Spartakist Nr. 191

Januar 2012

 

Bürgerlicher Staat, Medien vertuschen Nazimorde

Viertes Reich und seine Nazis

Für Arbeitermobilisierungen, um die Nazis zu stoppen! Nein zu Verbotsappellen an den bürgerlichen Staat!

Wie Anfang November bekannt wurde, hat von 2000 bis 2006 eine Naziterrorgruppe, die sich selbst „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte, acht türkisch- bzw. kurdisch- und einen griechischstämmigen Immigranten ermordet, wobei immer aus ein und derselben Pistole geschossen wurde. Unter den Augen des bürgerlichen Staates wurden Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat regelrecht hingerichtet. Auch der Bombenanschlag von 2004 in der vor allem von Immigranten bewohnten Keupstraße in Köln, bei dem 22 Menschen teilweise schwer verletzt wurden, geht auf das Konto der Nazikiller. Nun ist die Rede von Verbindungen zwischen dem NSU und der Naziszene sowohl in Ludwigshafen, wo 2008 bei einem Brandanschlag acht türkischstämmige Bewohner starben, als auch im saarländischen Völklingen, wo zahllose Brandanschläge auf Wohnhäuser von Immigranten in den letzten fünf Jahren verübt wurden und 20 Menschen verletzt wurden. Verbindungen zwischen dem Verfassungsschutz und der Nazi-Mörderbande sind ans Licht gekommen, und die Wut über die tiefe Verstrickung des bürgerlichen Staates in den Nazimordterror ist gewaltig, nicht nur bei ethnischen Minderheiten.

Letzten Sommer erst wurde der Massenmord des norwegischen Faschisten Breivik an sozialdemokratischen Jugendlichen und anderen als „Einzeltat“ abgetan und Breivik für „verrückt“ erklärt. Im italienischen Florenz ermordete Mitte Dezember ein Faschist zwei Händler aus dem Senegal und verletzte drei weitere Migranten. Auch hier sprach der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, von der „wahnsinnigen Tat eines Einzelnen“, obwohl der Mörder der faschistischen Gruppe Casa Pound zumindest nahestand. Schon der faschistische Anschlag auf das Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen starben und 211 verletzt wurden, wurde vom Staat als Tat eines „wahnsinnigen Einzelnen“ dargestellt, die Verbindungen zur Nazi-„Wehrsportgruppe Hoffmann“ abgetan. Wie wir in Spartakist Nr. 33, November 1980, schrieben: „Oberste Priorität war es, die normale Tagesordnung im Wahlkampf wieder durchzuziehen: die deutsche faschistische Vergangenheit ist ,bewältigt‘, der ,eigentliche‘ Terror kommt von links – gegen den Staat.“

Vor dem Hintergrund der andauernden und sich vertiefenden Finanzkrise gibt es in ganz Europa ein Wachstum von rechtspopulistischen und faschistischen Parteien, die mit antimuslimischer Demagogie und rassistischem Terror versuchen, die Wut über die kapitalistische Krise auf Minderheiten abzulenken. Andererseits gibt es in verschiedenen Ländern massiven Widerstand seitens der Arbeiterklasse gegen die Angriffe der Kapitalisten, die die Kosten der Krise auf die Schultern der arbeitenden Bevölkerung abwälzen. Der kapitalistische Staat schützt die Faschisten als Schocktruppen für den Fall, dass die normalen Mechanismen der bürgerlichen Demokratie von Betrug, Bestechung und polizeilicher Gewalt nicht mehr ausreichen, um die Arbeiterklasse niederzuhalten und die kapitalistische Ordnung zu garantieren.

In den letzten Jahrzehnten dienten die Faschisten der Bourgeoisie vor allem dazu, mit ihrem Mordterror rassistische Kampagnen voranzutreiben und zu konzertieren. Die dreiste Ankündigung der NPD, am kommenden 1. Mai in Dortmund aufzumarschieren, wo diese Nazischläger vor zwei Jahren schon einmal eine DGB-Demo überfallen hatten, unterstreicht, dass die Faschisten die Todfeinde der gesamten Arbeiterbewegung sind. Die Faschisten müssen durch unabhängige Mobilisierungen der Arbeiterklasse an der Spitze aller potenziellen Opfer, unabhängig von der Bourgeoisie und ihrem Staat, gestoppt werden. Dieser Kampf muss ein untrennbarer Bestandteil des Kampfes zum Sturz des Kapitalismus sein, der den Faschismus brütet.

Verfassungsschutz und die Führung der Nazis

Die Nazis Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die den Kern des NSU gebildet haben sollen – mittlerweile ist von 20 Unterstützern die Rede –, waren Teil der Jenaer Sektion des faschistischen „Thüringer Heimatschutzes“, der von einem V-Mann des Verfassungsschutzes (VS), dem thüringischen Landesvizevorsitzenden der NPD Tino Brandt, aufgebaut wurde. Allein über diesen V-Mann flossen bis 2001 der Naziszene 200 000 DM Staatsgelder zu. Nachdem im Januar 1998 bei einer Polizeirazzia in einer von Zschäpe angemieteten Garage eine Bombenwerkstatt ausgehoben wurde, tauchten die drei ab, kurz nachdem ein Haftbefehl erlassen wurde. Zwischen 1998 und 1999 wurden sie von Thüringer Polizeifahndern aufgespürt, doch wie der MDR (18. November 2011) berichtete, wurde ein Spezialeinsatzkommando des Landeskriminalamtes (LKA) gestoppt und die Fahnder zurückgezogen. Als sich die beteiligten LKA-Beamten beschwerten, habe es ein Gespräch zwischen „hohen Vertretern des Innenministeriums“ und den Polizisten gegeben. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (12. November 2011) berichtete der Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU) von einem Aktenvermerk eines LKA-Fahnders von 2001, worin dieser meinte, dass einer der drei Nazis durch eine Behörde gedeckt werde und eine Quelle des Verfassungsschutzes sei.

Beim Mord am 21-jährigen Halit Yozgat in Kassel am 6. April 2006 war ein VS-Mitarbeiter zugegen, der seit einigen Monaten in regelmäßigen Abständen dessen Internetcafé besucht hatte. Der VSler, Andreas Temme, verschwand heimlich vom Tatort, wurde aber durch DNS-Spuren ausfindig gemacht. Er ist bekanntermaßen ein Nazi und hat in seinem Heimatort Hofgeismar den Spitznamen „kleiner Adolf“. Schnell wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt und die Lüge verkündet, dass er bereits eine Minute vor dem Mord das Café verlassen hätte. Die Staatsanwaltschaft stellte 2007 die Untersuchungen ein und nun arbeitet er für die Bezirksregierung in Hessen. Angeblich hörte die Mordserie danach auf, zumindest verwendeten die Nazikiller nicht mehr dieselbe Pistole. Jetzt wird ein Mord an einem 68-jährigen türkischstämmigen Immigranten überprüft, dem im März 2006 vor einer Moschee in Rheda-Wiedenbrück gezielt in den Kopf geschossen worden war.

Als zwei der Nazikiller am 4. November nach einem Banküberfall die Verhaftung drohte, begingen sie unter dubiosen Umständen angeblich Selbstmord. Bei ihnen fand sich nicht nur die Schusswaffe, mit der die neun Immigranten und eine Polizistin erschossen worden waren, sie besaßen auch illegale „echte“ Papiere, wie sie nur staatliche Stellen ausstellen konnten. Zschäpe stellte sich am 8. November selbst.

Nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens 2003 wurde die Zahl der V-Leute in der NPD laut VS erheblich reduziert, trotzdem sind dort laut Spiegel (11. Dezember 2011) heute 130 aktiv. Durch das V-Leute-System werden den Nazis nicht nur Gelder in geschätzter Millionenhöhe zugespielt (d. h. zusätzlich zu den offiziellen staatlichen Zuwendungen, die z. B. 2005 für die NPD 1,2 Millionen Euro und für die Republikaner 1,3 Millionen Euro betrugen). Laut Bundeszentrale für politische Bildung (Aus Politik und Zeitgeschichte, 2005) sind „nicht mehr als 15 Prozent V-Leute in den Vorständen der NPD, etwa 30 von 200“. In seltener Offenheit drückte das Bundesverfassungsgericht dies in seiner Begründung für die Einstellung des Verbotsverfahrens als „mangelnde Staatsfreiheit“ aus.

Bürgerlicher Staat nutzt Nazimorde zu rassistischer Hetze

Doch der bürgerliche Staat trägt nicht nur auf dieser Ebene Verantwortung für den Naziterror. Die polizeilichen Ermittlungen in der Mordserie und die sie begleitenden Pressekampagnen haben jahrelang deren rassistischen Charakter vertuscht und die Opfer zu Tätern gemacht. Ja, die Nazimorde wurden dazu benutzt, rassistische Hetze zu betreiben und noch mehr Wasser auf die Mühlen des völkermörderischen Abschaums zu gießen. Allein die Bezeichnung der Mordserie in der bürgerlichen Presse als „Döner-Morde“ spricht Bände über die rassistische Verachtung, die diese kapitalistische Gesellschaft gegenüber ethnischen Minderheiten hegt. Noch Anfang dieses Jahres hetzte der Spiegel (21. Februar 2011) in dem Artikel „Düstere Parallelwelten“ – schon der Titel ein antimuslimischer Kampfbegriff – gegen „eine Allianz türkischer Nationalisten, Gangster und Geheimdienstler“, die hinter den Morden stecken soll.

Obwohl der einzige Zusammenhang zwischen den Opfern deren nichtdeutsche Abstammung war, wurde nie nach Nazis gefahndet – weil es politisch nicht gewollt war. Im Gegensatz dazu berichtete beispielsweise der Kölner Stadtanzeiger (9. Juni 2004) nach dem Bombenanschlag in der Keupstraße: „Einer immerhin glaubt es zu wissen: ,Nach meiner Vermutung waren das die Rechtsextremen – wegen der Europawahlen am Sonntag‘, vermutet ein Gast im ,Café Paradies‘, das unmittelbar neben der Unglücksstelle liegt, wie durch ein Wunder aber völlig unbeschadet geblieben ist. ,Die El-Kaida kann es ja wohl nicht gewesen sein‘, sagt ein anderer Gast. ,In der ganzen Keupstraße leben ja nur Muslime.‘“ Die rassistischen Namen der Sonderkommissionen der Polizei, „Bosporus“ und „Ali Baba“, waren Programm: Die Naziopfer wurden verleumderisch als mögliche Drogenhändler behandelt und es wurde gegen die kurdische PKK oder die „türkische Mafia“ als Verdächtige gehetzt und ermittelt. Bei der von den Nazis 2007 ermordeten Polizistin wurde das „Sinti-Roma-Milieu“ verdächtigt.

Damit wurde Hass und Misstrauen zwischen Immigranten verschiedener Nationalität und Herkunft gesät und allesamt als potenzielle Kriminelle diffamiert. Der Rassismus wird durch den „Krieg gegen den Terror“ angeheizt, mit dem der Staat die gesamte muslimische Bevölkerung als potenzielle Terroristen ins Fadenkreuz genommen hat. Die Kapitalisten und ihr Staat schüren Rassismus nicht nur, um Sündenböcke für die soziale Misere des Kapitalismus zu schaffen, sondern es geht ihnen ganz zentral darum, das multiethnische Proletariat zu spalten. So werden nicht nur die Arbeiter deutscher Herkunft gegen die Arbeiter aus der Türkei gestellt, mit dem Verbot der PKK und dutzender kurdischer Vereine werden auch die türkischen gegen die kurdischen Arbeiter gestellt. Es ist daher essenziell für die Arbeiterklasse und ihre Gewerkschaften, gegen jegliche rassistische Diskriminierung mobilzumachen. Das beginnt beim Kampf für volle Staatsbürgerrechte für alle, die es hierher geschafft haben. Weg mit allen „Ausländergesetzen“! Nieder mit den Antiterrorgesetzen, Nieder mit dem Paragrafen 129a,b! Nötig ist auch der Kampf gegen das Verbot der PKK und aller kurdischer Vereine und gegen das Verbot türkischer linker Organisationen wie der DHKP-C oder auch der THKP-C.

Sozialdemokratie wäscht kapitalistischen Staat weiß

Die Vertuschung von Nazimorden ist kein Einzelfall. Man denke an den Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Lübeck 1996, der sieben Kinder und drei Erwachsene tötete: Nur durch Kampagnen konnte die Abschiebung von Überlebenden verhindert werden, und anstatt der hochverdächtigen vier deutschen Nazis wurde der überlebende Libanese Safwan Eid jahrelang durch die Gerichte gezerrt, so dass er am Ende froh sein musste, überhaupt freizukommen. Oder der Brand in Ludwigshafen am 3. Februar 2008, bei dem vier Frauen und fünf Kinder türkischen Hintergrunds starben. Obwohl vieles auf einen Nazibrandanschlag hindeutete, konnte der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), sofort keinen ausländerfeindlichen Hintergrund erkennen. Sechs Monate später wurden die Ermittlungen eingestellt. Weitere Brandanschläge auf von ethnischen Minderheiten bewohnte Häuser folgten. Seit Jahrzehnten haben Nazis in diesem Land Immigranten, Linke und andere ermordet. Bei der Mehrzahl dieser Morde ist der Nazihintergrund vom Staat vertuscht worden. Während die Amadeu Antonio Stiftung, benannt nach dem am 25. November 1990 von Nazis in Eberswalde zu Tode geprügelten angolanischen DDR-Vertragsarbeiter, von nachgewiesen 182 Naziopfern zwischen 1990 und 2009 ausgeht, spricht die staatliche Statistik von 47. Die wahre Zahl ist mit Sicherheit noch größer.

Angesichts der staatlichen Verstrickung bemühen sich die bürgerlichen Parteien, mit der wichtigen Unterstützung durch die bürgerlichen Arbeiterparteien SPD und Linkspartei, um die nationale Einheit „aller Demokraten“, um das Ansehen des Staates im In- und Ausland wiederherzustellen. Auf einer Sondersitzung beschloss der Bundestag eine heuchlerische Entschließung, die Krokodilstränen um die Ermordeten vergoss, eine „Fehleranalyse“ versprach und die Prüfung eines NPD-Verbotes forderte. In seiner Rede jubelte Gregor Gysi über die Entschließung, die zum ersten Mal auch von der Linkspartei mit eingebracht werden durfte, „dass wir trotz unterschiedlichster Auffassung in vielen Fragen den Rechtsterroristen in Deutschland sagen: Ihr scheitert an uns gemeinsam von der CSU bis zur Linken.“ Dies veranschaulicht die Rolle der Sozialdemokratie – d. h. von SPD und Linkspartei –, Arbeiter, Immigranten und Jugendliche an dieses kapitalistische System zu ketten, das die Nazis brütet, und dem bürgerlichen Staat, der die Nazis schützt und unterstützt, politisch unterzuordnen. Darin besteht auch allgemeiner die Rolle dieser bürgerlichen Arbeiterparteien, deren Basis zwar in der Arbeiterklasse liegt, die aber ein völlig bürgerliches Programm haben.

Insbesondere Linkspartei und SPD fordern nun Aufklärung, die Linkspartei redet gar von der Auflösung des Verfassungsschutzes. Aber sie alle tun so, als handelte es sich um einen „Fehler“ des bürgerlichen Staates, der korrigiert werden kann. Das ist eine Lüge, die den bürgerlichen Staat und ihre eigene Rolle als dessen Verwalter weißwaschen soll. So sprechen weder SPD noch Linkspartei oder ihre linken Anhängsel darüber, dass Otto Schily (SPD) als Innenminister von 1998 bis 2005 der Oberboss von Verfassungsschutz, BKA und Polizei war, als diese einen der NSU-Mörder mit einem staatlichen Pass ausstatteten, die Nazi-Blutspur durch „Fehlermittlungen“ deckten und wer weiß was noch alles taten. Und es war der von der SPD/Grünen-Regierung 2001 in Deutschland begonnene „Krieg gegen den Terror“, der den antimuslimischen Rassismus verschärfte, der die Nazis nährt.

In dem Zusammenhang kann das Ausmaß an Heuchelei seitens des SPD-Sprechers Frank-Walter Steinmeier einfach nur Übelkeit erregen, der erklärte: „Es ist Aufgabe des Staates – darüber streiten wir hier nicht –, dafür zu sorgen, dass Bürger in Sicherheit leben können. In zentralen Funktionen hat unser Staat auf beschämende Art und Weise versagt, und das muss Konsequenzen haben.“ Steinmeier war als Chef des Bundeskanzleramtes verantwortlich für die fortgesetzte Gefangenschaft des deutschen Staatsbürgers Murat Kurnaz von 2002 bis 2006 in der US-Folterhölle Guantánamo, weil eine „Präsidentenrunde“ der Chefs von VS, BND, BKA u. a. unter seinem Vorsitz das Auslieferungsangebot der US-Regierung 2002 nach Deutschland ablehnte. 2007 erklärte Steinmeier dem Spiegel diesbezüglich: „Ich würde mich heute nicht anders entscheiden.“

Was die Linkspartei angeht, so wurde auch in dem von ihr mitregierten Berlin immer wieder versucht, NPD-Aufmärsche mit brutalsten Polizeieinsätzen durchzuprügeln. Oftmals scheiterte dies am mutigen Widerstand linker Demonstranten, die die Naziaufmärsche blockierten und anschließend mit staatlichen Anklagen überzogen wurden. Im Frühjahr dieses Jahres konspirierten Innensenat und Polizei mit der NPD und hielten deren geplante Provokation, mitten durch den von Migranten und Linken bewohnten Berliner Stadtteil Kreuzberg zu marschieren, geheim. Als dann doch etwas an die Öffentlichkeit durchsickerte, schützte die Berliner Polizei den Aufmarsch von etwa 100 Nazis brutal mit Knüppeln und Pfefferspray vor den etwa 500 Linken, die sich mutig den Nazis in den Weg stellten und den Aufmarsch der Nazis verhinderten. 38 Linke wurden verhaftet. Damit sollte die eingewanderte und die gesamte arbeitende Bevölkerung der Stadt, die unter den sozialen Angriffen des Senats leidet, terrorisiert und eingeschüchtert werden.

Nein zu selbstmörderischen Verbotsappellen!

Im Gleichschritt mit SPD und Linkspartei rührt auch die reformistische DKP die Trommel für ein NPD-Verbot. So fordert sie die „Durchsetzung des im Grundgesetz und in den Strafgesetzen verankerten Faschismusverbots“ und das „Verbot der NPD“ (junge Welt, 1. Dezember 2011). Der Zweck des Grundgesetzes dieses kapitalistischen Staates besteht in der Verteidigung des Privateigentums der Kapitalistenklasse an den Produktionsmitteln. Die Verbotsappelle an den bürgerlichen Staat dienen nur dazu, diesen zu stärken und ihm noch mehr Kompetenzen zu geben. Das ist nicht nur ein Hohn angesichts der allseitigen Verwicklung staatlicher Behörden in den Naziterror, es bedeutet auch eine tödliche Bedrohung für die Linken, denn gegen sie werden Gesetze gegen „Extremismus“ umgesetzt werden, während sich an der Kumpanei zwischen Staat und Faschisten nichts ändern wird.

So wurde eine für den 26. November geplante kurdische Demonstration in Berlin verboten, da sie „eine Propagandaveranstaltung aus Anlass des Gründungstages der kurdischen Separatistenorganisation PKK“ sei. Seit 18 Jahren ist die PKK inzwischen verboten, unzählige Kurden sind vor Gerichte gezerrt worden, zahllose Kulturvereine wurden in der Folge verboten. Das PKK-Verbot war damals abgedeckt worden durch das kurz zuvor erfolgte Verbot der faschistischen FAP, deren Mitglieder sich aber ungestört in der NPD usw. reorganisieren konnten.

Wie Verbotsappelle die Arbeiter demobilisieren und politisch entwaffnen, zeigt das Beispiel von Dortmund. 2009 hatte der Dortmunder DGB-Bezirksvorsitzende Eberhard Weber im Vorfeld der 1.-Mai-Demo an die Polizei appelliert, die Demo vor den Nazis zu schützen. Als am 1. Mai 2009 bekannt wurde, dass 300 Nazischläger auf dem Weg zur Kundgebung waren, ließ die DGB-Leitung die Demo von 2500 Leuten einfach abmarschieren, wodurch die Kontingente der türkisch- und kurdischstämmigen Arbeiter am Ende des Demozuges kriminellerweise weitgehend allein gelassen wurden, wo sie gegen die Naziangriffe kämpften. Polizisten griffen brutal diejenigen Arbeiter an, die versuchten, die DGB-Demo zu verteidigen. Fernsehaufnahmen zeigten, wie ein Polizist in Kampfmontur einem Arbeiter, der am Boden festgehalten wird, voll gegen den Kopf trat. Die Drohung der NPD, am 1. Mai 2012 in Dortmund erneut aufzumarschieren, bestätigt die Warnung aus unserem Artikel „Nazischläger überfallen DGB-Mai-Demos“ (Spartakist Nr. 178, Juli 2009): „Die Arbeiter werden an den Staat des Klassenfeindes gekettet und dadurch werden die Nazis zu neuen, dreisteren Provokationen ermutigt.“

Die pseudotrotzkistische SAV appelliert an die bürgerliche Polizei mit dem Hinweis, dass auch eine Polizistin durch Nazis umgebracht wurde: „Jeder Beamte in Uniform muss sich die Frage stellen, warum er Befehle befolgt, die bedeuten, Nazis, die zu solchem Terror greifen, zu schützen, aber gegen Antifaschisten vorzugehen“ (sozialismus.info, 14. November 2011). Die Illusionen, die die SAV heute in den möglichen Antifaschismus der Polizei schürt, gleichen denen der SPD in der Zeit der Weimarer Republik. Trotzki führte in seinem bahnbrechenden Werk Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats 1932 aus:

„Für den Fall wirklicher Gefahr setzt die Sozialdemokratie ihre Hoffnungen nicht auf die ,Eiserne Front‘, sondern auf die preußische Polizei. Eine trügerische Rechnung! Der Umstand, dass die Polizisten in bedeutender Zahl unter sozialdemokratischen Arbeitern rekrutiert wurden, will ganz und gar nichts besagen. Auch hier wird das Denken vom Sein bestimmt. Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter. In den letzten Jahren hatten sich diese Polizisten weitaus mehr mit revolutionären Arbeitern zu schlagen als mit nationalsozialistischen Studenten. Eine solche Schule hinterlässt Spuren. Und die Hauptsache: jeder Polizist weiß, dass die Regierungen wechseln, die Polizei aber bleibt.“

RSB fordert Auflösung der Geheimdienste

Der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) gibt in Avanti (1. Dezember 2011) Lippenbekenntnisse gegen Illusionen in den bürgerlichen Staat ab, nur um im selben Atemzug welche zu schüren: „Die Hoffnung auf die staatlichen Repressionsbehörden, die den Faschismus bekämpfen sollen, ist vergeblich. Was wir brauchen, ist nicht das Verbot der NPD, sondern die Auflösung des Verfassungsschutzes. Wenn jede/r siebte FunktionärIn der NPD AgentIn des Verfassungsschutzes ist – das dürfte auch für andere Nazi-Strukturen gelten – dann müsste dessen Auflösung die NPD in eine tiefe Existenzkrise stürzen.“ Natürlich ist der Verfassungsschutz eine zu Recht verhasste Spitzelorganisation, deren dreckiges Handwerk gegen die Linke und Arbeiterbewegung gerichtet ist, wobei sie mit den Nazis kollaboriert. Aber der NPD durch die Auflösung des Verfassungsschutzes schaden zu wollen ist nur eine weitere Variante, den Arbeitern einzubläuen, dass man die Nazis ohne die eigene unabhängige Mobilisierung stoppen könnte.

Der bürgerliche Staat insgesamt dient nicht der „Wahrung freiheitlicher Bürgerrechte“, sondern der Herrschaft der Kapitalistenklasse. Linke wie den RSB hatte Lenin vor Augen, als er 1917 in Staat und Revolution polemisierte:

„Nach Marx ist der Staat ein Organ der Klassenherrschaft, ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere, ist die Errichtung derjenigen ,Ordnung‘, die diese Unterdrückung sanktioniert und festigt, indem sie den Konflikt der Klassen dämpft. Nach Ansicht der kleinbürgerlichen Politiker ist die Ordnung gerade die Versöhnung der Klassen und nicht die Unterdrückung der einen Klasse durch die andere; den Konflikt dämpfen bedeute versöhnen und nicht, es den unterdrückten Klassen unmöglich machen, bestimmte Mittel und Methoden des Kampfes zum Sturz der Unterdrücker zu gebrauchen.“

Die Bourgeoisie braucht die Nazis als Druck- und Terrormittel und hält sie in der Reserve. Deshalb versucht der bürgerliche Staat als Organ ihrer Klassenherrschaft, es der unterdrückten Klasse, dem Proletariat, unmöglich zu machen, ihre Reservearmee, ihre Nazis zu zerschlagen.

Die Klassenkontinuität des Vierten Reichs

Es wäre völlig illusorisch, zu glauben, dass der bürgerliche Staat auf die Bespitzelung der „eigenen“ Bevölkerung, insbesondere der Linken und Arbeiterklasse, verzichten würde. Selbst wenn der VS aufgelöst werden würde – wovon wir trotz der schreienden Beweise für VS-Nazi-Komplotte weit entfernt sind –, würde die gleiche Drecksarbeit von den gleichen Leuten unter einem anderen Deckmantel fortgesetzt werden. Die Geschichte von Polizei, BKA, BND und VS ist der beste Beweis: Nach der Zerschlagung des Dritten Reichs durch den heldenhaften Sieg der Roten Armee wurde in Westdeutschland der kapitalistische Staat wieder aufgebaut, und zwar mit den gleichen Leuten, die dem Dritten Reich gedient hatten. Der BND entstand aus Gehlens Nazi-Spionageorganisation „Fremde Heere Ost“, und allesamt, BKA, Polizei und VS, wurden mit Kadern der SS, Gestapo und des SD usw. aufgebaut.

Die Nazis wiederum konnten nach der Machtergreifung 1933 den existierenden kapitalistischen Staat der Weimarer Republik – Polizei, Reichswehr, Beamtentum – weitgehend übernehmen. Diese Kontinuität ist eine Klassenkontinuität, d. h. vom Zweiten Kaiserreich über Weimar, das Dritte Reich bis zum heutigen Vierten Reich herrscht kontinuierlich die Bourgeoisie durch ihren Staat – mit Ausnahme Ostdeutschlands, wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet und der bürokratisch deformierte Arbeiterstaat DDR errichtet worden war.

Zwar wird von Linken einiges über die braune Vergangenheit von BND, VS usw. geschrieben. So war in der jungen Welt unter dem sozialpatriotischen Titel „Schande für Deutschland“ am 24. November 2011 zu lesen: „Seriösen Forschungen zufolge waren 500 bis 800 Naziaktivisten in den Ämtern für Verfassungsschutz tätig. Schlimmste Verbrechen wurden von einigen begangen.“ Aber die VS-Kollaboration mit dem NSU und der NPD wird dann lediglich als ein Überrest braunen Gedankenguts dargestellt: „Die Hauptursache des Versagens liegt vielmehr in der Ideologie, im Geist der Mitarbeiter der Verfolgungsorgane, die in der Unterschätzung der rechten Gefahr ihren Ausdruck findet, historische Wurzeln hat und auch nach Generationen noch wirkt.“ So wird die materielle Grundlage dieser Kontinuität vertuscht, nämlich die fortgesetzte Herrschaft des Kapitalismus.

Zwei weitere wichtige Punkte widerlegen, dass es sich lediglich um Nachwirkungen handelt. Erstens sind die Kollaboration zwischen Geheimdiensten und Faschisten, die staatliche Vertuschung von faschistischem Terror und der staatliche Schutz von Faschistenaufmärschen kein rein deutsches Phänomen, sondern wurden und werden in allen modernen kapitalistischen Staaten praktiziert, ob sie nun historisch Teil der faschistischen Achsenmächte, deren Opfer oder Teil der bürgerlich demokratischen Alliierten waren. Ob Britannien oder USA, Deutschland oder Italien: Überall terrorisieren Faschisten Linke und ethnische Minderheiten, und überall schützen die Bullen Faschistenaufmärsche und knüppeln ihre Gegner nieder.

Zweitens wurde mit der Enteignung der Bourgeoisie in der DDR die Wurzel des Faschismus, der Kapitalismus, beseitigt und der Staat eben nicht wie in Westdeutschland von den Naziverbrechern aufgebaut. Die Planwirtschaft in der DDR war ein historischer Fortschritt und ermöglichte enorme soziale Errungenschaften wie die Beseitigung von Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit, eine Gesundheits- und Altersversorgung für alle, Kindergärten, fast Vollbeschäftigung für Frauen usw. Jedoch war die politische Macht in der DDR wie in der Sowjetunion, nach deren Vorbild sie aufgebaut wurde, in den Händen einer bürokratischen Kaste, die die Lüge verbreitete, der Sozialismus könne (jeweils) in einem Land aufgebaut werden.

Kapitalistische Wiedervereinigung gab Naziterror Auftrieb

In der im Herbst 1989 beginnenden proletarisch-politischen Revolution kämpften wir damals mit all unseren Kräften, um die Arbeiter gegen die Konterrevolution zu mobilisieren. Damals krochen auch die Nazis aus ihren Rattenlöchern. Sie waren gegen den Arbeiterstaat und seine gesellschaftlichen Grundlagen gerichtet, während sie im kapitalistischen „demokratischen“ Westen vom Staat geschützt werden, weil sie seine gesellschaftlichen Grundlagen, das Privateigentum an Produktionsmitteln, verteidigen. Auf der von uns initiierten Einheitsfrontkundgebung mit der SED-PDS gegen die Nazischändung des Treptower Ehrenmals für die im Kampf um die Befreiung gefallenen Soldaten der Roten Armee warnten wir:

„Noch ist der wiederaufsteigende Faschismus eine extremistische Randerscheinung. Er würde erneut die ganze Menschheit bedrohen, sobald die ersten Krisen in einem wiedervereinigten Großdeutschland auftauchen. Heute ist aber die SPD/SDP das Hauptinstrument, ein solches Großdeutschland herbeizuführen. Das vielköpfige faschistische Ungeheuer abzuwürgen heißt, diesem sozialdemokratischen Vordringen Einhalt zu gebieten.“ (Spartakist Nr. 66, 3. Januar 1990)

Tatsächlich demonstrierte die SPD im Süden der DDR Seite an Seite mit Nazis, die die Demos von Roten gesäubert hatten, mit nationalistischen konterrevolutionären Losungen für „Deutschland einig Vaterland“.

Infolge der Konterrevolutionen von 1990 bis 1992 in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion ging die soziale Verelendung von Ostberlin bis Moskau mit einem mörderischen Aufstieg von Nationalismus und Naziterror einher. In Deutschland wurde nach monatelanger rassistischer Hysterie gegen Flüchtlinge im Sommer 1992 das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen staatlich genehmigt, wo ein aufgepeitschter Nazimob unter den Augen der beistehenden Polizei ein Flüchtlingswohnheim terrorisierte und schließlich versuchte, die Flüchtlinge zu verbrennen (siehe Spartakist Nr. 97, September 1992). Der SPD-Parteivorstand stimmte unter führender Beteiligung von Oskar Lafontaine zur gleichen Zeit mit den Petersberger Beschlüssen der faktischen Abschaffung des Asylrechts zu. Es folgten die Nazibrandmorde in Mölln und Solingen. Genau vor diesen Folgen haben wir 1989/90 in unserem Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung gewarnt und für die revolutionäre Wiedervereinigung Deutschlands durch proletarisch-politische Revolution in der DDR und sozialistische Revolution in Westdeutschland gekämpft.

Die Nazis haben heute das Gewicht einer Fliege im Vergleich zu den Gewerkschaften, die Millionen deutscher, ex-jugoslawischer, kurdischer und türkischer Arbeiter und deren Kinder und Enkel umfassen. Die deutsche Bourgeoisie würgt der arbeitenden Bevölkerung in den hoch verschuldeten EU-Ländern wie Griechenland, Irland usw. im Zusammenspiel mit den einheimischen Kapitalistenklassen brutale Kürzungspakete rein, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Krise Deutschland wieder erreicht. Dann werden die Angriffe auch wieder verschärft werden. Das wird Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse hervorrufen, jedoch auch rassistischer Demagogie und den Nazis Zulauf verschaffen. Die Nazibrut muss zertreten werden, solange sie noch relativ klein ist!

Die Gewerkschaften müssen ihre Mitglieder mobilmachen und an der Spitze aller potenziellen Opfer der Faschisten mit disziplinierten Einheitsfrontaktionen Naziprovokationen unabhängig von den Kapitalisten und ihrem bürgerlichen Staat zerschlagen. Notwendig sind ethnisch integrierte Arbeiterverteidigungsgruppen zur Verteidigung von Gewerkschaften und deren Kundgebungen, Streiks und Einrichtungen und zur Verteidigung von Immigrantenwohnvierteln usw. Es ist das kapitalistische Elend, das diese Brut züchtet, und daher muss der Kampf gegen den Naziterror untrennbar mit dem Kampf zum Sturz des Kapitalismus durch sozialistische Revolution verbunden werden. Das erfordert einen Bruch mit der sozialdemokratischen Politik der Appelle an den Staat und die Schmiedung einer multiethnischen revolutionären Arbeiterpartei als Teil der wiederzuschmiedenden Vierten Internationale.