Spartakist Nr. 192

März 2012

 

Für volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten!

Nieder mit Polizeiterror gegen die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh!

Am 7. Januar 2005 verbrannte der Flüchtling Oury Jalloh aus Sierra Leone in einer Zelle eines Polizeireviers in Dessau bei lebendigem Leibe. Seitdem versuchen seine Freunde und Unterstützer, die Erinnerung an ihn wach zu halten, und protestieren gegen polizeiliche Schikanierung und Kriminalisierung der in Dessau lebenden Immigranten. Sie fordern, dass in dem jetzigen Prozess wegen Jallohs Tod die Anklage auf Mord erweitert wird. Ein früherer Prozess gegen zwei Polizisten endete im Dezember 2008 mit einem Freispruch durch das Landgericht Dessau-Rosslau aus angeblichem Mangel an Beweisen. Gegen einen der beiden, den zuständigen Dienstgruppenleiter, wurde jetzt der Prozess erneut eröffnet, nachdem sein Freispruch 2010 durch den Bundesgerichtshof kassiert worden war. Schon im ersten Prozess lautete die Anklage lediglich auf „fahrlässige Tötung“ bzw. „Körperverletzung mit Todesfolge“, was die Verachtung der Behörden für Immigranten wie Jalloh ausdrückt. Nun wird erneut in einem Possenspiel angeblicher gerichtlicher Neutralität versucht, die Verantwortung des bürgerlichen Staats für den Tod von Jalloh zu vertuschen. Von der Richterbank bis zur Polizei wird angestrengt versucht, eine Aufklärung der bestialischen Verbrennung zu hintertreiben. Dies findet seinen Gipfel in der absurden Behauptung, Jalloh habe sich auf einer feuerfesten Matratze, gefesselt an Händen und Füßen, selbst entzündet und sei daher für seinen Tod selbst verantwortlich.

Bereits im Vorfeld der diesjährigen Demo zum Todestag Oury Jallohs drohte die Polizei, dass sie die Losung „Oury Jalloh – das war Mord“ nicht dulden würde. Als die 200 Demonstranten sich davon nicht einschüchtern ließen, wurden sie mit Schlagstöcken verprügelt, mehrere verletzt. Demonstranten wurde Pfefferspray in die Augen gesprüht und langjährige schwarze Aktivisten wurden gezielt aus dem Protest herausgegriffen. Mouctar Bah wurde bis zur Bewusstlosigkeit krankenhausreif geschlagen und erlitt eine Gehirnerschütterung. Er ist einer der Initiatoren der Demo. Seit er sich für die Aufklärung von Jallohs Tod einsetzt, wird er regelmäßig durch Polizei und Behörden schikaniert. Hände weg von Mouctar Bah!

Der staatlichen Gewaltorgie folgte eine Kampagne zur Kriminalisierung Linker und zur Anstachelung von Naziterror: Nachdem bereits am 16. Januar ein von Nazis geführter Mob in Dessau rassistische Parolen verbreitet hatte, hetzte Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht nach einem Brandanschlag am 18. Januar auf das Polizeirevier, in dem Jalloh starb, gegen den „linksautonomen Bereich“, der „bewusste Provokationen gegen die Polizei“ vornehme, die dann „unverhältnismäßig“ reagiere.

So ermutigt, marschierten am Abend des 21. Januar 370 Nazis durch Dessau, wo ein Teil von ihnen noch eine Gedenkveranstaltung für den jüdischen Komponisten Kurt Weill angriff. Zwei Gegendemos waren zuvor von den Initiatoren abgesagt worden. In ihrer „Selbstkritischen Erklärung“ vom 24. Januar gestand einer der Initiatoren, die Gruppe No Nazis Dessau, ein, dass sie im Vorfeld nicht geglaubt hatten, dass die Polizei die Nazis marschieren lassen würde, da „sich eine mögliche rassistische Komplizenschaft der PD [Polizeidirektion] nach all den Verstrickungen im Fall Oury Jalloh und auch der skandalösen Gewalttirade bei der Oury Jalloh Demo vom 7. Januar so noch verfestigt hätte und damit nicht mehr zu rechtfertigen gewesen wäre“.

Als 30 Linke angesichts der für Linke und Immigranten zunehmend bedrohlichen Situation am 7. Februar das Dessauer Rathaus besetzten, um unter anderem die „Distanzierung der Stadt von den rassistischen Demonstrationen und ernsthafte Überlegungen, wie diese künftig zu verhindern sind“, zu fordern, gab’s gleich die nächste Quittung: Der Oberbürgermeister erledigte seinen Job … und stellte Strafantrag. Als unversöhnliche Gegner der bürgerlichen Herrschaft verteidigen wir Marxisten Linke und Immigranten gegen Kriminalisierung und Angriffe des Staats. Weg mit allen Anklagen gegen die Rathausbesetzer!

Die Vorgänge in Dessau wie in ganz Sachsen-Anhalt reihen sich ein in die Kette eklatanter Beispiele der Kollaboration zwischen dem Staat und den Nazis, wie schon bei der Nazimörderbande NSU und dem Verfassungsschutz. Die Grundlage dafür ist die Spaltung der Gesellschaft in feindliche Klassen: Der bürgerliche Staat und seine Gesetze dienen der Aufrechterhaltung des Privateigentums der Bourgeoisie an den Produktionsmitteln. Daher kann er nicht dazu dienen, die Interessen der Unterdrückten und arbeitenden Massen zu vertreten. Die Bourgeoisie braucht die Nazis als Druck- und Terrormittel und hält sie gegen die Arbeiterklasse für Zeiten sozialen Aufruhrs in Reserve, falls Illusionen in die bürgerliche Demokratie und Polizeigewalt nicht mehr ausreichen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund schützt ihr Staat die Nazis. Hand in Hand damit verschärft dieser die Repressionen gegen Linke und Immigranten. (Siehe auch „Viertes Reich und seine Nazis“, Spartakist Nr. 191, Januar 2012.)

Es ist notwendig, die Nazimörderbanden durch die von Staat und Bourgeoisie politisch unabhängige Mobilisierung der multiethnischen Arbeiterklasse an der Spitze aller potenziellen Opfer der Nazis zurückzuschlagen. Die Arbeiterklasse hat durch ihre Position im Produktionsprozess die soziale Macht und das historische Interesse, dieses System, das Armut und Rassismus hervorbringt, durch sozialistische Revolution wegzufegen.