Spartakist Nr. 196 |
Januar 2013 |
Bundeswehr raus aus Afghanistan, Balkan und Nahost!
Imperialisten: Hände weg von Syrien!
In den vergangenen anderthalb Jahren wurde die syrische Bevölkerung zwischen zwei reaktionären Kräften aufgerieben, die das Land in einem verheerenden Bürgerkrieg verwüsten. Angesichts eines Aufstandes, der von Kräften dominiert wird, die vor allem zu der aus sunnitischen Muslimen bestehenden Mehrheitsbevölkerung gehören, und der von diversen imperialistischen und regionalen Mächten unterstützt wird, hat das mörderische Regime der Baath-Partei von Baschar al-Assad versucht, die Rebellion durch massiven Einsatz von Feuerkraft, auch gegen Wohngebiete, niederzuschlagen. Aufständische haben ebenfalls grauenhafte Massaker an Zivilisten begangen. Zentrale syrische Oppositionsführer haben zu einem militärischen Eingreifen der Imperialisten aufgerufen, nach dem Muster der libyschen „Rebellen“, die im vergangenen Jahr zu willigen Werkzeugen des NATO-Bombenkriegs wurden. Zwar konzentrieren sich die Imperialisten gegenwärtig auf die Bereitstellung materieller und logistischer Unterstützung der Assad-feindlichen Kräfte, doch Obamas Weißes Haus hat erklärt, dass militärische Optionen nicht „vom Tisch“ sind, und die Bundesregierung stellt der Türkei Raketenabwehrsysteme des Typs „Patriot“ samt Personal zur Verfügung und bewaffnet unter anderen das erzreaktionäre saudische Regime mit Panzern aller Art, das wiederum reaktionäre Aufständische bewaffnet.
Revolutionäre Marxisten unterstützen in diesem Bürgerkrieg, in dem ein Sieg der einen oder der anderen kriegführenden Partei der Sache der Arbeiterklasse und der Unterdrückten in keiner Weise nützen würde, keine Seite. Doch gegen ein militärisches Eingreifen der Imperialisten haben die Arbeiter international eine Seite. Im Falle eines imperialistischen Angriffs würden wir für die Verteidigung Syriens eintreten, dabei aber eine proletarische politische Opposition gegenüber Assads blutiger Herrschaft beibehalten.
Der Bürgerkrieg entwickelte sich im März 2011, als die Proteste des „arabischen Frühlings“ Nordafrika und den Nahen Osten ergriffen, aus einer Reihe von Demonstrationen in der Provinzstadt Daraa in Syriens südlicher Sunnitenregion. Die Demonstrationen breiteten sich über Daraa hinaus aus, und das Assad-Regime ging mörderisch mit Truppen und Panzern gegen Zivilisten vor. Immer mehr Soldaten liefen über und bildeten den Kern einer Reihe von regierungsfeindlichen Milizen. Die Hauptbefehlshaber dieser sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA) hatten jahrelang dem Unterdrückungsapparat des Assad-Regimes angehört.
Als oberste politische Führung der Opposition präsentiert sich der Syrische Nationalrat (SNR), ein Bündnis aus Exilanten und Oppositionsgruppen. Einige der wichtigsten Wortführer dieses zusammengewürfelten Haufens haben langjährige Verbindungen zu Vertretern des US-Außenministeriums und des Nationalen Sicherheitsrates, wie in einem Artikel des Londoner Guardian (12. Juli 2012), „The Syrian Opposition: Who’s Doing the Talking?“ [Die syrische Opposition: Wer sind die Wortführer?], ausführlich dargestellt wird.
Die von Kanzlerin Merkel geführte CDU/FDP-Regierung ist aktiv dabei, ein anderes Regime in Syrien an die Macht zu bringen. Seit dem Sommer 2011 lief das Geheimprojekt „The Day After“ (Tagesspiegel, 29. August 2012), mit dem der regierungsnahe Berliner Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Zusammenarbeit mit einem amerikanischem Thinktank, unterstützt vom deutschen und US-amerikanischen Außenministerium, die syrische Opposition zu einen versucht. Seit Jahren schon entwickelt die SWP Pläne für die Privatisierung der syrischen Wirtschaft, um den Einfluss der deutschen Wirtschaft auf ein Nach-Assad-Regime in Syrien zu sichern. Ende August stellte die SWP mit ihren Marionetten ihre Ergebnisse dar, welche ein unverhohlener Appell zu mehr imperialistischer Intervention waren und sind. Außenminister Westerwelle sprach von dem Werk seiner Handlager als einem „sehr ermutigenden Signal“ (Badische Zeitung, 29. August 2012).
Der SNR wird heute von der reaktionären Muslimbruderschaft beherrscht, die die meisten Sitze im Rat und auch in dem Ausschuss kontrolliert, der Geld und andere Hilfe an die Assad-feindlichen Kräfte in Syrien verteilt. Außerdem haben sich sunnitische Dschihadisten-Gruppen aus anderen muslimischen Ländern immer mehr der bewaffneten Rebellion angeschlossen. Diese Entwicklungen haben es für die US-Herrscher kompliziert gemacht, die sich darüber bewusst sind, dass diejenigen, die im Sommer letzten Jahres ihren Botschafter in Libyen getötet haben, Fundamentalisten sind, die im vergangenen Jahr von Washington finanziert und bewaffnet worden waren, um beim Sturz von Muammar al-Gaddafi mitzuhelfen.
Syrien ist ein Flickenteppich ethnischer, nationaler und konfessioneller Gruppierungen, wo das von der alawitischen Minderheit dominierte Regime über die sunnitische Mehrheit, die Kurden, Christen, Drusen und andere herrscht, was die Gefahr in sich birgt, dass der Konflikt in kommunalistische Kriege ausartet. Das ist die Erbschaft der Teile-und-herrsche-Politik der Kolonialmächte, die den Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg zerstückelten (siehe Artikel auf Seite 9).
Obgleich die Obama-Regierung darauf bedacht ist, nicht unmittelbar militärisch in den Konflikt einzugreifen, hat sie gemäß einer vom Präsidenten in diesem Jahr unterzeichneten Geheimverfügung den syrischen „Rebellen“ etwa 25 Millionen Dollar zukommen lassen. Washington hält dabei den Anschein aufrecht, keine „tödlichen Waffen“ zu liefern. US-Geheimdienstagenten arbeiten mit ihresgleichen aus der Türkei, Saudi-Arabien und Katar zusammen und „greifen auf ihre Erfahrung in Libyen zurück“, um so bei der Weiterleitung von Unterstützung an die Assad-feindlichen Kräfte zu helfen (Wall Street Journal, 13. Juni 2012). Sie arbeiten aus einem geheimen „Nervenzentrum“ heraus, das in Adana eingerichtet wurde, einer türkischen Stadt nahe der Grenze zu Syrien, in der auch der US-Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu Hause ist. Der New York Times (21. Juni 2012) zufolge werden Waffen nach Syrien „über ein Schattennetzwerk von Vermittlern, zu dem auch Syriens Muslimbruderschaft gehört“, geschleust.
Die Imperialisten haben gegen Syrien eine breite Palette von Wirtschaftssanktionen verhängt, wobei die Obama-Regierung im August die US-Maßnahmen noch verschärfte. Ganz besonders hart für Syrien ist ein Ölembargo, das vor einem Jahr von der Europäischen Union verhängt wurde. Bis dahin waren Ölexporte, die fast ausschließlich an EU-Mitgliedsstaaten gingen, das Hauptstandbein der syrischen Wirtschaft, die unter dem Embargo stark schrumpfte. Hauptopfer sind die ländlichen und städtischen Werktätigen, besonders die Armen und die Wehrlosesten, die mit einer galoppierenden Inflation, Massenentlassungen und einer Knappheit an Benzin und anderen petrochemischen Produkten sowie an Grundnahrungsmitteln konfrontiert sind. Versuche, Sanktionen des UN-Sicherheitsrates in Kraft zu setzen, wurden durch den Widerstand Russlands, das das Assad-Regime auch mit Geheimdienstinformationen und Waffen versorgt, und Chinas vereitelt.
Hinter Washingtons Drang, einen „Regimewechsel“ in Damaskus zu erreichen, steckt die Entschlossenheit von Amerikas imperialistischen Herrschern, ihre Weltherrschaft aufrechtzuerhalten und auszuweiten. Und der deutsche Imperialismus will ein Stück vom Kuchen abhaben. Syrien hat von jeher im ölreichen Nahen Osten eine Schlüsselrolle eingenommen. Das Land übt im Libanon entscheidenden Einfluss aus, insbesondere durch seine Unterstützung der schiitisch-fundamentalistischen Hisbollah, und fungiert als wichtigster Verbündeter des Iran. Teherans Einfluss in der Region bekam durch die US-Invasion in Saddam Husseins Irak 2003 und die Errichtung eines vorwiegend schiitischen Regimes in Bagdad mächtig Auftrieb. Seit Jahren sind die US-Herrscher feindlich zum Iran, wie auch die sunnitischen Monarchen in Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die bedeutende Waffenlieferanten der Assad-feindlichen Kräfte sind, insbesondere der sunnitischen Dschihadisten. Was die USA letztendlich mit ihrer mörderischen Besetzung des Irak erreicht haben, ist ein Iran-freundliches Regime.
Die türkische AKP-Regierung unter Erdogan hat sich von einem engen Vertrauten des Assad-Regimes zu einem seiner schärfsten Gegner entwickelt, militärische Provokationen eingeschlossen. Seit Anfang November 2012 hat die Türkei für die Stationierung von NATO-Patriot-Einheiten zur Flug- und Raketenabwehr agitiert und von einem „Verteidigungsfall“ der Türkei schwadroniert. Die NATO hat dem türkischen Verlangen entsprochen, und damit werden deutsche und andere Patriot-Raketen mitsamt ca. 400 Bundeswehrsoldaten an der Grenze zu Syrien stationiert. Markus Kaim von dem Berliner Thinktank SWP argumentierte im Tagesspiegel (6. Dezember 2012), dass die Patriot-Raketen „nur eine leere Drohgebärde der NATO“ seien, um die Türkei daran zu hindern, „sich ohne Absprache mit ihren Verbündeten in Syrien militärisch zu engagieren“. Tatsächlich können die Patriot-Raketen aber auch ein wesentlicher Bestandteil dabei sein, eine Flugverbotszone über Syrien einzurichten und militärisch durchzusetzen, was eine offene imperialistische Intervention wäre. Bundeswehr raus aus der Türkei! Bundeswehr/NATO – Hände weg von Syrien!
Für diese Flugverbotszone trommelt der französische Imperialismus, unter Präsident François Hollande von der Sozialistischen Partei, schon länger und er wirbt für eine „internationale Koalition“ zur Einrichtung einer Flugverbotszone über einem Teil Syriens. Doch Washington widersetzt sich bislang allen derartigen Schritten, auch wenn der Chor einflussreicher Personen in Washington, die ein militärisches Eingreifen der USA fordern, inzwischen über rechte Republikaner wie John McCain hinausgeht und Leute wie William Perry und Madeleine Albright mit einschließt. Diese beiden waren Mitte bis Ende der 1990er-Jahre Verteidigungsminister bzw. Außenministerin unter Präsident Bill Clinton von den Demokraten, als die USA den Irak und das ehemalige Jugoslawien bombardierten.
Genau wie die New York Times im Vorfeld der US-Invasion im Irak 2003 Washingtons Lügen über Husseins „Massenvernichtungswaffen“ weiterverbreitete, so druckt die bürgerliche Presse heute jede Lüge, die von der syrischen Opposition fabriziert wird. So berichtete die Presse weltweit, das Massaker vom 25. August an mindestens 245 Männern, Frauen und Kindern in Daraja in der Nähe von Damaskus sei vom syrischen Militär begangen worden. Doch eine Vor-Ort-Recherche des erfahrenen Journalisten Robert Fisk zeigte, dass die Zivilisten von Aufständischen getötet wurden (Independent, 29. August 2012). Ein Anwohner erzählte Fisk: „Einer der Getöteten war ein Postbote – sie haben ihn umgebracht, weil er ein Regierungsangestellter war.“
Urheber der erlogenen Berichte über Husseins Massenvernichtungswaffen war eine von den USA finanzierte Gruppe irakischer Exilanten gewesen, der Irakische Nationalkongress von Ahmed Tschalabi. Diesen Sommer hat die von den USA unterstützte syrische Opposition die offenkundig gefälschten Berichte in Umlauf gebracht, dass Assad im Begriff sei, Chemiewaffen aus ihren Lagerstätten hervorzuholen und ihren Einsatz vorzubereiten. Als Obama im August „gewaltige Konsequenzen“ androhte, entgegnete die syrische Regierung, sie würde Chemiewaffen nur „im Falle einer Aggression von außen“ einsetzen.
Von den wichtigsten Minderheiten in Syrien bildet einzig das Volk der Kurden eine Nation, die bis in die Türkei, den Iran und den Irak hinein reicht. Die türkische Regierung von Tayyip Erdogan hat Mitte November islamistischen Milizen der FSA grünes Licht gegeben, die syrisch-kurdische Stadt Ras al Ain anzugreifen, die seit einigen Monaten von der kurdisch-nationalistischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrolliert wurde, einer mit der nationalistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbundenen Organisation in Syrien. Nachdem die PYD es ablehnte, ihre Fahnen zu entfernen, kam es zu tagelangen Gefechten zwischen der PYD und den von Katar über die Türkei bewaffneten Islamisten. Die kapitalistische Türkei versucht alle Möglichkeiten zu mehr Eigenständigkeit der kurdischen Nation zu unterdrücken, führt wieder militärische Einsätze in den kurdischen Gebieten des Irak durch, geht militärisch gegen die PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei vor. Jetzt benutzt und bewaffnet die türkische Regierung die FSA-Einheiten, damit sie gegen die syrischen Kurden vorgehen. Türkische Armee raus aus den kurdischen Gebieten!
Der Kampf der Kurden gegen nationale Unterdrückung ist immer wieder von rivalisierenden nationalistischen Führern verraten worden, die als Lakaien der Imperialisten oder des einen oder anderen bürgerlichen Regimes vor Ort fungieren. Um kurdische Selbstbestimmung zu erreichen, sind der proletarisch-revolutionäre Sturz von vier kapitalistischen Staaten und die Errichtung einer Sozialistischen Republik Vereinigtes Kurdistan erforderlich.
Während der Volkserhebungen in Tunesien und Ägypten im vergangenen Jahr wiesen wir auf die Arbeiterklasse, deren Streiks beim Sturz beider despotischer Regime eine wichtige Rolle spielten, als den potenziellen Totengräber der bürgerlichen Ordnung hin. Wir betonten, wie dringend notwendig es ist, dass das Proletariat als Führer aller unterdrückten Massen auftritt. Doch obwohl das Proletariat weiterhin wirtschaftliche Kämpfe führt, ist es politisch den islamistischen und anderen bürgerlichen Kräften untergeordnet.
Damit das Proletariat als Anwärter auf die Macht hervortreten kann, ist es notwendig, die Schmiedung von Arbeiteravantgardeparteien in Angriff zu nehmen, die den Imperialisten und allen einheimischen bürgerlichen Kräften entgegentreten – von den militärischen Bonapartisten und liberalen politischen Persönlichkeiten bis hin zum reaktionären politischen Islam. Es wird kein Ende der ethnischen und nationalen Unterdrückung, keine Emanzipation der Frauen, kein Ende der Ausbeutung der Werktätigen geben ohne eine tiefgreifende proletarische Revolution, die im Rahmen des Kampfes für proletarische Weltrevolution den Weg zur Errichtung einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens ebnet.
Adaptiert aus Workers Vanguard Nr. 1009, 28. September 2012, Zeitung der Spartacist League/U.S.