Spartakist Nr. 184

Juli 2010

 

Apologeten des französischen Neokolonialismus in Afrika

Frankreich: Sozialdemokratische NPA unterstützt Militärputsch in Niger

Der folgende Artikel ist übersetzt aus Le Bolchévik, Nr. 191, März 2010, Zeitung der Ligue trotskyste de France.

Am 18. Februar ereignete sich ein militärischer Staatsstreich in Niger, einem der ärmsten Länder der Erde. Dieses von der Sahelwüste umschlossene Land besitzt wichtige Uranminen, die seit 40 Jahren von der französischen Areva-Gruppe (und ihren Vorläufern) ausgebeutet werden – aus dem Niger stammt knapp die Hälfte ihrer jährlichen Uranförderung. Uranerz ist ein strategisch wichtiges Metall, insbesondere für den französischen Imperialismus mit seinen Atomkraftwerken – und seinen Atombomben. Niger, dessen Unabhängigkeit General de Gaulle 1960 organisiert hatte, bleibt fest gefangen im neokolonialen französischen Hinterhof. Der französische Präsident Sarkozy und Gabuns Präsident Ali Bongo, dessen Vater Omar schon 42 Jahre geherrscht hatte, haben gerade offiziell erklärt, dass dieses sogenannte Françafrique [Französisch-Afrika] der Vergangenheit angehört.

Aber dann besaß der Präsident des kapitalistischen Staats Niger, Mamadou Tandja, die Unverfrorenheit, die Preise mit Areva neu verhandeln zu wollen, und er versuchte sich auf den bürokratisch deformierten Arbeiterstaat China zu stützen als Gegenpol zum französischen Imperialismus. Das ist in den Augen des französischen Imperialismus wahrlich ein Verbrechen, das schwerer wiegt als die physische Liquidierung einiger Oppositioneller oder die Auflösung des Parlaments: Berichten zufolge soll Tandja irgendwo in einem Militärcamp in Einzelhaft gesteckt worden sein.

Wenn es etwas Neues in Françafrique gibt, dann nicht so sehr, dass Tandja nicht sofort von Kugeln zersiebt wurde. Sondern vor allem, dass es in Frankreich jetzt eine sozialdemokratische Organisation gibt, die sich früher selbst als „linksextrem“ oder gar als „trotzkistisch“ bezeichnete und die jetzt den militärischen Staatsstreich unterstützte, der Tandja abgesetzt hat. Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) von Olivier Besancenot hat in der Tat einen Artikel herausgegeben (Tout est à nous, 25. Februar), der Tandja schon in der Überschrift die Schuld dafür zuweist, was ihm widerfährt („Niger – ein Gegenputsch“); der schlimme Tandja hätte das Parlament antidemokratisch aufgelöst und sein eigenes Mandat durch eine manipulierte Volksabstimmung verlängert. Der Artikel fährt fort: „Die Machenschaften des Präsidenten waren von der Internationalen Gemeinschaft verurteilt … und von vielen als konstitutioneller Staatsstreich bezeichnet worden.“ Die „Internationale Gemeinschaft“ (groß geschrieben), das ist der Begriff, mit dem die NPA nun offensichtlich den französischen Imperialismus, dessen Regierung unter Sarkozy, dessen Außenminister Kouchner sowie deren Verbündete bezeichnet. Trotz der Anweisungen der „Internationalen Gemeinschaft“ wollte der sturköpfige Tandja laut NPA „die VI. Republik aufrechterhalten (die in autokratischer Weise errichtet wurde)“. Die NPA verurteilt im Folgenden „diese Manöver von Tandja, um sich an der Macht zu halten, und seinen offensichtlichen Starrsinn, der Verhandlungen mit der Opposition blockierte“.

Und so begrüßt die NPA die Militärintervention und gibt Ratschläge an den Quai d’Orsay (französisches Außenministerium) und Nigers neuen Diktator Salou Djibo, der erklärt, dass er Wahlen organisieren und eine neue Verfassung vorbereiten will: „Einige Beobachter betrachten diesen Putsch als eine Möglichkeit, das Abrutschen in Richtung Autokratie zu beenden… Wenn das Ziel des Staatsstreichs war, das Land von einer Diktatur zu befreien, dann sollen sie das konsequent zu Ende bringen und nicht dem Machtrausch erliegen wie in Guinea, im Tschad, in Togo…“ Und weiter: „Konfrontiert mit einer drohenden Hungersnot, mit sich selbst überlassenen lokalen Bevölkerungsgruppen (besonders den Tuareg) und mit dem Fluch, den seine reichen Bodenschätze darstellen, muss Niger von diesem Situationswandel profitieren. Dafür muss man Niger freie Hand lassen und die Schwarzweiß-Politik, entweder zu schweigen oder sich einzumischen, wirklich beenden.“

Für die NPA besteht der „Fluch“ Nigers nicht in der Unterjochung durch den französischen Imperialismus, sondern im Reichtum seiner Bodenschätze! So obszön proimperialistisch diese Äußerungen auch sein mögen – man kann nicht erwarten, dass sie Empörung in den Reihen der NPA hervorrufen werden. Die NPA ist eine zutiefst sozialdemokratische Organisation, und als solche stützt sie sich auf die Gewerkschaftsbürokratie und die Arbeiteraristokratie (sowie bei der NPA in ausgeprägter Weise auf das Boheme-Kleinbürgertum), die von den Imperialisten gekauft sind. Die Mittel dafür holen sich die Imperialisten insbesondere aus genau den Extraprofiten, die sie den Kolonien und Neokolonien entziehen, wie durch die Ausplünderung Nigers seit mehr als 100 Jahren. So erklärte Lenin 1915 in Sozialismus und Krieg:

„Die ökonomische Grundlage des Opportunismus und des Sozialchauvinismus ist ein und dieselbe: die Interessen einer ganz geringfügigen Schicht von privilegierten Arbeitern und Kleinbürgern, die ihre privilegierte Stellung, ihr ,Recht‘ auf Brocken vom Tische der Bourgeoisie verteidigen, auf Brocken von den Profiten, die ,ihre‘ nationale Bourgeoisie durch die Ausplünderung fremder Nationen, durch die Vorteile ihrer Großmachtstellung usw. einstreicht.“

Das schlagende Argument der NPA, um sich in Habachtstellung hinter ihre eigene Bourgeoisie zu bringen, ist die Frage der „Demokratie“. Gerade im Namen des Kampfes für die „Demokratie“ hatte der NPA-Vorläufer, die Ligue communiste révolutionnaire von Alain Krivine, die proimperialistische konterrevolutionäre Solidarność in Polen zu Beginn der 1980er-Jahre unterstützt und auch den bürgerlichen rechten Politiker Chirac bei den Präsidentschaftswahlen 2002. Von da zur Unterstützung einer Militärjunta in Französisch-Afrika war nur ein kleiner Schritt, den die NPA ungeniert gemacht hat.

Die Demokratie ist für die Bourgeoisie nur ein gewöhnliches Gewand, mit dem sie ihre eigene blutige Diktatur gegen die Klassen und Schichten verschleiert, die sie ausbeutet und unterdrückt. Indem die NPA die Hauptfrage unter den Tisch kehrt, nämlich Demokratie für welche Klasse?, spricht sie sich bedingungslos für die Macht der Bourgeoisie aus; wenn möglich demokratisch, und wenn nicht – ebenfalls, und immer gegen die Diktatur des Proletariats (die schließlich nur für die Arbeiter und Unterdrückten demokratisch ist). Lenin schrieb in seiner Polemik gegen den Renegaten Kautsky:

„Es gibt keinen einzigen Staat, und sei es auch der demokratischste, wo es in der Verfassung nicht Hintertürchen oder Klauseln gäbe, die der Bourgeoisie die Möglichkeit sichern, ,bei Verstößen gegen die Ruhe und Ordnung‘ – in Wirklichkeit aber, wenn die ausgebeutete Klasse gegen ihr Sklavendasein ,verstößt‘ und versucht, sich nicht mehr wie ein Sklave zu verhalten – Militär gegen die Arbeiter einzusetzen, den Belagerungszustand zu verhängen u.a.m.“

Im Fall von Niger erreicht die NPA den Gipfel des Grotesken, indem sie eine Militärjunta unterstützt, die sie als eine Etappe zur Errichtung der „Demokratie“ darstellt. Wenn die NPA die Demokratie in Frankreich in rosa-grünen Farben sieht, scheint Khaki für sie eine gut passende Farbe für Afrika zu sein! Nach hundert Jahren Gräueltaten des französischen Imperialismus in Niger und in der Region sind diese Länder in einem furchtbaren und wachsenden Elend versunken. Die Arbeiterklasse ist in diesem Teil Afrikas fast nicht vorhanden, was bedeutet, dass die einzige soziale Kraft fehlt, die in der Lage ist, die Führung aller Unterdrückten zu übernehmen, um ein für alle Mal das imperialistische Joch abzuschütteln und für eine internationale sozialistische Revolution zu kämpfen. Tatsächlich sind es die immigrierten Arbeiter Westafrikas in Frankreich, die eine strategische Rolle spielen und eine lebendige Brücke zwischen dem Kampf für Revolution in Frankreich und in diesen Ländern bilden können. Deshalb ist es so wesentlich, in Frankreich selbst gegen die durch den französischen Imperialismus im Ausland entstandenen Verwüstungen zu kämpfen und den Kapitalismus hier sowie in der ganzen Welt zu stürzen. Dann erst können wir beginnen, die verheerenden Schäden imperialistischer Unterdrückung zu beseitigen und die Grundlagen für eine Gesellschaft des Überflusses zu legen, die auf einer kollektivierten und international geplanten Wirtschaft beruht. Französischer Imperialismus: raus aus Afrika!