Spartakist Nr. 194

Juli 2012

 

Kollektivschuld, Pazifismus und die Linke

Wirbel über Grass-Gedicht

Als der Nobelpreisträger und Dichter Günter Grass am 4. April sein Gedicht „Was gesagt werden muss“ zeitgleich für verschiedene internationale Zeitungen (El País, New York Times, Süddeutsche Zeitung) veröffentlichte, brauste in Deutschland sofort ein Sturm der Entrüstung durch die bürgerlichen Medien los, besonders übel die Stellungnahmen von Josef Joffe in Zeit online („Der Antisemitismus will raus“, 4. April), vom notorischen Muslimhasser und Welt-Kolumnist Henryk M. Broder („Prototyp des gebildeten Antisemiten“, 4. April). Emmanuel Nahshon, Vertreter der Botschaft Israels, fühlte sich beim Gedicht gar an die bekannteste antisemitische Hetze (den angeblichen Ritualmord an christlichen Kindern vor Pessach) erinnert. Damit wurde Grass zum Antisemiten gestempelt, der israelische Innenminister verfügte ein Einreiseverbot. Die Aberkennung des Nobelpreises wurde gefordert und in der SPD diskutierte man, dass Grass keinen Wahlkampf mehr für die SPD machen solle. Kurz danach trat Rolf Hochhuth aus der Akademie der Künste aus – er wolle nicht „zwischen Antisemiten sitzen“. Gleichzeitig jedoch wurden von der bürgerlichen Financial Times Deutschland Umfrageergebnisse veröffentlicht, die eine hohe Unterstützung für Grass’ Aussagen in der Bevölkerung zeigen.

Worüber der Aufschrei? Günter Grass hatte mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ in Versen ausgedrückt, dass Israel eine Atommacht ist, mit dem atomaren Erstschlag gegen den Iran droht und dass Deutschland erneut ein U-Boot, mit der Ausstattung für atomar bestückte Marschflugkörper, an Israel liefert. Und Grass fragt bange, ob die „Atommacht Israel … den ohnehin brüchigen Weltfrieden“ gefährde? Dieses Gedicht rührt an ein Tabu im imperialistischen Deutschland, das als Staatsdoktrin unverbrüchliche Solidarität mit dem kapitalistischen Israel fordert. Wie einer der wenigen pro-Grass argumentierenden bürgerlichen Journalisten, Jakob Augstein, am 6. April auf Spiegel Online erklärt: „Er [Grass] holt Deutschland aus dem Schatten der Worte von Kanzlerin Merkel, die Sicherheit Israels gehöre zur deutschen ,Staatsräson‘. Und der Schriftsteller kritisiert zu Recht, dass Israel der Welt eine Logik des Ultimatums aufdrängt.“

Es gibt in der Tat eine sehr spezielle Verbindung zwischen Deutschland und Israel: Wären nicht die ungeheuren Verbrechen des deutschen Imperialismus gegen die jüdische Bevölkerung Europas gewesen, dann hätte es wahrscheinlich auch keinen zionistischen Staat im historischen Palästina gegeben. Die deutsche herrschende Klasse schuf durch die Herrschaft von Hitlers Nazis die soziale Basis für die reaktionäre zionistische Bewegung – durch das systematische Abschlachten von sechs Millionen Juden und die Schaffung von Millionen verzweifelten Flüchtlingen, die außer nach Palästina nirgendwo hingehen konnten. Der deutsche Imperialismus unterstützte die Zionisten bei Gründung und Aufbau Israels und erhielt im Gegenzug einen Persilschein von den Zionisten ausgestellt. Und die Herrscher in Deutschland, die Bourgeoisie, verbreiteten eine simple und allumfassende Theorie als Erklärung für den Holocaust: Kollektivschuld.

Kollektivschuldlüge

Die Lüge von der Kollektivschuld amnestiert die Bourgeoisie von Auschwitz sowohl für ihre früheren als auch für ihre heutigen Verbrechen. Sie macht nicht die imperialistischen Herrscher, sondern die deutsche Bevölkerung als Ganzes für den Horror des Dritten Reiches verantwortlich. Deshalb kämpfen wir Spartakisten darum, linke Jugendliche und Arbeiter für das Verständnis zu gewinnen, dass nur eine proletarische Revolution in Deutschland, die die Bourgeoisie von Auschwitz stürzt, auch endlich die Opfer des Holocaust rächen wird.

„Solidarität“ mit den heutigen zionistischen Herrschern Israels, die das palästinensische Volk blutig unterdrücken, hat nichts mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tun. Trotzkisten verteidigen das enteignete und verelendete palästinensische Volk gegen den zionistischen Staatsterror. Gleichzeitig geben wir dem arabischen Nationalismus und dem islamischen Fundamentalismus kein Jota Unterstützung. Wir sind für das nationale Selbstbestimmungsrecht sowohl der palästinensischen als auch der israelisch-jüdischen Bevölkerung, auch wenn das Recht der letzteren im Augenblick nicht bedroht ist. Im Rahmen des Kapitalismus gibt es keine gerechte Lösung, wenn zwei Nationen, wie in Israel/Palästina, ein und dasselbe Territorium für sich beanspruchen. Wir kämpfen darum, den kapitalistischen Staat Israel durch die Revolution von jüdischen und palästinensischen Arbeitern zu stürzen. Dabei ist es ganz zentral, das Proletariat im Nahen Osten für die Verteidigung der zahllosen unterdrückten nationalen Minderheiten zu mobilisieren, von den Kurden in Irak, Iran, Syrien und der Türkei bis zu den Palästinensern in Israel, Gaza und der Westbank, dem Libanon, Jordanien usw. Dies ist Teil unseres Kampfes, die Mullahs, Scheichs, Obristen und zionistischen Herrscher im Kampf für eine sozialistische Föderation des ganzen Nahen Ostens hinwegzufegen.

Die heutigen deutschen Herrscher nutzen den Holocaust aus. Sie behaupten, jede Kritik an Israel sei antisemitisch, was auch die Linie der Zionisten ist. Die damalige SPD/Grünen-Regierung beschwor sogar den Holocaust, als sie die Bundeswehr auf den Balkan und nach Afghanistan in den Krieg schickte. Wie der israelische Liberale Amos Elon es ausdrückte: „Das ritualisierte Lippenbekenntnis zur Schuld dient dazu, dem neuen Nationalismus und dem neuen Fremdenhass ein gutes Gewissen zu verschaffen.“ Der zynische Ruf „Nie wieder Auschwitz“ wird benutzt, um den erneuten Vormarsch des deutschen Militarismus, einschließlich des ersten Einsatzes deutscher Kampftruppen seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Balkan 1999, zu rechtfertigen. Auch Günter Grass hat damals den NATO/Bundeswehr-Kriegseinsatz verteidigt und verbreitet die Lüge der Kollektivschuld. Er schreibt in seinem Gedicht: „... auch weil wir – als Deutsche belastet genug – Zulieferer eines Verbrechens werden könnten, das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld durch keine der üblichen Ausreden zu tilgen wäre.“

Die iranische „Bedrohung“ wird in Deutschland auch damit hoch gepeitscht, dass Iran das Existenzrecht Israels in Frage stellen würde, wozu die reaktionären antisemitischen Tiraden des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zitiert werden. Im Falle eines militärischen Angriffs der Imperialisten oder ihrer israelischen Komplizen müssen die Werktätigen auf der ganzen Welt unmissverständlich auf der Seite des Iran stehen. Und was die Kriegsdrohungen gegen den Iran angeht, muss das internationale Proletariat die Entwicklung von Atomwaffen durch den Iran verteidigen und fordern: Imperialisten – Hände weg! Als Marxisten geben wir dabei dem reaktionären islamischen Regime des Iran nicht die mindeste politische Unterstützung. Unsere Verteidigung des kapitalistischen Iran ist bedingt: In militärischen Konflikten zwischen einer imperialistischen Macht und einem abhängigen halbkolonialen Land ist revolutionäre Verteidigung unsere Politik. Wir verteidigen das unterdrückte Land gegen das unterdrückende Land und fördern Klassenkampf in den imperialistischen Zentren, ebenso wie in dem unterdrückten Land. Jeder Sieg der Imperialisten bei ihren militärischen Abenteuern ermutigt sie zu mehr räuberischen Kriegen; jeder Rückschlag dient unterstützend den Kämpfen der arbeitenden Menschen und der Unterdrückten. (Siehe auch unseren Iran-Artikel in dieser Ausgabe auf Seite 24.)

Pazifismus entwaffnet die Arbeiter, nicht die Bourgeoisie

Die Hetze gegen Grass war auch deshalb so wütend, weil er durchaus Populäres ausgesprochen hat. Die Kriegsangst im imperialistischen Deutschland ist verständlicherweise groß, jede Familie hat Angehörige, die auf den Schlachtfeldern zweier Weltkriege für imperialistische Interessen verbluteten, und die Kriegsfurcht findet ein Echo bei den pazifistischen Gefühlen der Bevölkerung. Das macht Grass’ Gedicht beliebt, allerdings bietet er auch nur eine andere proimperialistische Lösung an. Grass setzt Israel mit dem Iran gleich und fordert „eine unbehinderte und permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz“.

Mit Plakaten „Grass hat recht“ wurde Grass’ Appell positiv auf den Ostermärschen 2012 von der Friedensbewegung aufgegriffen. Als einer der ersten am 5. April erklärte auch Wolfgang Gehrcke vom propalästinensischen Flügel der Linkspartei, dass Grass recht habe. Dabei präsentiert er eine alternative Strategie für den deutschen Imperialismus, der als Festlandsmacht in der Mitte Europas der Dominanz des amerikanischen Imperialismus in der Nahostregion wenig entgegenzusetzen hat. In seinem offenen Dankesbrief vom 26. April an Grass heißt es:

„Die Option eines Erstschlags, die sich Israel offen hält, die Israel immer wieder als Option benennt, kann in ein atomares Inferno führen, von dem auch Europa betroffen wäre. Und die gegenwärtige deutsche Regierung und ihre Vorgänger wären die Komplizen dieses Erstschlags und sie wären Kriegspartei…

Die Vorschläge für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten liegen auf dem Tisch. Der Schlüssel zur Entschärfung der gefährlichen Lage und die Chance für einen Friedensprozess aber liegt in der Lösung des Palästina-Konflikts. Dafür müssen wir uns einsetzen. Europa hat gute Erfahrungen mit OSZE/KSZE gemacht. Davon könnte der Nahe Osten profitieren.“ (Gehrckes Webseite)

In der Nahostregion gibt es Erfahrungen mit der OSZE und UNO – allein durch die Hungerblockade des Iraks in den 1990er-Jahren starben mehr als anderthalb Millionen Menschen. Und als sich die Palästinenser 1982 unter Kontrolle von multinationalen Streitkräften entwaffnen ließen, führte dies zum grauenhaften Massaker bei Sabra und Schatila. UNO und OSZE sind Werkzeuge der imperialistischen Mächte, Versammlungen imperialistischer und kapitalistischer Räuber und ihrer Opfer, in der die stärkste Macht das Kommando hat. Eine marxistische Partei, die imperialistische Kriege verhindern will, kann kein klassenübergreifendes pazifistisches Programm annehmen. Wie der damalige Trotzkist James Burnham 1936 erklärte:

„Daher ist es eine tödliche Illusion, anzunehmen, dass Revolutionäre ein gemeinsames ,Programm gegen Krieg‘ mit Nicht-Revolutionären ausarbeiten können. Jede Organisation, die sich auf ein solches Programm gründet, ist nicht nur machtlos, Krieg zu verhindern, sondern trägt in Wirklichkeit dazu bei, Krieg zu fördern, weil sie sowohl auf ihre Weise der Aufrechterhaltung des Systems dient, das Kriege hervorbringt, als auch die Aufmerksamkeit ihrer Mitglieder vom wirklichen Kampf gegen den Krieg ablenkt. Es gibt nur ein Programm gegen den Krieg: das Programm für Revolution – das Programm der revolutionären Partei der Arbeiter.“ (War and the Workers [Der Krieg und die Arbeiter])

„Antideutsche“ greifen ISSE/PSG-Veranstaltungen an

In die gleiche Kerbe wie die pazifistischen Ostermarschierer schlug die Kampagne der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) und International Students for Social Equality (ISSE), die unter dem Motto „Stoppt die Kriegstreiber! Verteidigt Günter Grass“ eine Veranstaltungsreihe vom 20. bis 24. April durchführten. Die PSG ist bei ihrer Veranstaltungsreihe auf heftigen Widerstand sogenannter „Antideutscher“ gestoßen, die mit US- und Israelflaggen versuchten, die Veranstaltung zuerst in Frankfurt, später in Berlin und in Leipzig zu verhindern – dies typischerweise auch mit Hilfe von Bullen und Unibürokraten. In ihrer Erklärung „Hände weg von der Partei für Soziale Gleichheit“ vom 26. April erklärt die PSG, „dass die Angriffe auf Grass selbst von den Medien und auf höchster staatlicher Ebene organisiert worden sind, um jegliche Opposition gegen eine aggressive Wiederbelebung des Militarismus einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen“. Weiter, dass die Attacken „eine enorme Verschärfung der Angriffe auf demokratische Grundrechte dar[stelle]. Sie müssen abgelehnt und zurückgewiesen werden.“ Und am 28. April (wsws.org) heißt es: „Die ISSE ruft zu öffentlicher Unterstützung auf und wird ihre Kampagne zur Verteidigung von Günter Grass und der Verhinderung eines Kriegs gegen den Iran fortsetzen.“

Den reaktionären Angriffen auf linke Pro-Grass-Veranstaltungen war ein Aufruf einer selbst ernannten „Antifa“ vorangegangen, die am 20. April auf de.indymedia.org hetzte: „Keine Ruhe den Antisemit_innen!“ Tatsächlich ist die Pose der „Antideutschen“, sie seien „antifaschistisch“, ein kalkulierter Schwindel, mit dem sie versuchen, linke und liberale Organisationen zu unterwandern oder zu zerstören. Hinter ihrem Gerede, Gegner von Antisemitismus und Nationalismus zu sein, steht ihre totale Unterstützung für den Zionismus – selbst eine Form von virulentem Nationalismus – und damit einhergehend ihr abgrundtiefer rassistischer Hass gegen Araber und Muslime und ihre Befürwortung imperialistischer Kriege im Dienste des deutschen Imperialismus.

Die Zensurversuche von Studentenbürokraten und Univerwaltung gegen Linke müssen im Kontext der allgemeinen Angriffe des kapitalistischen Staates auf die Rechte von Studierenden sowie der Arbeiterklasse und Immigranten insgesamt gesehen werden. Und dieser unheimlichen Allianz von Einschüchterung und antikommunistischen Angriffen muss unbedingt Einhalt geboten werden. Deshalb fordern wir alle politisch interessierten Studenten und Uni-Angestellten auf, sich gegen solche antikommunistischen Zensurversuche der Univerwaltung und der Studentenbürokraten zu stellen! Jetzt sind antiarabische Rassisten mit ihrer Aktion, den Laika-Verlag von den Linken Buchtagen in Berlin im Juni auszuschließen, gescheitert. Diese Allianz von der bürgerlichen taz und dem antimuslimischen Hetzblatt Jungle World mit dem Ziel, den Verlag Laika aufgrund einer Buchveröffentlichung zur Gaza-Flottille und ihrer Aufbringung durch das israelische Militär nicht zuzulassen, hatte eine Solidaritätskampagne ausgelöst, die diesen Zensurversuch erfolgreich zurückschlagen konnte.

Die Spartakist-Arbeiterpartei protestiert energisch gegen diese Angriffe (siehe Protesterklärung auf Seite 9 dieser Ausgabe). Wir Spartakisten sind dafür, politische Veranstaltungen an der Uni und anderswo, die eine kritische Position zu Israel zum Inhalt haben gegen Angriffe der Antideutschen und anderen zu schützen und zu verteidigen – und zwar ungeachtet unserer politischen Differenzen, die wir in diesem Falle mit Günter Grass und seinen Unterstützern von der PSG und ISSE haben. Wir erinnern daran, das Norman Finkelstein und Ilan Pappe aufgrund von „antideutschen“ Provokationen gehindert wurden, in Deutschland überhaupt aufzutreten. Wir sind stolz darauf, dass wir Spartakisten diesen reaktionären Abschaum frühzeitig entlarvt haben (siehe auch unseren Artikel „‚Antinationale/Antideutsche‘ : Schlägertrupps für SPD/Grünen-Regierung‘ “, Spartakist Nr. 152, Herbst 2003). Nach einem „antideutschen“ Überfall auf uns in Hamburg 2005 konnten wir dann mit Hilfe von Gewerkschaftern in einer Aktionseinheit eine Veranstaltung zur Verteidigung der Palästinenser erfolgreich durchführen.

Die PSG ist die deutsche Sektion einer dubiosen Organisation, die aus Gerry Healys Internationalem Komitee für die Vierte Internationale entstand und heute von David North geführt wird. So wurden sie in den 70er-Jahren zu Presseagenten mörderischer kapitalistischer arabischer Regime: Sie rechtfertigten und unterstützten 1979 die Hinrichtung von 21 irakischen KP-Mitgliedern. Ihre Zusammenarbeit mit Libyens Gaddafi und anderen brachte ihnen eine Million Pfund ein für die Finanzierung ihrer Pseudo-Massen-Tageszeitung News Line in Britannien (siehe Spartacist, deutsche Ausgabe Nr. 12, Winter 1986/87). Schon vor vielen Jahren charakterisierten wir die von Healy und North geführte politische Tendenz als politische Banditen, deren Praxis in krassem Widerspruch steht zu ihren angeblichen Grundsätzen. Jahrelang waren sie politische Lakaien der Sozialdemokratie, besonders bei der Konterrevolution in der DDR und der Sowjetunion. Seit der kapitalistischen Wiedervereinigung behaupten sie allerdings, dass SPD und Gewerkschaften völlig bürgerlich geworden seien. Und das angesichts einer breiten bürgerlichen Offensive gegen die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften!

Bei den Grass-Versammlungen selbst ging PSG-Vorstand Wolfgang Weber auch detailliert auf die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran ein und scheute sich nicht, die Position der North-Anhänger zu wiederholen: „Die iranische Revolution von 1978-79 habe dann die direkte Kontrolle der USA über diese Region beendet“ (wsws.org, 23. April). In dieser sogenannten „Revolution“, die von der PSG wie fast von der gesamten Linken weltweit bejubelt wurde, übernahm 1979 eine islamische Hierarchie unter Ajatollah Chomeini die Macht und ging daran, Kämpfe von Arbeitern, Frauen und unterdrückten nationalen Minderheiten zu zerschlagen. Unter dem Scharia-Gesetz wurden Frauen von der Gesellschaft ausgeschlossen und gezwungen, den Schleier von Kopf bis Fuß anzulegen; Arbeiterorganisationen wurden zerschlagen; Linke wurden eingekerkert und hingerichtet. Damals als internationale Spartacist-Tendenz bekannt, stach unsere Organisation hervor, weil sie für die Klasseninteressen des Proletariats gegen die Kräfte der islamischen Reaktion eintrat. Wir sagten: „Nieder mit dem Schah! Nieder mit den Mullahs!“ Unsere Perspektive ist eine Arbeiterrevolution im Iran.

Linke und Grass

Es ist sicher kein Zufall, dass die PSG sich gerade Grass für ihre Kampagne ausgesucht hat. Bereits im Berliner Wahlkampf 2011 hatte die PSG offen opportunistische Plakate mit der Losung „Gegen Krieg & Militarismus – Statt Krieg für Wirtschaftsinteressen Auflösung der Bundeswehr! Kampf gegen Krieg erfordert Kampf gegen Kapitalismus“ aufgehängt. Zu appellieren, dass sich eine imperialistische Armee „auflöst“, zeigt, wie hohl das Gerede der PSG über Marxismus auf ihrer Webseite ist. Die Bundeswehr ist eine imperialistische Armee, sie wird niemals dem Frieden dienen, noch wird sie sich jemals „auflösen“ oder „abrüsten“. Auflösungsforderungen schüren Illusionen, dass der Kapitalismus friedensfähig ist. Die Armee gehört zu den bewaffneten Formationen eines bürgerlichen Staates, zur Aufrechterhaltung der Diktatur der Bourgeoisie, dessen Staatsmaschine man zerbrechen muss, um die Kapitalistenklasse zu stürzen. Marxisten kämpfen daher für die Zersetzung eines imperialistischen Heeres im Verlauf der Revolution. Schon das erste Dekret der Pariser Kommune war „die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk“ (Lenin, Staat und Revolution, 1917). In den Flugblättern und Artikeln der PSG steht kaum ein kritisches Wort zum bürgerlichen Dichter Grass. Was die PSG zu Grass hinzieht, ist seine Feindschaft gegen alle Arbeiterstaaten von der Sowjetunion über die DDR bis zu China, die wir Spartakisten gegen Imperialismus und innere Konterrevolution immer verteidigt haben. Wie wir in „Aufschrei über Günter Grass’ Geständnis“ (Spartakist Nr. 164, Herbst 2006) schrieben:

„Grass, 1927 in Danzig geboren und von deutsch-kaschubischer Herkunft, war immer antikommunistisch und antisowjetisch eingestellt, er bleibt damit im Rahmen des bürgerlichen Antifaschismus stecken, der die Arbeiterklasse auf der einen Seite zurückweist und andererseits jedem deutschen Individuum die Verantwortung für den Holocaust gibt. Klassenherrschaft der Bourgeoisie und Kapitalismus als Ursache für Faschismus werden ausgeblendet…

Grass’ Gegnerschaft zu einer deutschen Wiedervereinigung macht ihn jedoch nicht zu einem Gegner des Kapitalismus oder gar zu einem Freund der DDR. Er begrüßte die klerikale und antisemitische polnische Solidarność, deren Konterrevolution den polnischen Arbeiterstaat Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre zerstörte. Sein Verhältnis zur DDR war gekennzeichnet von Antikommunismus, den er sich während des ersten Kalten Kriegs in den 50er-Jahren aneignete. Eine Gleichsetzung der Naziherrschaft mit dem Regime in der DDR war nicht nur ein Steckenpferd rechter Konservativer wie Nolte, nein, auch einem Liberalen wie Grass war sie nicht fremd.“

Viele Gruppierungen in der Linken, die sich auf den Trotzkismus berufen, haben sich zum Grass-Gedicht geäußert, dabei sucht man von diesen selbst ernannten Marxisten eine proletarische Alternative oder Strategie vergebens. Von marx21 über Sozialistische Alternative (SAV) und Revolutionär Sozialistischen Bund (RSB) bis hin zur Gruppe Arbeitermacht (GAM) berichten diese Organisationen breit über die Angriffe auf Grass, aber die Angriffe auf die PSG werden nicht erwähnt. Immerhin benennt der RSB am 21. Mai („Günter Grass schreibt ein Gedicht“) wenigstens die Rolle der deutschen Imperialisten dabei: „Es war überfällig, die Fakten der atomaren Rüstung Israels, die in der BRD seit Jahrzehnten heruntergespielt oder negiert werden, zu thematisieren. Israel ist Atommacht von NATO-Gnaden, lässt keine Kontrollen zu und ist dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten. Es war überfällig, die Profite des deutschen Rüstungskapitals (sie tragen den Namen ,Wiedergutmachung‘) zu benennen.“ Dann aber übernimmt der RSB die „Friedens“rhetorik der UNO und benutzt sogar die Sprache der Imperialisten: „Kein vernünftiger Mensch hält Iran für einen friedliebenden, demokratischen und humanitären Staat. Unbestreitbar ist auch die Bedrohung Israels durch seine Anrainerstaaten. Nur muss es zum Säbelrasseln der israelischen Politik Alternativen geben. Krieg hat bekanntlich noch nie Frieden gebracht. Ein Krieg im Nahen Osten, angezettelt von Israel gegen den Iran, würde die Welt, da hat Grass Recht, an den Rand, wenn nicht in die Katastrophe führen.“ Folgerichtig schließt der RSB mit einem moralistischen Appell von Erich Fried.

Die GAM argumentiert erst einmal links, wenn sie am 18. April in „Debatte um Günter Grass – Ein Tabubruch?“ erklärt: „Nicht die Hoffnung auf Lösungen oder Agenturen von Gnaden des Imperialismus wie die Zwei-Staaten-Lösung, der Friedensprozess oder die UNO bringen eine Lösung, sondern der Kampf für den revolutionären Sturz reaktionärer Regime (sei es im Iran wie in Israel), wie er von den aufständischen Massen im Arabischen Frühling durchgeführt wurde.“ Richtig ist es, gegen die tödlichen Illusionen in die UNO zu argumentieren, aber wie sieht die praktische Politik der GAM aus? 1999 unterstützte die GAM die kosovarische UCK, die faktisch die Bodentruppen der NATO im Krieg gegen Serbien waren, in Libyen waren sie enthusiastische Unterstützer der von Bengasi aus operierenden Rebellen gegen das Gaddafi-Regime, die an die NATO appellierten, die Flugverbotzone durchzusetzen, und damit als Hilfstruppen der NATO agierten.

Und was hat der arabische Frühling den Massen bislang gebracht? Gerade in Ägypten, wo sich erneut massenhafte Gegnerschaft zur Militärherrschaft Bahn bricht, muss die Arbeiterklasse als eigenständiger Anwärter auf die Macht hervortreten, sowohl gegen die Armee als auch gegen die mächtigen reaktionären Kräfte des politischen Islam. Daher müssen revolutionäre Marxisten alle illusorischen Konzepte einer Revolution in Etappen zurückweisen und den Massen die Perspektive der Arbeiterherrschaft und der sozialistischen Revolution aufzeigen. Sie müssen revolutionäre marxistische Parteien schaffen, die sich in erster Linie auf die Arbeiterklasse stützen und die politische Hegemonie über die Arbeiter während des revolutionäres Kampfes erringen. Solche Parteien müssen im ganzen Nahen Osten aufgebaut werden, im Kampf gegen alle Formen des Fundamentalismus und Nationalismus – Parteien, die dem Programm der permanenten Revolution verpflichtet sind, das die brennenden Bedürfnisse der Massen aufgreift und sie unausweichlich zu ein und derselben Schlussfolgerung führt: zur Eroberung der Macht durch das Proletariat. Vorbild für die Schmiedung revolutionärer Arbeiterparteien ist die bolschewistischen Partei unter Lenin und Trotzki, die in der Oktoberrevolution von 1917 die russische Arbeiterklasse an die Macht führte. Das ist das Programm der Internationalen Kommunistischen Liga.