Spartakist Nr. 186 |
Januar 2011 |
Frankreich: Streikwelle gegen Regierungsangriff auf Renten
Für eine revolutionäre Arbeiterpartei! Nein zu einer neuen Volksfront!
Der nachfolgende, leicht redigierte Artikel wurde von unseren französischen Genossen geschrieben und erschien zuerst in Workers Vanguard Nr. 968, 5. November 2010.
Der Kampf französischer Arbeiter zur Verteidigung ihrer Renten gegen Angriffe der Regierung war seit Jahren eine der schärfsten Klassenauseinandersetzungen, die das Land erlebt hat. Streiks von Arbeitern bei Ölraffinerien und strategischen Ölterminals, die den Schwerpunkt des Kampfes bildeten, legten zuletzt alle 12 Raffinerien des Landes still, bevor die Streiks Ende Oktober beendet wurden. Streiks von Eisenbahn-, Metro- und Flughafenpersonal legten das Transportwesen lahm, während im ganzen Land Tankstellen aus Nachschubmangel geschlossen wurden, der auch den treibstoffhungrigen industriellen Sektor bedrohte. Ein 33-tägiger Streik von Ölterminalarbeitern in der Region von Marseille stoppte etwa 80 Schiffe vor der Mittelmeerküste. In mindestens zehn Städten streikten Müllarbeiter. In Marseille häuften sich 11 000 Tonnen nicht abgeholten Mülls in den Straßen.
Millionen im ganzen Land machten im September und Oktober zu Demonstrationen mobil. Doch trotz überwältigenden öffentlichen Widerstands gegen die vom rechtsgerichteten Präsidenten Nicolas Sarkozy vorangetriebene Renten„reform“ verabschiedete das Parlament letzte Woche ein Gesetz, das das Renteneintrittsalter um zwei Jahre auf 62 und das Mindestalter für vollen Rentenanspruch auf 67 Jahre anhebt.
Entschlossen, den französischen Kapitalismus gegenüber seinen imperialistischen Rivalen konkurrenzfähig zu machen, ging Sarkozy mit allen Mitteln gegen die Streikenden vor. Hunderte von Bereitschaftsbullen wurden zur gewaltsamen Auflösung von Streikpostenketten aufgeboten, die Raffinerien, Treibstofflager und andere Industrieanlagen blockierten. Die gesamte Stadt Donges in der Nähe von Nantes, die eine der größten Raffinerien des Landes beherbergt, wurde von Armee und Bereitschaftsbullen in Belagerungszustand versetzt. Streikende in der Grandpuits-Raffinerie in der Nähe von Paris wurden im Namen der „nationalen Sicherheit“ unter Androhung einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe zur Arbeit zwangsverpflichtet. Seit Mitte Oktober hat die Regierung mindestens 2500 Menschen verhaftet.
Diese Angriffe auf Streikende – und auf das Streikrecht selbst – gingen mit systematischer Bullengewalt gegen Jugendliche weiterführender Schulen einher, insbesondere gegen Berufsschüler aus der Arbeiterklasse mit einem starken Minderheitenanteil. Jugendliche nahmen in großer Zahl an den Demonstrationen teil, in dem Bewusstsein, dass eine Erhöhung des Rentenalters die Jugendarbeitslosigkeit, die für unter 25-jährige bei 23 Prozent liegt, weiter verstärken würde. In den letzten Jahren haben Schüler unzählige Protestaktionen durchgeführt, unter anderem gegen den Abbau von Arbeitsplätzen im Bildungswesen. Seit 2007 wurden etwa 50 000 Stellen für Lehrer gestrichen, und die einzigen neuen Ausgaben im Bildungswesen wurden für „Sicherheit“, Polizeipatrouillen und private Sicherheitsdienste getätigt. Wir fordern: Einstellung aller Verfahren gegen die Streikenden und Schüler! Sofortige Freilassung der Demonstranten!
In ganz Europa sind die kapitalistischen Herrscher dazu entschlossen, die Arbeiter für die weltweite Wirtschaftskrise durch Demontage der Renten, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst und Streichungen bei den noch verbliebenen Leistungen des „Sozialstaates“ zahlen zu lassen. Dies hat bis Oktober 2010 zu einer Reihe von eintägigen Generalstreiks geführt – ein halbes Dutzend allein in Griechenland – und zu einem weiteren wurde für November in Portugal aufgerufen. Doch die Kampfbereitschaft der Arbeiter läuft dem politischen Programm der Gewerkschaftsbürokratien zuwider, die nur die „Auswüchse“ kapitalistischer Kahlschlagspolitik lindern möchten.
In Frankreich ist die Gewerkschaftsbewegung in verschiedene Verbände unter dem Einfluss jeweils einer oder mehrerer reformistischer Parteien zersplittert. Geht es nach diesen Reformisten, dann sollte der Kampf der Arbeiter gegen den Angriff auf die Renten dazu dienen, Sarkozy zu „schwächen“ und die Basis für die Wahl einer „linken“ Regierung 2012 zu schaffen, wenn Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen. Dahingehend äußerte sich der Wortführer der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) Olivier Besancenot, der im August erklärte: „Das Ergebnis von 2012 wird zu einem großen Teil von dem Kampf um die Renten abhängen. Jetzt gilt es, die Regierung und die Rechte zu schwächen.“
Der Kampfgeist der Arbeiter ist durch die Kriecherei der Gewerkschaftsführer untergraben worden. Diese Bürokraten, die der Verteidigung der Interessen des französischen Kapitalismus verpflichtet sind, akzeptieren die Notwendigkeit einer „Reform“ des staatlichen Rentensystems, um Kosten einzusparen – sie forderten einfach nur einen Sitz am Verhandlungstisch. Monatelang haben die Gewerkschaftsoberen nachdrücklich betont, sie würden einer Anhebung der für einen vollen Rentenanspruch notwendigen Anzahl Arbeitsjahre (die Position des Gewerkschaftsverbandes CFTD) oder einer Anhebung der vom Lohn der Arbeiter abgezogenen Rentenversicherungsbeiträge (die Position des Gewerkschaftsverbands CGT) zustimmen. Ein Mitarbeiter des CFTD-Chefs François Chérèque sagte der Pariser Tageszeitung Libération: „Insgeheim würden es einige Verbandsführer nicht ungern sehen, wenn die Bewegung im Sande verlaufen würde.“
Beim Kampf um die Renten legte die Intersyndicale – ein Zusammenschluss von Bürokraten der verschiedenen Gewerkschaftsverbände, der von den linksgerichteten Organisationen, darunter NPA und Lutte ouvrière (LO), unterstützt wird – von Anfang an den Schwerpunkt auf die Mobilisierung für eine Reihe einzelner „Aktionstage“. Diese Veranstaltungen waren weitgehend nach dem Rhythmus der parlamentarischen Beratungen zur Renten„reform“vorlage gestaffelt – zur Beratung der Vorlage in der Nationalversammlung, zur Abstimmung im Senat usw. –, mit dem Ziel, einige Zugeständnisse bei der Formulierung des Gesetzes herauszuschlagen.
Nach dieser bitter durchkämpften Streikwelle kehrten viele Arbeiter wütend an ihren Arbeitsplatz zurück, verfluchten Sarkozy und schworen, dass er nach den nächsten Parlamentswahlen ohne Job dastehen werde. Doch die Frage ist: In welche Richtung wird diese Wut gelenkt werden? Wird sie in Unterstützung für eine neue Volksfrontregierung kanalisiert werden, in der die reformistischen Arbeiterparteien im Bündnis mit den Parteien des kapitalistischen Klassenfeindes die Geschäfte des bürgerlichen Staates verwalten? Werden Bourgeoisie und Gewerkschaftsbürokraten die Wut der Arbeiter in die Bahnen von immigrantenfeindlichem Rassismus und nationalem Chauvinismus lenken? Oder wird das Proletariat unabhängig und zur Verteidigung seiner Klasseninteressen mobilmachen? Hier stellt sich grundlegend die Frage der Führung. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, eine revolutionäre Arbeiterpartei zu schmieden, die auf das marxistische Verständnis gegründet ist, dass das kapitalistische System durch sozialistische Revolution gestürzt werden muss.
Insbesondere seit der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion 1991/92 haben die reformistischen Arbeiterführer und die „extreme Linke“ den Kreuzzug der Kapitalisten vom „Tod des Kommunismus“ in sich aufgesogen, der den Kommunismus bestenfalls als „gescheitertes Experiment“ darstellt. Bei unseren Interventionen in die jüngste Streikbewegung strebte die Ligue trotskyste de France, Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga, danach, wie bei all unserer Arbeit, dem revolutionären Programm des Bolschewismus und den befreienden Idealen des Kommunismus wieder Geltung zu verschaffen.
Die kapitalistischen Herrscher haben immer wieder bewiesen, dass sie Feinde des menschlichen Fortschritts sind. Im Gegensatz zu den Reformisten, die die Unverletzlichkeit der kapitalistischen Ordnung hochhalten, ist es unser Ziel, eine revolutionäre, multiethnische Arbeiterpartei aufzubauen, die den Kampf für eine sozialistische Revolution anführt. Der bolschewistische Führer Leo Trotzki betonte im Übergangsprogramm von 1938, das inmitten der Weltwirtschaftskrise geschrieben wurde, treffend: „Kann der Kapitalismus die Ansprüche nicht befriedigen, die sich unvermeidlich aus den von ihm erzeugten Übeln ergeben, dann mag er zugrunde gehen.“
Die Volksfront: für Arbeiter tödliche Illusion
Die kapitalistische Regierung dient den Interessen der Bourgeoisie auf Kosten der Arbeiter und Unterdrückten, egal ob sie von Parteien der Linken oder der Rechten gestellt wird. Um zu sehen, wie eine linke Regierung den Abbau der Errungenschaften der Arbeiterklasse betreibt, muss man nur auf die andere Seite der Pyrenäen schauen, wo die Regierung von José Luis Zapateros PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei) ebenfalls Kahlschlagsmaßnahmen zu verhängen versucht, darunter auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das neue Arbeitsgesetz könnte man beschreiben als CPE – aber für jedermann, nicht nur für Jugendliche. (Der CPE [Ersteinstellungsvertrag] war ein nach Protesten zurückgezogenes französisches Gesetz von 2006, das für neue Arbeiter unter 26 Jahren eine zweijährige Probezeit vorsah, in der sie ohne Angabe von Gründen hätten gefeuert werden können.) Als Arbeiter im September gegen das neue Arbeitsgesetz einen eintägigen Generalstreik durchführten, schickte Zapatero die Bullen, um die Streikpostenketten zu zerschlagen (sie gingen so weit, dass sie gegen Streikposten bei der CASA-Flugzeugfabrik in der Nähe von Madrid Schusswaffen einsetzten).
Doch die spanischen Gewerkschaftsoberen predigen den Arbeitern, dass die PSOE an der Macht „ihre“ Regierung sei. Als Zapatero im Juni sein Arbeitsgesetz verkündete, riefen die Gewerkschaftsfunktionäre zu einem eintägigen Generalstreik auf … der drei Monate später abgehalten werden sollte, was dem Versuch gleichkam, von der Regierung eine Erlaubnis für den Streik zu bekommen. Die Regierung antwortete auf den Generalstreik vom 29. September, indem sie einen Vertreter des Gewerkschaftsverbandes UGT, Valeriano Gómez, zum neuen, für die Renten„reform“ verantwortlichen Arbeitsminister ernannte!
In Frankreich treten linke bürgerliche Regierungen in Gestalt von „Volksfronten“ auf – d. h. Bündnissen zwischen reformistischen Parteien der Arbeiterklasse und direkten Vertretern der Bourgeoisie. Revolutionäre lehnen solche Bündnisse, die die Arbeiter durch die offene Klassenzusammenarbeit ihrer Führer an den kapitalistischen Klassenfeind ketten, bedingungslos ab. Schaut man auf die Geschichte, so diente die Volksfront dazu, Arbeiterkämpfe ins Leere laufen zu lassen, auch durch das Ablenken vom Kurs auf eine Arbeiterrevolution, und dazu, die Arbeiter oftmals in blutige Niederlagen zu treiben. Im französischen Generalstreik von 1936 würgte die Volksfront – eine Koalition aus Sozialdemokraten, der stalinistischen Kommunistischen Partei (KPF) und der bürgerlichen Radikalen Partei – eine vorrevolutionäre Situation ab, indem sie den Aufruhr in parlamentarische Bahnen ablenkte, was letztendlich 1940 zur Übergabe der Macht an den nazifreundlichen Marschall Pétain führte.
Die Zerstörung der Sowjetunion hat weltweit zu einem tiefgreifenden, wenn auch ungleichmäßigen, Rückschritt im politischen Bewusstsein geführt, so dass selbst fortgeschrittenere Arbeiter ihre Kämpfe nicht mehr mit dem Endziel des Sozialismus in Zusammenhang bringen. Obgleich die westeuropäischen Bourgeoisien heutzutage nicht unmittelbar eine rote Revolution fürchten, haben sich Volksfrontregierungen oft als effektiver als rechtsgerichtete Regime erwiesen, wenn es darum geht, gegen die Arbeiterklasse gerichtete Maßnahmen durchzusetzen. So war es ein 1991 veröffentlichtes „Weißbuch“ der Volksfrontregierung von François Mitterrand/Michel Rocard, das zwei Jahre später als Grundlage für eine Anhebung der für einen vollen Rentenanspruch notwendigen Anzahl Arbeitsjahre – von 37,5 auf 40 Jahre – im privaten Sektor diente. Im Dezember 1995 zwang eine Welle militanter Streiks die rechtsgerichtete Regierung, Rentenkürzungspläne im öffentlichen Sektor fallen zu lassen. Doch die falschen Führer der Arbeiterklasse verrieten den Kampfgeist und die Opferbereitschaft der Arbeiter. Das Ergebnis waren Neuwahlen, die 1997 unter Premierminister Lionel Jospin von der Sozialistischen Partei eine Volksfrontregierung an die Macht brachten, der auch KP-Minister angehörten. Der „Charpin-Bericht“, der unter anderem de facto vorschlug, das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre anzuheben, und so den Rahmen für die heutigen Angriffe auf die Renten darstellt, wurde unter Jospin veröffentlicht.
Der Kampf für eine revolutionäre Führung des Proletariats
Angesichts Sarkozys entschlossenen Angriffs auf die Renten haben viele kämpferische Arbeiter genau verstanden, dass isolierte „Aktionstage“ nicht ausreichen. Kleine, lokale und meist kurzlebige Initiativen, auch von Eisenbahnarbeitern, breiteten sich aus wie anarchische Gärung, der jedoch ein Plan fehlte. Doch im Gegensatz zum Dezember 1995, als Eisenbahn- und Nahverkehrsarbeiter an der Spitze des Kampfes standen, der die öffentlichen Verkehrsmittel für mehr als drei Wochen lahm legte und damit praktisch das Ende der rechtsgerichteten Regierung von Jacques Chirac/Alain Juppé bedeutete, ist heute die Lage der Eisenbahnarbeiter weit schwieriger. Gemäß des Gesetzes über „sozialen Dialog“ von 2007 haben die Gewerkschaftsbürokraten mit den Bossen die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an Bahnverbindungen während des Streiks ausgehandelt.
Die Gewerkschaftsbürokraten akzeptieren den Rahmen des Kapitalismus und wagen nur zu fordern, was sie mit dem Fortbestehen und dem Wohlergehen der eigenen nationalen herrschenden Klasse für vereinbar halten, von der sie einige Krumen abzubekommen hoffen. So ist der Gewerkschaftsopportunismus naturgemäß eng national beschränkt. Und die Bürokraten tragen selbst zur Verbreitung chauvinistischen Giftes in der Arbeiterklasse bei.
Dies untergräbt unmittelbar die Kämpfe der Arbeiterklasse, wie die jüngsten Streiks der Raffineriearbeiter, die z. B. bei den Kämpfen zur Verteidigung der Renten an vorderster Front standen und gleichzeitig gegen die Bedrohung ihrer eigenen Arbeitsplätze kämpften. Vom Standpunkt der Kapitalisten gibt es wegen der durch die Rezession zusammengebrochenen Treibstoffexporte in die USA ein Dutzend zu viele Raffinerien in Europa. Französische Gerichte genehmigten kürzlich die Schließung der Raffinerie in Dunkerque, und Petroplus kündigte die Schließung der Raffinerie von Reichstett in der Nähe von Strasbourg im Osten des Landes an.
Die französischen Raffineriearbeiter hätten an ihre Klassenbrüder in Deutschland, den Niederlanden, Italien und anderswo appellieren müssen, um die Lieferung von Raffinerieerzeugnissen nach Frankreich zu verhindern, die dazu dienen sollten, den Streik zu brechen. Laut Le Monde online (26. Oktober 2010) blockierten belgische Gewerkschafter ein Treibstoffdepot von Total im belgischen Feluy, um Lieferungen nach Frankreich zu verhindern. Doch ein möglicher internationalistischer Kampf wird durch die nationalistische Sichtweise der Gewerkschaftsbürokraten untergraben, deren Auffassung ist: Wenn es in Europa Fabrikschließungen und Arbeitsplatzverluste geben muss, dann bitte in anderen Ländern (im Gegensatz dazu siehe die gemeinsame Erklärung der britischen, französischen und deutschen Sektion der IKL „Für internationalen Klassenkampf gegen Airbus-Bosse!“, Spartakist Nr. 166, Frühjahr 2007).
Die Umstände schreien nach einer neuen, revolutionären Führung des Proletariats. Die Schmiedung einer solchen Führung erfordert einen politischen Kampf gegen die gegenwärtige Führung der Arbeiter und insbesondere gegen diejenigen, wie NPA und LO, die innerhalb der Gewerkschaften daran arbeiten, der Bürokratie ein linkes Mäntelchen umzuhängen.
Eine revolutionäre Führung würde für eine Reihe von Übergangsforderungen kämpfen, die von dem gegenwärtigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse ausgehen, indem sie ihre tagtäglichen Kämpfe gegen die Kapitalisten thematisieren, und die in die Notwendigkeit einer proletarischen Revolution münden. Es ist unbedingt notwendig, für die Beseitigung der unzähligen arbeitsvertraglichen Statusunterschiede zwischen den Arbeitern – Zeitangestellte, Auszubildende, Arbeiter mit befristeten Verträgen – zu kämpfen, wie auch für den Zugang zu Vollzeitjobs für all jene, vor allem Frauen, die jetzt nur Teilzeitarbeit finden können. Das bedeutet einen Kampf für kostenlose, hochwertige Kinderbetreuung rund um die Uhr. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit, von der unverhältnismäßig viele ältere Arbeiter und Jugendliche betroffen sind, ist es unabdingbar, die Arbeit ohne Lohnverlust auf alle vorhandenen Arbeiter zu verteilen.
Es muss einen Kampf geben gegen rassistische Diskriminierung bei der Jobvergabe und für die Beseitigung aller Arbeitsbeschränkungen gegen Arbeiter aus Osteuropa (die besonders Roma aus Rumänien treffen). Darüber hinaus bedeutet das einen Kampf für volle Staatsbürgerrechte für alle, die in diesem Land sind, mit oder ohne Papiere, mit oder ohne Anstellung, Schleier tragend oder nicht. Der von der Regierung geführte rassistische „Krieg gegen den Terror“ trifft in erster Linie Menschen muslimischer Herkunft und letztendlich die gesamte Arbeiterklasse. Am 14. September 2010 verabschiedete das französische Parlament ein Gesetz, das Frauen, auch französischen Staatsbürgerinnen, verbietet, die muslimischen Kleidungsstücke Niqab und Burka, die das Gesicht verschleiern, in der Öffentlichkeit zu tragen. Im Namen der Verteidigung von „Gleichheit“ der Frauen stigmatisiert die Regierung muslimische Minderheiten als den „inneren Feind“. Nieder mit dem rassistischen Anti-Burka-Gesetz!
Schluss muss auch sein mit den Angriffen auf das Bildungs- und Gesundheitssystem und andere Sozialleistungen, von denen die Wohnviertel der Arbeiterklasse und Minderheiten am schwersten betroffen sind. Dies erfordert ein Programm umfangreicher öffentlicher Arbeiten zum Aufbau und Wiederaufbau des Wohnungswesens, der Verkehrswege, von Schulen aller Art, von Krankenhäusern und Polikliniken, die die Kapitalisten im Begriff sind zu schließen. Das Ziel des kapitalistischen Produktionssystems ist es, Profite einzusacken, nicht sich mit den Bedürfnissen der Bevölkerung zu befassen. Das bedeutet, dass die Kapitalisten nicht dazu in der Lage sind, auf einen solchen Forderungskatalog einzugehen. Doch für die Arbeiterklasse stellt sich letztendlich die Überlebensfrage, und deshalb müssen die Arbeiter begreifen, dass das kapitalistische System durch Arbeiterrevolution gestürzt werden muss.
Für die Unabhängigkeit der Gewerkschaften von den Bossen und ihrem Staat!
In einer seiner letzten Schriften bemerkte Leo Trotzki, dass eine Gemeinsamkeit moderner Gewerkschaften in ihrer „Annäherung an die Staatsgewalt“ und dem „Verschmelzen mit ihr“ besteht („Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“, 1940). Trotzki betonte, dass „die Umwandlung der Gewerkschaften von einem Organ der Arbeiteraristokratie in ein Organ der breiten, ausgebeuteten Massen“ die „vollständige und bedingungslose Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom kapitalistischen Staat“ erfordert.
Frankreich hat mit nur etwa fünf Prozent organisierter Arbeiter im privaten Sektor einen der niedrigsten gewerkschaftlichen Organisationsgrade aller Industrieländer. Außerdem ist diese kleine Minderheit von organisierten Arbeitern in der Regel auf verschiedene, miteinander am selben Arbeitsplatz konkurrierende Gewerkschaften aufgespalten, die bei Streiks oft gegeneinander als Streikbrecher auftreten. Die Gewerkschaften hängen mehr von Zuschüssen des bürgerlichen Staates und der Bosse ab als von den Beiträgen ihrer eigenen Mitglieder. Wie diese Zuschüsse verteilt werden, hängt hauptsächlich von dem bei innerbetrieblichen Wahlen von den verschiedenen Gewerkschaften erreichten Stimmenanteil ab, wobei hier alle Arbeiter wählen dürfen, nicht nur die kleine gewerkschaftlich organisierte Minderheit. Das bedeutet, dass die Bürokraten nicht darauf aus sind, die Unorganisierten zu organisieren, sondern stattdessen ihren Stimmenanteil bei innerbetrieblichen Wahlen – die von den Bossen und vom Staat durchgeführt werden – zu maximieren, um ein größeres Stück vom Kuchen zu erhalten als ihre gewerkschaftlichen Konkurrenten.
Ein entscheidender Bestandteil des Kampfes zur Überwindung der Spaltung in konkurrierende Gewerkschaftsverbände ist der Kampf zur Schmiedung von Industriegewerkschaften, die alle Arbeiter der gleichen Branche in einer einzigen Gewerkschaft vereinigen, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit und ihrem arbeitsvertraglichen Status. Dies ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für den Aufbau einer revolutionären Führung der Arbeiterklasse.
Alle Gewerkschaftsverbände – vor allem CGT, FO und UNSA (aber auch SUD und CFTD) – haben Bullen, Zollbeamte und/oder Gefängniswärter als Mitglieder. Diese Formationen bewaffneter Menschen, die ein Gewaltmonopol zur Durchsetzung der Diktatur der Bourgeoisie ausüben, bilden den Kern des bürgerlichen Staates, eines Instruments der Klassenunterdrückung gegenüber den Arbeitern und Unterdrückten. Der Bullenterror gegen Streikpostenketten und Jugendliche in den Banlieues (Vorstadtghettos) beweist auf sehr handfeste Art, dass die Polizei auf der anderen Seite der Klassenlinie steht. Der bürgerliche Staat und seine bewaffneten Banden müssen durch eine Arbeiterrevolution zerschlagen werden, die die Herrschaft des Kapitals durch die Diktatur des Proletariats ersetzt, welche ihre eigenen bewaffneten Formationen haben wird. Diese werden sich aus den Arbeitermilizen und anderen roten Garden ergeben, die im Kampf zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen Streikbruch der Polizei und faschistischen Terror geschaffen werden. Meister, Bullen, Gefängniswärter und Sicherheitsleute raus aus den Gewerkschaften!
Für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale! Für neue Oktoberrevolutionen!
Das Intersyndicale-Bündnis von Gewerkschaftsbürokraten wurde von vielen Arbeitern als Garantie für die Einheit der Arbeiterklasse angesehen. In Wirklichkeit diente sie den Bürokraten dazu, ihre Aktionen auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners zu koordinieren und ihren Verrat hinter der Maske der „Einheit“ zu verstecken. Die Rolle der „extremen Linken“ bei den jüngsten Streiks bestand darin, den aufmüpfigen Arbeitern die politische Linie der Intersyndicale-Bürokraten anzudrehen. So erklärte Lutte ouvrière (22. Oktober 2010) in einem Artikel über die Gewerkschaftsbürokratie bei der SNCF (der staatlichen Eisenbahn):
„Auch die Haltung der Gewerkschaftsführer hat den Streikenden Mut gemacht. Bisher haben sie sich alle für eine Stärkung, wenn nicht sogar eine Verbreiterung der Bewegung eingesetzt. Dies steht im Gegensatz zu der von ihnen 2003 und 2007 vertretenen Strategie, als sie sich gemeinsamen dienststellenübergreifenden Versammlungen, Besuchen streikender Arbeiter in anderen Bereichen und sogar gemeinsam abgehaltenen Demonstrationen widersetzten. Die Bewegung hat damit die Tonlage von 1995 mit dem berühmten ,Alle zusammen, alle zusammen‘ wiedergefunden.“
Dabei verschweigt LO, dass die Einheit des „Alle zusammen“ von 1995 in eine Stimmabgabe für das Volksfrontregime von Lionel Jospin kanalisiert wurde – tatsächlich ist das, worauf die Reformisten heute aus sind, eine neue Volksfront.
Neulich konnte man von LO den Refrain hören, dass die Wahlen überhaupt nichts änderten und dass es auf Kampf ankomme. Doch dies wird durch ihre praktische Politik Lügen gestraft, die dazu beiträgt, die Arbeiter an die Volksfront zu ketten. Seit zwei Jahren hilft LO mit, den Kapitalismus in Kommunalregierungen zu verwalten, auch durch ihre Stimmabgabe für kommunale Haushalte. Als der KPF-Bürgermeister von Bagnolet – einer Pariser Vorortgemeinde, wo LO eine Regierungskoalition mit ihren Seniorpartnern von der KPF eingegangen ist – im vergangenen Winter einen Wohnblock räumen ließ, der teilweise mit afrikanischen Arbeitern belegt war, verurteilte LO diese rassistische Maßnahme. Doch sie blieb verräterischerweise in der Koalition und verschaffte so ihren Partnern in der Gemeindeverwaltung ein linkes Deckmäntelchen (siehe „Lutte Ouvrière’s Municipal Antics“ [Lutte ouvrières kommunale Eskapaden], Workers Vanguard Nr. 960, 4. Juni 2010).
Erst kürzlich schrieb sich LO im Namen des „Kampfs gegen Rechts“ bei der Volksfrontliste für die Gemeinderatswahlen im Dezember in Corbeil-Essonnes südlich von Paris ein. Zusammen mit KPF, SP und den Grünen hat sich LO vorgenommen, den Kapitalismus auf örtlicher Ebene mit einem Programm zu verwalten, das die rechtsgerichtete Stadtverwaltung wegen ihres „Versagens bezüglich der Sicherheit“ anklagt und verspricht, „die Mittel bereit zu stellen“, diese Lage zu ändern, mit anderen Worten mehr rassistische Bullen, um das Ghetto zu terrorisieren. Auf nationaler Ebene wird das nächste Bündnis der Klassenzusammenarbeit zwischen bürgerlichen Parteien und Arbeiterparteien, das für die Wahlen von 2012 geplant ist, aller Voraussicht nach eine rosa-grüne Färbung annehmen, bei dem sich zu reformistischen Arbeiterparteien wie SP, KPF und Jean-Luc Mélenchons Linkspartei die Grünen und einige andere bürgerliche Kräfte zugesellen (wie die Radikalen Linken und die Unterstützer des kapitalistischen Politikers Jean-Pierre Chevènement).
Dieser zusammengewürfelte Haufen der Klassenzusammenarbeit kann sich sicher sein, die Wahlunterstützung von Besancenots NPA zu erhalten. Die NPA wurde 2009 aus der durch und durch sozialdemokratischen Ligue communiste révolutionnaire (LCR) heraus gegründet. Bei der Gründung der NPA schwor die LCR in einem seltenen Anflug von Ehrlichkeit offiziell Trotzkismus, Revolution und Kommunismus ab – nachdem sie dies schon seit Jahrzehnten in ihrer praktischen Arbeit getan hatte – und zeigte so, in welchem Maße sie den Mythos der Bourgeoisie vom „Tod des Kommunismus“ in sich aufgesogen hat. Sie verankerte in den „Grundsätzen“ der NPA auch ihre Aufgeschlossenheit für die Teilnahme an einer bürgerlichen Regierung, indem sie erklärte: „Wir werden zu ihrer Umsetzung [von fortschrittlichen Maßnahmen] beitragen, wenn uns die Wähler die Verantwortung dafür übertragen.“ Während der Wahlen von 2007 bekundete Besancenot seine Bereitschaft, einer bürgerlichen Regierungskoalition beizutreten, vorausgesetzt sie nennt sich „antikapitalistisch“, und erklärte: „Die LCR wird ihrer Verantwortung in einer solchen Regierung nachkommen.“
Seit Jahrzehnten stimmte die LCR für Kandidaten von aufeinanderfolgenden Volksfrontkoalitionen, von Mitterrand über Jospin bis zu Ségolène Royal 2007. Auch bei den Stadtratswahlen von Marseille 2008 stimmte sie für die von den Sozialisten angeführte Liste unter Beteiligung rechtsgerichteter bürgerlicher Politiker – die gleichen Sozialisten riefen erst kürzlich den Staat dazu auf, den Hafenarbeiterstreik von Marseille zu zerschlagen. Die NPA, deren Vorgänger in der LCR 2002 für den rechtsgerichteten Jacques Chirac stimmten, als ihm der Faschist Le Pen entgegentrat, sollte mit einer Stimmabgabe für einen Kandidaten der Sozialisten kein Problem haben – einschließlich des gegenwärtigen IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn, der Sarkozys Angriffe auf die Renten offen unterstützte.
LO, NPA und Konsorten haben etwas Grundsätzliches gemeinsam: Sie weisen die Oktoberrevolution von 1917 und die Diktatur des Proletariats zurück. Sie alle unterstützten die verschiedenen konterrevolutionären Kräfte, die die Sowjetunion und die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre zerstörten. Soweit es ihre begrenzten Kräfte zuließen, haben sie so zum Sieg der kapitalistischen Konterrevolution beigetragen. Die Arbeiterklasse muss sich den Marxismus und die Lehren der bolschewistischen Revolution wieder aneignen. Die Internationale Kommunistische Liga, zu deren Sektionen die LTF gehört, verkörpert die programmatische Kontinuität der bolschewistischen Partei Lenins und Trotzkis. Wir kämpfen für den Aufbau der internationalistischen revolutionären Arbeiterpartei, die unerlässlich ist, um die nächsten revolutionären Erhebungen des Proletariats zum Sieg zu führen.