Spartakist Nr. 190 |
Oktober 2011 |
Frauen und Revolution
Bangladesch: Frau barbarisch verstümmelt
Für Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution!
Folgender Artikel erschien in Spartacist Canada Nr. 170, Herbst 2011, Zeitung unserer kanadischen Genossen der Trotskyist League/Ligue trotskyste.
Am 5. Juni wurde in Dhaka, Bangladesch, die 33 Jahre alte Rumana Monzur von ihrem Mann derart entstellt, dass sie für immer blind ist. 25 lange Minuten folterte er Rumana, stach ihre Augen aus und biss ihre Nase und Teile ihres Gesichts ab. Rumana, Dozentin für Internationale Beziehungen an der Universität von Dhaka, arbeitet an ihrem Magister-Abschluss in Politikwissenschaften an der University of British Columbia (UBC) in Vancouver. Im Mai kehrte sie nach Dhaka zurück, um ihre Familie und ihre fünfjährige Tochter zu besuchen und ihre Examensarbeit zu Ende zu bringen. Dieser Anschlag auf ihr Leben geschah mit der Absicht, Rumanas akademische Karriere zu beenden; in ihren eigenen Worten: „Er hasste die Vorstellung, dass ich gebildet sein würde.“
Berichten zufolge wurde Rumanas Ehemann Hassan Sayed am 15. Juni verhaftet – erst nachdem die Lehrergewerkschaft Bangladeschs an der Universität von Dhaka mit Streik gedroht hatte. Er ist nun des versuchten Mordes angeklagt. Seine Verhaftung erfolgte, nachdem am 14. Juni Studenten und Lehrer an der Universität protestierten und zwei Menschenketten sowie eine Demonstration über den Campus organisierten. Angesichts der Gefahren, die es mit sich bringen würde, die Geschichte publik zu machen, verlangten die Demonstranten außerdem Sicherheit für Rumanas Familie. Und sie forderten, dass die Regierung und die Universität von Dhaka die medizinischen Behandlungen bezahlen sollen. Da dieses grauenhafte Verbrechen allgemein bekannt wurde, erhielt Rumana medizinische Hilfe in Indien und Kanada, aber Versuche, ihr Sehvermögen zu retten, waren tragischerweise vergeblich. Jetzt wurde ihr sowie einigen ihrer engsten Familienmitglieder eine befristete Aufenthaltserlaubnis in Kanada erteilt.
Auch in Kanada entfachte ihre Geschichte Wut. Am 26. Juni organisierten Studenten am St. Johns College, dem Wohnheim der UBC, wo Rumana gelebt hatte, eine Demonstration von 300 Leuten. Am Protest beteiligten sich Studenten, Lehrer, Gewerkschafter und Frauenorganisationen sowie Unterstützer der Trotskyist League. Auf Plakaten wurde „Gerechtigkeit für Rumana“ gefordert und „Respektiert das Recht der Frauen auf Bildung“.
Bei dieser Demonstration und in kanadischen Zeitungsartikeln bestanden einige Feministinnen darauf, der Angriff habe nichts mit Religion zu tun und sei einzig eine Frage von „häuslicher Gewalt“, und sie behaupteten, dies zu bestreiten sei rassistisch. Es ist wahr, dass Gewalt gegen Frauen in allen Gesellschaften stattfindet, über Klassen-, religiöse und nationale Grenzen hinweg; aber was Rumana passiert ist, trug alle Kennzeichen eines versuchten „Ehrenmordes“. Zahllose solcher Morde geschehen im Nahen Osten, in Süd- und Zentralasien, und auch in vielen imperialistischen Ländern. Diese brutalen Verbrechen haben ihren Ursprung darin, dass der Wunsch einer Frau, unabhängig von „traditioneller“ Kultur zu leben, mit dem Erbe vorkapitalistischer sozialer und wirtschaftlicher Normen kollidiert, die in weiten Teilen der Welt fortbestehen.
Der Angriff auf Rumana erinnert daran, wie die 17-jährige Aqsa Parvez vor vier Jahren in einem Vorort von Toronto von ihrem Vater ermordet wurde, und ebenso an die Serie brutaler Morde an Frauen der Sikhs in der Provinz British Columbia durch ihre Ehemänner und andere Verwandte. Aqsa hatte sich geweigert, den islamischen Hijab (ein Schultern und Hals bedeckendes Kopftuch) zu tragen; unter den Sikh-Frauen war es oft so, dass ihre relative wirtschaftliche Unabhängigkeit durch Jobs als Lehrerin, Krankenschwester, Softwareentwicklerin usw. mit der traditionellen Sikh-Gesellschaft zusammenprallte, wo arrangierte Ehen und Brautgeld die Norm sind. In Rumanas Fall kamen ihre akademischen Bestrebungen und ihr unabhängiges Leben im Ausland auf ähnliche Weise in Konflikt mit traditioneller muslimischer Kultur.
Solche Verbrechen werfen ein Schlaglicht auf die explosive Mischung von Frauenunterdrückung und Rassismus gegen Immigranten im heutigen Kanada. Wir verurteilen, dass rassistische Reaktionäre und kapitalistische Politiker diese grauenhaften Morde ausschlachten, um fanatische Hetze gegen Immigranten und Muslime anzuheizen. Rassistische Hysterie gegen Muslime nährt hierzulande den „Krieg gegen Terror“ der Herrschenden, der zahllose falsche, abgekartete Anklagen mit sich brachte, Internierung und „Überstellung“ von Menschen an andere Länder, wo sie gefoltert werden, sowie fortgesetzte Angriffe auf die Rechte von allen. Zu diesem „Krieg gegen Terror“ gehört es auch, dass immer wieder verschleierte muslimische Frauen zum Sündenbock gemacht werden.
Wir wenden uns aufs Schärfste gegen diese Kampagne der rassistischen herrschenden Klasse gegen Muslime und andere Minderheiten. Gleichzeitig solidarisieren wir uns nachdrücklich mit Frauen, die versuchen, der Enge religiöser Traditionen zu entkommen. Bangladesch ist ebenso wie auch der übrige indische Subkontinent durch vorkapitalistische soziale und wirtschaftliche Normen geprägt. Dieses neokoloniale Land ist durch die Diktate der imperialistischen Ordnung beherrscht und steht gleichzeitig unter der Tyrannei des religiösen Obskurantismus; kapitalistische Ausbeutung manipuliert und vertieft die altertümlichen Traditionen und Tabus.
Das Konzept der „Familienehre“ – die Kontrolle über die Sexualität einer Frau durch ihre Familie – gibt es nicht nur im Islam, sondern es kommt in einer Reihe von Religionen vor, so auch im Christentum. Es ist die Widerspiegelung davon, dass Frauen als das Eigentum ihrer Männer oder Väter angesehen werden. Dies bringt Friedrich Engels in seinem klassischen Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884) machtvoll auf den Punkt: „Um die Treue der Frau, also die Vaterschaft der Kinder, sicherzustellen, wird die Frau der Gewalt des Mannes unbedingt überliefert: Wenn er sie tötet, so übt er nur sein Recht aus.“
Rumana und ihre Familie waren sich bewusst, welche tödlichen Konsequenzen es für eine Frau in Bangladesch haben kann, wenn ihre „Tugend“ infrage gestellt wird. So baten sie Studienkollegen und Freunde in Vancouver inständig darum, Rumanas Treue zu bezeugen, nachdem ihr Ehemann sie der Untreue bezichtigt hatte, um seine Folter an ihr zu „rechtfertigen“. Solche Anschuldigungen bedeuten für viele Frauen und junge Mädchen den Tod. Dies widerfuhr Hena Acuter, 14 Jahre alt, Vergewaltigungsopfer. Sie wurde im Januar zu Tode gepeitscht, nachdem muslimische Geistliche vor Ort sie in einer „Fatwa“ des Ehebruchs bezichtigt hatten. Seitdem haben sich Berichten zufolge mindestens drei weitere Frauen aus Bangladesch umgebracht, nachdem sie ähnlicher öffentlicher Demütigung und Folter ausgesetzt waren.
In Gegenden wie Bangladesch, auf denen jahrhundertealte „Bräuche“ schwer lasten, können selbst grundlegende Fragen demokratischer Reformen explosiv sein. 1994 wurde die bangladeschische Autorin Taslima Nasrin von islamischen Fundamentalisten aus dem Land gejagt, die sich wütend über Taslimas Kampf für Frauenrechte, unter anderem für das Recht auf Verhütung und Abtreibung, aufregten (siehe „Women and the Permanent Revolution in Bangladesh“ [Frauen und die permanente Revolution in Bangladesch], Women and Revolution Nr. 44, Winter 1994/Frühjahr 1995).
Dieses Jahr im April inszenierten reaktionäre Fundamentalisten einen Generalstreik als Antwort auf die Nationale Frauenentwicklungspolitik der Regierung. So bescheiden die mit dieser Politik verbundenen Reformen an der im Einklang mit islamischen Vorschriften erlassenen Familiengesetzgebung auch waren, zogen sie doch den Zorn der Fundamentalisten auf sich. Eine Reihe nach links tendierender Frauengruppen, darunter die Frauenzelle der Kommunistischen Partei von Bangladesch, haben für das Programm „Gleiche Rechte sind unsere Minimalforderung“ demonstriert. Sie protestieren gegen die Unvollständigkeit der Regierungspolitik und fordern ein „vereinheitlichtes“ Familienrecht und gleiches Erbschaftsrecht für Frauen. Welche Reformen auch immer den bürgerlichen Herrschern abgerungen werden können, wie partiell sie auch sein mögen, sie müssen verteidigt werden. Aber auf Appelle an bürgerliche Regierungen zu vertrauen, sie sollten Frauen schützen und tatsächliche Gleichheit zwischen den Geschlechtern herstellen, ist eine Sackgasse.
Auch Christentum und Judentum in ihren vielen Varianten predigen erstickende Moralvorstellungen, um die patriarchalische Familie, die wichtigste soziale Institution zur Unterdrückung der Frauen, aufrechtzuerhalten. Diese Religionen haben ihre Wurzeln ebenfalls in der vorkapitalistischen Gesellschaft, aber sie passten sich dem aufsteigenden Industriekapitalismus und den bürgerlich-demokratischen Nationalstaaten an, wo sie existierten. Die radikalen demokratischen Prinzipien der Aufklärung waren die ideologische Widerspiegelung der historischen materiellen Fortschritte gegenüber einer rückständigen Feudalgesellschaft. Der Islam musste sich als Religion nicht anpassen, hauptsächlich weil er in jenen Teilen der Welt verwurzelt ist, wo die Imperialisten soziale Rückständigkeit verstärkt haben, die ihre Vorherrschaft sichern soll.
Die Emanzipation der Frauen als Teil der Befreiung aller Unterdrückten Bangladeschs und des gesamten Subkontinents erfordert einen Kampf für permanente Revolution – die die Arbeiterklasse erobert an der Spitze der Bauernschaft und der unterdrückten Massen die Macht durch eine sozialistische Revolution, organisiert die Gesellschaft auf Basis vergesellschafteten Eigentums um und kämpft dafür, die Revolution international auszuweiten, insbesondere auf die imperialistischen Zentren. Das beste historische Beispiel dafür ist die große Oktoberrevolution 1917 in Russland, geführt von den Bolschewiki, der Partei von W. I. Lenin und Leo Trotzki. Solch eine Perspektive bedeutet, gegen religiösen Obskurantismus und die Unterdrückung der Frauen den Kampf aufzunehmen. Bangladesch hat eine lebhafte und potenziell machtvolle Arbeiterklasse mit einem bedeutenden Anteil von Arbeiterinnen, die in der Bekleidungs- und Juteindustrie konzentriert sind. Diese Arbeiterinnen werden für die Revolution eine starke treibende Kraft sein. Wie Trotzki 1924 in seiner Rede „Die Aussichten und die Aufgaben der Kommunisten im Osten“ schrieb:
„Das bedeutet aber zugleich, dass die in der Lebensführung, in den Sitten und Gebräuchen, in der Arbeit am meisten festgekettete orientalische Frau, die versklavteste der Sklavinnen, wenn sie – gemäß den Forderungen der neuen wirtschaftlichen Verhältnisse – den Schleier abgelegt haben wird, sich sofort einer gewissen geistigen Stütze beraubt fühlen wird, leidenschaftlichen Durst nach neuen Gedanken, nach einem neuen Bewusstsein haben wird, die es ihr erlauben, ihre neue Lage in der Gesellschaft geistig zu artikulieren. Und es wird keinen besseren Genossen im Osten geben, keinen besseren Kämpfer für die Gedanken der Revolution, für die Gedanken des Kommunismus, als die erwachte arbeitende Frau.“