete Beweise.
Als 2010 ein Haftbefehl gegen Aurore Martin verhängt wurde, tauchte sie unter. Aber sechs Monate später, Anfang Juni 2011, entschloss sie sich, „wieder ein normales öffentliches Leben zu führen“, und besuchte eine öffentliche Veranstaltung in Biarritz über den Europäischen Haftbefehl. Nur wenige Tage später, am 21. Juni, schickte Claude Guéant, Polizeiminister unter Nicolas Sarkozy [der damals noch Präsident war], seine Bullen, um Martin in Bayonne verhaften zu lassen. Aber die wurden durch Aktivisten und Leute aus dem Ort regelrecht zurückgedrängt, und Aurore Martin entging der Verhaftung. Zu diesem Zeitpunkt verkündete Guéant, Frankreich werde seine „Pflicht“ tun und sie ausliefern. Nach einer Demonstration von 3000 in Bayonne, die forderten, Martins Haftbefehl müsse aufgehoben werden, gab es jedoch keinen weiteren Versuch der französischen Regierung, sie zu verhaften. Bis dann Valls und die Volksfrontregierung unter [dem SP-Präsidenten François] Hollande auf den Plan traten, um den Job zu Ende zu bringen. In einem kürzlichen Interview in El País lobte Valls die „beispielhafte“ Zusammenarbeit zwischen der französischen und der spanischen Regierung und erklärte, die französische Regierung werde „Spanien hundertprozentig helfen“, den Kampf gegen die ETA „mit großer Entschlossenheit“ zu führen.
Die Verhaftung und Auslieferung Aurore Martins steht in einer Linie mit dem üblen Kreuzzug der Sozialistischen Partei gegen die baskischen Nationalisten, den die Vorgänger von Valls und Hollande durchführten. Wie wir in einer kurzen Erklärung schrieben, die den Europäischen Haftbefehl gegen Aurore Martin damals im März 2011 anprangerte: „Wir verurteilen die Polizei-Kooperation zwischen Frankreich und Spanien, die angefangen mit den staatlichen GAL-Terroristen [‚Antiterroristische Befreiungsgruppen‘] unter [dem französischen Präsidenten François] Mitterrand und der spanischen Regierung unter Felipe González von der Sozialistischen Arbeiterpartei in den 1980er-Jahren begann und bis heute andauert, dutzende Menschen das Leben kostete und zur Verhaftung und Einkerkerung hunderter Aktivisten führte.“ Die Arbeiterbewegung muss gegen die Auslieferung von Aurore Martin protestieren! Für das Selbstbestimmungsrecht des baskischen Volkes, südlich und nördlich der Pyrenäen! Nieder mit dem Europäischen Haftbefehl! Nieder mit der kapitalistischen Europäischen Union!