Spartakist Nr. 195

Oktober 2012

 

Zitat

Für die Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom bürgerlichen Staat

Das Polizeimassaker an den streikenden Bergleuten in Südafrika hat massive Wut über die Regierung der Dreierallianz aus ANC, Kommunistischer Partei Südafrikas und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU hervorgerufen. Der revolutionäre Führer Leo Trotzki betonte in seiner letzten, unvollendeten Schrift im August 1940, bevor er durch einen stalinistischen Agenten ermordet wurde, die Notwendigkeit, gegen ein Zusammengehen der Gewerkschaften mit dem kapitalistischen Staat zu kämpfen.

Es gibt in der Entwicklung, oder besser in der Degeneration der heutigen Gewerkschaftsorganisationen in der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. Dieser Prozess charakterisiert die neutralen Gewerkschaften in gleicher Weise wie die sozialdemokratischen, kommunistischen und anarchistischen. Allein diese Tatsache beweist schon, dass die Tendenz zum Verwachsen mit der Staatsgewalt nicht aus dieser oder jener Doktrin, sondern aus allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen entspringt, denen alle Gewerkschaften in gleicher Weise unterworfen sind.

Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunutzen. Sie haben einen zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu bekämpfen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, d. h. soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm anzustreben.

Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu „befreien“, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und der Arbeiterbürokratie, die beide um Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem „demokratischen“ Staat zu beweisen, wie verlässlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind. Indem der Faschismus die Gewerkschaften in Organe des Staates verwandelt, erfindet er nichts Neues; er entwickelt nur alle dem Imperialismus innewohnenden Tendenzen zu ihrer letzten Schlussfolgerung…

Aus dem Vorhergehenden folgert ganz klar, dass trotz fortschreitender Degeneration der Gewerkschaften und trotz ihres Verwachsens mit dem imperialistischen Staat die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften nicht nur nichts von ihrer Wichtigkeit einbüßt, sondern als eine Notwendigkeit nach wie vor bestehen bleibt und in gewissem Sinne für jede revolutionäre Partei sogar noch wichtiger denn je wird. Die Sache, um die es nach wie vor geht, ist hauptsächlich der Kampf um den Einfluss auf die Arbeiterklasse. Jede Organisation, Partei oder Fraktion, die sich den Gewerkschaften gegenüber eine ultimatistische Stellungnahme erlaubt, das heißt, der Arbeiterklasse im Wesen den Rücken zuwendet, bloß weil ihr deren Organisationen nicht gefallen, ist zum Untergang bestimmt. Und es muss gesagt werden, sie verdient ihr Schicksal.

– Leo Trotzki, „Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“, 1940